© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 126/16 Zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Kontext des Internationalen Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 2 Zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Kontext des Internationalen Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 126/16 Abschluss der Arbeit: 21. Dezember 2016 (auch Zugriff auf Onlinequellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung und Begriffsbestimmung 4 2. Nichtdiskriminierung im Rahmen des WSK-Paktes 6 3. Berichte des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) 9 3.1. Erster Bericht (2011) 9 3.2. Zweiter Bericht (2015) 10 4. Weiterführende Bemerkungen 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 4 1. Einführung und Begriffsbestimmung Unter dem Begriff „sexuelle Selbstbestimmung“ werden in gesellschaftlichen und menschenrechtlichen Debatten verschiedene Fragestellungen diskutiert, die ein breites Spektrum umfassen .1 Dieses reicht von Freiheit von sexualisierter Gewalt über reproduktive Rechte von Frauen (Recht auf Abtreibung, Zwangssterilisierung, Genitalverstümmelung etc.) bis zu Rechten von homo- und intersexuellen, transgeschlechtlichen sowie queeren Menschen (zusammengefasst LGBT2, LGBTI3 bzw. LGBTTIQ4) auf Gleichbehandlung bzw. Anerkennung ihrer Lebensformen.5 Andere Begriffe, die im menschenrechtlichen Kontext teilweise synonym, teilweise in Hinblick auf einzelne Gruppen verwendet werden, sind „sexuelle Orientierung“, „Geschlechteridentität“ bzw. „sexuelle Identität“ oder „nicht-binäre Geschlechteridentität(en)“.6 Einzelne Ausprägungen der sexuellen Selbstbestimmung fallen in den Schutzbereich internationaler und regionaler Menschenrechtsabkommen. Dabei können sich LGBTI selbstverständlich zunächst unterschiedslos auf die internationalen Menschenrechtsgarantien – darunter die 1 Der Ausdruck ist damit nicht deckungsgleich mit dem gleichnamigen Rechtsbegriff des deutschen Strafrechts (vgl. dazu den 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches). 2 Abkürzung für: lesbische, schwule, bisexuelle Menschen und trans*(-geschlechtliche, -idente, -sexuelle, -gender usw.) Personen. So der Bericht des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte von 2015, Discrimination and violence against individuals based on their sexual orientation and gender identity: Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, 04.05.2015, A/HRC/29/23, http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/HRC/29/23&referer=/english/&Lang=E. 3 Abkürzung für: lesbische, schwule, bisexuelle Menschen sowie trans*(-geschlechtliche, -idente, -sexuelle, -gender usw.) und intersexuelle Personen. So die Yogyakarta-Prinzipien: The Yogyakarta Principles. Principles on the application of international human rights law in relation to sexual orientation and gender identity, http://www.yogyakartaprinciples.org/wp/wp-content/uploads/2016/08/principles_en.pdf; Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität, inoffizielle deutsche Übersetzung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung erhältlich unter http://www.ypinaction.org/wp/wp-content /uploads/2016/10/German_Translation.pdf. 4 Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche (TT: transsexuell und -gender), intersexuelle und queere Menschen. 5 Siehe für eine Übersicht zu einer Vielzahl dieser Fragestellungen Claudia Lohrenscheit (Hrsg.), Sexuelle Selbstbestimmung als Menschenrecht, Deutsches Institut für Menschenrechte, Baden-Baden: Nomos (2009). 6 Vgl. etwa die Yogyakarta-Prinzipien, Fn. 3, sowie die Informationen des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR), http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/diskriminierungsschutz/sexuelle-selbstbestimmung -und-geschlechtsidentitaet/geschlechtervielfalt-im-recht/ und http://www.institut-fuer-menschenrechte .de/themen/entwicklungspolitik/schwerpunkte/sexuelle-selbstbestimmung/, sowie von Amnesty International , https://www.amnesty.de/themenbericht/sexuelle-selbstbestimmung-ist-ein-menschenrecht. Siehe ferner beispielhaft den Aufruf „Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht!“ des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung, http://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/buendnis/. Siehe auch den Bericht der VN- Hochkommissarin für Menschenrechte, Discriminatory laws and practices and acts of violence against individuals based on their sexual orientation and gender identity, Annual report of the United Nations High Commissioner for Human Rights and reports of the Office of the High Commissioner and the Secretary-General Followup and implementation of the Vienna Declaration and Programme of Action, 17.11.2011, A/HRC/19/41, http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/19session/A.HRC.19.41_English.pdf, deutsche Übersetzung erhältlich unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF- Dateien/UN-Dokumente/bericht_diskriminierende_gesetze_aufgrund_sexueller_orientierung.pdf, Rn. 5, Fn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 5 Rechte aus den Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen (VN) – berufen, die auf Allgemeingültigkeit und Nichtdiskriminierung fußen.7 Damit korrespondiert auch die Staatenpflicht, Diskriminierung und Gewalt aufgrund sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität zu verhindern.8 So lässt sich etwa das Recht, keiner (staatlichen) Gewalt ausgesetzt bzw. vor Gewalt Dritter geschützt zu werden, vorrangig aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (VN-Zivilpakt bzw. ICCPR)9 bzw. – auf europäischer Ebene – aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)10 herleiten. Neben den Rechten auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, auf persönliche Freiheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 6–12 IC- CPR, Art. 2–5 EMRK) hat sich insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 17 ICCPR, Art. 8 EMRK) als zentraler Anknüpfungspunkt erwiesen.11 Der Internationale Pakt der Vereinten Nationen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (VN-Sozialpakt, WSK-Pakt bzw. ICESCR)12 berührt somit nur einen Ausschnitt der Fragestellungen , die mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verbunden sind. Ziel des Sachstandes ist es, diese Aspekte überblicksartig zu erläutern. Wesentliche Grundlage dieser Erläuterung sind die Berichte des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) von 2011, auf dessen deutsche Übersetzung im Folgenden zurückgegriffen wird, und von 2015.13 Sie bereiten die 7 Bericht der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte (2011), Fn. 6, Rn. 5. 8 Bericht der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte (2011), Fn. 6, Rn. 6. 9 International Covenant on Civil and Political Rights, adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, entry into force 23 March 1976, in accordance with Article 49, UNTS Band 999, S. 171; https://treaties.un.org/; Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) vom 16.12.1966. Resolution 2200A (XXI) der Generalversammlung der UNO. In Kraft getreten am 23.03.1976. Nicht-amtliche deutsche Übersetzung erhältlich unter http://www.institut-fuermenschenrechte .de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICCPR/iccpr_de.pdf. 10 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (in Kraft: 03.09.1953), CETS Nr. 005, http://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf. 11 Siehe zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Thema etwa Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, München: C.H.Beck, 6. Auflage 2016, § 22, Rn. 8 und 57, sowie die Fallübersichten des EGMR, abrufbar unter http://echr.coe.int/Pages /home.aspx?p=press/factsheets. In Betracht kommen insbesonderr die Zusammenstellungen zu reproduktiven Rechten: http://echr.coe.int/Documents/FS_Reproductive_ENG.pdf, zu Gewalt gegen Frauen: http://echr. coe.int/Documents/FS_Violence_Woman_ENG.pdf, zu Gleichstellung: http://echr.coe.int/Documents/FS_Gender _Equality_ENG.pdf, zu Geschlechteridentität: http://echr.coe.int/Documents/FS_Gender_identity_ENG.pdf, und zu sexueller Orientierung: http://echr.coe.int/Documents/FS_Sexual_orientation_ENG.pdf. 12 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, entry into force 3 January 1976, in accordance with article 27, UNTS Band 993, S. 3; https://treaties.un.org/; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) vom 16.12.1966. Resolution 2200A (XXI) der VN- Generalversammlung; in Kraft getreten am 03.01.1976. Nicht-amtliche deutsche Übersetzung erhältlich unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen /ICESCR/icescr_de.pdf. 13 Berichte des OHCHR von 2011, Fn. 6, und 2015, Fn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 6 Rechts- und Faktenlage zu rechtlicher und faktischer Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechteridentität – orientiert an den Auffassungen und Bemerkungen der Vertragsausschüsse – systematisch auf. 2. Nichtdiskriminierung im Rahmen des WSK-Paktes Der WSK-Pakt selbst enthält kein eigenes Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Anknüpfungspunkt ist deshalb vor allem die Querschnittsvorschrift des Art. 2 Abs. 2 ICESCR (Nichtdiskriminierung ). Danach verpflichten sich die Vertragsstaaten, „… zu gewährleisten, dass die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status ausgeübt werden.“ Sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität sind nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht ausdrücklich vom Diskriminierungsverbot erfasst. Allerdings hatte der Menschenrechtsausschuss (CCPR) in seinen Auffassungen im Fall Toonen gegen Australien die Nichtdiskriminierungsklauseln des ICCPR (Art. 26, 2 Abs. 1 ICCPR) bereits 1994 auf sexuelle Orientierung ausgedehnt . Der Ausschuss legte hierzu das Merkmal „Geschlecht“ weit aus. Dabei ließ er offen, ob es sich bei der sexuellen Orientierung (darüber hinaus) um einen „sonstigen Status“ handelte.14 In seinen Auffassungen in einem späteren Fall stellte der CCPR eine Verletzung von Art. 26 ICCPR wegen Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare aufgrund der sexuellen Orientierung fest. Gegenstand dieses Falles war der Ausschluss homosexueller Lebenspartner von Rentenvorsorgeleistungen für Angehörige nach dem Tode des Partners, obwohl die nationale Regelung heterosexuelle Lebenspartner ohne Trauschein als Angehörige anerkannte.15 Die Auffassung, dass die sexuelle Orientierung vom Diskriminierungsverbot der Menschenrechtsabkommen erfasst wird, ist von einer Vielzahl der Vertragsausschüsse übernommen worden. Der WSK-Pakt-Ausschuss (CESCR) führt in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 20 – unter Berufung auf die früheren Allgemeinen Bemerkungen 14 und 15 sowie auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 30 (2004) des Ausschusses zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) über Nicht-Staatsangehörige – ausdrücklich aus, dass „sonstiger Status“ auch die sexuelle Orientierung erfasse: „Zu dem in Artikel 2 Absatz 2 anerkannten „sonstigen Status“ gehört auch die sexuelle Orientierung . Die Vertragsstaaten sollten gewährleisten, dass die sexuelle Orientierung kein Hindernis für die Verwirklichung der im Pakt niedergelegten Rechte bildet, beispielsweise beim Zugang zu Hinterbliebenenrenten . Darüber hinaus gehört die Geschlechtsidentität anerkanntermaßen zu den verbotenen Diskriminierungsgründen; so sehen sich beispielsweise Transgender, Transsexuelle oder 14 CCPR, Toonen gegen Australien, Beschwerde-Nr. 488/1992, 31.03.1994, CCPR/C/50/D/488/1992, http://hrlibrary.umn.edu/undocs/html/vws488.htm, Rn. 8.7; mittlerweile ständige Auffassung des Ausschusses. 15 CCPR, Young gegen Australien, Beschwerde-Nr. 941/2000, 06.08.2003, CCPR/C/78/D/941/2000, http://www.bayefsky.com/html/australia_t5_iccpr_941_2000.php, Rn. 10.4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 7 Intersexuelle oft ernsten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, wie Belästigungen in der Schule oder am Arbeitsplatz.“16 Ausführlich setzte sich der Ausschuss damit in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 22 (2016) zum Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit auseinander, welches er aus Art. 12 ICESCR ableitet.17 Zum hier relevanten Diskriminierungsverbot führt er in Rn. 23 aus: „23. Non-discrimination, in the context of the right to sexual and reproductive health, also encompasses the right of all persons, including lesbian, gay, bisexual, transgender and intersex persons, to be fully respected for their sexual orientation, gender identity and intersex status. Criminalization of sex between consenting adults of the same gender or