© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 126/18 Die europäische Armee 1948–2018 Konzepte und Ideen zur Vertiefung der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und zur Erhöhung des Grades der Streitkräfteintegration Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Die ersten Schritte einer europäischen Integration nach dem Krieg 5 3. Der Weg zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 7 4. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik 9 5. Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik 11 5.1. Gesamteuropäische Ansätze in der Phase der GSVP 11 5.1.1. Koordinierte jährliche Überprüfung der Verteidigung (CARD) 12 5.1.2. Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) 12 5.1.3. Verstärkung des EU-Krisenreaktionsinstrumentariums 13 5.1.4. Militärischer Planungs- und Durchführungsstab 13 5.1.5. Europäischer Verteidigungsfonds 14 5.2. Bilaterale Ansätze der Streitkräfteintegration 14 6. Ausblick auf künftige europäische Streitkräfte 15 6.1. Die einheitliche intergouvernementale europäische Armee 15 6.2. Die einheitliche, „vergemeinschaftete“ europäische Armee 15 6.3. Die gemeinsame, intergouvernementale europäische Armee 16 6.4. Die gemeinsame und vergemeinschaftete europäische Armee 16 7. Zusammenfassung 17 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 4 1. Einleitung Debatten um eine mögliche Vertiefung der Streitkräftekooperation gab es in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer wieder. Obwohl erste Ideen zu einem europäischen Verteidigungsbündnis schon unmittelbar nach 1945 entwickelt worden waren, scheiterte eine konsequente Realisierung dieser Ideen wiederholt an den Vorbehalten einzelner Staaten. Eine unterschiedliche Einschätzung von Sicherheitskriterien, abweichende Sicherheitsinteressen und das Fehlen einer gemeinsamen strategischen Kultur verhinderten lange Zeit eine zügige und umfassende Streitkräfteintegration.1 Erst die aktuellen geopolitischen Entwicklungen in Europa und an seiner Peripherie könnten der Idee von einer Europäisierung der Verteidigungspolitik neue Flügel verleihen. Mit der von Russland ausgehenden Aggressionspolitik sowie mit der Wahl von Donald Trump und der damit einhergehenden Unsicherheit über die Zuverlässigkeit des Sicherheitsgaranten USA haben sich die strategischen Gegebenheiten für Europa massiv verändert. Ferner kann auch das Brexit–Referendum in Großbritannien der Europäischen Union (EU) auf dem Weg zu einer „europäischen Armee “ neue Türen öffnen, wurde die Weiterentwicklung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik in der Vergangenheit doch oftmals von London blockiert. Die Vertiefung der europäischen Verteidigungskooperation ging 2016 mit einem starken Impuls von Deutschland und Frankreich aus. Der Europäische Rat nahm zahlreiche Vorschläge der deutsch-französischen Initiative zur „Erneuerung der GSVP hin zu einer umfassenden, realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU“ 2 auf und ließ sie in den „Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung“ einfließen (vgl. Ziff. 5.1). Dieser Plan beinhaltete u.a. die schon im EU-Vertrag von Lissabon 3 (EUV) beschlossene „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ)4. Der Aufbau einer gemeinsamen Kommandozentrale für EU-Militäreinsätze und die Verstärkung 1 Loth, Wilfried (1996): Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939-1957. 3. Aufl., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, Michael Gehler (2006): Bündnispolitik und Kalter Krieg 1949/55–1991. In: Kernic, Franz/Hauser, Gunther (Hrsg.): Handbuch zur europäischen Sicherheit, Lang-Verlag, Frankfurt a. M., S. 57-71, Rathkolb, Oliver (1999): Historische Marksteine der Europäischen Integration: 1945–1998 – Ein Überblick ; http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/rathkolb.pdf [letzter Zugriff: 16. Oktober 2018] 2 Erneuerung der GSVP – Hin zu einer umfassenden, realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU. Deutsch-französische Verteidigungsinitiative vom 12. September 2016, S. 2 Abrufbar unter: http://augengeradeaus .net/wp-content/uploads/2016/09/20160909_DEU_FRA_EU-Verteidigung.pdf (letzter Zugriff: 21. September 2018). 3 EU-Vertrag (Vertrag über die Europäische Union – EUV). Fassung aufgrund des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 vom 9. Mai 2008, S. 13), zuletzt geändert durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU L 112/21 vom 24. April 2012) m. W. v. 1. Juli 2013. Abrufbar unter: https://dejure.org/gesetze/EU (letzter Zugriff: 21. September 2018). 4 engl.: Permanent Structured Cooperation (PESCO). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 5 des EU-Krisenreaktionsinstruments sollten ebenfalls zur Vertiefung der Verteidigungskooperation beitragen. Offiziell wurde die „vertiefte Zusammenarbeit“ der EU-Mitgliedstaaten am 11. Dezember 2017 begonnen, als Deutschland und 24 weitere EU-Mitgliedstaaten die sogenannte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit eingingen und sich in einem ersten Schritt für 17 PESCO-Projekte entschieden . Hiermit wurde – so die Stellungnahmen zahlreicher Verteidigungspolitiker – ein großer Schritt in Richtung einer europäischen Verteidigungsunion gemacht.5 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen werden im vorliegenden Sachstand die seit 1948 entwickelten Ideen für eine europäische Verteidigungskooperation nachgezeichnet und dargelegt, wer laut dieser Konzepte jeweils über den Einsatz der integrierten Streitkräfte entscheiden sollte, und wie weit die Integration tatsächlich ging. 2. Die ersten Schritte einer europäischen Integration nach dem Krieg Bereits 1930 forderte der spätere britische Premierminister