© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 - 122/19 Das Deutsch-Französische Abkommen vom 21. Oktober 2019 über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich im Lichte des Art. 59 Abs. 2 GG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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De-minimis-Regelung 7 4.3.1. Kriegswaffenkontrollgesetz 8 4.3.2. Außenwirtschaftsverordnung 9 5. Ergebnis 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 122/19 Seite 4 1. Einführung Die Bundesregierung und die französische Regierung haben sich im Vertrag von Aachen darauf verständigt, bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte zu entwickeln . Zu diesem Zweck wurde am 23. Oktober 2019 das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich (im Folgenden: Dt.-frz. Abkommen) abgeschlossen.1 Das Dt.-frz. Abkommen ist am 23. Oktober 2019 dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestages, dem Auswärtigen Ausschuss sowie dem Verteidigungsausschuss zur Kenntnisnahme zugeleitet worden. Nachdem der Notenwechsel am 23. Oktober 2019 erfolgt und das Abkommen damit in Kraft getreten ist, wird es nun im Bundesgesetzblatt Teil II veröffentlicht . Eine weitere Befassung durch den Bundestag ist nicht vorgesehen. Bei dem Dt.-frz. Abkommen handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung verfassungsrechtlich um ein Verwaltungsabkommen (genauer: Regierungsabkommen) i.S.d. Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG, welches keiner Ratifikation durch die gesetzgebenden Körperschaften bedarf. Im Folgenden soll das Dt.-frz. Abkommen im Lichte des Art. 59 Abs. 2 GG untersucht werden. 2. Abschluss völkerrechtlicher Verträge und die Beteiligung des Bundestages Völkerrechtliche Verträge können innerstaatlich im einphasigen oder im mehrphasigen Verfahren abgeschlossen werden.2 Im mehrphasigen Verfahren wird der Vertrag nach Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften mit der Ratifikation durch den Bundespräsidenten völkerrechtlich verbindlich. Im einphasigen Verfahren können Verträge als sog. Verwaltungsabkommen (in der Form von Regierungs- bzw. Ressortabkommen3) regelmäßig schon mit Unterzeichnung durch die Bundesregierung (bzw. den zuständigen Bundesminister) oder mit anschließendem Notenwechsel in Kraft treten.4 1 Text abrufbar auf Homepage des BMWi, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Meldung/2019/20191025- ausfuhrkontrollen-im-ruestungsbereich.html. 2 Das Völkerrecht selbst macht dem nationalen Recht hier keine Vorgaben, sondern sieht mehrere Möglichkeiten des innerstaatlichen Verbindlichwerdens von völkerrechtlichen Verträgen vor. Art. 11 der Wiener Vertragsrechtskonvention bestimmt dazu: „Die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, kann durch Unterzeichnung, Austausch von Urkunden, (…), Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt oder auf eine andere vereinbarte Art ausgedrückt werden.“ 3 Vgl. zur Unterscheidung Rudolf, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 141 Rdnr. 63. 4 Vgl. näher Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Köln: Heymanns, 14. Aufl. 2018, Art. 59 Rdnr. 29 f. Zur verfassungsrechtlichen Klassifikation völkerrechtlicher Verträge vgl. Geiger, Rudolf, Grundgesetz und Völkerrecht, München: Beck, 6. Aufl. 2013, § 31. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 122/19 Seite 5 Die meisten der völkerrechtlichen Verträge, an denen Deutschland beteiligt ist, werden als Verwaltungsabkommen abgeschlossen.5 Nur einzelne von ihnen werden überhaupt im Bundesgesetzblatt Teil II bekannt gemacht. Eine formelle Beteiligung des Bundestages ist dabei rechtlich nicht vorgesehen – es sei denn, dies ist ausnahmsweise als Bedingung in den Vertrag aufgenommen worden.6 Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich des auswärtigen Handelns und damit die Frage, bei welchen völkerrechtlichen Verträgen eine vorherige Zustimmung durch das Parlament verfassungsrechtlich geboten ist, wird in Art. 59 Abs. 2 GG geregelt. Dieser lautet: „Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.