the expression of one’s gender identity is a clear violation of human rights. Likewise, regulations requiring that lesbian, gay, bisexual transgender and intersex persons be treated as mental or psychiatric patients, or requiring that they be “cured” by so-called “treatment”, are a clear violation of their right to sexual and reproductive health. State parties also have an obligation to combat homophobia and transphobia, which lead to discrimination, including violation of the right to sexual and reproductive health.” Ausgedehnt befasst sich der Ausschuss ferner mit der Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund der besonderen Unterschiede im Bereich der Reproduktion (Rn. 25–29) und führt in Hinblick auf staatliche Pflichten u. a. aus: „27. Seemingly neutral laws, policies and practices can perpetuate already existing gender inequalities and discrimination against women. Substantive equality requires that laws, policies and practices do not maintain, but rather alleviate, the inherent disadvantage that women experience in exercising their right to sexual and reproductive health. Gender-based stereotypes, assumptions and expectations related to women being the subordinates of men and their role being solely as caregivers and mothers, in particular, are obstacles to substantive gender equality, including the equal right to sexual and reproductive health, and need to be modified or eliminated, as does the role of men solely as heads of household and breadwinners. 28. The realization of the rights of women and gender equality, both in law and in practice, requires repealing or reforming discriminatory laws, policies and practices in the area of sexual and reproductive health. Removal of all barriers interfering with access by women to comprehensive sexual and reproductive health services, goods, education and information is required. To lower rates of maternal mortality and morbidity requires emergency obstetric care and skilled birth at- 16 CESCR, Allgemeine Bemerkung Nr. 20, Nichtdiskriminierung bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten (Artikel 2 Absatz 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte), nicht-amtliche Übersetzung, E/C.12/GC/20, 02.07.2009, http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin /user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICESCR/icescr_Generel_Comment_20_2009_de.pdf, Rn. 32. 17 CESCR, General comment No. 22 (2016) on the right to sexual and reproductive health (article 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), E/C.12/GC/22, 02.05.2016, abrufbar über http://tbinternet .ohchr.org/. Siehe zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit auch die Serie von Informationspapieren des OHCHR unter http://www.ohchr.org/EN/Issues/Women/WRGS/Pages/HealthRights.aspx mit Zusammenfassung der Standards und Staatenpflichten in verschiedenen Unterbereichen, darunter HIV/Aids, Gewalt gegen Frauen, Abtreibung, Familienplanung, LGBTI und Praktiken wie Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung . Siehe zu diesen Thema ferner die Seiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter http://www.who.int/reproductivehealth/en/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 8 tendance, including in rural and remote areas, and prevention of unsafe abortions. Preventing unintended pregnancies and unsafe abortions requires States to adopt legal and policy measures to guarantee all individuals access to affordable, safe and effective contraceptives and comprehensive sexuality education, including for adolescents; to liberalize restrictive abortion laws; to guarantee women and girls access to safe abortion services and quality post-abortion care, including by training health-care providers; and to respect the right of women to make autonomous decisions about their sexual and reproductive health. 