KURZFASSUNG des INFO-BRIEFS WD 2 – 3010 – 118/08: „Zur Anwendbarkeit völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge und humanitären Völkerrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ © 2008 Deutscher Bundestag WD 2 - 3010 - 121/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser: Kurzfassung des INFO-BRIEFS WD 2 - 3010-118/08 „Zur Anwendbarkeit völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge und humanitären Völkerrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ Sachstand WD 2 - 3010 - 121/08 Abschluss der Arbeit: 30. September 2008 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Geltung internationaler Menschenrechtsverträge bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr 4 3. Anwendbarkeit des Humanitären Völkerrechts 6 4. Zurechnung von Handlungen im Rahmen von VN oder NATO 8 5. Schluss 9 - 3 - 1. Einleitung Deutsche Streitkräfte werden seit Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts zunehmend im Ausland eingesetzt. Derzeit sind rund 6.900 Soldaten im Ausland eingesetzt. Sämtliche dieser Bundeswehrkontingente sind Teil multinationaler Operationen im Rahmen von VN, NATO, oder ad-hoc-Bündnissen mehrerer Staaten. Die derzeit wichtigsten internationalen Militäreinsätze mit deutscher Beteiligung sind ISAF (International Security Assistance Force, Afghanistan, rund 3.700 Soldaten), KFOR (Kosovo Force, Kosovo, rund 2.200 Soldaten), UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon , Libanon, rund 500 Soldaten), OEF (Operation Enduring Freedom, Horn von Afrika, rund 300 Soldaten) und EUFOR (European Union Force, Bosnien- Herzegowina, rund 100 Soldaten). Die Rechtswissenschaft hat die zunehmende Auslandsverwendung der Bundeswehr von Anfang an intensiv begleitet. Die diesbezügliche Fachdebatte widmete sich zunächst der Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit von Auslandseinsätzen und der Parlamentsbeteiligung an Einsatzbeschlüssen. Die im Rahmen dieser Debatte aufgeworfenen rechtlichen Streitfragen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr können mittlerweile als weitgehend durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verbindlich entschieden angesehen werden. Nach dessen Auffassung enthält Art. 24 Abs. 2 GG eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Übernahme von mit „der Zugehörigkeit zu einem […] System [gegenseitiger kollektiver Sicherheit] typischerweise verbundenen Aufgaben“. Dazu rechnet das BVerfG auch „eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden“1. Unter den Begriff des „Systems der gegenseitigen kollektiven Sicherheit fallen nach Ansicht des BVerfG nicht nur die VN, sondern auch die NATO. Zur Frage der Beteiligung des Deutschen Bundestages hat das BVerfG entschieden, dass ein Einsatz „bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages“2 bedarf, „wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“3. Damit war klargestellt, dass die Bundeswehr – den Fall der Verteidigung einmal ausgenommen – nur im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Ausland eingesetzt werden kann. In jüngster Zeit hat sich die juristische Fachdebatte über Auslandseinsätze der Bundeswehr dementsprechend verlagert. Zunehmend wird nach 1 BVerfGE 90, 286 (345 ff.). 2 BVerfGE 90, 286 (381 ff.). 3 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 7. 5. 2008, Absatz Nr. 74 ff., im Internet abrufbar unter: (Stand 15.09.2008). - 4 - den materiellen Vorgaben, also dem Bestand inhaltlicher Regelungen für solche multilateralen Einsätze innerhalb eines Systems der gegenseitigen kollektiven Sicherheit gefragt . Es geht mithin darum, was die Bundeswehr oder ein einzelner Soldat im Auslandseinsatz konkret darf, welche rechtlichen Vorgaben für deren konkrete Handlungen bestehen. Diese Frage umfasst auch völkerrechtliche Problemkreise. Im Folgenden werden drei solcher Fragen aus diesem Bereich skizziert, die in der jüngeren völkerrechtlichen Praxis und der sie begleitenden wissenschaftlichen Diskussion einen besonders prominenten Stellenwert hatten: Dabei handelt sich um die Anwendbarkeit völkerrechtlicher Menschenrechtsabkommen für Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Geltung des humanitären Völkerrechts für solche Einsätze und schließlich um die Frage, wem militärische Handlungen der Bundeswehr im Rahmen multilateraler Einsätze – bspw. der VN oder der NATO – zugerechnet werden können. Dieser Sachstand folgt in der Gliederung der ausführlichen Darstellung dieser Fragen in dem Info-Brief „Zur Anwendbarkeit völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge und humanitären Völkerrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ vom 22. 