WD 2 – 3000 – 140/19 (11. Dezember 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die Festnahme des türkischen „Vertrauensanwalts“ der deutschen Botschaft in Ankara, Yilmas S., wegen des Vorwurfs der Spionage1 hat nicht nur für diplomatische Verwicklungen im deutsch-türkischen Verhältnis gesorgt, sondern auch Fragen nach der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Konsulargesetzes (Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse)2 aufgeworfen. § 3 KonsularG betreffend die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben lautet: (3) Berufskonsularbeamte können sich - soweit erforderlich - bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Rechtsangelegenheiten des Rates und der Hilfe eines im Empfangsstaat zugelassenen Anwaltes ihres Vertrauens bedienen . Die Vorschrift regelt die Inanspruchnahme eines Vertrauensanwalts durch deutsche Botschaftsoder Konsularbeamte – eine Praxis, die schon lange vor der Verabschiedung des Konsulargesetzes im Jahre 1974 bestanden hat3 und vor allem deswegen eingefügt wurde, um Honorarforderungen der Vertrauens- bzw. Kooperationsanwälte abrechnungstechnisch eine gesetzliche Grundlage zu verschaffen.4 1 SPIEGEL online vom 26. November 2019, „Festgenommener Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft: Diplomatischer Affront“, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ankara-wer-ist-der-festgenommene-anwaltder -deutschen-botschaft-a-1298353.html. Tagesschau online vom 21. November 2019, „In Türkei verhafteter Anwalt. Eine diplomatische Kampfansage“, https://www.tagesschau.de/investigativ/anwalt-tuerkei-101.html. 2 Gesetz vom 11. September 1974, BGBl. I, S. 2317, https://www.gesetze-iminternet .de/konsg/BJNR023170974.html. 3 Das Auswärtige Amt spricht von einer international üblichen und gängigen Praxis. 4 Vgl. die Kommentierung des Konsulargesetzes bei Hoffmann, Klaus/Glietsch, Herbert, Konsularrecht - Sammlung der völkerrechtlichen Vereinbarungen und innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland über konsularische Beziehungen, Loseblatt, 76. Erg.-Lfg., München, 2011, Bd. 1, § 3, Rdnr. 3.1. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Wahrnehmung konsularischer Aufgaben und Beauftragung von sog. „Vertrauensanwälten“ in der Türkei Kurzinformation Wahrnehmung konsularischer Aufgaben und Beauftragung von sog. „Vertrauensanwälten“ in der Türkei Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Für die Beauftragung von Vertrauensanwälten im Gastland bestehen verfahrensrechtlich keine besonderen Richtlinien. Es bleibt der Auslandsvertretung überlassen, einen oder mehrere Anwälte als Vertrauens- bzw. Kooperationsanwälte – eine amtliche Bezeichnung dafür existiert nicht – in Anspruch zu nehmen, sofern diese als fachlich versiert, zuverlässig und vertrauenswürdig bekannt sind. Konsularrechtlich gesehen unterliegt die Inanspruchnahme eines Vertrauensanwalts folgenden Voraussetzungen: Die Beauftragung von Vertrauensanwälten dient der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben in Rechtsangelegenheiten; der Vertrauensanwalt fungiert damit gewissermaßen als „juristisches Werkzeug“ der deutschen Auslandsvertretung. Die Inanspruchnahme des Vertrauensanwalts muss nicht nur durch die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben ursächlich bedingt sein, sondern muss zudem auch erforderlich sein. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich der Konsularbeamte die benötigten Informationen oder Rechtskenntnisse ohne eine anwaltliche Mitarbeit nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Arbeitsaufwand verschaffen könnte.5 Die Bandbreite konsularischer Aufgaben ist vielfältig; die jeweiligen Aufgaben sind in § 2 des deutschen Konsulargesetzes sowie in Art. 5 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (WÜK) aber nicht abschließend („insbesondere“) und zum Teil nur auch generalklauselartig (vgl. z.B. Art. 5 lit. m WÜK) aufgelistet. Die Überprüfung von Asylbewerbern, die in Deutschland um Asyl nachgesucht haben, gehört de lege lata nicht zum klassischen konsularischen Aufgabenkanon. Die deutsche Auslandsvertretung kann hier aber für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Wege der Rechts- und Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG tätig werden. Der Geschäftsführer des niedersächsischen Flüchtlingsrats, Kai Weber, erklärt gegenüber dem Online-Magazine Legal Tribune online die Praxis wie folgt:6 „Ein Richter an einem deutschen Verwaltungsgericht ist mit Asylunterlagen eines Flüchtlings konfrontiert, den das BAMF für unglaubwürdig hält. Er wendet sich deshalb an das Auswärtige Amt mit der Bitte, die Echtheit von vorgelegten Beweismitteln oder Aussagen auf ihre Korrektheit zu prüfen. Die Beamten ließen sich dann per Amtshilfe aus dem BAMF die entsprechenden Akten kommen. Teilweise werden Information dann auch an die vor Ort tätigen "Vertrauensanwälte" weitergegeben. (…) Die Anwälte werden vor Ort zuweilen auch damit beauftragt, Nachforschungen im familiären Umfeld anzustellen.“ 5 Vgl. Hoffmann, Klaus/Glietsch, Herbert, Kommentierung zum Konsulargesetz, a.a.O. (Anm. 4), § 3, Rdnr. 3.4.2. und 3.4.3. 6 Vgl. zu den folgenden Ausführungen und Zitaten Marion Sendker / Markus Sehl, „Nach Festnahme von Vertrauensanwalt in der Türkei: Ein "Anwaltspion" im Auftrag Deutschlands?“, Legal Tribune online vom 27. November 2019, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/tuerkei-festnahme-haft-vertrauensanwaltanwalt -botschaft-auswaertiges-amt/. Kurzinformation Wahrnehmung konsularischer Aufgaben und Beauftragung von sog. „Vertrauensanwälten“ in der Türkei Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Bei der Amtshilfe handelt es sich um ein punktuelles Zusammenwirken zwischen zwei in keinem Weisungsverhältnis zueinander stehenden Landes- oder Bundesbehörden. Art. 35 Abs. 1 GG verpflichtet „alle Behörden“ zur gegenseitigen Amtshilfe. Rechts- und Amtshilfe bezieht sich auf den ergänzenden Beistand der ersuchenden Behörde (hier: Auswärtiges Amt bzw. das betreffende Konsulat), um der ersuchenden Behörde (hier: BAMF) unter Überwindung bestehender Kompetenz- und Zuständigkeitsgrenzen die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen.7 Laut Bericht von Legal Tribune online gibt es in der Türkei ein zentrales Datenregister für anhängige Verfahren – das sogenannte UYAP. Anwälte hätten dazu einen privilegierten Zugang und könnten sich, bevor sie ein Mandat übernehmen, einen Eindruck von dem Verfahren verschaffen. Nach Darstellung aus türkischen Anwaltskreisen werde der entsprechende Vertrauensanwalt der deutschen Auslandsvertretung bei der türkischen Generalstaatsanwaltschaft vorstellig und frage die Fälle über die Identitätsnummern der Betroffenen ab. In dem Datenregister seien z.B. Informationen zu Verurteilungen oder Anklagen abrufbar. Informationen zu sensiblen Verfahren, etwa mit Terrorismusbezug, könne die Staatsanwaltschaft für eine Eintragung in der Datenbank jedoch sperren lassen. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes sei die Institution des „Kooperationsanwalts“ ein sehr „wertvolles und sehr gut funktionierendes Instrument“.8 Damit können auch aus schwer zugänglichen Quellen Informationen, die für ein Asylverfahren in Deutschland relevant sind, eingeholt und bestätigt werden. *** 7 Vgl. näher zur Rechts- und Amtshilfe Epping, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2013, Art. 35 Rdnr. 4 f. Münkler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Köln: Heymanns, 14. Aufl. 2018, Art. 35 Rdnr. 15 f. 8 Tagesschau online vom 25. November 2019, „Nach Verhaftung in Ankara. Zusammenarbeit mit Anwälten gestoppt“, https://www.tagesschau.de/inland/anwalt-deutsche-botschaft-tuerkei-101.html.