WD 2 - 3000 - 115/17 (12. Dezember 2017) © 2017 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die Aufnahme der sog. „Feindstaatenklausel“ (Art. 107) in die VN-Charta geht historisch gesehen auf das Bestreben der vier Siegermächte des 2. Weltkriegs zurück, sich durch die 1945 neu geschaffenen Vereinten Nationen nicht in ihrer Handlungsfreiheit hinsichtlich der gegen die besiegten Staaten („Feindstaaten“) gerichteten Kriegsfolgemaßnahmen einschränken zu lassen.1 Mit der Aufnahme Japans (18.12.1956) und der Bundesrepublik Deutschland (18.9.1973) sind alle ehemaligen „Feindstaaten“ inzwischen Mitglieder der VN. Da die Aufnahme in die VN gem. Art. 4 Abs. 1 VN-Charta voraussetzt, dass der aufzunehmende Staat „friedliebend“ ist, geht die Völkerrechtslehre einhellig davon aus, dass die Feindstaatenklausel heute keine praktische Relevanz mehr hat.2 Dies gilt umso mehr, als mit dem sog. Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom 12.9.1990 die politisch geforderte abschließende Friedensregelung mit Deutschland verabschiedet wurde. Auch die VN-Generalversammlung hat die Feindstaatenklausel als obsolet bezeichnet: “Recognizing that, having regard to the substantial changes that have taken place in the world, the "enemy State" clauses in Articles 53, 77 and 107 of the Charter of the United Nations have become obsolete”.3 Art. 107 VN-Charta ließe sich insoweit als ein Beispiel dafür diskutieren, dass eine Vertragsregelung durch konsequente „Nichtanwendung“ ihre rechtliche Geltung verlieren kann.4 1 Ipsen (Hrsg.). Völkerrecht, München, 6. Aufl. 2014, § 6 Rdnr. 129. 2 Ress/Bröhmer, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, Vol. II, Oxford, 3. Aufl. 2012, Art. 107, Rdnr. 21; Ipsen (Hrsg.). Völkerrecht, München, 6. Aufl. 2014, § 6 Rdnr. 131. 3 GV Res. 50/52 v. 11.12.1995, http://www.un.org/documents/ga/res/50/a50r052.htm. 4 Sog. „desuetudo“; vgl. dazu Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München, 6. Aufl. 2014, § 16 Rdnr. 112. Ebenso Trützschler v. Falkenstein, Werner, Die sich ändernde Bedeutung der Feindstaatenartikel für Deutschland, Bern 1975. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur sog. Feindstaatenklausel (Art. 107 VN-Charta) Kurzinformation Zur sog. Feindstaatenklausel (Art. 107 VN-Charta) Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Eine formale Streichung der Feindstaatenklausel aus der VN-Charta, die seit ihrer Verabschiedung 1945 noch nie formell geändert wurde, wäre verfahrensmäßig sehr aufwendig. Ein Änderungsverfahren ist bislang noch nicht in Angriff genommen worden und erscheint in der Sache auch nicht (mehr) notwendig.5 *** 5 Einige Vorschriften in der VN-Charta, wie etwa der Art. 23, der noch von der Existenz der „UdSSR“ ausgeht, sind formell nicht bereinigt worden, obwohl sie heute historisch „überholt“ erscheinen.