© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 136/19 99 Zur Geltung und Wirkung völkerrechtlicher Verträge in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Menschenrechtliche Verträge, die im Rahmen des Europarats vereinbart wurden 6 3.3. Verträge im Rahmen der Europäischen Union 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 136/19 Seite 4 1. Geltung, Rangverhältnis und Bindungswirkung völkerrechtlicher Verträge in Deutschland Vor dem Hintergrund der Anwendung von Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Haager Übereinkommen)1 sowie des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention)2 in der deutschen Rechtsprechung fragt der Auftraggeber nach Geltung, Rangverhältnis und Bindungswirkung völkerrechtlicher Verträge in Deutschland . 2. Völkerrechtliche Rahmenvorgaben Grundsätzlich kommt es für die innerstaatliche Geltung und Wirkung einer völkerrechtlichen zwischenstaatlichen Vereinbarung nicht auf deren Bezeichnung an: Entsprechende Vereinbarungen können z.B. als Abkommen, Übereinkommen, Konventionen oder eben auch Verträge bezeichnet werden, ohne dass dies Einfluss auf ihre innerstaatliche Geltung und Wirkung bzw. auf ihr Rangverhältnis untereinander hätte.3 Der Rang eines völkerrechtlichen Vertrages innerhalb einer nationalen Rechtsordnung wird von dieser selbst bestimmt, in der Regel durch eine Rechtsnorm in der Verfassung des jeweiligen Staates. Auch die innerstaatlichen Voraussetzungen einer Ratifikation (wie z.B. das Erfordernis der Parlamentsbeteiligung) sind aus völkerrechtlicher Sicht innere Angelegenheiten, also Gegenstand nationaler – meist verfassungsrechtlicher – Regelungen.4 Von großer rechtspraktischer Bedeutung für die Achtung und effektive Umsetzung völkerrechtlicher Verträge sind oft die vertragsimmanenten Durchsetzungsregime.5 Formell ist dies zwar 1 Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980, BGBl. 1990 II S. 206, https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fges%2Fsorgeruebka %2Fcont%2Fsorgeruebka.htm&anchor=Y-100-G-SORGERUEBKA. 2 Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, BGBl. 2017 II S. 1026, https://www.bmfsfj.de/blob/122280/cea0b6854c9a024c3b357dfb401f8e05/gesetz-zu-dem-uebereinkommen-zurbekaempfung -von-gewalt-gegen-frauen-istanbul-konvention-data.pdf. 3 Siehe statt vieler Kirsten Schmalenbach, Kommentierung zu Art. 2 WVK Rz. 2 - 36, in: Oliver Dörr/Kirsten Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, Commentary, Berlin/Heidelberg 2012. Zu Abschluss und Wirkungen völkerrechtlicher Verträge siehe im Einzelnen Malgosia Fitzmaurice, Treaties, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedias of International Law, https://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1481?rskey=ngdXMq&result =1&prd=MPIL. 4 Vgl. hierzu Frank Hoffmeister, Kommentierung zu Art. 14 WVK Rz. 9 ff. in Oliver Dörr/Kirsten Schmalenbach, a.a.O. 5 Vgl. hierzu Eckart Klein, Self-Contained Regimes, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedias of International Law, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1467?rskey=BQyaX8&result=1&prd=MPIL. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 136/19 Seite 5 keine Frage der rechtlichen Bindungswirkung, doch kann es in der Praxis einen bedeutenden Unterschied machen, ob der jeweilige völkerrechtliche Vertrag etwa eine gerichtliche Zuständigkeit für Streitfälle oder die Ahndung von Vertragsverstößen ausdrücklich vorsieht. 3. Verfassungsrechtliche Rahmenvorgaben in Deutschland In Deutschland bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes (GG)6 der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Das entsprechende Bundesgesetz, das in der rechtswissenschaftlichen Literatur und Rechtsprechung oft auch als Vertragsgesetz oder Zustimmungsgesetz bezeichnet wird, verleiht dem Inhalt des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrages auf innerstaatlicher Ebene Geltung. Aus der Rechtsnatur des Vertragsgesetzes als formelles Bundesgesetz folgt in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, dass die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an den Inhalt des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrages – wie an jedes andere formelle Gesetz – gebunden sind.7 3.1. Verträge, die allgemeine Regeln des Völkerrechts kodifizieren Im Hinblick auf die beschriebene Geltung und Wirkung ratifizierter völkerrechtlicher Verträge in Deutschland sind einige inhaltliche Differenzierungen angezeigt: So gilt die beschriebene Rechtswirkung zunächst nur für schlichtes Vertragsrecht, das erst durch den jeweiligen (bilateralen oder multilateralen) völkerrechtlichen Vertrag zustande gekommen ist. Anders ist der Rang innerhalb der deutschen Rechtsordnung, wenn es sich im Einzelfall um eine völkerrechtliche Vertragsbestimmung handelt, die eine allgemeine Regel des Völkerrechts kodifiziert. Denn in diesem Fall unterfällt die völkerrechtliche Vertragsbestimmung zugleich Art. 25 GG, der einen Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor den Gesetzen vorsieht. 