© 2015 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 130/15 Das geplante Freihandelsabkommen TTIP und die Menschenrechte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 2 Das geplante Freihandelsabkommen TTIP und die Menschenrechte Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 130/15 Abschluss der Arbeit: 15. September 2015 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Postulierte negative Auswirkungen von TTIP auf Menschenrechte 5 2.1. Recht auf Gesundheit, Nahrung und Wasser 5 2.2. Entgegnungen der Europäischen Kommission 6 3. Grundsätzliche Möglichkeiten, Menschenrechte im Freihandel zu berücksichtigen 7 4. Handel und Menschenrechte als Thema der Vereinten Nationen und des Bundestages 10 5. Menschenrechte im Rahmen des WTO-Abkommens 11 6. Menschenrechte in der EU-Handelspolitik 12 6.1. Selbstverpflichtung der EU 13 6.2. Implementierung der Bindung an die Menschenrechte 13 6.3. Menschenrechtsklausel 14 6.3.1. Kritik an der Menschenrechtsklausel 14 6.3.2. Lösungs- und Verbesserungsvorschläge 15 7. Fazit 16 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 4 1. Einführung Dieser Sachstand soll die menschenrechtlichen Aspekte des derzeit zwischen den USA und der Europäischen Union verhandelten Freihandelsankommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) behandeln. Die Verhandlungen werden seit ihrem Beginn im Juli 20131 von massiver Kritik begleitet. Umweltschützer , Verbraucherschützer und auch Menschenrechtsaktivisten befürchten, dass der Abbau von Handelshemmnissen zur Erosion von (insbesondere europäischen) Standards im Verbraucher -, Umwelt-, Gesundheitsrecht sowie in anderen Bereichen des Rechtes führen wird, wenn TTIP in Kraft tritt. Auch die geplante Absicht, Streitfälle von privaten, also keiner staatlichen Regelung unterworfenen Schiedsgerichten klären zu lassen, stößt auf heftige Kritik.2 Die Bewertung TTIPs in Hinblick auf menschenrechtliche Aspekte ist nicht einfach. Dies liegt zum einen daran, dass die Verhandlungen noch andauern und das Resultat noch offen ist, zum anderen an der Geheimhaltung, der die Verhandlungen unterliegen. Verlässliche Informationen sind schwer zu erhalten. Dies macht auch eine Bewertung der Vielzahl von (zumeist kritischen) Stellungnahmen und „Analysen“ zu TTIP schwierig. Zwar lassen sich ohne große Probleme zahlreiche Stellungnahmen unterschiedlicher Akteure zu TTIP finden, auch Warnungen vor möglichen negativen Auswirkungen auf Menschenrechte. Wirklich konkrete Analysen (welches bzw. welche Menschenrechte? Wie genau würden sie durch TTIP beeinflusst? Wo – in den USA oder nur in der EU?) und belastbare Folgeabschätzungen sind dagegen im engeren Sinne nicht aufzufinden . Dazu trägt bei, dass die Verhandlungen nur auf Regierungsebene geführt werden: von der EU-Kommission sowie der Regierung der Vereinigten Staaten. Weder sind das Europäische Parlament noch der Kongress noch nationale europäische Parlamente eingebunden, ebensowenig Vertreter von NGOs, Gewerkschaften oder der Wirtschaft, wobei Erfahrungen aus ähnlichen Verhandlungen zeigen, dass die Interessen letzterer von den Verhandlungspartnern häufig zumindest zum Teil berücksichtigt werden. Kritik an TTIP speist sich nebst Mutmaßungen insbesondere aus Betrachtungen bereits bestehender Freihandelsabkommen und deren Auswirkungen. Letzten Endes sind aber alle Aussagen zu den möglichen Folgen von TTIP, seien sie auch noch so konkret formuliert (und dies gilt insbesondere für die Kritik), spekulativ. Die drastischste Kritik kommt denn auch von kleineren aktivistischen Gruppen, für die Freihandel grundsätzlich von Übel und „den Menschenrechten“ nicht zuträglich ist. Eindeutig fachlich seriöse und primär mit Menschenrechtsfragen befasste Institutionen wie das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) halten sich mit Stellungnahmen zu TTIP dagegen zurück. Auch dies indiziert, dass viel der vorgebrachten Kritik an TTIP angesichts der ihr zwangsläufig zu Grunde liegenden Spekulationen als nicht ausreichend fundiert angesehen werden kann. Der Abschnitt dieses Sachstandes, der sich direkt mit TTIP befasst, ist 1 Access, Keeping IP out of TAFTA, TTIP Timeline, September 2015, http://cdn.knightlab.com/libs/timeline/latest /embed/index.html?source=0Arh-CC2Pi0s2dFJXMkg5REZ0NGFwRVkzdWdXdk1hT2c&font=Bevan-Potano Sans&maptype=toner&lang=en&start_zoom_adjust=2&height=400 (zuletzt abgerufen am 1. September 2015). 2 So etwa selbst auf höchster Ebene der Vereinten Nationen: UN calls for suspension of TTIP talks over fears of human rights abuses, The Guardian vom 4. Mai 2015, http://www.theguardian.com/global/2015/may/04/ttipunited -nations-human-right-secret-courts-multinationals (zuletzt abgerufen am 7. September 2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 5 daher deutlich kürzer als die Abschnitte, die grundsätzlich vom Verhältnis von Handels- und Menschenrecht handeln. Dieser Sachstand wird versuchen, die Hauptkritikpunkte an TTIP in Hinblick auf dessen mögliche menschenrechtliche Auswirkungen darzulegen und, soweit dies anhand des aktuellen Informationsstandes möglich ist, einzuordnen. Außerdem wird dargestellt, wie die Menschenrechte grundsätzlich in Freihandelsabkommen berücksichtigt werden könnten. 