© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 138/15 Ausbürgerung aus Sicht des Völkerrechts Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Seite 2Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 Ausbürgerung aus Sicht des Völkerrechts Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 138/15 Abschluss der Arbeit: 4. September 2015 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 Inhaltsverzeichnis 1. Gegenstand der Untersuchung 4 2. Regelungszuständigkeit und Begrifflichkeit im Staatsangehörigkeitsrecht 5 3. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Ausbürgerung 5 3.1. Menschenrechtliche Verbotstatbestände 5 3.2. Staatsangehörigkeitsrechtliche Verlusttatbestände 7 3.2.1. Völkergewohnheitsrecht 7 3.2.2. Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit 8 3.2.3. Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit 9 4. Zur Völkerrechtskonformität des BMI-Vorschlags zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsgesetzes 10 Wissenschaftliche Dienste Seite 4Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 1. Gegenstand der Untersuchung Der von der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder (IMK) in Auftrag gegebene Bericht des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 20. Mai 2015 über „Möglichkeiten der Einführung einer neuen Verlustregelung in das Staatsangehörigkeitsgesetz bei Teilnahme an Kampfhandlungen terroristischer Organisationen in Krisengebieten“1 (im Folgenden: BMI- Vorschlag) wirft zahlreiche (verfassungs-)rechtliche Fragen in Zusammenhang mit der Entziehung bzw. dem Verlust der Staatsangehörigkeit auf.2 Konkret geht es um die rechtliche Beurteilung einer im BMI-Bericht angedachten Neuregelung des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) vor dem Hintergrund der Bekämpfung von sog. „terroristischen Gefährdern“ (mit doppelter Staatsangehörigkeit), die sich dem „Islamischen Staat“ (also einer nicht-staatlichen terroristischen Vereinigung) angeschlossen haben. Nach den Überlegungen im BMI-Bericht sollen die in § 17 StAG gesetzlich verankerten Verlusttatbestände dahingehend erweitert werden, dass die deutsche Staatsangehörigkeit auch derjenige verlieren würde, der „die grundlegenden Werte der Bundesrepublik Deutschland und der EU ablehnt und sich außerhalb dieser Werteordnung stellt.“3 Ziel der geplanten gesetzlichen Neuregelung soll es sein, den Kämpfern des „Islamischen Staates“ die Rückkehr nach Deutschland zu verwehren. Die Regelung soll nur für Personen mit Doppelstaatsangehörigkeit (sog. Mehrstaater) gelten, um Staatenlosigkeit zu vermeiden. Im Folgenden sollen die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen der Ausbürgerung (Entziehung und Verlust der Staatsangehörigkeit) dargelegt (3.) und die Völkerrechtskonformität des BMI- Vorschlags zur Neuregelung des StAG beurteilt werden (4.). Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des BMI-Vorschlags vgl. insoweit das ebenfalls zu diesem Auftrag erstellte Gutachten von WD 3. 1 Vgl. Beschluss der IMK zur Verhinderung der Ausreise von gewaltbereiten Salafisten, in: Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 202. Sitzung (v. 24.-26.6.2015), Nr. 1, http://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2015-06- 24_26/beschluesse.pdf?__blob=publicationFile&v=3. Der von der IMK zur Kenntnis genommene Bericht des BMI vom 20. Mai 2015 ist ausdrücklich nicht freigegeben. 2 Vgl. dazu allgemein Maaßen, Hans-Georg, Staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen der Terrorismusbekämpfung, in: ZAR 2011, S. 336-342; Vgl. speziell dazu Krohne, Gesine, Die Ausbürgerung illoyaler Staatsangehöriger: Geltendes Verfassungsrecht, internationaler Rechtsvergleich und rechtspolitische Reformperspektiven, Frankfurt 2013. 