© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 129/19 99 International menschenrechtliche Grenzen der Ausweisung und Einreiseverweigerung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 129/19 Seite 2 International menschenrechtliche Grenzen der Ausweisung und Einreiseverweigerung Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 129/19 Abschluss der Arbeit: 8. November 2019 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 129/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Völker- und menschenrechtlicher Rahmen für den Zugang zum deutschen Staatsgebiet 4 2. Ausweisung 5 2.1. Ausweisung von Ausländern im Allgemeinen 5 2.2. Ausweisung von Personen unter internationalem Schutz 6 2.3. Non-refoulement 7 3. Einreiseverweigerung 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 129/19 Seite 4 1. Völker- und menschenrechtlicher Rahmen für den Zugang zum deutschen Staatsgebiet Der Auftraggeber fragt nach den universellen und europäischen menschenrechtlichen Grenzen der Ausweisung von Personen aus dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland sowie nach den Grenzen der völkerrechtlichen Zulässigkeit, deren (Wieder-)Einreise in dieses Staatsgebiet zu verweigern. Im Ausgangspunkt ist als Ausfluss aus dem völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatz festzuhalten , dass die Staaten das Recht haben zu bestimmen, welche Ausländer unter welchen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen Zugang zu ihrem Staatsgebiet erhalten sollen.1 Das Menschenrecht der allgemeinen Bewegungsfreiheit (freedom of movement) gewährt in seinen konkreten völkerrechtlichen Ausformungen nur die Freiheit der Ausreise aus jedem Staatsgebiet , aber nicht die Einreise in irgendein Staatsgebiet mit Ausnahme desjenigen, dessen Staatsangehöriger die betreffende Person ist.2 Es gibt also kein allgemeines Menschenrecht auf Aufenthalt in einem bestimmten Land mit Ausnahme des eigenen Herkunftslandes. Dies gilt für alle einschlägigen Ausgestaltungen der Bewegungsfreiheit, mithin für - Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AllgEMR)3, - Art. 12 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)4 und - Art. 2 und 3 des 4. Protokolls zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)5. 1 Vgl. zum Souveränitätsgrundsatz allgemein Knut Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Auflage 2014, § 5 Rz. 20 ff.; zum Staatsgebiet: ders., § 5 Rz. 3 ff. 2 Siehe im Einzelnen Eckart Klein, Movement, Freedom of, International Protection, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e851?prd=MPIL#law-9780199231690-e851-div2-1. 3 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948, https://www.ohchr.org/EN/UDHR/Documents/UDHR_Translations/ger.pdf. 4 Internationaler Pakt für Bürgerliche und Politische Rechte (IPbpR), BGBl. 1973 II 1553, https://www.institutfuer -menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICCPR/iccpr_de.pdf. 5 Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind vom 16. September 1963, https://www.menschenrechtskonvention.eu/protokoll-nr-4-emrk- 9266/. Mit weiteren Einzelheiten Eckart Klein, a.a.O. (Fn. 3), Rz. 3 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 129/19 Seite 5 2. Ausweisung 2.1. Ausweisung von Ausländern im Allgemeinen Das souveräne Recht der Staaten zu bestimmen, welche Ausländer unter welchen Bedingungen in ihr Territorium einreisen und sich darin aufhalten dürfen, impliziert das Recht der Staaten zur Ausweisung und des tatsächlichen, bei Bedarf mit Zwangsmittel umgesetzten Vollzugs derselben .6 Menschenrechtliche Grenzen staatlichen Ermessens beziehen sich im Wesentlichen auf Verfahrensaspekte : So müssen von nationalen Stellen – also etwa auch von deutschen Behörden – veranlasste Ausweisungen auf einer innerstaatlichen gesetzlichen Grundlage beruhen, in Übereinstimmung mit dieser Gesetzesgrundlage vollzogen werden und zudem fair und frei von Willkür sein.7 Für Deutschland ergibt sich dies aus Art. 13 IPbpR sowie aus Art. 1 des 7. Protokolls zur EMRK.8 Die genannten völkerrechtlichen Normen verlangen nicht zwingend eine richterliche Entscheidung. Nach Art. 1 Abs. 2 des 7. Protokolls zur EMRK könnte eine ausländische Person, die sich nicht rechtmäßig im Staatsgebiet aufhält, sogar ohne Anhörung ausgewiesen werden, wenn dies im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich ist. In materiell-rechtlicher Hinsicht wird als menschenrechtliche Grenze der Ausweisung von Ausländern das Diskriminierungsverbot genannt. Das Menschenrecht „jedes einzelnen, ohne Unterschied der Rasse, der Hautfarbe, des nationalen Ursprungs oder des Volkstums, auf Gleichheit vor dem Gesetz“ gem. Art 5 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung9 ist bei allen staatlichen Handlungen der Vertragsstaaten, also z.B. auch bei einer Ausweisung zu beachten. 6 Siehe Walter Kälin, Aliens, Expulsion and Deportation, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e745?rskey=MYbjMF&result =3&prd=MPIL, Rz. 4: “The right to decide freely about the admission and continuing presence of aliens on their territory is an attribute of the sovereignty of States and this right implies the possibility to expel them” (Hervorhebung vom Bearbeiter). 7 Kälin, a.a.O., Rz. 5 und 9 ff. 8 IPbpR: Fundstelle siehe oben. Protokoll Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 22. November 1984, https://www.menschenrechtskonvention.eu/protokoll-nr-7-emrk-9273/. 9 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966, Bundesgesetzblatt (BGBL) 1969 II Seite 961, https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload /PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICERD/icerd_de.