Deutscher Bundestag Voraussetzungen einer Verfolgung von Straftaten in Deutschland stationierter Angehöriger von Streitkräften der NATO- Mitgliedstaaten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 -149/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 2 Voraussetzungen einer Verfolgung von Straftaten in Deutschland stationierter Angehöriger von Streitkräften der NATO-Mitgliedstaaten Verfasserin: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 -149/11 Abschluss der Arbeit: 16. September 2011 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Strafgerichtsbarkeit nach dem NATO-Truppenstatut und dessen Zusatzabkommen 5 2.1. Ausschließliche Gerichtsbarkeit des Entsende- oder des Aufnahmestaates 6 2.2. Konkurrierende Gerichtsbarkeit des Entsende- und des Aufnahmestaates 7 2.2.1. Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit 7 2.2.2. Verzicht auf Ausübung des Vorrechts 8 2.2.2.1. Die Regelung des NATO-Truppenstatuts 9 2.2.2.2. Die Sonderregelung des Zusatzabkommens zum NATO- Truppenstatut 9 2.3. Verbot der Doppelverfolgung („ne bis in idem“) 11 2.4. Verfahren bei Personen mit Staatsangehörigkeit des Aufnahmestaates oder gewöhnlichem Aufenthalt im Aufnahmestaat 11 2.5. Verfahren bei drohender Todesstrafe 11 2.5.1. Die Regelung des NATO-Truppenstatuts 11 2.5.2. Die Regelung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut 12 2.5.3. Möglichkeiten der deutschen Behörden, gegen die drohende Verhängung und/oder Vollstreckung der Todesstrafe Schutz zu gewähren 12 3. Übergabe einer Person zwecks Durchführung eines Strafverfahrens 13 4. Literaturverzeichnis 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 4 1. Einleitung Die Verfolgung von Straftaten von Angehörigen der Streitkräfte der NATO-Mitgliedstaaten, die in Deutschland (dauerhaft) stationiert1 sind, richtet sich nach dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 19512 (NATO- Truppenstatut, NTS) und dessen Zusatzabkommen (ZA-NTS) vom 3. August 19593, die jeweils durch Gesetz vom 18. August 19614 am 1. Juli 1963 in Kraft traten und den Truppenvertrag ablösten . Diese Verträge gelten seit dem 3. Oktober 1990 auch in den neuen Bundesländern und in Berlin.5 1 Für Angehörige der Streitkräfte von NATO-Vertragsstaaten, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten , gilt ebenfalls das NATO-Truppenstatut und dessen Zusatzabkommen, wobei der Notenwechsel vom 29. April 1998 (BGBl. 1999 II 506) im Verhältnis zu Dänemark, Griechenland, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Spanien und der Türkei ergänzende Regelungen enthält. Für Angehörige von Streitkräften der Mitgliedstaaten der NATO-Partnerschaft für den Frieden, die sich vorübergehend in Deutschland aufhalten, gelten nach Art. 1 des Übereinkommens vom 19. Juni zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen (PfP-Truppenstatut) grundsätzlich ebenfalls die Regelungen des NATO-Truppenstatuts. Das Gesetz zum PfP- Truppenstatut vom 19.7.1998 ermächtigt die Bundesregierung, Vereinbarungen mit den Vertragsparteien des PfP-Truppenstatuts über die Rechtsstellung der Streitkräfte und ihrer Angehörigen, ihres zivilen Gefolges und der Familienangehörigen bei Aufenthalten im jeweils anderen Staat in Kraft zu setzen, die abweichend von Art. 1 PfP-Truppenstatut i.V.m. Art. VII NTS bestimmen, dass die Gerichte und Behörden des Entsendestaats im Aufnahmestaat keine Strafgerichtsbarkeit ausüben, und auf der Grundlage der Gegenseitigkeit Regelungen gem. Art. 2 § 7 Abs. 2 und 3 Streitkräfteaufenthaltsgesetz enthalten. Das Zusatzprotokoll zum PfP-Truppenstatut bestimmt , dass ein Vertragsstaat des Zusatzprotokolls ein Todesurteil an einem Mitglied einer Truppe und ihres zivilen Gefolges sowie ihren Angehörigen aus einem anderen Vertragsstaat des Zusatzprotokolls nicht vollstrecken wird. Die Regelungen des NTS und des PfP-Truppenstatuts werden für den Fall des vorübergehenden Aufenthalts durch Vereinbarungen ergänzt, die auf der Grundlage des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes (SkAufG) abgeschlossen wurden. Für Angehörige der Streitkräfte von Staaten, die weder Parteien des NTS noch des PfP- Truppenstatuts sind, gelten die Regelungen des jeweils zugrunde liegenden bilateralen Streitkräfteaufenthaltsabkommens . Zum Ganzen vgl. Auswärtiges Amt, Truppenstationierung, abrufbar unter: http://www.auswaertigesamt .de/sid_3E28B608D6A9A0AF067F62EAF37F8E52/DE/Aussenpolitik/InternatRecht/Truppenstationierungsr echt_node.html#doc383360value2 (abgerufen am 12.09.2011). 