Die völkerrechtliche Definition von Krieg - Sachstand - © 2007 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 -175/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserinnen: Die völkerrechtliche Definition von Krieg Sachstand WD 2 – 3000 -175/07 Abschluss der Arbeit: 21. November 2007 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Die völkerrechtliche Definition von „Krieg“ Der völkerrechtliche Begriff „Krieg“ im klassischen Sinne ist maßgeblich durch zwei Merkmale gekennzeichnet: Zum einen muss ein bewaffneter Kampf1 zwischen Staaten oder Staatengruppen2 stattfinden; zum anderen bedarf es des Eintrittes des Kriegszustandes in Form einer Kriegserklärung oder durch das Stellen eines Ultimatums.3 Andere Autoren verzichten auf letzteres Merkmal und definieren Krieg als „Gewaltmaßnahmen unter Abbruch der diplomatischen Beziehungen“.4 Über diese beiden Merkmale hinaus zieht ein Teil der Völkerrechtslehre weitere subjektive und objektive Definitionsmerkmale heran. Als subjektives Merkmal steht insbesondere der Kriegsführungswille (sog. „animus belligerandi“) im Vordergrund, der von mindestens einer Konfliktpartei entweder ausdrücklich erklärt oder implizit durch die Art und das Ausmaß der Feindseligkeiten deutlich werden muss.5 Als zusätzliche objektive Merkmale kommen Art und Ausmaß des Waffeneinsatzes in Betracht.6 Im Hinblick auf den Eintritt in den Kriegszustand hat sich die Staatenpraxis spätestens seit den beiden Weltkriegen entscheidend geändert. So deklarierten einige Staaten militärische Aktionen nicht mehr als Kriege, um das Kriegsverbot des Briand-Kellogg- Paktes von 1928 zu umgehen.7 Auch waren nur wenige angreifende Staaten seit dem 2. Weltkrieg dazu bereit, ihren Verstoß gegen das in Art. 2 Nr. 4 VN-Charta niederge- 1 Vgl. Bothe, in Graf Vitzthum, Rn. 9; andere sprechen z. B. von „Feindseligkeiten“ (Hobe /Kimminich, S. 522), „Gewaltzustand“ (Hobe/Kimminich, S. 499), „offener Waffeneinsatz“ (Ipsen , § 66, Rn. 10.). 2 Meng zählt hierzu auch nicht-staatliche Kriegsteilnehmer, die von einem der kämpfenden Staaten als solche anerkannt wurden, S. 1335; dagegen Epping, S. 103 f. 3 Siehe Ipsen, § 66, Rn. 2 und 10; anders Meng, S. 1335, der feststellt, dass der Waffeneinsatz seit dem 1. Weltkrieg nicht mehr notwendiges Tatbestandsmerkmal des Kriegsbegriffes sei, und darauf verweist, dass zwischen Lateinamerika und Deutschland im 2. Weltkrieg zwar eine Kriegserklärung erfolgte, aber keine tatsächliche Kampfhandlungen aufgenommen wurden; vgl. dazu kritisch Epping , S. 100 f. Zum förmlichen Eintritt in den Krieg siehe das III. Haager Abkommen vom 18.10.1907, RGBl. 1910, 82 ff. 4 Siehe Hobe/Kimminich, S. 499 und S. 522 m. w. N.; vgl. hierzu auch Epping, S. 103. 5 Siehe Meng, S. 1336; Ipsen, § 66, Rn. 10, der darüber hinaus noch die zusätzlichen Merkmale „Ziel militärischer Niederringung des Gegners“ und „Brechung seines politischen Willens“ nennt; und ausführlich Epping, S. 101 f. 6 Siehe Ipsen, § 66, Rn. 10. 7 So z. B. bei den japanischen Übergriffen gegen China in den 1930er Jahren; siehe Bothe, in Graf Vitzthum, Rn. 6 u. 62 m. w. N. - 4 - legte Gewaltverbot durch eine Kriegserklärung offenkundig zu machen.8 Der förmliche Eintritt in den Krieg ist damit selten geworden.9 Seit dem 2. Weltkrieg wird der Kriegsbegriff von den Staaten in Völkerrechtsabkommen 10 und von der Völkerrechtsliteratur seltener verwendet. Stattdessen sprechen sie von „internationalen bewaffneten Konflikten“ und „nicht-internationalen bewaffneten Konflikten“. Das