WD 2 - 3000 - 132/18 (11. September 2018) © 2018 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die folgenden Informationen zur deutsch-französischen „Vereinbarung über die Ausfuhr von gemeinsam entwickelten und/oder gefertigten Kriegswaffen und sonstigem Rüstungsmaterial“ aus dem Jahr 1972 (bekannt unter dem Namen „Schmidt-Debré-Abkommen“) sind weitgehend der im Februar 2002 vom Internationalen Konversionszentrum Bonn als Papier 19 veröffentlichten Analyse „Folgen, Auswirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten internationaler Abkommen für eine restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik“ 1 entnommen. Das nach den unterzeichnenden Verteidigungsministern Helmut Schmidt und Michel Debré benannte deutsch-französische „Schmidt-Debré-Abkommen“ 2 sah vor, dass die Regierungen sich nicht daran hindern werden, Kriegswaffen oder sonstiges Rüstungsmaterial, das aus einer gemeinsam durchgeführten Entwicklung oder Fertigung hervorgegangen ist, in Drittländer auszuführen oder ausführen zu lassen. Jede der beiden Regierungen verpflichtete sich, die für die Lieferung von Einzelteilen und Komponenten an das ausführende Land erforderlichen Genehmigungen zu erteilen. Die Bundesregierung hatte sich allerdings die Möglichkeit vorbehalten, eine Genehmigung zu versagen, wenn dies die Rechtslage vorschreibt, z.B. bei Vorliegen eines zwingenden Grundes nach §6 KWKG. Vor einer solchen Versagung würden sich die beiden Regierungen konsultieren. Im Schmidt-Debré-Abkommen wurden die Waffensysteme Transall C-160, Alpha Jet, RATAC, Hot, Milan und Roland ausdrücklich erwähnt; künftige Gemeinschaftsentwicklungen sollten unter das Abkommen fallen, soweit nicht Sondervereinbarungen getroffen würden. 1 Brzoska, Michael; Küchle, Hartmut (2002): Folgen, Auswirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten internationaler Abkommen für eine restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik, Papier 19. Hrsg.: Bonn International Conversion Center / Internationales Konversionszentrum Bonn, Februar 2002 Abrufbar unter: https://www.bicc.de/uploads /tx_bicctools/paper19.pdf (letzter Zugriff: 11. September 2018). 2 Die „Vereinbarung über die Ausfuhr von gemeinsam entwickelten und/oder gefertigten Kriegswaffen und sonstigem Rüstungsmaterial“ mit Frankreich vom 7. Februar 1972 ist bis heute eine Verschlusssache, aber sein Inhalt ist durch Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) an Rüstungsfirmen seit langem bekannt (Wehrdienst Nr. 381 vom 18. September 1972). Vgl. hierzu auch: Waffengeschäft – Peinlicher Pakt. In Spiegel 41/1972 vom 2. Oktober 1972. Abrufbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42805244.html (letzter Zugriff: 11. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Das Schmidt-Debré-Abkommen Kurzinformation Das Schmidt-Debré-Abkommen Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Mit dem Schmidt-Debré-Abkommen verzichtete die Bundesregierung, im Interesse der Koproduktion von Rüstungswaren mit Frankreich, weitgehend auf die Anwendung ihrer Kriterien für den Export von Rüstungswaren in sonstige Länder. Der ausländische Kooperationspartner sollte darauf vertrauen können, dass die Zulieferungen für Waffensysteme aus Deutschland auch für Weiterexporte kommen, wenn nicht gravierende Gründe gegen eine Genehmigung sprechen. Demgegenüber sollten Direktexporte aus Deutschland nach den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ von 1971 nur sehr restriktiv genehmigt werden, in Spannungsgebiete gar nicht. Entsprechend stark stieg nach 1972 der Export von Produkten aus deutsch-französischer Gemeinschaftsproduktion. Nur in Einzelfällen , so beim geplanten Export von Hot- und Milan-Panzerabwehrraketen aus Frankreich nach China im Jahre 1977, erwog die Bundesregierung die Versagung einer Genehmigung und teilte dies im Konsultationswege mit. Das Geschäft zerschlug sich dann aber aus anderen Gründen . Ein weiterer Fall ergab sich im Jahre 1999. Die Bundesregierung stellte sich gegen den Export eines Vorführhubschraubers vom Typ Tiger an die Türkei. Die Praxis bei Gemeinschaftsprojekten strahlte auch auf die Direktexporte aus; Deutschland wurde in den 1970er Jahren von einem unbedeutenden zu einem der fünf wichtigsten Waffenexporteure. Die Grundsätze von 1971 wurden zunehmend unterhöhlt, bis sie nicht mehr tragbar und durch die den Rüstungsexport deutlich weniger beschränkenden „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ von 1982 abgelöst wurden. Das Schmidt-Debré-Abkommen gilt weiterhin. 