© 2021 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 113/20 Zum Drohneneinsatz im Krieg um Bergkarabach im Jahre 2020 Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 2 Zum Drohneneinsatz im Krieg um Bergkarabach im Jahre 2020 Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 113/20 Abschluss der Arbeit: 22. Januar 2021 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 5 2. Historische Einordnung 5 3. Geopolitische Einordnung 7 4. Kontextuelle Einordnung 11 4.1. Vorbote des Konfliktes 11 4.2. Aserbaidschanische Strategie 12 5. Kommentare und vorläufige Forschungsergebnisse 12 5.1. Der Einsatz von Drohnen 12 5.1.1. Bundeszentrale für politische Bildung 12 5.1.2. Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien (SWP) 13 5.1.3. Zeitschrift für Sicherheits- und Außenpolitik 13 5.1.4. European Council on Foreign Relations 14 5.1.5. Center for Strategic and International Studies 15 5.1.5.1. Armenischer/Azachischer Drohnenbestand am Anfang des Krieges 15 5.1.5.2. Beispiel einer von Armenien womöglich eingesetzten Drohne 16 5.1.5.3. Aserbaidschanischer Drohnenbestand am Anfang des Krieges 17 5.1.5.4. Beispiele für von Aserbaidschan eingesetzte Drohnen 21 5.1.5.5. Bewertung 23 5.1.6. Jamestown Foundation 24 5.1.7. Zenith Magazin 24 5.1.8. Foreign Policy 27 5.1.9. The Defense Post 28 5.2. Drohnen und Propaganda 29 5.2.1. Human Security Center 30 5.2.2. War on the Rocks 30 5.2.3. Meldungen der Selbstverteidigungskräfte der Republik Arzach 31 5.2.4. Meldungen des aserbaidschanischen Verteidigungsministeriums 33 5.3. Der Einfluss der Türkei 35 5.3.1. Heinrich-Böll-Stiftung 35 5.3.2. Centrum für angewandte Türkeistudien (SWP) 36 5.4. Die Rolle Russlands 37 5.4.1. European Council on Foreign Relations 37 5.4.2. Zeitschrift für Sicherheits- und Außenpolitik 37 6. Sicherheitspolitische Lehren 38 6.1. Massiver und geplanter Einsatz von Drohnen 38 6.2. Ein moderner Krieg mit hohen Verlusten 41 6.2.1. Materialverluste Armenien / Republik Arzach 43 6.2.1.1. Allgemeine Materialverluste 43 6.2.1.2. Verlust von Drohnen 44 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 4 6.2.2. Materialverluste Aserbaidschans 46 6.2.2.1. Allgemeine Materialverluste 46 6.2.2.2. Verlust von Drohnen 46 6.3. Russland und die Türkei: die Hauptgewinner 47 6.3.1. Russland 47 6.3.2. Türkei 48 6.3.3. Die türkische Bayraktar Drohne 49 6.3.3.1. Allgemeine Angaben 49 6.3.3.2. Die Feuertaufe der Bayraktar 50 6.3.3.3. Die „Bayraktar“ im Vergleich zum „Predator“ und „Reaper“ 53 6.3.3.4. Schwachpunkte 54 6.3.4. Erfolgsnarrative der Türkei 57 6.3.5. Inszenierung und Ummünzung des militärischen Erfolges 59 7. Völkerrechtliche Einordnung 59 7.1. Einsatz von Drohnen 59 7.2. Einsatz von autonomen Waffen 60 7.2.1. Kommentare 61 7.2.1.1. Hauptstadtbrief 61 7.2.1.2. Zenith Magazin 61 7.2.2. Völkerrechtliche Aspekte 61 7.2.2.1. Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung 61 7.2.2.2. Öffentliches Fachgespräch im Deutschen Bundestag 64 7.2.2.3. Schriftenreihe Beiträge zum Europa- und Völkerrecht 65 8. Zusammenfassung 66 8.1. Allgemeine Feststellung 66 8.2. Völkerrechtliche Würdigung 66 8.3. Verteidigungspolitische Würdigung 67 8.3.1. Beobachtungen 67 8.3.2. Faktoren für den aserbaidschanischen Sieg 68 8.3.3. Faktoren für die armenische Niederlage 69 9. Ausblick 70 9.1. Im Allgemeinen 70 9.2. Im geopolitischen Hinblick 71 9.2.1. Türkei und NATO 71 9.2.2. Drohnenproliferation 72 9.3. Lehren für Deutschland 72 9.3.1. Aktive Maßnahmen 73 9.3.2. Defensive Maßnahmen 74 9.3.2.1. Mehrschichtige Abwehr 74 9.3.2.2. Multidimensionale Abwehr 77 9.3.2.3. Aktivitäten im Informationsumfeld 77 10. Schlussfolgerung 77 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 5 1. Einführung Die vorliegende Dokumentation liefert einen Überblick zum Einsatz von Drohnen im Krieg um Bergkarabach1 zwischen der völkerrechtlich – auch von Armenien – nicht offiziell anerkannten Republik Arzach2 (umgangssprachlich: Bergkarabach), Armenien und Aserbaidschan, der im Wesentlichen vom 27. September bis zum 10. November 2020 ausgetragen wurde.3 Ergänzend nimmt die vorliegende Arbeit Bezug auf völkerrechtliche und sicherheitspolitische Aspekte des Drohneneinsatzes und fasst die Bedeutung dieser Art der Kriegführung für künftige Konflikte zusammen. 