Deutscher Bundestag Parlamentarische Zustimmungsvorbehalte bei Auslandseinsätzen der EU- und NATO-Mitgliedstaaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3010 – 163/12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 2 Parlamentarische Zustimmungsvorbehalte bei Auslandseinsätzen der EU- und NATO- Mitgliedstaaten Verfasserinnen: Aktenzeichen: WD 2 – 3010 – 163/12 Abschluss der Arbeit: 16. November 2012 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. EU- und NATO-Mitgliedstaaten mit Parlamentsvorbehalt 5 2.1. Umfassender Parlamentsvorbehalt 5 2.1.1. Dänemark 5 2.1.2. Irland 5 2.1.3. Estland 5 2.1.4. Lettland 6 2.1.5. Litauen 6 2.1.6. Österreich 6 2.1.7. Schweden 6 2.1.8. Spanien 7 2.1.9. Türkei 7 2.1.10. Zypern 7 2.2. Nachträglicher Parlamentsvorbehalt 7 2.2.1. Frankreich 7 2.2.2. Slowakei 8 2.2.3. Tschechien 8 2.3. Eingeschränkter Parlamentsvorbehalt 8 2.3.1. Bulgarien 8 2.3.2. Rumänien 9 2.3.3. Slowenien 9 2.3.4. Ungarn 9 3. EU- und NATO-Mitgliedstaaten ohne Parlamentsvorbehalt 9 4. Sonstige 10 4.1. Italien 10 4.2. USA 10 4.3. Island 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 4 1. Einleitung Die Beratungen des NATO-Gipfels in Chicago am 20./21. Mai 2012 haben eine Debatte über den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausgelöst. In diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob der nach derzeitiger Rechtslage erforderliche Parlamentsbeschluss für jeden einzelnen NATO-Einsatz durch eine Art Vorratsbeschluss des Bundestags ersetzt werden könnte.1 Vor dem Hintergrund dieser Debatte sind die Regelungen zur parlamentarischen Beteiligung in Deutschlands Partnerländern von Interesse. Im Folgenden wird daher zusammenfassend dargestellt , welche anderen EU- und NATO-Mitgliedstaaten bei militärischen Auslandseinsätzen ihrer Streitkräfte einen Parlamentsvorbehalt vorsehen.2 Die Mehrheit der NATO- und EU-Staaten verfügt über einen Zustimmungsvorbehalt (siehe 2. EUund NATO-Mitgliedstaaten mit Parlamentsvorbehalt), wobei im Hinblick auf das Ausmaß und den Zeitpunkt der Parlamentsbeteiligung große Unterschiede bestehen. So kennen zehn weitere Staaten einen – dem deutschen Parlamentsvorbehalt vergleichbaren – konstitutiven und umfassenden Zustimmungsvorbehalt des Parlamentes oder eines seiner Ausschüsse (siehe 2.1. Umfassender Parlamentsvorbehalt ). Davon zu unterscheiden sind Regelungen, die der Regierung ermöglichen, einen Einsatz zunächst oder bis zu einem gewissen Zeitpunkt ohne Parlamentszustimmung durchzuführen . Erst nachträglich kann das Parlament wahlweise seine Zustimmung geben oder den Einsatz beenden (siehe 2.2. Nachträglicher Parlamentsvorbehalt). In eine dritte Kategorie innerhalb der Staaten mit Zustimmungsvorbehalt fallen Regelungen, die so weitgehende Ausnahmen enthalten , dass das Parlament an der Entscheidung über EU- bzw. NATO-Einsätze nicht mehr beteiligt ist (siehe 2.3. Eingeschränkter Parlamentsvorbehalt). In insgesamt elf NATO- und EU-Mitgliedstaaten steht allein der Exekutive das formale Entscheidungsrecht zu (siehe 3. EU- und NATO-Mitgliedstaaten ohne Parlamentsvorbehalt). 1 Vgl. zur gesamten Diskussion Reinhard Müller, Nur unter Vorbehalt. Im Konflikt: Die Parlamentsbeteiligung an Bundeswehreinsätzen und die Bündnisfähigkeit, FAZ vom 24.5.2012; Die CDU-Abgeordneten Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter haben gefordert, dass der „Exekutive das Einsatzrecht und dem Bundestag als der Legislative das Rückholrecht“ obliegen solle, vgl. Andreas Schockenhoff /Roderich Kiesewetter, Europas sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit stärken. Es ist höchste Zeit, 30. Mai 2012, abrufbar unter http://www.andreas-schockenhoff.de/download/120611_GSVP-Papier.pdf, S. 8. Siehe dazu auch die Presseberichte CDU-Politiker fordern Flexibilität für Bundeswehreinsätze, FAZ vom 6.6.2012 sowie Peter Blechschmidt, Marschbefehl aus Brüssel, Süddeutsche Zeitung vom 8.6.2012. 