Deutscher Bundestag Zur völkerrechtlichen Einordnung der vier israelisch-arabischen Kriege 1948-1973 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 – 165/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 2 Zur völkerrechtlichen Einordnung der vier israelisch-arabischen Kriege 1948-1973 Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 165/12 Abschluss der Arbeit: 14. März 2013 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur völkerrechtlichen Beurteilung der vier israelisch-arabischen Kriege 4 2.1. Unabhängigkeitskrieg Israels 1948/49 4 2.2. Suez-Krieg (1956) 6 2.3. Der Sechstage-Krieg 1967: Präemptive Selbstverteidigung? 7 2.4. Der Oktober-Krieg des Jahres 1973 9 3. Territoriale Aspekte bei der Schaffung von Frieden im Nahostkonflikt 11 3.1. Das Ende der Besatzung in der Folge des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages von 1979 11 3.2. Zum Status der besetzten Golan-Höhen im Zuge von Friedensverhandlungen 11 4. Ausblick 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 4 1. Einleitung Von seiner Gründung im Jahr 1948 bis zu den ersten Vorbereitungen von Friedensverhandlungen mit Ägypten nach dem Yom-Kippur-Krieg des Jahres 1973 war Israel in vier größere bewaffnete Konflikte mit seinen arabischen Nachbarn verwickelt. Im Folgenden werden jeweils zunächst die Hintergründe und Entwicklungen dieser Kriege kurz dargestellt, um dann die damit verbundenen völkerrechtlichen Diskussionen zu beleuchten. Die Erörterung sieht sich dabei zwei methodischen Problemen gegenüber, die berücksichtigt werden müssen. Zum einen ist die völkerrechtliche Beurteilung militärischer Operationen in besonderem Maße von einer gründlichen Ermittlung der tatsächlichen Umstände abhängig. Insbesondere Fragen der Verhältnismäßigkeit lassen sich nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens möglicherweise nur sachgerecht würdigen, wenn sie Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens waren.1 Zum anderen ist bei der völkerrechtlichen Beurteilung der hier betrachteten vier bewaffneten Konflikte jeweils zu berücksichtigen, dass die Konturen des Rechts auf Selbstverteidigung in den 1950er und 1960er-Jahren weniger klar umrissen waren als dies heute der Fall ist. So sind wichtige Entscheidungen des Internationalen Gerichthofs erst 19862 sowie 2003 und 20053 ergangen. Die Diskussionen im Kontext des Nahostkonflikts haben ihrerseits zur Klärung beigetragen. Dieser Zusammenhang hat insbesondere Rückwirkungen auf die Frage, welche Positionen völkerrechtlich jedenfalls mit guten Gründen vertretbar gewesen sind. 2. Zur völkerrechtlichen Beurteilung der vier israelisch-arabischen Kriege 2.1. Unabhängigkeitskrieg Israels 1948/49 Am 29. November 1947 wurde in der Generalversammlung der Vereinten Nationen der Teilungsplan für das britische Mandatsgebiet Palästina beschlossen, der die Schaffung von zwei Staaten vorsah. Jerusalem sollte unter ein internationales Treuhandregime gestellt werden.4 Hintergrund war die erklärte britische Absicht, sich zum 14. Mai 1948 vollständig aus Palästina zurückzuziehen und das aus Zeiten des Völkerbundes stammende Treuhandregime zu beenden. In der Folge kam es zu zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen jüdischen und arabischen Einheiten. Am 14. Mai 1948 folgte die Gründungserklärung des Staates Israel, die unmittelbar unter anderem von den Vereinigten Staaten von Amerika und der UdSSR anerkannt wurde. Daraufhin wurde der neu errichtete Staat insbesondere von den Streitkräften Ägyptens, Jordaniens, 1 Im Kontext des Nahostkonflikts, Partsch, Israel and the Arab States, in Bernhardt, Encyclopedia of Public International Law, Bd. II, 1995, S. 1460, 1464. 