2. Postulierte negative Auswirkungen von TTIP auf Menschenrechte Die Warnungen den möglichen negativen Folgen von TTIP für Menschenrechte beziehen sich in erster Linie auf folgende Menschenrechte: - Recht auf Gesundheit3 und damit oft verbunden das - Recht auf sichere, nährstoffreiche und kulturell angemessene Nahrung4 sowie das - Recht auf Wasser5 Darüber hinaus wird oft vor den Auswirkungen des Abkommens auf Arbeitsplätze gewarnt und dies mit Menschenrechten verknüpft. Zwar gibt es kein Menschenrecht auf Arbeit, die Folgen von Arbeitslosigkeit lassen sich aber unschwer mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte verbinden, ebenso eine mögliche Absenkung von Arbeitsschutzstandards.6 2.1. Recht auf Gesundheit, Nahrung und Wasser Hier sind in erster Linie zwei Argumentationen bei den Warnungen zu unterscheiden: zum einen wird argumentiert, TTIP könne zu Privatisierungen im Gesundheitssektor führen und damit das „europäische Prinzip der Vorsorge“ im Gesundheitswesen zu Fall bringen, es durch ein Profitinteressen untergeordnetes System ersetzen und somit der Gesundheitsversorgung der Menschen (insbesondere in der EU) abträglich sein. Damit einhergehend wäre eine relative Verschlechterung der Sicherung des Rechtes auf Gesundheit verbunden. Ebenso wird befürchtet, dass die in den USA mögliche Patentierung medizinischer Prozeduren und Behandlungsmethoden in der EU durchgesetzt werden könnte und damit nicht mehr jede Behandlungsmethode jedem Patienten 3 Gemeinsame Erklärung der Präsidenten und Vorsitzenden der Heilberufe-Organisationen, Gesundheit muss ein Tabu bleiben, in Ärztezeitung vom 19. Mai 2015, http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/berufspolitik /article/886225/ttip-gesundheit-muss-tabu-bleiben.html (zuletzt abgerufen am 7. September 2015). 4 Siehe FIAN (FoodFirst Informations- &Aktions-Netzwerk), Anti-TTIP-Flyer, http://www.fian-berlin.de/wp-content /uploads/files/2015_Anti-TTIP-Flyer.pdf (zuletzt abgerufen am 7. September 2015). 5 TTIP unfairhandelbar, TTIP bedroht nachhaltige Wassernutzung (Pressemitteilung 19.03.2015), http://www.ttip-unfairhandelbar.de/start/news/detailansicht/datum/2015/03//ttip-bedroht-nachhaltige-wassernutzung -pressemitteilung-19032015/ (zuletzt abgerufen am 7. September 2015). 6 IG Metall, Abkommen nur mit höchsten Arbeits- und Sozialstandards, 13. September 2014, http://www.igmetall .de/ttip-transatlantisches-freihandelsabkommen-zwischen-der-eu-und-13347.htm (zuletzt abgerufen am 7. September 2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 6 zur Verfügung stehen könnte, weil sie z.B. nur noch von wenigen lizenzierten Ärzten oder Krankenhäusern angeboten werden dürfte. Ähnlich wird in Hinblick auf das Recht auf Wasser mit möglichen Privatisierungen, die zu einer Verteuerung von Trinkwasser führen könnten, argumentiert. Zum anderen wird der Konnex von Gesundheit und Nahrungsmittel- bzw. Verbraucherstandards hergestellt. TTIP könne zur Absenkung von Standards in der Nahrungsmittelindustrie führen (sodass z.B. sogenannte „Chlorhühnchen“ in die EU importiert werden könnten) und damit das Recht des Menschen auf sichere und nährstoffreiche Nahrung verletzen. 2.2. Entgegnungen der Europäischen Kommission Die Europäische Kommission greift die oben genannten Bedenken konkret auf und bezeichnet sie in mehreren Stellungnahmen als falsch. Die Kommission legt hinsichtlich der Nahrungsmittelstandards dar, dass das Freihandelsabkommen CETA zwischen EU und Kanada keineswegs die Einfuhr von hormonbehandeltem Fleisch aus Kanada in die EU gestatte und ähnliches auch nicht von TTIP zu befürchten sei. Geltende Gesetze wie z.B. die Regulierung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) seien weiterhin gültig und könnten nur durch Regierungen oder Parlamente geändert werden.7 In Hinblick auf die Privatisierung der Wasserversorgung lässt die EU-Kommission verlautbaren, dass das Recht der einzelnen Staaten sowie der Gemeinden, die Wasserversorgung in öffentlicher Hand zu halten, nicht angetastet würde. Dies sei von vorneherein eine nicht verhandelbare Position der EU gewesen. Die Wasserversorgung sei ausdrücklich kein von TTIP betroffener Sektor.8 Auch die Gesundheitsversorgung ist entsprechend der Verlautbarung der EU-Kommission kein Thema bei den Verhandlungen, die nationalen Gesundheitssysteme seien vor dem Zugriff von außen geschützt. Anpassungen von amerikanischen und europäischen Standards werde es geben, diese erfolgen aber laut Kommission nur, sofern sie keine Verschlechterung für Verbraucher bedeuteten : „Über Standards will die EU mit den USA nur unter einer strikten Bedingung sprechen : dass wir unsere in Europa erreichten Schutzmechanismen nicht aufgeben oder verwässern. Wenn es um Gesundheit oder Umweltschutz geht, wird die EU am Verhandlungstisch keine Kompromisse machen.“9 7 Europäische Kommission – Vertretung in Deutschland, EU-US-Handelsabkommen: Hier sind die Fakten, 2013, http://ec.europa.eu/deutschland/pdf/europawahl/faktencheck_ttip.pdf (zuletzt abgerufen am 7. September 2015). 8 Europäische Kommission, Wasserversorgung - kein Bestandteil der TTIP-Verhandlungen, 20.Dezember 2013, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/december/tradoc_152029.pdf (zuletzt abgerufen am 7. September 2015). 9 Europäische Kommission (Anm. 8). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 7 Auch der umstrittene Investitionsschutz, der Bestandteil von TTIP sein wird, ist aus Sicht der Kommission kein Instrument, um nationale Gesetze auszuhöhlen: „Investitionsschutzklauseln dürfen nur in sehr begrenzten Bereichen eingesetzt werden, z.B. wenn gegenüber inländischen Firmen diskriminiert wird oder wenn eine Firma im Ausland ohne Entschädigung enteignet wird.