“ 3. „Politische“ Verträge Eine fest umrissene völker- bzw. staatrechtliche Kategorie der sog. „politischen“ Verträge – die also einer Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften bedürfen – existiert nicht.7 Angesichts der Offenheit des Begriffs der „politischen Beziehungen“ in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, der es erlauben würde, praktisch jeden völkerrechtlichen Vertrag, der sich mit öffentlichen Angelegenheiten befasst, dieser Kategorie zuzuordnen, besteht Einigkeit darüber, das konturenlose Kriterium der „politischen Beziehungen“ eng auszulegen.8 Nach Auffassung des BVerfG muss der Vertrag daher „wesentlich und unmittelbar die Existenz des Staates, seine territoriale Integrität , seine Unabhängigkeit, seine Stellung und sein maßgebliches Gewicht in der Staatengemeinschaft “ berühren.9 5 Vgl. Überblick und Klassifizierung bei Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, München: Beck 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rdnr. 79. 6 Obwohl bei Verwaltungsabkommen eine Parlamentsbeteiligung nicht erforderlich ist, wäre es rechtlich gleichwohl nicht ausgeschlossen, diese Abkommen auch als Staatsverträge abzuschließen und eine parlamentarische Zustimmung einzuholen (vgl. Warmke, Reinhard, „Verwaltungsabkommen in der Bundesrepublik Deutschland “, in: Die Verwaltung 1991, S. 455-465 (458)). 7 Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, München: Beck 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rdnr. 23. 8 Vgl. für viele Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Tübingen: Mohr, 3. Aufl. 2015, Art. 59 Rdnr. 28. Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Köln: Heymanns, 14. Aufl. 2018, Art. 59 Rdnr. 71. 9 BVerfGE 1, 372 (381 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 122/19 Seite 6 In der Praxis werden „politische“ Verträge vergleichsweise selten geschlossen.10 In diese Kategorie fallen etwa Bündnis-, Friedens-, Nichtangriffs-, Neutralitäts- und Abrüstungsverträge, ferner „hochpolitische“ Verträge11 wie der Grundlagen-Vertrag mit der DDR von 1972 oder der Zweiplus -Vier-Vertrag von 1990 sowie Beitrittsverträge zu internationalen Organisationen.12 Handels- oder Freundschaftsabkommen fallen dagegen regelmäßig nicht darunter. Vor dem Hintergrund der o.g. Kriterien ist das Dt.-frz. Abkommen, auch wenn man das beim Thema „Rüstungsexporte“ auf den ersten Blick vermuten könnte, offensichtlich kein „politischer “ Vertrag i.S.d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Inhaltlich geht es bei dem Abkommen im Kern lediglich um Verfahrensabsprachen für die Genehmigung von Rüstungsexporten mit Blick auf bi-nationale Rüstungsprojekte. Auch das grundgesetzlich verankerte Postulat, wonach der Export von Kriegswaffen der Genehmigung durch die Bundesregierung bedarf (Art. 26 Abs. 2 GG), wird von den Bestimmungen des Dt.-frz. Abkommens nicht tangiert. Nicht zuletzt erhält das Dt.-frz. Abkommen in seinem Art. 5, der die Schlussbestimmungen (Inkrafttreten, Kündigung) regelt, auch keine „Ratifikationsklausel“, welche eine Mitwirkung der Legislative völkerrechtlich vorsehen würde. 4. „Gesetzesinhaltliche“ Verträge 4.1. Verfassungsrechtliche Grundlagen Dem Ratifikationserfordernis nach Art. 59 Abs. 2 GG unterliegen ferner völkerrechtliche Verträge, die sich auf „Gegenstände der Bundesgesetzgebung“ beziehen (sog. „gesetzesinhaltliche“ Verträge ). Der Rechtsprechung des BVerfG zufolge ist ein Vertragsinhalt „Gegenstand der Bundesgesetzgebung “, wenn zur Vollziehung des Vertrages ein Bundesgesetz erforderlich wird, also „wenn der Bund durch den Vertrag Verpflichtung übernimmt, deren Erfüllung allein durch Erlass eines Gesetzes möglich ist.