Die UN-Kinderrechtskonvention und ihre Bindungswirkung in der deutschen Rechtsordnung - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 - 160/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Die UN-Kinderrechtskonvention und ihre Bindungswirkung in der deutschen Rechtsordnung Ausarbeitung WD 2 - 160/06 Abschluss der Arbeit: 07.09.2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhalt 1. Die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) 4 2. Die innerstaatliche Bindungswirkung der KRK 4 3. Der Vorrang des Artikel 3 „Wohl des Kindes“ nach Lorz 6 4. Literaturangaben 8 - 4 - 1. Die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskonvention, gilt als ein Wegweiser für die Schaffung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Durch die Konvention werden Kinder erstmalig als Inhaber von Rechten und Freiheiten, d.h. als eigenständige Rechtssubjekte, angesehen. Sie sind also mehr als nur Objekte des internationalen Rechts, deren besondere Schutzbedürftigkeit betont wird.1 Die Konvention wurde am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen und stellt als multilaterales Abkommen einen völkerrechtlichen Vertrag dar. Heute sind 191 Staaten an die KRK gebunden. Die Konvention ist damit unter den menschenrechtlichen Übereinkommen dasjenige mit dem höchsten Grad an Zustimmung.2 Nach der Ratifizierung im deutschen Bundestag trat die Konvention am 5. April 1992 im Rang eines Bundesgesetzes in Kraft. Das Übereinkommen räumt Kindern bis zu achtzehn Jahren, sofern die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt, sehr detailliert formulierte Rechte ein. Dabei handelt es sich sowohl um bürgerliche und politische als auch um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Das Prinzip des Kindeswohls durchzieht das gesamte Abkommen und ist ausdrücklich in Art. 3 KRK niedergelegt.3 Danach ist bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, deren Wohl vorrangig zu berücksichtigen . 2. Die innerstaatliche Bindungswirkung der KRK Um innerstaatlich Geltung zu erlangen, bedürfen völkerrechtliche Verträge, welche sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, gemäß Art. 59 II S.1 GG der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Man bezeichnet ein solches Gesetz als Zustimmungs- oder Vertragsgesetz.4 Die KRK bezieht sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung und setzte somit gemäß Art. 59 II i.V.m. Art. 84 I GG die Zustimmung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates voraus. Grundsätzlich ermöglicht ein 1 Stender, Die Kinderrechtskonvention, in: MRM Heft 4/ 1997, S. 21-24. 2 Weiss, Zehn Jahre Kinderrechtskonvention- ist die Euphorie verflogen?, in MRM Heft 1/2000, S. 17ff. 3 Ipsen, S.794 Rn. 53. 4 , Vorgaben des GG der BRD zu völkerrechtlichen Verträgen, WD 2 110/06. - 5 - solches Zustimmungsgesetz einem völkerrechtlichen Vertrag die Transformation von der Ebene des Völkerrechts in das nationale Recht.5 Ausnahmsweise kann ein Staat jedoch die Bindungswirkung durch eine Erklärung bei Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde einschränken.6 Die Bundesregierung7 gab bei der Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde im Jahr 1992 nach Abstimmung mit den Bundesländern eine Erklärung8 ab, die die innerstaatliche Bindungswirkung der Konvention einschränkt. Hinsichtlich der Bindungswirkung im deutschen Recht war die Bundesregierung der Auffassung, dass das Abkommen innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung finde, es begründe nur "völkerrechtliche Staatenverpflichtungen , die die Bundesrepublik Deutschland nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Recht erfüllt.“9 Bezüglich des Charakters der Erklärung gibt es unterschiedliche rechtspolitische und rechtsdogmatische Auffassungen. Dies gilt vor allem für die völkerrechtliche Einordnung der Erklärung. Fraglich ist, ob die Ratifikationserklärung einen Vorbehalt oder lediglich eine Interpretationserklärung darstellt. Zudem wird auch die Auffassung vertreten , die Erklärung enthalte sowohl Vorbehalte als auch Interpretationserklärungen.10 Die Subsumtion unter einen der beiden Begriffe hat erhebliche Auswirkungen auf die Frage der Verbindlichkeit der gesamten KRK beziehungsweise einzelner Bestimmungen des Abkommens für den nationalen Rechtsanwender. Gemäß Art. 2 I lit. d der Wiener Vertragsrechtskonvention ist ein Vorbehalt „eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation , Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder bei dem Beitrag zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern.“ Davon abzugrenzen sind Interpretationserklärungen, die lediglich der Klarstellung dienen und bezwecken, eine bestimmte Auslegung der Norm durchzu- 5 Tomuschat, S.1143 ff (1149). 6 Ipsen, S.166 Rn.1. 