2. Historische Einordnung 4 Das Gebiet Bergkarabach, eine ethnische Exklave in Aserbaidschan, ist schon seit dem Mittelalter mehrheitlich von christlichen Armeniern besiedelt worden, während Aserbaidschan von Muslimen bewohnt ist. 1 Im deutschsprachigen Raum ist sowohl die Bezeichnung „Bergkarabach“ als auch „Berg-Karabach“ unterschiedslos anzutreffen. Gebräuchlich ist auch die Transkription aus dem Russischen „Nagorny Karabach“ bzw. „Nagorni Karabach“. Der Einheitlichkeit halber wurde in dieser Arbeit durchgehend die Bezeichnung „Bergkarabach“ verwendet. Der Begriff „Republik Arzach“ wurde angewandt, falls die Quelle es hergab oder wenn es einen direkten Bezug auf das Pseudo-Staatsgebilde gab: z.B. „Selbstverteidigungskräfte der Republik Arzach“. 2 Von 1991 bis 2017 „Republik Bergkarabach“. 3 Schon ab Anfang Juli 2020 waren Vorboten einer neuen Eskalation in Form von Scharmützeln zu beachten. Am 12. Juli wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Dieser wurde allerdings bald wieder verletzt. Vgl. Viele Tote bei Kämpfen in Berg-Karabach, Tagesschau, ARD, 12. Juli 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.tagesschau .de/ausland/aserbaidschan-119.html ; Waffenruhe in Berg-Karabach vereinbart, Tagesschau, ARD, 12. Juli 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.tagesschau.de/ausland/bergkarabach-115.html ; Kampf um Bergkarabach – Der ewige Krieg im Kaukasus, Christian Esch, Der Spiegel, 28. September 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.spiegel.de/politik/ausland/der-ewige-krieg-im-kaukasus-ab 3176df2-6d4c-4fb2-97ea-7790c803494b 4 Der Streit um Berg-Karabach – Spezifische Merkmale und die Konfliktparteien, Uwe Halbach und Franziska Smolnik, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Studie 2013/S 02, Februar 2013, 33 S., abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2013_S02_hlb_smk.pdf ; Krieg um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, Aktueller Begriff, Bundestag, Drucksache WD-2 3000- 013/20 vom 5. November 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/resource /blob/804162/d695e1b1cb5f33c862ab2769fd1f8721/Krieg_Bergkarabach-data.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 6 Nach Auflösung der UdSSR im Jahre 1991 erklärte Bergkarabach seine Unabhängigkeit. Der Krieg führte zu etwa 20.000 Todesopfern und fast einer Million Flüchtlingen.5 Mit dem Waffenstillstand von 1994 verlor Aserbaidschan nicht nur Bergkarabach selbst, sondern knapp ein Viertel seines Territoriums rund um die Enklave. Dieses von Armenien eroberte und seitdem kontrollierte Gebiet diente fortan als Pufferzone.6 Seit 1992 bemüht sich die sogenannte Minsk-Gruppe der OSZE um eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien und um eine dauerhafte Lösung. Den Co-Vorsitz der Minsk-Gruppe haben Frankreich, Russland und die USA inne. Deutschland und die Türkei sind auch Gruppenmitglieder. Trotzdem flammte der Konflikt immer wieder auf, so zum Beispiel 20147 und 20168. Der im zweiten Halbjahr 2020 ausgebrochene Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan stellte die eindeutig schwerste militärische Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien seit dem Ende des ersten Karabach-Krieges im Jahre 1994 dar. Am 11. November 2020 beschrieben Alice Bota und Julia Smirnova in der „Zeit“, die Kriegszustände, wie folgt: „Beide Seiten benutzten international geächtete Streubomben, Aserbaidschan setzte Phosphorwaffen ein, bombardierte Krankenhäuser und Kirchen, Armenier zerstörten willkürlich aserbaidschanische Wohngebiete. Der militärischen Übermacht Aserbaidschans konnte Armenien nicht beikommen; in den vergangenen Jahren modernisierte Aserbaidschan mit der Hilfe Russlands, Israels und der Türkei seine Armee. Kaufte hochmoderne Drohnen und Raketensysteme, lernte von Israelis und Türken den Einsatz dieser Waffen, brachte mit türkischer Unterstützung syrische Söldner an die Front.“9 5 Durch die Vertreibung von etwa 750.000 Aseri sind Bergkarabach und einige umliegende armenisch besetzte Gebiete heute fast ausschließlich von Armeniern besiedelt. Umgekehrt flüchteten auch etwa 230.000 Armenier aus Aserbaidschan. Vgl. Krieg um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, Aktueller Begriff, Bundestag, Drucksache WD-2 3000-013/20 vom 5. November 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/resource/blob/804162/d695e1b1cb5f33c862ab2769fd1f8721/Krieg_Bergkarabachdata .pdf 6 Krieg um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, Aktueller Begriff, Bundestag, Drucksache WD-2 3000-013/20 vom 5. November 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/resource /blob/804162/d695e1b1cb5f33c862ab2769fd1f8721/Krieg_Bergkarabach-data.pdf 7 Berg-Karabach: Ein eingefrorener Konflikt taut auf, Bundeszentrale für politische Bildung, 20. August 2014, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/190242/konflikt-um-bergkarabach -20-08-2014 8 Bergkarabach: Alles andere als ein „ruhender Konflikt", Nino Lejava, 12. April 2016, Heinrich Böell Stiftung, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.boell.de/de/2016/04/12/berg-karabach-chronik-eines-ruhendenkonflikts 9 Ein Sieg, aber kein Ende, Alice Bota und Julia Smirnova, Die Zeit, 11. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.zeit.de/2020/47/bergkarabach-aserbaidschan-armenien-krieg-suedkaukasus ?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 7 Damit führte das Kriegsgeschehen, erstmalig seit 1994, zu einer Verschiebung der Front beziehungsweise Grenzlinien zu Gunsten Aserbaidschans.10 Ein von Russland vermitteltes und von russischen Truppen11 kontrolliertes Waffenstillstandsabkommen 12 führte am 10. November 2020 vorerst zum Ende der militärischen Auseinandersetzungen . Die Republik Arzach verlor etwa 33 Prozent ihres Territoriums durch die Kämpfe und musste weitere knapp 40 Prozent der strittigen Territorien an Aserbaidschan im Zuge des Waffenstillstands abtreten.13 Ein Friedensabkommen wurde bisher aber nicht ausgehandelt und scheint derzeit nicht auf der Tagesordnung zu stehen. 3. Geopolitische Einordnung Die Republik Armenien hat eine Fläche von etwa 30.000 km² und eine Bevölkerung von knapp drei Millionen Einwohnern. In der Hauptstadt Jerewan leben eine Million Einwohner. Das nominale BIP per Einwohner beträgt ca. 4.600 US-Dollar (108. Platz im Weltvergleich). Im Index der menschlichen Entwicklung belegte das Land 2019 Platz 81. Über 90 Prozent der Bevölkerung sind Christen14. Insgesamt betrug das Verteidigungsetat Armeniens für 2020 etwa 0,6 Milliarden US-Dollar15 16 und hat sich seit 2015 kaum erhöht. Hinzu kamen in der Vergangenheit kostenlose oder vergünstigte Waffenlieferungen aus Russland in einer unbekannten Höhe. Im Rahmen eines bis 2044 gültigen Vertrags unterhält Russland zwei Stützpunkte in Armenien: die 102. Militärbasis in Gyumri und der 3624. Luftstützpunkt am Militärflughafen Erebuni, in der Nähe von Jerewan. Bis 2019 stockte Russland die Zahl der Soldaten in Gymri von ca. 3.000 auf 10 Nagorny-Karabach, Uwe Halbach, Bundeszentrale für politische Bildung, 26. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/224129/nagornykarabach 11 Laut Waffenstillstandsabkommen vom 10. November 2020 werden 1.960 bewaffnete Soldaten, 90 gepanzerte Fahrzeuge und 380 sonstige Fahrzeuge zur Friedenssicherung eingesetzt. 12 Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Aserbaidschan und Armenien vom 10. November 2020, Bundeszentrale für politische Bildung, 1. Dezember 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.bpb.de/internationales /europa/russland/analysen/322104/dokumentation-waffenstillstandsvereinbarung-zwischen-aserbaidschanund -armenien-vom-10-november-2020 13 After autumn war, Nagorno-Karabakh loses two-thirds of its territory, Caucasian Knot, 21. November 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/52845/ 14 in: Armenien, Wikipedia, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Armenien 15 Armenian Parliament Passes 2020 Government Budget, 6. Dezember 2019, Radio Azatutyun (Armenischer Dienst von Radio Free Euro / Radio Liberty), abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.azatutyun.am/a/30311263.html 16 Armenia – Military Spending, 8. November 2015, Global Security, GlobalSecurity.net, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.globalsecurity.org/military/world/armenia/budget.htm Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 8 5.000 auf.17 Bis 2021 soll der Luftverband in Erebuni, der faktisch für die Luftverteidigung Armeniens zuständig ist, seine 18 veralteten Mikoyan-Gurevitch18 MiG-29 Fulcrum durch neuere und potentiell nuklearfähige19 Sukhoi Su-30SM ersetzen.20 Weiterhin werden eine unbekannte Anzahl von Transporthubschraubern (Mil Mi-8/17 Hip) und Kampfhubschraubern (Mil Mi-24 Hind) von den Russen geflogen. Ein Kampfhubschrauber der russischen Luftwaffe ist während des Krieges von Aserbaidschan (wohl irrtümlicherweise) über Armenien abgeschossen worden. Aserbaidschan entschuldigte sich und leistete umgehend Schadensersatz.21 Die Republik Aserbaidschan hat eine Fläche von 86.600 km² und eine Bevölkerung von knapp 10,4 Millionen Einwohnern. In der Hauptstadt Baku leben 2,2 Millionen Menschen. Das nominale BIP pro Einwohner beträgt knapp 4.000 US-Dollar (110. Platz im Weltvergleich). Im Index der menschlichen Entwicklung belegt das Land 2019 Platz 88. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung sind schiitische Muslime (wie im Iran).22 Aserbaidschan verfügt über bedeutende Rohölreserven und ist der 19. größte Ölexporteur der Welt. Etwa 10 Prozent der Ölförderung23 geht nach Israel und decken damit circa 40 Prozent des Ölbedarfs des Landes ab.24 Laut SIPRI25 hat Israel im Gegenzug Aserbaidschan zwischen 2006 und 2019 Waffen im Wert von 825 Millionen Dollar verkauft, darunter etliche Kampfdrohnen und „herumlungernde Munition“, im allgemeinen 17 Russia To Beef Up Military Presence In Armenia, 24. Dezember 2019, Radio Azatutyun (Armenischer Dienst von Radio Free Euro / Radio Liberty), abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.azatutyun.am/a/30342769.html 18 Der Einheitlichkeit halber wird in dieser Dokumentation für das russische Militärgroßgerät stets die englischsprachige NATO-Bezeichnung bzw. -Rechtschreibung angewandt. 19 Now Su-30 Jets Become ‘Nuclear Capable’ With Hypersonic Kh-32 Missiles, Tim Edwards, 16. August 2020, The Eurasian Times, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://eurasiantimes.com/now-su-30-jets-become-nuclearcapable -with-hypersonic-kh-32-missiles/ 20 Russia To Beef Up Military Presence In Armenia, 24. Dezember 2019, Radio Azatutyun (Armenischer Dienst von Radio Free Euro / Radio Liberty), abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.azatutyun.am/a/30342769.html 21 Azerbaijan admits shooting down Russian helicopter in Armenia, 9. November 2020, BBC, abgerufen am 20. Januar 2022 unter https://www.bbc.com/news/world-europe-54874162 22 in: Aserbaidschan, Wikipedia, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Aserbaidschan 23 Crude Petroleum in Azerbaijan, Observatory of Economic Complexity (OEC), abgerufen am 20. Januar 2021 unter, Crude Petroleum in Azerbaijan | OEC - The Observatory of Economic Complexity 24 Freundschaft plus, Peter Münch, Süddeutsche Zeitung, 1. November 2020, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.sueddeutsche.de/politik/waffengeschaefte-freundschaft-plus-1.5101446 25 Stockholm International Peace Research Institute. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 9 Sprachgebrauch auch unter dem Begriff „Kamikaze-Drohnen“26 bekannt.27 Presseberichten zufolge waren die Kaufverträge sogar noch höher: 2012 sollen die Aserbaidschaner Drohnen, Flugabwehr- und Raketensysteme für 1,6 Milliarden US-Dollar aus Israel gekauft haben28. 2016 haben die Aserbaidschaner nach offiziellen Angaben für 4,5 Milliarden US-Dollar Militärausrüstung aus Israel gekauft29. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Lieferungen sich über mehrere Jahre hinweg erstrecken, so dass ein erheblicher Teil der Lieferungen nach 2020 stattfinden wird. Insgesamt betrug der Verteidigungsetat Aserbaidschans für 2020 etwa 2,26 Milliarden US-Dollar (ein Zuwachs von 20,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr).30 Die Republik Arzach31 (Kurzform im allgemeinen Sprachgebrauch: Bergkarabach) ist völkerrechtlich von keinem Staat der Welt anerkannt, auch nicht von Armenien.32 Bergkarabach ist eine gebirgige Enklave. Bis 2020 nutzte diese geographische Eigenschaft den Armenieren, die den für sie vorteilhaften statu quo von 1994 bewahren beziehungsweise institutionalisieren und völkerrechtlich verankern wollten. In der Tat lassen sich gebirgige Gebiete grundsätzlich wesentlich besser verteidigen als erobern – zumindest so lange der Kampf am Boden und nicht in beziehungsweise aus der Luft ausgetragen wird. Vor dem Krieg von 2020 umfasste das Gebiet der Republik Arzach ca. 12.000 Quadratkilometer und zählte insgesamt knapp 150.000 Einwohner, 26 Diese hochautonomen Systeme kreisen in der Luft über dem Zielgebiet. Wenn ein vorher definiertes Ziel im Überwachungsbereich erfasst und als legitim berechnet wurde, stürzen sie sich auf dieses, explodieren und zerstören sich dabei selbst. 