Winston Churchill erstmals die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa. Damals äußerte er sich nach einer Reise durch die Vereinigten Staaten zu einem geeinten Europa in einem Zeitungsartikel, in dem er vor dem Hintergrund der vermeintlich wachsenden Bedrohung durch die Sowjetunion für die europäische Idee eintrat.6 Durch das Ausmaß des Zweiten Weltkriegs bestätigt, bestand für Churchill auch nach Kriegsende die Lösung für den Frieden in der Einigung Europas. Allerdings war er nicht der Auffassung , dass Großbritannien sich hieran aktiv beteiligen sollte, sondern sah zunächst eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland als ersten Schritt zum Wiederaufbau der europäischen Völkerfamilie vor. Großbritannien als Partner und Förderer eines Vereinten Europas, aber nicht als Teil dieses Europa – so sah es Churchill damals. Mit dieser Position, die im Übrigen auch vom damaligen britischen Außenminister Ernest Bevin geteilt wurde, hatte Churchill die europäische Integration auf den Weg gebracht hat.7 Dass sich Großbritannien dann trotz seines Selbstverständnisses, nicht Teil eines Vereinten Europas zu sein, doch an der europäischen Integration beteiligte, zeigte der am 17. März 1948 von Großbritannien, Frankreich und den Benelux -Staaten unterzeichnete Brüsseler Vertrag. Dieser Vertrag sah eine automatische gegenseitige Beistandspflicht im Falle eines Angriffs auf Europa vor.8 Erste Gedanken einer Europäischen 5 https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/35781/st%C3%A4ndige-strukturierte-zusammenarbeit -%E2%80%93-ssz_de [letzter Zugriff: 16. Oktober 2018] 6 Alter, Peter (2006): Winston Churchill (1874-1965). Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, S. 233. 7 Pfister, Eugen (2014): Europa im Bild. Imaginationen Europas in Wochenschauen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Österreich 1948-1959. V&R Unipress, Göttingen, S. 311–316. 8 Cvce.eu: Die Westeuropäische Union. Abrufbar unter: https://www.cvce.eu/de/collections/unit-content/- /unit/df06517b-babc-451d-baf6-a2d4b19c1c88/9059327f-7f8a-4a74-ac7e-5a0f3247bcd3 (letzter Zugriff: 13. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 6 Verteidigungsgemeinschaft (EVG) kamen 1950 auf. Die maßgeblichen Vorstellungen waren allgemein -politischer sowie militär-politischer Natur. 9 Die allgemein-politische Überlegung fußte auf der Notwendigkeit einer europäischen Integration in allen Politikbereichen. Die militär-politischen Erwägungen beruhten auf der Erkenntnis, dass es erforderlich sei, die Verteidigung der westlichen Welt zu sichern und hierzu auch die deutsche Verteidigungskraft mit einzubeziehen. In diesem Zusammenhang wurden auch Pläne zur Schaffung einer europäischen Armee entwickelt . Die erste Initiative kam vom damaligen französischen Premierminister René Pleven, der für die EVG eine 100.000 Mann starke und aus Bataillonen der verschiedenen Länder gebildete europäische Armee vorschlug. Diese sollte von einem europäischen Verteidigungsminister befehligt werden; sie wäre aber dem Kommando der Nordatlantikpaktorganisation (NATO) unterstellt gewesen.10 Deutsche Streitkräfte sollten gemäß dieser Initiative in die europäische Verteidigungsstrukturen eingegliedert werden. Letztendlich einigten sich die Vertragspartner auf eine europäische Armee, die circa vierzig nationale Divisionen mit jeweils etwa 13.000 Soldaten in einheitlicher Uniform bereithalten sollte. Entsprechend der Wünsche der föderalistischen Kreise sah Art. 38 des Vertragsentwurfs die Ausarbeitung eines bundesstaatlichen Gemeinwesens vor, dem die zukünftige europäische Armee unterstehen und von dem sie demokratisch kontrolliert werden sollte.11 Während die militärischen Einheiten der unteren Ebenen rein national aufgestellt werden sollten, war die Führung durch Offiziere aus mehreren teilnehmenden Staaten vorgesehen.12Allerdings scheiterte die EVG am 30. August 1954 an der nichterfolgten Ratifizierung des EVG-Vertrages durch die französische Nationalversammlung.13 1952 beschlossen die sechs damaligen Mitglieder der „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS oder auch Montanunion) die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG). Dieser erste Versuch, eine umfassende politische Integration europäischer Staaten zu verwirklichen, wurde jedoch mit dem Scheitern des EVG-Vertrags in der Französischen Nationalversammlung 9 Auswärtiges Amt, Referat Öffentlichkeitsarbeit (1995): Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumente von 1949 bis 1994. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, S. 198. 10 Universität Luxemburg (2016): Die Idee der EVG. Abrufbar unter: https://www.cvce.eu/de/collections/unitcontent /-/unit/df06517b-babc-451d-baf6-a2d4b19c1c88/a13b1ccf-6614-453f-b730-e0900c3a7f46 (letzter Zugriff : 18. September 2018). 11 Ebd. 12 Noll, Andreas (2018): Auf Umwegen zur Europäischen Armee. In: DW Made for minds. Abrufbar unter: https://www.dw.com/de/auf-umwegen-zur-europ%C3%A4ischen-armee/a-42537665 (letzter Zugriff: 19. September 2018), Anfänge westdeutscher Verteidigungspolitik. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, 4 Bde, München 1982-1997, Volkmann, Hans-Erich/Schwengler, Walter (Hrsg.) (1985): Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft . Stand und Probleme der Forschung, Harald Boldt Verlag Boppard am Rhein 1985. 