© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 119/17 Rechtliche Fragen zur Erweiterung des Gefahrstofflagers der US-Streitkräfte in Germersheim/Lingenfeld Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 2 Rechtliche Fragen zur Erweiterung des Gefahrstofflagers der US-Streitkräfte in Germersheim/ Lingenfeld Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 119/17 Abschluss der Arbeit: 21. Dezember 2017 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Rechtliche Möglichkeiten einer Einbeziehung militärischer Liegenschaften in den Anwendungsbereich europäischer und deutscher Rechtsnormen betreffend die Beherrschung von Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Störfälle) 4 3. Rechtliche Möglichkeiten zur Verpflichtung von Gaststreitkräften zur Offenlegung von Informationen in Bezug auf die Lagerung von Gefahrstoffen 6 4. Rechtliche Möglichkeiten der Übertragung von Aufgaben zur Überwachung militärischer Liegenschaften gemäß Störfallverordnung von Bundes- auf Landesbehörden 7 4.1. Bundeseigene Verwaltungskompetenzen 7 4.2. Obligatorische Bundesverwaltung 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 4 1. Einführung Die US-Streitkräfte planen in ihrem Depot in Germersheim/Lingenfeld eine Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Lagerung von Gefahrstoffen von 70 Tonnen auf 1.900 Tonnen; ein entsprechender Antrag zur Lagerung dieser Menge an Gefahrstoffen wurde im März 2017 von der Firma DLA Distribution Europe, US-Depot Germersheim Army an die Kreisverwaltung Germersheim gerichtet.1 Im Zusammenhang mit den zu diesem Bauvorhaben in der Öffentlichkeit geführten Diskussionen beantwortet der vorliegende Sachstand folgende Fragen: 1. Welche gesetzlichen Änderungen sind notwendig, um militärische Liegenschaften (insbesondere Gefahrstofflager) von in Deutschland stationierten Gaststreitkräften genauso wie Störfallbetriebe zu behandeln bzw. zu überprüfen/überwachen? 2. Welche gesetzlichen Änderungen sind notwendig, um den Anteil geheimhaltungspflichtiger Informationen in Bezug auf die Lagerung von Gefahrstoffen in den von Gaststreitkräften genutzten militärischen Liegenschaften in Deutschland zu minimieren und die umliegende Bevölkerung im Sinne einer transparenten Informationsarbeit zu informieren? 3. Unter welchen Bedingungen wäre es möglich, die Überwachungsaufgaben der Störfallverordnung für militärische Liegenschaften von in Deutschland stationierten Gaststreitkräften vom Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) auf Landesbehörden zu übertragen? 2. Rechtliche Möglichkeiten einer Einbeziehung militärischer Liegenschaften in den Anwendungsbereich europäischer und deutscher Rechtsnormen betreffend die Beherrschung von Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Störfälle) Das europäische Parlament und der Rat haben am 4. Juli 2012 die Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen erlassen. Laut Art. 2 Abs. 2 dieser sogenannten SEVESO-III-Richtlinie2 sind militärische Einrichtungen, Anlagen oder Lager von den Regelungen dieser Rechtsgrundlage ausgeschlossen. 1 Vgl. hierzu u.a.: US-Depot Germersheim – Ende der Einwendungsfrist und weiteres Verfahren. Focus Online vom 11. Mai 2017. Abrufbar unter: http://www.focus.de/regional/rheinland-pfalz/kreis-germersheim-us-depot-germersheim _id_7121571.html (letzter Zugriff: 13. Dezember 2017). 2 Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates, am 24. Juli 2017 veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union, L 197. Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:197:0001:0037:DE:PDF (letzter Zugriff: 12. Dezember 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 5 Der deutsche Gesetzgeber hat diese Richtlinie in der 12. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz – Störfallverordnung 3 umgesetzt und in § 1 Abs. 3 der Verordnung „militärische Einrichtungen, Anlagen oder Lager“ ebenfalls aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen. Damit militärische Einrichtungen, Anlagen oder Lager in den Anwendungsbereich der gültigen Rechtsnormen eingeschlossen werden, bedarf es nicht notwendigerweise einer – politisch langwierigen – Änderung der Richtlinie 2012/18/EU durch die EU-Gesetzgebungsorgane (nach Maßgabe von Art. 192 Abs. 1 i.V.m. Art. 294 AEUV 4). Vielmehr geht das Europarecht im Bereich der EU-Umweltpolitik von einem hohen Schutzniveau aus (Art. 191 Abs. 2 AUEV).5 Möglich sind insoweit umweltrechtliche „Alleingänge“ der Mitgliedstaaten (nationale Schutzverstärkungsmaßnahmen) nach Maßgabe des Art. 193 AEUV.6 Damit wird dem unterschiedlichen Gewicht des Umweltschutzes in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten Rechnung getragen und die aus Harmonisierungsgründen bestehende „Sperrwirkung“ 7 einer EU-Richtlinie für abweichendes nationales Recht durchbrochen. Deutschland wäre also europarechtlich nicht gehindert, strengere, d.h. über die Richtlinie hinausgehende Standards im Umweltschutz zu setzen und in Erweiterung des Regelungsgegenstandes der Richtlinie 8 wohl auch militärische Einrichtungen in den Geltungsbereich der nationalen Störfallverordnung aufzunehmen. 3 Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. März 2017 (BGBl. I S. 483), die zuletzt durch Artikel 58 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/bimschv_12_2000/12._BImSchV.pdf (letzter Zugriff: 12. Dezember 2017). 4 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Fassung aufgrund des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (Konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 vom 9. Mai 2008, S. 47), zuletzt geändert durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU L 112/21 vom 24. April 2012) m.W.v. 1. Juli 2013 Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12012E/ TXT&from=DE (letzter Zugriff: 15. Dezember 2017). 5 Vgl. dazu Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, München, 7. Aufl. 2016, § 33 Rdnr. 17. 6 Art. 193 AEUV lautet: „Die Schutzmaßnahmen, die aufgrund des Artikels 192 getroffen werden, hindern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Die betreffenden Maßnahmen müssen mit den Verträgen vereinbar sein. Sie werden der Kommission notifiziert.“ 7 Vgl. dazu allgemein Furrer, Andreas, Die Sperrwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Rechtsordnungen, Baden-Baden 1994, S. 105 ff.; Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Kommentar, München, 2. Aufl. 2012, Art. 193, Rdnr. 2. 8 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, München, 7. Aufl. 2016, § 33 Rdnr. 24. Zur Diskussion, ob verstärkte Schutzmaßnahmen nur quantitative oder auch qualitative Maßnahmen beinhalten, die z.B. den Regelungsgenstand betreffen, vgl. Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Kommentar, München, 2. Aufl. 2012, Art. 193, Rdnr. 18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 6 Jedenfalls dort, wo es an entsprechenden EU-Vorgaben fehlt, erscheint ein nationaler „Alleingang “ im Rahmen der verbleibenden autonomen Umweltrechtskompetenz der EU-Mitgliedstaaten europarechtlich dann unbedenklich. In diesem Sinne müssen nationale Maßnahmen die anderen Bestimmungen der EU-Verträge beachten. 9 Eine Ausweitung der Bundesimmissionsschutzregelungen auf militärische Liegenschaften wäre indes europarechtlich unbedenklich, da die EU im Bereich von Militär und Verteidigung keine supranationalen Kompetenzen nach dem AEUV besitzt. Durch Änderung der Störfallverordnung könnte der deutsche Verordnungsgeber also im Ergebnis die Einbeziehung militärischer Anlagen jenseits der Regelung in der SEVESO-III-Richtlinie beschließen. 