Deutscher Bundestag Menschenrechts- und Demokratieklauseln in Abkommen der Europäischen Union mit Drittstaaten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000-140/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 2 Menschenrechts- und Demokratieklauseln in Abkommen der Europäischen Union mit Drittstaaten Verfasserin: Aktenzeichen: WD 2 – 3000-140/11 Abschluss der Arbeit: 2. September 2011 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Inhalt der Menschenrechts- und Demokratieklauseln 5 3. Maßnahmen im Falle einer Verletzung der Menschenrechts- und Demokratieklausel 6 4. Wirksamkeit der Menschenrechts- und Demokratieklauseln 7 5. Kritik 9 5.1. Anwendungsbereich der Klauseln 9 5.2. Fehlende Kohärenz in der Sanktionierung von Verletzungen der Menschenrechts- und Demokratieklauseln 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 4 1. Einleitung Seit Mitte der 1990-er Jahre legt die Europäische Union (EU) ihren Verträgen mit Drittstaaten systematisch sog. Menschenrechts- und Demokratieklauseln zugrunde.1 Entsprechende Klauseln sind inzwischen in mehr als 50 Abkommen mit insgesamt ungefähr 150 Ländern enthalten,2 so z.B. im Cotonou-Abkommen, welches die Beziehungen zwischen der EU und den 79 AKP- Staaten regelt, den Freihandelsabkommen mit den Staaten des Mittelmeerraumes, Mexiko, Chile und Südafrika sowie den Kooperationsabkommen mit lateinamerikanischen und asiatischen Staaten sowie Staaten der ehemaligen Sowjetunion, nicht jedoch in den sektorspezifischen Abkommen der EU (z.B. Fischerei, Stahl und Textilwaren) und in der Regel auch nicht in den Abkommen der EU mit entwickelten Staaten.3 Bei einem Großteil dieser Abkommen handelt es sich um sog. gemischte Abkommen, deren Abschluss Zuständigkeiten sowohl der EU als auch der Mitgliedstaaten berührt und die deshalb auf europäischer Seite durch die Europäische Union und die Mitgliedstaaten abgeschlossen werden.4 Die folgende Ausarbeitung skizziert zunächst den Inhalt der Menschenrechts- und Demokratieklauseln sowie die Maßnahmen, die im Falle einer Verletzung der Menschenrechts- und Demo- 1 Daneben finden Menschenrechts- und Demokratieklauseln auch in sog. autonomen (d.h. einseitigen, nicht auf vertraglicher Grundlage beruhenden) Instrumenten der Europäischen Union Anwendung, die der Gewährung von Finanzhilfen oder Handelsvorteilen an Drittstaaten dienen. Mit Blick auf die Gewährung von Finanzhilfen existieren entsprechende Klauseln im Rahmen des europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI), des Instruments für Heranführungshilfe (IPA), des Instruments für die Entwicklungszusammenarbeit (DCI) und des Übersee-Assoziationsbeschlusses. Im Hinblick auf die Gewährung von Handelsvorteilen, bei der es vorrangig um das Allgemeine Präferenzsystem (APS) geht, wurden die entsprechenden Klauseln eigenständig entwickelt. Zum Ganzen einschließlich der Wirksamkeit der Menschenrechts- und Demokratieklauseln im Rahmen dieser nicht-vertraglichen Instrumente siehe Bartels, The Application of Human Rights Conditionality in the EU’s Bilateral Trade Agreements and other Trade Arrangements with Third Countries, 2008, S. 6 ff. und S. 13 ff., abrufbar unter: http://www.acp-eu-trade.org/library/files/Bartels_EN_251108_EP_Theapplication -of-human-rights-conditionality-in-the-EU-s-bilateral-trade-agreements.pdf (abgerufen am 26. August 2011); zur Wirksamkeit des Entzugs von Handelsvorteilen nach dem APS siehe auch Portela, European Union Sanctions and Foreign Policy. When and why do they work? 2010, S. 148 ff.; Zhou/Cuyvers, Linking International Trade and Labour Standards: The Effectiveness of Sanctions under the European Union’s GSP, Journal of World Trade 45 (2011), S. 63 ff. sowie Ebert, Between Political Goodwill and WTO-Law: Human Rights Conditionality in the Community’s New Scheme of Generalised Tariff Preferences (GSP), ZERP Working Paper Series 8/2009, abrufbar unter: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1721678 (abgerufen am 26. August 2011). Ferner existieren entsprechende Klauseln auch bei autonomen Instrumenten im Rahmen von Programmen der technischen Zusammenarbeit, siehe Portela (ibid.), S. 26. 