© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Schutzmaßnahmen (Safeguard Measures) im CETA-Vertragsregime Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 2 Schutzmaßnahmen (Safeguard Measures) im CETA-Vertragsregime Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Abschluss der Arbeit: 2. Dezember 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe (verantwortlich für 1. Einleitung, 2.1. bis 2.1.3. WTO-Vorgaben sowie 4. Art. 2.7 CETA) PE 6: Fachbereich Europa (verantwortlich für 1. Einleitung, 2.2. bis 2.2.3. Umsetzung durch die EU sowie 3. bis 3.3 Art. 3.4 CETA) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Überblick über Schutzmaßnahmen nach WTO-Recht und ihre Umsetzung im EU-Recht 4 2.1. WTO-Vorgaben 4 2.1.1. Allgemeine Schutzmaßnahmen unter Art. XIX GATT 4 2.1.2. Allgemeine Schutzmaßnahmen nach dem WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen 5 2.1.3. Besondere Schutzmaßnahmen nach dem WTO-Übereinkommen über Landwirtschaft 6 2.2. Umsetzung durch die EU 7 2.2.1. Verordnung 2015/478 über eine gemeinsame Einfuhrregelung 8 2.2.2. Verordnung 1308/2013 über eine gemeinsame Marktordnung für landwirtschaftliche Erzeugnisse 9 2.2.3. Verordnung 2015/755 über eine gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten Drittländern 10 3. Art. 3.4 CETA 10 3.1. Zum Rechtsgehalt des Art. 3.4 Abs. 1 CETA 10 3.2. Zur Erklärung des Rates und der Kommission zur Landwirtschaft im Rahmen des CETA (Nr. 32) 10 3.3. Zur Erklärung Belgiens in Bezug auf die Landwirtschaft (Nr. 37 D) 11 4. Art. 2.7 CETA 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 4 1. Einleitung Das am 30. Oktober 2016 von der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kanada anderseits unterzeichnete1 Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA)2 sieht die Möglichkeit vor, Schutzmaßnahmen protektionistischer Natur zu ergreifen (sogenannte Safeguard Measures ) und verweist hierbei auf das Recht der Welthandelsorganisation (World Trade Organization , WTO). In diesem Zusammenhang geht der Sachstand mehreren Fragen nach. Diese beziehen sich zum einen auf allgemeine Schutzmaßnahmen nach Art. 3.4 CETA sowie auf zwei in diesem Kontext abgegebene Erklärungen, die dem Ratsprotokoll anlässlich der Beschlüsse des Rates über die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung des CETA beigefügt wurden.3 Zum anderen geht es um Art. 2.7 Abs. 3 CETA und die darin (nur) zu Gunsten Kanadas geregelte Möglichkeit, eine besondere Schutzklausel in Anspruch nehmen zu können. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Schutzmaßnahmen nach WTO-Recht und ihre Umsetzung im EU-Recht gegeben (2.). Sodann wird auf Art. 3.4 CETA (3.) und Art. 2.7 CETA (4.) eingegangen. 2. Überblick über Schutzmaßnahmen nach WTO-Recht und ihre Umsetzung im EU-Recht 2.1. WTO-Vorgaben Hinsichtlich der WTO-Vorgaben zu Schutzmaßnahmen ist zwischen Art. XIX GATT (2.1.1.), dem WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen (2.1.2.) und dem WTO-Übereinkommen über Landwirtschaft (2.1.3.) zu unterscheiden. 2.1.1. Allgemeine Schutzmaßnahmen unter Art. XIX GATT Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT)4 sieht in seinem Art. XIX die Möglichkeit der Mitgliedstaaten der WTO vor, bestimmte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn eine Ware in das Gebiet eines Mitgliedstaates in derart erhöhten 1 Vgl. die Informationen auf den Internetseiten der Bundesregierung, online abrufbar unter https://www.bundesregierung .de/Content/DE/Artikel/2016/10/2016-10-28-ceta.html (letztmaliger Abruf am 5. Dezember 2016). Siehe dazu auch Ratsdokument 13887/16 vom 28.10.2016, online abrufbar unter http://data.consilium.europa .eu/doc/document/ST-13887-2016-INIT/de/pdf (letztmaliger Abruf am 5. Dezember 2016). 