9. 2008, auf den für die weiteren Detailfragen verwiesen wird.4 2. Geltung internationaler Menschenrechtsverträge bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr Die menschenrechtlichen Fragen stellen sich vor dem Hintergrund der Aufgaben der Bundeswehr in zugespitzter Form. Denn diese Einsätze führen zunehmend zu einem Durchgriff auf einzelne Menschen. Ein derartiges Handeln der Bundeswehr ergibt sich aus den Mandaten der Friedens- und Stabilisierungsmissionen, in deren Rahmen die Bundeswehr eingesetzt ist. So hat die Bundeswehr im Rahmen der NATO-geführten Stabilization Force (SFOR) in Bosnien-Herzegowina friedenssichernde Aufgaben übernommen , die sie im Rahmen von EUFOR fortführt. Dasselbe gilt für die Beteiligung an KFOR im Kosovo. In Afghanistan wird die Bundeswehr im Rahmen von ISAF mit dem Ziel eingesetzt, die örtlichen Sicherheitskräfte bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit im Lande zu unterstützen. Die zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichen Maßnahmen wie etwa die Durchführung von Personenkontrollen oder Festnahmen verdächtiger Personen erscheinen auf den ersten Blick eher polizeilicher als militärischer Natur. Es ist wohl dieser Umstand, welcher in den letzten Jahren die Frage nach den menschenrechtlichen Bindungen internationaler Friedensmissionen immer mehr in den Vordergrund hat treten lassen. 4 , Zur Anwendbarkeit völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge und humanitären Völkerrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, INFO-BRIEF WD 2 – 3010 –118/08 vom 22. 9. 2008. - 5 - Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) haben ähnlich lautende Bestimmungen über ihren jeweiligen Anwendungsbereich. Die EMRK schreibt in ihrem Art. 1 folgenden Anwendungsbereich fest: „Die Hohen Vertragsparteien sichern allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I bestimmten Rechte und Freiheiten zu.“ Art. 1 IPBPR lautet: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen […] zu gewährleisten.“ Für die EMRK hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in seiner sog. Bankovic-Entscheidung eine grundlegende Bestimmung des Begriffes „Hoheitsgewalt“ vorgenommen.5 Gegenstand der Beschwerde in diesem Fall war ein Luftangriff der NATO auf eine Rundfunkstation in Belgrad, der im Rahmen der NATO Luftschläge gegen Jugoslawien im 1999 (Operation Allied Force) ausgeführt worden war. Die Beschwerdeführer waren durch diesen Angriff zum Teil selbst verletzt worden, andere hatten dabei Angehörige verloren. Sie rügten eine Verletzung des Rechts auf Leben, der Meinungsfreiheit und des Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf . Voraussetzung für den Einstieg in die inhaltliche Prüfung dieser Rügen war nach Art. 1 EMRK, die Klärung der Frage, ob die Beschwerdeführer durch die Bombardierung der Rundfunkstation der „Hoheitsgewalt“ der den Angriff ausführenden EMRK- Staaten unterstellt worden waren. Problematisch war dabei, dass der Ort der Verletzung (Belgrad) nicht zum Staatgebiet eines der EMRK-Vertragsstaaten gehörte und dass die Durchführung eines Luftangriffes nicht den typischen Fall der Ausübung von Hoheitsgewalt darstellt. Der EGMR kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass die Ausübung extraterritorialer Gewalt nach seiner bisherigen Rechtsprechung nur ausnahmsweise anerkannt sei und diese Fälle einer besondern Rechtfertigung im Einzelfall bedürften.6 Ein Ausnahmefall sei bislang nur anerkannt, wenn „ein beklagter Staat im Wege einer tatsächlichen Kontrolle, ausgeübt über ein außerhalb seiner Grenzen befindliches Gebiet und über dessen Bewohner aufgrund einer militärischen Besetzung oder nach Zustimmung, Aufforderung oder Einwilligung der Regierung dieses Gebiets, […] alle oder einige Gewalten übernimmt, die gewöhnlich in die Prärogativen dieser Regierungen fallen.