“ Darüber hinaus seien in den EU-Staaten bisher mehr als 1.400 Handelsabkommen mit entsprechenden Klauseln seit zum Teil über 60 Jahren in Kraft, ohne dass sich die Befürchtungen, die jetzt mit TTIP verbunden werden, bewahrheitet hätten.10 Die Bewertung dieser Entgegnungen kann hier – aus den in der Einleitung genannten Gründen – nicht vorgenommen werden. Inwieweit den Verhandlungsdirektiven der EU in den TTIP-Verhandlungen tatsächlich Rechnung getragen wird, kann aufgrund der Geheimhaltung nicht geklärt werden. 3. Grundsätzliche Möglichkeiten, Menschenrechte im Freihandel zu berücksichtigen In diesem Abschnitt soll erläutert werden, inwieweit Menschenrechte überhaupt im Freihandel bzw. in Freihandelsabkommen berücksichtigt werden können. Hier liegen zwei Ansätze vor: die Aufnahme von Menschenrechtsklauseln in internationale Verträge sowie die Verpflichtung von Unternehmen, Menschenrechte zu achten. Handelsabkommen sind bi- oder multilaterale Verträge zwischen Staaten und damit prinzipiell frei von diesen Staaten gestaltbar. Darüber hinaus existiert aber das Welthandelsrecht, das sich im Laufe der Zeit, d.h. parallel zum Völkerrecht zum Schutz der Menschenrechte, entwickelt hat und das heute ebenfalls aus einer Vielzahl von internationalen Verträgen besteht.11 Es gibt allerdings noch keinen supranationalen, allgemein anerkannten Mechanismus, der etwaige Konflikte 12 zwischen Menschen- und Welthandelsrecht auflösen könnte.13 Im Zweifelsfall ist das Handelsrecht hier im Vorteil: Handelsabkommen sind deutlich präziser formuliert und beinhalten vor allem viel direktere und vorhersehbarere Sanktionen im Falle ihrer Verletzung als das Menschenrecht.14 Es existiert auch kein Grundsatz „Menschenrecht bricht Handelsrecht“. Die Durchsetzung von Menschenrechten ist primär Angelegenheit der einzelnen Staaten und gilt prinzipiell nur für ihr 10 Europäische Kommission, Vertretung in Deutschland (Anm. 7). 11 Informationsplattform Humanrights.ch, Welthandel und Menschenrechte: Gegensatz oder sinnvolles Ganzes?, 17. Januar 2014, http://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-themen/wto/problematik/ (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). 12 Zielkonflikte zwischen Welthandelsrecht und Menschenrecht sind in vielen Konstellationen möglich. Beispielsweise könnte ein Staat welthandelsrechtlich verpflichtet sein, seine Agrarflächen frei handelbar zu halten. Dies kann dann aber im Rahmen von „land grabbing“ zu einer Verletzung des Menschenrechtes auf Nahrung bei der eigenen Bevölkerung führen. Die Einhaltung des einen Rechtes führt zur Verletzung des anderen. 13 Informationsplattform Humanrights.ch (Anm. 11). 14 Informationsplattform Humanrights.ch (Anm. 11). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 8 eigenes Territorium.15 Entsteht in einem Staat durch ein Handelsabkommen eine menschenrechtlich problematische Situation bzw. behindert das Abkommen die Lösung einer solchen Situation, so gilt keineswegs automatisch ein Vorrang der Menschenrechte – der Staat wäre rechtlich immer noch zur Erfüllung seiner handelsrechtlichen Pflichten gezwungen. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Aufnahme menschenrechtlicher Verpflichtungen in ein Handelsabkommen als „erweiterte Diplomatie“ verstanden werden. Logischerweise geschieht sie in der Regel auf Betreiben eines der beiden (oder mehrerer) Vertragsstaaten und bezieht sich in der Regel auf den Staat, in dem die Menschenrechte bzw. das betreffende Menschenrecht noch nicht zur vollen Geltung kommen. Dies ist einer der Kritikpunkte an der Aufnahme menschenrechtlicher Verpflichtungen in Abkommen, deren primäres Ziel ja nicht die Förderung von Menschenrechten ist: es handele sich hierbei um legal inflation, d.h. eine unnötige Aufblähung des betreffenden Abkommens mit bezüglich des eigentlichen Gegenstandes (des Handels) irrelevanten Aspekten und um die Oktroyierung der Werte eines Staates auf einen anderen.16 Es besteht also kein zwingender (rechtlicher) Konnex bzw. keine Hierarchie zwischen Handelsrecht und den Menschenrechten. Eine Ausnahme kann man bei den Arbeitnehmerrechten sehen: die Erklärung der ILO über soziale Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung von 200817 stellt ausdrücklich fest, dass eine Verletzung von Arbeitnehmerrechten im Sinne der ILO von keinem ILO-Staat als komparativer Vorteil im Welthandel geltend gemacht werden darf.18 Die Missachtung von Arbeitnehmerrechten kann also zumindest nicht explizit als Anreiz für Handelsabkommen genutzt werden. Dabei ist aber zu beachten, dass niedrigere Löhne, geringere Standards beim Arbeitsschutz etc. auf rein staatlicher Ebene eine geringere Rolle spielen als z.B. für ausländische Privatinvestoren. 