2 Die Ausführungen zu Parlamentsvorbehalten in den NATO-Staaten, die zugleich EU-Mitglieder sind, basieren auf einer gekürzten und aktualisierten Fassung einer entsprechenden Ausarbeitung von , Zustimmungsvorbehalte der Parlamente bei Auslandseinsätzen. Zusammenfassung der Regelungen aus 26 EU- Mitgliedstaaten, Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 150/10. Zur besseren Lesbarkeit wurde im Hinblick auf diese Ausarbeitung auf wörtliche Zitate verzichtet. Grundlage für die Einordnung sind die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Regelungen in den jeweiligen Staaten über die Beteiligung an bewaffneten Einsätzen der Streitkräfte sowie die diesbezügliche Praxis. Eine Reihe von Verfassungen sehen eine Mitwirkung des Parlaments bei formellen Kriegserklärungen vor. Da die formelle Kriegserklärung heute an praktischer Bedeutung verloren hat, werden diese Regelungen zwar in den nachfolgenden Ausführungen erwähnt, spielen jedoch für die nachfolgende Einordnung keine Rolle. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 5 Einzelne Staaten lassen sich aufgrund einer unklaren Rechtslage (Italien, USA) oder mangels eigener Streitkräfte (Island) keiner der hier gewählten Kategorien zuordnen, so dass sie gesondert aufgeführt werden (siehe 4. Sonstige). Im Folgenden werden die Regelungen in den anderen Mitgliedstaaten der NATO und EU in den oben benannten Gruppen vorgestellt. Innerhalb einer Gruppe sind die Staaten in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. 2. EU- und NATO-Mitgliedstaaten mit Parlamentsvorbehalt 2.1. Umfassender Parlamentsvorbehalt 2.1.1. Dänemark Die Verfassung Dänemarks (1953) sieht in § 19 (2) grundsätzlich einen Zustimmungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz vor.3 Nach Angaben des Auswärtigen Amtes strebt die Regierung sogar meist eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit an. Traditionelle VN-Peacekeeping-Mandate bedürfen nach einer Art Vorratsbeschluss des Parlaments, wonach ein festes Kontingent zur Verfügung gestellt wird, im Einzelfall inzwischen allerdings keiner Zustimmung mehr.4 2.1.2. Irland Die Verfassung Irlands sieht im Zusammenspiel mit dem Defence Act (1960) einen Zustimmungsvorbehalt für Kriegserklärung und Streitkräfteeinsatz vor.5 Der Streitkräfteeinsatz hat allerdings nach Angaben des Auswärtigen Amtes immer unter einem Mandat der Vereinten Nationen (VN) zu erfolgen. 2.1.3. Estland Die Verfassung Estlands (2007) sieht in § 128 einen Zustimmungsvorbehalt für Kriegserklärung und Streitkräfteeinsatz vor. Diese Regelung wird in Art. 19 (2) des „Peace-Time National Defence Act“ (2002) wiederholt. Nach Angaben des Auswärtigen Amts entscheidet das Parlament gem. Art. 3 Wolfgang Wagner/Dirk Peters/Cosima Glahn, Parliamentary War Powers Around the World, 1989–2004. A New Dataset, Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), Occasional Paper – № 22, 2010, S. 43 f. 4 Sandra Dieterich/Hartwig Hummel/Stefan Marschall, Parliamentary ‘War Powers’: A Survey of 25 European Parliaments, Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), Occasional Paper – № 21, 2010, S. 39 ff. 5 Vgl. die Übersicht zu allen EU-Staaten bei Nicolai von Ondarza, Legitimatoren ohne Einfluss? Nationale Parlamente in Entscheidungsprozessen zu militärischen EU- und VN-Operationen im Vergleich, 2012, S. 151. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 6 7 (1) und 8 (1) des „International Military Cooperation Act“ (2003) über Auslandseinsätze im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung oder Peace-Keeping.6 2.1.4. Lettland Die Verfassung Lettlands (2007) sieht einen Zustimmungsvorbehalt für Kriegserklärungen vor. Sonstige Einsätze der Streitkräfte sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes durch Gesetze bestimmt . Gemäß Sec. 6 Nr. 7 National Security Law entscheidet das Parlament über den Streitkräfteeinsatz , es sei denn, es handelt sich um humanitäre Hilfs- und Rettungsaktionen oder militärische Übungen, die Sache des Kabinetts sind (Sec. 10 (1) Nr.5 NSL).7 2.1.5. Litauen Die Verfassung Litauens (2006) sieht ebenfalls einen Zustimmungsvorbehalt für Kriegserklärung und Streitkräfteeinsatz vor.8 Nach Angaben des Auswärtigen Amtes erfolgt die Mandatierung jedoch für einen langen Zeitraum (3 Jahre) und summarisch für alle Einsätze. 