“13 Die Regelung in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG soll also verhindern, dass die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des Parlaments völkerrechtliche Verträge abschließt, die ohne Mitwirkung der Legislative – also ohne Änderung bzw. Ergänzung der bestehenden Gesetzeslage – im Außenverhältnis gar nicht zu erfüllen wären (Sicherstellung der 10 Das BVerfG hat die Einordnung eines Abkommens als „politischer Vertrag“ in ganz wenigen Fällen korrigiert (vgl. BVerfGE 1, 351 (366 ff.); BVerfGE 1, 372 (380 ff.); BVerfGE 2, 347 (378 f.)). 11 Diesen Terminus verwendet BVerfGE 40, 141 (164). 12 Weitere Beispiele bei Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Köln: Heymanns, 14. Aufl. 2018, Art. 59 Rdnr. 72. 13 BVerfGE 1, 372 (389). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 122/19 Seite 7 Vertragserfüllung).14 Auch soll der innerstaatliche Gesetzesvorbehalt völkerrechtlich nicht ausgehebelt werden.15 Zu prüfen ist also, ob das Dt.-frz. Abkommen Regelungen enthält, für deren Anwendung im binationalen Verhältnis eine Änderung bzw. Ergänzung der bestehenden Gesetzeslage in Deutschland erforderlich ist – oder ob das Abkommen auf der Grundlage der bestehenden Gesetzeslage vollzogen werden kann. 4.2. Inhalt des Dt.-frz. Abkommens Das Dt.-frz. Abkommen erschöpft sich weitgehend in bilateralen Verfahrensabsprachen, welche die Ausfuhrkontrolle von Rüstungsgütern für bi-nationale Rüstungsprojekte koordinieren und mit Blick auf den Verwaltungsaufwand erleichtern sollen. Das Abkommen respektiert dabei ausdrücklich die jeweilige Zuständigkeit der Vertragspartner für die Genehmigung von Ausfuhren von Rüstungsgütern aus ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet „auf der Grundlage ihrer nationalen Rechtsvorschriften.“16 Inhaltlich besteht das Dt.-frz. Abkommen aus vier Artikeln plus zwei Anlagen. Artikel 1 und 2 enthalten lediglich bilaterale Unterrichtungspflichten und Verfahrensabsprachen zwischen den Regierungen für den Fall, dass eine Vertragspartei der Ausfuhr von Rüstungsgütern widerspricht. Zum Zwecke von bilateralen Konsultationen wird in Art. 4 des Dt.-frz. Abkommens ein „Ständiges Gremium“ eingerichtet. All dies bedarf keiner gesetzesförmigen Abstützung und erscheint daher mit Blick auf die fehlende Beteiligung des Bundestages nach Art. 59 Abs. 2 GG unkritisch. 4.3. De-minimis-Regelung Kernelement des Dt.-frz. Abkommens ist in Art. 3 die sog. de-minimis-Regelung, auf die sich auch die beiden Anlagen beziehen. Art. 3 Abs. 2 lautet: „Nach dem in Absatz 1 genannten „De-minimis“-Grundsatz erteilt eine Vertragspartei, sofern ihr Zulieferanteil zu einem durch die andere Vertragspartei zu verbringenden oder auszuführenden Gesamtsystem unterhalb eines zwischen den Vertragsparteien zuvor einvernehmlich festgelegten Prozentsatzes17 liegt, unverzüglich die entsprechenden Verbringungs- oder Ausfuhrgenehmigungen, außer in dem Ausnahmefall, in dem ihre unmittelbaren Interessen oder ihre nationale Sicherheit dadurch beeinträchtigt würden.“ 14 Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, München: Beck 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rdnr. 24. Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Köln: Heymanns, 14. Aufl. 2018, Art. 59 Rdnr. 74. 15 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Tübingen: Mohr, 3. Aufl. 2015, Art. 59 Rdnr. 30. 16 Vgl. Präambel Abs. 2 und 3. 17 Dieser wurde in Anlage 1 des Abkommens auf 20 Prozent des Wertes des Gesamtsystems festgelegt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 122/19 Seite 8 Zunächst bleibt festzustellen, dass die de-minimis-Regelung das nationale Genehmigungsverfahren zur Ausfuhr von Rüstungsgütern nicht abändert, sondern nur deren Modalitäten ausgestaltet. Wenn Art. 3 des Dt.