Deutscher Bundestag Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan Sachstand Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 2 – 3010 – 127/09 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 2 Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan Verfasser: Ausarbeitung: WD 2 – 3010 – 127/09 Abschluss der Arbeit: Datum 20. November 2009 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr 3. Historischer Abriss über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan 4. Internationale und nationale Beschlüsse 5. Politische und militärstrategische Herausforderungen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 4 1. Einleitung Am 8. Oktober 2009 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) die Resolution 1890 (2009) und verlängerte damit den Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan bis zum 13. Oktober 2010. In dieser Resolution wird dem afghanischen Staat erneut die Verantwortung für die Gewährleistung von Sicherheit, Recht und Ordnung zugesprochen und die Unterstützungsfunktion von ISAF unterstrichen. Sie betont die Notwendigkeit einer Verstärkung von ISAF und ruft alle Mitgliedsstaaten auf, mit Personal und Material zu unterstützen. 1 Die NATO führt den ISAF-Einsatz seit August 2003.2 Zwei Monate später haben die VN das ursprünglich auf Kabul und Umgebung begrenzte Einsatzgebiet von ISAF auf ganz Afghanistan ausgedehnt. Der Übernahmeprozess durch die NATO startete im Dezember 2003 im Norden, setzte sich im Westen und danach im Süden fort und endete im Oktober 2006 mit der Wahrnehmung der Verantwortung im Osten Afghanistans. In diesem Zusammenhang übernahm Deutschland am 1. Juni 2006 das Regionalkommando Nord. ISAF umfasst gegenwärtig 71.000 Soldaten und Soldatinnen aus 43 Ländern, darunter alle NATO Mitgliedsstaaten.3 Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von ISAF wurde zuletzt mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 7. Oktober 2008 für 14 Monate verlängert. Ziel der Beteiligung bewaffneter deutscher Kräfte an dem ISAF-Einsatz ist es unverändert, „… Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können.“4 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr Das Bundesverfassungsgericht bekräftigte mit seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994, dass Art. 24 Abs. 2 GG (i.V.m. Art. 87 a Abs. 2 Alt. 2 GG) die verfassungsrechtliche Grundlage für die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zur Wahrung des Friedens darstellt. Mit dem Beitritt Deutschlands zu den VN und zur NATO ist auch eine Verwendung der Bundeswehr bei Einsätzen im Rahmen dieser Organisationen möglich . 1 United Nations, Security Council, Resolution 1890 (2009), abrufbar unter http://www.un.org/docs/sc/unsc_resolutions09.htm (Stand: 17.11.2009). 2 Siehe den Artikel „NATO’s role in Afghanistan“, abrufbar unter http://www.nato.int/cps/en/natolive/topics_8189.htm (Stand: 17.11.2009). 3 Zur aktuellen Stärke der ISAF unterstellten nationalen Truppenkontingente siehe http://www.nato.int/isaf/docu/epub/pdf/isaf_placemat.pdf (Stand: 17.11.2009). 4 Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/10473 vom 07.10.2008. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 5 Für den Einsatz bewaffneter deutscher Kräfte gilt der sog. Wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt . Danach ist die Bundesregierung verpflichtet, die – grundsätzlich vorherige – konstitutive Zustimmung des Bundestages zu dem Einsatz einzuholen. Seit Inkrafttreten des neuen Parlamentsbeteiligungsgesetzes (Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland, PBG) am 24. März 2005 werden diese Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages, zu denen insbesondere das Rückholrecht und die Verpflichtung der Regierung zur Unterrichtung des Parlaments gehören, einfachgesetzlich geregelt und der Parlamentsvorbehalt konkretisiert. 