2.1.6. Österreich In Österreich sieht das „Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland“ einen Zustimmungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz vor. Allerdings wird dieser Vorbehalt nicht vom Plenum, sondern lediglich vom sogenannten Hauptausschuss des Parlaments ausgeübt. Einsätze dürfen darüber hinaus auch nur im Rahmen von UN-, EU-, oder OSZE-Mandaten stattfinden.9 Nach Angaben des Auswärtigen Amtes kann die Regierung die Zustimmung des Ausschusses auch nachträglich einholen, dann steht dem Parlament jedoch nach dem Bundesverfassungsgesetz von 1997 ein Rückholrecht zu. 2.1.7. Schweden Die Verfassung Schwedens (2007) sieht grundsätzlich einen Zustimmungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz vor. Soweit es sich um die Erfüllung einer Verpflichtung aus einem internationalen Vertrag handelt oder bereits eine gesetzliche Ermächtigung vorliegt, bedarf es jedoch keiner Zustimmung des Parlamentes. Gesetzlich besonders geregelt ist beispielsweise, dass im Bereich traditioneller VN- und OSZE-Peacekeeping-Missionen die Regierung ohne Zustimmung des Parlaments bis zu 3000 Soldaten entsenden kann.10 Für robuste Mandate wird allerding stets eine Ent- 6 Vgl. auch Von Ondarza (Anm. 6). 7 Ebenso Von Ondarza (Anm. 6). 8 Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 68 f.; ebenso Wolfgang Wagner, Die parlamentarische Kontrolle von Militäreinsätzen . Der Bundestag im internationalen Vergleich, in: Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft : Dialog Wissenschaft, Gesellschaft, Politik, Kultur. 16. 2009 (2009). Neue Fragen an den Rechtsstaat, S. 169 – 177, S. 170; ebenso Von Ondarza (Anm. 6). 9 Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 31 f; Dieterich/Hummel/Marschall (Anm. 4), S. 15; Von Ondarza (Anm. 6). 10 Dieterich/Hummel/Marschall (Anm. 4), S. 47 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 7 scheidung des Parlaments gefordert, so dass die Regierung in der Praxis bisher immer die Zustimmung des Parlaments eingeholt hat.11 Die Entsendung kann nach Informationen des Auswärtigen Amtes nur mit internationalem Mandat und bis zu einer Obergrenze von derzeit 3000 Soldaten erfolgen. 2.1.8. Spanien In der spanischen Verfassung ist nur ein Parlamentsvorbehalt für den Fall einer formalen Kriegserklärung enthalten. Mit der gesetzlichen Bestimmung des Art. 17 des Organgesetzes über die nationale Verteidigung aus 2005 ist in Spanien (mit Ausnahmen von Eilfällen) ein Zustimmungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz eingeführt worden.12 Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist das Parlament bereits in die Gestaltung des entsprechenden Antrages eingebunden. 2.1.9. Türkei Die türkische Verfassung sieht vor, dass das Parlament jedem Militäreinsatz gesondert zustimmen muss.13 Nach Informationen des Auswärtigen Amts werden die Einsätze in der Regel nur für ein Jahr mandatiert. 2.1.10. Zypern Das zypriotische Parlament hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes dem Einsatz der Streitkräfte zuzustimmen.14 2.2. Nachträglicher Parlamentsvorbehalt 2.2.1. Frankreich In Frankreich wurde 2008 durch eine Verfassungsänderung ein Zustimmungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz eingeführt.15 Die Entsendeentscheidung trifft allerdings weiterhin die Regierung . Nur wenn der Einsatz vier Monate überschreitet, hat das Parlament zuzustimmen. Bei kürzeren Einsätzen hat die Regierung das Parlament jedoch spätestens 3 Tage nach Beginn zu unterrichten . 11 Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 92. 12 Siehe zum Ganzen umfassend Von Ondarza (Anm. 6), S. 205 ff.; siehe auch Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 89 f. 13 Wagner (Anm. 8), S. 170. 14 Ebenso Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 44 f. 15 Zur Verfassungsreform von 2008 Von Ondarza (Anm. 6), S. 177; Johanna Lange, Où va la France?, Adlas Magazin für Außen- und Sicherheitspolitik 02/2010, S.30-33, abrufbar unter http://adlasmagazin.files.wordpress .com/2010/06/adlas-02_20101.