13 Bundeszentrale für politische Bildung (2013): Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Abrufbar unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-europalexikon/176907/europaeische-verteidigungsgemeinschaftevg (letzter Zugriff: 13. September 2018), Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 7 zunächst hinfällig.14 Stattdessen wurden im Herbst 1954 die Pariser Verträge geschlossen und am 23. Oktober 1954 in der Erweiterung des Brüsseler Vertrages von 1948 um die Bundesrepublik und Italien die Westeuropäische Union (WEU) gegründet, die eine automatische Beistandsverpflichtung im Falle eines militärischen Angriffs auf einen Partner vorsah. Außerdem wurden ein Amt für Rüstungskontrolle und ein ständiger Rüstungsausschuss eingerichtet.15 In der Phase zwischen 1954 und 1970 waren keine deutlichen Fortschritte in der Fortentwicklung der europäischen Streitkräfteintegration erkennbar. 3. Der Weg zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Um eine enge Zusammenarbeit der sechs EG-Mitgliedstaaten auch in den Bereichen sicher zu stellen, die nicht in den Gründungsverträgen der Gemeinschaften (EGKS, EWG, Euratom) geregelt waren, beschlossen Deutschland, Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten auf Basis der Beschlüsse ihres Gipfels in Den Haag 1969 und des Davignon-Berichts (auch: Luxemburg-Bericht) vom Oktober 1970 eine verstärkte außenpolitische Zusammenarbeit und legten damit den Grundstein für die sogenannte Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ).16 In diesem Rahmen koordinierten und verstärkten die EG-Mitgliedstaaten zwar ihre außenpolitische Zusammenarbeit , ohne jedoch hierbei zunächst eine gemeinsame Außenpolitik zu begründen und gemeinsame außenpolitische Instrumente zu schaffen. Diese Defizite traten besonders bei internationalen Krisen klar zutage. So kam es in der Folge zu Reformen: z.B. wurde 1981 im Londoner Bericht ein konkretes Verfahren zur Krisenreaktion entworfen. Darüber hinaus erhielt die EPZ 1987 durch Titel III der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) eine vertragsrechtlich verbindliche Grundlage. Darin wurde u.a. auch festgelegt, dass die Politik der EG und die im Rahmen der EPZ vereinbarte Politik übereinstimmen müssen. Mit der Etablierung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in dem am 7. Februar 1992 vom Europäischen Rat unterzeichneten Vertrag von Maastricht (1992) wurde die EPZ schließlich aufgelöst.17 Bevor der Vertrag von Maastricht aber in Kraft trat, wurde bereits 1989 als mögliche Keimzelle einer europäischen Armee die Deutsch-Französische Brigade aufgestellt. Die Infanteriebrigade umfasst rund 6.000 Soldaten und bildet den einzigen binationalen Großverband der Welt. Die 14 Große Hüttmann, Martin (2013): Europäische Politische Gemeinschaft (EPG). Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung. Quelle: Große Hüttmann, Martin/Wehling, Hans-Georg (Hrsg.): Das Europalexikon, 2. aktualisierte Auflage, Dietz, Bonn, 2013. Abrufbar unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-europalexikon /176889/europaeische-politische-gemeinschaft-epg (letzter Zugriff: 19. September 2018). 15 Universität Luxemburg (2016): Die Westeuropäische Union. Abrufbar unter: https://www.cvce.eu/de/collections /unit-content/-/unit/df06517b-babc-451d-baf6-a2d4b19c1c88/9059327f-7f8a-4a74-ac7e-5a0f3247bcd3 (letzter Zugriff: 13. September 2018). 16 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Hrsg.: Die Bundesregierung. Abrufbar unter: https://www. bundesregierung.de/Content/DE/Lexikon/EUGlossar/G/2005-11-16-gemeinsame-aussen-und-sicherheitspolitikgasp -.html (letzter Zugriff: 18. September 2018). 17 Algieri, F. (2013): Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ). Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung Quelle: Große Hüttmann, Martin/ Wehling, Hans-Georg (Hrsg.): Das Europalexikon, 2. aktualisiere Auflage, Dietz, Bonn. Abrufbar unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-europalexikon/176890/europaeischepolitische -zusammenarbeit-epz (letzter Zugriff: 19. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 8 Deutsch-Französische Brigade hat insgesamt sieben Standorte (drei in Frankreich und vier in Deutschland). Integrierte Strukturen finden sich allerdings nur in dem Versorgungsbataillon und in den Führungsstäben der Brigade; alle anderen Einheiten agieren rein national.18 Die Deutsch-Französische Brigade gab auch den Anstoß für den Aufbau des Eurokorps. In einem gemeinsamen Brief regten der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der damalige französische Präsident François Mitterrand zunächst am 14. Oktober 1991 die Errichtung eines Europäischen Korps an. Auf der Grundlage des Beschlusses des deutsch-französischen Gipfeltreffens am 22. Mai 1992 in La Rochelle wurde das Eurokorps dann letztlich aufgestellt. In der Grundakte hieß es, dass Europa durch das Eurokorps die Möglichkeit erhalten sollte, selbst militärisch handeln zu können. Durch die Beteiligung an diesem Korps stimmten die teilnehmenden Staaten einer gemeinsamen und einvernehmlichen Verantwortung auf dem Gebiet der Sicherheit und Aufrechterhaltung des Friedens im EU-Rahmen zu. Diese Zusammenarbeit sollte auf lange Sicht auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik nach sich ziehen. Schon 1992 sprach der damalige französische Außenminister Roland Dumas über die Notwendigkeit einer förmlichen Kooperationsvereinbarung zwischen dem Eurokorps und der atlantischen Allianz. Entstanden ist hieraus das SACEUR 19-Abkommen20 vom 21. Januar 1993, das die Beziehungen und Kompetenzen zwischen NATO und Eurokorps regelte.21 Das Eurokorps besteht im Wesentlichen aus einem Stab und Unterstützungseinheiten. Stab und Unterstützungseinheiten umfassen circa 1.000 Bedienstete. Nur im Bedarfsfall werden dem Eurokorps Truppen unterstellt. Dies sind im Allgemeinen nationale Truppenteile. In der Vergangenheit hatten aber auch die Deutsch-Französische Brigade (bei Einsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan) und die NATO Response Force (2006 und 2010) erfolgreich mit dem Korps zusammengearbeitet, das bis zu 60.000 Soldaten und Soldatinnen führen kann. Der Führung des Stabes rotiert zwischen den Rahmennationen Frankreich, Deutschland, Spanien, Belgien und Luxemburg.22 Nahezu zeitgleich zur Aufstellung des Eurokorps verabschiedete am 19. Juni 1992 der Ministerrat der WEU die Petersberger Erklärung. In ihr wurde die operative Rolle der WEU als Verteidigungskomponente der EU beschrieben und eine Reihe konkreter Aufgaben zur Konfliktbewäl- 18 Noll (2018), Auf Umwegen zur Europäischen Armee, a.a.O. 19 SACEUR: Supreme Allied Commader Europe (Oberster Befehlshaber der NATO in Europa). 