3. Historischer Abriss über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und dem in der Folge herbeigeführten Sturz des Taliban-Regimes beschloss die Internationale Gemeinschaft auf der Petersberger Konferenz in Bonn am 5. Dezember 2001 die „Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen“ (Bonner Vereinbarung). Sie bildete die politische Grundlage für die International Security Assistance Force (ISAF; dt. Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe), deren Aufstellung der Sicherheitsrat der VN am 20. Dezember 2001 mit der Resolution 1386 beschloss. Der Deutsche Bundestag stimmte am 22. Dezember 2001 der von der Bundesregierung entschiedenen Beteiligung der Bundeswehr an ISAF zu. Im Mandat ist als Ziel für den militärischen Beitrag verankert, die afghanische Regierung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit und beim Aufbau eines funktionierenden eigenständigen Staatswesens zu unterstützen. Das zunächst auf sechs Monate befristete Mandat sah eine Beteiligung von bis zu 1.200 Soldaten der Bundeswehr im Einsatzgebiet Kabul und Umgebung vor. Es wurde im Juni 2002 für sechs und im Dezember 2002 für weitere zwölf Monate verlängert. Dabei wurde die personelle Obergrenze auf bis zu 2.500 Soldaten und Soldatinnen angehoben, um die zusammen mit den Niederlanden Anfang 2003 übernommene Leitfunktion für ISAF („lead nation“) wahrzunehmen. Mit dem Bundestagsbeschluss vom 24. Oktober 2003 wurde die Anzahl der Soldaten auf 2.250 festgesetzt und deren Einsatzraum erweitert. Dazu wurden im November 2003 und im September 2004 je ein regionales Wiederaufbauteam (engl. „Provincial Reconstruction Team“; PRT) in Kunduz und Feyzabad aufgestellt.5 Diese PRT verfügen neben einem militärischen Standbein zur Absicherung über eine zivile Komponente, an der sich andere Ressorts der Bundesregierung mit Personal und finanziellen Mitteln beteiligen. Deren Aufgabe ist es, die Autorität der afghanischen Zentralregierung in den Provinzen zu stärken und die Wiederaufbaubemühungen staatlicher wie nichtstaatlicher Organisationen zu unterstützen. Im Zuge der ersten Parlamentswahlen in Afghanistan am 18. September 2005 wurde das Mandat für den Einsatz der Bundeswehr erneut angepasst und die Truppenstärke auf bis zu 3.000 Soldaten und Soldatinnen erhöht. Im Februar 2007 beschloss der Deutsche Bundestag, dem Antrag der NATO auf eine Beteiligung an der Luftaufklärung und Luftüberwachung in Afghanistan zu entsprechen und zusammen mit 5Deutschland stellt zwei von den derzeit 26 ISAF PRT. Im Norden Afghanistans arbeiten fünf PRT. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 6 Luftfahrzeugen vom Typ Tornado (RECCE) bis zu 500 zusätzliche Soldaten in ISAF einzusetzen. Die neue Personalobergrenze lag damit bei bis zu 3.500 Soldaten und Soldatinnen. Die RECCE- Tornados verfügen nicht über die Fähigkeit zur Luftnahunterstützung („Close Air Support“). Im Oktober 2008 stimmte der Bundestag einer Erhöhung der Personalobergrenze auf 4.500 Soldaten und Soldatinnen zu, die bei Kontingentwechseln vorübergehend überschritten werden darf. Als Begründung für die Erhöhung nennt das Mandat die zusätzlichen Aufgaben der Bundeswehr bei der Ausbildungsunterstützung für die afghanische Armee, die Wahrung von Flexibilität, um auf veränderte Sicherheitslagen reagieren zu können sowie die Absicherung der afghanischen Präsidentschaftswahlen im August 2009. Die Bundeswehr engagiert sich verstärkt bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Von