29. It is also important to undertake preventive, promotional and remedial action to shield all individuals from the harmful practices and norms and gender-based violence that deny them their full sexual and reproductive health, such as female genital mutilation, child and forced marriage and domestic and sexual violence, including marital rape, among other things. States parties must put in place laws, policies and programmes to prevent, address and remediate violations of the right of all individuals to autonomous decision-making on matters regarding their sexual and reproductive health, free from violence, coercion and discrimination.” Besonderen Fokus legt der CESCR auf die Möglichkeit multipler und intersektioneller (sich überschneidender ) Diskriminierung insbesondere von armen Frauen, Menschen mit Behinderungen, Migrantinnen und Migranten, indigenen Gruppen, ethnischen Minderheiten, Jugendlichen, LGBTI, Prostituierten sowie Menschen mit HIV/Aids (Rn. 30–33). Ausführlich legt der Ausschuss auf dieser Grundlage Staatenpflichten (Rn. 33 ff.), sofort zu erfüllende Kernpflichten (Rn. 49 ff.) und Rechtsverletzungen dar (Rn. 54 ff.). In seinen Abschließenden Bemerkungen hat der Ausschuss – in mehreren Staatenberichtsverfahren , darunter gegenüber Polen (2009) – in den letzten Jahren immer wieder bekräftigt, dass der Diskriminierungsschutz sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität erfasst. So hat er gegenüber Polen die Beseitigung von Diskriminierung von LGBTI, aber auch die Beseitigung sexueller Belästigung oder Ausbeutung (u. a.) von Frauen und die Verbesserung des staatlich unterstützten Zugang zu elementarer Gesundheitsversorgung (etwa im Rahmen von Gynäkologie, Familienplanung /Verhütung und reproduktiver Medizin) gefordert.18 Für eine umfassende Aufstellung der Auffassungen des CESCR zum Diskriminierungsverbot im Zusammenhang mit sexueller Selbstbestimmung wäre die Durchsicht aller Abschließenden Bemerkungen und sonstigen Auffassungen erforderlich. In seinen neueren Abschließenden Bemerkungen verwendet der Ausschuss regelmäßig Zwischenüberschriften, die eine Orientierung erleichtern . Relevant können Abschnitte wie „Non-discrimination“, „Discrimination on the 18 CESCR, Consideration of reports submitted by States parties under articles 16 and 17 of the Covenant: Concluding observations of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, E/C.12/POL/CO/5, 02.12.2009, Rn. 12, 27, 28, 31, 34 (c); siehe ferner beispielsweise hinsichtlich der Benachteiligung von LGBT die Abschließenden Bemerkungen gegenüber Paraguay, Concluding observations on the fourth periodic report of Paraguay, 20.03.2015, E/C.12/PRY/CO/4, Rn. 13; Uganda, Concluding observations on the initial report of Uganda, 08.07.2015, E/C.12/UGA/CO/1, Rn. 15 f., zu Zwangsräumungen Rn. 30, zum Recht auf Gesundheit von LGBTI mit HIV/Aids Rn. 32; Libanon, Concluding observations on the second periodic report of Lebanon, 24.10.2016, E/C.12/LBN/CO/2, Rn. 19 (c); Costa Rica, Concluding observations on the fifth periodic report of Costa Rica, 21.10.2016, E/C.12/CRI/CO/5, Rn. 20 f.; Dominikanische Republik, Concluding observations on the fourth periodic report of the Dominican Republic, 21.10.2016, E/C.12/DOM/CO/4, Rn. 25 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 9 grounds of sexual orientation and gender identity“ oder „Sexual and reproductive health“ sein.19 Anknüpfungspunkte bieten zudem zu Themen wie häusliche Gewalt (domestic violence), Gleichstellung (equality) sowie die Passagen zu einzelnen WSK-Rechten, die ebenfalls Verweise auf Diskriminierungen – etwa beim Zugang zu Leistungen – enthalten können. Um die Reichweite des Diskriminierungsschutzes – inkl. der sofort anwendbaren Staatspflichten und der Mindestgarantien – im Zusammenhang mit einzelnen Konventionsrechten zu bestimmen, empfiehlt sich ein Blick in die jeweiligen Allgemeinen Bemerkungen.20 3. Berichte des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) 3.1. Erster Bericht (2011) Die damalige VN-Hochkommissarin für Menschenrechte hat in ihrem Bericht von 2011 einzelne diskriminierende Praktiken (auch) im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aufgeführt, die die Vertragsausschüsse festgestellt hatten.21 Nach allgemeiner Einleitung (Rn. 48–53) widmet sie sich den Bereichen Gesundheitswesen (Rn. 54–58), Bildungswesen (Rn. 58–61), Zugang zu Sozialleistungen und Vergünstigungen (Rn. 68 ff.), Anerkennung des Geschlechts (Rn. 71 ff.) sowie Familie und Gesellschaft (mit Verweis auf Geschlechterstereotypen, Rn. 66 f.). Dabei ist anzumerken, dass eine nicht unerhebliche