20 Bundeswehr Heer (2018): Aufträge und Kräfte. Abrufbar unter: http://www.deutschesheer.de/portal /poc/heer?uri=ci:bw.heer.dienstst.eurokorps.auftragundkraefte (letzter Zugriff: 18. September 2018). 21 Kotthoff, Marcel (2011): Die Entwicklung der deutsch-französischen Sicherheitskooperation seit dem Ende des Ost-West-Konflikts. VS Verlag, Wiesbaden, S. 109f. 22 Bundeswehr Heer: Eurokorps. Abrufbar unter: http://www.deutschesheer.de/portal/poc/heer?uri=ci:bw.heer. dienstst.eurokorps (letzter Zugriff: 18. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 9 tigung vereinbart. Die Petersberg-Aufgaben umfassten zunächst nur humanitäre Hilfe, Rettungseinsätze , friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze zur Krisenbewältigung. Diese Aufgaben wurden später von der EU übernommen und in den Vertrag von Amsterdam aufgenommen.23 Am 1. November 1993 trat der Vertrag von Maastricht in Kraft. Die zweite Säule des Vertrags setzt sich mit der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik auseinander. In diesem Vertrag hat die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ihren Ursprung. Mit diesem Aspekt sollte die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union für außen- und sicherheitspolitische Fragen gestärkt werden.24 Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam am 1. Mai 1999, mit dem die EG-Gründungsverträge zum dritten Mal umfassend geändert wurden und der dem Europäischen Parlament erhebliche rechtliche Erweiterungen zukommen ließ, wurde auch die GASP gestärkt, denn der EU wurden neue außen- und sicherheitspolitische Zuständigkeiten übertragen. Nachdem zuvor die Verfahren der GASP noch einer engen Regierungszusammenarbeit unterlagen und Entscheidungen einstimmig gefasst und ausgeführt werden mussten, konnten nunmehr – auch wenn der Vertrag weiterhin Einstimmigkeit bei allen grundlegenden Fragen vorsah – Wege zu deren Umsetzung durch eine einfache Mehrheit beschlossen werden. Jetzt konnte nur noch aus wichtigen Gründen ein Mehrheitsentschluss verhindert werden. Auch nach dem Vertrag von Amsterdam wurde die GASP weiterentwickelt; so wurden WEU und EU einander näher gebracht. Sie wurden zwar nicht komplett verbunden, aber die EU konnte nun die WEU für Aufgaben der Friedenssicherung und Konfliktbewältigung in Anspruch nehmen. Die politischen Leitlinien auch gegenüber der WEU wurden vom Europäischen Rat festgelegt.25 4. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Als Geburtsstunde der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gilt der Europäische Rat in Köln vom Juni 1999.26 Dem war 1998 eine französisch-britische Verständigung in Saint Malo zur Entwicklung einer europäischen Handlungsfähigkeit in diesem Bereich vorausgegangen . Mit der auf dem Europäischen Rat in Köln angenommenen „Erklärung zur Stärkung der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ formulierten die Staats- und 23 Algieri, F. (2013): Petersberg-Aufgaben. Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung. Quelle: Große Hüttmann, Martin/ Wehling, Hans-Georg (Hrsg.): Das Europalexikon, 2. Aktualisierte Auflage, Dietz, Bonn. Abrufbar unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-europalexikon/177188/petersberg-aufgaben (letzter Zugriff: 19. September 2018). 24 Die Entwicklung der GASP. Hrsg.: Auswärtiges Amt. Abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik /europa/aussenpolitik/gasp/geschichtegasp-node (letzter Zugriff: 19. September 2018). 25 Vertrag von Amsterdam. Hrsg.: Die Bundesregierung. Abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content /DE/Lexikon/EUGlossar/V/2005-11-21-vertrag-von-amsterdam.html (letzter Zugriff: 19. September 2018). 26 Zadonella, Bruno (2009): Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung. Quelle: Zadonella, Bruno (2005): Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten, Bonn. Abrufbar unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-europa/16745/europaeische-sicherheits-und-verteidigungspolitik -esvp (letzter Zugriff: 19. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 10 Regierungschefs der EU das zentrale Ziel der ESVP: Die Durchführung von Operationen im internationalen Krisenmanagement sowie der Aufbau der dafür erforderlichen Strukturen samt den zivilen und militärischen Fähigkeiten. Der Europäische Rat in Helsinki bekräftigte im gleichen Jahr die Entschlossenheit, „die Union in die Lage zu versetzen, autonom Beschlüsse zu fassen und in den Fällen, in denen die NATO als Ganzes nicht beteiligt ist, als Reaktion auf internationale Krisen EU-geführte militärische Operationen einzuleiten und durchzuführen“. Zugleich wurde beschlossen, bis 2003 die dafür erforderlichen militärischen Fähigkeiten aufzubauen, das sogenannte Streitkräfteziel von Helsinki. Kernpunkt war die Aufstellung einer Schnellen Eingreiftruppe. Im ersten europäischen Planziel (European Headline Goal 2003) beschloss die Union, binnen 60 Tagen für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr 50.000–60.000 Soldaten für die gesamte