den derzeit 59 Ausbildungsteams, welche die afghanische Armee unterstützen (sog. „Operational Mentor and Liasion Teams“; OMLT) stehen derzeit sieben unter deutscher Führung.6 Darüber hinaus unterstützt die Bundeswehr mit einem Feldjägerausbildungskommando bilateral bei der Ausbildung der afghanischen Polizei. Das Kommando umfasste zunächst 30, seit Mai 2008 45 Soldaten. Es soll bis Mitte 2010 auf rund 200 Polizisten aufgestockt werden. Zur Verbesserung der Überwachung des steigenden Aufkommens im Luftverkehr über Afghanistan beantragte die NATO den Einsatz von AWACS-Luftfahrzeugen.7 Der deutsche Bundestag stimmte einer deutschen Beteiligung am 2. Juli 2009 zu. Allerdings konnte der Einsatz der AWACS-Luftfahrzeuge u.a. aufgrund schwieriger Verhandlungen mit möglichen Stationierungsländern in der Nachbarschaft Afghanistans und nicht gewährter Überfluggenehmigungen bis heute nicht erfolgen. Das Mandat läuft am 13. Dezember 2009 aus. Bis zu einem erfolgreichen Abschluss der von der NATO geführten Verhandlungen soll dem Bundestag kein Mandat zur Zustimmung vorgelegt werden.8 Die Drogenbekämpfung durch die afghanische Regierung ist ein wesentlicher Beitrag nicht nur zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, sondern auch zur Verbesserung der Sicherheitslage . Es wird angenommen, dass ein großer Teil der Drogengelder in die Hände von militanten regierungsfeindlichen Kräften fließt. Daher hat die NATO auf ihrem Verteidigungsministertreffen am 10. Oktober 2008 in Budapest beschlossen, die afghanischen Anstrengungen stärker zu unterstützen und gegen die Hersteller von Drogen vorzugehen, wenn ein Zusammenhang mit den Aufständischen nachweisbar ist.9 Deutschland hat diesem Vorgehen zugestimmt, beschränkt sich jedoch selbst weiterhin auf die Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte in der Imple- 6 Siehe dazu das Fact Sheet der NATO, abrufbar unter http://www.nato.int/isaf/topics/factsheets/omltfactsheet .pdf (Stand: 19.11.2009). Ein OMLT besteht aus 13-30 Soldaten. Die Anzahl der OMLT soll bis Dezember 2010 auf 103 erhöht werden. 7 Airborne Early Warning and Control System. 8 In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass Deutschland sich beim Aufbau ziviler Luftüberwachungsstrukturen in Afghanistan engagiert. Siehe dazu den Bericht des Auswärtigen Amts, Afghanistan- Konferenz in Den Haag: Gemeinsame Strategie für Afghanistan, abrufbar unter http://www.auswaertigesamt .de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/AktuelleArtikel/090331- Afg-Konf-DenHaag.html (Stand. 20.11.2009). 9 Siehe den Artikel „NATO’s role in Afghanistan“, abrufbar unter http://www.nato.int/cps/en/natolive/topics_8189.htm (Stand: 17.11.2009). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 7 mentierung der afghanischen Antidrogenstrategie10. Drogenbekämpfung ist nicht Auftrag des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan.11 Absicht der Bundesregierung ist es, das Mandat für den Einsatz der Bundeswehr inhaltlich unverändert bis zum 13. Dezember 2010 zu verlängern. Die Obergrenze des deutschen ISAF- Kontingents liegt demnach weiterhin bei bis zu 4.500 Soldaten und Soldatinnen. Im Mittelpunkt der militärischen Aufgaben steht die Förderung der Befähigung der afghanischen Streitkräfte zur eigenständigen Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben („selbsttragende Sicherheit“). Deutschland wird sich weiterhin auf die Nordregion konzentrieren, die Luftaufklärung durch Tornado- Luftfahrzeuge unterstützen und ISAF-Partner zeitlich und im Umfang begrenzt in anderen Regionen des Landes unterstützen, sofern dies zur Erfüllung des Gesamtauftrags unabweisbar