“7 Eine solche Situation sah der EGMR in den Luftangriffen der NATO 5 Vlastimir und Borka Bankovic u.a. gegen Belgien und 16 andere NATO-Staaten, Entscheidung vom 12.12.2001, in: EuGRZ 2002, S. 133 ff. 6 Bankovic (Fn. 5), Abs. 61. 7 Bankovic (Fn. 5), Abs. 71. - 6 - im zu entscheidenden Fall indes nicht. Die Beschwerde wurde daher als unzulässig abgewiesen . In der Literatur ist die Begrenzung extraterritorialer Hoheitsgewalt durch Anknüpfung an völkerrechtlich geregelte Fälle ihrer Ausübung überwiegend kritisch aufgenommen worden.8 Ähnlich gelagert ist die Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen, dem Vertragsorgan des IPBPR. Dieser geht davon aus, dass die im Pakt verbürgten Rechte jedem zu gewähren seien, über den ein Vertragsstaat effektive Kontrolle ausübe, auch wenn dieser sich außerhalb des Hoheitsgebietes dieses Staates befinde. Der Ausschuss hat in diese Definition ausdrücklich die effektive Kontrolle durch staatliches Militär im Auslandseinsatz eingeschlossen.9 Die Auffassungen der IPBPR-Vertragsstaaten zu dieser Auslegung des Ausschusses sind unterschiedlich, ebenso die Standpunkte in der Literatur.10 3. Anwendbarkeit des Humanitären Völkerrechts Aus dem oben bereits angesprochenen Aufgabenspektrum der Bundeswehr, welches weniger von klassisch militärischen Aufgaben als vielmehr von Friedenssicherungsund Stabilisierungsmissionen mit polizeiähnlichem Charakter – häufig mit Zustimmung der betroffenen Staaten ausgeübt (z.B. SFOR/EUFOR in Bosnien-Herzegowina, KFOR im Kosovo sowie ISAF in Afghanistan) – geprägt ist, folgt auch die zweite derzeit in Praxis und Wissenschaft erörterte Fragestellung. Diese zielt auf die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf Einsätze der Bundeswehr. Unter dem Begriff des humanitären Völkerrechts werden alle Regeln über den Gebrauch von Gewalt in bewaffneten Konflikten gefasst.11 Vertraglich geregelt ist es in den Genfer Konventionen und dem sog. Haager Recht; daneben gelten zentrale Bestimmungen auch völkergewohnheitsrechtlich .12 Zentral für dessen Anwendbarkeit ist stets das Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes. Ob ein solcher indes auch bei reinen Stabilisierungs- und Sicherungsmissionen vorliegt, ist Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ausgangspunkt ist die Definition des Begriffes „bewaffneter Konflikt“ des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) im Fall Tadic.13 Nach Auffassung dieses Gerichtshofes liegt nicht in jeglicher Anwendung von Waffengewalt ein „bewaffneter Konflikt“, sondern nur wenn es sich dabei um einen „protracted conflict“ 8 Vgl. hierzu im Detail , (Fn. 4), S. 16 ff. 9 Ausschuss für Menschenrechte, General Comment Nr. 31, Nature of the General Legal Obligation Imposed on State Parties to the Covenant, vom 26.5.2004, VN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13. 10 Näher , (Fn. 4), S. 25 ff. 11 Hobe/Kimminich, Völkerrecht, S. 498. 12 Näher , (Fn. 4), S. 28 ff. 13 Internationaler Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien (ICTY), Berufungskammer, Prosecutor v. Dusko Tadic, Jurisdiktions-Entscheidung vom 2.10.1995, Abs. 71 ff., abrufbar unter: http://www.un.org/icty/tadic/appeal/decision-e/51002.htm (Stand: 15.09.2008). - 7 - handelt. Das Attribut „protracted“ beschreibt die Intensität einer bewaffneten Auseinandersetzung . Als Indikatoren zur Beurteilung der Intensität eines Konfliktes können der Völkerrechtspraxis unter anderem die Zahl, die Dauer und die Intensität einzelner Konfrontationen , die Art der eingesetzten Waffen und der sonstigen militärischen Ausrüstung , die Zahl und das Kaliber der verschossenen Munition, die Zahl der Personen und die Art der an den Kämpfen teilnehmenden Kräfte, die Zahl der Opfer, das