27 Armenia recalls ambassador to Israel over arms sales to Azerbaijan, Nvard Hovhannisyan und Rami Ayyub, Reuters, 1. Oktober 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.reuters.com/article/us-armenia-azerbaijan -israel/armenia-recalls-ambassador-to-israel-over-arms-sales-to-azerbaijan-idUSKBN26M76L?edition-redirect =uk 28 Azerbaijan Makes Massive Israeli Weapons Purchase – But Not Because of Iran, Joshua Kucera, 27. Februar 2012, Eurasianet, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://eurasianet.org/azerbaijan-makes-massive-israeli-weaponspurchase -but-not-because-of-iran 29 Experts believe Israel unlikely to drop lucrative arms sales to Azerbaijan, Guillaume Lavallée, 5. Oktober 2020, The Times of Israel, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.timesofisrael.com/experts-believe-israelunlikely -to-drop-lucrative-arms-sales-to-azerbaijan/ 30 Azerbaijan – Military Spending, GlobalSecurity, 28. Februar 2020, abgerufen am 22. Januar unter https://www.globalsecurity .org/military/world/azerbaijan/budget.htm 31 Von 1991 bis 2017 als „Republik Bergkarabach“ bezeichnet. 32 Ein Staat im Sinne des Völkerrechts setzt nach der „Drei-Elemente-Lehre“ von Georg Jellinek ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet sowie die Staatsgewalt über Staatsvolk und Staatsgebiet voraus. Unter einem Staatsvolk versteht man einen auf Dauer angelegten Zusammenschluss von Menschen, über den der Staat die Hoheitsgewalt innehat. Unter einem Staatsgebiet versteht man jenes Gebiet, das der territorialen Souveränität eines Staates unterliegt. „Schließlich bedeutet die Staatsgewalt die Fähigkeit, eine Ordnung auf dem Staatsgebiet zu organisieren (Verfassungsautonomie/innere Souveränität) und nach außen selbstständig und von anderen Staaten rechtlich unabhängig im Rahmen und nach Maßgabe des Völkerrechts zu handeln (äußere Souveränität).“ Entscheidend ist, dass sich die Staatsgewalt tatsächlich durchgesetzt hat (Grundsatz der Effektivität). Vgl. Sezessionsrecht, Staatswerdung und Anerkennung von Staaten, Aktueller Begriff, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, 2007, WD-2 47-07, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/resource /blob/190048/171fa6688969a0df988b3c06b306730e/sezessionsrecht__staatswerdung_und_anerkennung _von_staaten-data.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 10 98 Prozent davon christliche Armenier.33 Die Hauptstadt Stepanakert zählte etwa 50.000 Einwohner. Mehrere Städte gingen im Zuge des Krieges bis November 2020 jedoch an Aserbaidschan verloren, so dass die Einwohnerzahl Bergkarabachs erheblich geschrumpft sein dürfte.34 Abbildung: Republik Arzach und umgebende Staaten von 1994 bis 2020 35 Braun: von Arzach beherrscht, ehem. autonomes Bergkarabach Hellorange: von Aserbaidschan beherrscht, aber von Arzach beansprucht Orange: von Arzach beherrscht, außerhalb des früher autonomen Bergkarabach (Pufferzone) 33 Region Berg-Karabach, In einem Land, das es nicht gibt, Sven Töniges, Deutschlandfunk, 10. Januar 2016, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.deutschlandfunk.de/region-berg-karabach-in-einem-land-dases -nicht-gibt.1242.de.html?dram:article_id=342055 34 Zum Zeitpunkt der Erstellung der Dokumentation sind keine gesicherten Zahlen bekannt. 35 Map of Artsakh with claimed territory in German, Sivizius, 8. Oktober 2020, in Bergkarabachkonflikt, Wikipedia, Lizenz CC0, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Bergkarabachkonflikt#/media/Datei :Artsakh_de.svg Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 11 4. Kontextuelle Einordnung 36 Insgesamt lässt sich sagen, dass der Krieg nicht überraschend erfolgte. Er war das vorhersehbare Ergebnis von innenpolitischen Zwängen, einer instabilen geopolitischen Situation und eines für Aserbaidschan günstigen Zeitfensters. Ebenfalls kam der massive Einsatz von Aufklärungs- und Kampfdrohnen sowie von sogenannten „Kamikaze-Drohnen“37, also von herumlungernder Munition, seitens Aserbaidschans nicht überraschend. Vielmehr handelte es sich um einen logischen militärischen Schritt im Rahmen des innen- und geopolitischen Bestrebens Aserbaidschans sowie in Anbetracht der Unterstützung, auf die Aserbaidschan sich zum fraglichen Zeitpunkt verlassen konnte. 4.1. Vorbote des Konfliktes In seinem Artikel Kampf um Bergkarabach – Der ewige Krieg im Kaukasus vom 28. September 2020 im „Spiegel“ beschreibt Christian Esch vier Gründe für die unausweichliche Eskalation: 38 „Verändert hat sich der innenpolitische Druck in Aserbaidschan. Das Land ist eine von Öl- und Gaseinnahmen getragene Diktatur, aber Präsident Ilham Alijew muss auf die öffentliche Meinung achtgeben. Nach Gefechten zwischen Armenien und Aserbaidschan im Juli dieses Jahres demonstrierten Zehntausende in Baku für einen Krieg mit Armenien. (…) Für Alijew war das ein Warnsignal.