15 Dessen ungeachtet gibt es seit einiger Zeit Bestrebungen, die juristische Theorie der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) im Völkerrecht zu verankern. Diese sieht vor, dass Staaten eine Verpflichtung hätten, Menschen in einem Staat, der seiner Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte in seinem Territorium nicht nachkommen kann, zur Durchsetzung dieser Rechte zu verhelfen. Dies ist aus Sicht dieser Theorie keine Verletzung der Souveränität dieses Staates, sondern stellt diese vielmehr wieder her – ein Staat, der dieser Verpflichtung nicht nachkomme bzw. nachkommen kann, habe bereits einen Teil seiner Souveränität eingebüßt . Bei der internationalen Intervention in Libyen rechtfertigten die Vereinten Nationen ihr Handeln mit Bezug auf R2P. 16 Susan Ariel Aaronson und Jean Pierre Chauffour, World Trade Organization, The Wedding of Trade and Human Rights: Marriage of Convenience or Permanent Match ?, 2015, https://www.wto.org/english/res_e/publications _e/wtr11_forum_e/wtr11_15feb11_e.htm (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). 17 ILO, Erklärung der IAO über soziale Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung, 2008, http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---europe/---ro-geneva/---ilo-berlin/documents/genericdocument /wcms_100192.pdf (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). 18 Rudi Delarue, Can trade policies improve human rights? - The multilateral perspective, S. 1, International Labour Organization (ILO) 2010, http://ilo.org/wcmsp5/groups/public/---europe/---ro-geneva/---ilo-brussels/documents /genericdocument/wcms_175049.pdf (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 9 Grundsätzlich gibt es also abgesehen von nationalen (bzw. supranationalen wie der EU-Ebene) Regelungen keine Verpflichtung von Staaten, Menschenrechte in ihrer Handelspolitik zu berücksichtigen . Vielmehr als eine rechtliche ist diese Frage also eine politische. Dennoch findet seit einiger Zeit ein Umdenken statt: In den 1980er und 1990er Jahren begannen die EG / EU, die USA und weitere westliche Industriestaaten , Menschenrechte lose und unverbindlich in ihren preferential trade agreements (PTA)19 zu erwähnen.20 Das erste internationale Handelsabkommen, das Arbeitnehmerrechte und das Recht auf Transparenz sowie auf Beteiligung der Öffentlichkeit verbindlich festschrieb, war das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (North American Free Trade Agreement, NAFTA) zwischen Mexiko, den USA und Kanada im Jahre 1993.21 Seitdem hat die Berücksichtigung menschenrechtlicher Aspekte in der Handelspolitik deutlich zugenommen und stellt inzwischen den Normalfall dar. Insbesondere nach den gewalttätigen Protesten gegen die WTO-Tagung in Seattle im Jahre 1999 begannen sowohl Menschenrechts- als auch Handelsrechtsjuristen, die beiden Rechtsgebiete, die sich bis dahin nahezu unabhängig voneinander entwickelt hatten und auch auf akademischer Ebene getrennt behandelt wurden, verstärkt zusammen zu betrachten.22 Dies ist eine Entwicklung, die im Völkerrecht bis heute andauert und die sich seither immer deutlicher in konkreten Maßnahmen zeigt. Laut Susan Ariel Aaronson sind mittlerweile geschätzt 75 Prozent der Staaten an PTA beteiligt, die menschenrechtliche Aspekte beinhalten, wobei Art und Umfang dieses Gehaltes unterschiedlich ausfallen und von reiner Rhetorik bis hin zu verbindlichen und detaillierten Klauseln reichen können.23 Während die USA und Kanada z.B. in ihren PTA zumeist auf spezifische Menschenrechte fokussieren und diese im Vertragstext verbindlich festschreiben, beruft sich die EU auf die Menschenrechte in ihrer Gesamtheit und legt den Schwerpunkt auf Dialog und Appell.24 Immer noch sind es die Staaten der EU bzw. Europas, die USA und Kanada, die am ehesten auf die Berücksichtigung der Menschenrechte in Handelsabkommen drängen.25 Arbeitnehmerrechte werden in Handelsabkommen besonders häufig und mit zunehmender Tendenz beachtet.26 19 PTA: auf deutsch „präferenzielles Handelsabkommen“. PTA sind grundsätzlich alle bi- und multilateralen Handelsabkommen , bei denen die beteiligten Staaten einander bevorzugte Handelskonditionen, insbesondere niedrigere (oder gar keine) Zölle, einräumen. 20 Aaronson und Chauffour (Anm. 16). 21 Aaronson und Chauffour (Anm. 16). 22 Willemijn Noordhoek, Human Rights in the Law of the World Trade Organization, S. 5 – 6, Universeit van Maastricht 2010. 23 Aaronson und Chauffour (Anm. 16). 24 Aaronson und Chauffour (Anm. 16). 25 Aaronson und Chauffour (Anm. 16). 26 Delarue (Anm. 18). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 10 Grundsätzlich lässt sich in der internationalen akademischen, aber auch politischen, Debatte ein Streben nach Kohärenz von Menschenrechts- und Handelspolitik beobachten. Laut den Leitlinien der Vereinten Nationen zur Bewertung der menschenrechtlichen Auswirkungen von Handelsabkommen (näheres im nächsten Abschnitt) sei es sogar die Pflicht von Staaten, vor Abschluss eines Handelsabkommens dessen mögliche Konsequenzen auf die Menschenrechtssituation zu prüfen (wobei sich diese Prüfung primär auf die Situation im eigenen Land bezieht).27 4. Handel und Menschenrechte als Thema der Vereinten Nationen und des Bundestages Im Dezember 2011 veröffentlichte der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen als Addendum des Berichtes des Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, Oliver de Schutter, die „Leitlinien für die Bewertung der menschenrechtlichen Auswirkungen von Handels- und Investitionsabkommen “ (Guiding principles on human rights impact assessments of trade and investment agreements), auf deren Basis Staaten, insbesondere Entwicklungsstaaten, die von ihnen eingegangenen bzw. geplanten Handelsabkommen überprüfen sollen.28 Dabei sind diese Leitlinien kein unmittelbar