2 BGBl. 1961 II 1190, abgedruckt in Sartorius II Nr. 66 b. Das Statut gilt – neben der Bundesrepublik Deutschland – für Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Kanada, Lettland, Litauen, Luxemburg , die Niederlande, Norwegen, Portugal, die Slowakei, Slowenien, Spanien, die Türkei, Ungarn und die USA. 3 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen (BGBl. 1961 II 1218), abgedruckt in Sartorius II Nr. 66 c. Das Zusatzabkommen gilt nur im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den NATO-Partnern Belgien, Frankreich, Kanada, den Niederlanden, Großbritannien und den USA. 4 Gesetz zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags vom 19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen und zu den Zusatzvereinbarungen vom 3. August 1959 zu diesem Abkommen (Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen, NTSG, abrufbar bei Beck-Online). 5 Vgl. Notenwechsel vom 25.9.1990 (BGBl. 1990 II 1251 und BGBl. 1994 II, 29), geändert durch Notenwechsel vom 12.9.1994 (BGBl. 1994 II 3716), abgedruckt in Sartorius II Nr. 66 d, sowie Verordnung vom 28.9.1990 (BGBl. 1990 II 1250), abgelöst durch Gesetz vom 3.1.1994 (BGBl. 1994 II 26), geändert durch Gesetz vom 23. November 1994 (BGBl. 1994 II 3714). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 5 Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Strafgerichtsbarkeit nach dem NATO- Truppenstatut und dessen Zusatzabkommen gegeben (dazu 2.).6 Daran anschließend wird ein Überblick über die Voraussetzungen gegeben, unter denen die deutschen Behörden nach dem NATO-Truppenstatut und dessen Zusatzabkommen eine Person an die Behörden eines Entsendestaates zur Durchführung eines Strafverfahrens übergeben dürfen (dazu 3.). 2. Strafgerichtsbarkeit nach dem NATO-Truppenstatut und dessen Zusatzabkommen Art. VII NTS regelt die völkerrechtliche Befugnis auf Ausübung der Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit über in Deutschland befindliche NATO-Truppen-, deren ziviles Gefolge und deren Angehörige. Anders als nach dem Truppenvertrag, der die in Deutschland stationierten Truppen grundsätzlich als Exterritoriale behandelte, 7 behält nach Art. VII Abs. 1 NTS sowohl der Aufnahmestaat als auch der Entsendestaat grundsätzlich die gesamte materielle Strafgewalt über die stationierte Personengruppe des Entsendestaates und darf sie über seine Behörden grundsätzlich auch ausüben.8 So haben nach Art. VII Abs. 1 NTS vorbehaltlich der übrigen Regelungen des Art. VII NTS „die Militärbehörden des Entsendestaates das Recht, innerhalb des Aufnahmestaates die gesamte Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit auszuüben, die ihnen durch das Recht des Entsendestaates über alle dem Militärrecht dieses Staates unterworfenen Personen übertragen ist“ (Buchstabe a) und „üben die Behörden des Aufnahmestaates über die Mitglieder einer Truppe9 oder eines zivilen Gefolges10 und über deren Angehörige11 in bezug auf die innerhalb des Hoheitsge- 6 Zu den völkerrechtlichen Grundlagen der nationalen Strafgewalt vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, S. 19 ff.; MünchKommStGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 17 ff. 7 Vgl. Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3-7 Rn. 59. Ausführlich dazu vgl. LK-Werle/Jeßberger, Vor § 3 Rn. 395. 8 Vgl. Birke, S. 27. 9 Der Begriff der „Truppe“ ist in Artikel I Abs. 1 lit. a NTS definiert als „das zu den Land-, See- oder Luftstreitkräften gehörende Personal einer Vertragspartei, wenn es sich im Zusammenhang mit seinen Dienstobliegenheiten in dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei innerhalb des Gebietes des Nordatlantikvertrags befindet, mit der Maßgabe jedoch, dass die beiden beteiligten Vertragsparteien vereinbaren können, dass gewisse Personen , Einheiten oder Verbände nicht als eine ‚Truppe’ im Sinne dieses Abkommens oder als deren Bestandteil anzusehen sind“. 10 Den Begriff „Ziviles Gefolge“ definiert Artikel I Abs. 1 lit. b NTS als „das die Truppe einer Vertragspartei begleitende Zivilpersonal, das bei den Streitkräften dieser Vertragspartei beschäftigt ist, soweit es sich nicht um Staatenlose handelt oder um Staatsangehörige eines Staates, der nicht Partei des Nordatlantikvertrags ist, oder um Staatsangehörige des Staates, in welchem die Truppe stationiert ist, oder um Personen, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben“. 