2 Eine Übersicht über die Abkommen der EU, welche eine Menschenrechts- und Demokratieklausel enthalten, bietet das „Inventory of Agreements Containing the Human Rights Clause“ der Datenbank des Vertragsbüros der Europäischen Union, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/world/agreements/viewCollection.do?fileID=58589 (abgerufen am 26. August 2011); siehe auch Bartels, Human Rights and Democracy Clauses in the EU’s International Agreements (long version), 2005, S. 31, abrufbar unter: http://www.law.ed.ac.uk/file_download/publications/3_568_humanrightsanddemocracyclausesintheeusin.pdf (abgerufen am 26. August 2011). 3 Siehe Bartels (Fn. 1), S. 3. 4 Bartels (Fn. 2), S. 31. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 5 kratieklausel getroffen werden. Daran anschließend folgt eine Zusammenfassung der neueren Literatur zur Wirksamkeit dieser Klauseln sowie der Kritik an diesen Klauseln.5 2. Inhalt der Menschenrechts- und Demokratieklauseln Die Menschenrechts- und Demokratieklauseln setzen sich in der Regel aus folgenden drei Bestandteilen zusammen: 1.) der Festlegung, dass die Zusammenarbeit im Rahmen des jeweiligen Vertrages auf der Grundlage der Achtung von Menschenrechten und demokratischen Grundsätzen erfolgt, 2.) der sog. Wesentlichkeitsklausel („essential elements clause“), nach der die Menschenrechte und demokratischen Grundsätze als wesentliches Element des Vertrages anzusehen sind6 und 3.) einer sog. Nichterfüllungsklausel („Bulgarische Klausel“ bzw. „[Bulgarian] non-execution clause“) oder der früher verwendeten Aussetzungsklausel („Baltische Klausel“ bzw. „[Baltic ] suspension clause“).7 Die Nichterfüllungsklausel sieht vor, dass eine Vertragspartei, die der Ansicht ist, dass die andere Partei ihrer Verpflichtung aus dem Abkommen nicht nachgekommen ist, geeignete Maßnahmen treffen kann. Abgesehen von besonders dringenden Fällen hat sie vor dem Ergreifen dieser Maßnahmen einem nach dem Abkommen gebildeten Gremium alle zweckdienlichen Informationen für eine gründliche Prüfung der Situation zu unterbreiten, um eine für die Vertragsparteien annehmbare Lösung zu finden. Dabei sind vorrangig diejenigen Maßnahmen zu wählen, die das Funktionieren des Abkommens am wenigsten stören. Sie sind dem Gremium unverzüglich mitzuteilen und auf Verlangen einer der betroffenen Parteien Gegenstand von Konsultationen in dem Gremium. Ob sich die zu treffenden Maßnahmen im Falle eines Rahmenabkommens wie dem Cotonou-Abkommen auf das Abkommen beschränken, welches die Menschenrechts- und Demokratieklausel enthält, oder auch andere Abkommen wie z.B. die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen erfassen können, erscheint allerdings unklar.8 Die Nichterfüllungsklausel bietet mehr 5 Berücksichtigt wurde jeweils Literatur ab dem Jahre 2006. Zu Menschenrechtsklauseln in Wirtschaftspartnerschafts - und Freihandelsabkommen siehe Aaronson, Human Rights“, in: Chauffour/Maur (Hrsg.), Preferential Trade Agreements Policies for Development: A Handbook, 2011, S. 453 ff. 6 Der Wortlaut der Menschenrechts- und Demokratieklauseln der jeweiligen Abkommen ist im „Inventory of Agreements Containing the Human Rights Clause“ der Datenbank des Vertragsbüros der Europäischen Union abgedruckt (Fn. 3). 