geltendes Recht, sondern als Werkzeug zur besseren Umsetzung dieses Rechtes, bzw. der Verpflichtung jeden Staates zur Achtung der Menschenrechte, zu betrachten. In den ebenfalls 2011 veröffentlichten „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ (Guiding Principles for Business and Human Rights) konzentrieren sich die VN zwar auf Unternehmerhandeln und damit weniger auf zwischenstaatliche Handelspolitik, Prinzip Nummer 9 ermahnt Staaten aber dazu, bei Abschluss von Handels- und Investitionsverträgen (zum Beispiel TTIP), genug rechtlichen Spielraum zu lassen, um die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte weiterhin voll erfüllen zu können. Auch diese Leitprinzipien sind kein unmittelbar geltendes Recht. Sie zeigen aber, dass sich die VN mit dem Thema Handels-und Menschenrechtspolitik befassen und dabei zumindest zum Gedanken der Kohärenz beider Politikfelder tendieren . 27 Generalversammlung der Vereinten Nationen, Menschenrechtsausschuss, Report of the Special Rapporteur on the right to food, Olivier De Schutter : Addendum Guiding principles on human rights impact assessments of trade and investment agreements, A/HRC/19/59/Add.5, 19. Dezember 2011, http://www.ohchr .org/Documents/HRBodies/HRCouncil/RegularSession/Session19/A-HRC-19-59-Add5_en.pdf (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). Hierbei ist zu beachten, dass die Formulierungen der Vorbemerkungen der Leitlinien rechtlich nicht ganz deutlich sind. Der Sonderberichterstatter argumentiert unter Verweis auf Artikel 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, dass die Menschenrechte sog. ius cogens, d.h. universell anerkannte Rechtsnormen seien, deren Verletzung durch einen Vertrag diesen null und nichtig mache. Seine Formulierung ist zumindest mißverständlich, denn nicht alle Menschenrechte gehören zum ius cogens, sondern nach allgemeiner Rechtsauffassung nur die absolut grundlegenden Rechte wie jenes auf Leben oder körperliche Unversehrtheit. Dass Menschenrecht nicht Handelsrecht bricht, wird in Abschnitt 3 erläutert. 28 Generalversammlung der Vereinten Nationen, Menschenrechtsausschuss, Report of the Special Rapporteur on the right to food, Olivier De Schutter : Addendum Guiding principles on human rights impact assessments of trade and investment agreements, I.1.1, A/HRC/19/59/Add.5, 19. Dezember 2011, http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/RegularSession/Session19/A-HRC-19-59-Add5_en.pdf (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 11 Letzteres lässt sich auch im Bundestag beobachten: auf der 33. Sitzung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 22. April 201529 tendierten die Berichterstatter in ihren Beiträgen deutlich zu der Auffassung, dass Handels- und Menschenrechtspolitik harmonisiert werden sollten und überdies auch private deutsche Unternehmen bei ihren Tätigkeiten im Ausland die Einhaltung der Menschenrechte zu gewährleisten hätten. Einigkeit bestand dabei über die Auffassung, dass hierfür verbindliche internationale Regelungen getroffen werden müssten , also das Völkerrecht weiterentwickelt werden müsste. Sachverständige aus Rechtswissenschaft und Industrie gaben aber zu bedenken, dass die Einhaltung von Menschenrechten primär Pflicht der Staaten bzw. staatlicher Institutionen sei und nicht einfach an private Unternehmen „ausgelagert“ werden könne. 5. Menschenrechte im Rahmen des WTO-Abkommens30 Die WTO ist die wichtigste internationale Handelsorganisation. Ihr liegt das WTO-Abkommen von 1995 zugrunde, das die vorangegangenen GATT-Abkommen31 übernahm. Wie in der Präambel des GATT von 1947 findet sich in der Präambel der WTO ein Hinweis auf das Ziel des Abkommens , den Lebensstandard zu erhöhen und Vollbeschäftigung zu erreichen, zusätzlich aber werden nachhaltige Entwicklung, Umweltschutz und die besonderen Bedürfnisse sich entwickelnder und der am wenigsten entwickelten Staaten genannt. Neben diesen Erwähnungen in der Präambel gibt es weitere menschenrechtlich relevante WTO- Abkommen: Artikel XX von GATT 1994 erlaubt z.B. Ausnahmen von GATT-Regeln, wenn dadurch a) die öffentlichen Sitten („public morals“) und/oder b) das Leben von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder die allgemeine Gesundheit geschützt werden sollen. Artikel 8 des TRIPS- Abkommens, des maßgeblichen WTO-Abkommens zum Schutz von intellektuellem Eigentum, gestattet es WTO-Mitgliedsstaaten, vom Abkommen abweichende Maßnahmen zu ergreifen, sofern diese nötig sind, um Gesundheit und Ernährung der Bevölkerung zu schützen, sowie Maßnahmen in Sektoren vorzunehmen, die von überragender Bedeutung für ihre sozioökonomische und technische Entwicklung sind, wenn dies von öffentlichem Interesse ist. Auch erlaubt GATT unter bestimmten Voraussetzungen die Verhängung von Handelsrestriktionen als Sanktion, wenn dies im Rahmen der Pflicht zur Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit gemäß der Charta der Vereinten Nationen geschieht.32 Eine explizite Erwähnung der Menschenrechte findet sich auch nicht im WTO-Abkommen. 29 Alle Informationen dieses Absatzes: Deutscher Bundestag, Wortprotokoll der 33. Sitzung, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Öffentliche Anhörung zum Thema: „Unternehmensverantwortung – Freiwilligkeit oder Verbindlichkeit?“, 22. April 2015 30 Alle Informationen dieses Abschnittes entstammen Willemijn Noordhoek (Anm. 22). 