3 Vgl. Bericht des BMI über „Möglichkeiten der Einführung einer neuen Verlustregelung in das Staatsangehörigkeitsgesetz bei Teilnahme an Kampfhandlungen terroristischer Organisationen in Krisengebieten“ v. 20.5.2015, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Seite 5Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 2. Regelungszuständigkeit und Begrifflichkeit im Staatsangehörigkeitsrecht Grundsätzlich steht es den Staaten weitgehend frei, zu bestimmen, wem sie ihre Staatsbürgerschaft verleihen oder entziehen und die rechtlichen Voraussetzungen dafür festzulegen. Das Völkerrecht überlässt – als Ausfluss des Prinzips der souveränen Staatengleichheit – diese Rechtsmaterie der nationalen Regelungszuständigkeit.4 Beim Begriff der „Ausbürgerung“ ist begrifflich zu unterscheiden zwischen Entziehung und Verlust der Staatsangehörigkeit. Die Entziehung ist nach der Definition des BVerfG eine „Verlustzufügung , die der Betroffene nicht beeinflussen kann“.5 Keine Entziehung ist dagegen der Verlust der Staatsangehörigkeit auf Grund von Umständen, die der Betroffene willentlich oder für ihn voraussehbar erfüllt (z.B. Eintritt in die Streitkräfte eines anderen Staates i.S.d. § 28 StAG).6 Nach deutschem Recht ist die Entziehung der Staatsbürgerschaft ausnahmslos verboten, während der Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund Gesetzes (und gegen den Willen des Betroffenen) grundsätzlich nur dann zulässig ist, wenn keine Staatenlosigkeit eintritt.7 3. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen der Ausbürgerung 3.1. Menschenrechtliche Verbotstatbestände Das Ermessen des Staates bei der Regelung seines Staatsangehörigkeitsrechts ist durch völkerrechtliche Verpflichtungen allerdings eingeschränkt. Auch wenn sich kein generelles völkergewohnheitsrechtliches Verbot der Ausbürgerung entwickelt hat,8 so setzten doch heute verschiedene völkerrechtliche Abkommen einer Zwangsausbürgerung (menschenrechtliche) Grenzen. So regelt Art. 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: (1) Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. (2) Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen werden (…). 4 Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht München: Beck, 6. Aufl. 2014, § 5, Rdnr. 83; Schweisfurth, Theodor, Völkerrecht, Tübingen: Mohr Siebeck 2006, 9. Kap., Rdnr. 81; Maaßen, in: Epping/Hillgruber, GG-Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2013, Art. 16, Rdnr. 14. 5 BVerfGE 116, 24 (44). 6 Jarass, in: Pieroth/Jarass, GG-Kommentar, München: Beck, 3. Aufl. 2014, Art. 16, Rdnr. 8. 7 Vgl. Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG; Maaßen, Staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen der Terrorismusbekämpfung, in: ZAR 2011, S. 336 ff. (340). 8 Schweisfurth, Theodor, Völkerrecht, Tübingen 2006, 9. Kap., Rdnr. 88. Wissenschaftliche Dienste Seite 6Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 Unter welchen Umständen ein Entzug „willkürlich“ ist, wird zwar nicht explizit geregelt – der VN-Menschenrechtsausschuss betrachtet in seiner Rechtsprechung zum IPbpR aber Eingriffe als „willkürlich“, die nicht auf vernünftigen, also sachfremden Gründen beruhen und im konkreten Fall unverhältnismäßig erscheinen.9 Neben dem Verbot der willkürlichen Zwangsausbürgerung lässt sich aus Art. 5 d) des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 sowie aus Art. 9 des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 196110 ein generelles Verbot des Entzugs der Staatsangehörigkeit aus rassischen, ethnischen, religiösen und politischen Gründen entnehmen. Ähnliche Regelungen auf europäischer Ebene sieht das im Rahmen des Europarats geschlossene Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (EuStAÜ) vom 6. November 199711 vor. Dort heißt es: Die Staatsangehörigkeitsvorschriften jedes Vertragsstaats müssen auf folgenden Grundsätzen beruhen: - Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit; - Staatenlosigkeit ist zu vermeiden; - Niemandem darf die Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen werden (Art. 4). Die Staatsangehörigkeitsvorschriften eines Vertragsstaats dürfen keine Unterscheidungen enthalten oder Praktiken umfassen, die eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion, der Rasse, der Hautfarbe, der nationalen Herkunft oder der Volkszugehörigkeit darstellen (Art. 5 Abs. 1). Darüber hinausgehende Aussagen zur menschenrechtlichen Begrenzung von Ausbürgerungen sind gegenwärtig weder dem Vertragsrecht noch dem Völkergewohnheitsrecht zu entnehmen.12 9 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz 2005, S. 106 m.N. aus der Rechtsprechung. 10 Internationale Quelle: United Nations Treaty Series, Vol. 989, p. 175; im Internet auf Deutsch verfügbar unter: http://www.unhcr.de/fileadmin/rechtsinfos/staatenlosigkeit/staatenl-Uebereinkommen_Verminderung.pdf. Art. 9 des Übereinkommens lautet: Ein Vertragsstaat darf keiner Person oder Personengruppe aus rassischen, ethnischen, religiösen oder politischen Gründen ihre Staatsangehörigkeit entziehen. 11 European Treaty Series Nr. 166; deutscher Text verfügbar unter: http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/QueVoulezVous.asp?CL=GER&NT=166. 12 Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht München: Beck, 6. Aufl. 2014, § 5, Rdnr. 97. Wissenschaftliche Dienste Seite 7Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 3.2. Staatsangehörigkeitsrechtliche Verlusttatbestände Die Staatsbürgerschaft ist eine besondere statusrechtliche Rechtsbeziehung zwischen dem Bürger und seinem Staat; ihr Erwerb und Verlust darf nicht aufgrund irgendwelcher Umstände erfolgen, sondern bedarf durchweg eines zulässigen Anknüpfungspunktes. Gefordert wird überdies ein gesetzlich normierter Regelungstatbestand für den Verlust der Staatsangehörigkeit.13 Das Völkerrecht fordert für die Verleihung der Staatsbürgerschaft einen sog. genuin link zwischen der betreffenden Person und dem Staat. So darf etwa die Einbürgerung einer Person nicht an sachfremde, mit dem betreffenden Staat nicht in hinreichender Weise verbundene Sachverhalte anknüpfen.14 Gefordert ist vielmehr eine spezifische „Nähe“ des Betreffenden zum Staat (Geburtsort , Abstammung, Heirat, Wohnsitz und Aufenthalt, Sprachkenntnisse etc.). Auch für den Entzug der Staatsbürgerschaft fordert das Völkerrecht sachgerechte Anknüpfungspunkte .15 Dabei muss – wie der Bericht des BMI zutreffend ausführt – zwischen dem Verlustgrund und der Funktion der Staatsangehörigkeit als konstituierendem Merkmal des Staatsvolkes ein Sachzusammenhang bestehen.16 3.2.1. Völkergewohnheitsrecht In der Staatenpraxis sind eine Reihe von zulässigen Verlusttatbeständen völkergewohnheitsrechtlich anerkannt.17 Dazu gehören etwa: - Entlassung auf Antrag oder Verzicht - Erwerb einer fremden Staatangehörigkeit - Eintritt in fremden Staats- oder Wehrdienst - Eheschließung einer Frau mit einem Ausländer 13 Vgl. etwa Art. 7 des EuStAÜ sowie Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG. 14 Man denke an die massenhafte Verleihung von Pässen (sog. „Passportization“) der Russischen Föderation an Einwohner der georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien im Vorfeld des Georgien-Konflikts 2008. 15 Für das deutsche Recht: Maaßen, in: Epping/Hillgruber, GG-Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2013, Art. 16, Rdnr. 23. 16 Vgl. Bericht des BMI zu „Möglichkeiten der Einführung einer neuen Verlustregelung in das Staatsangehörigkeitsgesetz bei Teilnahme an Kampfhandlungen terroristischer Organisationen in Krisengebieten“ 2015, S. 3. 