2 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier: 10973/16 (14. September 2016), verfügbar unter: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10973-2016-INIT/de/pdf (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2016). 3 Erklärung Nr. 32 des Rates und der Kommission zur Landwirtschaft im Rahmen des CETA und Erklärung Nr. 37 D Belgiens. Abgedruckt sind beide Erklärung u. a. in dem Ratsdokument 13463/1/16 REV 1, welches online abrufbar ist unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13463-2016-REV-1/de/pdf (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2016). 4 General Agreement on Tariffs and Trade (1994), BGBl. 1994 II, S. 1438, verfügbar unter: https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/legal_e.htm (zuletzt aufgerufen am 11. November 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 5 Mengen und unter Bedingungen eingeführt wird, dass dadurch den inländischen Erzeugern gleichartiger oder unmittelbar konkurrierender Waren ein ernsthafter Schaden zugefügt wird oder zugefügt zu werden droht. Als Schutzmaßnahme kommen insbesondere die zeitweise Einführung von Quoten oder die temporäre Erhebung von Einfuhrzöllen in Betracht.5 Sinn der Maßnahme ist – im Gegensatz zu Anti-Dumping-Maßnahmen – gerade nicht, eine Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen, welche auf unfairen Handelspraktiken beruht. Vielmehr soll ein inländischer Wettbewerbszweig temporär vom internationalen Wettbewerbsdruck befreit werden, dem er ansonsten nicht standhalten könnte.6 Derartige protektionistische „Atempausen“ sind jedoch umstritten, weil sie den Anpassungsdruck von außen letztendlich nur zeitweise nehmen , während sie die eigene Industrie gerade nicht wettbewerbsfähiger machen.7 2.1.2. Allgemeine Schutzmaßnahmen nach dem WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen Die relativ restriktiven Voraussetzungen für Schutzmaßnahmen sind in Art. XIX GATT niedergelegt und in Art. 2.1 des Übereinkommens über Schutzmaßnahmen (Agreement on Safeguards, AoS)8 näher konkretisiert. Hiernach müssen Staaten nachweisen, dass zwischen 1. einem starken Importanstieg und 2. einem drohenden oder bereits eingetretenen erheblichen Schaden für einen inländischen Wirtschaftszweig 3. ein kausaler Zusammenhang besteht. Diese Entwicklung muss 4. unvorhergesehen gewesen sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, sind Mitgliedstaaten der WTO befugt, nach dem AoS allgemeine Schutzmaßnahmen wie etwa Quoten oder erhöhte Einfuhrzölle anzuwenden. Diese müssen sowohl hinsichtlich ihres Ausmaßes als auch ihrer zeitlichen Anwendung verhältnismäßig sein (Art. 5-7 AoS) und gegenüber allen anderen Staaten erga omnes angewandt werden.9 Bevor die Maßnahme in Kraft tritt, ist nach Art. 3 AoS ein Untersuchungsverfahren durchzuführen und nach Art. 12 AoS der WTO-Ausschuss für Schutzmaßnahmen (Committee on Safeguards) in Kenntnis zu setzen. 5 Müller, Schutzmaßnahmen gegen Warenimporte unter der Rechtsordnung der WTO, 2006, S. 41-44. 6 Müller, Schutzmaßnahmen gegen Warenimporte unter der Rechtsordnung der WTO, 2006, S. 39. 7 Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2015, 197-198. 8 Agreement on Safeguards (1994), verfügbar unter: https://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/25-safeg_e.htm (zuletzt aufgerufen am 14. November 2016). 9 EU, „Safeguards in a nutshell“ (18. März 2013), verfügbar unter: http://ec.europa.eu/trade/policy/accessing-markets /trade-defence/actions-against-imports-into-the-eu/safeguards/ (zuletzt aufgerufen am 14. November 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 6 Unter dem WTO-Streitbeilegungsmechanismus sind bisher folgende Verfahren im Zusammenhang mit Art. XIX GATT durchgeführt worden10: Argentina – Footwear (EC)11, Korea – Dairy12, US – Line Pipe13, US – Steel Safeguards14, Argentina – Preserves Peaches15, US – Lamb16, Chile – Price Band System17 und US – Wheat Gluten18. 