© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 134/18 Parlamentsbeteiligungsgesetz und exekutive Eilkompetenz im Kontext rechtlich umstrittener Auslandseinsätze der Bundeswehr Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 134/18 Seite 2 Parlamentsbeteiligungsgesetz und exekutive Eilkompetenz im Kontext rechtlich umstrittener Auslandseinsätze der Bundeswehr Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 134/18 Abschluss der Arbeit: 13. September 2018 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 134/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zur exekutiven Eilkompetenz nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz 4 2. Parlamentsbeteiligungsgesetz und Rechtsgrundlagen des Bundeswehreinsatzes 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 134/18 Seite 4 Im Kontext der aktuellen politischen Debatte über eine etwaige Beteiligung der Bundeswehr an möglichen alliierten Militärschlägen gegen Giftgas-Fazilitäten der Assad-Regierung in Syrien ist die Frage aufgeworfen worden, inwieweit sich die Bundesregierung auf die „exekutive Eilkompetenz “ nach § 5 ParlBG berufen könnte.1 Im Folgenden werden die verfahrensrechtlichen Mechanismen sowie die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser exekutiven Eilkompetenz (dazu 1.) im Lichte der Diskussion über die verfassungsrechtlichen Grundlagen einer möglichen Bundeswehrbeteiligung in Syrien (dazu 2.) erörtert. 1. Zur exekutiven Eilkompetenz nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz Das durch die AWACS-Entscheidung des BVerfG2 „vorgeprägte“ Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG) vom 18. März 20053 gestaltet die Beteiligung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verfahrensrechtlich aus. Danach bedürfen Auslandseinsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte regelmäßig und grundsätzlich der vorherigen Zustimmung durch den Bundestag (§ 2 Abs. 2 ParlBG). Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen – ausnahmsweise – keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages (§ 5 Abs. 1 ParlBG, sog. „exekutive Eilkompetenz“); der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist dann aber unverzüglich nachzuholen (§ 5 Abs. 3 ParlGB). Den Begriff „Gefahr-im-Verzug“ hat der Gesetzgeber nicht definiert. Es besteht indes Einigkeit darüber, dass § 5 ParlBG auf Einsätze abzielt, „die keinen Aufschub dulden“ – die also eine gewisse Eilbedürftigkeit entfalten und damit eine Art „Notfallcharakter“ aufweisen.4 Paradebeispiel dafür sind Rettungseinsätze von deutschen Staatsbürgern im Ausland; diskutiert werden ferner geheimhaltungsbedürfte Einsätze von Spezialkräften. 1 § 5 ParlBG lautet: „(1) Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde. (2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten. (3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.“ 2 BVerfGE 90, 286 (386) – AWACS. 3 BGBl. I 2005, S. 775, online verfügbar unter: https://www.bundestag.de/blob/195096/324b17baf5ce50c3149b3c2e7a51c879/parlbet_gesetz-data.pdf. 4 Näher Seyffarth, Malte, Kommentar zum Parlamentsbeteiligungsgesetz, Heidelberg: C.F. Müller 2018, § 5 Rdnr. 5 und 13; Fischer/Ladiges, Evakuierungseinsätze der Bundeswehr künftig ohne Parlamentsvorbehalt, in: NVwZ 2016, 32 (33). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 134/18 Seite 5 Der Begriff „Gefahr-im-Verzug“ ist grundsätzlich eng auszulegen, da es sich um eine gesetzliche Ausnahmebestimmung handelt. Teile der Literatur wollen den Begriff an den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff anlehnen.5 Dagegen spricht, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht der Aufrechterhaltung einer innerstaatlichen Ordnung dienen, sondern internationale Konflikte betreffen , bei denen es in besonderer Weise auch um politische Implikationen wie die Wehr- und Bündnisfähigkeit geht,6 welche das BVerfG im Zusammenhang mit dem Parlamentsvorbehalt apostrophiert hat. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit der Regierung bei der Anwendung des Tatbestandsmerkmals „Gefahr-im-Verzug“ ein Einschätzungs- oder Prognosespielraum zukommt .7 Das BVerfG führt dazu in seinem Pegasus-Urteil vom 23. September 20158 aus: „Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" kommt der Bundesregierung ein solcher Einschätzungs- oder Prognosespielraum ebenfalls nicht zu. Allerdings verbleibt ihr ein Einschätzungsspielraum im Eilfall (vgl. BVerf GE 121, 135 [163]) hinsichtlich der politischen und militärischen Zweckmäßigkeit des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes.“ Das BVerfG hält den Begriff der „Gefahr-im-Verzug“ gerichtlich für voll überprüfbar.9 Gegen eine Eilbedürftigkeit, welche die Bundesregierung daran hindern würde, dem Deutschen Bundestag einen Antrag auf Zustimmung zu einem etwaigen Bundeswehreinsatz in Syrien vorzulegen , sprechen folgende Überlegungen: So liegt eine konkrete Anfrage der US-Regierung gegenüber dem Auswärtigen Amt betreffend eines militärischen Beitrags Deutschlands bereits vor; als „Blaupause“ eines möglichen Einsatzszenarios könnte der alliierte Militärschlag vom 14. April 2018 dienen; über eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr wird seit Tagen kontrovers diskutiert und der Deutsche Bundestag hat in der Vergangenheit bewiesen, dass parlamentarische Mandate auch binnen kurzer Frist erteilt werden können. 5 Entsprechende Nachweise bei Seyffarth, a.a.O. (Anm. 2), § 5 Rdnr. 13 mit Fn. 28. 6 Scherrer, Philipp, Das Parlament und sein Heer: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, Berlin: Duncker 2010, S. 275 m.w.N. 7 In diese Richtung etwa Teile der Literatur, vgl. Gilch, Andreas, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz: Die Auslandsentsendung der Bundeswehr und deren verfahrensrechtliche Ausgestaltung 2005, S. 219; Wagner, Tobias, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz: Die Beteiligung des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Berlin: Duncker 2010, S. 144, 173. 8 BVerfGE 140, 160 (197) – Evakuierung aus Libyen, dort Rdnr. 91. Urteil ist online verfügbar unter: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv140160.html. 9 BVerfGE 140, 160 (197) – Pegasus (Evakuierungsoperation Libyen), Rdnr. 90 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 134/18 Seite 6 2. Parlamentsbeteiligungsgesetz und Rechtsgrundlagen des Bundeswehreinsatzes Gem. § 3 ParlBG übersendet die Bundesregierung dem Bundestag den Antrag auf Zustimmung, der auch die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes zu umfassen hat (§ 3 Abs. 2 Spiegelstrich 3 ParlBG). Der Grund für dieses Prozedere liegt darin, dass mit dem Bundestag ein weiteres Verfassungsorgan die rechtlichen Voraussetzungen des Einsatzes vorab überprüfen soll.10 Das ParlBG intendiert nachgerade einen „Rechtsdialog“ zwischen Parlament und Regierung, der nicht zuletzt im Hinblick auf rechtlich umstrittene militärische Einsatzkonstellationen besonders relevant erscheint. Die Wissenschaftlichen Dienste haben in diesem Zusammenhang wiederholt auf die Bedeutung der Äußerung von Rechtsauffassungen (sog. opinio iuris) für die Entwicklung des Völker- und Verfassungsrechts hingewiesen.11 Der Rückgriff auf die exekutive Eilkompetenz nach § 5 ParlGB würde es der Regierung indes verfahrensrechtlich erlauben, einen Auslandseinsatz der Bundeswehr durchzuführen, ohne – wie es § 3 ParlBG für den „Normalfall“ fordert – die rechtlichen Grundlagen für diesen Einsatz vorab im Einzelnen schriftlich darzulegen bzw. im Rahmen einer parlamentarischen Debatte über die Mandatierung des Einsatzes vor Beginn des Einsatzes zu diskutieren.12 Die verfahrensrechtlichen Regelungen des ParlBG vermögen indes die völker- und verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber einem Militäreinsatz weder auszuräumen noch zu „heilen“. Der Bundestag darf einen völker- und verfassungswidrigen Bundeswehreinsatz13 daher weder mandatieren noch nachträglich (gem. § 5 Abs. 3 ParlBG) genehmigen. *** 10 Vgl. Hufeld, Schriftl. Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 13.4.2016, Ausschussdrucksache 18-G-17, S. 5; Kleinlein, Thomas, Kontinuität und Wandel in Grundlegung und Dogmatik des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, in: AöR 2017, S. 43-77 (54 ff.). 11 Vgl. Gutachten WD 2 - 3000 - 048/18 vom 18.4.2018 „Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britischfranzösischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien“, S. 10 f., https://www.bundestag.de/blob/551344/f8055ab0bba0ced333ebcd8478e74e4e/wd-2-048-18-pdf-data.pdf 12 Es versteht sich von selbst, dass § 5 ParlBG nicht missbräuchlich zur „Umgehung“ verfahrensrechtlicher Verpflichtungen bemüht werden darf. 13 Vgl. mit Blick auf den möglichen Einsatz in Syrien: Gutachten WD 2 - 3000 - 130/18 v. 10.9.2018, „Rechtsfragen einer etwaigen Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Militärschlägen der Alliierten gegen das Assad- Regime in Syrien“, https://www.bundestag.de/blob/568586/e979e0a7348409ce22153522087b3813/wd-2-130- 18-pdf-data.pdf.