17 Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht München: Beck, 6. Aufl. 2014, § 5, Rdnr. 96; Hailbronner/Kau, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Berlin: Gruyter, 5. Aufl. 2010, 3. Abschnitt, Rdnr. 107; Schweisfurth, Theodor, Völkerrecht, Tübingen : Mohr Siebeck 2006, 9. Kap., Rdnr. 87. Wissenschaftliche Dienste Seite 8Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 - Nichtregistrierung bei längerem Auslandsaufenthalt. Aus einer „Zusammenschau“ dieser Tatbestände ergibt sich, dass zulässiger Anknüpfungspunkt für den Verlust der Staatsbürgerschaft die (freiwillige) Abwendung vom Heimatstaat ist, welche durch einen konkreten (statusrechtlichen) Rechtsakt dokumentiert und begründet wird.18 Die genannten Tatbestände haben auch Eingang in die Regelungen des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes 19 sowie in das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (Eu- StAÜ) gefunden. 3.2.2. Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit Die Verlusttatbestände im EuStAÜ gehen über die gewohnheitsrechtlichen Tatbestände noch hinaus. Nach Art. 7 d) EuStAÜ darf ein Vertragsstaat in seinem innerstaatlichen Recht den Verlust der Staatsangehörigkeit vorsehen für ein „Verhalten, das den wesentlichen Interessen des Vertragsstaats in schwerwiegender Weise abträglich ist“. Dieser generalklauselartige Tatbestand des „abträglichen Verhaltens“ unterscheidet sich von den völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Verlusttatbeständen insoweit, als er wertungsabhängig („subjektiv“) ist und sich nicht anhand eines konkreten Rechtsaktes (Urkunde) dokumentieren lässt. Daher bedarf es zur Konkretisierung dieser Generalklausel weiterer objektiver Anhaltspunkte und Feststellungen. Der erläuternde Bericht zum EuStAÜ20 hat diesen Umstand erkannt und sich in einer konkretisierenden Definition versucht: “Such conduct notably includes treason and other activities directed against the vital interests of the State concerned (for example work for a foreign secret service) but would not include criminal offences of a general nature, however serious they might be.” Die Formulierung des „abträgliche Verhaltens“ in Art. 7 d) EuStÜ ist dem Art. 8 Abs. 3 a) des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 entlehnt. 18 Auch in Deutschland haben Rechtsprechung und Literatur als verfassungsgemäßen Verlustgrund für die Staatsangehörigkeit jede gewollte oder willentliche Abwendung vom deutschen Staatsverband angesehen (vgl. Seifert , Karl-Heinz, Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden, in: DÖV 1972, S. 671-674 (672); BVerwG 5 C 28.07, Urt. v. 10.4.2008, http://www.bverwg.de/entscheidungen/pdf/100408U5C28.07.0.pdf; BVerfG, NVwZ 2007, S. 441). 19 § 17 Abs. 1 StAG lautet: Die Staatsangehörigkeit geht verloren … 1. durch Entlassung 2. durch den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit 3. durch Verzicht 4. durch Annahme als Kind durch einen Ausländer 5. durch Eintritt in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausl. Staates. 20 Explanatory Report, http://conventions.coe.int/Treaty/en/Reports/Html/166.htm. Wissenschaftliche Dienste Seite 9Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 3.2.3. Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit Artikel 8 dieses Übereinkommens lautet: (1) Ein Vertragsstaat darf keiner Person seine Staatsangehörigkeit entziehen, wenn sie dadurch staatenlos wird. (3) Ungeachtet des Absatzes 1 kann sich jeder Vertragsstaat die Möglichkeit erhalten, einer Person die Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn er bei der Unterzeichnung, der Ratifikation oder dem Beitritt erklärt, dass er davon aus einem oder mehreren der folgenden Gründe, die sein innerstaatliches Recht zu diesem Zeitpunkt vorsieht, Gebrauch macht: a) wenn die Person im Widerspruch zu ihrer Treuepflicht gegenüber dem Vertragsstaat (…) ein den Lebensinteressen des Staates in schwerwiegender Weise abträglichen Verhalten an den Tag gelegt hat; b) wenn die Person einen Treueeid oder eine förmliche Treueerklärung gegenüber einem anderen Staat abgegeben oder in eindeutiger Weise ihre Entschlossenheit bekundet hat, dem Vertragsstaat die Treue