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 129/19 Seite 6 2.2. Ausweisung von Personen unter internationalem Schutz Bei auszuweisenden Personen kann es sich im Einzelfall auch um Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)10 handeln. Flüchtlinge, die sich rechtmäßig im Gebiet eines Vertragsstaates der GFK aufhalten, genießen einen besonderen völkerrechtlichen Ausweisungsund Abschiebeschutz. Ihre Ausweisung, bzw. ihre Zurückweisung an der Grenze bei einer versuchten Einreise, ist gem. Art. 32 und 33 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) völkerrechtlich zulässig, wenn - Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung für die Ausweisung sprechen (Art. 32 Abs. 1 GFK); - die Person ein faires Verfahren mit der Gelegenheit, Rechtsmittel einzulegen, hatte (Art. 32 Abs 2 GFK); - der Person eine angemessene Frist gewährt wurde, um rechtmäßige Aufnahme in einem anderen Land zu suchen (Art. 32 Abs. 3); - infolge der Ausweisung entweder für den Flüchtling keine Gefahr für „Leben oder […] Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung“ besteht oder er diese Gefahr hinnehmen muss, weil er „aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist“ oder er „eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“ (Art. 33 GFK). A fortiori lässt sich argumentieren: Wenn die GFK unter den genannten Voraussetzungen schon die Ausweisung eines sich rechtmäßig im Staatsgebiet aufhaltenden Flüchtlings gestattet, so ist die Ausweisung eines zuvor abgelehnten Asylbewerbers erst recht zulässig. Bei der Zulässigkeit der Ausweisung von Personen ist im Übrigen daran zu erinnern, dass bestimmte Personen ohnehin vom Anwendungsbereich der GFK ausgeschlossen sind. Nach Art. 1 F GFK findet die GFK keine Anwendung auf „Personen, in Bezug auf die aus schwer wiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, a) dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit […] begangen haben […], b) dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden; c) dass sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.“ Personen, die unter diesen Ausschlusstatbestand fallen, genießen keinen völkerrechtlichen Schutz vor Ausweisung bzw. vor Einreiseverweigerung. 10 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (In Kraft getreten am 22. April 1954) in Verbindung mit dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (in Kraft getreten am 4. Oktober 1967), https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/03/Genfer_Fluechtlingskonvention _und_New_Yorker_Protokoll.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 129/19 Seite 7 2.3. Non-refoulement Das Refoulement-Verbot des Völkerrechts verbietet eine Ausweisung, wenn die ausgewiesene Person dadurch schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre.11 Das Verbot greift allerdings nur bei gravierenden Beeinträchtigungen an Leib und Leben. Das Refoulement-Verbot ist im Völkerrecht mehrfach normiert, insbesondere in Art. 3 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe sowie in Art. 33 Abs. 1 GFK.12 Nach einhelliger Ansicht von Rechtsprechung und Wissenschaft zählt das Refoulement-Verbot zum Völkergewohnheitsrecht, nach teilweise vertretener Auffassung sogar zum zwingenden Völkerrecht (ius cogens).13 Das (für die Umsetzung des IPbpR zuständige) Menschenrechtskommittee (HRC) hat in einer Allgemeinen Anmerkung (General Comment) seine Rechtsauffassung zur umfassenden und grundlegenden Bedeutung des Refoulement-Verbots dargelegt .14 In der völkerrechtswissenschaftlichen Literatur findet sich folgende Zusammenfassung zum Stand der Diskussion des Refoulement-Verbots in der Rechtsprechung: The HRC similarly holds that extradition, expulsion, or refoulement is contrary to human rights law where the person concerned would be exposed in the State of destination to the risk of torture or other inhuman or degrading treatment or punishment […]. Furthermore , a State that has abolished the death penalty would violate its duty to protect life under Art. 6 ICCPR by sending a person to a country where he or she would be executed […]. All these human rights prohibitions of expulsion and deportation are non-derogable and absolute. Even in the case of dangerous terrorists, no balancing is allowed […]. Deportation in cases of a real and imminent risk of torture etc, that is undertaken on the basis of diplomatic assurances by the receiving State that the person concerned will not be illtreated is incompatible with international human rights law, if the deporting State does not establish and implement an effective monitoring mechanism to ensure that the assurances are in fact sufficient in the individual case […].15 11 Kälin, a.a.O., Rz. 12 ff. 12 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (BGBl. 1990 II S. 246), https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user _upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CAT/cat_de.pdf. 13 Siehe im Einzelnen Lorcán Hyde, The principle of non-refoulement in international law, http://www.rescriptum .org/wordpress/wp-content/uploads/2016/07/2016_1_029_Hyde.pdf sowie WD 2-3000-013/18 vom 13. Februar 2018, S. 7 ff, https://www.bundestag.de/resource/blob/568316/233b72822499d4a8a51ff75cc7380482/WD- 2-114-18-pdf-data.pdf. 14 Human Rights Committee, General Comment No 20: Article 7 (Prohibition of Torture, or Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment) by Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) [UN Doc A/47/40, Annex VI, UN Doc CCPR/C/74/CRP.4/Rev.6, UN Doc HRI/GEN/1/Rev.6, 151, UN Doc HRI/GEN/1/Rev.1, 30], https://www.refworld.org/docid/453883fb0.html. 15 Kälin, a.a.O., Rz 16 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 129/19 Seite 8 3. Einreiseverweigerung Wie bereits den obigen Ausführungen passim zu entnehmen ist, kann auch die Einreise verweigert werden, soweit eine Ausweisung völkerrechtlich zulässig ist. ***