6 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html. 7 Siehe im Einzelnen hierzu mit zahlreichen Verweisen auf die Rechtsprechung des BVergfG sowie weitere Literatur : Hans D. Jarass, in: ders./Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 13. Auflage 2014, Kommentierung zu Art. 59. Ausführlich zum Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland siehe Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 10. Auflage, Tübingen 2014, S. 244 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 136/19 Seite 6 Wird also zum Beispiel in einem völkerrechtlichen Vertrag das Verbot der Auslieferung in ein Land, in dem Folter droht (sog. Refoulement-Verbot), vereinbart,8 so geht dieses Verbot den deutschen Bundesgesetzen einschließlich etwaiger zu einem späteren Zeitpunkt erlassener Gesetze vor, weil es eine allgemeine Regel des Völkerrechts i.S.v. Art. 25 GG darstellt.9 Hinsichtlich der beiden vom Auftraggeber genannten Verträge (Haager Übereinkommen und Istanbul Konvention) ist nicht ersichtlich, dass diese in ihren operativen Bestimmungen allgemeine Regeln des Völkerrechts enthielten. Dies ließe sich allenfalls in Bezug auf allgemein-abstrakte Rechtsgedanken begründen, die den Verträgen zugrunde liegen (z.B. der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter oder der Grundsatz, dass staatliche Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Kindeswohl berücksichtigen sollen). Im Übrigen dürfte es sich bei den beiden genannten Verträgen um schlichtes Völkervertragsrecht handeln. 3.2. Menschenrechtliche Verträge, die im Rahmen des Europarats vereinbart wurden Rein formell betrachtet, unterfallen dem Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG auch menschenrechtliche Verträge , die im Rahmen des Europarats vereinbart wurden, also insbesondere die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und ihre Zusatzprotokolle (EMRK).10 Diese haben also den förmlichen Rang eines Bundesgesetzes.11 Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht jedoch auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 2 GG eine verfassungsrechtliche Pflicht, bei der Auslegung der Grundrechte die EMRK heranzuziehen, sofern diese den Schutzbereich der Grundrechte nicht beschränkt.12 Danach stehen die Menschenrechte der EMRK materiell-rechtlich im Ergebnis über einfachen Bundesgesetzen. Soweit ersichtlich, hat das Bundesverfassungsgericht diesen besonderen Rang nur im Hinblick auf die EMRK selbst festgestellt. Ein entsprechender Rang der ebenfalls im Rahmen des Europarats vereinbarten Istanbul Konvention kann daher nicht unterstellt werden. Somit behalten die Ausführungen unter 3.1. zum Rang der Istanbul Konvention ihre Gültigkeit. 3.3. Verträge im Rahmen der Europäischen Union Weitere Besonderheiten gelten für völkerrechtliche Verträge Deutschlands, die im Rahmen der Europäischen Union (EU) vereinbart wurden, und zwar sowohl im Hinblick auf die vertraglichen 8 Siehe Art. 3 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (BGBl. 1990 II S. 246), https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=//*%5B@attr_id=%27bgbl290s0246.pdf%27%5D#__bgbl__%2F %2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl290s0246.pdf%27%5D__1575016233146. 9 Siehe zu diesem und weiteren Beispielen für allgemeine Regeln des Völkerrechts: Hans D. Jarass, a.a.O. (Fn. 7), Kommentierung zu Art. 25 GG Rz. 10 (mit weiteren Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung des BVerfG). 10 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. 1952 II S. 685, https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl252s0685.pdf%27% 5D__1575024525320. 11 Siehe Hans D. Jarass, a.a.O. (Fn. 7), Kommentierung zu Art. 59 GG Rz. 19. 12 Siehe Hans D. Jarass, a.a.O. (Fn. 7), Kommentierung zu Art. 1 GG Rz. 29 mit Rechtsprechungsnachweisen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 136/19 Seite 7 Grundlagen und vergleichbaren Regelungen der EU13 als auch bezüglich völkerrechtlicher Verträge , bei denen neben Drittstaaten sowohl die einzelnen EU-Mitgliedstaaten als auch die EU selbst Vertragspartner sind (sog. gemischte Abkommen)14. Für die vom Auftraggeber genannten Verträge (Haager Übereinkommen und Istanbul Konvention) sind die in diesem Zusammenhang relevanten Besonderheiten nicht einschlägig, weshalb an dieser Stelle auf eine vertiefende Darstellung verzichtet wird. *** 13 Siehe im Einzelnen Siehe Hans D. Jarass, a.a.O. (Fn. 7), Kommentierung zu Art. 23 GG. 14 Siehe einführend hierzu Eur-Lex, Internationale Übereinkünfte und die Außenkompetenzen der EU, https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=legissum:ai0034.