2 Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), ICJ Reports 1986, 14. 3 Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), 6.11.2003, ICJ Reports 2003, 161; Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), 19.12.2005, ICJ Reports 2005, 168. 4 Generalversammlung, Resolution 181, Future Government of Palestine. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 5 Syriens, des Libanon und des Irak angegriffen.5 Ziel dieser Intervention war es, die Teilung Palästinas zu verhindern, die von arabischer Seite teilweise als völkerrechtswidrig angesehen wurde.6 Gegen diese Intervention stand Israel ein Recht auf Selbstverteidigung zu.7 Nach Ende der Kampfhandlungen begannen auf Vermittlung der Vereinten Nationen Verhandlungen über ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel einerseits und Ägypten, Jordanien, Syrien und dem Libanon andererseits. Der Irak nahm an diesen Verhandlungen nicht teil. Diese Verhandlungen führten im Laufe des ersten Halbjahres 1949 zum Abschluss von Allgemeinen Waffenstillstandsabkommen. Die Wirkung dieser Abkommen wird mittlerweile allgemein so verstanden , dass der bewaffnete Konflikt permanent beendet wurde. Dies führt insbesondere dazu, dass für die Übergangszeit bis zum Abschluss einer Friedensregelung das Gewaltverbot vollumfänglich gilt.8 Bis zum Kriegsende hatte Israel das Gebiet, in dem es Kontrolle ausübte, von ca. 55 % auf 78 % des Mandatsgebiets erweitert. Diese Grenzziehung bildete auch die Grundlage für die Waffenstillstandsabkommen von 1949 (sogenannte Grüne Linie). Die Demarkierungslinien, die das Abkommen festlegt, werden zwar als nicht endgültig bezeichnet und sollen einer Friedenslösung nicht vorgreifen. Sie können aber nur im gegenseitigen Konsens der Parteien geändert werden.9 Insofern dient der Verweis auf die Vorläufigkeit der Grenzziehung wohl insbesondere zur Klarstellung , dass über den Grenzverlauf im Rahmen von Friedensverhandlungen ernsthaft zu sprechen sein wird und insbesondere ein Gebietstausch nicht kategorisch ausgeschlossen werden darf. In den faktischen Grenzen des Waffenstillstandabkommens von 1949 wurde Israel im gleichen Jahr in die Vereinten Nationen aufgenommen. Die Grüne Linie bildete auch die Grundlage für die Friedensabkommen mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994). Dies unterstreicht, dass die ursprünglich vorgesehene Aufteilung des britischen Mandatsgebiets, die von arabischer Seite ohnehin nicht akzeptiert worden war, mittlerweile außer Gebrauch gefallen ist.10 5 Ägypten, Syrien, der Libanon und Irak gehören zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen, so dass das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen bereits Anwendung fand; Jordanien ist hingegen erst seit 1955 Mitglied. 6 Im völkerrechtlichen Schrifttum findet sich allerdings die Annahme, dass die Arabische Liga schon vor dem Teilungsplan eine Intervention plante, so Partsch (Anm. 1), S. 1465. 7 Ausführlich zur Chronologie der Entwicklung Akram/Lynk, Arab-Israeli Conflict, in Wolfrum (Hrsg), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL), Rn. 12 ff., online verfügbar unter http://www.mpepil.com; siehe auch Weisburd, Use of Force, 1997, S. 100. 8 Zur Analyse der Abkommen Dinstein, War, Agression and Self-Defence, 5. Auflage 2012, S. 45 f. 9 Dinstein (Anm. 8), S. 46, mit dem Hinweis darauf, dass die Wirkung dieser Linie einer Grenze gleichkomme. In diesem Sinne hat auch der IGH die Grüne Linie ohne weiteres als Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland angesehen, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories, Advisory Opinion, ICJ Reports 2004, 136, 166 f. 10 Wedgwood, The ICJ Advisory Opinion on the Israeli Security Fence and the Limits of Self-Defense, American Journal of International Law 99(2005), S. 52, 59, Fn. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 6 2.2. Suez-Krieg (1956) Am 29. Oktober 1956 überschritten israelische Streitkräfte die Grenze zu Ägypten und zu dem von diesem besetzten Gaza. In der Folge kam der Großteil der Sinai-Halbinsel unter israelische Kontrolle. Die israelische Besetzung des Sinai dauerte bis zur Übergabe an die Friedensmission, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen eingesetzt worden war, im Februar /März 1957 an. Die israelische Militäroperation gegen Ägypten steht im Kontext der Suez-Krise des Jahres 1956, die mit der Nationalisierung des Suez-Kanals durch den ägyptischen Präsidenten Nasser an Schärfe gewonnen hatte. In der Folge des israelischen Angriffs intervenierten am 5. November 1956 Großbritannien und Frankreich in Ägypten unter dem Vorwand, die Kriegsparteien zu trennen . Ziel der Intervention war hingegen insbesondere, die Kontrolle über den Suez-Kanal zu erlangen .11 Aus israelischer Sicht hatte die Besetzung des Sinai insbesondere zwei Ziele. Zum einen sollte die Blockade der Straße von Tiran für Schiffe aus bzw. nach Israel und damit des israelischen Hafens in Eilat beendet werden, die Ägypten seit 1951 begonnen und schrittweise verstärkt hatte. Die Straße von Tiran besitzt für Israel strategische Bedeutung, da sie einen Zugang zum Roten Meer und weiter nach Ostafrika und Asien bietet. Zum anderen sollte gegen palästinensische Fedayeen-Milizen vorgegangen werden, die seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1949 wiederholt punktuelle Überfälle auf israelisches Territorium vorgenommen hatten. Dementsprechend berief sich Israel zur Rechtfertigung der Invasion des Sinai insbesondere auf das Recht zur Selbstverteidigung gegen die Angriffe der palästinensischen Fedayeen-Milizen.12 Diese Begründung wurden von der Mehrzahl der Mitglieder des Sicherheitsrats im Prinzip akzeptiert . Jedoch wurde die israelische Reaktion mehrheitlich als unverhältnismäßig angesehen. Auch die Resolution der Generalversammlung, die mit großer Mehrheit einen Rückzug der israelischen Streitkräfte forderte, anerkannte den Bezug der Militäroperation zu den Übergriffen der Fedayeen-Milizen. Gleiches gilt für das Mandat der Friedensmission, die unter Bezugnahme auf Empfehlungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen auch die Übergriffe der palästinensischen Milizen gegen Israel verhindern sollte.13 Im völkerrechtlichen Schrifttum ist eine weitere Rechtfertigung für das Eingreifen der israelischen Streitkräfte diskutiert worden. Danach löste die Blockade der Straße von Tiran und des 11 Zum Ablauf und weiteren Motiven Großbritanniens und Frankreichs, Akram/Lynk (Anm. 7), Rn. 22, Weisburd (Anm. 7), S. 29. 12 Israelisches Außenministerium, Statement 29.10.1956, verfügbar unter: http://www.mfa.gov.il/MFA/Foreign+Relations/Israels+Foreign+Relations+since+1947/1947- 1974/1+Foreign+Ministry+Statement-+29+October+1956.htm (5.3.2013). Israel verwies zudem darauf, dass diese Milizen durch Ägypten gesteuert und unterstützt würden. 