© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 121/19 Militärische Präsenz der USA in Syrien zur Absicherung der syrischen Ölfelder vor dem Zugriff des „Islamischen Staates“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 2 Militärische Präsenz der USA in Syrien zur Absicherung der syrischen Ölfelder vor dem Zugriff des „Islamischen Staates“ Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 121/19 Abschluss der Arbeit: 31. Oktober 2019 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. US-Präsenz in Syrien im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition (Operation Inherent Resolve) 4 2.1. Völkerrechtliche Grundlage für die Operation Inherent Resolve 5 2.2. Fortbestehende Selbstverteidigungslage 7 3. Absicherung der syrischen Ölfelder vor einem Zugriff durch den „IS“ 8 4. Die USA und das syrische Öl 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 4 1. Einführung Medienberichten zufolge plant das US-Verteidigungsministerium – vorbehaltlich einer Zustimmung durch das Weiße Haus – militärische Kräfte (angeblich bis zu 30 Abrams-Panzer und zusätzliche Soldaten) zum Schutz der Ölfelder in den Osten Syriens zu verlegen. Damit solle verhindert werden, dass die von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kontrollierten Ölfelder wieder in die Hände der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) oder „anderer destabilisierender Akteure“ fallen. Die geplante Verstärkung geschehe „in Abstimmung“ mit den SDF- Partnern. Die Eroberung der Ölfelder vom „IS“ sei eine der wichtigsten Errungenschaften im Kampf gegen die Terrormiliz gewesen.1 Zuvor hatte Russland die USA zum Abzug ihrer letzten in Syrien noch verbliebenen Soldaten aufgefordert. Laut Kremlsprecher Peskow hätten die amerikanischen Soldaten kein Recht, sich auf syrischem Gebiet aufzuhalten. Die russischen Streitkräfte seien die einzigen, die sich mit Erlaubnis der syrischen Führung und deshalb legitim dort aufhielten.2 2. US-Präsenz in Syrien im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition (Operation Inherent Resolve) Die Präsenz ausländischer Truppen in einem anderen Staat kann auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen (Zustimmung des Territorialstaates, völkerrechtliche Verträge, VN-Resolutionen ). Im Fall Syriens könnten die „Syrischen Demokratischen Kräfte“ – ein loses multiethnisches militärisches Dachbündnis bestehend aus kurdisch-turkmenischen Volksverteidigungseinheiten , sunnitisch-arabischen Stammesmilizen sowie assyrisch-aramäischen Kämpfern3 – in der Tat keine völkerrechtlich wirksame Einwilligung zur Truppenpräsenz in Syrien aussprechen. Das militärische Engagement der USA in Nordsyrien erfolgte (und erfolgt weiter) im Rahmen der Operation Inherent Resolve – einer internationalen Anti-Terror-Operation zur Bekämpfung des „Islamischen Staates“ (ISIS/Daesh) in Syrien und dem Irak.4 Unerheblich in diesem Zusammenhang ist, dass die USA unlängst den größten Teil ihrer Truppen aus Nordsyrien abgezogen haben und offenbar nur ein kleiner Anteil zum Schutz der syrischen Ölfelder vor Ort verbleiben soll oder Kräfte aus anderen Regionen (wieder) hinzuverlegt werden sollen. 1 ZEIT online vom 25. Oktober 2019, „USA wollen offenbar Ölfelder mit Soldaten sichern“, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-10/syrien-usa-regierung-soldaten-oelfelder-schutz. FAZ online vom 25. Oktober 2019, „Pentagon will offenbar Ölfelder mit Panzern schützen“, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/syrien-usa-wollen-oelfelder-mit-panzern-schuetzen-16450355.html. 2 Tagesschau online vom 25. Oktober 2019, „US-Truppen sollen Ölfelder schützen“, https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-usa-oelfelder-101.html. 3 ZDF vom 15. Oktober 2019, „Türkei-Militäroffensive: Die Akteure in Nordsyrien im Überblick“, https://www.zdf.de/nachrichten/heute/syrien-tuerkei-kurden-ueberblick-die-wichtigsten-akteure-100.html. 4 Hintergründe zur Operation finden sich auf der Homepage des Pentagon https://dod.defense.gov/OIR/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 5 2.1. Völkerrechtliche Grundlage für die Operation Inherent Resolve Als Teil der „Anti-IS-Allianz“ in Syrien berufen