-frz. Abkommens die Vertragsparteien aber verpflichtet, eine Ausfuhrgenehmigung für Zulieferanteile für gemeinsame Rüstungsprojekte „unverzüglich zu erteilen“, so bindet sich damit die Bundesregierung bzw. die genehmigungserteilende Behörde (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA) hinsichtlich ihrer Ermessensausübung bei der Genehmigungserteilung . Das Dt.-frz. Abkommen schränkt also hinsichtlich der Ausfuhr bestimmter Rüstungsgüter den Ermessensspielraum der Bunderegierung / BAFA ein. Fraglich bleibt, ob eine solche völkerrechtlich vereinbarte Ermessensbindung mit den geltenden Rüstungsexportbestimmungen im Einklang steht – mit anderen Worten, ob das Dt.-frz. Abkommen ohne eine entsprechende Änderung bzw. Anpassung der geltenden Regelungen in der Praxis durchführbar ist. In diesem Falle wäre eine Beteiligung des Bundestages in Form eines Zustimmungsgesetzes zu dem Dt.-frz. Abkommen nach Art. 59 Abs. 2 GG entbehrlich. In den Blick geraten jene Gesetzesvorschriften, die das Genehmigungsverfahren für die Ausfuhr von Rüstungsgütern regeln und dabei gegenüber der genehmigungserteilenden Behörde ermessenslenkende Wirkung entfalten. 4.3.1. Kriegswaffenkontrollgesetz Nach § 6 des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KrWaffKontrG)18 genießt die Bundesregierung bei der Entscheidung über Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen i.S.d. § 1 KrWaffKontrG einen weiten Ermessensspielraum. Das Ermessen der Bundesregierung ist aber gesetzlich insoweit eingeschränkt , als nach § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG eine Ausfuhrgenehmigung unter bestimmten Umständen zu versagen ist.19 Nach dem de-minimis-Grundsatz in Art. 3 des Dt.-frz. Abkommens kann eine Ausfuhrgenehmigung dagegen (nur) dann verweigert werden, wenn die „unmittelbaren Interessen“ der Vertragspartei oder ihre „nationale Sicherheit beeinträchtigt würden“ (Ausnahmetatbestand ). Die in § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG angeordnete Ermessensreduktion auf Null („ist zu versagen“) geht also deutlich über das hinaus, was der Ausnahmetatbestand in der de-minimis- Regelung völkerrechtlich vorsieht. 18 Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 1990 (BGBl. I S. 2506), Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes, https://www.gesetze-iminternet .de/krwaffkontrg/KrWaffKontrG.pdf. 19 Gem. § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG ist die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden oder Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde. Vgl. näher zu den zwingenden Versagungsgründen Pottmeyer, Klaus, Kriegswaffenkontrollgesetz. Kommentar, Köln u.a.: Carl Heymanns, 2. Aufl. 1994, § 6 Rdnr. 70 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 122/19 Seite 9 Gleichwohl scheint ein Konflikt zwischen der de-minimis-Regel und der in § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG angeordneten Ermessensreduktion aus einem anderen Grunde ausgeschlossen: Anders als Frankreich (und den meisten anderen europäischen Staaten) unterscheidet Deutschland zwischen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Erstere fallen unter das Kriegswaffenkontrollgesetz ; alle anderen können nach den Vorschriften der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) exportiert werden. Anlage 2 zum Dt.-frz. Abkommen nimmt nun all jene Rüstungsgüter, die nach deutschem Verständnis „Kriegswaffen“ im Sinne des KrWaffKontrG darstellen, von der Anwendung der de-minimis-Regelung pauschal aus. Anlage 2 spiegelt damit im Wesentlichen die deutsche Kriegswaffenliste als Teil der sog. Gemeinsamen Militärgüterliste der EU20 (Common Military List of the EU) wider. Der de-minimis-Grundsatz bezieht sich also im Ergebnis nur auf jene Rüstungsgüter, die nach deutschem Verständnis nicht in die Rubrik der Kriegswaffen fallen. Damit scheidet die Anwendung der Verfahrens- und Ermessensregeln des KrWaffKontrG auf den de-minimis-Grundsatz praktisch aus. Ein Konflikt hinsichtlich der Ermessensbindung der Bundesregierung / BAFA besteht daher nicht. 