13 Zum Ganzen Franck, Recourse to Force, 2002, S. 55 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 7 israelischen Hafens von Eilat das Recht zur Selbstverteidigung aus.14 Hierfür spricht zunächst, dass eine Blockade als Aggressionshandlung gilt15 und damit ein bewaffneter Angriff im Sinne von Art. 51 VN-Charta sein kann.16 Gegen das Bestehen eines Selbstverteidigungsrechts gegen die Blockade wurde teilweise anführt, dass der Zugang Israels zu seinen Häfen am Mittelmeer nicht betroffen war und die Blockade daher nicht einem bewaffneten Angriff gleichkomme.17 Jedoch wäre wohl auch zu berücksichtigen, dass die alternative Passage durch den Suez-Kanal für israelische Schiffe gleichfalls nicht passierbar war. Von ägyptischer Seite wurde zur Rechtfertigung der Blockade darauf verwiesen, dass sich Ägypten und Israel noch im Kriegszustand befunden hätten, da auf das Waffenstillstandsabkommen von 1949 kein Friedensvertrag gefolgt sei.18 Auf Grundlage dieser Position, die von Israel nicht geteilt wurde, wäre im Gegenzug konsequenterweise Israels Vorgehen gegen die Blockade ohne Weiteres als zulässig anzusehen und könnte keinen Verstoß gegen das Gewaltverbot darstellen. Jedoch hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach einer Beschwerde Israels bereits im Jahr 1951 festgestellt, dass sich keine Seite zur Rechtfertigung von Handlungen auf die Rechte einer kriegsführenden Partei berufen könne. Zudem verstießen die Restriktionen im Suez-Kanal gegen die Verpflichtung zu einer friedlichen Streitbeilegung, wie sie im Waffenstillstandsabkommen von 1949 niedergelegt worden sei.19 2.3. Der Sechstage-Krieg 1967: Präemptive Selbstverteidigung? Bereits im Vorfeld des Sechstagekrieges vom Juni 1967 kam es zu einer erheblichen Verstärkung der Spannungen zwischen Israel und seinen Nachbarn, die auch vereinzelte Fälle der Anwendung von Waffengewalt einschloss.20 Im Mai 1967 verlangte die ägyptische Regierung den Rückzug der Friedensmission der Vereinten Nationen, die nach dem Suez-Krieg die ägyptischisraelische Grenze überwachte. Nach dem Rückzug der Friedenstruppen aus Sharm el-Sheik am Golf von Aqaba erneuerte Ägypten die Blockade der Straße von Tiran. Gleichzeitig wurden verstärkt Grenzverletzungen durch palästinensische Milizen entlang der syrisch-israelischen Grenze vermerkt. Diese Entwicklungen wurden zudem durch aggressive Rhetorik des ägyptischen Präsidenten Nasser begleitet, der mit der Vernichtung des Staates Israel drohte. 14 Partsch (Anm. 1), S. 1465. 15 Vgl. Art. 3 lit. (c) der Aggressionsdefinition der Generalversammlung. 16 Randelzhofer/Nolte, in Simma (Hrsg.), The Charter oft he United Nations, 3. Auflage 2012, Art. 51 Rn. 23. 17 Zur vergleichbaren Situation 1967 Gill, The Temporal Dimension of Self-Defense, in Schmitt/Pejic, International Law and Armed Conflict, Exploring the Faultlines, 2007, S. 113, 138. 18 Vgl. die Darstellung und Diskussion dieser Position bei Less, Aqaba, Gulf of, in Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 1992, S. 197, 198; sowie bei Gioia, Aqaba, Gulf of, in MPEPIL (Anm. 7), Rn. 4. 19 Resolution vom 1.9.1951, S/RES/95 (1951), Abs. 5 und 6. 20 Zu den Entwicklungen der Jahre 1966 und 1967 und zum Verlauf des Sechstagekrieges Akram/Lynk (Anm. 7), Rn. 24 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 8 Am frühen Morgen des 5. Juni 1967 brachen Kämpfe an der israelisch-ägyptischen Grenze aus, für deren Beginn sich beide Seiten zunächst gegenseitig verantwortlich machten. Aus heutiger Sicht wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass die Kampfhandlungen durch einen israelischen Luftangriff gegen ägyptische Luftwaffenstützpunkte begannen. Zur Rechtfertigung hat sich Israel auf das Recht zur Selbstverteidigung zum einen gegen die Blockade der Straße von Tiran gestützt, zum anderen gegen einen unmittelbar bevorstehenden Angriff von ägyptischen, syrischen und jordanischen Streitkräften.21 Nachdem Jordanien auf der Seite von Ägypten in den Konflikt eingegriffen