Der Pachtvertrag zwischen Kuba und den USA über Guantanamo - Ausarbeitung - Bearbeiter © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 - 135/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Bearbeiter Der Pachtvertrag zwischen Kuba und den USA über Guantanamo Ausarbeitung WD 2 - 135/06 Abschluss der Arbeit: 17.08.2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung und historischer Hintergrund 4 2. Die Pachtverträge von 1903 und 1934 sowie der Zusatzvertrag vom 2. Juli 1903 5 3. Die Einwände Kubas gegen die Wirksamkeit der Pachtverträge 6 4. Auffassungen im völkerrechtlichen Schrifttum 7 5. Völkerrechtliche Grundlagen 7 5.1. Das Wiener Abkommen über das Recht der Verträge (WÜV) 7 5.2. Grundsatz: Art. 26 WÜV Pacta sunt servanda („Verträge sind zu halten“) 8 5.3. Änderung völkerrechtlicher Verträge 8 5.4. Unwirksamkeit, Beendigung und Suspendierung völkerrechtlicher Verträge 9 6. Literaturangaben 11 7. Anlagen 11 - 4 - 1. Einleitung und historischer Hintergrund Seit über 100 Jahren dient Guantanamo, ein 117,6 Quadratkilometer großes Areal an der kubanischen Südküste, den Vereinigten Staaten von Amerika als Marinestützpunkt.1 Die US-Präsenz auf Kuba muss vor dem Hintergrund des kubanischen Unabhängigkeitskampfes und des spanisch-amerikanischen Krieges von 1898 gesehen werden. Seit 1868 führte Kuba einen Unabhängigkeitskampf gegen die spanische Kolonialmacht, der mit Unterbrechungen 30 Jahre andauerte.2 In diesem Konflikt verhielten sich die USA formell neutral, rechneten Kuba allerdings gemäß der Monroe-Doktrin von 1823 zur US-amerikanischen Interessensphäre. Auch nach Ausbruch des spanisch-amerikanischen Krieges vermieden die USA zunächst eine Anerkennung eines unabhängigen Kuba . Nach der Niederlage musste Spanien im Frieden von Paris jedoch alle Ansprüche auf die Insel aufgeben, die nun von amerikanischen Truppen besetzt wurde. Deren Anwesenheit beeinflusste die ab 1898 beginnenden Verhandlungen über Kubas zukünftigen Status erheblich: Während Kuba das größtmögliche Maß an Unabhängigkeit anstrebte , hatte sich die US-Regierung zwar gegen eine Annexion ausgesprochen, wollte jedoch die weitere Entwicklung der Insel mitbestimmen. Von zentraler Bedeutung für die amerikanische Haltung war insbesondere das – nach US-Senator Orville Platt benannte – Platt Amendment, das für die USA ein weitreichendes Interventionsrecht im Falle innerer Unruhen forderte und vom US-Congress im März 1901 als Gesetz verabschiedet wurde. Zugleich bildete dieses Gesetz auch die Grundlage für die Errichtung US-amerikanischer Flottenstützpunkte auf kubanischem Gebiet (Art VII).3 Am 12. Juni 1901 stimmte die kubanische Verfassungsversammlung schließlich mit einer Stimme Mehrheit einer Aufnahme des Amendments in die Verfassung zu, das zwei Jahre später darüber hinaus zum bedeutenden Bestandteil des „Treaty of Relations with Cuba“ wur- 1 Pyka, in: Pastouna, S. 127 f. 2 Auswärtiges Amt. Im Internet unter: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Kuba/Geschichte.html. 3 Art. VII des Platt Amendments bestimmt: To enable the United States to maintain the independence of Cuba, and to protect the people thereof, as well as for its own defense, the Cuban Government will sell or lease to the United States the lands necessary for coaling or naval stations, at certain specific points, to be agreed upon with the President of the United States. - 5 - de.4 1902 wurde Kuba in die Unabhängigkeit entlassen, dagegen verblieb Guantanamo unter amerikanischer Verwaltung.5 2. Die Pachtverträge von 1903 und 1934 sowie der Zusatzvertrag vom 2. Juli 1903 Infolge der Umsetzung des Platt-Amendments (vgl. Art. VII) wurde der Status Guantanamos am 16./23. Februar 1903 durch einen Leihvertrag zwischen Kuba und den USA völkerrechtlich festgelegt. Nach Art. 1 dieses Vertrages gewährte Kuba die Pacht „für die Zeit, die für die Zwecke einer Bunkerstation und Marinebasis erforderlich ist“. Ebenfalls in diesem Vertrag enthalten war die Verpachtung eines weiteren Hafens in Bahia Honda, der aber bereits ab 1912 nicht mehr von den USA genutzt wurde.6 Die Verpachtung von Gebieten ändert nichts an der Zugehörigkeit des Gebietes zum Staatsterritorium des Verpächters, unabhängig davon wie frei der Verpächter bei seiner Entscheidung war. Aus diesem Grund genießen die USA zwar die ausschließliche Gebietshoheit (tatsächliche Wahrnehmung der Staatsgewalt) über Guantanamo, die Souveränität (höchste, nach innen und außen unabhängige staatliche Herrschaftsmacht und Entscheidungsgewalt) Kubas über dieses Gebiet besteht jedoch unstreitig fort.7 Dieser Umstand ist auch inhaltlich in Art. III des Pachtvertrages von 1903 festgelegt: „Während die Vereinigten Staaten die Oberhoheit der Republik Kuba über die oben beschriebenen Land- und Wasserflächen anerkennen, gesteht die Republik Kuba zu, dass die Vereinigten Staaten während der gesamten Zeit der nach den Bestimmungen dieses Vertrages erfolgenden Besetzung der besagten Flächen die vollständige Jurisdiktion und Kontrolle über besagte Flächen und innerhalb dieses Gebietes ausüben“. Darüber hinaus wurde geregelt, dass das Gebiet „ausschließlich als Bunkerstation und Marinebasis zu nutzen“ ist (vgl. Art. II des Pachtvertrages). 4 Tams/Brown, S. 395 (397). 5 Pyka, in: Pastouna, S. 127 (128). 6 Göller, S. 2. 7 Heintschel von Heinegg, S. 34 f. Rn. 59 f. Auch der US-Supreme Court hat in seiner Entscheidung vom 28. Juni 2004 festgestellt, dass die letztendliche Souveränität bei Kuba verbleibe, selbst wenn die USA laut Pachtvertrag „exklusive Gerichtsbarkeit und Kontrolle“ über den Stützpunkt Guantanamo haben. - 6 - Der Zusatzvertrag vom 2. Juli 1903 legte den Pachtzins fest (2000 US-Dollar jährlich), schloss die kommerzielle Nutzung der Guantanamo Bay aus und verpflichtete die USA, kubanische Flüchtlinge an die kubanischen Behörden zu übergeben.8 Im Jahre 1934 kam es unter dem Einfluss des Good-Neighbor-Konzepts F. D. Roosevelts zu einer Änderung der US-amerikanischen Politik. In bewusster Abkehr vom bisherigen Interventionismus stimmten die USA am 29. Mai 1934 in einem neuen Vertrag der Streichung des Platt-Amendment zu und verzichteten endgültig auf den Flottenstützpunkt Bahia Honda.9 Der Status von Guantanamo Bay blieb davon jedoch unberührt .10 Vielmehr schrieb Art. III des neuen Pachtvertrages, der den Inhalt des Pachtvertrages von 1903 im Großen und Ganzen bestätigte, die amerikanischen Ansprüche auf den Stützpunkt auf unbefristete Zeit fest.11 Des Weiteren wurde der vertraglich vereinbarte Pachtzins von 2.000 auf 4.085 Dollar pro Jahr erhöht.12 3. Die Einwände Kubas gegen die Wirksamkeit der Pachtverträge Während die USA den Anspruch auf ein unbefristetes Pachtverhältnis mit den garantierten Rechten erheben, steht die kubanische Regierung seit der Revolution von 1958 auf dem Standpunkt, dass die Pachtverträge von 1903 und 1934 nach dem modernen Völkerrecht nichtig seien und Guantanamo „illegal und gegen den Willen des kubanischen Volkes besetzt gehalten werde“.13 Zudem verzichtet die kubanische Regierung seit 1960 darauf, den jährlich fälligen Pachtzins einzufordern.14 Die wiederholte Forderung15 nach 8 Tams/Brown, S. 395 (398). 9 Statement by the government of Cuba to the national and international public opinion v. 11. Januar 2002. Im Internet unter: http://www.cubaminrex.cu/CDH/60cdh/Guantanamo/English/Official%20Statements%20and%20Edito rials.htm#2. 