sich die USA im Kern auf das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 VN-Charta: “ISIL and other terrorist groups in Syria are a threat not only to Iraq, but also to many other countries, including the United States and our partners in the region and beyond. States must be able to defend themselves, in accordance with the inherent right of individual and collective self-defense, as reflected in Article 51 of the UN Charter, when, as is the case here, the government of the State where the threat is located is unwilling or unable to prevent the use of its territory for such attacks. The Syrian regime has shown that it cannot and will not confront these safe-havens effectively itself. Accordingly, the United States has initiated necessary and proportionate military actions in Syria in order to eliminate the ongoing ISIL threat to Iraq.“5 Ausweislich des Bundestagsmandats über die erneute Verlängerung des Anti-„IS“-Einsatzes deutscher Tornados in Syrien vom 18. September 20196 haben auch Bundesregierung und Bundestag das Selbstverteidigungsrecht als völkerrechtliche Grundlage für das deutsche Engagement in Syrien herangezogen. „Beginnend im September 2014 haben mehrere mit Deutschland verbündete oder partnerschaftlich verbundene Staaten (u. a. USA, Australien, Vereinigtes Königreich, Frankreich) die durch den IS von syrischem Staatsgebiet ausgehenden Angriffe auf Irak zum Anlass genommen, Irak – auf dessen Ersuchen hin – in Ausübung des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung im Sinne von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen militärischen Beistand zu leisten. In diesem Zusammenhang werden auch militärische Maßnahmen auf syrischem Gebiet durchgeführt, da die syrische Regierung nicht in der Lage war und auch weiterhin nicht in der Lage ist, alle von ihrem Territorium ausgehenden Angriffe durch den IS zu unterbinden. Dieses Vorgehen wurde dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durch die genannten Staaten angezeigt. Das Vorgehen gegen den IS erfolgt in Wahrnehmung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (…). 5 Schreiben vom 23. September 2014 der damaligen US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen an den damaligen VN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, https://www.justsecurity.org/15436/war-powers-resolution-article-51- letters-force-syria-isil-khorasan-group/. 6 BT-Drs. 19/13290 vom 18. September 2019, „Antrag der Bundesregierung: Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte – Stabilisierung sichern, Wiedererstarken des IS verhindern, Versöhnung fördern in Irak und Syrien“, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/132/1913290.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 6 Hinsichtlich der vehement diskutierten Frage, ob und inwieweit das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 VN-Charta auch gegen Terrororganisationen fruchtbar gemacht werden kann,7 hat sich das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17. September 2019 zum deutschen Tornado-Einsatz gegen den „IS“ in Syrien8 wie folgt positioniert: „Der Wortlaut des Art. 51 VN-Charta sperrt sich grundsätzlich nicht gegen die Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure als Urheber eines bewaffneten Angriffs. Auch ein vollständiges Verbot nachteiliger Auswirkungen von Selbstverteidigungshandlungen auf andere Rechtsträger, wie etwa Staaten, von deren Gebiet aus territorial verfestigte nichtstaatliche Akteure agieren, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht. Die (…) weite Auslegung des Art. 51 VN-Charta widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Norm, die letztlich die fortbestehende Möglichkeit der VN-Mitgliedstaaten verbrieft, sich trotz ihrer Verpflichtung zur umfassenden Achtung des Gewaltverbots gegen Angriffe, gleich von wem sie ausgehen, verteidigen zu können (statt vieler Dau, Die völkerrechtliche Zulässigkeit von Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Akteure, 2018, S. 64 f.; Finke, AVR 2017, S. 1; Moir, in: Weller, The Oxford Handbook of the Use of Force in International Law, 2015, S. 720; Thiele, Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, 2011, S. 166 ff). Dass derartige Bedrohungen in der Vergangenheit hauptsächlich von zwischenstaatlichen Konflikten ausgingen , beschreibt nur die historischen Gegebenheiten, erzwingt aber nicht die Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts auf Angriffe staatlicher Akteure. Es erscheint daher zumindest vertretbar, Angriffe nichtstaatlicher Akteure als in den Sinn und Zweck des Selbstverteidigungsrechts, eine effektive Verteidigung bis zum Tätigwerden des Sicherheitsrats zu ermöglichen, einbezogen anzusehen.