hatte, besetzten israelische Streitkräfte das Westjordanland und Ostjerusalem . Als nächster Schritt wurden die Golan-Höhen durch Israel besetzt. Eine durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrfach geforderte Waffenruhe22 wurde von den Konfliktparteien schließlich am 10. Juni 1967 akzeptiert. Bemerkenswert an den Resolutionen des Sicherheitsrates im Kontext des Sechstagekrieges ist, dass dieser nicht den sofortigen Rückzug der israelischen Streitkräfte verlangt hat, sondern diesen nur im Rahmen einer übergreifenden Friedenslösung gefordert hat. Insbesondere verknüpft die Resolution 242 des Sicherheitsrates die Forderung nach einem Rückzug mit dem Recht aller Staaten der Region „in Frieden und innerhalb gesicherter und anerkannter Grenzen und frei von Drohungen oder Akten von Gewalt zu leben“.23 Auch in der Generalversammlung der Vereinten Nationen scheiterten Versuche, Israel als Aggressor zu verurteilen. In der völkerrechtlichen Literatur ist vor diesem Hintergrund darauf hingewiesen worden, dass die internationale Gemeinschaft darauf verzichtet habe, einseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen.24 Im völkerrechtlichen Schrifttum wird die Rechtfertigung Israels, dass es auf einen durch die Blockade der Straße von Tiran bereits bestehenden bewaffneten Angriff reagiert habe, wohl überwiegend kritisch beurteilt. Insbesondere wird darauf verwiesen, dass Israel diplomatische Mittel gegen die rechtswidrige Blockade nicht hinreichend ausgeschöpft habe.25 Hierin lässt sich auch ein relevanter Unterschied zur Lage vor dem Suez-Krieg im Jahr 1956 sehen. Jedoch wird das israelische Vorgehen zu Beginn des Sechstagekrieges vielfach als ein Beispiel für eine zulässige Selbstverteidigung gegen einen unmittelbar bevorstehenden bewaffneten Angriff angesehen. Dabei wird auf die sogenannte Caroline-Formel26 verwiesen, nach der Selbstverteidigung bereits zulässig ist, wenn sie gegen einen unmittelbar bevorstehenden, überwältigenden Angriff gerichtet ist, der nicht durch andere Maßnahmen abgewehrt werden kann. Dass diese Form der Selbstverteidigung zulässig ist, dürfte inzwischen wohl die überwiegende Meinung sein, wie selbst prominente Kritiker einer Ausdehnung des Selbstverteidigungsrechts auf den 21 Franck (Anm. 13), S. 101 ff.; Gill (Anm. 17), S. 134 ff.; 22 S/RES/233 vom 6.6.1967; S/RES/234 vom 7.6.1967 und S/RES/236 vom 11.6.1967. 23 S/RES/242 vom 22.11.1967, dazu Franck (Anm. 13), S. 102 ff.; Weisburd (Anm. 7), S. 139. 24 Partsch (Anm. 1), S. 1465; Franck (Anm. 13), S. 104. 25 Franck (Anm. ), S. 104 f. Zur allgemeineren Kritik, die Blockade habe keinen bewaffneten Angriff dargestellt, vgl. die Erörterung oben bei Anm. 17. 26 Zu Hintergrund und Auswirkungen des Caroline-Vorfalls, Greenwood, Caroline, The, in MPEPIL (Anm. 7). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 9 präventiven Einsatz von Gewalt zugestehen.27 Unter welchen Umständen die abstrakten Voraussetzungen der Caroline-Formel im Einzelfall erfüllt sind, ist allerdings weiterhin in nicht geringem Maße umstritten. Mit Blick auf den Sechstagekrieg wird von Vertretern unterschiedlicher Auffassungen zur Reichweite des Selbstverteidigungsrechts insbesondere darauf verwiesen, dass bei einer Gesamtwürdigung der ägyptischen Maßnahmen im Vorfeld des Sechstagekrieges der Schluss nahegelegen habe, dass ein Krieg unvermeidbar sei.28 Israel habe auch keine andere Möglichkeit als den antizipatorischen Einsatz militärischer Mittel besessen, um effektiv auf die glaubhafte Bedrohung zu reagieren.29 In Teilen des völkerrechtlichen Schrifttums wird einerseits kritisch hinterfragt, für wie wahrscheinlich