7 Eine Übersicht über die Abkommen der EU, welche eine Menschenrechts- und Demokratieklausel mit Nichterfüllungs - oder Aussetzungsklausel enthalten, einschließlich des Wortlauts der Nichterfüllungs- bzw. Aussetzungsklausel bietet das Dokument „Agreements Containing a Suspension-Human Rights Clause“ der Datenbank des Vertragsbüros der Europäischen Union, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/world/agreements/viewCollection.do?fileID=58582 (abgerufen am 26. August 2011). 8 Dazu siehe Bartels (Fn. 1), S. 3 Fn. 10. Siehe auch De Gucht, Trade policy and human rights, S&D conference „Can trade policy improve human rights?“, 13. Oktober 2010, S. 3 f., abrufbar unter: http://www.acp-eutrade .org/library/files/de%20Gucht_EN_13102010_EC_Trade%20policy%20and%20Human%20rights.pdf (abgerufen am 26. August 2011); Rat der Europäischen Union, Reflection paper on Political Clauses in agreements with third countries, 27. Februar 2009, Dok. Nr. 7008/09, S. 10 f. und 29. Mai 2009, Dok. Nr. 7008/09 COR 1; Rat Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 6 Flexibilität als die früher verwendete Aussetzungsklausel, nach der der Vertrag im Falle einer ernsthaften Verletzung seiner wesentlichen Bestimmungen ausgesetzt werden kann.9 Abweichungen von der Standardklausel enthält insbesondere das Cotonou-Abkommen, welches die Begriffe der „besonders dringenden Fälle“ und der „geeigneten Maßnahmen“ näher definiert. Auch gestattet es das Ergreifen geeigneter Maßnahmen erst nach dem erfolglosen Durchlaufen eines (der Wiederherstellung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dienenden ) Konsultationsverfahrens oder der Verweigerung von Konsultationen, sofern es sich nicht um einen besonders dringenden Fall handelt.10 Unterschiede bestehen ferner bezüglich der Frage, ob das im Abkommen vorgesehene Streitschlichtungsverfahren auch Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung der Menschenrechts- und Demokratieklausel erfasst .11 3. Maßnahmen im Falle einer Verletzung der Menschenrechts- und Demokratieklausel Das am meisten angewandte Instrument im Falle einer Verletzung der Menschenrechts- und Demokratieklausel ist die Aussetzung von Finanzhilfen und anderen Formen der Zusammenarbeit wie z.B. Arbeitstreffen.12 In einigen Fällen findet auch eine Weiterleitung der Zahlungen an die Zivilgesellschaft unter Umgehung der Regierung statt.13 Handelsvorteile wurden dagegen bisher nur vereinzelt ausgesetzt.14 Bei der Auswahl der zu ergreifenden Maßnahmen versucht die EU sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung des betroffenen Landes von den Maßnahmen nicht getroffen wird.15 Sicher verder Europäischen Union, Common approach on the use of political clauses, 2. Juni 2009, Dok. 10491/1/09 , S. 3 f. 9 Zum Ganzen siehe Bartels (Fn. 1), S. 5; Niedrist, Präferenzabkommen im Europarecht und im Welthandelsrecht, 2009, S. 156. 10 Art. 96 des Cotonou-Abkommens. Näher zum Konsultationsverfahren im Rahmen des Cotonou-Abkommens siehe Portela (Fn. 1), S. 129 ff. 11 Näher dazu Bartels (Fn. ), S. 5 f. 12 Zum Teil werden diese Maßnahmen auch von anderen Maßnahmen wie z.B. der Verweigerung von Visa für Regierungsmitglieder begleitet; siehe Rat der Europäischen Union, Reflection paper (Fn. 8), S. 3. 13 Nach Portela fand im Rahmen des Cotonou-Abkommens allerdings häufiger eine Umleitung als eine Aussetzung von Hilfsmaßnahmen wie z.B. Finanzmitteln statt. Auch bei einer vollständigen Aussetzung seien nicht die gesamten Hilfsleistungen eingestellt worden; vielmehr habe die Aussetzung nur die direkt durch den Staat verwalteten Gelder (Budgethilfe) sowie noch nicht begonnene Projekte betroffen, ausführlich dazu Portela (Fn. 1), S. 131 f. 14 Benoit-Rohmer u.a., Human Rights Mainstreaming in EU’s External Relations, 2009, S. 59 Fn. 147. 