10 De Zayas, S. 8. 11 “Until the two contracting parties agree to the modification of the agreement in regard to the lease to the United States of America of lands in Cuba for coaling and naval stations signed by the President of the Republic of Cuba on February 16th, 1903, and by the President of the United States of America on the 23rd day of the same month and year, the stipulations of that agreement with regard to the naval station of Guantanamo shall continue in effect.” 12 Schultz (2004a), S. 33. 13 Schultz (2004b), S. 23. 14 Siehe Art. 10 der kubanischen Verfassung von 1976; Tams/Brown, S. 395 (399). 15 Am 26. September 1960 forderte Fidel Castro erstmals vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen den Abzug der US-Truppen. - 7 - einem Abzug amerikanischer Truppen vom Flottenstützpunkt begründet Kuba mit dem Konzept des allgemeinen Vertragsrechts. Hierbei können insbesondere zwei Argumentationslinien unterschieden werden: Zum einen hat Kuba den Vereinigten Staaten vorgeworfen , weit über die vereinbarten Nutzungsrechte hinausgegangen zu sein und somit eine Vertragsverletzung herbeigeführt zu haben. Zum anderen hat es die Abkommen als „ungleiche Verträge“ bezeichnet, die die USA einseitig bevorzugten, Kuba jedoch keinerlei Vorteile böten, und daraus ein Recht auf Aufhebung abgeleitet.16 4. Auffassungen im völkerrechtlichen Schrifttum Zur Frage der Wirksamkeit der Pachtverträge von 1903 und 1934 werden in der völkerrechtlichen Fachliteratur unterschiedliche Auffassungen vertreten.17 Streitpunkte bilden dabei u.a. die Anwendung des modernen Völkerrechts auf die damalige Rechtslage, die Frage nach dem Vorliegen einer Vertragsverletzung bzw. die Erheblichkeit einer möglichen Vertragsverletzung durch die im Pachtvertrag nicht vorgesehene wirtschaftliche Nutzung des Stützpunktes. Als Lösungsvorschlag wird im Schrifttum auf die Möglichkeit der Einholung eines Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes (IGH) durch die Generalversammlung gemäß Art. 96 VN-Charta18 hingewiesen. Auch die Entscheidung durch ein Schiedsgerichts, dessen Jurisdiktion sich die betreffenden Staaten zuvor unterwerfen müssten, könnte zur Klärung der juristischen Fragen beitragen.19 5. Völkerrechtliche Grundlagen 5.1. Das Wiener Abkommen über das Recht der Verträge (WÜV) Ein völkerrechtlicher Vertrag ist jede zwischen zwei oder mehreren Staaten bzw. anderen vertragsfähigen Völkerrechtssubjekten getroffene Vereinbarung, die dem Völkerrecht unterliegt. Das Recht der Verträge im Sinne von Regeln, die deren Zustandekommen , Anwendung, Beendigung, Ungültigkeit u.ä. bestimmen, ist im Wiener Überein- 16 Tams/Brown, S. 395 (400). 17 Vgl. dazu: Tams/Brown, S. 395 (400 ff.); De Zayas, S. 10 ff.; Göller, S. 1 ff. 18 Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (BGBl. 1973 II, S. 431). 19 De Zayas, S.14 f. - 8 - kommen über das Recht der Verträge von 1969 (WÜV)20 weitestgehend kodifiziert. Dieses Abkommen findet allerdings nicht auf alle Verträge Anwendung. In den Geltungsbereich fallen nur Abkommen zwischen den (Vertrags-) Staaten (vgl. Art. 1 WÜV), die in Schriftform geschlossen wurden (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a WÜV). Die Unanwendbarkeit des WÜV auf einen Vertrag ist auf dessen Geltung jedoch ohne Einfluss .21 Das WÜV gibt überwiegend bereits gewohnheitsrechtlich geltende Vorschriften wieder.22 Fällt ein völkerrechtlicher Vertrag also nicht in den Geltungsbereich des WÜV (z.B. aufgrund fehlender Ratifikation eines Staates) wird auf ihn