die israelische Regierung 1967 einen bevorstehenden Angriff gehalten habe.30 Andererseits wird darauf verwiesen, dass neuere Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß der Bedrohung für die völkerrechtliche Beurteilung keine ausschlaggebende Bedeutung entfalten könnten . Vielmehr sei eine zeitgenössische, wohlbegründete Würdigung der zum Entscheidungszeitpunkt bekannten Tatsachen zugrunde zu legen.31 2.4. Der Oktober-Krieg des Jahres 1973 Nach dem Ende der Kampfhandlungen des Sechstage-Krieges gelang es zunächst nicht, eine dauerhafte Friedensregelung zu erreichen. Eine Ursache hierfür war unter anderem die 1967 beschlossene Weigerung der Arabischen Liga, Friedensverhandlungen mit Israel aufzunehmen. In der Folge kam es bis zum Machtantritt von Präsident Sadat in Ägypten im Jahr 1970 zu zahlreichen kleineren militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Ägypten, die unter dem Stichwort des Zermürbungskrieges („war of attrition“) bekannt geworden sind.32 Am 6. Oktober 1973 griffen ägyptische und syrische Streitkräfte israelische Stellungen auf der besetzten Sinai-Halbinsel und auf den Golan-Höhen an (sogenannter Oktober-Krieg oder Yom- Kippur-Krieg). Zur Rechtfertigung behaupteten beide Staaten zunächst fälschlicherweise, man habe auf einen israelischen Angriff geantwortet.33 Als Reaktion auf diesen Bruch der Waffenruhe 27 Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage 2010, S. 639, Rn. 19 (bei Fn. 81). Ausführlich zu Fragen der nicht einheitlichen Terminologie und zum Streitstand Schwehm, Präventive Selbstverteidigung, Archiv des Völkerrechts 46 (2008), S. 368. Vgl. demgegenüber Gray, International Law and the Use of Force, 3. Auflage, 2008, S. 165, die eine Verteidigung gegen bevorstehende Angriffe weiterhin als äußerst umstritten ansieht. 28 Aus der Perspektive einer restriktiven Auslegung des Selbstverteidigungsrechts Dinstein (Anm. 8), S. 206 f, Rn. 547 ff.; aus der Perspektive einer tendenziell weiteren Lesart Franck (Anm. ), S. 102. 29 Gill (Anm. 17), S. 139. 30 O’Connell, Defending the Law against Preemptive Force, in Fischer-Lescano u.a. (Hrsg.), Frieden in Freiheit: Festschrift für Michael Bothe, 2008, S. 237, 242; auf diese Diskussion verweist auch Gray (Anm. 27), S. 165. 31 Dinstein (Anm. 8), S. 207, Rn. 549. 32 Ausführlicher zu diesen Zwischenfällen Weisburd (Anm. 7), S. 139 ff. 33 Weisburd (Anm. 7), S. 150 f. unter Verweis auf UN Yearbook 1973, S. 192 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 10 und der sie absichernden Resolution 235, 236, 240 und 242 (1967) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen durfte Israel seinerseits bewaffnete Maßnahmen ergreifen.34 Vereinzelt ist im völkerrechtlichen Schrifttum die Auffassung vertreten worden, die bewaffneten Auseinandersetzungen im Oktober 1973 seien lediglich eine Fortsetzung des seit 1967 andauernden Krieges gewesen.35 In dieser Perspektive würde sich die Frage einer erneuten Verletzung des Gewaltverbots nicht stellen. Dieser Auffassung liegt die Prämisse zugrunde, dass die Waffenruhe von 1967 nicht zu einem Wiederaufleben des Gewaltverbots geführt habe. Von der überwiegenden Auffassung wird demgegenüber darauf verwiesen, dass auch eine Waffenruhe nach einer gewissen Zeit auch ohne förmliches Waffenstillstandsabkommen zu einen Zustand erstarken kann, in dem es den Kriegsparteien nicht mehr freisteht, jederzeit die Feindseligkeiten wiederaufzunehmen .36 Dass die Gewaltanwendung durch Ägypten und Syrien nicht durch den Verweis auf einen andauernden Kriegszustand gerechtfertigt werden konnte, findet Unterstützung in der Resolution 242 des Sicherheitsrats. In