15 Bartels (Fn. 1), S. 11, Portela (Fn. 1), S. 131. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 7 meiden lässt sich dies jedoch nicht. So schädigt beispielsweise die Aussetzung von Handelsvorteilen die wirtschaftliche Situation des betroffenen Staates und wirkt sich dadurch auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Beschäftigten in der betroffenen Industrie aus. Erforderlich sei daher eine vorherige Folgenabschätzung auf dem Gebiet der Menschenrechte, welche in der Lage ist, die zu erwartenden Auswirkungen der Maßnahmen auf die gesamte Menschenrechtssituation in dem betroffenen Land zu ermitteln. Darüber hinaus bedürfe es auch der Einführung einer automatischen Überprüfung der Maßnahmen sowie einer formellen Rechtfertigung für ihre Verlängerung.16 4. Wirksamkeit der Menschenrechts- und Demokratieklauseln Die Menschenrechts- und Demokratieklauseln stellen ein wichtiges Instrument der europäischen Menschenrechtspolitik dar. Sie ermöglichen es der EU, mit ihren Vertragspartnern in einen Dialog über Menschenrechtsfragen zu treten und im Falle einer Verletzung der Menschenrechte oder der demokratischen Standards Demarchen durchzuführen und/oder Maßnahmen zur Sanktionierung der Verletzungen zu treffen.17 Mit Blick auf die Wirksamkeit von Menschenrechts- und Demokratieklauseln weist Bartels darauf hin, dass zunächst zu klären sei, nach welchen Kriterien der Erfolg dieser Maßnahmen gemessen werden solle. Eine Möglichkeit wäre es, den Erfolg in Bezug auf die Menschenrechts- (oder demokratische) Situation in dem betroffenen Land zu messen.18 In diesem Sinne wäre danach zu fragen, ob diese in dem betroffenen Land aufgrund der Existenz der Menschenrechtsund Demokratieklausel zumindest gleichbleibt oder ob sie sich im Falle einer Verschlechterung aufgrund der getroffenen Maßnahmen zur Sanktionierung der Verletzungen dieser Klausel wieder verbessert, was freilich in vielen Fällen wenn überhaupt, nur sehr schwer zu beurteilen sein dürfte. Eine andere Möglichkeit wäre es, den Blick auf die EU zu wenden, die sich weder an bewaffneten Konflikten noch an Menschenrechtsverletzungen beteiligen möchte. In diesem Sinne könnte die Einstellung der Zusammenarbeit zwecks Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen auch dann als Erfolg beurteilt werden, wenn sie keinen Politikwechsel in dem betroffenen Land bewirkt.19 In der Vergangenheit habe die EU – so Bartels – vor allem in zwei Situationen auf eine Verletzung der Menschenrechts- und Demokratieklausel reagiert: zum einen bei einer akuten Krise in 16 Bartels (Fn. 1), S. 17 und S. 19. 17 Siehe Benoit-Rohmer u.a. (Fn. 14), S. 36 und 59. Ähnlich auch Niedrist (Fn. 9), S. 175 ff., der zwar die unmittelbare Wirksamkeit der Menschenrechtsklausel aufgrund der fehlenden Anwendung in den Abkommen außerhalb der AKP-Kooperation der Gemeinschaft für begrenzt hält; der Erfolg oder Misserfolg dieser Klauseln lasse sich jedoch nicht an der Zahl der verlangten offiziellen Konsultationen oder der ergriffenen Maßnahmen messen . So ergäben sich positive Effekte allein aus der Tatsache, dass sich die Vertragspartner der EG überhaupt dieser Klausel unterziehen müssten, und es entstünde ein politischer Dialog in den obersten Gremien, in dem die EG die Menschenrechte regelmäßig zur Sprache bringe. 18 Bartels (Fn. 1), S. 18. 19 Bartels (Fn. 1), S. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 8 der politischen Gesamtsituation eines Landes wie z.B. bei einem Staatsstreich oder gefälschten Wahlen sowie zum anderen bei plötzlichen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Dabei sei der Erfolg der getroffenen Maßnahmen bei akuten Krisen in der politischen Gesamtsituation eines Landes deutlich höher gewesen als in Fällen von Menschenrechtsverletzungen, in denen sie grundsätzlich keinen Erfolg gehabt hätten.20 Mit Blick auf die zu ergreifenden Maßnahmen zur Sanktionierung von Verletzungen der Menschenrechts - und Demokratieklausel hält Bartels eine Kombination aus Anreizen und Sanktionen für am wirkungsvollsten. So könnte ein Anreiz zur Verbesserung der Menschenrechtssituation bereits darin liegen, dass für den Fall der Verbesserung die ursprünglich versprochenen und infolge der Menschenrechtsverletzungen entzogenen Vorteile wieder gewährt würden. Aus diesem Grund sei es entscheidend, dass negative Maßnahmen zum einen mit klaren Vorgaben darüber verbunden werden, was zum Zwecke ihrer Aufhebung getan werden müsse, sowie zum anderen mit einer guten Beratung des betroffenen Landes, um diesem bei der Erreichung der Vorgaben zu helfen.21 Portela hat die Wirksamkeit der Einstellung von Entwicklungshilfe im Rahmen des Cotonou- Abkommens untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Maßnahmen der EU im Rahmen der Nichterfüllungsklausel des Cotonou-Abkommens – anders als die Sanktionen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik22 – eine hohe Erfolgsquote haben. So hätten oftmals bereits die Konsultationen das erwartete Ergebnis herbeigeführt, und in den anderen Fällen habe sich die Androhung einer Aussetzung der Entwicklungszusammenarbeit häufig als wirksam erwiesen . Dabei sei die EU allerdings in nahezu allen Fällen sowohl ein wichtiger Handelspartner als auch ein wichtiger Geber des betroffenen Landes gewesen. Ganz wesentlich sei darüber hinaus die Unterstützung der EU durch die Nachbarstaaten des betroffenen Landes gewesen. Der selektive Ansatz der EU, nicht bei allen Verletzungen der Menschenrechts- und Demokratieklausel in Konsultationen zu treten, sondern diese nur mit solchen Staaten zu führen, auf die die EU voraussichtlich Einfluss nehmen kann, trage zu der hohen Erfolgsquote bei.23 Wesentlich für den Erfolg einer Einstellung von Maßnahmen der Entwicklungshilfe sei die kooperative Haltung der betroffenen politischen Führung. Diese sei insbesondere bei Staatsstreichen gegeben gewesen, die das Ziel hatten, eine undemokratische Regierung abzusetzen und demokratische Standards wiederherzustellen. Weitere Faktoren seien – neben dem Legitimationsinteresse der neuen Regierung – die drohende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Landes im Falle einer Einstellung der Hilfeleistungen, welche durch eine Koordinierung der Geberstaaten noch verstärkt wird. Darüber hinaus spiele auch der hohe Institutionalisierungsgrad des 20 Bartels (Fn. 1), S. 11 f. unter Hinweis auf Portela, The Efficacy of Sanctions of the European Union: When and Why do the Work?, 2008. 21 Bartels (Fn. 1), S. 18. 22 Dazu ausführlich Portela (Fn. 1), S. 55 ff., S. 101. 23 Ausführlich Portela (Fn. 1), S. 144 f. und S. 162 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 9 Verfahrens, das nach dem Cotonou-Abkommen bei einer Verletzung der Menschenrechts- und Demokratieklausel zu durchlaufen ist, eine wichtige Rolle.24 5. Kritik 5.1. Anwendungsbereich der Klauseln Mit Blick auf den Anwendungsbereich der Klauseln wird zum einen kritisiert, dass Menschenrechts - und Demokratieklauseln in der Regel weder Abkommen mit entwickelten Staaten25 noch sektorspezifischen Abkommen zugrunde gelegt werden. Bezüglich der Abkommen mit entwickelten Staaten