2.1.3. Besondere Schutzmaßnahmen nach dem WTO-Übereinkommen über Landwirtschaft Im Bereich der Landwirtschaft können Mitgliedstaaten der WTO auch besondere Schutzmaßnahmen wie etwa Zusatzölle nach Art. 5 des WTO-Übereinkommens über Landwirtschaft (Agreement on Agriculture, AoA)19 anwenden. Diese haben im Vergleich zu Art. XIX GATT i.V.m dem AoS erleichterte Anforderungen.20 Anwendbar sind besondere Schutzmaßnahmen auf landwirtschaftliche Erzeugnisse, die in einer der Zugeständnislisten der Mitgliedstaaten mit dem Zusatz „SSG“ (special safeguard) gekennzeichnet sind. Kommt es zu einem plötzlichen Anstieg von Importen, können Zusatzzölle nach einem in Art. 5 Abs. 4-6 AoA festgelegten Schema erhoben werden. Sie müssen lediglich im Wege einer schriftlichen Mitteilung an den Ausschuss für Landwirtschaft transparent gemacht werden, Art. 5 Abs. 7 AoA.21 10 Für einen Überblick über die Rechtsprechung zu Art. XIX GATT siehe https://www.wto.org/english /res_e/booksp_e/analytic_index_e/gatt1994_07_e.htm#fnt1074 (zuletzt aufgerufen am 14. November 2016). 11 WT/DS121/AB/R (14. Dezember 1999), siehe auch https://www.wto.org/english/tratop _e/dispu_e/cases_e/ds121_e.htm (zuletzt aufgerufen am 14. November 2016). 12 WT/DS98/AB/R (14. Dezember 1999). 13 WT/DS202/AB/R (15. Februar 2002). 14 WT/DS248/AB/R (10. November 2003). 15 WT/DS238/R (14. Februar 2003). 16 WT/DS177/AB/R - WT/DS178/AB/R (1. Mai 2001). 17 WT/DS207/R (3. Mai 2002). 18 WT/DS166/AB/R (22. Dezember 2000). 19 Übereinkommen über Landwirtschaft (1994), ABl. EG Nr. L 336 (23. Dezember 1994), S. 22, verfügbar unter: http://publications.europa.eu/resource/cellar/dacae28d-7644-4ac2-a61b-14c8515d2a94.0002.01/DOC_1 (zuletzt aufgerufen am 30. November 2016). 20 Für einen Überblick über die Rechtsprechung zu Art. 5 AoA siehe: https://www.wto.org/english /res_e/booksp_e/analytic_index_e/agriculture_01_e.htm#article5B (zuletzt aufgerufen am 14. November 2016). 21 Überblick über die schriftlichen Mitteilungen unter: Committee on Agriculture, Notifications: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 7 Zwar hatte die Klausel im Rahmen der Vertragsverhandlungen zum GATT Bedenken dahingehend ausgelöst, dass sie von Industrieländern zum Schutz vor ausländischen Agrarprodukten missbraucht werden könnte. Allerdings haben sich die Befürchtungen nicht realisiert, da die Klausel in der Praxis nur zurückhaltend genutzt wird.22 2.2. Umsetzung durch die EU Die EU ist – neben ihren Mitgliedstaaten – selbst Mitglied der Welthandelsorganisation und damit auch Vertragspartei der dem Gründungsabkommen im Anhang beigefügten zahlreichen Einzelabkommen wie dem hier relevanten GATT, dem WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen und dem WTO-Übereinkommen über die Landwirtschaft.23 Zur Umsetzung der oben unter 2.1. dargestellten Vorgaben hat die EU Vorschriften erlassen,24 die sich vor allem in zwei Rechtsakten finden – der Verordnung 2015/478 über eine gemeinsame Einfuhrregelung25 (2.2.1.) und der Verordnung 1308/2013 über eine gemeinsame Marktordnung für landwirtschaftliche Erzeugnisse26 (2.2.2.). In einem weiteren Rechtsakt ist der Erlass von Schutzmaßnahmen in Bezug auf bestimmte Drittstaaten vorgesehen, die nicht Mitglied der WTO sind – Verordnung 2015/755 über eine gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/FE_Search/FE_S_S006.aspx?Query=@Symbol =%20g/ag/n/*%20and%20(@Title=%20safeguard*%20or%20@Title=%20sauvegarde *%20or%20@Title=%20salvaguardia*)&Language=ENGLISH&Context=FomerScriptedSearch&language UIChanged=true# (zuletzt aufgerufen am 16. November 2016). 