11 Als „Angehöriger“ definiert Art. I Abs. 1 lit. c NTS „den Ehegatten eines Mitglieds einer Truppe oder eines zivilen Gefolges, sowie ein dem Mitglied gegenüber unterhaltsberechtigtes Kind“. Diese Bestimmung wird für die Vertragsparteien des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut durch Art. 2 Abs. 2 lit. a ZA-NTS dahingehend ergänzt, dass auch solche nahen Verwandten eines Mitgliedes einer Truppe oder eines zivilen Gefolges als „Angehöriger“ anzusehen sind, die von diesem aus wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Gründen abhängig sind, von ihm tatsächlich unterhalten werden, die Wohnung teilen, die das Mitglied innehat, und sich mit Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 6 bietes des Aufnahmestaates begangenen und nach dessen Recht strafbaren Handlungen die Gerichtsbarkeit aus“ (Buchstabe b). Hinsichtlich der Befugnis auf Ausübung der Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit differenziert Art. VII Abs. 2 und 3 NTS danach, ob die Handlung nur nach dem Recht des Aufnahme- oder des Entsendestaates (dazu 2.1) oder nach beiden Rechtsordnungen (dazu 2.2) strafbar ist. Ob eine Handlung nach dem Recht des Entsende- und/oder des Aufnahmestaates strafbar ist, wird im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut grundsätzlich 12 in einem förmlichen Verfahren (Bescheinigungsverfahren) ermittelt.13 Dieses sieht vor, dass das mit der Sache befasste Gericht oder die mit der Sache befasste Behörde das Verfahren aussetzt und die zuständige Behörde des anderen Staates unterrichtet. Diese kann innerhalb einer Frist von 21 Tagen nach Empfang der Mitteilung oder – falls eine solche noch nicht erfolgt ist – ohne Frist dem mit der Sache befassten Gericht oder der mit der Sache befassten Behörde eine Bescheinigung darüber vorlegen, ob die Handlung nach ihrem Recht strafbar ist. Das mit der Sache befasste Gericht oder die mit der Sache befasste Behörde hat die Entscheidung über die Gerichtsbarkeit grundsätzlich14 im Einklang mit der Bescheinigung zu treffen.15 Im Verhältnis zu den USA regelt eine deutsch-amerikanische „Verwaltungsvereinbarung zur Durchführung des NATO-Truppenstatuts und der Zusatzvereinbarungen im Justizbereich“ die näheren Einzelheiten .16 2.1. Ausschließliche Gerichtsbarkeit des Entsende- oder des Aufnahmestaates Art. VII Abs. 2 NTS legt die exklusive Strafgerichtsbarkeit des (Entsende- oder Aufnahme-) Staates in den Fällen fest, in denen das Verhalten lediglich nach seinem Recht strafbar ist. Nach dieser Vorschrift, die streng genommen nicht notwendig gewesen wäre und deshalb eher deklaratorischen Charakter hat,17 obliegt dem Entsendestaat die ausschließliche Gerichtsbarkeit über die Genehmigung der Behörden der Truppe im Bundesgebiet aufhalten“. Stirbt ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges oder verlässt es infolge einer Versetzung das Bundesgebiet, so gelten seine Angehörigen während einer Frist von neunzig Tagen nach dem Tod oder der Versetzung weiterhin als Angehörige, sofern sie sich im Bundesgebiet aufhalten (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. b ZA-NTS). 12 Das Verfahren findet keine Anwendung im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Entsendestaaten, welche die Bundesrepublik davon unterrichten, dass sie nicht beabsichtigen, sich auf diese Bestimmung zu berufen oder der Bundesrepublik gleiche Rechte zusichern (vgl. Art. 17 Abs. 4 ZA-NTS). 13 Vgl. Art. 17 ZA-NTS. 14 In Ausnahmefällen kann die Bescheinigung auf Antrag des mit der Sache befassten Gerichts oder der mit der Sache befassten Behörde zum Gegenstand einer Überprüfung durch Erörterungen zwischen der Bundesregierung und der diplomatischen Vertretung des Entsendestaates gemacht werden (vgl. Art. 17 Abs. 2 S. 2 ZA-NTS). 15 Vgl. Art. 17 ZA-NTS. 16 Vgl. LK-Werle/Jeßberger, Vor § 3 Rn. 401. 17 Vgl. hierzu Birke, S. 50. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 7 seinem Militärrecht unterworfenen Personen für den Fall, dass ein Verhalten nur nach seinem Recht strafbar ist.18 Ist ein Verhalten dagegen nur nach der Rechtsordnung des Aufnahmestaates strafbar, so liegt die ausschließliche Gerichtsbarkeit beim Aufnahmestaat.19 2.2. Konkurrierende Gerichtsbarkeit des Entsende- und des Aufnahmestaates Ist ein Verhalten sowohl nach der Rechtsordnung des Aufnahme- als auch nach der Rechtsordnung des Entsendestaates strafbar, so greifen Art. VII Abs. 3 NTS und – für die Vertragsstaaten des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut – Art. 18a f. ZA-NTS ein. Diese Vorschriften regeln, in welchen Fällen den betroffenen Staaten das Vorrecht für die Ausübung der Gerichtsbarkeit zusteht (dazu 2.2.1.), sehen aber gleichzeitig die Möglichkeit eines Verzichts auf die Ausübung des Vorrechts vor (dazu 2.2.2). 2.2.1. Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit Nach Art. VII Abs. 3 NTS hat der Aufnahmestaat – bei einer Stationierung von NATO-Truppen auf deutschem Hoheitsgebiet also die Bundesrepublik Deutschland – grundsätzlich das Vorrecht, die Gerichtsbarkeit auszuüben.20 Dieser Grundsatz wird allerdings für Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges – nicht jedoch für deren Angehörige – dahingehend eingeschränkt, dass der Entsendestaat das Vorrecht über Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges in Bezug auf strafbare Handlungen hat, die - „nur gegen das Vermögen oder die Sicherheit dieses Staates21 oder nur gegen die Person oder das Vermögen eines anderen Mitglieds der Truppe oder des zivilen Gefolges oder eines Angehörigen gerichtet sind“ (sog. „inter-se-Taten“), oder - „sich aus einer Handlung oder Unterlassung in Ausübung des Dienstes ergeben“ (sog. „onduty -Delikte“).22 Eine möglicherweise drohende Verhängung der Todesstrafe ändert hieran nichts.23 18 Vgl. Art. VII Abs. 2 lit. a NTS. Ob für die dem Militärrecht des Entsendestaates unterstehenden Personen in diesem Fall Exterritorialität oder lediglich eine prozessuale Immunität vorliegt, ist umstritten; vgl. Schönke /Schröder/Eser, Vor §§ 3-7 Rn. 60 und 63; Böse, in: Kindhäuser et. al., StGB, Vor §§ 3-7 Rn. 34, insb. Fn. 274. 19 Vgl. Art. VII Abs. 2 lit. b NTS. 20 Vgl. Art. VII Abs. 3 lit. a und b NTS. Ob es sich hierbei um einen Fall der prozessualen Immunität handelt, ist umstritten (so Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3-7 Rn. 31; Böse, in: Kindhäuser et. al., StGB, Vor §§ 3-7 Rn. 38; a.A. Birke, S. 51 ff.). 21 Als „strafbare Handlungen gegen die Sicherheit eines Staates“ gelten Hochverrat, Sabotage, Spionage oder die Verletzung eines Gesetzes, das sich auf Amtsgeheimnisse dieses Staates oder auf Geheimnisse im Zusammenhang mit der Landesverteidigung dieses Staates bezieht (Art. VII Abs. 2 lit. c NTS). 22 Vgl. Art. VII Abs. 3 lit. a NTS. Das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut sieht in diesem Falle eine Unterrichtungspflicht vor; vgl. Art. 19 Abs. 2 S. 2 ZA-NTS. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 8 Die Entscheidung, ob sich eine Straftat aus einem Verhalten in Ausübung des Dienstes ergibt, richtet sich im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien des Zusatzabkommens zum NATO- Truppenstatut nach dem Recht des Entsendestaates. Sofern über die Strafbarkeit eine Bescheinigung des Entsendestaates vorliegt, hat das deutsche Gericht oder die deutsche Behörde diese Bescheinigung grundsätzlich24 zu berücksichtigen.25 Ob das Vorrecht des einen Staates dem anderen Staat die völkervertragliche Befugnis der Führung eines strafprozessualen Ermittlungsverfahrens nimmt oder lediglich die abschließende strafrechtliche Entscheidung ausschließt, wird unterschiedlich beurteilt.26 2.2.2. Verzicht auf Ausübung des Vorrechts Wie bereits festgestellt, kann der bevorrechtigte Staat darauf verzichten, sein Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit wahrzunehmen.27 Der Verzicht bezieht sich nur auf das Vorrecht der Ausübung der Gerichtsbarkeit, nicht auf die Gerichtsbarkeit als solche.28 Die bisherige Rechtsprechung geht deshalb davon aus, dass ein Staat, der auf sein Vorrecht verzichtet hat, seine Strafgerichtsbarkeit unter bestimmten Umständen wieder ausüben kann.29 So bejahte der BGH die Strafgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland in einem Fall, in dem die Strafgerichtsbarkeit des Entsendestaates aufgrund des Ausscheidens seines Truppenangehörigen aus der Armee weggefallen war.30 Die bloße Untätigkeit des durch den Verzicht begünstigten Staates dürfte das Vorrecht jedoch nicht wieder aufleben lassen.31 23 Siehe Birke, S. 269. 24 In Ausnahmefällen kann die Bescheinigung auf Antrag des deutschen Gerichts oder der deutschen Behörde zum Gegenstand einer Überprüfung durch Erörterungen zwischen der Bundesregierung und der diplomatischen Vertretung des Entsendestaates gemacht werden (vgl. Art. 18 Abs. 2 S. 2 ZA-NTS). 25 Vgl. Art. 18 ZA-NTS. 26 Dazu näher Birke, S. 65; LK-Werle/Jeßberger, Vor § 3 Rn. 405. 27 Vgl. Art. VII Abs. 3 lit. c NTS. 28 Vgl. BGH, Urteil vom 8.8.1978 – 1 StR 275/78; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.7.1976 – 3 Ws 9/76; OLG Karlsruhe , Beschluss vom 22.3.1993 – 3 Ws 173/92. 29 Vgl. die Nachweise in Fn. 28. So auch Birke, S. 62; LK-Werle/Jeßberger, Vor § 3 Rn. 403f.; Münch- KommStGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 120. 30 Vgl. BGH, Urteil vom 8.8.1978 – 1 StR 275/78. So auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.3.1993 – 3 Ws 173/92; Birke, S. 64; LK-Werle/Jeßberger, Vor § 3 Rn. 404; MünchKommStGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 120. 