ist.12 4. Internationale und nationale Beschlüsse Fünf Jahre nach der Petersberger Konferenz wurde der „Afghanistan Compact“ auf der Afghanistan -Konferenz in London am 31. Januar 2006 verabschiedet.13 Darin werden die allgemeinen Entwicklungsgrundsätze für die Wiederaufbaubemühungen in Afghanistan vorgestellt, die Eigenverantwortung Afghanistans für seine weitere Entwicklung festgeschrieben und die umfassende Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft zugesagt. Bis 2010 sollen sich die Wiederaufbaubemühungen auf folgende Bereiche konzentrieren: Aufstockung bei den Sicherheitskräften , Ausweitung des Kampfs gegen die Drogenwirtschaft, Schaffung einer effektiveren Regierung und Verwaltung, Steigerung der staatlichen Einnahmen, Verbesserung von Infrastruktur, Bildung und gesundheitlicher Versorgung sowie Bekämpfung der Armut. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung eine eigene Bilanz ihres ressortübergreifenden Afghanistan-Engagements vorgelegt und darin den künftigen Handlungsbedarf und mögliche Handlungsoptionen aufgeführt.14 Auf der Pariser Konferenz am 12.06.2008 hat die Gebergemeinschaft ihr unverändert hohes Engagement für Afghanistan unterstrichen, jedoch in einer kritischen Bestandsaufnahme eine bessere 10 Siehe dazu Deutscher Bundestag, Drucksache 15/5996, Anlage. 11 Im Norden Afghanistans sei die Anbaufläche um über 95% zurückgegangen Siehe dazu Die Bundesregierung , Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung, September 2008, S. 13 (abrufbar unter http://www.auswaertigesamt .de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/Downloads/080909- Afghanistan-Konzept2008.pdf (Stand: 17.11.2009). 12 Dazu gehört auch der Einsatz von Lufttransportmitteln sowie von Fernmeldesoldaten, die als deutsche Elemente des „1 NATO Signal Battalion“ in Kandahar stationiert sind. 13 Die Ergebnisse der Afghanistan-Konferenzen sind abrufbar unter http://www.auswaertigesamt .de/diplo/de/Infoservice/Presse/Meldungen/2008/080611-AFG-Konferenz-Paris.html (Stand: 19.11.2009). 14 Die Bundesregierung, Das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung, September 2008 (abrufbar unter http://www.auswaertigesamt .de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/Downloads/080909- Afghanistan-Konzept2008.pdf (Stand: 17.11.2009). Siehe dazu auch Die Bundesregierung – Frieden und Entwicklung in Afghanistan – Sicherheit für uns (abrufbar unter http://www.auswaertigesamt .de/diplo/de/Infoservice/Broschueren/Afghanistan.pdf) (Stand: 19.11.2009). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 8 Koordinierung und einen effizienteren Mitteleinsatz sowie die Verpflichtung der afghanischen Regierung zur wirksamen Korruptionsbekämpfung gefordert.15 Bei der Afghanistan-Konferenz in Den Haag am 31. März 2009 wurde eine Höherbewertung des zivilen Aufbaus angekündigt. Zivile Aufbauprogramme seien genauso erforderlich wie zusätzliche Truppen und militärische Ausbildungsmaßnahmen . 16 Auf dem NATO-Gipfel in Straßburg und Kehl im April 2009 haben die Staats- und Regierungschefs vereinbart, die Ausbildungsunterstützung für die afghanischen Streitkräfte signifikant zu vergrößern, Afghanistan in einem regionalen Zusammenhang mit Pakistan zu betrachten und den Ansatz der Vernetzten Sicherheit, d.h. vor allem die Verzahnung ziviler und militärischer Mittel, zu implementieren.17 Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben kürzlich die VN gebeten, eine Afghanistankonferenz einzuberufen, um konkrete Erwartungen und Ziele mit der neuen afghanischen Regierung über die weitere Entwicklung in Afghanistan festzulegen. Die Bundesregierung kündigte ihr Bestreben an, „… messbare, konkrete Ziele und Fristen bei Sicherheit, Regierungsführung sowie wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung festzulegen, die die neue afghanische Regierung verpflichten.