4.3.2. Außenwirtschaftsverordnung Im Bereich der sonstigen Rüstungsgüter, die nicht unter das KrWaffKontrG fallen, stellt sich die Rechtslage insoweit anders dar, als dass deren Ausfuhr grundsätzlich frei ist (Grundsatz der Außenhandelsfreiheit). Zwar sieht die Außenwirtschaftsverordnung (AWV)21 zum Teil Genehmigungserfordernisse für bestimmte Rüstungsgüter vor (vgl. §§ 8, 21 f. AWV). Ausfuhrgenehmigungen werden aber nach den allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) grundsätzlich erteilt; ablehnende Genehmigungsbescheide (z.B. wegen formaler Mängel bei der Antragstellung) müssen begründet werden. Will das BAFA eine Ausfuhrgenehmigung ausnahmsweise verweigern, muss es einen belastenden Verwaltungsakt erlassen, bei dem zur Begründung auf die Ausnahmetatbestände der de-minimis-Regelung in Art. 3 Dt.-frz. Abkommen zurückgegriffen werden kann. Eine Ermessensreduktion für die genehmigungserteilende Behörde (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA) – vergleichbar mit der Regelung in § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG – sieht das AWV nicht vor. 20 Amtsblatt der EU Nr. C 129/1 vom 21.4.2015, https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52015XG0421(05)&from=EN. Die Common Military List umfasst nicht nur Kriegswaffen, sondern auch alle sonstigen Rüstungsgüter, die nach deutschem Recht nicht unter das KrWaffKontrG fallen. Die jährlich aktualisierte Liste ist Teil des Gemeinsamen Standpunktes 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern erfasste Ausrüstung, https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008E0944&from=DE. 21 Außenwirtschaftsverordnung vom 2. August 2013 (BGBl. I S. 2865), https://www.gesetze-iminternet .de/awv_2013/BJNR286500013.html#BJNR286500013BJNG000200000. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 122/19 Seite 10 Wird die de-minimis-Regelung angewendet, ist gem. Anlage 1 Ziff. 5 zum Dt.-frz. Abkommen keine Endverbleibserklärung im Zusammenhang mit der deutsch-französischen Verbringungsgenehmigung erforderlich. Auch hier ergibt sich im Ergebnis kein Konflikt mit den Regelungen der AWV. Gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 AWV sind dem Antrag auf Genehmigung der Ausfuhr von Gütern, die in Teil I der Ausfuhrliste genannt sind, zwar grundsätzlich Dokumente zum Nachweis des Endempfängers, des Endverbleibs und des Verwendungszwecks beizufügen. Das BAFA kann jedoch gem. § 21 Abs. 2 S. 2 AWV auf die Vorlage dieser Dokumente verzichten oder andere Dokumente zum Nachweis des Verbleibs der Güter verlangen. Greift die de-minimis-Regelung, so ist gem. Anlage 1 Ziff. 5 zum Dt.-frz. Abkommen die Vertragspartei, aus deren Hoheitsgebiet das Gesamtsystem verbracht oder ausgeführt wird, „alleinig für die Prüfung der Einhaltung der gemeinsamen internationalen und EU-rechtlichen Verpflichtungen der Vertragsparteien zuständig“. Diese Praxis entspricht den EU-weiten Gepflogenheiten bei multinationalen Rüstungsprojekten und steht im Einklang mit dem gemeinsamen Standpunkt der EU. Dass für die praktische Anwendung des Dt.-frz. Abkommens eine Änderung der Außenwirtschaftsverordnung durch die Bundesregierung erforderlich wird, ist also nicht ersichtlich – braucht an dieser Stelle aber auch nicht weiter ausgeführt zu werden. Denn bei der AWV handelt es sich um kein Gesetz, sondern um eine Rechtsverordnung, die von der Bundesregierung bzw. dem Bundeswirtschaftsministerium auf der Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes22 erlassen wurde.23 Sollte mit Blick auf das Dt.