31 Vgl. Birke, S. 63 f. A.A. wohl LK-Werle/Jeßberger, Vor § 3 Rn. 404. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 9 Das NATO-Truppenstatut sieht die Möglichkeit eines Verzichts auf das Vorrecht jeweils im Einzelfall vor; das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut enthält dagegen für die Bundesrepublik Deutschland auch die Möglichkeit eines Verzichts in allgemeiner Form. 2.2.2.1. Die Regelung des NATO-Truppenstatuts Art. VII Abs. 3 lit. c NTS regelt den Verzicht auf das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit im Einzelfall. Der nicht bevorrechtigte Staat kann den bevorrechtigten Staat um einen solchen Verzicht ersuchen. Liegt ein solches Ersuchen vor, so hat es der bevorrechtigte Staat wohlwollend in Erwägung zu ziehen, wenn der andere Staat einem derartigen Verzicht besondere Wichtigkeit beimisst. Beschließt der bevorrechtigte Staat, die Gerichtsbarkeit nicht auszuüben, so teilt er dies den Behörden des anderen Staates so bald wie möglich mit. 2.2.2.2. Die Sonderregelung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut Das der Bundesrepublik Deutschland nach Art. VII Abs. 3 lit. c NTS im Rahmen der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zustehende Vorrecht kann bei den Vertragsparteien des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstaat zugunsten des Entsendestaates verschoben werden.32 Nach dieser Regelung verzichtet die Bundesrepublik Deutschland allgemein – und nicht etwa nur im Einzelfall – auf die Ausübung ihres Vorrechts, wenn ein Entsendestaat hierum ersucht.33 Von diesem Verzicht ausgenommen sind jedoch die Fälle, in denen die Behörden eines Entsendestaates die deutschen Behörden gem. Art. 18A Abs. 1 ZA-NTS darüber unterrichtet haben, dass sie die Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen beabsichtigen, die zur Verhängung der Todesstrafe führen können.34 Damit steht der Bundesrepublik Deutschland ein Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit grundsätzlich nur noch bei solchen Strafverfolgungsmaßnahmen zu, die zur Verhängung der Todesstrafe führen können. Da alle Vertragsparteien des ZA-NTS die Bundesrepublik Deutschland bereits vor dem Inkrafttreten des ZA-NTS um einen allgemeinen Verzicht ersucht hatten, wurde der Verzicht mit Inkrafttreten des ZA-NTS wirksam, für Frankreich jedoch mit Wirkung vom 1. Juli 2000 wieder aufgehoben .35 32 Zur Durchführung dieser Vorschrift und zur Erleichterung einer beschleunigten Behandlung von Straftaten geringer Bedeutung können Vereinbarungen zwischen den zuständigen deutschen Behörden und einem oder mehreren Entsendestaaten geschlossen werden (vgl. Art. 19 Abs. 7 ZA-NTS). 33 Vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 1 ZA-NTS. In diesem Fall erhalten die zuständigen deutschen Behörden von den Militärbehörden der Entsendestaaten Kenntnis von den unter den Verzicht fallenden Einzelfällen; vgl. Art. 19 Abs. 2 ZA-NTS. 34 Vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 2, 18A Abs. 1 ZA-NTS. Dazu s.u. Abschnitt 2.5. 35 Vgl. Unterzeichnungsprotokoll zum Zusatzabkommen vom 3.8.1959, abrufbar bei Beck Online, sowie die Bekanntmachungen vom 14.8.1964 (BGBl. 1964 II 1231) und vom 19.1.2001 (BGBl. 2001 II 189). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 10 Der allgemeine Verzicht der Bundesrepublik Deutschland führt jedoch nicht zu einem endgültigen Verlust der Möglichkeit, die Strafgewalt auszuüben. Vielmehr können die zuständigen deutschen Behörden den Verzicht gegenüber den zuständigen Militärbehörden zurücknehmen, wenn sie der Ansicht sind, dass wesentliche Belange der deutschen Rechtspflege die Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit erfordern.36 Nach dem Unterzeichnungsprotokoll zu Art. 19 ZA-NTS37 können Belange der deutschen Rechtspflege die Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit insbesondere bei Straftaten erfordern, - die zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehören oder deren Verfolgung der Generalbundesanwalt beim BGH übernehmen kann38, oder - durch die der Tod eines Menschen verursacht wird, ferner bei Raub und Vergewaltigung, soweit sich diese Straftaten nicht gegen ein Mitglied der Truppe, des zivilen Gefolges oder einen Angehörigen richten. Die Rücknahme des Verzichts erfolgt durch Erklärung der Staatsanwaltschaft.39 Diese ist innerhalb von 21 Tagen abzugeben, nachdem die Behörden des Entsendestaates die Einzelfälle mitgeteilt haben, die unter den allgemeinen Verzicht fallen.40 Haben die