Ausmaß der materiellen Zerstörung und die Zahl der aus den Kampfgebieten fliehenden Zivilisten entnommen werden. Schließlich kann auch die Einbindung des VN-Sicherheitsrates Hinweischarakter für die Art des Konfliktes haben.14 Das humanitäre Völkerrecht unterscheidet ferner danach, ob ein Konflikt internationaler oder nicht-internationaler Natur ist. So gelten etwa die Genfer Konventionen vollumfänglich nur für internationale Konflikte, während sie für nicht-internationale Konflikte nur teilweise Geltung beanspruchen.15 In der Staatenpraxis wird grundsätzlich jede durch den Einsatz militärischer Gewalt geprägte Konfrontation zwischen zwei oder mehreren Staaten als internationaler bewaffneter Konflikt angesehen. Schwieriger gestaltet sich dagegen die Definition nicht-internationaler bewaffneter Konflikte. Diese Schwierigkeiten gehen darauf zurück, dass nicht jegliche innerstaatliche Anwendung von Waffengewalt durch staatliche Organe zur Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts führen soll, weil dann auch die polizeiliche Herstellung öffentlicher Sicherheit und Ordnung von kriegsrechtlichen Kategorien erfasst werden könnte. Im Einzelnen bestehen unterschiedliche Auffassungen zu den Kriterien, nach denen sich ein innerstaatlicher Konflikt von inneren Unruhen oder Spannungen abgrenzen lässt. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur darüber diskutiert, welche Intensität und welches Ausmaß die Waffengewalt erreichen muss und welche Bedingungen die nicht-staatliche Konfliktpartei in Bezug auf Organisationsgrad und das Maß der Kontrolle über ein Territorium erfüllen muss.16 Internationale Friedens- und Stabilisierungsmissionen, an denen die Bundeswehr beteiligt ist, weisen häufig Elemente sowohl des internationalen wie auch des nichtinternationalen Konfliktes auf. Sie werden daher als sog. internationalisierte Konflikte bezeichnet. Entsprechend vielstimmig ist deren Einordnung in völkerrechtlicher Praxis und Wissenschaft. Nach einer weit verbreiteten Ansicht findet im Verhältnis der staatlichen Konfliktparteien zueinander das humanitäre Recht des internationalen Konfliktes Anwendung; zwischen den staatlichen Konfliktparteien und den nicht-staatlichen Konfliktparteien sowie zwischen den nicht-staatlichen Konfliktparteien untereinander soll 14 Zum ganzen , (Fn. 4), S. 31 ff. 15 Übersicht bei , (Fn. 4), S. 29 f. 16 Näher , (Fn. 4), S. 34 f. - 8 - nach dieser Auffassung hingegen das Recht des nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes anwendbar sein.17 4. Zurechnung von Handlungen im Rahmen von VN oder NATO Der Einsatz der Bundeswehr im Ausland erfolgt in der Praxis stets im Verbund mit anderen Staaten oder im Rahmen internationaler Organisationen wie der NATO oder der Vereinten Nationen. Die Vielzahl der beteiligten Völkerrechtssubjekte wirft die abschließend zu erörternde Frage auf, welches von ihnen in rechtlicher Hinsicht das Zurechnungsendsubjekt einzelner Handlungen deutscher Streitkräfte im Rahmen eines solchen Einsatzes der Bundeswehr ist. Es geht also um die Frage, welchem der beteiligten Akteure die Verletzung einer völkerrechtlichen Vorgabe zugerechnet werden muss. Diese Einordnung ist von großer praktischer Bedeutung, weil nur die Bundesrepublik Deutschland und andere europäische Staaten Vertragsparteien der EMRK, des IPBPR oder der Genfer Konventionen sind, die internationalen Organisationen NATO und Vereinte Nationen daran jedoch nicht gebunden sind. Für ein Verhalten deutscher Soldaten , welches den Verträgen entgegenliefe und welches der NATO oder den Vereinten Nationen zuzurechnen wäre, ergäbe sich hieraus möglicherweise die Konsequenz, dass ein solches Verhalten von den Vertragsorganen der Menschenrechtsabkommen und/oder vor den innerstaatlichen Gerichten mangels Zuständigkeit nicht mehr überprüft werden könnte. In der Praxis hat sich die Frage der Zurechnung in der jüngeren Vergangenheit vor allem in Bezug auf die Menschenrechte der EMRK und des IPBPR gestellt. Der EGMR hat sich in seiner Entscheidung der Fälle Behrami und Saramati18 ausführlich mit der