“ Es gelte, so die Bundesregierung, „… klare, realistische und zielgerichtete Vereinbarungen für die vor uns liegenden Aufgaben (zu) treffen. (…) Kern des Engagements der internationalen Gemeinschaft muss sein, die Afghanen selbst Schritt für Schritt und mit klar definierten Etappen und Zwischenzielen in Verantwortung für ihr Land zu bringen.“ Ziel sei es, bis 2013 „… die Grundlagen dafür zu schaffen, dass im Rahmen von ISAF … mit einer Reduzierung auch der deutschen Militärpräsenz begonnen werden kann.“ Als klar definierte Zielvorgabe sollen vor allem die Zahl und Qualität der auszubildenden afghanischen Sicherheitskräfte festgelegt werden . Die Bundesregierung kündigte an, „dass sie im Lichte der Ergebnisse der Konferenz die deutschen Beiträge wo erforderlich anpassen und den Deutschen Bundestag entsprechend unterrichten werde.“ 18 5. Politische und militärstrategische Herausforderungen Die weitere Entwicklung in Afghanistan ist von zahlreichen Faktoren abhängig, die auch bei der bevorstehenden Afghanistan-Konferenz eine Rolle spielen könnten. 15 Zur Konferenz siehe http://www.auswaertigesamt .de/diplo/de/Infoservice/Presse/Meldungen/2008/080611-AFG-Konferenz-Paris.html 16 Das Abschlussdokument der Konferenz in Den Haag ist abrufbar unter http://www.auswaertigesamt .de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/Downloads/090331-Afg- Konf-BM-Abschlusserklaerung.pdf (Stand: 19.11.2009). 17 Siehe dazu den Internetauftritt der NATO unter http://www.nato.int/cps/en/natolive/news_52799.htm (Stand: 19.11.2009). 18 Die Bundesregierung, Afghanistan. Auf dem Weg zur „Übergabe in Verantwortung“. Ressortübergreifende Entscheidungsgrundlage zur Mandatsverlängerung und vor der internationalen Afghanistan Konferenz. Abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/__Anlagen/2009/11/2009-11-18-dokumentafghanistan ,property=publicationFile.pdf (19.11.2009). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 9 Politisch steht Präsident Karsai unter massivem Druck. Beobachter sprechen von einer Legitimitätskrise , in der sich seine Regierung nach der Präsidentschaftswahl am 20. August 2009 und der abgesagten Stichwahl am 7. November 2009 befinde und die Auswirkungen auch auf die Sicherheitslage haben könnte.19 Gleichzeitig äußerten vor allem die größten ISAF-Truppensteller Kritik an der Regierungsführung von Präsident Karsai. Verbesserungen in der Regierungsführung20, im Kampf gegen Korruption und im Aufbau der Sicherungskräfte seien wesentliche Kriterien für die Entwicklung einer Übernahmeperspektive. Von politikwissenschaftlicher Seite wird darauf hingewiesen , dass belastbare staatliche Strukturen entscheidend seien für die demokratische Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte, die in den nächsten Jahren zu einem wichtigen innenund später ggf. auch außenpolitischen Machtfaktor werden könnten.21 Die afghanischen Streitkräfte (Afghan National Army; ANA) verfügten im Oktober 2009 über eine Personalstärke von rund 92.000 Soldaten. Diese soll bis Oktober 2010 auf 134.000 Soldaten erhöht werden. Dabei besteht Einvernehmen innerhalb der NATO, die Ausbildungsbemühungen zu erhöhen.22 In den letzten Jahren konnten bereits Fortschritte erzielt werden: 46 von 86 afghanischen Bataillonen waren im Oktober 2009 zu eigenständigen Operationen befähigt und besaßen das höchste Fähigkeitsprofil. Die Anzahl der militärischen Operationen, in denen die ANA die Führungsverantwortung trägt, ist angestiegen. Über 90 Prozent der ISAF-Operationen werden zusammen mit der ANA durchgeführt. Zudem ist eine deutliche Verringerung der unerlaubten Entfernungen von der Truppe zu verzeichnen (von 33% im Jahre 2006 auf 9% im Jahre 2009). Die Fortschritte mündeten in der Übernahme der Verantwortung für die Sicherheit im Stadtgebiet von Kabul durch afghanische Sicherheitskräfte im August 2008. 