WD 2 - 3000 - 172/18 (5. Dezember 2018) © 2018 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. I. Das Völkergewohnheitsrecht als allgemeine Regel des Völkerrechts i.S.v. Art. 25 GG Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts werden über Art. 25 GG1 in innerstaatliches Recht transformiert. Zu den allgemeinen Regeln gehört insbesondere das Völkergewohnheitsrecht.2 Das sog. „soft law“3 fällt dagegen nicht darunter.4 Die Geltungsanordnung des Art. 25 S. 1 GG sichert den allgemeinen Regeln des Völkerrechts umfassende Berücksichtigung bei der Rechtsanwendung durch innerstaatliche Organe zu.5 Die unmittelbare Anwendbarkeit einer allgemeinen Regel des Völkerrechts setzt voraus, dass die betreffende Regel hinreichend bestimmt und unbedingt („self-executing“) ist, d.h. von deutschen Gerichten und Behörden ohne weiteren Durchführungsakt mit Blick auf Tatbestand und Rechtsfolge auf einen Lebenssachverhalt angewendet werden kann. Der Einzelne kann sich jedoch nur dann auf eine unmittelbar anwendbare allgemeine Regel des Völkerrechts berufen, wenn diese 1 Diese Bestimmung lautet: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ 2 Dass die entsprechende völkergewohnheitsrechtliche Regel von Deutschland anerkannt ist, ist nicht erforderlich . Vgl. hierzu Talmon, Die Grenzen der Anwendung des Völkerrechts im deutschen Recht, JZ 2013, S. 12; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, § 35 II 1 b und 2. 3 Hierunter fallen z.B. Resolutionen der VN-Generalversammlung, welche als solche rechtlich nicht bindend sind, sondern lediglich empfehlenden Charakter haben, sowie Erklärungen von Staatenkonferenzen, denen die Mehrheit der Staaten ohne Rechtsbindungswillen zugestimmt hat. Da beide von einer großen Anzahl von Staaten getragen werden, sind sie rechtlich jedoch nicht bedeutungslos, sondern werden als sog. „soft law“ qualifiziert . Vgl. dazu nur Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, § 22 II 2 c. 4 Maunz/Dürig/Herdegen, 84. EL August 2018, GG Art. 25 Rn. 34; BeckOK Grundgesetz/Heintschel von Heinegg, 38. Ed. 1.3.2015, GG Art. 25 Rn. 12. Zum sog. „soft law“ s.u. Abschnitt II. 5 Maunz/Dürig/Herdegen, 84. EL August 2018, GG Art. 25 Rn. 72. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur Bedeutung und Reichweite des Völkergewohnheitsrechts und des völkerrechtlichen „soft law“ Kurzinformation Zur Bedeutung und Reichweite des Völkergewohnheitsrechts und des völkerrechtlichen „soft law“ Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 individuelle (subjektive) Rechte oder Pflichten begründet. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.6 Unabhängig von der unmittelbaren Anwendbarkeit einer allgemeinen Regel des Völkerrechts muss der Normgeber jedoch bei der Gestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung und müssen die Verwaltung bzw. die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Rechts die allgemeinen Regeln des Völkerrechts beachten. Hieraus folge insbesondere, dass die innerstaatlichen Behörden und Gerichte daran gehindert seien, innerstaatliches Recht dergestalt auszulegen und anzuwenden, dass es die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt.7 II. Soft Law Das sog. „soft law“ kann über das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung – als Ausfluss des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes – im innerstaatlichen Bereich Berücksichtigung finden. Im Falle mehrerer Auslegungsmöglichkeiten ist einer Norm diejenige Bedeutung beizumessen, die mit den völkerrechtlichen Vorgaben in Einklang steht. Das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung greift insbesondere bei der Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln sowie bei der Ausübung und Kontrolle