3. Rechtliche Möglichkeiten zur Verpflichtung von Gaststreitkräften zur Offenlegung von Informationen in Bezug auf die Lagerung von Gefahrstoffen Laut Art. 3 Abs. 3 lit. b) des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (NTS-ZA) 10, das die Zusammenarbeit zwischen den deutschen Behörden und den Truppenbehörden des Entsendestaates regelt, ist eine Vertragspartei nicht zur Durchführung von Maßnahmen verpflichtet, die gegen ihre Gesetze verstoßen würden oder denen überwiegenden Interessen der öffentlichen Sicherheit oder der Staatsraison entgegenstehen. Somit obliegt es allein den Gaststreitkräften, gemäß ihren jeweiligen Geheimschutzbestimmungen sowie unter Berücksichtigung ihrer nationalen Sicherheitsinteressen festzulegen, welche Informationen zur Lagerung von Gefahrstoffen als geheimhaltungspflichtig einzustufen sind bzw. welche an die Öffentlichkeit weitergegeben werden können. Die Klassifizierung von Informationen als geheimhaltungsbedürftig entbindet die Gaststreitkräfte allerdings nicht von der allgemeinen Pflicht zur Zusammenarbeit (Art. 3 Abs. 1 NTS-ZA) mit den zuständigen deutschen Behörden.11 Die deutschen Behörden haben jedoch nicht das Recht, von dem Entsendestaat als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Informationen eigenmächtig herabzustufen und an die Öffentlichkeit weiterzugeben. 9 Dazu näher Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Kommentar, München, 2. Aufl. 2012, Art. 193 Rdnr. 21 ff. 10 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218), geändert durch - das Abkommen vom 21. Oktober 1971 (BGBl. 1973 II S. 1021), in Kraft am 18.Januar 1974 (BGBl. 1974 II S. 143); - Vereinbarung vom 18. Mai 1981 (BGBl. 1982 II S. 530), in Kraft getreten am 8. August 1982 gem. Bek. v. 1. September 1982 (BGBl. II S. 838); - Abkommen vom 18. März 1993 (BGBl. 1994 II S. 2594, 2598), in Kraft getreten am 29. März 1998 für die Bundesrepublik Deutschland, Kanada und das Vereinigte Königreich (Bek. v. 22. September 2000, BGBl. II S. 1316). Abrufbar unter: http://www.abg-plus.de/abg2/ebuecher/abg_all/index.html (letzter Zugriff: 12. Dezember 2017). 11 Die Zuständigkeit richtet sich nach der 14. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Anlagen der Landesverteidigung - 14. BImSchV) vom 9. April 1986 (BGBl. I S. 380). Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bimschv_14/14._BImSchV.pdf (letzter Zugriff: 12. Dezember 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 7 Eine Verpflichtung der Gaststreitkräfte zu einer offeneren Informationspolitik in Bezug auf die Lagerung von Gefahrstoffen mit dem Ziel, die Transparenz militärischer Aktivitäten zu erhöhen und die Öffentlichkeit besser zu informieren, ist ohne eine Änderung der entsprechenden NATO-Rechtsgrundlagen, welche die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Gaststreitkräfte und Deutschlands regeln, nicht möglich. In Betracht kommt eine Änderung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut nach Maßgabe von Art. 82 NTS-ZA („Überprüfung des Abkommens“). Art. 82 Abs. c (ii) NTS-ZA ermöglicht eine Überprüfung „jederzeit auf Antrag einer Vertragspartei hinsichtlich einer oder mehrerer Bestimmungen, wenn ihre weitere Anwendung nach Auffassung dieser Partei für sie besonders belastend oder unzumutbar sein würde; in diesem Fall werden Verhandlungen spätestens drei Monate nach der Stellung des Antrags aufgenommen.“ 4. Rechtliche Möglichkeiten der Übertragung von Aufgaben zur Überwachung militärischer Liegenschaften gemäß Störfallverordnung von Bundes- auf Landesbehörden § 59 BImSchG eröffnet die Möglichkeit, Bundesbehörden mit dem Vollzug des BImSchG im Bereich der Landesverteidigung zu betrauen.12 Dementsprechend bestimmt § 1 Abs. 2 der 14. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (14. BImSchV), dass bei genehmigungsbedürftigen Anlagen, die der militärischen Landesverteidigung dienen bzw. die von den in Deutschland stationierten Truppen auf Grundlage völkerrechtlicher Verträge genutzt werden, behördliche Überwachungsaufgaben13 dem Bundesminister der Verteidigung oder der von ihm bestimmten Stelle (hier: Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr – BAIUDBw) obliegen.14 4.1. Bundeseigene Verwaltungskompetenzen Der Vollzug des Bundesimmissionsschutzgesetzes einschließlich der behördlichen Überwachungsaufgaben erfolgt für Liegenschaften der Bundeswehr und der NATO-Stationierungsstreitkräfte als bundeseigene Verwaltungsaufgabe. Die bundeseigene Verwaltung (Art. 86 GG) ist, abweichend von der eigentlich gem. Art. 83 ff. GG vorgegebenen Verwaltungszuständigkeit der Länder, verfassungsrechtlich nur zulässig, soweit sie einen Gegenstand der bundeseigenen Verwaltung nach Art. 87 ff. GG betrifft. 