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 8 2.2.2. Slowakei In der Slowakei besteht auf der Grundlage der Verfassung von 1992 grundsätzlich ein Zustimmungsvorbehalt . Die Regelungen sehen allerdings seit 2001 weitgehende gesetzliche Ausnahmen vor. Im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung oder Beteiligung an internationalen Peacekeeping- Missionen kann die Regierung zunächst ohne Mitwirkung des Parlaments Streitkräfte entsenden. Das Parlament hat erst nach 60 Tagen die Möglichkeit, eine Regierungsentscheidung aufzuheben. In der Literatur wird daher angenommen, dass dem Parlament demnach faktisch keine Kontrollmöglichkeit mehr zustehe.16 2.2.3. Tschechien Ähnlich wie in der Slowakei besteht in Tschechien grundsätzlich ein verfassungsrechtlicher Zustimmungsvorbehalt . Die Regelung sieht allerdings weitgehende Ausnahmen vor. Im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung oder Beteiligung an internationalen Peacekeeping-Missionen kann die Regierung zunächst ohne Mitwirkung des Parlaments Streitkräfte entsenden. Das Parlament hat erst nach 60 Tagen die Möglichkeit, eine Regierungsentscheidung aufzuheben.17 2.3. Eingeschränkter Parlamentsvorbehalt 2.3.1. Bulgarien Die bulgarische Verfassung sieht dem Wortlaut nach einen Zustimmungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz vor. Die Zustimmung ist aber nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts aus 2003 jedenfalls im Bereich von NATO- und EU-Einsätzen nicht mehr notwendig.18 In der Praxis hat der Zustimmungsvorbehalt nach Einschätzungen in der politikwissenschaftlichen Literatur daher erheblich an Bedeutung verloren.19 16 Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 84 ff. 17 Von Ondarza (Anm. 6), S. 152; Wagner (Anm. 8), S. 39 f. 18 Constitutional Court, Decision No 1 of February 4, 2003 on CC No 1/2003, in englischer Sprache abrufbar unter www.constcourt.bg/Pages/Document/Default.aspx?ID=1196. 19 Von Ondarza (Anm. 6); Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 37 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 9 2.3.2. Rumänien Die maßgebliche Verfassungsbestimmung Rumäniens, wonach ein Parlamentsvorbehalt besteht, wurde durch ein Gesetz im Rahmen des NATO-Beitritts modifiziert.20 Nach Angaben des Auswärtigen Amtes hat das Parlament bei Einsätzen im Rahmen eines Sicherheits- und Verteidigungsbündnisses nun nur noch ein Informationsrecht.21 2.3.3. Slowenien Die relevante Verfassungsbestimmung Sloweniens sieht einen Zustimmungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz grundsätzlich vor. Durch die zum NATO-Beitritt eingeführten gesetzlichen Regelungen ist diese Befugnis allerdings auf formelle Kriegserklärungen beschränkt worden, so dass die Regierung allein über die Entsendung im Rahmen der NATO entscheiden kann.22 Nach Angaben des Auswärtigen Amtes ist das Parlament jedoch eng in den Entscheidungsprozess eingebunden . 2.3.4. Ungarn Die bis Ende 2011 gültige Verfassung Ungarns sah einen Zustimmungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz vor. Zum NATO-Beitritt 1999 wurden allerdings weitgehende Ausnahmen geschaffen, sodass eine parlamentarische Zustimmung im Bereich von NATO- und EU- Einsätzen nicht mehr notwendig war. Die seit Anfang 2012 gültige Verfassung konsolidiert diesen Parlamentsvorbehalt: Das Parlament entscheidet nach Artikel 47, Abs. 2 und 3 mit Zweidrittelmehrheit der Anwesenden über Auslandseinsätze der Streitkräfte, Einsätze im Rahmen von NATO und EU sind jedoch weiterhin davon ausgeschlossen. 23 3. EU- und NATO-Mitgliedstaaten ohne Parlamentsvorbehalt In folgenden EU- und NATO-Ländern ist die Entsendeentscheidung nicht an eine Zustimmung des Parlaments gebunden, sondern obliegt allein der Regierung: Albanien, Belgien, Griechenland, Finnland, Kanada, Luxemburg, Malta, Niederlande, Polen, Portugal und Vereinigtes Königreich.24 Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch Konsultations- und Informationsrechte in einem parlamentarischen Regierungssystem praktisch zu einer nicht unbedeutenden Kontrolle der Regierung 20 Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 83 f. 21 Ebenso Von Ondarza (Anm. 6). 