“ Auch die Völkerrechtswissenschaft ist großenteils bereit, ein (extraterritoriales) Selbstverteidigungsrecht eines Staates gegen Terrororganisationen auf dem Territorium eines anderen Staates prinzipiell zu akzeptieren, wenn die Terrororganisation – ähnlich wie ein de-facto-Regime – territorial verfestigte Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausübt und der Territorialstaat, in dem die Terroristen agieren, nicht willens oder in der Lage ist, die terroristischen Umtriebe auf seinem Territorium wirksam zu unterbinden (sog. „unable-and-unwilling-Doktrin“).9 7 Vgl. dazu u.a. International Law Association, Sydney Conference (2018), Final Report on the Use of Force, B.2.c., http://www.ila-hq.org/images/ILA/DraftReports/DraftReport_UseOfForce.pdf. Finke, Jasper, Selbstverteidigungsrecht gegen nichtstaatliche Akteure, Archiv des Völkerrechts 2017, S. 1-42. Stein/v. Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, München: Vahlen 14. Aufl. 2017, § 52 Rdnr. 841 ff. Starski, Paulina, Right to Self-Defense, Attribution and the Non-State Actor, ZaöRV 2015, S. 455-501, http://www.zaoerv.de/75_2015/75_2015_3_a_455_502.pdf. Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations, A Commentary, Vol. II, Oxford 2012, Art. 51 Rdnr. 41. 8 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September 2019 - 2 BvE 2/16, Rdnr. 50, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2019/09/es20190917_2bve000216.pdf?_ _blob=publicationFile&v=1. (Hervorhebungen nicht im Original). 9 Stein/v. Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, München: Vahlen, 14. Aufl. 2017, § 52 Rdnr. 845. Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, Vol. II, Oxford 2012, Art. 51 Rdnr. 41. Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 56 Rdnr. 26. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 7 2.2. Fortbestehende Selbstverteidigungslage Inwieweit das Selbstverteidigungsrecht als Rechtsgrundlage für die militärische Bekämpfung des „IS“ in Syrien noch trägt, wenn die Herrschaft der Terrormiliz vor Ort an territorialer Verfestigung verliert, ist in der wissenschaftlichen Diskussion kritisch hinterfragt worden.10 Das „Anti- IS-Mandat“ vom 18. September 2019 zur Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Syrien verfolgt zwei (neue) Ansätze zur Begründung einer fortbestehenden Selbstverteidigungslage. Mangels einer territorial verfestigten Herrschaft des „IS“ in Syrien soll es nun ausreichen, dass die Terrororganisation den (realistischen) Anspruch auf eine solche Territorialherrschaft erhebt und diesen potentiell auch zu realisieren vermag. Überdies werden in der Begründung Kriterien herangezogen, die auf die konkrete Gefahr fortgesetzter Angriffe durch den IS abstellen. Im Antrag der Bundesregierung heißt es dazu:11 „Die zusammenhängende territoriale Kontrolle des IS über Gebiete in Irak und Syrien wurde durch die internationale Anti-IS-Koalition und ihre regionalen Partner im März 2019 erfolgreich beendet. Dennoch dauert der bewaffnete Angriff des IS weiterhin an. Nach wie vor erhebt er einen Anspruch auf die ehemals durch ihn kontrollierten Gebiete und darüber hinaus und richtet sein Handeln darauf aus, in Gebieten, in denen die räumliche Kontrolle durch Sicherheitskräfte noch nicht nachhaltig gewährleistet ist, wieder zu erstarken, Einfluss auszuüben und sein Netzwerk im Untergrund auszubauen. (…) Trotz der erzielten militärischen Erfolge gegen den IS gilt das Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen unverändert fort. Der fortgesetzte bewaffnete Angriff durch den IS erfordert es, seine Bekämpfung im Rahmen der Selbstverteidigung mit militärischen Mitteln fortzusetzen. Der IS