die Gewohnheitsrechtsregel angewendet, deren Inhalt regelmäßig dem Inhalt einer entsprechenden Norm des WÜV entsprechen wird. 23 Vor allem der IGH schätzt das WÜV als Kodifikation von Gewohnheitsrecht in vielerlei Hinsicht ein.24 Absolute Sicherheit über den gewohnheitsrechtlichen Status der einzelnen Normen gibt es jedoch bisher nicht.25 5.2. Grundsatz: Art. 26 WÜV Pacta sunt servanda („Verträge sind zu halten“) Grundsätzlich bindet ein in Kraft getretener Vertrag die Parteien endgültig. Sie dürfen sich nicht nur nicht mehr vom Vertrag lösen, sondern haben ihre Vertragspflichten auch positiv zu erfüllen (vgl. Art. 26 WÜV; pacta sunt servanda). Sofern ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht vertraglich vereinbart wurde, ist eine Lösung vom Abkommen unter den jeweiligen Bedingungen zulässig.26 5.3. Änderung völkerrechtlicher Verträge Die Änderung völkerrechtlicher Verträge erfolgt durch völkerrechtlichen Vertrag (Art. 39 ff. WÜV). Kein Staat ist verpflichtet, den Änderungen zuzustimmen (Art. 40 Abs. 4 WÜV). Wird ein älterer Vertrag durch einen neuen abgelöst, gelten im Verhältnis dieser 20 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23. März 1969 (BGBl. 1985 II, S. 926). 21 Heintschel von Heinegg, S. 71 Rn 118. 22 Graf Vitzthum, S. 63 Rn. 114. 23 Czarnecki/Lenski, S. 46 f. 24 IGH, Gabcikovo-Fall, Ziff. 46 m.w.N. 25 Czarnecki/Lenski, S. 47. Bspw. zählen die Bestimmungen über Vorbehalte nach der h.M. nicht zum Völkergewohnheitsrecht. 26 Graf Vitzthum, S. 65 Rn. 118 sowie Fn. 281. - 9 - Verträge zueinander der Vorrang der späteren und der der spezielleren Normen. Dies trifft allerdings nur dann zu, wenn zwei Vertragsparteien durch den alten wie durch den neuen Vertrag und zudem im gleichen Umfang gebunden sind (vgl. Art. 59, 30 Abs. 3 WÜV). 5.4. Unwirksamkeit, Beendigung und Suspendierung völkerrechtlicher Verträge Die Gründe für die Unwirksamkeit, die Beendigung und Suspendierung völkerrechtlicher Verträge sind in dem WÜV detailliert geregelt (vgl. Art. 42-64 WÜV). Ohne weiteres nichtig sind Verträge, die im Widerspruch zu ius cogens, d.h. zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts27 stehen (Art. 53 WÜV). Entsteht nach dem Inkrafttreten des Vertrages neues ius cogens, wird jeder zu einer solchen Norm im Widerspruch stehende Vertrag nichtig (Art. 64 WÜV). Anfechtbar sind Verträge bei Mängeln des Willens (Irrtum, Betrug, Bestechung, Zwang gegen Staatenvertreter, Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen einen Staat, vgl. Art. 48-52 WÜV) oder der Zuständigkeit (offenkundige Verletzung grundlegender innerstaatlicher Regelungen oder besonderer Ermächtigungsbeschränkungen, vgl. Art. 46 f. WÜV). Rücktritt und Kündigung sind stets möglich nach Maßgabe der im Vertrag getroffenen Regelungen (vgl. Art. 54 lit. a WÜV). Außerdem kann eine Beendigung jederzeit im Einvernehmen zwischen allen Vertragsparteien, also letztlich durch Beendigungsvertrag , erfolgen (vgl. Art. 54 lit. b WÜV). Der Vertrag verliert in einem solchen Fall seine Wirkung ex nunc mit dem beendigenden Akt.28 Enthält ein Vertrag keinerlei Bestimmung über Kündigung oder Rücktritt, ist eine solche Beendigung des Vertrages in der Regel auch nicht möglich, sofern nicht feststeht, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts zuzulassen beabsichtigten (vgl. Art. 56 Abs. 1 lit. a WÜV) oder ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht sich nicht aus der Natur des Vertrags herleiten lässt (vgl. Art. 56 Abs. 1 lit. b WÜV). 27 Im Sinne des WÜV ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Bestimmung, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann (Art. 53 S. 2 WÜV). 