31 Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (englisch General Agreement on Tariffs and Trade, GATT). 32 Vgl. Rat der Europäischen Union, Guidelines on implementation and evaluation of restrictive measures (sanctions ) in the framework of the EU Common Foreign and Security Policy, Dok-Nr. 11205/1, 15. Juni 2015, http://register.consilium.europa.eu/doc/srv?l=EN&f=ST%2011205%202012%20INIT (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 12 In der juristischen Debatte um das Verhältnis von WTO-Abkommen und Menschenrechten haben sich laut Noordhoek bis heute drei Ansätze herausgebildet: - Separate Fields Theory: Menschen- und Handelsrecht sollten getrennt behandelt werden. Dies leugnet nicht die Wichtigkeit der Menschenrechte, hält aber das Handelsrecht und speziell das WTO-Abkommen für das falsche Werkzeug, um Menschenrechte zu fördern. Dabei wird argumentiert, dass es eine „Perversion“ des WTO-Abkommens wäre, es für Sanktionen wie Handelsembargos zu nutzen, da sein Ziel schließlich möglichst freier Handel sei. Daneben wird auch ganz pragmatisch argumentiert: es sei nicht möglich, alle WTO-Mitgliedsstaaten auf eine Linie zu bringen, was Handel und Menschenrechte angehe . - Explicit Incorporation Theory: Diese Theorie basiert auf der Annahme, dass sowohl Handelsvölkerrecht als auch Menschenrechte auf denselben Werten beruhten, bzw. sich beide auf „demselben Spielfeld“ von Völkerrecht und Entwicklung befänden, weshalb eine ausdrückliche Aufnahme der Menschenrechte in das WTO-Abkommen sowie allgemein ins Handelsvölkerrecht angestrebt wird. - Implicit Incorporation Theory: basiert auf der Annahme, dass zum einen (einige) Menschenrechte bereits Bestanteil einiger Teile des WTO-Abkommens seien und zum anderen sich das WTO-Abkommen nicht losgelöst von anderen Völkerrechtsgebieten und deren Maßnahmenkatalogen interpretieren lasse. Staaten könnten Menschenrechtserwägungen in ihre Handelspolitik einfließen lassen und die Menschenrechte könnten auch in den bestehenden Konfliktlösungsmechanismen der WTO als Recht geltend gemacht werden. Diese Ansätze sind nicht nur auf das WTO-Abkommen beschränkt, sondern lassen sich auch auf andere Handelsabkommen bzw. das Welthandelsrecht als solches übertragen. Für eine detaillierte juristische Behandlung dieser drei Theorien siehe Noordhoek.33 6. Menschenrechte in der EU-Handelspolitik Anders als bei der WTO handelt es sich bei der EU um eine wesentlich komplexere und nicht zuletzt politische Organisation, die sich im Vertrag über die Europäische Union neben der Förderung von Wirtschaft und Handel ausdrücklich auch Werten, darunter (in Artikel 6) den Menschenrechten , verschrieben hat. Sie ist, gemessen am Anteil am Welthandel, die größte Handelsmacht der Welt. Die in Kapitel 5, Titel 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag) begründete Gemeinsame Handelspolitik hat die Außenhandelspolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten abgelöst. Damit liegt zum Beispiel die Kompetenz für die Ein- und Ausfuhr von Waren vollständig bei der EU. Ihr gilt daher ein besonderes Augenmerk innerhalb dieses Sachstandes. 33 Willemijn Noordhoek (Anm. 22). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 13 6.1. Selbstverpflichtung der EU Die EU und ihre Mitgliedsstaaten (sofern sie im Rahmen von EU-Recht handeln) sind durch Artikel 3 (5) und Artikel 21 (3) des Vertrages über die Europäische Union dazu verpflichtet, jede Maßnahme zu unterlassen, die die Menschenrechte in anderen Staaten verletzt und dazu verpflichtet , die Menschenrechte durch geeignete Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit zu gewährleisten.34 Artikel 21 (1) des Vertrages über die Europäische Union bildet das Fundament des außenpolitischen und damit auch handelspolitischen Leitbildes der EU: „Die Union lässt sich bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene von den Grundsätzen leiten, die für ihre eigene Entstehung, Entwicklung und Erweiterung maßgebend waren und denen sie auch weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen will: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Menschenwürde, der Grundsatz der Gleichheit und der Grundsatz der Solidarität sowie die Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts.“35 Artikel 207 (1) Satz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union spezifiziert weiterhin: „Die gemeinsame Handelspolitik wird im Rahmen der Grundsätze und Ziele des auswärtigen Handelns der Union gestaltet.“36 Damit geht die Selbstverpflichtung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten (sofern sie im Rahmen von EU-Recht handeln) weit über alle vergleichbaren Regelungen auf internationaler und in den meisten Fällen nationaler Ebene hinaus.37 6.2. Implementierung der Bindung an die Menschenrechte In der Gemeinsamen Mitteilung „Menschenrechte und Demokratie im Mittelpunkt des Auswärtigen Handelns der EU – Ein wirksamer Ansatz“ der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik an das Europäische Parlament und den Rat (2011) wurde die Rolle der Menschenrechte für die Außenpolitik der EU weiter konkretisiert. Die Menschenrechte sollen in alle außenpolitischen Maßnahmen integriert werden . Dabei soll jedoch von Fall zu Fall (d.h. für jedes Land) eine maßgeschneiderte Länderstrategie entwickelt werden. Dies obliegt der EU-Delegation sowie den Botschaften der EU-Staaten vor 34 Lorand Bartels, Eine menschenrechtliche Modellklausel für die völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union, S.24, Studie für das Deutsche Institut für Menschenrechte und Misereor, Februar 2014, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/_migrated/tx_commerce/Studie_Menschenrechtliche _Modellklausel.pdf (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). 