12 § 59 BImSchG „ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass der Vollzug des BImSchG und der auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen bei Anlagen, die der Landesverteidigung dienen, Bundesbehörden obliegen.“ 13 Das BImSchG erstreckt seinen Anwendungsbereich auch auf die Einrichtungen ausländischer Staaten bzw. Stationierungsstreitkräfte . Der Grundsatz der Staatenimmunität ist insoweit für den NATO-Bereich durch das NATO-TS zugunsten der Durchsetzung des Umweltschutzes abgeändert worden (vgl. näher Jarass, BImSchG Kommentar, München, 12. Aufl. 2017, § 60, Rdnr. 15 f). 14 Einschlägig ist die Zentrale Dienstvorschrift „Immissionsschutz und anlagenbezogener Klimaschutz“ vom 15. April 2014. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 8 Soweit ein solcher Gegenstand der Bundesverwaltung einschlägig ist, ist die Länderkompetenz grundsätzlich ausgeschlossen.15 Eine (Rück-)Übertragung von behördlichen Verwaltungs- und Überwachungsaufgaben vom Bund auf die Länder wäre zumindest im Falle einer obligatorischen Bundesverwaltung16 verfassungsrechtlich unzulässig – und entsprechende Änderungen des BImSchG / BImSchV zugunsten einer Landesverwaltungskompetenz wären verfassungswidrig. Bei einer nur fakultativen Bundesverwaltung könnte hingegen letztlich der einfache Bundesgesetzgeber die Entscheidung darüber treffen, ob die Verwaltungsaufgabe von Bundesbehörden oder von Landesbehörden erfüllt werden soll. Zu klären ist also zunächst einmal, ob die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine bundeseigene Verwaltungsaufgabe überhaupt vorliegen. Ist dies der Fall, muss anschließend geklärt werden, ob es sich um eine obligatorische oder eine fakultative Bundesverwaltungszuständigkeit handelt. Eine bundeseigene Verwaltungsaufgabe hinsichtlich der Durchführung des BImSchG bei (emittierenden ) Bundeswehrliegenschaften lässt sich mit der Sachnähe zum Verteidigungsauftrag und zur Funktionsfähigkeit der Streitkräfte begründen.17 Die Regelung in § 59 BImSchG gehört nämlich nach überwiegender Auffassung zu jenen verteidigungsspezifischen Sonderregelungen in den allgemeinen Bundesgesetzen (sog. „Bundeswehrklauseln“) und damit zur sog. Verteidigungsverwaltung i.S.v. Art. 87b Abs. 2 GG.18 Art. 87b Abs. 2 GG ermöglicht es somit, auf der Grundlage von § 59 BImSchG und der 14. BIm- SchV den Vollzug von immissionsschutzrechtlichen Vorschriften für Anlagen der Landesverteidigung auf Bundesbehörden zu übertragen.19 Liegenschaften von Stationierungsstreitkräften, die aufgrund des NTS in der Bundesrepublik stationiert sind, gehören nicht zur Bundeswehr und damit rechtlich auch nicht zur sogenannten Verteidigungsverwaltung i.S.v. Art. 87b Abs. 2 GG. Gleichwohl ließe sich bei Liegenschaften der Stationierungskräfte eine (ungeschriebene) Verwaltungskompetenz des Bundes kraft 15 BVerfGE 63, 1 (40); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz-Kommentar, München, 13. Aufl. 2014, Art. 86, Rdnr. 6. Zu klären ist dann, ob es sich um eine obligatorische Bundesverwaltung oder nur eine fakultative Bundesverwaltung handelt. Erstere sieht das Grundgesetz z.B. in den Artikeln 87 Abs. 1 S. 1, 87b Abs. 1, 87d Abs. 1, 87e Abs. 1, 87f Abs. 2 S. 2, 88 und 89 Abs. 2 vor. 16 Zur Abgrenzung vgl. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, München, 7. Aufl. 2014, Art. 86 Rdnr. 6. 17 So Jarass, BImSchG Kommentar, München, 12. Aufl. 2017, § 59, Rdnr. 2 m.w.N. 18 Hernekamp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, München, 5. Aufl. 2003, Art. 87b, Rdnr. 16. 19 So im Ergebnis Schmidt-Radefeldt, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, München, 2. Aufl. 2013, Art. 87b, Rdnr. 31; ebenso Gallas/Eisenbarth, Immissionsschutz und Landesverteidigung, in: UPR 1986, S. 417-427 (418). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 9 Sachzusammenhangs20 (bzw. eine Annexkompetenz zu Art. 87a und Art. 87b GG) annehmen,21 wenn man dabei den Bezug zur Bündnisverteidigung herstellt.22 Eine bundeseigene Verwaltungszuständigkeit (Art. 86 GG) im Bereich des Immissionsschutzrechts (einschließlich seiner behördlichen Überwachung) kommt also nur dann in Betracht, wenn es sich bei den emittierenden Anlagen tatsächlich um Anlagen der Landes- bzw. Bündnisverteidigung handelt. Dementsprechend werden nur solche Anlagen erfasst, die zur Wahrung von Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung unbedingt erforderlich sind und unmittelbar zu diesem Zweck betrieben werden. Ein solcher unmittelbarer Bezug zur Landes- bzw. Bündnisverteidigung ist etwa bei Waffen- und Munitionsdepots, Truppenübungsplätzen und Schießständen sowie bei solchen Einrichtungen gegeben, deren Standort und Ausführung aus Gründen der Landesverteidigung besonderer Geheimhaltung bedürfen. Bei Verwaltungsgebäuden, Unterkünften , Schulungsgebäuden, Krankenhäusern, etc., ist dies regelmäßig nicht der Fall.23 Ein Gefahrstofflager wie das der US-Streitkräfte in Germersheim fällt unter jene Kategorie von Anlagen, die einen unmittelbaren Bezug zur Bündnisverteidigung aufweisen. Damit lässt sich hinsichtlich der Verwaltungszuständigkeit des Bundes eine Annexkompetenz zu Art. 87a und Art. 87b GG herstellen. 4.2. Obligatorische Bundesverwaltung Ob es sich in diesem Falle um eine obligatorische oder nur eine fakultative Bundesverwaltung handelt, ist bei ungeschriebenen (Verwaltungs-)Kompetenzen naturgemäß nicht geregelt. Die Regelung über die sog. Verteidigungsverwaltung in Art. 87b Abs. 2 GG lässt im Interesse größtmöglicher Flexibilität alle Verwaltungstypen zu und verlagert insoweit die Entscheidung auf den einfachen Gesetzgeber.24 Sogar eine Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern wird im Rahmen von Art. 87b Abs. 2 GG für möglich gehalten.25 Legt man die Rechtslage zu Art. 87b GG auch für die Annexkompetenz zugrunde, so wird man eine obligatorische Bundesverwaltung – die regelmäßig die verfassungsrechtliche Ausnahme darstellt – jedenfalls nicht ohne weiteres annehmen können. 20 Eine solche ungeschriebene Kompetenz existiert vor allem in Zusammenhang mit der Aufteilung von Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern (vgl. dazu Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, München, 7. Aufl. 2014, Art. 70, Rdnr. 42 ff). 21 Dazu näher Jarass, BImSchG Kommentar, München, 12. Aufl. 2017, § 59, Rdnr. 2 m.w.N. 22 Jarass, BImSchG Kommentar, München, 12. Aufl. 2017, § 59, Rdnr. 7. 23 Jarass, BImSchG Kommentar, München, 12. Aufl. 2017, § 60, Rdnr. 3 m.w.N. 24 Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München, 7. Aufl. 2014, Art. 87b, Rdnr. 18. 25 Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München, 7. Aufl. 2014, Art. 87b, Rdnr. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 119/17 Seite 10 Die Frage, ob die Durchführung des BImSchG (einschließlich der behördlichen Überwachung) also durch Behörden des Bundes oder der Länder zu erfolgen hat, wird von Verfassung wegen nicht präjudiziert, sondern dem einfachen Gesetzgeber überlassen. § 59 BImSchG trifft eine Verordnungsermächtigung zugunsten der Bundesregierung und entscheidet sich damit im Kern für eine bundeseigene Verwaltungszuständigkeit. Wollte man diese in eine landeseigene Zuständigkeit überführen, so wäre dies verfassungsrechtlich durchaus möglich, da es sich bei der Annexkompetenz zu Art. 87a und b GG nicht um eine obligatorische, sondern nur um eine fakultative Bundesverwaltungskompetenz handelt. Um eine landeseigene Verwaltungszuständigkeit zu begründen, müssten also der einfache Bundesgesetzgeber und der Verordnungsgesetzgeber (Bundesregierung) tätig werden und § 59 BImSchG sowie die Regelung in der 14. BImSchV entsprechend streichen / abändern. ***