aufzukündigen. (4) Jeder Vertragsstaat übt die ihm nach Absatz 3 eingeräumte Befugnis, einer Person seine Staatsangehörigkeit zu entziehen, nur in Übereinstimmung mit einer gesetzlichen Regelung aus, die dem Betreffenden das Recht auf umfassenden Rechtsschutz durch ein Gericht oder eine andere unabhängige Stelle gewährt. Das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit konzipiert den Tatbestand des „abträglichen Verhaltens“ – anders als das EuStAÜ – nicht als Verlusttatbestand, sondern als Entziehungstatbestand , der nach dem Willen des Übereinkommens möglichst restriktiv praktiziert werden soll. Dementsprechend reicht eine einfachgesetzliche Normierung im innerstaatlichen Recht – wie bei den gewohnheitsrechtlich anerkannten Verlusttatbeständen – nicht aus, sondern das Übereinkommen errichtet höhere Hürden: Um eine Ausbürgerung aufgrund „abträglichen Verhaltens“ vornehmen zu dürfen, müssen die Vertragsstaaten bei der Ratifikation des Vertrages eine entsprechende Erklärung abgeben haben. Wissenschaftliche Dienste Seite 10Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 Von den derzeit 64 Vertragsstaaten des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit haben bislang nur fünf Staaten eine solche Erklärung nach Art. 8 Abs. 3 des Übereinkommens abgegeben.21 Deutschland hat eine solche Erklärung nicht abgegeben. Vielmehr hat Deutschland insbesondere gegen die tunesische Erklärung22 sogar explizit Einspruch erhoben,23 weil es solche Vorbehalte mit Ziel und Zweck des Vertrages für unvereinbar hält. Überdies ermöglicht das Übereinkommen zur Verringerung der Staatenlosigkeit die Ausbürgerung aufgrund „abträglichen Fehlverhaltens“ nur unter der Maßgabe einer gesetzlichen Regelung, die dem Betreffenden das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz einräumt. 4. Zur Völkerrechtskonformität des BMI-Vorschlags zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Der völkerrechtliche Schutz vor Ausbürgerung bleibt hinter dem Schutzstandard des Art. 16 des deutschen Grundgesetzes zurück. Insbesondere die in den beiden einschlägigen völkerrechtlichen Übereinkommen niedergelegten Tatbestände gewähren den Staaten völkerrechtlich mehr Spielräume bei der Ausbürgerung als das geltende deutsche Staatsangehörigkeitsrecht. Dies gilt insbesondere für Doppelstaatler, da die einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen in erster Linie auf die Vermeidung von Staatenlosigkeit abzielen. 21 Dies sind: Neuseeland, Großbritannien, Österreich, Brasilien und Tunesien. Vorbehalte und Erklärungen zu dem Übereinkommen sind abrufbar auf der Webseite der Vereinten Nationen unter https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=V-4&chapter=5&lang=en, in deutscher Übersetzung unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005395. 22 Die tunesische Erklärung lautet wie folgt: „Tunesien behält sich das Recht vor, unter Voraussetzungen, wie sie im bestehenden innerstaatlichen Recht vorgesehen sind, einer Person die tunesische Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn diese zum Vorteil eines fremden Staates Handlungen setzt, die mit ihrer Stellung als tunesischer Staatsangehöriger unvereinbar und den Interessen Tunesiens abträglich sind. 23 Solche Einsprüche erfolgen nach Maßgabe von Art. 20 Abs. 4 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK). Der Einspruch Deutschlands vom 15.5.2001 lautet: "The Government of the Federal Republic of Germany holds the view that such a declaration seeks to limit the duty of a state not to deprive a person of its nationality if such deprivation would render him stateless in an extent which is not covered by the exceptions of Article 8 paragraph 3 of the Convention. The declaration therefore restricts one of the essential duties of the Convention in a way contrary to the essence of the Convention. It is hence incompatible with the object