22 Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, 2. Aufl. 2010, S. 369, Rn. 21. 23 Vgl. Beschluss des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche, ABl.EU 1994 Nr. L 336/1, online abrufbar unter http://publications .europa.eu/resource/cellar/3d0af2df-a270-4c7b-bfca-b27068d3a3df.0002.02/DOC_1 (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2016). Eine Übersicht der dem Anhang des Übereineinkommens zur Errichtung der WTO beigefügten Einzelabkommen findet sich auf S. 10 des Dokuments. 24 Vgl. auch Nettesheim/Duvigneau, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 207 AEUV, Rn. 91 – allerdings noch mit Bezug auf die Vorgängerregelungen der jetzt geltenden Verordnungen. 25 Verordnung (EU) 2015/478 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015, ABl.EU 2015 Nr. L 83/16, verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0478&from=DE (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2016). 26 Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013, ABl.EU 2013 Nr. L 347/671, letzte konsolidierte Fassung verfügbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:02013R1308-20160731&qid=1480437374834&from=DE (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 8 Drittländern27 (2.2.3.). Außer Betrachtung bleiben nachfolgend die einschlägigen Umsetzungsvorschriften der Union in Bezug auf Textilwaren in der Verordnung 2015/93628.29 2.2.1. Verordnung 2015/478 über eine gemeinsame Einfuhrregelung Die Verordnung 2015/478 verweist in ihren Erwägungsgründen u. a. auf Art. XIX GATT und das Übereinkommen über Schutzmaßnahmen.30 Sie gilt für die Einfuhren von Waren mit Ursprung in Drittländern mit Ausnahme von Textilwaren sowie von Waren mit Ursprung in bestimmten Drittländern , die in der oben erwähnten Verordnung 2015/755 aufgeführt sind (vgl. Art. 1 Abs. 1). Ungeachtet der Ausnahmen kommt diese Verordnung auch gegenüber Nicht-WTO-Mitgliedsstaaten in Betracht (vgl. Art. 15 Abs. 2 VO 2015/478). Vorbehaltlich des Erlasses von Schutzmaßnahmen nach dieser Verordnung ist die Einfuhr der von ihr erfassten Waren in die Union frei und unterliegt keinen mengenmäßigen Beschränkungen (vgl. Art. 1 Abs. 2). Der Erlass von Schutzmaßnahmen ist in Kapitel V der Verordnung 2015/478 geregelt (Art. 15 bis 21).31 Er setzt – in Anknüpfung an den Wortlaut des Art. XIX GATT – voraus, dass eine Ware in derart erhöhten Mengen und/oder unter derartigen Bedingungen in die Union eingeführt wird, dass den Unionsherstellern eine bedeutende Schädigung entsteht oder zu entstehen droht (vgl. Art. 15 Abs. 1). In diesem Fall kann die Kommission von sich aus oder auf Antrag eines Mitgliedstaates Schutzmaßnahmen ergreifen, zu denen insbesondere die Festsetzung von Kontingenten gehört (vgl. Art. 15 Abs. 3 VO 2015/478). Gegenüber WTO-Mitgliedern können Schutzmaßnahmen nur ergriffen werden, wenn die in Art. 15 Abs. 1 VO 2015/478 genannten Bedingungen kumulativ vorliegen (vgl. Art. 15 Abs. 2 VO 2015/478). Beantragt ein Mitgliedstaat ein Eingreifen der Kommission, so fasst diese einen Beschluss innerhalb von höchstens fünf Arbeitstagen nach dem Zeitpunkt des Eingangs des Antrags (vgl. Art. 15 Abs. 6 VO 2015/478). 27 Verordnung (EU) 2015/755 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 über eine gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten Drittländern, ABl.EU 2015 Nr. L 123/33, verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0755&qid=1480438657150&from=DE (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2016). 