28 Graf Vitzthum, S. 70 Rn. 128. - 10 - Art. 60 Abs. 1 WÜV sieht eine Vertragsbeendigung als Reaktion auf einen erheblichen Vertragsverstoß einer anderen Vertragspartei vor. Dieses Prinzip der Reziprozität stellt eine wirksame Methode der Gewährleistung der Einhaltung von Verträgen dar, findet jedoch gemäß Art. 60 Abs. 5 WÜV keine Anwendung auf Verträge „humanitärer Art“, um den Schutz elementarer Menschenrechte nicht zu gefährden. Die Bestimmung des Art. 60 WÜV ist eher restriktiv gehalten, da nur erhebliche Verletzungen zu einer Beendigung des Vertrages führen können. Als eine solche definiert Art. 60 Abs. 3 WÜV die nach der Konvention unzulässige „Ablehnung des Vertrags“ oder die Verletzung einer für das Erreichen des Vertragsziels oder –zwecks wesentlichen Bestimmung.29 Gemäß Art. 61 WÜV gibt die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung, die eine Partei nicht selbst herbeigeführt hat, dieser das Recht zur Beendigung oder zum Rücktritt. In Art. 62 WÜV findet sich die Kodifizierung der clausula rebus sic stantibus, d.h. der Lehre von der Geschäftsgrundlage. Danach können die Beendigung oder der Rücktritt vom Vertrag nur geltend gemacht werden, wenn eine grundlegende, nicht vorausgesehene Veränderung von Umständen vorliegt, die beim Vertragsschluss gegeben waren (Abs. 1). Diese Umstände müssen eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Parteien zur Vertragsbindung gewesen sein (Abs. 1 lit. a) und ihre Änderung „würde das Ausmaß der auf Grund des Vertrages noch zu erfüllenden Verpflichtungen tief greifend umgestalten“ (Abs. 1 lit. b). Die Vertragspartei, die sich auf die clausula beruft, darf nicht selbst gegen den Vertrag oder eine sonstige internationale Verpflichtung verstoßen haben (Abs. 2 lit. b). Auf Verträge, die eine Grenze festlegen, findet die Lehre von der Geschäftsgrundlage keine Anwendung (Art. 62 Abs. 2 lit. a WÜV). In diesem Fall gehen die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vor.30 29 Heintschel von Heinegg, S. 103 f. Rn. 203 ff.; Graf Vitzthum, S. 70 f. Rn. 128. 30 Graf Vitzthum, S. 71 f. Rn 130. - 11 - 6. Literaturangaben - Czarnecki, Ralph / Lenski, Edgar (2003): Fallrepetitorium Völkerrecht, Berlin. - De Zayas, Alfred (2005): Die Amerikanische Besetzung von Guantanamo, in: IRP Nr. 28. Im Internet unter: http://www.irp.uni-trier.de/28_deZayas.pdf. - Göller, Josef-Thomas (2006): „Gefährlich und verstockt“. Gunantanamo Bay: Der US-Stützpunkt auf Kuba, in: Das Parlament Nr. 01-02 v. 2. Januar 2006. Im Internet unter http://www.bundestag.de/dasparlament/2006/01-02/Thema/012.html. - Vitzthum, Wolfgang Graf (2004): Völkerrecht, 3. Auflage, Berlin. - Heintschel von Heinegg, Wolff (2005): Casebook Völkerrecht, München. - Pyka, Marcus (2005): Guantanamo oder: Das Ende der Geschichte?, in: James Pastouna , Guantanamo Bay, Gefangen im rechtsfreien Raum, Hamburg. - Schultz, Eberhard (2004a): Guantanamo, Abu Ghraib und Schilys „schwierige Fragen “, in: Freischüßler, Heft 1/2004, S. 33-37. - Schutz, Eberhard (2004b): Endstation Guantanamo- Rechtsfreier Raum im Kampf gegen den Terror. Im Internet unter: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen /Menschenrechte/guantanamo-schultz.pdf. - Tams, Christian J. / Brown, Chester (2003): Hundert Jahre und kein bisschen weise ? Zum 100. Jahrestag der Abkommen über Gunantanmo Bay, in: Die Friedenswarte 78 (2003), 4, S. 395-412. 7. Anlagen Pachtvertrag zwischen USA und Kuba über Guantanamo vom 23. Februar 1903. – Anlage 1 – Zusatzvertrag vom 2. Juli 1903. – Anlage 2 – Pachtvertrag zwischen USA und Kuba über Guantanamo vom 29. Mai 1934. – Anlage 3 –