lässt sich dies zum Teil damit erklären, dass viele dieser Abkommen älteren Datums sind und damit aus einer Zeit stammen, in der die EU ihren Abkommen mit Drittstaaten noch keine Menschenrechts- und Demokratieklausel zugrunde legte. Eine andere Erklärung könnte – so Bartels – aber auch darin liegen, dass es die EU für nicht angemessen hält, ihren Beziehungen mit entwickelten Staaten Menschenrechts- und Demokratieklauseln zugrunde zu legen und/oder dass diese nicht bereit sind, entsprechende Klauseln zu akzeptieren.26 Bezüglich der sektorspezifischen Abkommen lässt sich das Fehlen einer solchen Klausel mit wirtschaftlichen Interessen der EU erklären; aus der Perspektive der Menschenrechte und Demokratie dürfte sich das Fehlen insbesondere mit Blick auf Länder, die einen problematischen Menschenrechts- und Demokratiestandard haben, jedoch nicht rechtfertigen lassen.27 5.2. Fehlende Kohärenz in der Sanktionierung von Verletzungen der Menschenrechts- und Demokratieklauseln Das Europäische Parlament und zahlreiche andere Akteure haben wiederholt die Praxis der Sanktionierung von Verletzungen der Menschenrechts- und Demokratieklauseln als uneinheitlich kritisiert.28 So fielen die meisten – wenn nicht sogar alle29 – Fälle, in denen die EU Maßnah- 24 Ausführlich Portela (Fn. 1), S. 145 f. und S. 163 ff. 25 Eine Ausnahme stellen insoweit allerdings Israel und Südkorea dar. 26 Siehe Bartels (Fn. 1), S. 3. 27 Dazu siehe auch Bartels (Fn. 1), S. 4 und 17 mit dem Beispielsfall zu Mauretanien, in dem die Zusammenarbeit nach dem Cotonou-Abkommen wegen des Staatsstreiches im Jahr 2008 eingestellt wurde, Zahlungen aufgrund eines partnerschaftlichen Fischereiabkommens jedoch weiter geleistet wurden. Der Rat führt als Begründung hierfür die Beschränkung sektorspezifischer Abkommen auf spezifische Themen an; siehe Benoit-Rohmer u.a. (Fn. 14), S. 36. 28 Siehe auch Benoit-Rohmer u.a. (Fn. 14), S. 59, nach denen es den Anschein hat, dass in einigen Fällen auch die Größe oder wirtschaftliche Bedeutung eines Staates oder seine historischen Verbindungen zu EU- Mitgliedstaaten die Menschenrechtsverletzungen überwogen, sowie Hafner-Burton, The Power Politics of Regime Complexity: Human Rights Trade Conditionality in Europe, Perspectives on Politics 7 (2009) 1, S. 33 ff., S. 36. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 10 men wegen einer Verletzung der Menschenrechts- und Demokratieklausel ergriffen hat, unter das Cotonou-Abkommen bzw. sein Vorgängerabkommen, das Abkommen von Lomé, und betrafen damit die sog. AKP-Staaten.30 Nach Bartels gab es allerdings auch Maßnahmen, die andere Staaten (z.B. Belarus und Russland) betrafen; die Anwendungspraxis beschränke sich somit nicht auf die ehemaligen Kolonien der EU-Mitgliedstaaten. In vielen Fällen31 blieb eine Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen allerdings aus.32 Nach Bartels und Portela greift eine rein geographische Sichtweise jedoch zu kurz. Vielmehr müssten bei der Sanktionierung von Verletzungen der Menschenrechts- und Demokratieklausel – so Bartels – auch andere Gesichtspunkte wie insbesondere die voraussichtliche Wirksamkeit der Maßnahmen in Erwägung gezogen werden. So reagiere die EU vor allem bei einer akuten Krise in der politischen Gesamtsituation eines Landes sowie bei plötzlichen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen . Allerdings sei der Erfolg der getroffenen Maßnahmen in ersterem Falle deutlich höher gewesen. Da die Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen überhaupt nur in wenigen Fällen Wirkung entfalte, könne eine fehlende Sanktionierung auch als Verzicht auf Misserfolge gesehen werden.33 Auch Portela