“ „Aserbaidschan hat ungewohnt große Rückendeckung von seinem engsten Partner, der Türkei.“ „Alijews Hoffnungen auf mehr Nachgiebigkeit in Eriwan sind geplatzt. (…) In Sachen Karabach ist [der armenische Präsident Nikol, E.d.V.] Paschinjan erst recht Hardliner. ‚Arzach ist Armenien. Punkt‘, sagte er 2019 auf einer Kundgebung in Stepanakert.“ 36 Krieg um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, Aktueller Begriff, Bundestag, Drucksache WD-2 3000-013/20 vom 5. November 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/resource /blob/804162/d695e1b1cb5f33c862ab2769fd1f8721/Krieg_Bergkarabach-data.pdf ; Nagorny-Karabach, Uwe Halbach, Bundeszentrale für politische Bildung, 26. November 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/224129/nagorny-karabach 37 Diese hochautonomen Systeme kreisen in der Luft über dem Zielgebiet. Wenn ein vorher definiertes Ziel im Überwachungsbereich erfasst und als legitim berechnet wurde, stürzen sie sich auf dieses, explodieren und zerstören sich dabei selbst. 38 Kampf um Bergkarabach – Der ewige Krieg im Kaukasus, Christian Esch, Der Spiegel, 28. September 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.spiegel.de/politik/ausland/der-ewige-krieg-im-kaukasus-ab 3176df2-6d4c-4fb2-97ea-7790c803494b Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 12 „Und schließlich scheinen die Umstände für Aserbaidschan gerade günstig, um die Balance mit Gewalt zu verändern. Russland39, die traditionelle Schutzmacht von Armenien (…) [hat] anders als die Türkei kein Interesse, sich auf eine Seite zu schlagen.“ 4.2. Aserbaidschanische Strategie In einem Interview des Senders „VICE News“, veröffentlicht am 13. November 2020 auf YouTube, bestätigte der seit 2003 amtierende aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew, dass es von Anfang an seine Absicht gewesen sei, eine politische Lösung mit militärischen Mitteln herbei zu führen, denn „30 Jahre Verhandlung haben zu keiner Lösung des Konfliktes“ geführt, so Alijew.40 5. Kommentare und vorläufige Forschungsergebnisse Der Einsatz von Drohnen im Krieg um Bergkarabach im Jahre 2020 hat international Aufmerksamkeit erregt.41 Der Krieg wurde von einigen Kommentatoren sogar auch als „erster Drohnenkrieg zwischen Staaten“ bezeichnet.42 5.1. Der Einsatz von Drohnen 5.1.1. Bundeszentrale für politische Bildung Der Wissenschaftler der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), Uwe Halbach stellt in seinem für die Bundeszentrale für politische Bildung erstellten Beitrag Innerstaatliche Konflikte – Nagorny-Karabach fest, der aktuelle Krieg um Bergkarabach sei auf einem „deutlich höheren militärischen Niveau“ als frühere 39 Es war nicht im Interesse der Schutzmacht Russland, Armenien zu unterstützen, da die seit 2018 amtierende Regierung von Premier Nikol Paschinjan teilweise als Russlandfeindlich und unverlässlich in Moskau wahrgenommen wird. (Vgl. Kampf um Bergkarabach – Der ewige Krieg im Kaukasus, Christian Esch, Der Spiegel, 28. September 2020, abgerufen am 15. Januar 2021 unter https://www.spiegel.de/politik/ausland/der-ewige-kriegim -kaukasus-a-b3176df2-6d4c-4fb2-97ea-7790c803494b). 40 On the Frontlines of the Fighting in Azerbaijan, VICE News, YouTube Channel, 13. November 2020, ab 12:30 Min., abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=AW6IgzeMjpE 41 Unter vielen: Im Krieg um Nagorni Karabach spielen Drohnen eine wichtige Rolle, Andreas Ernst, Neue Züricher Zeitung, 10. Oktober 2021, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.nzz.ch/international/karabach-konflikt -drohnen-spielen-entscheidende-rolle-ld.1580861 42 Worum es bei der Debatte um bewaffnete Drohnen geht, Joachim Käppner, Süddeutsche Zeitung, 2. Januar 2021, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.sueddeutsche.de/politik/drohnen-bundeswehr-spd-1.5160969 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 13 militärische Auseinandersetzungen zwischen den beiden Staaten geführt worden.43 Insbesondere das wirtschaftlich stärkere Aserbaidschan sei von Staaten, wie Russland, Israel und der Türkei mit modernen Waffen beliefert worden. Der Einsatz hochmoderner Waffen, wie unbemannter Luftfahrtzeuge44, hätten das Kriegsgeschehen gestaltet. 5.1.2. Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien (SWP) In den Beiträgen Militarisierungsprozesse im Südkaukasus – Aufrüstung und Kriegsrhetorik im Umfeld ungelöster Territorialkonflikte45 sowie Neuere Entwicklungen im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan46 erläutert Uwe Halbach, Forscher in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) näher die Hintergründe der Entstehung des jüngsten Bergkarabach-Krieges sowie die damit in Zusammenhang stehende Militarisierung der beiden Staaten. 5.1.3. Zeitschrift für Sicherheits- und Außenpolitik In seinem Aufsatz Krieg und Frieden im Südkaukasus. Der ewige Konflikt um Berg-Karabach geht Mikheil Sarjveladze auf den Rüstungswettlauf zwischen den Konfliktparteien ein und verweist auf folgende Zahlen47: 48 „Allein im letzten Jahrzehnt gaben Aserbaidschan mehr als 24 Mrd. US-Dollar und Armenien 4,7 Mrd. US-Dollar für ihre Verteidigung aus. Der Anteil von Militärausgaben am BIP von Armenien betrug 2018 4,9% und im Fall Aserbaidschans 43 Innerstaatliche Konflikte, Nagorny-Karabach, Uwe Halbach, Bundeszentrale für politische Bildung, 26. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche -konflikte/224129/nagorny-karabach 44 Im Englischen: Unmanned Aerial Vehicle (UAV). 45 Militarisierungsprozesse im Südkaukasus - Aufrüstung und Kriegsrhetorik im Umfeld ungelöster Territorialkonflikte, Uwe Halbach, SWP-Aktuell Nr. 44, August 2018, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://www.swp-berlin.org/publikation/militarisierungsprozesse-im-suedkaukasus/ 46 Neuere Entwicklungen im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, Uwe Halbach,, SWP Aktuell Nr. 71, September 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.swp-berlin.org/publikation/neuere-entwicklungen -im-konflikt-zwischen-armenien-und-aserbaidschan/ 47 Krieg und Frieden im Südkaukasus. Der ewige Konflikt um Berg-Karabach, Mikheil Sarjveladze, Zeitschrift für Sicherheits- und Außenpolitik, 7. Januar 2021, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://link.springer.com/article /10.1007/s12399-020-00831-8#citeas 48 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 14 4,0%. Im Zeitraum von 2015 bis 2019 gehörten laut SIPRI49 zu Aserbaidschans größten Waffenimporteuren Israel (60%), Russland (31%) und die Türkei (3,2%). Im Fall Armeniens entfielen 94% aller Waffenimporte auf Russland.“ 50 5.1.4. European Council on Foreign Relations Ulrike Franke, Forscherin am European Council on Foreign Relations (ECFR), stellt in ihrem Beitrag Auf dem Weg in den autonomen Krieg – Haben Drohnen den Krieg in Bergkarabach entschieden? fest, dass Drohnen eine wichtige Bedeutung im Krieg um Bergkarabach spielten, weil keine Seite über eine große Luftwaffe verfügen konnte.51 Vor allem Aserbaidschan habe Drohnen eingesetzt. Hierzu gehörten nach Angaben der Autorin zunächst Überwachungsdrohnen, aber auch umgerüstete ferngesteuerte Flugzeuge. Aserbaidschan habe zudem bewaffnete Drohnen von der Türkei bezogen. Ferner kam auch von Israel hergestellte herumlungernde Munition, sogenannte „Kamikaze-Drohnen“52, zum Einsatz. Bezüglich der Anwendung von Drohnen durch Aserbaidschan kommt Franke zu folgender Einschätzung:53 „Mithilfe dieses Drohnenarsenals konnte Aserbaidschan armenische Positionen aufklären; die Stellungen wurden dann mit Artillerie beschossen, während bewaffnete Drohnen nachgelagerte Reserven angriffen und Unterstützungswege abschnitten. Diese Angriffe funktionierten selbst in den Berggebieten gut, die eigentlich den Verteidigern einen Vorteil bieten sollten. Die armenischen Streitkräfte hatten Schwierigkeiten, die Drohnen abzuwehren, insbesondere die vergleichbar kleinen Kamikazedrohnen. Armeniens eigenproduzierte Drohnen waren den türkischen und israelischen Systemen unterlegen. Armenien machte Experten zufolge zudem taktische Fehler, ließ Positionen zu offen 49 Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). 50 Trends in international arms transfer 2019, Stockholm International Peace Research Institute, März 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.sipri.org/sites/default/files/2020-03/fs_2003_at_2019.pdf ; siehe dazu auch: Why Azerbaijan won, Gubad Ibadoglu, Institute for War and Peace Reporting, 17. November 2020, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://iwpr.net/global-voices/why-azerbaijan-won 51 Auf dem Weg in den autonomen Krieg – Haben Drohen den Krieg in Bergkarabach entschieden?, Ulrike Franke, Hauptstadtbrief, 27. Dezember 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.derhauptstadtbrief.de/aufdem -weg-in-den-autonomen-krieg/ 52 Diese hochautonomen Systeme kreisen in der Luft über dem Zielgebiet. Wenn ein vorher definiertes Ziel im Überwachungsbereich erfasst und als legitim berechnet wurde, stürzen sie sich auf dieses, explodieren und zerstören sich dabei selbst. 