3 Es ist auch nicht bekannt, dass Einzelprojekte davon ausgenommen wurden. Abweichend vom dort vorgesehenen Verfahren hatte die Bundesregierung bereits in den Grundsätzen 1982 angekündigt, bei allen neu abzuschließenden Kooperationsvereinbarungen grundsätzlich ein Konsultationsverfahren zu vereinbaren, das ihr die Möglichkeit gibt, Einwendungen geltend zu machen. 4 Die „Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ von 2000 entfernten sich noch einen Schritt weiter vom Schmidt-Debré-Abkommen. Hier behält sich die Bundesregierung in Ziffer II.3. vor, „in jedem Fall zur Durchsetzung ihrer exportpolitischen Grundsätze bestimmten Exportvorhaben des Kooperationspartners im Konsultationswege entgegenzutreten.“ Die Festlegung auf ein Konsultationsverfahren nicht nur für die extremen Fälle des KWKG, sondern zur Durchsetzung der politischen Ziele der Bundesregierung „in jedem Fall“ steht im deutlichen Gegensatz zum im Schmidt-Debré-Abkommen ausgesprochenen Vertrauensschutz auf eine deutsche Genehmigung . Die Absichtserklärungen in den Grundsätzen 2000 sind in Bezug auf die Bedeutung des Konsultationsverfahrens nicht mit dem Schmidt-Debré-Abkommen, wie es 1972 abgeschlossen wurde, vereinbar. Bereits um ihre Grundsätze 2000 wirkungsvoll umzusetzen, müsste die Bundesregierung das Schmidt-Debré-Abkommen modifizieren, durch eine neue Vereinbarung ablösen oder ignorieren. Der Fall des Vorführhubschraubers vom Typ Tiger für die Türkei hatte dies deutlich gemacht. 3 „Das Schmidt-Debré-Abkommen gilt für bilaterale regierungsamtliche Rüstungskooperationen zwischen Deutschland und Frankreich.“ Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/5511 – zur Fusion von Krauss-Maffei Wegmann und Nexter, BT-Drs. 18/5701 vom 3. August 2015, S. 2. Abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/057/1805701.pdf (letzter Zugriff: 11. September 2018). 4 In den „Politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ von 2000 findet sich (Abschnitt II.3.) die gleiche Formulierung. Kurzinformation Das Schmidt-Debré-Abkommen Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Dies gilt umso mehr, wenn über die spezifischen Regelungen in Ziffern II.3. und II.4. der Grundsätze 2000 hinaus auch die allgemeineren Absichtserklärungen in den Grundsätzen 2000 betrachtet werden. So kündigt die Bundesregierung an, ihre Regelungen für Exporte in sonstige Länder soweit wie möglich auch auf Exporte im Rahmen von Kooperationen auszudehnen (Ziffer II.2.). Das Schmidt-Debré-Abkommen, in dem summarisch davon ausgegangen wurde, dass Koproduktion verlangt, dass die eigenen Exportkontrollinteressen denen des Kooperationspartners unterworfen werden, scheint der Realität starker Interessen auch der ausländischen Partner an der Koproduktion im Rahmen eines Industrieprojektes nicht ausreichend Rechnung zu tragen. Jedenfalls entspricht es nicht dem in den Grundsätzen 2000 formulierten Prinzip einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Kooperationsinteresse und einer restriktiven Rüstungsexportpolitik . Hierfür muss, anders als im Schmidt-Debré-Abkommen, in jedem Einzelfall ausgelotet werden , ob der Kooperationspartner im Interesse der Zusammenarbeit nicht auch weitergehende Einspruchsrechte , bis hin zu einem Veto gegen Weiterexporte in sonstige Länder, akzeptiert. Das Schmidt-Debré-Abkommen und weitere Abkommen, die diese Regelungen übernommen haben , widersprechen der erklärten Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung. Ihre weitere Anwendung führt zu einem geringeren Niveau bundesdeutscher Rüstungsexportkontrolle als von ihr selbst in den Grundsätzen von 2000 beschlossen. Das Schmidt-Debré-Abkommen ist auch von französischer Seite in Frage gestellt geworden. In einem Bericht des Verteidigungsausschusses der Nationalversammlung wurden 2000 zwei Aspekte herausgehoben: 1. Dadurch, dass das Abkommen nie veröffentlicht worden sei, habe es nach französischem Verfassungsrecht keinerlei rechtliche Wirkung. 2. Durch die Regelung, dass in Ausnahmefällen die Genehmigung auch versagt werden könne, gäbe es keine Garantie, dass Zulieferungen aus Deutschland auch tatsächlich genehmigt würden. Als Beispiel wurde die deutsche Weigerung erwähnt, der Lieferung eines Testhubschraubers vom Typ Tiger an die Türkei zuzustimmen. Insgesamt kamen die Berichterstatter zu dem Ergebnis, dass das Abkommen wegen seiner Unverbindlichkeit keine Basis für die weitere Integration der europäischen Rüstungsindustrie sein könne. ***