kommt zu dem Ergebnis, dass die EU Maßnahmen ergreife, wenn sie eine vernünftige Chance sehe, Einfluss auf die politische Führung des Landes zu nehmen. Dies sei insbesondere in Fällen eines Staatsstreiches der Fall, bei denen die neue politische Führung ein großes Legitimationsinteresse habe. Menschenrechtsverletzungen ohne Verletzung demokratischer Grundsätze hätten bisher nicht zu Konsultationen nach der Nichterfüllungsklausel des Cotonou-Abkommens geführt. Entscheidend für ein Eingreifen der EU sei, dass sich die Menschenrechts- und Demokratiesituation verschlechtert habe, nicht jedoch das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen im Vergleich zu anderen Ländern.34 Warum die EU in einigen Fällen trotz der geringen Erfolgswahrscheinlichkeit auch bei Menschenrechtsverletzungen Maßnahmen ergreift, ist damit freilich nicht geklärt. Eine mögliche Erklärung hierfür sei jedoch, so Bartels, dass sich der Erfolg der Maßnahmen der EU nicht nur an der Erreichung außenpolitischer Ziele messen lasse. Vielmehr gebe es auch andere Gründe wie z.B. die Verhinderung jeglicher Beteiligung der EU in bewaffneten Konflikten oder an anhalten- 29 Nach EU-Angaben machte die EU seit 1995 vom Aussetzungsmechanismus der Menschenrechtsklausel in 19 Fällen – allerdings ausschließlich im Rahmen des Cotonou-Abkommens – Gebrauch; Rat der Europäischen Union, Reflection paper (Fn. 8), S. 3 und 9. 30 Zur Wirksamkeit von Maßnahmen im Rahmen des Art. 96 des Cotonou-Abkommens ausführlich Portela (Fn. 1), S. 127 ff. 31 Genannt werden hier insbesondere Israel, dazu ausführlich Khaliq, Ethical Dimensions of the Foreign Policy of the European Union. A Legal Appraisal, 2008, S. 313 ff., siehe auch Niedrist (Fn. 9), S. 177 mit dem weiteren Hinweis auf Russland, aber auch Algerien und Vietnam. 32 Bartels (Fn. 1), S. 11. 33 Bartels (Fn. 1), S. 11 f. unter Hinweis auf Portela, The Efficacy of Sanctions of the European Union: When and Why do the Work?, 2008. 34 Portela (Fn. 1), S. 142 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-140/11 Seite 11 den Menschenrechtsverletzungen. In diesen Fällen seien die Maßnahmen deshalb auch dann als Erfolg zu werten, wenn sie bei der betroffenen Regierung keinen Politikwechsel herbeiführen.35 Die Studie von Benoit-Rohmer u.a. kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl der Ansatz des Parlaments , welches größere Kohärenz und Transparenz in der Anwendung der Nichterfüllungsklausel fordert,36 als auch der Ansatz der Kommission, die Sanktionen als letztes Mittel ansieht und diese vor allem als latente Drohung verwendet, Vorzüge hätten. Entscheidend sei es, Wege zu finden, die Menschenrechts- und Demokratieklauseln einschließlich der Nichterfüllungsklausel kontextspezifisch anzuwenden, und dabei die betroffenen Staaten nicht lediglich zu ächten oder zu verprellen. Erforderlich seien insbesondere eine systematische Überwachung der Menschenrechtslage in dem betroffenen Staat und die Einführung konkreter Mechanismen mit Evaluierungen , Zielen und einem Benchmarking, die über einen bloßen Dialog hinausgehen.37 35 Bartels (Fn. 1), S. 11 f. unter Hinweis auf Portela, The Efficacy of Sanctions of the European Union: When and Why do the Work?, 2008. 36 Ähnlich auch Niedrist (Fn. 9), S. 179 f., der eine möglichst einheitliche Durchsetzung der Menschenrechtsklauseln ggf. mittels bestimmbarer Regeln, unter welchen Voraussetzungen die Klauseln angewendet werden, sowie die Herausgabe menschenrechtsspezifischer Länderberichte über alle Partnerstaaten, mit denen die Gemeinschaft vertragliche Beziehungen auf Basis der Menschenrechtsklausel unterhält, fordert. 37 Benoit-Rohmer (Fn. 14), S. 60.