28 Verordnung (EU) 2015/936 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juni 2015 über die gemeinsame Regelung der Einfuhren von Textilwaren aus bestimmten Drittländern, die nicht unter bilaterale Abkommen, Protokolle, andere Vereinbarungen oder eine spezifische Einfuhrregelung der Union fallen, ABl.EU 2015 Nr. L 160/1, verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0936&qid=1480438092975&from=DE (zuletzt aufgerufen am 5. Dezember 2016). 29 Zu weiteren Sondermaßnahmen in Bezug auf einzelne (sensible) Bereiche, vgl. Cottier/Trinberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 207 AEUV, Rn. 101. 30 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 3 – 5, 12 der Verordnung 2015/478 (Fn. 25). 31 Siehe hierzu ausführlicher Weiß, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 207 AEUV (57. Ergzlfg. 2015), Rn. 154 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 9 Vor Anwendung einer Schutzmaßnahme hat die Union nach Kapitel III der Verordnung 2015/478 (Art. 4 bis 9) ein Untersuchungsverfahren durchzuführen. Hiervon unabhängig sieht die Verordnung 2015/478 in Kapitel IV (Art. 10 bis 14) vor, dass die Union Überwachungsmaßnahmen in Bezug auf Waren ergreifen kann, wenn Einfuhrtrends einzelner Drittlandswaren die Herstellung in der Union zu schädigen drohen. 2.2.2. Verordnung 1308/2013 über eine gemeinsame Marktordnung für landwirtschaftliche Erzeugnisse Vorschriften zum Erlass von Schutzmaßnahmen speziell in Bezug auf die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse finden sich in der Verordnung 1308/2013. Es handelt sich hierbei um den für die Gemeinsame Agrarpolitik der EU grundlegenden Rechtsakt (vgl. Art. 40 Abs. 1 und 2 AEUV). Der Erlass von Schutzmaßnahmen ist in Art. 194 VO 1308/2013 geregelt. Aus Absatz 1 dieser Vorschrift folgt, dass Schutzmaßnahmen nach der Verordnung 1308/2013 vorrangig gegenüber der Anwendung der Verordnung 2015/478 sowie der Verordnung 2015/755 sind. Insoweit dürfte ein Spezialitätsverhältnis zu Gunsten der Verordnung 1308/2013 bestehen. Ein Nachrang besteht dagegen im Verhältnis zu ausdrücklich anderslautenden EU-Rechtsakten des Europäischen Parlaments und des Rates oder nur des Rates, in Bezug auf Einfuhren in die Union, die in gemäß dem AEUV geschlossenen internationalen Übereinkünften vorgesehen sind (vgl. Art. 194 Abs. 2 VO 1308/2013). Zum eigentlichen Erlassverfahren finden sich in Art. 194 Abs. 3 und 4 VO 1308/2013 sodann nur wenige Vorgaben. Nach Art. 194 Abs. 3 UAbs. 1 VO 1308/2013 kann die Kommission von sich aus oder auf Antrag eines Mitgliedstaats Durchführungsrechtsakte mit Schutzmaßnahmen erlassen . Diese sind nach einem sog. Prüfverfahren gemäß Art. 229 Abs. 2 VO 1308/2013 zu erlassen, d. h. unter Beteiligung eines Ausschusses mitgliedstaatlicher Vertreter unter dem Vorsitz der Kommission. Materielle Voraussetzungen für den Erlass von Schutzmaßnahmen sieht Art. 194 VO 1308/2015 nicht vor. Dem einschlägigen Erwägungsgrund der Verordnung für diese Bestimmung ist jedoch zu entnehmen, dass diese Maßnahmen „mit den internationalen Verpflichtungen der Union in Einklang stehen [sollen].“32 Ist die Kommission mit einem Antrag eines Mitgliedstaates befasst worden, so entscheidet sie hierüber nach Art. 194 Abs. 3 UAbs. 2 VO 1308/2013 im Wege von Durchführungsrechtsakten innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Eingang des Antrags – ebenfalls im Prüfverfahren gemäß Art. 229 Abs. 2 VO 1308/2013. Nach Art. 194 Abs. 3 UAbs. 3 VO 1308/2013 kann die Kommission in hinreichend begründeten Fällen auch sofort geltende Durchführungsrechtsakte erlassen. Auch hier kommt das Prüfverfahren gemäß Art. 229 Abs. 2 VO 1308/2013 zur Anwendung. 32 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 157 der Verordnung 1308/2013 (Fn. 26). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 10 2.2.3. Verordnung 2015/755 über eine gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten Drittländern Die Verordnung 2015/755 ist in Struktur und Inhalt weitgehend der Verordnung 2015/478 nachgebildet , geht dieser aber in Bezug auf die im Anhang I aufgeführten Drittländer (u. a. Belarus, Nordkorea, Usbekistan) vor. Der Erlass von Schutzmaßnahmen ist in Kapitel V der Verordnung 2015/755 (Art. 13 bis 16) geregelt. Anders als nach der Verordnung 2015/478 ist dieser – zumindest dem Wortlaut nach – nicht an die vorherige Durchführung eines Untersuchungsverfahrens geknüpft (vgl. Art. 3 VO 2015/755 im Vergleich zu Art. 4 VO 2015/478). 3. Art. 3.4 CETA 3.1. Zum Rechtsgehalt des Art. 3.4 Abs. 1 CETA Art. 3.4 CETA ist Bestandteil des dritten Kapitels des CETA über handelspolitische Schutzmaßnahmen . Der Artikel leitet den Abschnitt B dieses Kapitels zu generellen Schutzmaßnahmen ein. Nach Absatz 1 dieses Vertragsartikels „bekräftigen [die Vertragsparteien] ihre Rechte und Pflichten bezüglich genereller Schutzmaßnahmen aus Artikel XIX GATT 1994 und aus dem Schutzmaßnahmen -Übereinkommen.“ Hierbei handelt es sich um einen bloßen Verweis auf die nach WTO-Recht geltende Rechtslage. Da die nachfolgenden Bestimmungen, Art. 3.5 CETA (Transparenz ) und Art. 3.6. CETA (Einführung endgültiger Maßnahmen), lediglich einige prozedurale und der gegenseitigen Transparenz dienende Verpflichtungen enthalten, folgt daraus, dass das CETA insoweit keine eigenen rechtlichen Vorgaben materieller Natur zu generellen Schutzmaßnahmen beinhaltet (vgl. insoweit auch Art. 3.1. Abs. 1 CETA). Folglich bleibt es zwischen den Vertragsparteien bei den Regelungen des Art. XIX GATT und dem WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen . 3.2. Zur Erklärung des Rates und der Kommission zur Landwirtschaft im Rahmen des CETA (Nr. 32) In ihrer Erklärung zur Landwirtschaft im Rahmen des CETA gehen Rat und Kommission u. a. darauf ein, dass die Europäische Union „weiterhin alle Schutzmaßnahmen treffen [kann], die für den vollständigen Schutz jedes empfindlichen Agrarerzeugnisses in der Union im Einklang mit diesen WTO-Verpflichtungen erforderlich sind. Zu den Schutzmaßnahmen nach Art. XIX des GATT und dem WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen zählen die Verordnung (EU) Nr. 2015/478 […] und Art. 194 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 […], denen zufolge die Kommission innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Eingang eines Antrags eines Mitgliedstaats tätig werden muss.“33 33 Erklärung Nr. 32, 3. Absatz, veröffentlicht im Ratsdokument 13463/1/16 REV 1 (Fn. 3). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 11 Wie aus den in Bezug genommen Vorschriften des Völker- und Unionsrechts deutlich wird, geben Rat und Kommission in diesem Erklärungsausschnitt lediglich (deklaratorisch) die geltende Rechtslage nach CETA wieder: dieses verweist auf das materiell allein maßgebliche WTO-Recht sowie die oben beschriebenen unionsrechtlichen Umsetzungsmaßnahmen hierzu inklusive der Fünf-Tages-Regelung in Art. 15 Abs. 6 VO 2015/478 sowie Art. 194 Abs. 3 UAbs. 2 und 3 VO 1308/2013. Eine Absicht, der Erklärung bzw. ihrem Inhalt eine eigenständige, insbesondere rechtliche Bedeutung zukommen zu lassen, ist nicht erkennbar. 3.3. Zur Erklärung Belgiens in Bezug auf die Landwirtschaft (Nr. 37 D) Belgien behält sich in dem einschlägigen Teil seiner Erklärung das Recht vor, „im Fall eines Marktungleichgewichts die Schutzklausel zu aktivieren, auch wenn dies Ungleichgewicht nur für ein einziges Erzeugnis festgestellt wird.