Bandbreite der Petersberg-Aufgaben als schnelle EU-Eingreiftruppe zur Verfügung stellen zu können. Die ESVP ist integraler Bestandteil der GASP. Sie funktioniert nach den traditionellen Regeln der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Entscheidungen bedürfen der Einstimmigkeit und werden in der Regel vom Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen (RAA) getroffen . Seit 2004 tagt der RAA auch in der Zusammensetzung der Verteidigungsminister. Die Verteidigungsminister können Beschlüsse in Bezug auf die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) und militärische Fähigkeiten fassen. Um Einsätze zur Krisenbewältigung durchführen zu können, musste die EU die entsprechenden Strukturen aufbauen und die notwendigen Verfahren erarbeiten. Die erforderlichen Strukturentscheidungen wurden beim Europäischen Rat in Nizza (2000) getroffen. Die wichtigsten Gremien sind das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK), der EU-Militärausschuss, der EU- Militärstab sowie der Ausschuss über zivile Aspekte des Krisenmanagements. Einen weiteren Schritt in Richtung einer „Europäischen Armee“ hat der Europäische Rat am 12. Dezember 2003 mit der Annahme der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) getan. Mit der ESS wurden erstmals auf Basis einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse Grundsätze und Ziele für die Förderung der Sicherheitsinteressen der EU auf der Grundlage der zentralen Werte aufgestellt .27 Im Rahmen der ESVP beschloss der Rat im Juni 2004 die Aufstellung von EU-Kampfverbänden (die sogenannten „EU-Battlegroups“), die seit 2007 einsatzbereit sind. Diese schnell und flexibel einsetzbaren Kampfverbände sollten zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten und zur Erhöhung der militärischen Reaktionsfähigkeit der EU beitragen.28 Sie bestehen aus insgesamt 15 27 Europäische Sicherheitsstrategie – Ein sicheres Europa in einer besseren Welt, angenommen vom Europäischen Rat im Dezember 2003. Abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/documents-publications/publications /european-security-strategy-secure-europe-better-world/ (letzter Zugriff: 19. September 2018). 28 Jonas A. (2013): Battlegroups (Kampfgruppe der EU). Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung. Quelle: Große Hüttmann, Martin/ Wehling, Hans-Georg (Hrsg.): Das Europalexikon, 2. aktualisierte Auflage, Dietz, Bonn. Abrufbar unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-europalexikon/176703/battlegroups-kampfgruppen (letzter Zugriff: 19. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 11 mobilen und multinationalen Verbänden. Eine „Battlegroup“ besteht aus ca. 1.500 Soldaten und Soldatinnen und ist in fünf bis zehn Tagen im Krisengebiet einsatzfähig. Sowohl über den Einsatz der in Helsinki vereinbarten Schnellen Eingreiftruppe als auch den der EU-Battlegroups sollte auf europäischer Ebene entschieden werden, wobei die Truppensteller bei der Ausplanung des jeweiligen Einsatzes jeweils die Freigabe ihrer Kräfte signalisieren mussten. Die in diesem Zusammenhang stehenden politischen Prozesse in den EU-Mitgliedstaaten hätten möglicherweise die schnelle Einsetzbarkeit der Gefechtsverbände gebremst. 5. Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Der Vertrag von Lissabon (in Kraft seit 1. Dezember 2009) hat erhebliche Neuerungen in den GASP-Strukturen mit sich gebracht. Mit ihm trat die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) an die Stelle der ESVP. Ferner wurde mit diesem Vertrag das Amt des Hohen Vertreters / der Hohen Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (kurz: Hoher Vertreter / Hohe Vertreterin) von den Strukturen des Ratssekretariates getrennt. Für ihn/sie wurde ein eigener Unterbau, der Europäische Auswärtige Dienst (EAD, beziehungsweise European External Action Service – EEAS), geschaffen, der eine neue, eigenständige Einrichtung der Europäischen Union darstellt. Gleichzeitig wurden durch den „Doppelhut“ des Hohen Vertreters / der Hohen Vertreterin, der/die gleichzeitig Kommissar(in) für Außenhandel und Vizepräsident(in) der Europäischen Kommission ist, GASP und Außenhandel unter einer koordinierenden Person zusammengefasst, um eine maximale Kohärenz des EU-Außenhandelns zu erreichen. Die Position des Hohen Vertreters / der Hohen Vertreterin wurde damit erheblich gestärkt.29 Die Phase der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist bis heute sowohl von bilateralen Anstrengungen zum Ausbau der Streitkräfteintegration als auch von gesamteuropäischen Bemühungen zur Stärkung der Verteidigungskooperation geprägt, wie die folgenden Abschnitte zeigen. 5.1. Gesamteuropäische Ansätze in der Phase der GSVP Im Dezember 2016 hat der Europäische Rat den sogenannten „Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung“ gebilligt, der sich auf die „Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union“30 stützt. Dieser Plan verfolgt die folgenden drei strategischen Prioritäten: 29 Die Entwicklung der GASP. Hrsg.: Auswärtiges Amt. Abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik /europa/aussenpolitik/gasp/geschichtegasp-node (letzter Zugriff: 18. September 2018). 30 Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa – Eine Globale Strategie für die Außen- und- Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Mit einem Vorwort von Federica Mogherini, Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Abrufbar unter: https://europa.eu/globalstrategy/sites/globalstrategy/files/eugs_de_0.pdf (letzter Zugriff: 24. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 12 • Reaktion auf externe Konflikte und Krisen, • Aufbau der Kapazitäten der Partner sowie • Schutz der Union und ihrer Bürger und Bürgerinnen. Diese Prioritäten erfordern, dass die Mitgliedstaaten der EU verstärkt im Bereich der Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten, bei der Verbesserung der Strukturen und der Verfahren der EU für das Krisenmanagement und für das engerer Zusammenarbeiten mit internationalen Partnern, insbesondere der NATO, intensiv zusammenarbeiten. Um diese Ziele verwirklichen zu können, wird die EU verstärkt integrierte Ansätze verfolgen müssen. Mit folgenden konkreten Maßnahmen sollen diese Ziele erreicht werden: • Einleitung einer „koordinierten jährlichen Überprüfung der Verteidigung“ (vgl. Ziff. 5.1.1), um die Verteidigungszusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu vertiefen, • Einführung einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (vgl. Ziff. 5.1.2), in deren Rahmen die Mitgliedstaaten, die dies wünschen, ihre Verteidigungszusammenarbeit verstärken, • Einrichtung eines „Militärischen Planungs- und Durchführungsstabs“, um die Krisenbewältigungsstrukturen (vgl. Ziff. 5.1.3) zu verbessern, sowie • Verstärkung des EU-Krisenreaktionsinstrumentariums (vgl. Ziff. 5.1.4) einschließlich der EU-Gefechtsverbände und zivilen Fähigkeiten. Im Rahmen des Europäischen Verteidigungsaktionsplans vom 30. November 2016 wurde ferner der Europäische Verteidigungsfonds (vgl. Ziff. 5.1.5) eingerichtet, der es den Mitgliedstaaten erleichtern soll, das Geld der Steuerzahlenden effizienter zu investieren, unnötige Mehrfachausgaben zu vermeiden und kostengünstiger zu wirtschaften. 5.1.1. Koordinierte jährliche Überprüfung der Verteidigung (CARD) Im Dezember 2016 vereinbarte der Europäische Rat Modalitäten für eine „koordinierte jährliche Überprüfung der Verteidigung“ (Coordinated Annual Review on Defence – CARD). CARD soll nicht nur die EU-weiten Verteidigungsausgaben sowie die Investitionen und Forschungsanstrengungen der Mitgliedstaaten analysieren, sondern darüber hinaus mehr Transparenz in Bezug auf die Verteidigungsfähigkeiten der Europäischen Union schaffen und ihre Wahrnehmung auf politischer Ebene verbessern. Ziel ist es, die Planung von Verteidigungsausgaben zu verbessern und die als prioritär eingestuften militärischen Fähigkeiten tatsächlich zu generieren. 5.1.2. Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) Art. 42 (6) i.V.m. Art. 46 EU-Vertrag sieht vor, dass eine Gruppe von EU-Mitgliedstaaten ihre Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen verstärken kann, indem sie eine „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ, engl. „Permanent Structured Cooperation“ – PESCO) begründet. Dies gibt zur Zusammenarbeit bereiten Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, mit anderen Staaten weitere Verpflichtungen einzugehen sowie Verteidigungsfähigkeiten und Projekte auszubauen, um so bestehende „capability gaps“ der Streitkräfte der EU-Mitgliedsstaaten zu schließen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 13 Auf Grundlage der im Rat für Auswärtige Angelegenheiten (RAA) am 18. Mai 2017 und im Europäischen Rat am 22. Juni desselben Jahres vereinbarten strukturierten Verteidigungszusammenarbeit nahm der Rat am 11. Dezember 2017 einen Beschluss über die Begründung der PE- SCO an. Die hieran teilnehmenden 25 Staaten – an der PESCO beteiligen sich die EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark, Malta und das Vereinigte Königreich – haben sich anfänglich auf eine Liste von 17 Kooperationsprojekten geeinigt; diese Liste wurde mittels Ratsbeschluss am 6. März 2018 förmlich angenommen. Deutschland hat für vier dieser kollaborativen SSZ-Projekte die koordinierende Rolle übernommen: für ein Europäisches Sanitätskommando, ein Netzwerk von logistischen Drehscheiben, ein Kompetenzzentrum für EU-Trainingsmissionen und das Projekt EU- FOR Crisis Response Operation Core. Zudem ist Deutschland Co-Sponsor bei dem Projekt Military Mobility, für das die Niederlande die koordinierende Rolle übernommen haben. 5.1.3. Verstärkung des EU-Krisenreaktionsinstrumentariums Die militärische Krisenreaktionsfähigkeit der EU (EU-Battlegroups) wurde vor mehr als zehn Jahren geschaffen (vgl. Ziff. 4), aber aus politischen, technischen und finanziellen Gründen noch nie genutzt. Auf der Tagung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten am 18. Mai 2017 beschlossen daher die Mitgliedsstaaten, die Vorbereitung der EU-Gefechtsverbände zu verbessern und im Rahmen der bevorstehenden Überprüfung des Mechanismus Athena31 die Möglichkeiten zu sondieren , wie die Finanzierungsmodalitäten angepasst sowie eine zügige Beschlussfassung und Entsendung erleichtert werden können. 5.1.4. Militärischer Planungs- und Durchführungsstab Die Europäische Union unterhält derzeit sechzehn Missionen und Operationen, sowohl militärischer Art (sechs) als auch mit ziviler Ausrichtung (zehn). Innerhalb des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) ist eine ständige Struktur ziviler Planungs- und Durchführungsstäbe für die Verwaltung ziviler Missionen zuständig. Um bei der Entsendung und Durchführung ziviler und militärischer Missionen und Operationen künftig schneller, wirksamer und integrierter handeln zu können, wurde nunmehr als kurzfristiges Ziel vereinbart, darüber hinaus einen Militärischen Planungs- und Durchführungsstab (Military Planning and Conduct Capability – MPCC) innerhalb des EU-Militärstabs auf Ebene des EAD in Brüssel einzurichten, der die Befehlsgewalt über die militärischen EU-Missionen ohne Exekutivbefugnisse übernimmt. Dieser militärische Planungs - und Durchführungsstab wurde im Juni 2017 innerhalb des EU-Militärstabs des EAD errichtet und hat die Befehlsgewalt über alle militärischen EU-Missionen ohne Exekutivbefugnisse 31 Bei Athena handelt es sich um einen Mechanismus zur Verwaltung der Finanzierung der gemeinsamen Kostenvon EU-Militäroperationen im Rahmen der GSVP. Der Beschluss GASP 2015/528 des Rates vom 27. März 2015 stellt die aktuelle Rechtsgrundlage dar. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 14 übernommen32, damit sie in koordinierter und kohärenter Weise geplant und durchgeführt werden können. 5.1.5. Europäischer Verteidigungsfonds Um die Ansätze einer „Europäischen Arme“ weiterzuführen, wurde 2018 ferner der Europäische Verteidigungsfonds eingerichtet. Dieser soll europaweit Forschungsprojekte finanzieren.33 Ein wichtiger Bestandteil des Europäischen Verteidigungsfonds ist das Entwicklungsprogramm für die Verteidigungsindustrie. Ziel dieses Fonds und seiner Projekte ist es, die Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Technologien und Ausrüstungen zu fördern.34 5.2. Bilaterale Ansätze der Streitkräfteintegration Nachdem bereits im Jahr 1995 das Deutsch-Niederländische Korps im Rahmen bilateraler Streitkräftekooperation zwischen Deutschland und den Niederlanden gegründet und in den folgenden Jahrzehnten schrittweise weiterentwickelt worden ist, 35 wurde am 1. Januar 2014 mit dem Zusammenführen der gut 2.000 Soldaten und Soldatinnen starken 11. Luchtmobielen Brigade (11. Luftbewegliche Brigade) der Niederländer in die deutsche „Division Schnelle Kräfte“ ein weiterer Meilenstein erreicht. Damit arbeiten deutsche und niederländische Spezialkräfte jetzt Hand in Hand.36 32 Dies sind derzeit die drei Ausbildungsmissionen der EU in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali und in Somalia. 33 European Commission (2018): Europäischer Verteidigungsfonds finanziert neue europaweite Forschungsprojekte . Abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-763_de.htm (letzter Zugriff: 18. September 2018). 34 Europäische Kommission/ Vertretung in Deutschland (2018): EU einigt sich auf Entwicklungsprogramm für die Verteidigungsindustrie Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/germany/news/20180523-eu-einigt-sich-auf-entwicklungsprogramm -verteidigungsindustrie_de (letzter Zugriff: 19. September 2018). 35 Das Deutsch-Niederländische Korps besteht bei Bedarf aus einer niederländischen und einer deutschen Division mit insgesamt rund 40.000 Soldaten. Außerdem gehören mit dem Unterstützungsbataillon und dem Fernmeldebataillon zwei binationale Verbände dem Korps an. Zu Beginn der Kooperation war lediglich die Führung des Großverbandes miteinander verbunden. Mittlerweile streben Deutschland und die Niederlande eine noch stärkere , von der Kompanie- bis zur Divisionsebene reichende Streitkräfteintegration an. Vgl. Noll (2018), Auf Umwegen zur Europäischen Armee, a.a.O. 36 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 15 Zuletzt wurde im Jahr 2016 vereinbart, dass rund 800 Soldaten und Soldatinnen starke Seebataillon der Deutschen Marine schrittweise in die Königliche Marine der Niederländer zu integrieren.37 6. Ausblick auf künftige europäische Streitkräfte Aus den bisher in diesem Sachstand vorgestellten Konzepten und Ideen europäischer bzw. multiund bilateraler Verteidigungskooperation und Streitkräfteintegration wird deutlich, dass die Europäische Union heute noch immer weit von einer ausschließlich von europäischen Organen geführten und kontrollierten, aus europäischen Offizieren und Soldaten/Soldatinnen bestehenden „Europäischen Armee“ entfernt ist. Olivier Dupuis erläutert in seinem Artikel „Für eine gemeinsame Armee der Europäischen Union“38 verschiedene mögliche Ansätze eines höheren Grades künftiger europäischer Streitkräfteintegration. Dabei decken die von ihm dargestellten Konzepte eine Bandbreite von einer erst- und letztinstanzlich der nationalen Befehlsgewalt unterworfenen „Armee der Europäer“39 bis zu eben einer gemeinsamen und vollständig vergemeinschafteten „Europäischen Armee“ ab. Die von Dupuis beschriebenen Zukunftsszenarien werden im Folgenden dargestellt: 6.1. Die einheitliche intergouvernementale europäische Armee Die Option einer einheitlichen intergouvernementalen europäischen Armee böte den teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten, die dazu bereit sind, die Möglichkeit, eine organische Allianz zu bilden. Die Mitgliedstaaten würden mit den bestehenden nationalen Armeen eine Art Europäische Verteidigungsgemeinschaft gründen (EVG 2.0). Die Befehlsgewalt würde weiterhin bei den Staaten selbst bleiben. In diesem Szenario würden die nationalen Armeen in ihrer Gesamtheit einer zwischenstaatlichen europäischen Behörde unterstellt werden. Allerdings würde die Dynamik der Integration dadurch begrenzt werden, dass erstinstanzlich (Entscheidungsgewalt, Organisation und Finanzhaushalt) und letztinstanzlich (Vetorecht auf intergouvernementaler europäischer Ebene) weiter der nationalen Befehlsgewalt unterworfen bleiben. 6.2. Die einheitliche, „vergemeinschaftete“ europäische Armee Nach dem Konzept einer einheitlichen, „vergemeinschafteten“ europäischen Armee würden die nationalen Armeen in eine große europäische Armee eingebunden werden. Die Zuständigkeit 37 Ebd. 38 Dupuis, Olivier (2017): Europäische Verteidigung: Für eine gemeinsame Armee der Europäischen Union, Voxeurop vom 4. September 2017.Abrudbar unter: https://voxeurop.eu/de/2017/europ-ische-verteidigung- 5121352 (letzter Zugriff: 18. September 2018). 39 Weimer, Wolfram (2017): Der Coup von Ursula von der Leyen, ntv-de vom 16. November 2017. Abrufbar unter: https://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/13067-ein-riesenschritt-zur-europaeischen-armee (letzter Zugriff: 24. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 16 würde gemeinsamen europäischen Institutionen übertragen werden. Die Entscheidung über einen Einsatz läge beim Europäischen Rat. Die Herausforderung dieses Ansatzes ist, dass nationale Bräuche, Traditionen und Organisationen harmonisiert werden müssten, ohne dass es einen dominanten Faktor (wie die USA in der NATO) gibt, der diesen Prozess steuern könnte. Außerdem müsste ein starkes Spannungsfeld zwischen einerseits einer gemeinsamen europäischen Entscheidungsstruktur und andererseits den weiterhin in nationale Befehlsstrukturen eingebundenen Armeen bewältigt werden. Einige der jüngeren Entscheidungen der EU, wie die Schaffung des Militärischen Planungs- und Durchführungsstabes und des Europäische Verteidigungsfonds, sind einer Vergemeinschaftung zuzuordnen. Allerdings lässt die Geschwindigkeit der Entwicklung dieser Aspekte darauf schließen, dass eine europäische Armee noch weit entfernt liegt. 6.3. Die gemeinsame, intergouvernementale europäische Armee Die Möglichkeit einer gemeinsamen, intergouvernementalen europäischen Armee bestünde aus Segmenten der nationalen Armee und nicht aus ihrer Gesamtheit. Die sogenannten „Battlegroups “ könnten den Nukleus einer solchen Armee bilden. Der wesentliche Nachteil einer solchen Einigung läge darin, dass Länder, die grundsätzlich ihre Beteiligung an einem solchen europäischen Kampfverband zugesagt haben, ihr Kontingent zurückziehen könnten, wenn von außen politischer Druck auf sie ausgeübt würde oder sie gar erpresst würden. Außerdem könnte sich aus den Fragen, wer der sich beteiligenden Nationen die Oberbefehlsgewalt innehat und welche Industrie die Beschaffung von wehrtechnischen Produkten dominiert, ein Spannungsfeld ergeben. 6.4. Die gemeinsame und vergemeinschaftete europäische Armee Im Gegensatz zur „einheitlichen, ,vergemeinschafteten‘ europäischen Armee“ gäbe es die gemeinsame und vergemeinschaftete europäische Armee zusätzlich zu den nationalen Armeen. Diese europäische Armee würde dann ausschließlich von europäischen Organen geführt werden und bestünde aus europäischen Soldaten und Soldatinnen. Diese Armee würde also von Grund auf neu aufgestelltt werden. Diese Option wurde bisher am wenigsten thematisiert. Neben dem enormen finanziellen Aufwand wird an diesem Konzept besonders kritisiert, dass hier europäische politische Institutionen über Leben und Tod entscheiden würden. Das darf bei einer institutionellen Konfiguration nicht verwundern, bei der alle Vorschläge des Präsidenten der Kommission von einer qualifizierten Mehrheit der Staats- und Regierungschefs ratifiziert werden müssen. Auch wird angenommen, dass sich die Soldaten und Soldatinnen in einer solchen vergemeinschafteten europäischen Armee weniger stark engagieren würden, weil sie sich immer noch weniger als Europäer denn als Bürger ihres Landes fühlen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/18 Seite 17 7. Zusammenfassung Die gegenwärtigen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen verlangen von Europa, wie u.a. auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2018 festgestellt wurde, dass es im außenpolitischen Bereich handlungsfähiger werden muss.40 Hierzu wurden in den letzten Jahrzehnten seit Ende des Zweiten Weltkrieges immer wieder Konzepte zur Fortentwicklung und Vertiefung der europäischen Verteidigungspolitik sowie zur Stärkung der Streitkräfteintegration entworfen. Allerdings wurde die Umsetzung der Konzepte häufig nicht mit Nachdruck verfolgt, oft scheiterte in der Vergangenheit eine umfassende Realisierung der jeweiligen Idee an den Vorbehalten einzelner Nationen und an unterschiedlichen Positionen. Hinzu kam, dass wenn auf europäischer Ebene eine Einigung zur Schaffung gemeinsamer und in gewissem Umfang integrierter Streitkräfte erzielt werden konnte, diese u.a. aufgrund unterschiedlicher politischer Positionen oder offener finanzieller Fragestellungen nicht eingesetzt werden konnten. Daher kann zusammenfassend festgestellt werden, dass der Weg zum jetzigen Stand der Integration im Hinblick auf die europäische Verteidigungspolitik lang und steinig war und bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Wenn sich Europa tatsächlich „um Weltpolitikfähigkeit bemühen“41 möchte, braucht es zunächst ein umfassendes Einvernehmen hinsichtlich der Ausgestaltung einer künftigen „europäischen Armee“. Der frühere EU-Abgeordnete Olivier Dupuis hat in seinem Artikel mögliche Szenarien einer „europäischen Armee“ mit ihren Vor- und Nachteilen erörtert (vgl. Ziff. 6). Welches dieser Konzepte mit den jüngsten europäischen Entscheidungen u.a. zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit und zum EU-Krisenreaktionsinstrumentarium verfolgt wird, ist allerdings nicht deutlich und wird in den Nationen augenscheinlich unterschiedlich gesehen. Wenn jedoch signifikante Fortschritte bei der GSVP und der Streitkräfteintegration erzielt werden sollen, bedarf es hier klarer Bekenntnisse der Nationen und den Willen zur Herstellung eines Konsenses über die Strategien und Instrumente, wie der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2018 unterstrich – „jeder nach seinen Möglichkeiten, aber alle mit der gleichen Agenda“.42 *** 40 Luther, Cartsen (2018): Mehr Weltpolitikfähigkeiten, bitte!, In: Zeit Online vom 18. Februar 2018. Abrufbar unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-02/europas-aussenpolitik-muenchner-sicherheitskonferenzwesten -bedrohung (letzter Zugriff: 19. September 2018). 41 Rede von Präsident Jean-Claude Juncker anlässlich der 54. Münchner Sicherheitskonferenz. In: Europäische Kommission. Abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-18-841_de.htm (letzter Zugriff: 19. September 2018). 42 Luther (2018), Mehr Weltpolitikfähigkeiten, bitte!,, a.a.O.