verfügt weiterhin über die Ressourcen, militärische Mittel und den Willen, zeitlich und räumlich begrenzt eine territoriale Kontrolle auszuüben. Der IS ist weiterhin fähig und willens, Anschläge in Syrien, Irak und Europa sowie darüber hinaus zu verüben. Mit Befreiung der letzten zusammenhängenden Gebiete vom IS-Terrorregime ist das Bedrohungspotenzial über die Region hinaus signifikant gestiegen, da der IS versucht, als ernstzunehmender Akteur Handlungsfähigkeit auch über Syrien und den Irak hinaus zu demonstrieren. (…) 10 Nussberger, Benjamin, “Sustainable Self-Defense? How the German Government justifies continuing its fight against ISIL in Syria”, EJIL: talk!, Blog of the European Journal of International Law, 2. Oktober 2019, https://www.ejiltalk.org/sustainable-self-defense-how-the-german-government-justifies-continuing-its-fightagainst -isil-in-syria/. Ders., “The Federal Government continues to justify the fight against ISIL in Syria on grounds of collective selfdefence ”, GPIL (blog) - German Practice in International Law, 21. Oktober 2019, https://gpil.jura.unibonn .de/2019/10/the-federal-government-continues-to-justify-the-fight-against-isil-in-syria-on-grounds-ofcollective -self-defence/. Vgl. auch Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste WD 2 - 3000 - 029/18 vom 28. Juni 2018, S. 9, „Völkerrechtliche Bewertung der russischen, amerikanischen und israelischen Beteiligung am Syrienkonflikt“, https://www.bundestag.de/resource/blob/563850/05f6dec762a939978c22a132ee680b9a/wd-2-029-18-pdfdata .pdf. 11 Vgl. BT-Drs. 19/13290 vom 18. September 2019, „Antrag der Bundesregierung: Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte – Stabilisierung sichern, Wiedererstarken des IS verhindern, Versöhnung fördern in Irak und Syrien“, S. 3 und 7, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/132/1913290.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 8 Der IS konnte sich im Kerngebiet seines Wirkens in Syrien und Irak konsolidieren und effektive Untergrundstrukturen aufbauen, derzeit bereits mit deutlich mehr als 10.000 verfügbaren Kämpfern und aktiven Unterstützern . Die wichtigen Führungsposten des IS sind neu besetzt; Rekrutierung und Propaganda wurden angepasst , ein „virtuelles Kalifat“ geschaffen und Finanzierungsquellen wiederhergestellt. Langfristiges Ziel bleibt die Wiedererrichtung eines territorialen Kalifats. Seit Jahresbeginn ist in der Anzahl der Terroranschläge des IS in Irak und in Syrien im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg zu verzeichnen. Mit erfolgreicher Konsolidierung im Untergrund wird auch eine Zuwendung zu verstärkten Anschlagsplanungen auf Ziele im Westen wahrscheinlicher. (…) Vom IS geht deshalb weiterhin ein bewaffneter Angriff aus, gegen den das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung gegeben ist.“ Dass mit einer solchen Begründung das vom BVerfG geforderte eingrenzende Kriterium der „territorialen Verfestigung“ zunehmend aufgelöst und das Konzept des Selbstverteidigungsrechts im Sinne der unable-and-unwilling-Doktrin noch einmal erweitert wird, lässt sich nicht ganz von der Hand weisen. Andererseits leuchtet ein, dass es Teil einer effektiven Selbstverteidigungsstrategie sein muss, die (erneute) Verfestigung einer territorialen Herrschaft des „IS“ bereits im Vorfeld zu unterbinden. Entsprechende militärische Maßnahmen, die dies zu verhindern suchen, sind somit vom Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 VN-Charta gedeckt. Die reale und akute Gefahr eines territorialen Erstarkens des „IS“ wird von Sicherheitsfachleuten offenbar bestätigt. Eine Studie des amerikanischen “Think Tanks” Institut for the Study of War (ISW) vom Juni 2019 warnt nachdrücklich vor einem “Comeback” des “IS” und resümiert: “An ISIS return to territorial control is nearly certain if the U.S. withdraws from Eastern Syria”.12 Auch nach dem Tod des „IS“-Anführers Abu Bakr al Baghdadi (am 27. Oktober 2019)13 wird die sicherheitspolitische Lageeinschätzung hinsichtlich der Gefahr eines territorialen Wiedererstarkens des „IS“ in den Medien weiterhin geteilt.14 3. Absicherung der syrischen Ölfelder vor einem Zugriff durch den „IS“ Öl ist eine wesentliche