35 Artikel 21 (1) Vertrag über die Europäische Union, siehe https://dejure.org/gesetze/EU/21.html (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). 36 Artikel 207 (1) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, https://dejure.org/gesetze /AEUV/207.html (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). 37 Lorand Bartels (Anm. 34). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 14 Ort.38 In Hinblick auf die Handelspolitik wird dabei festgestellt, dass die Handelspolitik der EU in Hinblick auf die Menschenrechte kohärent, transparent, vorhersehbar, machbar und effektiv sein soll. Vor der Aufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen soll die Menschenrechtssituation in dem jeweiligen Land betrachtet werden. Dies steht in Einklang mit den erwähnten Leitprinzipien der VN, die ebenfalls die Prüfung menschenrechtlicher Auswirkungen von Handelsabkommen ex ante, also vor Beginn von Verhandlungen, vorsehen. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass sich ab einem bestimmten Stadium der Verhandlungen allenfalls noch „kosmetische“ Änderungen vornehmen lassen und nach Abschluss des Abkommens oft nur noch der Rechtsweg offensteht, was aus oben genannten Gründen (Mangel eines anerkannten Lösungsmechanismus ‘) keine attraktive Option darstellt. 6.3. Menschenrechtsklausel Es existiert seit 1995 ein Standardtext für die in Handelsabkommen der EU einzufügende Menschenrechtsklausel : „Der Respekt für demokratische Prinzipien und Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und anderen relevanten internationalen Menschenrechtsinstrumenten niedergelegt sind, sowie für das Rechtsstaatsprinzip, liegen der inneren und internationalen Politik beider Parteien zugrunde und bilden einen unveräußerlichen Teil dieses Abkommens“.39 Diese Klausel wird gemäß den seit 1995 geltenden Regeln in jedes Handelsabkommen der EU eingefügt.40 6.3.1. Kritik an der Menschenrechtsklausel Lorand Bartels argumentiert in seiner Studie für das Deutsche Institut für Menschenrechte und das kirchliche Hilfswerk Misereor, dass die Menschenrechtsklausel in ihrer jetzigen Form nicht ausreiche, um menschenrechtlich problematische Auswirkungen von Handelsabkommen zu verhindern bzw. zu bekämpfen. Er führt dazu folgendes aus: „Erstens, erlaubt die standardisierte Menschenrechtsklausel einer Vertragspartei nicht, die Menschenrechte auf dem eigenen Gebiet zu schützen. Die Generalausnahmen, welche sich schon jetzt in Handelsabkommen finden, erlauben zwar Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit und Le- 38 Europäische Kommission und die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik „Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat „Menschenrechte und Demokratie im Mittelpunkt des Auswärtigen Handelns der EU – Ein wirksamer Ansatz““, 12. Dezember 2011, (KOM(2011) 886), http://www.europarl.europa.eu/meetdocs /2009_2014/documents/com/com_com%282011%290886_/com_com%282011%290886_de.pdf (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). 39 Im engl. Text: „Respect for democratic principles and human rights, as laid down in the Universal Declaration of Human Rights and other relevant international human rights instruments, and for the principle of the rule of law, underpins the internal and international policies of both Parties and constitutes an essential element of this Agreement.” Siehe Anya Oram und Gosia Gorska, EU trade policy and Human Rights, 2012, http://trade.ec.europa .eu/doclib/docs/2012/february/tradoc_149077.pdf (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). Vergleiche Aaronson und Chauffour (Anm. 16): die EU beruft sich standardmäßig nicht auf spezifische Menschenrechte und verzichtet in der Regel auf detaillierte Klauseln hierzu. 40 Lorand Bartels, S. 10 (Anm. 34). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 15 ben, dies reicht aber, wie bereits oben bemerkt, kaum aus. Aus diesem Grund sollten alle Handelsabkommen eine Klausel beinhalten, welche die Ergreifung von außergewöhnlichen Maßnahmen gestattet, um innerstaatliche Menschenrechte zu schützen. Dies ist sowohl für die EU als auch für Drittstaaten wichtig, um sie in die Lage zu versetzen, ihren Menschenrechtsverpflichtungen in ihrem primären Verantwortungsbereich nachzukommen. Weiterhin wurde bereits gezeigt , dass die EU nach EU-Recht auch noch die zusätzliche Pflicht hat, mit Drittstaaten diesbezüglich zu kooperieren. Diese Verpflichtung kann so interpretiert werden, dass sie die EU zwingt, eine solche Klausel auch zum Wohle des Drittlandes einzuführen.