23 Seit geraumer Zeit arbeitet die NATO an Plänen für die Übergabe bestimmter Regionen an die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahre 2010 soll, so heißt es im NATO Hauptquartier, damit begonnen werden. Dafür könnten sich auch Bereiche der Nordregion, die unter deutscher Führung steht, anbieten.24 Der Generalsekretär der NATO, Anders Fogh Rasmussen, verkündete am 19 Siehe dazu Ruttig, Thomas, Afghanistans Wahlkrise. Die gefälschte Präsidentschaftswahl und Strategien für >>danach<<, SWP-Aktuell 56, Berlin Oktober 2009; Harsch, Michael F., Mullen, Rani D., Afghanistan’s Legitimacy Crisis, ISN ETH Zürich (abrufbar unter http://www.isn.ethz.ch/isn/Current-Affairs/Security- Watch/Detail/?lng=en&id=106239 (Stand: 17.11.2009). 20 Zur Funktionsuntüchtigkeit der staatlichen Institutionen in Afghanistan siehe Maaß, Citha D., Afghanistan : Staatsaufbau ohne Staat, SWP-Studie, Berlin Februar 2007. 21 Paul, Michael, Der (Wieder-)Aufbau der Afghanischen Nationalarmee. Ausweg für die NATO oder Menetekel für Afghanistan?, SWP-Aktuell 60, Berlin November 2009, S. 2-3. In diesem Zusammenhang verweist das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung auf die problematische Menschenrechtslage in Afghanistan, für die u.a. die unzureichende staatliche Kontrolle über die Polizeikräfte verantwortlich sei (a.a.O., S. 21). 22 Paul zitiert NATO-Angaben, wonach die Anzahl der ISAF-Ausbildungsteams (Operational Mentoring und Liasion Team, OMLT) im Dezember 2010 von 56 auf 84 erhöht werden muss (Paul, a.a.O., S. 6). 23 Paul, a.a.O., S. 5. 24 Siehe den Artikel „Nato erwägt Abzug aus dem Norden 2010“ in FAZ.NET vom 17. November 2009 (abrufbar unter http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E4AA0CCCEE2F2424BA5E289 BB418FE211~ATpl~Ecommon~Scont) (Stand: 17.10.2009). Neben dem Drängen nach einer Übergabeperspektive gibt es auch Stimmen, die auf die Notwendigkeit der Beachtung nicht nur des „Afghan Face“, sondern auch der „Afghan Pace“ hinweisen. Siehe dazu Paul, a.a.O., S. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 10 16.11.2009 bei einem Treffen der EU-Verteidigungsminister, zunächst sei eine Erhöhung der personellen und finanziellen Ressourcen erforderlich, um genügend afghanische Sicherheitskräfte auszubilden. 25 Die internationale strategische Diskussion über das weitere Vorgehen in Afghanistan ist uneinheitlich .26 Sie wird maßgeblich durch Impulse aus den USA bestimmt. „Think tanks“ haben eine Vielzahl von strategischen Konzepten und Handlungsempfehlungen erarbeitet, die sich teilweise drastisch unterscheiden.27 Weithin Einigkeit besteht bzgl. der herausragenden Bedeutung des Prinzips afghanischer Eigenverantwortung („Afghan ownership“) sowie der Wichtigkeit und Richtigkeit des Konzepts der Vernetzten Sicherheit („comprehensive approach“). Einvernehmen besteht auch hinsichtlich der Notwendigkeit, die Implementierung dieses Konzepts zu verbessern – auf der nationalen ebenso wie auf der internationalen Ebene. Allerdings werden die Grenzen einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit deutlicher erkannt, die aus schwieriger Konsensbildung , Mangel an Führung und Berührungsängsten der Mitarbeiter verschiedener Organisationen resultieren können.28 Parallel zu den Debatten über die richtige Strategie für Afghanistan