and purpose of the Convention. The Government of the Federal Republic of Germany therefore objects to the declaration made by the Government of the Republic of Tunisia in respect of Article 8 of the Convention on the Reduction of Statelessness." Wissenschaftliche Dienste Seite 11Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 Die in dem BMI-Bericht vom 20. Mai 2015 ins Auge gefassten Möglichkeiten zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts insbesondere durch Aufnahme einer Regelung, welche Ausbürgerungen von Doppelstaatlern aufgrund eines staatsschädigenden Fehlverhaltens bzw. einer „Abkehr von der Werteordnung des Grundgesetzes“ ermöglichen soll, ist gleichwohl kritisch zu betrachten . Zwar verstößt eine solche Regelung nicht gegen das völkerrechtliche Willkür- und Diskriminierungsverbot bei Zwangsausbürgerungen (s.o. 3.1). Gleichwohl bewegt sich die gesetzliche Einführung eines neuen, wertungsabhängigen (und generalklauselartigen ) Verlusttatbestandes – im Gegensatz zu den traditionellen gewohnheitsrechtlich anerkannten Tatbeständen – auf juristisch „dünnem Eis“. Formal gesehen verbieten zwar weder das EuStAÜ noch das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit die Einführung solcher Tatbestände. Auch über die fehlende Erklärung Deutschlands nach Art. 8 Abs. 3 des Übereinkommens (s.o. 3.2.3) wird man noch hinwegkommen , wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass Art. 8 des Übereinkommens bei der Ausbürgerung von Doppelstaatlern formal keine Anwendung findet, da diesen dann keine Staatenlosigkeit droht (vgl. Art. 8 Abs. 1 des Übereinkommens). Doch geht die ratio des Übereinkommens über die Verhinderung von Staatenlosigkeit hinaus. Die in Art. 8 Abs. 3 vorgesehenen formalen Hürden spiegeln die „Skepsis“ der vertragsschließenden Staaten gegenüber solchen wertungsabhängigen Verlusttatbeständen wider und erschweren deren gewohnheitsrechtliche Verfestigung. Deutschland selbst hat solche weiten Tatbestände in seinem Einspruch gegen die tunesische Erklärung zu Art. 8 des Übereinkommens nicht von ungefähr als mit dem Ziel und Zweck des Vertrages unvereinbar angesehen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Der Tatbestand des „abträglichen Fehlverhaltens“ (bzw. „Abkehr von der Werteordnung“) bedarf einer hinreichend hohen Konkretisierung,24 um (behördlichem ) Missbrauch vorzubeugen.25 Insbesondere ist dabei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Völkerrechts wegen zu beachten, um eine Ausbürgerung aufgrund „Fehlverhaltens “ nicht als willkürlich erscheinen zu lassen. Allein die Verurteilung wegen schwerer (einschlägiger ) Straftaten wird in diesem Zusammenhang als konkretisierender Anknüpfungspunkt ebenso wenig ausreichen,26 wie die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei. 24 Von einem „hinreichend hohen“ Konkretisierungserfordernis geht auch der BMI-Bericht v. 20.5.2015, S. 6 aus. 25 Man denke an Ausbürgerungen von „Extremisten“ aller Art, z.B. Teilnehmer einer PEGIDA-Demonstration. 26 So jedenfalls der erläuternde Bericht zu Art. 7 d) EuStAÜ; anders wohl im Ergebnis Maaßen, Staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen der Terrorismusbekämpfung, in: ZAR 2011, S. 336 ff. (341). Wissenschaftliche Dienste Seite 12Sachstand WD 2 – 3000 – 138/15 Zu überlegen ist außerdem, ob die – grundrechtlich aber auch völkerrechtlich gebotene (Argument : Vermeidung von Staatenlosigkeit) – Begrenzung einer Neuregelung des StAG auf Doppelstaatler und die daraus resultierende Privilegierung von deutschen IS-Kämpfern ohne Doppelstaatsangehörigkeit im Kontext einer effektiven Terrorismusbekämpfung politisch nicht das falsche Signal setzt. Denn nur die ausschließliche deutsche Staatsangehörigkeit ermöglicht die Rückkehr nach Deutschland – und könnte ein Anreiz sein, eine doppelte Staatsangehörigkeit im Vorfeld abzulegen. Ende der Bearbeitung