Finanzierungsquelle der Terrororganisation „IS“, die abzuschneiden ein militärisch legitimes Ziel im Rahmen der Militäroperation Inherent Resolve darstellt. Dies gilt für die vorangegangene militärische Eroberung der vom „IS“ besetzten Ölfelder durch die USA ebenso wie für den Schutz der Ölfelder vor einer „Rückeroberung“ durch den „IS“. Die geplante Verlegung von US-Truppen zur Absicherung der syrischen Ölfelder vor einem „Zugriff“ durch den „IS“ erscheint vor diesem Hintergrund als sicherheitspolitischer Beitrag zur Verhinderung 12 “ISIS Second Comeback: Assessing the next ISIS insurgency”, ISW Studies, June 2019, S. 47, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/ISW%20Report%20- %20ISIS%27s%20Second%20Comeback%20-%20June%202019.pdf. 13 “U.S. Forces Kill ISIS Founder, Leader Baghdadi in Syria”, Pentagon Pressemeldung vom 27. Oktober 2019, https://www.defense.gov/explore/story/Article/1999751/us-forces-kill-isis-founder-leader-baghdadi-in-syria/. 14 Vgl. z.B. FAZ vom 29. Oktober 2019, S. 7, „Wie gefährlich ist der IS nach Baghdadis Tod?“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 9 eines Wiedererstarkens des „IS“ und seiner territorialer (Wieder-)Festsetzung in der Region. Insoweit bewegt sich das geplante militärische Engagement der USA im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts gegen den „IS“ – muss sich aber umgekehrt auch strikt auf die Verhinderung eines möglichen Zugriffs durch den „IS“ beschränken. Die USA genießen dabei allerdings einen gewissen Einschätzungsspielraum, wie ein Zugriff des „IS“ auf die Ölfelder militärisch wirksam zu verhindern ist. Gradmesser ist dabei allein die Sicherheit vor einem Wiedererstarken des „IS“. Das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 VN- Charta rechtfertigt hier zunächst noch eine fortdauernde Präsenz und Kontrolle der Amerikaner vor Ort, verleiht aber andererseits keinen Freibrief zur Dauerpräsenz der kriegführenden Staaten in der Region. Ein genauer Zeitpunkt, wann das Selbstverteidigungsrecht gegen den „IS“ in Syrien nicht mehr trägt, lässt sich derzeit nicht ausmachen. Einmal mehr zeigen sich hier die Schwierigkeiten, das seit den Anschlägen von „9/11“ völkerrechtlich weitgehend akzeptierte Selbstverteidigungsrecht gegen Terroristen zeitlich und räumlich einzuhegen.15 Im Fall Syrien wird rechtlich entscheidend sein, wann die syrische Regierung faktisch (wieder) ihre volle Territorialherrschaft auch über die nördlichen und östlichen Bürgerkriegsgebiete Syriens zurückgewinnt und in der Folge als wirksamer Garant für die territoriale Eindämmung der Terrormiliz und die Sicherheit vor dem „IS“ angesehen werden kann. Dies wird sich aber erst im Zuge einer sich allmählich herausbildenden politischen Nachkriegsordnung für Syrien herausstellen.16 4. Die USA und das syrische Öl Russland hat den USA vorgeworfen, sicherheitspolitische Gründe für die geplante Truppenverlegung in Richtung syrische Ölfelder vorzuschieben und sich selber der Rohstoffe zu bemächtigen .17 Medienberichten zufolge warf der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums Konaschenkow den USA „staatliches Banditentum“ vor. Bei einem derart einträglichen Geschäft 15 Bereits nach den Anschlägen von 9/11 wurde im Zuge des US-amerikanischen „Global War on Terror“ von der Möglichkeit eines „Bündnisfalls forever“ gesprochen (vgl. Badische Zeitung vom 13. Dezember 2012, https://www.badische-zeitung.de/ausland-1/buendnisfall-forever--66986714.html). Vgl. aus dem kaum mehr überschaubaren Schrifttum zu diesem Thema: Duffy, Helen, “The ´War on Terror` and the Framework of International Law”, Cambridge 2005, S. 155 ff. Gray, Christine, “International Law and the Use of Force”, Oxford, 4. Aufl. 2018, S. 190 ff. 16 Vgl. aktuell zu den Syrien-Verhandlungen in Genf über eine neue Verfassung Syriens: Tagesspiegel online vom 30. November 2019, „Assads Gegner erwarten mehr von Europa“, https://www.tagesspiegel.de/politik/syrien-verhandlungen-in-genf-assads-gegner-erwarten-mehr-voneuropa /25167750.html. 17 So die Berichterstattung in DW vom 26. Oktober 2019, „Moskau: Die USA vergreifen sich an syrischem Öl“, https://www.dw.com/de/moskau-die-usa-vergreifen-sich-an-syrischem-%C3%B6l/a-50999169. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 10 ohne Steuern und ohne staatliche Kontrolle werde das Pentagon die Felder wohl ewig ausbeuten, wird Konaschenkow zitiert. „Die Ölquellen würden mit Waffengewalt besetzt. Es sei weder mit amerikanischem Recht noch mit internationalen Standards vereinbar, dem syrischen Volk seine Bodenschätze vorzuenthalten.“18 Ungeachtet des Wahrheitsgehalts der russischen Vorwürfe, welche die Wissenschaftlichen Dienste an dieser Stelle nicht verifizieren können, bleibt gleichwohl fraglich, wie der Umgang mit dem syrischen Öl völkerrechtlich bewertet werden kann. Argumentiert man in diesem Zusammenhang besatzungsrechtlich – geht man also davon aus, dass die USA die Ölfelder in Ostsyrien „besetzt“ halten, was rein faktisch die tatsächliche militärische Kontrolle der USA über das entsprechende Territorium voraussetzt19 – so käme den USA hinsichtlich des syrischen Öls eine Art „Treuhänderrolle“ zu. Art. 55 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) vom 18. Oktober 190720, welche die Ausübung militärischer Macht auf besetztem feindlichen Gebiet regelt und seit langem auch völkergewohnheitsrechtlich gilt,21 bestimmt hinsichtlich der Bemächtigung von unbeweglichem Staatseigentum:22 „Der besetzende Staat hat sich nur als Verwalter und Nutznießer der öffentlichen Gebäude, Liegenschaften, Wälder und landwirtschaftlichen Betriebe zu betrachten, die dem feindlichen Staate gehören und sich in dem besetzten Gebiete befinden. Er soll den Bestand dieser Güter erhalten und sie nach den Regeln des Nießbrauchs verwalten.“ 18 FAZ vom 26. Oktober 2019, „Russland wirft Amerika Öldiebstahl in Syrien vor“, https://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/russland-wirft-amerika-massiven-oeldiebstahl-insyrien -vor-16452240.html. 19 Vgl. zum Begriff der Besatzung Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, Zürich u.a.: Schulthess, 2. Aufl. 2012, S. 137 ff. Laut BMVg (Hrsg.), ZDv 15/2 Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten – Handbuch – Mai 2013, Rdnr. 527 f., http://www.humanitaeres-voelkerrecht.de/Hb15.2Mai2013.pdf, gilt ein Gebiet als besetzt, „wenn es tatsächlich in die Gewalt der gegnerischen Streitkräfte gelangt ist. Die Besatzungsmacht übernimmt die Verantwortung für das besetzte Gebiet und seine Bevölkerung. Die Besatzungsmacht muss die Besatzungsgewalt tatsächlich ausüben können. Besatzungsgewalt kann eine in gegnerisches Gebiet eindringende Truppe erst dann begründen, wenn sie in der Lage ist, der Zivilbevölkerung Anweisungen zu erteilen und auch durchzusetzen. Nicht zum besetzten Gebiet gehören die Kampfgebiete, d. h. die noch umkämpften und nicht ständiger Besatzungsgewalt unterliegenden Gebiete (Invasionsgebiet, Rückzugsgebiet).“ 20 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, abgeschlossen in Den Haag am 18. Oktober 1907 (Haager Landkriegsordnung), RGBl. 1910, S. 132, online unter: https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0201_haa&object=translation&l=de. 21 Vgl. BMVg (Hrsg.), ZDv 15/2 Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten – Handbuch – Mai 2013, Rdnr. 132, http://www.humanitaeres-voelkerrecht.de/Hb15.2Mai2013.pdf. 22 Es wird davon ausgegangen, dass sich die syrische Ölindustrie in Staatseigentum befindet. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 121/19 Seite 11 Eine Ausbeutung von staatlichen Rohstoffen zu eigenen Zwecken, d.h. über den unmittelbaren Eigenbedarf der Truppe hinaus wäre – ähnlich wie Plünderungen durch eine Besatzungsmacht (vgl. Art. 47 HLKO) – mit dem besatzungsrechtlichen Grundgedanken der HLKO unvereinbar. Ob die HLKO – und damit das Besatzungsrecht – auf die Situation in Syrien anwendbar ist, bleibt letztlich eine schwer zu entscheidende Frage. Vieles hängt davon ab, wie die territoriale „Herrschaft“ der USA über die syrischen Ölfelder konkret ausgestaltet ist bzw. sein wird.23 Gleichwohl hält das Besatzungsrecht normative Wertungen bereit, deren Grundgedanken auf die Situation in Teilen Syriens zumindest ansatzweise übertragbar zu sein scheinen. *** 23 Die USA würden den Vorwurf, „Besatzungsmacht“ in Syrien zu sein, womöglich strikt von sich weisen.