7 12. Wahlperiode 1990-1994, Koalition: CDU/CSU, FDP 8 http://www.tdh.de/content/themen/schwerpunkte/kinderrechte/vorbehaltserklaerung.htm. 9 BGBI. 1992 II S. 990 10 Dorsch, Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, S.313. - 6 - setzen, ohne diese zu ändern oder auszuschließen.11 Zwischen dem Vertragsstaat der einen Vorbehalt erklärt hat, und solchen, die diesen angenommen haben, gilt der Vertrag dann nur in dem im Vorbehalt bestimmten Ausmaß (Art. 20 IV, 21 I WVK). Im völkerrechtlichen Schrifttum wird überwiegend die Auffassung vertreten, die Einzelgewährleistungen der KRK (Art. 5 ff) seien nicht unmittelbar als geltendes Recht anwendbar. Behörden und Gerichte könnten die Konventionsbestimmungen folglich nicht unmittelbar heranziehen.12 Laut Stöcker, der als Leiter der deutschten Delegation bei den letzten Genfer Arbeitsgruppensitzungen maßgeblich an der Entstehung der Konvention beteiligt war, „kommt ihr lediglich Anstoßwirkung auf innerstaatliche Reformgesetzgebung zu. Ihre unmittelbare Wirkung beschränkt sich auf die deutsche Teilnahme an dem in den Art. 43 ff. KRK vorgesehenen Berichtsverfahren.“13 3. Der Vorrang des Artikel 3 „Wohl des Kindes“ nach Lorz Im Jahr 2002 veröffentlichte Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz zum 4. Deutschen Kinderrechtstag der National Coalition14 ein Rechtsgutachten15, durch welches die Diskussion um die Bindungswirkung der KRK eine neue Dimension erhielt. Lorz beschränkt die unmittelbare Anwendbarkeit der Konvention im nationalen Rechtsraum auf das in Art. 3 I KRK normierte Kindeswohl. Artikel 3 I KRK gebietet, dass bei allen staatlichen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes als vorrangiger Gesichtspunkt zu berücksichtigen ist. Lorz spricht Art. 3 I KRK die Qualität innerstaatlich unmittelbar anwendbaren Rechts zu. Zu diesem „Self Executing Charakter“ des Art. 3 I KRK gelangt er anhand objektiver Auslegungskriterien. Der Wortlaut des Art. 3 KRK erhebe den Rechtsanwender ausdrücklich zum Adressaten des Kindeswohlvorrangs. Zudem spreche die systematische Stellung des Artikels im Vertragswerk für eine qualitative Unterscheidung im Vergleich zu den Art.5 ff. KRK. Art. 3 sei nicht von der Regelung des Art. 4 KRK, der als vor die Klammer gezogen gilt, erfasst.16 Dieser normiert, dass 11 Ipsen, S.168 Rn.4. 12 Dorsch, Die Konvention der VN über die Rechte des Kindes, 1994, S.309. 13 Stöcker, FamRZ 1992, 245ff (252). 14 Die National Coalition für die Umsetzung der UN-KRK besteht aus derzeit rund 90 bundesweit tätigen Organisationen und Initiativen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Die sich mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, die UN-KRK bekannt zu machen und ihre Umsetzung in Deutschland voranzubringen. 15 Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung. 16 aaO, S. 18f. - 7 - die Vertragsstaaten alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der im Übereinkommen anerkannten Rechte treffen. Art. 4 KRK räumt den Staaten also einen Entscheidungsspielraum ein. Bisher wurde in der Diskussion um die Bindungswirkung die Unmöglichkeit unmittelbarer Anwendung der Einzelgewährleistungen stets auf Art. 4 KRK gestützt. Dieses Argument greift Lorz zufolge, bezogen auf Art. 3 KRK, nicht durch. Art. 4 KRK sei Grundbestimmung der Maßnahmepflicht der Vertragsstaaten zur Umsetzung ausschließlich der Einzelgewährleistungen und erfasse nicht das in Art. 3 KRK festgeschriebene Prinzip der Konvention.17 Auch verleihe der als Ausgleich für die fehlende Anwendbarkeit der meisten Einzelbestimmungen fungierende Grundsatz des Art. 3 I KRK subjektive Rechte. Ohne seine subjektiv-rechtliche Wirkung würden Gestaltungsziel und Regelungszweck der UN-Kinderrechtskonvention nicht wirksam erreicht.18 Darüber hinaus konkretisiert Lorz die Konsequenzen aus den objektiv und subjektiv rechtlichen Komponenten der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 3 I KRK für den Rechtsanwender.19 Im Ergebnis präsentiert er die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 3 I KRK in der deutschen Rechtsordnung und ihre Auswirkungen auf die Rechtspraxis. Folgt man seiner Auffassung, müssten Behörden und Gerichte das in Art. 3 I KRK formulierte Kindeswohlprinzip bei ihrer Entscheidungsfindung unmittelbar heranziehen. Ferner hätten Kinder die Möglichkeit die völkerrechtlich vorgegebene vorrangige Berücksichtigung ihres Wohls in Deutschland einzuklagen. 17 Peter, Der Vorrang des Kindeswohls, in: Archiv des Völkerrechts, Bd.43/Heft 2/Juni2005, S.257ff (261). 18 Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, S. 66. 19 aaO, S.67ff. - 8 - 4. Literaturangaben Dorsch, Gabriele Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, Schriften zum Völkerrecht Band 115, 1992. Ipsen, Knut Völkerrecht, 5. Auflage 2004. Vorgaben des Grundgesetzes der BR Deutschland zu völkerrechtlichen Verträgen , Ausarbeitung, WD 2 – 110/06. Lorz, Ralph Alexander Der Vorrang des Kindeswohls nach Art.3 der UN- Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 2003. Peter, Erich Der Vorrang des Kindeswohls, Archiv des Völkerrechts, Band 43, Heft 2, Juni 2005, S.257ff. Stender, Heike Die Kinderrechtskonvention, Menschenrechts Magazin, Heft 4/ 1997, S. 21ff. Stöcker, Hans Die UNO- Kinderkonvention und das deutsche Familienrecht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 1992, S.245ff. Tomuschat, Christian Verwirrung über die Kinderrechts- Konvention der Vereinten Nationen, Festschrift für Hans F. Zacher, 1998, S. 1143ff. Weiß, Norman Zehn Jahre Kinderrechtskonvention- ist die Euphorie verflogen?, Menschenrechts Magazin , Heft 1/2000, S.17ff.