Zahl der dort angeführten Auffassungen von anderen Ausschüssen – insbesondere vom CCPR, dort zu Art. 26 und 2 Abs. 1 ICCPR – stammt. Bei der Beurteilung der menschenrechtlichen Standards im Bereich des Diskriminierungsschutzes im Zusammenhang mit WSK-Rechten sollten deshalb nicht allein die Bemerkungen und Auffassungen des CESCR in Betracht gezogen werden. Abschließend empfahl die Hochkommissarin in ihrem Bericht u. a., „umfassende Antidiskriminierungsgesetze zu schaffen, welche die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität zu den verbotenen Diskriminierungsgründen zählen und überschneidende Diskriminierungsformen berücksichtigen; sicherzustellen, dass die Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität in den Mandaten der nationalen Menschenrechtseinrichtungen enthalten ist.“22 19 Siehe dazu beispielhaft die Abschließenden Bemerkungen zum aktuellen Staatenbericht Polens, CESCR, Concluding observations on the sixth periodic report of Poland, 26.10.2016, E/C.12/POL/CO/6, Rn. 10 ff., 46 f.; zu LGBT etwa die Abschließenden Bemerkungen gegenüber den Philippinen, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of the Philippines, 26.10.2016, E/C.12/PHL/CO/5-6, Rn. 19 f., 23 f., 29 ff., 51 f.; s. ferner Observations finales concernant le troisième rapport périodique de la Tunisie, 14.11.2016, E/C.12/TUN/CO/3, Rn. 24 ff, 38 f. 20 Vgl. etwa zum Recht auf Gesundheitsversorgung ausführlich Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste (WD 2), Zur Reichweite des menschenrechtlichen Schutzes im Bereich der Gesundheitsversorgung unter besonderer Berücksichtigung von Artikel 9 und 12 ICESCR, WD 2 – 3000 – 066/15. Zu allen WSK-Rechten vgl. die ausführlichen Erörterungen bei Ben Saul/David Kinley/Jacqueline Mowbray, The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights: Commentary, Cases, and Materials, Oxford University Press (2014). 21 Bericht der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte (2011), Fn., Teil V, Rn. 48 ff. 22 Bericht der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte (2011), Fn., Rn. 84 (e). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 10 3.2. Zweiter Bericht (2015) Auf Ersuchen des VN-Menschenrechtsrats erstattete das VN-Hochkommissariat (OHCHR) 2015 erneut Bericht. In Rn. 50–70 aktualisierte das OHCHR die festgestellten diskriminierenden Praktiken in Hinblick auf LGBTI, erneut mit Verweis auf Abschließende Bemerkungen, Auffassungen und Empfehlungen der Ausschüsse. Dabei sprach das Hochkommissariat im Wesentlichen die gleichen Aspekte an, die bereits im Bericht von 2011 gerügt worden waren: Im Gesundheitssektor (Rn. 50–54) galt der Schwerpunkt der Kritik Gesetzen, die Homosexualität kriminalisieren, sowie den diskriminierenden Praktiken von Gesundheitseinrichtungen, die zur einer Beschränkung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung sowie zu mangelnder Qualität der Behandlung führen könnten. Besonders angesprochen wurde die „Behandlung“ von Homosexualität durch sog. Konversionstherapien und in sog. Rehabilitationskliniken, die geschlechtsangleichende Operation intersexueller Kinder (Rn. 53) sowie die Schwierigkeiten für transgeschlechtliche Menschen beim Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung (Rn. 54). Im Bildungsbereich (Rn. 55–57) wird auf Diskriminierung, Mobbing und Gewalt gegen LGBTI – insbesondere in Schulen – sowie auf Stereotypen und Defizite in der Sexualerziehung verwiesen. Im Bereich des Arbeitsmarktes wird der in den meisten Staaten unzureichende gesetzliche Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz (z.B. bei Mobbing und Kündigungsschutz) kritisiert. Wo solche Gesetze bestünden, würden sie oftmals nicht hinreichend angewendet (Rn. 58). Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch Private beim Zugang zu Wohnraum stellt einen weiteren Kritikpunkt des OHCHR dar. Das Hochkommissariat nimmt auch Bezug auf Obdachlosigkeit, familiäre Zurückweisung , Räumungen und Schikane in der Nachbarschaft (Rn. 59). Das OHCHR verweist darauf, dass der CESCR mehrere Staaten dazu aufgefordert habe, gleichgeschlechtliche Partnerschaften (nicht: Ehen) anzuerkennen23, und fordert, (Zugang zu) Renten und Erbrecht jedenfalls dann zu gewähren, wenn sie nach nationalem Recht auch unverheirateten heterosexuellen Paaren zustünden (Rn. 67).24 Ferner wird auf den Mangel an gesetzlichem Schutz für Kinder gleichgeschlechtlicher Paare hingewiesen (Rn. 68). 