WD 2 - 3000 - 128/19 (5. November 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Einmarsch der Türkei in den größtenteils von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces, SDF) kontrollierten Norden von Syrien - die sogenannte „Operation Friedensquelle“ - wird in einigen Gebieten von lokalen Milizen unterstützt. Dabei handelt es sich um arabisch-syrische sowie turkmenisch-syrische Gruppen, die in Gegnerschaft zum syrischen Präsidenten Assad und den SDF stehen. Diese Gruppen werden offiziell unter dem Begriff Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) zusammengefasst und sind laut offizieller türkischer Darstellung eine Vereinigung von vormals autonom agierenden 29 Milizen.1 Diese haben sich zum Teil wiederum aus verschiedenden Milizen gebildet.2 Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass zumindest einige dieser Milizen als islamistisch gelten können, bzw. von Beobachtern so eingeordnet werden, so z.B. die „Armee des Islam“ (Jaysh al-Islam), die explizit einen islamisch-sunnitischen Staat in Syrien anstrebt.3 Die Frage, ob der Islamismus dieser Gruppen auch als Jihadismus bezeichnet werden kann, ist in gewisser Hinsicht hinfällig. Jihadismus beinhaltet die Bereitschaft, die Ziele des politischen Islams mit Gewalt durchzusetzen. Die in Nordsyrien mit Unterstützung der Türkei agierenden 1 Dilara Hamit und Erdoğan Çağatay Zontur, Free Syrian Army transforms into Syrian National Army, Anadolu am 9. Oktober 2019, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/free-syrian-army-transforms-into-syrian-nationalarmy /1607384 (zuletzt abgerufen am 4. November 2019). 2 Die Al-Sham-Legion z.B. soll sich aus 19 verschiedenen Gruppen gebildet haben. Siehe Nineteen Syrian Opposition Groups Unite under ’Al-Sham Legion’, Internationalist 360° (Blog) am 11. März 2014, https://syria 360.wordpress.com/2014/03/11/nineteen-syrian-opposition-groups-unite-under-al-sham-legion/ (zuletzt abgerufen am 4. November 2019). Allein der Artikel der englischsprachigen Wikipedia über die Turkish-backed Free Syrian Army zählt fast 200 Gruppen auf. 3 Wesley Dockery, Which rebel groups are fighting in Syria's eastern Ghouta?, DW am 20. Februar 2018, https://www.dw.com/en/which-rebel-groups-are-fighting-in-syrias-eastern-ghouta/a-42663501 (zuletzt abgerufen am 4. November 2019). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Von der Türkei im Zuge der Invasion Nordsyriens unterstützte islamistische und jihadistische Milizen Kurzinformation Von der Türkei im Zuge der Invasion Nordsyriens unterstützte islamistische und jihadistische Milizen Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Milizen wenden im Rahmen der Offensive in jedem Fall Gewalt an. Zieht man Gewalttätigkeit bzw. -bereitschaft als Hauptkriterium des Jihadismus hinzu, handelt es sich also grundsätzlich bei allen sich auf den islamistischen, die Militäroffensive unterstützenden Milizen auch um Jihadisten. Eine weitere Differenzierung ließe sich ggf. anhand des Vorgehens gegen Gegner vornehmen. Typisch für Jihadisten ist in der Regel die Abwertung sämtlicher Gegner als „Ungläubige“, die getötet werden könnten, seien es nun militärische Gegner oder Zivilisten. Nicht immer ist jedoch a priori klar, welche Gruppen von den Milizen (abgesehen vom syrischen Regime) als Gegner betrachtet werden. In der Vergangenheit gab es z.B. islamistische syrische Gruppen, die bewaffnet gegen den Islamischen Staat (IS) kämpften. Spätestens an dem Punkt, an dem Jihadisten gegen Jihadisten kämpfen, ist der praktische Sinn einer klaren Zuordnung nicht mehr erkennbar. Auch ist die Bezeichnung der Gegner als Ungläubige immer noch nicht zwingendes Indiz einer jihadistischen Ideologie. Es könnte sich auch lediglich um martialische Rhetorik zwecks Einschüchterung der Gegner und Aufpeitschung der eigenen Kämpfer handeln und nicht um den echten Ausdruck eines genuinen religiösen Fanatismus. Zumindest im Falle von Milizen, die sich selbst als Mujahidin bezeichnen, deutet bereits der Name darauf hin, dass sie sich selbst als jihadistisch verstehen: Mujahid ist die arabische Bezeichnung eines sich in einem Heiligen Krieg befindenden Kämpfers.4 Die Miliz „Mujahidin des Ruhmes-Korps“ (Mujahidin al-Faylaq al-Majd) wurde im Oktober 2019 dadurch bekannt, dass sie die Misshandlung der Leiche der von ihnen getöteten kurdischen Kämpferin Amara Renas auf Video aufnahm und dieses im Internet veröffentlichte. Die Vorgehensweise erinnert an die Propaganda des sogenannten IS. Auf Videos anderer, nicht identifizierter Milizen wird unter anderem die die Enthauptung von „Ungläubigen und Apostaten“ angekündigt, auch dies ein Indiz für Jihadismus. Weitere Hinweise auf die islamistische bzw. jihadistische Einstellung einer Miliz können deren Paraphernalia (z.B. Fahnen mit der shahada, dem islamischen Glaubensbekenntnis, oder mit Koransuren versehene Abzeichen) sein. Dies ist bei einigen der von der türkischen Regierung offiziell als Teil der SNA geführten Milizen der Fall.5 Auch hier ist jedoch nicht zwangsläufig klar, ob es sich um Ausdruck echter jihadistischer Ideologie handelt oder sich die betreffende Gruppe nur durch Verwendung religiöser Symbole bei sunnitisch-muslimischen Bevölkerungsteilen um Legitimation bemüht. Von Seiten der türkischen Regierung wurde bislang keine Aussage über die politisch-religiöse Ausrichtung der Milizen bekannt. Schon seit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges wird der 4 Alle Informationen dieses Absatzes: Jiyar Gol, Syria conflict: The 'war crimes' caught in brutal phone footage, BBC am 3. November 2019, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50250330 (zuletzt abgerufen am 4. November 2019). 5 Siehe Grafik in Anm. 1. Kurzinformation Von der Türkei im Zuge der Invasion Nordsyriens unterstützte islamistische und jihadistische Milizen Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Regierung Erdoğan jedoch vorgeworfen, jihadistische Gruppen in Syrien, eingeschlossen den IS, zumindest stillschweigend zu dulden oder gar aktiv zu unterstützen.6 *** 6 Vgl. Jiyar Gol (Anm. 4).