laufen die Arbeiten am Neuen Strategischen Konzept der NATO29, in das Erfahrungen aus den bisherigen Auslandseinsätzen einfließen sollen. Dazu gehören auch die Fragen nach der operativen Umsetzung des Konzepts der Vernetzten Sicherheit. Für Afghanistan hat der derzeitige Kommandeur von ISAF, der US-General Stanley McChrystal, einen militärstrategischen Neuansatz vorgeschlagen, den er mit den Begriffen „clear, hold and build“ beschreibt und der besonderen Wert auf den Schutz der Zivilbevölkerung legt. Für die Implementierung dieses Ansatzes fordert er u.a. eine deutliche Truppenaufstockung (40.000 zusätzliche Soldaten), über die Präsident Obama bisher nicht entschieden hat. Die enge Verzahnung und die zeitliche Synchronisation der militärischen und zivilen Mittel sowie der Maßnahmen der afghanischen Regierung zur Verbesserung ihrer Regierungsführung sind Voraussetzung für 25 Siehe dazu die Meldung der Deutschen Welle vom 17.11.2009 (abrufbar unter http://www.dwworld .de/dw/function/0,,12356_cid_4900118,00.html?maca=de-aa-news-855-rdf) (Stand: 17.11.2009). 26 Zur Diskussion in den USA siehe den Artikel „Obama noch nicht zur Truppenverstärkung entschlossen “. In: Frankfurter Allgemeine vom 13.11.2009; Ruttig, Thomas, Afghanistans Wahlkrise, SWP-Aktuell 56, Berlin Oktober 2009, S. 4ff. Siehe auch Noetzel, Timo, Schreer, Benjamin, Strategien zur Aufstandsbekämpfung . Neue Ansätze für die ISAF-Mission, SWP-Aktuell 3, Januar 2008; Noetzel, Timo, Scheipers, Sibylle, Die NATO in Afghanistan. Das Bündnis und die Grenzen seiner Strategiefähigkeit, SWP-Aktuell 44, August 2207. 27 Siehe dazu beispielsweise Carnegie, Focus and Exit: An Alternative Strategy for the Afghan War, January 2009 (abrufbar unter http://www.carnegieendowment.org/publications/index.cfm?fa=view&id=22619) (Stand: 18.11.2009); Biddle, Stephen, Is it worth it? The difficult Case for War in Afghanistan. In: The American Interest Online (Abrufbar unter http://www.the-american-interest.com/article.cfm?piece=617) (Stand: 19.11.2009). Siehe auch Schmitz, Gregor P., Obamas Minister streiten über Soldaten und Prestige. In: Spiegel Online vom 13.11.2009; abrufbar unterhttp://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck- 661052,00.html (Stand: 20.11.2009). 28 Zum “comprehensive approach” siehe http://www.nato.int/cps/en/natolive/topics_51633.htm. 29 Wittmann, Klaus, Towards a New Strategic Concept for NATO, NATO Defence College, Rom, September 2009. Siehe auch Noetzel/Scheipers, a.a.0., S. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3010 – 127/09 Seite 11 eine erfolgreiche Implementierung eines strategischen Neuansatzes. Unverändert gilt der Grundsatz : „Keine Sicherheit ohne Aufbau und kein Aufbau ohne Sicherheit.“ Ein wichtiger strategischer Faktor sind die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger zum Afghanistan -Konflikt in den truppenstellenden Staaten. Während es in einigen Ländern - wie beispielsweise in den USA - eine intensive, kontrovers geführte Debatte gibt, wird in anderen Ländern darüber vorwiegend in Expertenkreisen diskutiert. Auch in den USA und in Großbritannien nimmt die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für den militärischen Einsatz in Afghanistan ab. 30 30 Siehe dazu Volkery, Carsten, Britische Heimatfront bröckelt. In: Spiegel Online vom 6. November 2009, abrufbar unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-659811,00.html (Stand: 20.11.2009); Biddle, Stephen, a.a.O.; Paul, a.a.O., S. 2f. Im Hinblick auf Deutschland siehe die empirischen Untersuchungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, abrufbar unter: http://www.sowi.bundeswehr.de (Stand: 19.11.2009).