dieser hat der Sicherheitsrat unter anderem bekräftigt, dass alle Kriegszustände bzw. Behauptungen über das Vorliegen eines solchen zu beenden seien.37 Die Gewaltanwendung durch Ägypten und Syrien konnte nach soweit ersichtlich ganz überwiegender Ansicht auch nicht durch den Verweis darauf gerechtfertigt werden, dass Israel seit 1967 Gebiete rechtswidrig besetze.38 Dies gilt selbst unter der Annahme, dass die israelische Besatzung Gegenmaßnahmen rechtfertige. Gegenmaßnahmen dürfen allgemein nur unter Beachtung des Gewaltverbots angewandt werden.39 Am 23. Oktober 1973 verlangte der Sicherheitsrat eine sofortige Wiederherstellung der Waffenruhe und die Umsetzung seiner Resolution 242, um Verhandlungen für einen gerechten und dauerhaften Frieden zu ermöglichen.40 34 Dies folgt jedenfalls aus Art. 40 der Haager Landkriegsordnung. Zur Anwendbarkeit des Gewaltverbots auf Waffenstillstandsabkommen und Waffenruhe und ein korrespondierendes Selbstverteidigungsrecht siehe Dinstein, Armistice, in MPEPIL (Anm. 7), Rn. 2 f.; Bell, Cease-Fire, in MPEPIL (Anm. 7), Rn. 25 f. 35 Dinstein (Anm. 8), S. 57 f., Rn. 159 f. 36 Gill (Anm. 17), S. 137; Kinacioglu, Book Review, EJIL 18 (2007), S. 778, 779. 37 S/RES/242, Nr. 1 (ii). 38 Partsch (Anm. 1), S. 1465. 39 Stellvertretend für die allgemeine Auffassung Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 988. 40 S/RES/338 (1973). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 11 3. Territoriale Aspekte bei der Schaffung von Frieden im Nahostkonflikt 3.1. Das Ende der Besatzung in der Folge des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages von 1979 Nach Ende der Kampfhandlungen im Zuge des Oktober-Krieges 1973 nahmen Israel sowie Syrien und Ägypten Verhandlungen auf. Diese führten im Oktober 1974 und im September 1975 zu Abkommen , in denen insbesondere ein teilweiser Rückzug der israelischen Streitkräfte von der Sinai -Halbinsel vereinbart wurde. Die Ende 1977 eingeleiteten Friedensverhandlungen führten schließlich zum Abschluss des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten. Dieser regelte unter anderem den vollständigen Rückzug der israelischen Truppen von der Sinai-Halbinsel, der im Jahr 1982 abgeschlossen wurde , sowie die Einrichtung einer Pufferzone, die durch VN-Friedenstruppen kontrolliert werden sollte. Zudem sicherte der Friedensvertrag Israel die freie Passage durch den Suez-Kanal, die Straße von Tiran und den Golf von Aqaba zu. Als Grenze zwischen Israel und Ägypten wurde die überkommene Grenze zwischen dem britischen Mandatsgebiet Palästina und Ägypten festgelegt .41 Schließlich sah der Friedensvertrag vor, dass Streitigkeiten bei der Umsetzung des Abkommens, über die nicht im Verhandlungswege Einigkeit erzielt werden könnte, mit anderen Mitteln der friedlichen Streitbeilegung gelöst werden sollten. Auf dieser Grundlage wurde mit Blick auf die Grenzziehung in der Region Taba am Golf von Aqaba im Jahr 1986 ein Streitschlichtungsverfahren eingeleitet. Der Schlichtungsspruch vom 29. September 1988, der beiden Parteien teilweise recht gab, wurde umgehend umgesetzt.42 3.2. Zum Status der besetzten Golan-Höhen im Zuge von Friedensverhandlungen Wie dargestellt sind die Golan-Höhen seit 1967 von Israel besetzt; eine geringfügige Verringerung des besetzten Gebiets nach dem Oktober-Krieg von 1973 hat keine strategische Bedeutung. Von der nahezu allgemeinen Ansicht wird betont, dass die Besetzung nicht zu einer Annexion der Golan-Höhen führen dürfe. Dementsprechend hat der Sicherheitsrat in seiner grundlegenden Resolution 242 betont, dass der Erwerb von Gebieten durch Krieg unzulässig sei. Im