Vertragsparteien eine kürzere Frist vereinbart, so gilt diese. Die Rücknahme kann schon vor Eingang der Mitteilung erklärt werden.41 Differenzen zwischen den beteiligten Behörden legt die Bundesregierung unter Berücksichtigung der Belange der deutschen Rechtspflege und der Interessen des Entsendestaates auf Ersuchen der diplomatischen Vertretung des betreffenden Entsendestaates bei.42 Die Militärbehörden des Entsendestaates, zugunsten dessen die Bundesrepublik auf ihr Vorrecht verzichtet hat, können mit Zustimmung der deutschen Behörden einzelne Strafsachen, für die dem Entsendestaat die Gerichtsbarkeit zusteht, an die deutschen Gerichte und Behörden zur Untersuchung , Verhandlung und Entscheidung abgeben.43 Gleichermaßen können die deutschen Behörden mit Zustimmung der Militärbehörden eines solchen Entsendestaates einzelne Strafsachen , für die der Bundesrepublik die Gerichtsbarkeit zusteht, an diese zur Untersuchung, Verhandlung und Entscheidung abgeben.44 36 Vgl. Art. 19 Abs. 3 ZA-NTS. 37 Vgl. Fn. 35. 38 Dies sind insbesondere Staatsschutzstrafsachen (vgl. § 120 GVG). 39 Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft richtet sich dabei nach dem GVG und der StPO; vgl. Artikel 3 des Gesetzes zum NTS und den Zusatzvereinbarungen vom 18.8.1961, abrufbar bei Beck-Online. 40 Vgl. Art. 19 Abs. 3 ZA-NTS. Siehe aber Birke, S. 60, nach dem der Verzicht innerhalb einer Frist von 21 Tagen nach Mitteilung, dass es sich um einen Fall der konkurrierenden Strafgerichtsbarkeit handelt, zurückzunehmen ist. Dazu siehe auch LK-Werle/Jeßberger, Vor § 3 Rn. 404; MünchKommStGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 119. 41 Vgl. Art. 19 Abs. 3 ZA-NTS. 42 Vgl. Art. 19 Abs. 4 ZA-NTS. 43 Vgl. Art. 19 Abs. 5 lit. a ZA-NTS. 44 Vgl. Art. 19 Abs. 5 lit. b ZA-NTS. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 11 2.3. Verbot der Doppelverfolgung („ne bis in idem“) Ein Angeklagter, der in einem Strafverfahren nach Art. VII NTS freigesprochen oder verurteilt wurde und seine Strafe verbüßt, verbüßt hat oder begnadigt worden ist, kann wegen derselben Handlung innerhalb desselben Hoheitsgebietes von den Behörden einer anderen Vertragspartei nicht erneut vor Gericht gestellt werden. Die Militärbehörden des Entsendestaates können ein Mitglied ihrer Truppe jedoch wegen eines Dienstvergehens belangen, das in einer Handlung oder Unterlassung liegt, deretwegen die Behörden einer anderen Vertragspartei bereits ein Strafverfahren gegen dieses Mitglied durchgeführt haben.45 2.4. Verfahren bei Personen mit Staatsangehörigkeit des Aufnahmestaates oder gewöhnlichem Aufenthalt im Aufnahmestaat Über Personen, die Staatsangehörige des Aufnahmestaates sind oder dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, kann der Entsendestaat die Gerichtsbarkeit nach Art. VII Abs. 1 bis 3 NTS ausüben , wenn diese Personen Mitglieder der Truppe des Entsendestaates sind.46 Soweit es sich um Mitglieder des zivilen Gefolges oder um Angehörige von Mitgliedern der Truppe oder des zivilen Gefolges handelt, welche Staatsangehörige des Aufnahmestaates sind oder dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, darf der Entsendestaat dagegen nicht die Gerichtsbarkeit ausüben.47 2.5. Verfahren bei drohender Todesstrafe 2.5.1. Die Regelung des NATO-Truppenstatuts Nach dem NATO-Truppenstatut dürfen die Behörden des Entsendestaates Todesurteile im Aufnahmestaat nicht vollstrecken, wenn das Recht des Aufnahmestaates in entsprechenden Fällen diese Strafe nicht vorsieht.48 Da die Todesstrafe nach Art. 102 GG abgeschafft ist, dürfen die Behörden eines Entsendestaates die Todesstrafe auf deutschem Staatsgebiet somit nicht vollstrecken . Eine Verhängung der Todesstrafe durch ausländische Gerichte auf deutschem Staatsgebiet ist jedoch nach dem NTS zulässig.49 45 Vgl. Art. VII Abs. 8 NTS. Dazu siehe auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.7.1976 – 3 Ws 9/76; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.3.1993 – 3 Ws 173/92. 46 Zum Begriff der „Truppe“ s.o. Fn. 9. 