Frage der Zurechnung menschenrechtsrelevanten Verhaltens bei einem durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten Friedenseinsatz auseinandergesetzt . Im Fall Behrami ging es um eine mögliche EMRK-Haftung für die von der United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) unterlassene Minenräumung eines bestimmten Gebietes, in dem ein Kind durch Minen zu Tode kam und ein anderes erblindete. Dem Fall Saramati lag eine Inhaftierung durch KFOR- Truppen zugrunde.19 Im Ergebnis wies der EGMR beide Beschwerden als unzulässig zurück, weil weder das Unterlassen der UNMIK noch das Handeln der KFOR-Soldaten einem EMRK-Vertragsstaat zugerechnet werden konnte. Der EGMR ging vielmehr davon aus, dass in beiden Fällen die VN selbst Zurechnungsendsubjekt seien. Die UNMIK 17 Ausführlich und mit Darstellung der diesbezüglichen Diskussion am Fallbeispiel Afghanistan , (Fn. 4), S. 35 ff. 18 EGMR, Entsch. v. 2. Mai 2007, Behrami and Behrami v. France and Saramati v. France, Germany and Norway (Nr. 71412/01 und 78166/01), (abrufbar unter http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search.asp?skin=hudoc-en, Stand: 15.09.2008). 19 Näher zum Sachverhalt , (Fn. 4), S. 46 f. - 9 - sah er als Hilfsorgan der VN an; die dort Handelnden seien den VN unmittelbar eingegliedert gewesen. Aber auch die von einem norwegischen KFOR-Kommandanten angeordnete Festnahme war nach Ansicht des EGMR den VN zuzurechnen. Voraussetzung der Zurechnung war, dass der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der VN-Charta eigene Befugnisse an die NATO delegiert habe, aber die „ultimate authority and control“ über den Einsatz behalten habe. Kann eine effektive Kontrolle durch den Sicherheitsrat bejaht werden, habe dies nach Ansicht des EGMR zur Folge, dass ein Verhalten unter dieser Kontrolle grundsätzlich den Vereinten Nationen zugerechnet wird. Eine parallele Zurechnung an die EMRK-Vertragsstaaten lehnte der EGMR unter anderem mit der Begründung ab, andernfalls könne die Effektivität der Durchführung von VN- Missionen beeinträchtigt werden.20 In der Literatur ist diese Rechtsprechung des EGMR bislang überwiegend kritisch aufgenommen worden.21 Im Gegensatz zum EGMR hat der Menschenrechtssausschuss zum IPBPR die Auffassung vertreten, die Vertragsstaaten des IPBPR müssten die Menschenrechtsgarantien des Paktes nicht nur auf ihrem Staatsgebiet beachten, sondern auch im Rahmen ihrer Teilnahme an friedenserhaltenden Einsätzen oder NATO-Militäreinsätzen. Daraus lässt sich schließen, dass Handlungen deutscher Soldaten in einem solchen Rahmen am Maßstab der menschenrechtlichen Verbürgungen des IPBPR gemessen werden könnten.22 Einzelne Organe und Abteilungen der VN haben in ihren Stellungnahmen bisher selten zur Frage der Zurechnung solcher Missionen Stellung genommen, die nicht als Hilfsorgane der VN qualifiziert werden können. Diesbezüglich finden sich Äußerungen, den VN sei ein Handeln dann zuzurechnen, wenn sie „operational command and control“ innehaben.23 Auch die ILC (International Law Commission)24 legt den Schwerpunkt anders. Ihr zufolge kommt es für die Zurechung auf ein tatsächliches Kriterium an. Einer internationalen Organisation sei das Verhalten eines Mitgliedstaates zuzurechnen, wenn sie die tatsächliche Kontrolle über dessen spezifisches Verhalten habe. 5. Schluss Sowohl internationale Menschenrechte als auch humanitäres Völkerrecht können auf Einsätze der Bundeswehr im Ausland anwendbar sein. Die Einbindung der Bundeswehr 20 Zur Urteilsbegründung, auch in Anschlussentscheidungen s. Schubert/Köngeter/Jötten/Johann, (Fn. 4), S. 47–55. 21 Nachweise bei , (Fn. 4), S. 62 ff. 22 Vgl. Darstellung bei , (Fn. 4), S. 65 ff. 23 Zur VN Praxis , (Fn. 4), S. 58. 24 Zur Arbeit der ILC in diesem Bereich , (Fn. 4), S. 59. - 10 - im Rahmen von NATO oder VN-Friedens- und Stabilisierungsmissionen führt zu schwierigen völkerrechtlichen Fragestellungen, deren Aufarbeitung in Praxis und Wissenschaft erst am Anfang steht. Die Lösungsmöglichkeiten hängen in hohem Maße von den tatsächlichen Gegebenheiten eines bestimmten Einsatzes ab.