überwiegende Schrifttum sieht „Krieg“ heute als Unterfall des „internationalen bewaffneten Konfliktes“ an11 oder geht sogar davon aus, dass der Kriegsbegriff durch den neuen Begriff abgelöst worden ist.12 Meng hebt hingegen die jeweils eigenständigen rechtlichen Bedeutungen der beiden Begriffe hervor.13 Der Sammelbegriff „internationaler bewaffneter Konflikt“ umfasst sämtliche Erscheinungsformen zwischenstaatlicher Anwendung von Waffengewalt.14 Im Unterschied zum klassischen Kriegsbegriff ist also nicht mehr erforderlich, dass die Konfliktparteien ihre Kriegsführungsabsicht kundtun.15 Ein Autor regt jedoch an, für das Vorliegen eines „bewaffneten Konfliktes“ eine bestimmte Intensität der Feindseligkeiten vorauszusetzen , um ihn damit von Kleinstkonflikten, sog. „Zwischenfällen“, zu unterscheiden.16 Die „nicht-internationalen bewaffneten Konflikte“ (auch „interne bewaffnete Konflikte“ genannt) unterscheiden sich von den „internationalen bewaffneten Konflikten“ dadurch, dass bei ihnen eine der Konfliktparteien oder beide Konfliktparteien keine Völkerrechtssubjekte sind. Beispiele hierfür sind Bürgerkriege und Auseinandersetzungen mit nationalen Befreiungsbewegungen.17 8 Siehe Ipsen, § 66, Rn. 2; Epping, S. 99, der als weiteres mögliches Motiv für den Verzicht auf eine Kriegserklärung den militärischen Vorteil eines Überraschungsangriffes nennt. 9 Siehe Herdegen, Rn. 3. Beispiele für den förmlichen Kriegseintritt sind der Falklandkrieg zwischen Argentinien und dem Vereinigten Königreich und der Iran-Irak-Konflikt, vgl. Ipsen, § 65, Rn. 5. 10 So als erste Abkommen die Vier Genfer Abkommen von 1949; zu weiteren Belegen vgl. Ipsen, § 65, Rn. 6. 11 Siehe Epping, S. 99 f.; Ipsen, § 66, Rn. 10; Kreß, Rn. 3078. Vgl auch das Anwendungsgebiet der gleichlautenden Art. 2 der Genfer Abkommen von 1949: „in allen Fällen eines erklärten Krieges oder eines anderen bewaffneten Konflikts“; ebenso Art. 18 des Haager Abkommens vom 14. Mai 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (i. Kr. 1962). 12 Siehe Hobe/Kimminich, S. 499; wohl auch Herdegen, § 56, Rn. 3. 13 So Meng, S. 1338, der betont, dass das Kriegsrecht sich zuvörderst auf das Konzept „Krieg“ beziehe und nur bestimmte Regelungen des Kriegsrechts auch auf „bewaffnete Konflikte“ anwendbar seien. Zu den Rechtsfolgen von „Krieg“, „internationalem bewaffnetem Konflikt“ und „nicht-internationalem bewaffnetem Konflikt“ siehe z. B. Ipsen, § 66, Rn. 1 ff. und Herdegen, Rn. 1 ff. 14 Siehe Ipsen, § 66, Rn. 4 ff. (mit ausführlicher Auslegung der Merkmale „bewaffnet“ und „international “) und Rn. 11. 15 Siehe Herdegen, Rn. 3; Meng, S. 1337. 16 Siehe Bothe, in Graf Vitzthum, Rn. 62. 17 Siehe Hobe/Kimminich, S. 501 ff. - 5 - 2. Literaturverzeichnis Epping, Volker, Die Entwicklung und Bedeutung des Kriegsbegriffs für das Völkerrecht , in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften (HV-I), Jahrgang 4, Nr. 3, 1991, 99 ff. Herdegen, Matthias, Völkerrecht, 6. Auflage, München 2007 Hobe, Stephan / Kimminich, Otto, Einführung in das Völkerrecht, 8. Auflage, Tübingen /Basel 2004 Ipsen, Knut, Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004 Kreß, Claus, Staat und Individuum in Krieg und Bürgerkrieg – Völkerrecht im Epochenwandel , in: NJW 1999, Heft 42, 3078 ff. Meng, Werner, War, in: Encyclopedia of Public International Law (EPIL), Vol. IV, 2000, 1334 ff. Vitzthum, Wolfgang Graf (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Auflage, Berlin 2007, zitiert: Bearbeiter in: Graf Vitzthum