23 Rn. 67 mit Verweis auf CESCR, E/C.12/BGR/CO/4-5, Rn. 17; E/C.12/SVK/CO/2, Rn. 10. 24 Rn. 67 mit Verweis auf CCPR, CEDAW und EGMR: CCPR/C/CHN/HKG/CO/3, Rn. 23, CCPR/C/78/D/941/2000, Rn. 10.4; CEDAW/C/SRB/CO/2-3, Rn. 39(d); EGMR, Große Kammer, Vallianatos u.a. gegen Griechenland, Beschwerde -Nrn. 29381/09, 32684/09, 07.11.2013, Rn. 79–81, sinnvoll wäre allerdings der Verweis auf Rn. 90 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 126/16 Seite 11 4. Weiterführende Bemerkungen Weitere menschenrechtliche Standards enthalten drei Resolutionen des VN-Menschenrechtsrates (HRC), auf die die Berichte des OHCHR zurückgehen.25 Mit seiner Resolution von Juni 2016 schuf der HRC den Posten des Independent Expert on sexual orientation and gender identity.26 Zu erwähnen sind ferner VN-Kampagnen gegen die Diskriminierung insbesondere von LGBTI.27 Hierzu haben die VN neben mehreren Übersichten28 u. a. eine Broschüre herausgegeben, die die völker- und menschenrechtlichen Kernpflichten der Staaten erläutert.29 Positivbeispiele zur Staatenpraxis gegen Diskriminierung von LGBTI bietet eine aktuelle Broschüre von 2016.30 Ferner haben Menschenrechtsexpertinnen und -experten 2006 die sog. Yogyakarta-Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität entwickelt (Fn. 3). Hierbei handelt es sich nicht um geltendes Völkerrecht, da sie nicht von einem anerkannten Völkerrechtssubjekt geschaffen worden sind. Dennoch haben sich bereits VN-Institutionen – darunter der CESCR – auf diese Standards berufen.31 Insbesondere die Prinzipien 12 bis 19, 25 und 26 widmen sich wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. *** 25 Human Rights Council, Resolution adopted by the Human Rights Council on 30 June 2016, 32/2. Protection against violence and discrimination based on sexual orientation and gender identity, A/HRC/RES/32/2, 15.07.2016, http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/HRC/RES/32/2; Resolution 17/19, Human rights, sexual orientation and gender identity, vom 17.06.2011, A/HRC/RES/17/19, https://documents-ddsny .un.org/doc/UNDOC/GEN/G11/148/76/PDF/G1114876.pdf; Resolution 27/32, Human rights, sexual orientation and gender identity, vom 26.09.2014, A/HRC/RES/27/32, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UN- DOC/GEN/G14/177/32/PDF/G1417732.pdf. 26 Independent Expert on protection against violence and discrimination based on sexual orientation and gender identity, derzeit Herr Vitit Muntarbhorn, http://www.ohchr.org/EN/Issues/SexualOrientationGender/Pages/Index .aspx. Siehe dazu Human Rights Watch, UN Makes History on Sexual Orientation, Gender Identity Human Rights Body Establishes an Independent Expert, 30.06.2016, https://www.hrw.org/news/2016/06/30/un-makeshistory -sexual-orientation-gender-identity. 27 Vgl. VN, Free & Equal: United Nations Campaign for Lesbian, Gay, Bisexual, and Transgender Equality, United States Combating for Intersex Awareness, https://www.unfe.org/en; siehe ferner mit zahlreichen weiterführenden Verweisen OHCHR, Combatting discrimination based on sexual orientation and gender identity, http://www.ohchr.org/EN/Issues/Discrimination/Pages/LGBT.aspx. 28 VN, Combatting discrimination based on sexual orientation and gender identity – Fact Sheets, http://www.ohchr.org/EN/Issues/Discrimination/Pages/LGBTFactSheets.aspx; siehe ferner http://www.ohchr.org/Documents/Issues/Discrimination/LGBT_discrimination.pdf. 29 VN, Born Free and Equal: Sexual Orientation and Gender Identity in International Human Rights Law (2012), http://www.ohchr.org/Documents/Publications/BornFreeAndEqualLowRes.pdf. 30 VN, Living Free and Equal: What States are Doing to Tackle Violence and Discrimination Against Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Intersex People (2016), http://www.ohchr.org/Documents/Publications/LivingFree- AndEqual.pdf. 31 Vgl. insbesondere CESCR, Allgemeine Bemerkung Nr. 20, Fn. 16, Rn. 32. Für weitere Referenzen siehe u.a. den Bericht der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte (2011), Fn. 2, dort Fn. 7.