“ 41 Diese Argumentation lässt sich natürlich auch auf TTIP anwenden. Weiterhin führt Bartels aus, dass die Menschenrechtsklausel ihre eigene Anwendung zu sehr beschneide : „Das zweite Problem ist, dass die standardisierte Menschenrechtsklausel erst dann greift, wenn die jeweils andere Partei Menschenrechte verletzt. Dies schränkt den Anwendungsbereich der Klausel zu sehr ein. Wie bereits erwähnt wurde, hat die EU die Verpflichtung, die Menschenrechte in einem Drittstaat zu achten. Diese Verpflichtung existiert unabhängig von den Verpflichtungen eines Drittstaates. Tatsächlich kann diese Verpflichtung die EU sogar in einer Situation zum Handeln zwingen, wenn der Drittstaat selbst gar nicht für die Menschenrechtsverletzung verantwortlich ist (zum Beispiel aus Gründen der Handlungsunfähigkeit). Daher ist es aus rechtlicher Sicht ebenso wie aus der Perspektive des EU-Rechts notwendig, dass die EU in der Lage ist, Maßnahmen auf Grundlage einer Menschenrechtsklausel zu ergreifen, ohne beweisen zu müssen, dass ein Drittstaat für die Menschenrechtsverletzung verantwortlich ist.“42 6.3.2. Lösungs- und Verbesserungsvorschläge43 Bartels schlägt mehrere Lösungs- bzw. Verbesserungsmöglichkeiten vor: - Unilaterale Maßnahmen ermöglichen. Dies wäre laut Bartels eine absolut notwendige Änderung . Die EU sollte in ihre Handelsabkommen Klauseln aufnehmen, die es jeder Vertragspartei gestatten, in ihrem eigenen Verantwortungsbereich menschenrechtliche Probleme , die sich aus dem Handelsabkommen ergeben, zu identifizieren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Bartels führt als Beispiele für schon bestehende derartige Klauseln die Praxis von Neuseeland auf, das sich in seinen Handelsabkommen standardmäßig vorbehält , einseitig Maßnahmen zu ergreifen, die es für notwendig erachtet, um seine menschenrechtlichen und anderen rechtlichen Verpflichtungen gegenüber den Maori zu erfüllen . 41 Lorand Bartels, S. 28 (Anm. 34) 42 Lorand Bartels, S. 28 (Anm. 34). 43 Alle Informationen dieses Abschnittes, sofern nicht anders vermerkt, aus: Lorand Bartels, S. 30 – 35 (Anm. 34). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 16 - Institutionalisierung bzw. rechtliche Verankerung von menschenrechtlichen Folgeabschätzungen und Überprüfung der Wirkung von Abkommen. Längerfristig wäre es möglicherweise notwendig, die Abkommen der EU mit Mechanismen auszustatten, welche die Implementierung der Abkommen hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechtsnormen mit Hilfe einer menschenrechtlichen Folgenabschätzung (human rights impact assessment, HRIA) überwachen und, wenn nötig und möglich, entsprechende Abkommen ergänzen.44 Ein solcher Schritt stünde in Einklang mit den obengenannten VN-Leitlinien. Um einer solchen Prüfung Gewicht zu verleihen, wäre es notwendig, klare und transparente Regeln aufzustellen und vor allem institutionalisierte Konsequenzen aus den jeweiligen Ergebnissen der Prüfung zu ziehen. Bartels schlägt vor, dass ein solcher Mechanismus beim Gemeinsamen Rat, einem Ausschuss, der für jedes EU-Handelsabkommen eingerichtet wird, anzusiedeln. Eine weitere Möglichkeit wäre die Einrichtung eines gemeinsamen Menschenrechtsausschusses für jedes Abkommen. - Stärkere Rolle des Europäischen Parlamentes. Dies wäre laut Bartels keine zwingende, aber dennoch vorteilhafte Änderung. Das Europäische Parlament (EP) spielt im Gefüge der EU zwar eine entscheidende Rolle bei der Menschenrechtspolitik, aber nicht in der Handelspolitik . Es wäre aus politischen Gesichtspunkten wünschenswert, wenn sich die international zu beobachtende Tendenz zur Kohärenz von Handels- und Menschenrechtspolitik auch in einer stärkeren Beteiligung des EP an den Handelsabkommen der EU niederschlüge . - Zivilgesellschaftliche Beteiligung. Bartels plädiert für eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft am Zustandekommen von Handelsabkommen und stellt das EU-Cariforum- Abkommen45 in dieser Hinsicht als beispielhaft heraus. Weiterhin führt er den Beschwerdemechanismus des ökologischen Nebenprotokolls der NAFTA als Beispiel für gelungene zivilgesellschaftliche Beteiligung auf und schlägt vor, ähnliches in Hinblick auf menschenrechtliche Aspekte einzuführen. 7. Fazit Über die Auswirkungen von TTIP auf die Menschenrechte lässt sich angesichts der mangelnden Transparenz der Verhandlungen nichts Konkretes sagen. Grundsätzlich lässt sich auf der Ebene des Völkerrechtes sowie des EU-Rechtes aber deutlich ein Streben nach Kohärenz von Handelsund Menschenrecht erkennen. Dazu kommt die immer stärkere Befassung mit dem Zusammenhang von privatem Unternehmenshandeln und der Pflicht, die Menschenrechte zu achten. Da 44 Ein Beispiel hierfür (allerdings nicht von Bartels), ist das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und Kolumbien , in dem vereinbart wurde, dass beide Länder jährlich die menschenrechtlichen Auswirkungen des Abkommens bewerten. Siehe Office of the High Commissioner of Human Rights, Human rights in the trade arena, 25. Oktober 2011, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/HRInTheTradeArena.aspx (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). 45 Das EU-Cariforum-Abkommen ist ein Handelsabkommen zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten des CA- RIFORUM, eines Verbundes karibischer Staaten. Siehe Europäische Kommission, Factsheet How the EU is putting the EPA into practice, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2012/april/tradoc_149286.pdf (zuletzt abgerufen am 11. September 2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 130/15 Seite 17 bisher keine völkerrechtliche, bindende Regelung hierzu im internationalen Recht besteht, werden zumindest in den westlichen Industriestaaten inzwischen standardmäßig Menschenrechte in Handelsabkommen berücksichtigt. Ende der Bearbeitung