-frz. Abkommen eine Änderung der AWV erforderlich werden , so könnte die Bundesregierung den Vollzug des Abkommens im Wege der Verordnungsgebung sicherstellen. Eine Mitwirkung des Bundestages nach Art. 59 Abs. 2 GG würde sich auch in diesem Falle nicht ergeben.24 22 Die Eingangsformel zur AWV lautet: „Es verordnen auf Grund des § 12 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 3 Absatz 3, § 4 Absatz 1 und 3, § 5, § 9 Satz 1, § 11, § 19 Absatz 4 Satz 2 und § 27 Absatz 4 Satz 2 und 3 des Außenwirtschaftsgesetzes vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1482) die Bundesregierung (…) sowie des § 12 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit § 4 Absatz 2 und 3 des Außenwirtschaftsgesetzes vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1482) das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium der Finanzen.“ 23 Gem. Art. 80 Abs. 1 GG können die Bundesregierung oder ein Bundesminister durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. 24 Näher Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Köln: Heymanns, 14. Aufl. 2018, Art. 59 Rdnr. 79 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 122/19 Seite 11 5. Ergebnis Für den praktischen Vollzug des Dt.-frz. Abkommens ist im Ergebnis keine Änderung bzw. Erlass eines Bundesgesetzes erforderlich. Die Durchführung des Abkommens kann durch die zuständigen Genehmigungsbehörden im Rahmen der geltenden Exportbestimmungen erfolgen. Auch die im Dt.-frz. Abkommen völkerrechtlich vereinbarten Verfahrensabsprachen für die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen nach dem sog. de-minimis-Grundsatz (Art. 3 des Abkommens) lassen sich ohne eine Änderung von Gesetzesvorschriften nach Maßgabe der geltenden Ausfuhrbestimmungen in der bilateralen Praxis vollziehen. Eine inhaltliche Änderung der geltenden Gesetzeslage wird durch das Dt.-frz. Abkommen nicht bewirkt. Bei dem Dt.-frz. Abkommen handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der aus verfassungsrechtlicher Sicht den Charakter eines Verwaltungsabkommens i.S.v. Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG aufweist. Da diese Verträge weder die politischen Beziehungen des Bundes regeln noch Gegenstände der Bundesgesetzgebung betreffen, bedürfen sie auch nicht der Zustimmung oder sonstigen Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften, sondern unterliegen mithin der alleinigen Regelungsbefugnis der Exekutive.25 Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages bleibt es unbenommen, hinsichtlich der künftigen bilateralen Praxis von Ausfuhrgenehmigungen nach dem de-minimis-Grundsatz sowie hinsichtlich der Arbeit des Ständigen Gremiums ihr parlamentarisches Frage- und Auskunftsrecht im Bereich der Rüstungsexportkontrolle wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang bleibt anzumerken , dass das Dt.-frz. Abkommen vom 23. Oktober 2019 über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich explizit auf das Dt.-frz. Abkommen vom 15. März 2005 über den gegenseitigen Schutz von Verschlusssachen26 Bezug nimmt. Insoweit könnten sich Einschränkungen des parlamentarischen Auskunftsrechts ergeben.27 *** 25 Vgl. insoweit die Definition des „Verwaltungsabkommens“ in den Richtlinien des Auswärtigen Amtes für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge (RvV) nach § 72 Absatz 6 GGO (Stand: Juli 2019), § 6, http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_05032014_50150555.htm. Ebenso m.w.N. Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Köln: Heymanns, 14. Aufl. 2018, Art. 59 Rdnr. 114 ff. 26 BGBl. II 2006, S. 67 ff. (Abkommen in Kraft seit 1. Dez. 2005, veröffentlicht am 5. Dez. 2005), https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=//*%5B@attr_id=%27bgbl206s0067.pdf%27%5D#__bgbl__%2F %2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl206s0067.pdf%27%5D__1573756813950. 27 Vgl. insoweit zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung das Urteil des BVerfG vom 21. Oktober 2014, - 2 BvE 5/11 - (BVerfGE 137, 185), Rdnr. 170 ff., https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2014/10/es20141021_2bve000511.h tml.