47 Vgl. Art. VII Abs. 4 NTS. Zum Begriff des „zivilen Gefolges“ und des „Angehörigen“ s.o. Fn. 10 f. 48 Vgl. Art. VII Abs. 7 lit. a NTS. 49 Zur Unvereinbarkeit dieser Regelung mit Art. 2 Abs. 1 EMRK i.V.m. dem 6. Zusatzprotokoll zur EMRK siehe Birke, S. 265 ff., nachdem dieser Fall jedoch keine Praxisrelevanz mehr aufweist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 12 2.5.2. Die Regelung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut Für die Vertragsstaaten des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut – so insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika50 – gilt darüber hinaus, dass die Behörden eines Entsendestaates keine Strafverfolgungsmaßnahmen durchführen dürfen, die zur Verhängung der Todesstrafe in Deutschland führen.51 Die Führung eines Strafverfahrens in Deutschland, bei dem es zur Verhängung der Todesstrafe auf deutschem Staatsgebiet kommen kann, ist somit für die Vertragsstaaten des Zusatzabkommens unzulässig. Strafverfolgungsmaßnahmen, die zur Verhängung der Todesstrafe auf dem Staatsgebiet des Entsendestaates führen können, sind folglich nach dem Zusatzabkommen nicht ausgeschlossen. Gleiches gilt auch für die Verbringung des Verdächtigen in den Entsendestaat zwecks Durchführung eines Strafverfahrens, bei dem möglicherweise die Todesstrafe verhängt wird.52 Sofern die Behörden eines Entsendestaates beschließen, in Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit nach Art. VII NTS Strafverfolgungsmaßnahmen durchzuführen, die zur Verhängung der Todesstrafe führen können, haben sie die zuständigen deutschen Behörden unverzüglich zu unterrichten.53 2.5.3. Möglichkeiten der deutschen Behörden, gegen die drohende Verhängung und/oder Vollstreckung der Todesstrafe Schutz zu gewähren Ein vertragliches Recht zur Gewährung von Schutz gegen die nach dem NATO-Truppenstatut zulässige drohende Verhängung der Todesstrafe auf deutschem Staatsgebiet oder die nach dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut zulässige Verbringung des Verdächtigen in den Entsendestaat zwecks Durchführung eines Strafverfahrens mit möglicher Verhängung der Todesstrafe sowie gegen die drohende Vollstreckung der Todesstrafe auf dem Staatsgebiet des Entsendestaates stehen der Bundesrepublik Deutschland nach dem NATO-Truppenstatut und nach dessen Zusatzabkommen nur in den Fällen der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zu, in denen die Bundesrepublik Deutschland ein Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit hat.54 Ist dies der Fall, so könnte sie durch die Durchführung eines Strafverfahrens das Verbot der Doppelverfolgung 50 Nach den Informationen des Death Penalty Information Center wurde in den USA letztmals im Jahre 1961 die Todesstrafe an einem Soldaten vollstreckt; seit 1984 wurden 16 ehemalige Soldaten zum Tode verurteilt, von denen sich sechs Soldaten gegenwärtig noch in der Todeszelle befinden. Bei den übrigen wurde die Verurteilung aufgehoben oder in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt; U.S. Military Death Penalty, abrufbar unter: http://www.deathpenaltyinfo.org/us-military-death-penalty#facts (abgerufen am 12.09.2011) mit weiteren Informationen . 51 Vgl. Art. 18A Abs. 2 ZA-NTS. 52 Siehe Birke, S. 265 unter Hinweis auch auf Art. 26 ZA-NTS. Zur Unvereinbarkeit dieser Regelung mit Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK i.V.m. dem 6. Zusatzprotokoll zur EMRK siehe Birke, S. 268 ff. 53 Vgl. Art. 18A Abs. 1 ZA-NTS. 54 Dazu s.o. Abschnitt 2.2.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 13 auslösen mit der Folge, dass die Straftat im Entsendestaat nach Art. VII Abs. 8 NTS nicht mehr verfolgt werden könnte.55 Steht dem Entsendestaat dagegen ein Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit zu,56 so könnten die deutschen Behörden lediglich die Militärbehörden des Entsendestaates um einen Verzicht auf Ausübung seines Vorrechts ersuchen.57 Liegt ein solcher Verzicht vor, so könnte das Strafverfahren wiederum in Deutschland durchgeführt werden mit der Folge, dass die Straftat im Entsendestaat nicht mehr verfolgt werden könnte. Ein Anspruch auf einen solchen Verzicht besteht jedoch nicht; vielmehr soll das Ersuchen lediglich wohlwollend in Erwägung gezogen werden.58 In Fällen der ausschließlichen Gerichtsbarkeit59 des Entsendestaates ist dagegen ein solches Ersuchen nicht möglich. 3. Übergabe einer Person zwecks Durchführung eines Strafverfahrens Nach Art. VII Abs. 5 lit. a NTS unterstützen sich die Behörden des Aufnahme- und des Entsendestaates gegenseitig bei der Festnahme von Mitgliedern einer Truppe oder eines zivilen Gefolges oder von deren Angehörigen im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates und bei der Übergabe dieser Personen an die Behörde, die nach Art. VII NTS die Gerichtsbarkeit auszuüben hat.60 Für die Vertragsparteien des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut sieht Art. 24 ZA-NTS darüber hinaus die Möglichkeit des Abschlusses von Vereinbarungen vor, um die Verpflichtung zur gegenseitigen Unterstützung zu erleichtern. Die Übergabe eigener Staatsangehöriger wird weder im NATO-Truppenstatut noch im dazugehörigen Zusatzabkommen ausdrücklich geregelt, ist aber als zulässig anzusehen.61 Das nähere Verfahren der Festnahme und Übergabe von Verfolgten ist in Art. 4a NTSG62 geregelt. Danach sind die Strafverfolgungsbehörden auf Ersuchen des die Gerichtsbarkeit ausübenden Entsendestaates befugt, den Verfolgten vorläufig festzunehmen und bis zur Übergabe an die Militärbehörde des Entsendestaates festzuhalten. Die Bestimmungen der StPO gelten dabei grundsätzlich entsprechend, soweit das NTSG keine abweichenden Regelungen enthält.63 Soweit die Ge- 55 Birke, S. 319. 