“34 Hierzu wird ferner angekündigt – wohl intern – Schwellenwerte festzulegen, um bestimmen zu können, was unter einem Marktungleichgewicht zu verstehen ist. Die so festgelegten Schwellenwerte sollen „im Rahmen des europäischen Beschlussfassungsprozesses verteidig[t]“35 werden. Ob und inwieweit hierdurch letztlich (nur) auf die einschlägigen Verfahren zum Erlass von Schutzmaßnahmen nach Art. 194 Abs. 3 VO 1308/2013 oder der Verordnung 2015/478 verwiesen wird, lässt sich nicht abschließend beantworten. Die in der Erklärung verwandten Begriff „Marktungleichgewicht“ und „Schwellenwert“ finden sich so weder in Art. 194 Abs. 3 VO 1308/2013 noch in der Verordnung 2015/478. Für einen Verweis auf die nach diesen Normen bestehenden Verfahren spricht jedoch die Ankündigung Belgiens, die Schwellenwerte im europäischen Beschlussfassungsprozess verteidigen zu wollen. Schutzmaßnahmen können auf Grundlage von Art. 194 Abs. 3 VO 1308/2013 und Art. 15 VO 2015/478 auch von den Mitgliedstaaten beantragt werden. In beiden Fällen obliegt die Entscheidung über den Erlass zwar der Kommission. Diese entscheidet aber nicht alleine, sondern in einem für die EU-Tertiärrechtssetzung typischen sog. Kommitologieverfahren (vgl. Art. 294 Abs. 2 und 3 AEUV), d. h. unter Beteiligung der Mitgliedstaaten. 4. Art. 2.7 CETA Art. 2.7 CETA ist Bestandteil des zweiten Kapitels von CETA über die Inländerbehandlung und den Marktzugang für Waren. Als sogenannte Stillhalteklausel verbietet Art. 2.7 Abs. 1 und 2 CETA den Mitgliedstaaten, nach Inkrafttreten des CETA bestehende Zölle auf Ursprungswaren zu erhöhen oder neue Zölle auf solche Waren einzuführen. Stillhalteklauseln dienen grundsätzlich 34 Erklärung Nr. 37, D., veröffentlicht im Ratsdokument 13463/1/16 REV 1 (Fn. 3). 35 Erklärung Nr. 37, D., veröffentlicht im Ratsdokument 13463/1/16 REV 1 (Fn. 3). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 145/16 – PE 6 - 3000 - 159/16 Seite 12 dazu, eine Verschlechterung der bei der Unterzeichnung eines Übereinkommens bestehenden Rechtslage zu verhindern. Art. 2.7 Abs. 3 CETA stellt nunmehr eine Rückausnahme zur Stillhalteklausel des Art. 2.7 Abs. 1 und 2 CETA dar. Hiernach ist (nur) Kanada befugt, besondere Schutzklauseln nach Art. 5 des WTO-Übereinkommens über Landwirtschaft anzuwenden. In diesem Zusammenhang hat Kanada einen sogenannten Stufenplan erstellt, bei welchem bestimmte Waren mit der Kennzeichnung "SSG" gekennzeichnet sind und damit unter Art. 2.7 Abs. 3 CETA fallen.36 Dies betrifft vor allem Geflügel/-erzeugnisse, Milch/-erzeugnisse sowie Eier/ Eierzeugnisse. Die Europäische Kommission hat im Verlauf der CETA-Verhandlungen auf die eigene Rückgriffmöglichkeit auf Art. 5 des WTO-Übereinkommens über Landwirtschaft gegenüber Kanada verzichtet. Nach Auskunft des BMEL erschien es der Kommission sinnvoller, auf dieses spezielle und kaum verwendete Instrument zu verzichten und dafür an anderer Stelle Gegenleistungen zu erhalten – z.B. bei Käsequoten. Zumal die WTO-Regeln über generelle Schutzmaßnahmen von CETA unberührt und für beide Vertragsparteien jedenfalls anwendbar bleiben, sodass bei einer Gefährdung des Binnenmarktes Schutzmaßnahmen nach Art. XIX GATT i.V.m. dem AoS ergriffen werden können. Dies hat die Kommission in der Erklärung zum Ratsbeschluss auch bestätigt .37 *** 36 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier: 10973/16 Add. 2 (14. September 2016), verfügbar unter : http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10973-2016-INIT/de/pdf (zuletzt aufgerufen am 21. November 2016). 37 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelle Dossier: 13463/1/16 Rev. 1 (27. Oktober 2016), verfügbar unter: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13463-2016-REV-1/de/pdf (zuletzt aufgerufen am 21. November 2016), S. 22 f.