22 Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 86 f.; ebenso Von Ondarza (Anm. 6). 23 Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 57 ff.; ebenso Von Ondarza (Anm. 6), S. 152. Zu den Bestimmungen der neuen ungarischen Verfassung auch Anne Hawxwell u.a., Beteiligung der Legislative bei Auslandseinsätzen der Streitkräfte in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 244/11 vom 16. August 2011, S. 15. 24 Vgl. im Einzelnen Arndt/Eismann (Anm. 2). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 10 durch das Parlament führen können. Außerdem neigen viele Regierungen in der Praxis dazu, die Zustimmung des Parlaments zu suchen, auch wenn die Parlamente letztlich keine formelle Entscheidungsbefugnis haben.25 4. Sonstige 4.1. Italien Die Rechtslage ist in Italien ist derzeit nicht eindeutig. Jedenfalls in Bezug auf formelle Kriegserklärungen hat gemäß Art. 78 der italienischen Verfassung (2008) das Parlament zu entscheiden. Ein Großteil der Literatur hält einen Zustimmungsvorbehalt auch in Bezug auf Einsätze unterhalb der Schwelle eines formellen Kriegs für gegeben.26 Das Parlament hat sich selbst diese Rolle auch gesetzlich zugeschrieben (Art. 1 des Gesetzes No. 25/1997). Soweit ersichtlich wurden bisherige Einsätze aber aufgrund verschiedener Rechtsgrundlagen auch ohne das Parlament beschlossen.27 Gleichwohl ist die Regierung nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes derzeit um parlamentarische Zustimmung bemüht. 4.2. USA Die verfassungsrechtliche Situation im Hinblick auf das Erfordernis einer Parlamentsbeteiligung in den USA ist ungeklärt. So kann laut Artikel I §8 der Verfassung zwar nur der Kongress den Krieg erklären, der Präsident ist aber gem. Artikel II §2 Oberbefehlshaber der Streitkräfte.28 So wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur einerseits vertreten, dass der Kongress über das „Ob“ des Einsatzes zu entscheiden habe, der Präsident dagegen nur über das „Wie“. Andere Stimmen sind hingegen der Ansicht, dass die amerikanische Verfassung dem britischen Vorbild habe folgen wollen, so dass allein die Exekutive über die Entsendung entscheide.29 Auch gibt es widersprüchliche Auffassungen zur Verfassungsmäßigkeit der sogenannten War Powers Resolution von 1973. Danach kann der Präsident die Streitkräfte eigenständig entsenden, muss aber das Parlament binnen 48 Stunden informieren. Wenn das Parlament nicht binnen 60 Tagen zustimmt , müssen die Kampftruppen zurückgeholt werden.30 Laut Auswärtigem Amt hat keiner der 25 Vgl. dazu Wolfgang Wagner, Parliamentary Control of Military Missions: Accounting for Pluralism, Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), Occasional Paper – № 12, 2006, S. 5. 26 Dieterich/Hummel/Marschall (Anm. 4), S. 26; Luther in Georg Nolte, European Military Law Systems, 2003, S. 451, mit weiteren Nachweisen. 27 Wagner/Peters/Glahn (Anm. 3), S. 63 ff. 28 Andreas L. Paulus, Parlament und Streitkräfteeinsatz: in rechtshistorischer und rechtsvergleichender Perspektive , Habilitationsschrift München 2006, S. 411. 29 Vgl. zur gesamten Debatte eingehend Paulus (Anm. 28). S. 410 ff. 30 Vgl. dazu Wolfgang Wagner, Die parlamentarische Kontrolle von Militäreinsätzen. Der Bundestag im internationalen Vergleich, in: Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft : Dialog Wissenschaft, Gesellschaft, Poli- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 163/12 Seite 11 acht seither amtierenden Präsidenten diese Verpflichtung akzeptiert, einige von ihnen haben sich jedoch de facto an der Resolution orientiert. Die US-amerikanischen Streitkräfte seien in der Praxis seit 1945 ohne Kriegserklärung von der Exekutive entsendet worden. 4.3. Island Nach Angaben des Auswärtigen Amtes unterhält Island keine eigenen Streitkräfte. tik, Kultur. 16. 2009 (2009). Neue Fragen an den Rechtsstaat, S. 169 – 177, S. S, 171; der das Parlament insgesamt eher in einer schwachen Position sieht, da das Rückholen der Truppen in einem aktuellen Spannungsfall als politisch unattraktiv gilt.