von Ermessens - und Beurteilungsspielräumen.8 Der Kurzinformation beigefügt ist das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste zum Thema „Eckpunkte und völkerrechtliche Bedeutung des Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration“.9 Dieses behandelt in Abschnitt 3 die rechtliche Bindungswirkung des Globalen Migrationspaktes. Als sog. „soft law“-Instrument kann der Migrationspakt zum einen zur Entstehung von (sog. hartem ) Völkerrecht insbesondere dadurch beitragen, dass sich aus seinem Regelungsinhalt im Laufe der Zeit Völkergewohnheitsrecht herausbildet. Zum anderen kann der Migrationspakt auch 6 BeckOK Grundgesetz/Heintschel von Heinegg, 38. Ed. 1.3.2015, GG Art. 25 Rn. 17 und 24; Epping, in Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Aufl. 2018, § 4 Rn. 11. 7 BeckOK Grundgesetz/Heintschel von Heinegg, 38. Ed. 1.3.2015, GG Art. 25 Rn. 24. 8 Dazu ausführlich Reiling, Die Anwendung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit auf rechtsunverbindliche internationale Standards, in: ZaöRV 2018, 311, 316 ff. Zur Unterscheidung zwischen hard law und soft law vgl. Gregory C. Shaffer / Mark A. Pollack, Hard vs. Soft Law: Alternatives, Complements and Antagonists in International Governance, https://www.researchgate.net/publication/228160047_Hard_vs_Soft_Law_Alternatives_Complements_and_Anta gonists_in_International_Governance. 9 WD 2 – 3000 – 165/18 vom 28.11.2018. Kurzinformation Zur Bedeutung und Reichweite des Völkergewohnheitsrechts und des völkerrechtlichen „soft law“ Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 durch die Konkretisierung von geltendem Völker- oder nationalem Recht Steuerungskraft entfalten . Vor diesem Hintergrund geht das beigefügte Gutachten zum einen der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen sich aus „soft law“ in Form von Resolutionen der VN-Generalversammlung oder rechtlich nicht bindenden Beschlüssen von Staatenkonferenzen Völkergewohnheitsrecht herausbildet (Abschnitt 3.2.1). Zum anderen geht es der Frage nach, welche Steuerungskraft der Globale Migrationspakt als sog. „soft law“ auf internationaler und nationaler Ebene durch die Konkretisierung von Völker- bzw. nationalem Recht entfalten kann (Abschnitt 3.2.2). III. Literaturhinweise Hinzuweisen ist ferner auf den Aufsatz von Stefan Talmon mit dem Titel „Die Grenzen der Anwendung des Völkerrechts im deutschen Recht“.10 Der Beitrag erläutert die Inkorporation des Völkergewohnheitsrechts in die deutsche Rechtsordnung und identifiziert die Grenzen der Anwendung von Völkergewohnheitsrecht im deutschen Recht. Daneben ist auf den Beitrag von Katharina Reiling mit dem Titel „Die Anwendung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit auf rechtsunverbindliche internationale Standards“ hinzuweisen .11 Ausgehend von der Indizwirkungs-Rechtsprechung des BVerfG, nach welcher ein Verstoß auch gegen rechtlich unverbindliche internationale Menschenrechts-Standards („soft law“) eine Verletzung von Grundrechten indiziert, erörtert der Aufsatz die rechtlichen Probleme einer Einbeziehung von „soft law“ im Rahmen der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und geht der Frage nach, ob die bisherige Entscheidungspraxis des BVerfG verallgemeinerungsfähig oder auf die besondere Situation der Haft begrenzt ist. *** 10 Talmon, in: JZ 2013, S. 12-21, online verfügbar unter: https://www.jura.unibonn .de/fileadmin/Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Institute/Voelkerrecht/Dokumente_fuer_We bseite/Grenzen_JZ_1_2013__S_12-21.pdf. 11 Reiling, in: ZaöRV 2018, 311-338, online verfügbar https://beckonli - ne.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fzeits%2Fzaoerv%2F2018%2Fcont%2Fzaoerv.2018.311.1.htm&pos=1.