56 Dazu s.o. Abschnitt 2.2.1. 57 Dazu s.o. Abschnitt 2.2.2. 58 Dazu sowie zu den Möglichkeiten, die bestehende Rechtslage zu ändern, siehe Birke, S. 319 ff. 59 Dazu s.o. Abschnitt 2.1. 60 Zum Begriff der „Übergabe“ und den Unterschieden zur „Auslieferung“ siehe Birke, S. 329 ff. Zur Frage, in wessen Gewahrsam ein Verfolgter bleibt, siehe Art. VII Abs. 5 lit. b NTS sowie Art. 22 ZA-NTS. 61 Dazu sowie zur Übergabe deutscher Soldaten im Ausland siehe Birke, S. 335 ff. 62 Dazu s.o. Fn. 4. 63 Art. 4a § 1 NTSG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 14 fahr besteht, dass sich der Verfolgte der Übergabe an die Militärbehörde des Entsendestaates entziehen werde, ist er vorläufig festzunehmen.64 Ein Festgenommener ist unverzüglich, spätestens am Tage nach seiner Festnahme, dem Richter des nächsten Amtsgerichts vorzuführen, der ihn (u.a.) auch danach befragt, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen er Einwendungen gegen seine vorläufige Festnahme und die Übergabe an die Militärbehörden des Entsendestaates erheben will.65 Hält der Richter die Voraussetzungen für die vorläufige Festnahme für gegeben und das Ersuchen um Übergabe für gerechtfertigt, so ordnet er die unverzügliche Übergabe des Verfolgten an die zuständige Militärbehörde des Entsendestaates durch Beschluss an. Anderenfalls wird der Verfolgte freigelassen.66 Gegen den die Übergabe anordnenden Beschluss des Richters ist die sofortige Beschwerde zulässig. Wird sie erhoben, darf der Verfolgte bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht an die Behörden des Entsendestaates übergeben werden.67 Die Durchführung der vom Gericht angeordneten Übergabe erfolgt durch die für das Gericht örtlich zuständige Staatsanwaltschaft.68 Die Frage, ob eine Übergabe auch dann stattfindet, wenn dem Verfolgten im Entsendestaat die Todesstrafe droht, ist weder im NATO-Truppenstatut oder dessen Zusatzabkommen noch im NTSG ausdrücklich geregelt. Eine Übergabe dürfte in diesen Fällen jedoch gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf Leben) sowie Art. 2 Abs. 1 EMRK (Recht auf Leben) i.V.m. dem 6. und 13. Zusatzprotokoll zur EMRK (Abschaffung der Todesstrafe) verstoßen.69 Damit wäre das Übergabeersuchen aus innerstaatlichen Gründen nicht gerechtfertigt mit der Folge, dass das zuständige Gericht im Falle einer drohenden Todesstrafe die Übergabe nicht anordnen dürfte.70 64 Art. 4a § 3 Abs. 2 NTSG. 65 Art. 4a § 3 Abs. 3 und 4 NTSG. 66 Art. 4a § 3 Abs. 5 NTSG. 67 Art. 4a § 3 Abs. 6 NTSG. 68 Art. 4a § 3 Abs. 7 NTSG. 69 Dazu ausführlich Birke, S. 347 ff., der daneben auch einen Verstoß gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) bejaht. Siehe auch Frowein, in: Frowein/Peukert, Art. 1 ZP VI, Rn. 2; Schübel-Pfister, in: Karpenstein/Mayer, Art. 1 ZP XIII, Rn. 11 (im Erscheinen). 70 Birke, S. 381. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 -149/11 Seite 15 4. Literaturverzeichnis Ambos, Kai, Internationales Strafrecht, 2. Auflage, München 2008 Birke, Rainer, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, Baden-Baden 2004 Frowein, Jochen Abr./Peukert, Wolfgang (Hrsg.), Europäische MenschenRechtsKonvention, EMRK-Kommentar, 3. Auflage, Kehl am Rhein 2009 Heintschel-Heinegg, Bernd von (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, München 2003, zitiert: MünchKommStGB/Bearbeiter Laufhütte, Heinrich Wilhelm/Rissing-van Saan, Ruth/Tiedemann, Klaus (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Auflage, Berlin 2007, zitiert: LK-Bearbeiter Karpenstein, Ulrich/ Mayer, Franz C. (Hrsg.), Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten: EMRK, Kommentar, München 2011 (im Erscheinen), zitiert: Bearbeiter in: Karpenstein /Mayer Kindhäuser, Urs/Neumann, Ulfrid/Paeffgen, Hans-Ullrich (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Band 1, 3. Auflage, Baden-Baden 2010, zitiert: Bearbeiter, in: Kindhäuser et. al. Schönke, Adolf/Schröder, Horst (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 28. Auflage, München 2010, zitiert: Schönke/Schröder/Eser