© 2015 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 138/14 Zur völkerrechtlichen Bewertung von Drohnen, Geheimgefängnissen und Guantánamo Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 138/14 Seite 2 Zur völkerrechtlichen Bewertung von Drohnen, Geheimgefängnissen und Guantanamo Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 138/14 Abschluss der Arbeit: 24. September 2014 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 138/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Drohneneinsätze in Pakistan 4 2. Zur Einhaltung des Folterverbots in Geheimgefängnissen 6 3. Guantánamo 7 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 138/14 Seite 4 1. Drohneneinsätze in Pakistan Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass „die Frage der Übereinstimmung militärischer Handlungen mit dem Völkerrecht […] nicht allgemein beantwortet werden [kann], sondern immer nur in Bezug auf den konkreten Einzelfall. Eine rechtliche Bewertung setzt genaue Kenntnisse des Einzelfalls voraus. Die Bundesregierung sieht sich daher nicht in der Lage, zu beurteilen , ob Einsätze bewaffneter UAS stets legitimiert waren.“1 Auf eine Anfrage des Europäischen Parlaments hin führt die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin im Namen der EU-Kommission aus: „Die Thematik der gezielten Tötung mutmaßlicher Terroristen in einem bewaffneten Konflikt ist komplex. Es müssen die genauen Umstände jedes einzelnen Falls berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang enthält das Kriegsvölkerrecht spezifische Voraussetzungen für die Anwendung von Gewalt; dabei gelten unter anderem die Grundsätze der Notwendigkeit, der Verhältnismäßigkeit sowie der Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen. Die EU hat außergerichtliche Hinrichtungen stets abgelehnt. Solche Hinrichtungen stehen nicht nur im Widerspruch zum humanitären Völkerrecht, sondern untergraben auch das Konzept der Rechtsstaatlichkeit, das ein Schlüsselelement im Kampf gegen den Terrorismus ist. Dies gilt unabhängig von den eingesetzten Mitteln. Die EU und ihre Mitgliedstaaten führen mit den USA regelmäßige Gespräche über die rechtlichen Aspekte der Bekämpfung des internationalen Terrorismus.“2 Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen (VN) für Menschenrechte und Terrorabwehr kommt zu folgender Schlussfolgerung: „The position of the Government of Pakistan is quite clear. It does not consent to the use of drones by the United States on its territory and it considers this to be a violation of Pakistan's sovereignty and territorial integrity. As a matter of international law the US drone campaign in Pakistan is therefore being conducted without the consent of the elected representatives of the people, or the legitimate Government of the State. It involves the use of force on the territory of another State without its consent and is therefore a violation of Pakistan's sovereignty. Pakistan has also been quite clear that it considers the drone campaign to be counter-productive and to be radicalising a whole new generation, and thereby perpetuating the problem of terrorism in the region. Pakistan has called on the US to cease its campaign immediately. In a direct challenge to the suggested legal justification for 1 BT-Drucksache 17/13655 vom 29.05.2013, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/136/1713655.pdf (letzter Zugriff 22.09.2014), S.4. 2 Europäisches Parlament, ABl. C 330 E vom 14/11/2013, http://www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers .do?reference=E-2012-010559&language=DE (letzter Zugriff 22.09.2014). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 138/14 Seite 5 these strikes, the Government of Pakistan has also made it quite clear during these discussions that any suggestion that it is "unwilling or unable" to combat terrorism on its own territory is […] wrong. “3 In einem Bericht über eine Podiumsdiskussion des Menschenrechtsrates der VN vom September 2014 äußern sich die Mitglieder des Panels sowie die Sprecher der im Menschenrechtsrat vertretenen Staaten zu den durch humanitäres Völkerrecht und Menschrechte definierten Grenzen der Legalität von Drohneneinsätzen.4 Wolfgang S. Heinz kommt in einem für das Deutsche Institut für Menschenrechte angefertigten Positionspapier zu dem Ergebnis, dass die gezielte Tötung von Terrorismusverdächtigen außerhalb des eigenen Staatsgebietes aus menschenrechtlicher Perspektive hochproblematisch sei; insbesondere das Fehlen rechtlicher Überprüfungs-/Kontrollmöglichkeiten sei menschenrechtswidrig .5 Amnesty International bezweifelt die Völkerrechtskonformität der Drohneneinsätze in Pakistan im Hinblick auf Art. 6 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte;6 der Drohneneinsatz sei eine außergerichtliche Hinrichtung; er verletzte grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts; eine etwaige Einwilligung der pakistanischen Regierung mache diese mitschuldig , könne aber die Tötungen nicht rechtfertigen.7 In der US-amerikanischen Völkerrechtslehre werden divergierende Positionen vertreten: Kenneth Anderson beurteilt die Drohneneinsätze in Pakistan als völkerrechtskonform: Ihre Zielgenauigkeit sei ein bedeutender humanitärer Fortschritt, sie richteten sich gegen Kombattanten in einem bewaffneten Konflikt und/oder seien legitime Selbstverteidigung, weder eine Vorwarnung noch eine Festnahme anstelle der Tötung sei rechtlich geboten.8 Mary O’Connell hält die Drohneneinsätze in Pakistan für völkerrechtswidrig: Tötungen außerhalb unmittelbarer Kampfhandlungen 3 OHCHR, Statement of the Special Rapporteur following meetings in Pakistan, 14 March 2013, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=13146&LangID=E (letzter Zugriff 23.09.2014). 4 OHCHR, Human Rights Council holds panel on remotely piloted aircraft or armed drones in counterterrorism and military operations, 22 September 2014, http://www.ohchr.org/RU/NewsEvents/Pages/Display News.aspx?NewsID=15080&LangID=E (letzter Zugriff 23.09.2014). 5 Wolfgang S. Heinz, Wann hat der Staat das Recht zu töten? Gezielte Tötungen und der Schutz der Menschenrechte , März 2014, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/Policy_Paper _23_Wann_hat_der_Staat_das_Recht_zu_toeten_01.pdf (letzter Zugriff 22.09.2014). 6 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, http://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages /CCPR.aspx (letzter Zugriff 22.09.2014), dessen Art. 6 Abs 1 Satz 2 besagt, dass niemand willkürlich seines Lebens beraubt werden darf. 7 Amnesty International, “Will I be Next?” – US Drone Strikes in Pakistan, October 2013, http://www.amnestyusa .org/sites/default/files/asa330132013en.pdf (letzter Zugriff 22.09.2014), insbesondere S. 43 ff. und 56 ff. 8 Kenneth Anderson, Are Drone Strikes in Pakistan Legal?, CQ Researcher August 2010, http://kroc.nd.edu/sites /default/files/oconnell_cq_researcher.pdf (letzter Zugriff 22.09.2014). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 138/14 Seite 6 seien nur in wenigen, extremen Ausnahmefällen zulässig, deren Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben seien; auch die Voraussetzungen des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht seien nicht erfüllt; ferner sei die CIA für Tötungen im Rahmen von Kampfhandlungen nicht zuständig ; die Zustimmung nationaler Regierungen sei unbeachtlich.9 2. Zur Einhaltung des Folterverbots in Geheimgefängnissen Die Bundesregierung äußert sich zur Umsetzung des Folterverbotes in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage. Diese wurde unter anderem vor dem Hintergrund gestellt, dass zuvor Vorwürfe gegen US-amerikanische Regierungsstellen erhoben wurden. Die Bundesregierung führt aus: „Die Bundesregierung bekennt sich zum absoluten Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Sie verurteilt alle Arten von Folter scharf. Das Folterverbot besitzt Verfassungsrang und gilt uneingeschränkt und unabhängig davon, ob die Tat im In- oder Ausland begangen wird.“10 Im Rahmen der VN beschäftigt sich der VN-Ausschuss gegen Folter mit Behauptungen, die CIA-Gefängnisse in Polen betreffen. Die Diskussion der erhobenen Vorwürfe vor dem Ausschuss ist noch nicht abgeschlossen.11 Der Europarat veröffentlicht auf seiner Webseite Kommentare zu den juristischen Herausforderungen , dem Problem der Straflosigkeit und der politischen und rechtlichen Verantwortlichkeit für die Ereignisse in Geheimgefängnissen der CIA in Mazedonien, Litauen , Polen und Rumänien, bzw. in Anwesenheit von Amtsträgern aus den genannten 9 Mary Ellen O’Connell, Are Drone Strikes in Pakistan Legal?, CQ Researcher August 2010, http://kroc.nd.edu/sites /default/files/oconnell_cq_researcher.pdf (letzter Zugriff 22.09.2014). 10 BT-Drucksache 17/2997 vom 21.09.2010, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/029/1702997.pdf (letzter Zugriff 22.09.2014), S. 2. 11 OHCHR, Committee against Torture considers report of Poland, 31 October 2013, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=13929&LangID=E (letzter Zugriff 23.09.2014) mit Verweis auf CAT/C/POL/5-6, Consideration of reports submitted by States parties under article 19 of the Convention , http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno =CAT/C/POL/5-6&Lang=en (letzter Zugriff 23.09.2014). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 138/14 Seite 7 Ländern.12 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in diesem Bereich bereits erste Urteile gefällt, weitere Verfahren sind noch anhängig.13 Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat sich des Themas angenommen.14 2007 nahm das Europäische Parlament einen Bericht zur „Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen“; dieser würdigt u.a. die Kooperation von EU-Mitgliedstaaten im Lichte ihrer menschenrechtlichen und EU-rechtlichen Verpflichtiungen.15 3. Guantánamo Zu dem Gefangenenlager in Guantánamo äußert die Bundesregierung sich wie folgt: „Die Herausforderungen durch den Terrorismus können nur in Einklang mit dem Völkerrecht, insbesondere dem humanitären Völkerrecht und unter Achtung der Menschenrechte erfolgreich bewältigt werden. Die Bundesregierung hat auch den Willen der US-Administration unter Präsident Barack Obama, das Gefangenenlager Guantánamo so bald wie möglich zu schließen, von Anfang an begrüßt und die Administration durch die Aufnahme von zwei ehemaligen Guantánamo-Häftlingen im Jahr 2010 unterstützt. […] Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat bereits am 9. Januar 2006 öffentlich erklärt , dass eine Institution wie Guantánamo so nicht auf Dauer existieren dürfe und dass Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den Gefangenen gefunden werden müssen. Dies ist noch immer die Haltung der Bundesregierung. Daher hat die Bundesregierung den Willen der US-Administration unter US-Präsident Barack Obama, das Gefangenenlager Guantánamo so bald wie möglich zu schließen , von Anfang an begrüßt und sie durch die Aufnahme von zwei ehemaligen 12 Nils Muižnieks, Time for accountability in CIA torture cases, 11. September 2013 http://www.coe.int/en/web/commissioner/-/time-for-accountability-in-cia-torture-cas-1 (letzter Zugriff 23.09.2014). 13 ECHR, Fact sheet: Secret detention sites, July 2014, http://www.echr.coe.int/Documents/FS_Secret_detention _ENG.PDF (letzter Zugriff 23.09.2014), mit Verweis auf die einzelnen Verfahren. 14 Parliamentary Assembly, The Council of Europe’s investigation into illegal transfers and secret detentions in Europe: a chronology, http://assembly.coe.int/ASP/APFeaturesManager/defaultArtSiteView.asp?ID=362 (letzter Zugriff 23.09.2014), mit Verweis auf weitere einschlägige Dokumente der Parlamentarischen Versammlung. 15 Europäisches Parlament, A6-0020/2007, 30.01.2007, Bericht über die behauptete Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen, (2006/2200(INI)), Nichtständiger Ausschuss zur behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen, Berichterstatter: Giovanni Claudio Fava, http://www.europarl.europa .eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+REPORT+A6-2007-0020+0+DOC+PDF+V0//DE&language =DE (letzter Zugriff 23.09.2014). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 138/14 Seite 8 Guantánamo-Häftlingen im Jahr 2010 unterstützt. Der Bundesminister des Auswärtigen , Dr. Guido Westerwelle, hat diese Entscheidung als notwendig bezeichnet .“16 Die VN-Hochkommissarin für Menschenrechte bewertet das Gefangenenlager in Guantánamo als einen Ort, an dem schwere Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Folter , begangen wurden.17 Der VN-Sonderberichterstatter über Folter geht davon aus, dass auf Guantánamo Formen übler, unangemessener Behandlung stattfinden, die das Ausmaß von Folter erreichen können.18 Im Rahmen des Europarates ist auf eine Resolution der Parlamentarischen Versammlung zu verweisen, die die Rechtmäßigkeit der Haftbedingungen in dem Gefangenenlager in Guantánamo infrage stellt19 Das Deutsche Institut für Menschenrechte gibt Literaturhinweise, die zu einer aus menschenrechtlicher Sicht kritischen Beurteilung des Gefangenenlagers auf Guantánamo führen .20 In der wissenschaftlichen Literatur überwiegen kritische rechtliche Beurteilungen des Gefangenenlagers in Guantánamo.21 16 BT-Drucksache 17/4794 vom 14.02.2011, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/047/1704794.pdf (letzter Zugriff 22.09.2014), S. 3 und 7. 17 OHCHR, Pillay deeply disturbed by US failure to close Guantanamo prison, 23 January 2012, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=11772&LangID=E (letzter Zugriff 23.09.2014). 18 OHCHR, Statement of the United Nations Special Rapporteur on torture at the Expert Meeting on the situation of detainees held at the U.S. Naval Base at Guantanamo Bay, Inter-American Commission on Human Rights, Washington DC, 3 October 2013, http://www.ohchr.org/en/NewsEvents/Pages/Display News.aspx?NewsID=13859&LangID=E (letzter Zugriff 23.09.2014). 19 Parliamentary Assembly, Resolution 1433 (2005), awfulness of detentions by the United States in Guantánamo Bay , 26 April 2005, http://www.assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/Adopted Text/ta05/ERES1433.htm (letzter Zugriff 23.09.2014). 20 Deutsches Institut für Menschenrechte, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik nach dem 11. September 2001, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/sicherheit/terrorismusbekaempfung/11-september- 2001.html#c8251 (letzter Zugriff 23.09.2014). 21 Siehe statt vieler Belinda Cooper, Die Ära Guantánamo – Wie die US-Regierung Freiheitsrechte auf dem Altar der Sicherheit opfert, in: Internationale Politik 1, Januar 2008, S. 66 ff., https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-diezeitschrift /archiv/jahrgang-2008/januar/die-%C3%A4ra-guant%C3%A1namo (letzter Zugriff 23.09.2014).