Jahr 1981 trat das israelische Gesetz über die Golan-Höhen in Kraft, das die Rechtsordnung Israels auf die Golan-Höhen ausdehnte. Soweit darin der Versuch einer Annexion gesehen wurde , ist diese als völkerrechtswidrig verurteilt worden. So hat der Sicherheitsrat das Gesetz als null und nichtig angesehen und betont, dass es keine völkerrechtliche Wirkung besitze. Der Oberste Gerichtshof Israels hat eine Entscheidung der Frage vermieden, ob dieses Gesetz eine Annexion im eigentlichen Sinne beabsichtigten, sondern lediglich festgestellt, dass die israelische Rechtsordnung auch auf den Golan-Höhen anwendbar sei. Von völkerrechtlichen Beobach- 41 Zum Ganzen Rubin, Israel, Occupied Territories, in MPEPIL (Anm. 7), Rn. 81 ff.; Akram/Lynk (Anm. 7), Rn. 30 f. 42 Zu Hintergrund und Entscheidungsgründen Lapidoth, Taba Arbitration, MPEPIL (Anm. 7). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 165/12 Seite 12 tern wird zudem angemerkt, dass Israel anders als mit Blick auf Ostjerusalem nicht versucht habe , eine Annexion völkerrechtlich zu rechtfertigen.43 Aus dem Umstand, dass die Zugehörigkeit der Golan-Höhen zum syrischen Staatsgebiet aus völkerrechtlicher Sicht kaum ernsthaft bestritten werden kann und eine Annexion rechtswidrig wäre , folgt jedoch nicht, dass Israel unmittelbar zu einem bedingungslosen Abzug verpflichtet wäre. Vielmehr hat, wie oben ausgeführt, der Sicherheitsrat in seiner Resolution 242 eine Rückzugspflicht im Zuge einer umfassenderen Friedenslösung angenommen. Die angesichts der strategischen Bedeutung der Golan-Höhen jedenfalls nachvollziehbaren Sicherheitsinteressen Israels können zwar keine Annexion rechtfertigen. Im Rahmen von Verhandlungen, die zu einer dauerhaften und tragfähigen Lösung führen sollen, dürfte es jedoch gute Gründe für die Annahme geben , dass diese ernsthaft berücksichtigt werden müssen. 4. Ausblick Die Analyse der völkerrechtlichen Diskussion zu den vier arabisch-israelischen Kriegen im Zeitraum von 1948 bis 1973 hat eine Vielzahl von Punkten aufgezeigt, die zwischen den Konfliktparteien und unter Völkerrechtlern umstritten waren. Dass Israel sich in diesen Konflikten auf sein Recht zur Selbstverteidigung berufen hat, dürfte sich im Grundsatz jedenfalls als gut vertretbar ansehen lassen. Allerdings soll noch einmal unterstrichen werden, dass die internationale Gemeinschaft oftmals bewusst darauf verzichtet hat, in ihren Reaktionen auf die bewaffneten Konflikte einseitig Schuld zuzuweisen. Dies lässt sich möglicherweise auch mit Blick darauf einordnen , dass solche Schuldzuweisungen für die Schaffung eines dauerhaften und gerechten Friedens nicht selten kontraproduktiv sein können. Ohne das Erreichen einer solchen friedlichen Lösung können die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen nicht erfüllt werden.44 Vor diesem Hintergrund dürfte es auch eine Überforderung des Völkerrechts darstellen, vor einer Friedenslösung eine abschließende Beurteilung der Verantwortlichkeiten der Beteiligten zu erwarten . Ein Prozess der historischen Aufarbeitung kann erst unter friedlichen Rahmenbedingungen gelingen.45 Zuvor dürfte die Aufgabe darin liegen, die Spirale von Hass und Gewalt zu durchbrechen.46 43 Zum Ganzen stellvertretend Rubin (Anm. 41), Rn. 68 ff. 44 Siehe zu diesem Zusammenhang nur die Resolution 242 des Sicherheitsrats. 45 Dazu grundlegend im Kontext der Flüchtlingsfrage Fried, The Palestinian Refugee Problem and Its Historical Origins and Development, in Benvenisti u.a. (Hrsg.), Israel and the Palestinian Refugees, 2007, S. 493. 46 Vgl. dazu die eindrücklichen Schilderungen von Buergenthal, Ein Glückskind, 2007.