53 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 15 und bewegte sie zu selten. Die durchgehenden Angriffe aus der Luft wirkten demoralisierend.“54 5.1.5. Center for Strategic and International Studies Die Analysten Shaan Shaikh und Wes Rumbaugh der amerikanischen Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CISC), geben in ihrem Beitrag The Air and Missile War in Nagorno-Karabakh: Lessons for the Future of Strike and Defense – bezugnehmend auf Daten vom SIPRI55 und vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium – einen ausführlichen Überblick, über das bekanntgewordene Drohnenarsenal Armeniens und Aserbaidschans.56 5.1.5.1. Armenischer/Azachischer Drohnenbestand57 am Anfang des Krieges58 59 Waffentyp Anmerkungen X-55/Kh-5560 In Eigenproduktion hergestellte Aufklärungsdrohne, eingeführt 2014. HRESH61 In Eigenproduktion hergestellte herumlungernde Munition, eingeführt 2018. [Es ist zweifelhaft, ob diese Waffe einsatzfähig wurde, A.d.V.]62. 54 Auf dem Weg in den autonomen Krieg – Haben Drohnen den Krieg in Bergkarabach entschieden?, Ulrike Franke, Hauptstadtbrief, 27. Dezember 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.derhauptstadtbrief.de/aufdem -weg-in-den-autonomen-krieg/ 55 Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). 56 The Air and Missile War in Nagorno-Karabakh: Lessons for the Future of Strike and Defense, Shaan Shaikh, und Wes Rumbaugh, Center for Strategic and International Studies, 8. Dezember 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.csis.org/analysis/air-and-missile-war-nagorno-karabakh-lessons-future-strike-and-defense 57 Bei den armenischen und arzachischen Drohnen handelt es sich ausnahmslos um kleinere, wenig leistungsfähige Aufklärungsdrohnen für den Einsatz im Nahbereich. Belege für die Einsatzreife der herumlungernden Munition HRESH konnten nicht gefunden werden. 58 Vgl.: Shaikh und Rumbaugh. 59 Übersetzung des Verfassers. 60 Siehe auch: X-55 (UAV), Wikipedia, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/X- 55_(UAV) 61 Siehe auch: HRESH, Wikipedia, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/HRESH 62 Belege für die Einsatzreife der herumlungernden Munition HRESH konnten nicht gefunden werden. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 16 Krunk63 In Eigenproduktion hergestellte Aufklärungsdrohne, eingeführt 2011. Orlan-1064 Aufklärungsdrohne aus russischer Produktion. Der Erwerb ist nicht dokumentiert, aber Berichte weisen auf den Einsatz zum Ende des Konflikts hin. 5.1.5.2. Beispiel einer von Armenien womöglich eingesetzten Drohne Abbildung (Symbolbild): Orlan-10 Aufklärungsdrohne (2013).65 (Bekannte Drohnen aus armenischer Produktion sind ähnlich groß und dürften ähnlich bescheidene Leistungen vorweisen). 63 Siehe auch: Krunk (UAV), Wikipedia, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/Krunk_UAV 64 Siehe auch: Orlan-10, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Orlan-10 65 Orlan-10 Aufklärungsdrohne bei der Fachausstellung „Integrated Safety and Security 2013“, Vitaly V. Kuzmin, 24. May 2013, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, abgerufen am 16. Januar 2021 über Wikipedia unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Integrated_Safety_and_Security_Exhibition _2013_(500-45).jpg Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 17 5.1.5.3. Aserbaidschanischer Drohnenbestand am Anfang des Krieges66 67 Waffentyp Anmerkungen Bayraktar TB268 Drohne aus türkischer Produktion, ab Juni 2020 gekauft Meist mit leichter Munition ausgestattet Die Drohne kann bis zu 24 Stunden in der Luft bleiben Harop69 Herumlungernde Munition; gekauft von Israel zwischen 2014 und 2016 Entwickelt, um feindliche Radarstellungen bei Missionen zur Unterdrückung feindlicher Flugabwehr zu zerstören.70 Auch bekannt unter „Harpy 2“, kann bis zu 6 Stunden in der Luft kreisen. Geschätzter Bestand: 50 Orbiter 1K71 Herumlungernde Munition gekauft von Israel zwischen 2016 und 2019 Geschätzter Bestand: 80 66 Vgl.: Shaikh und Rumbaugh. Übersetzung des Verfassers. 67 Diese tabellarische Zusammenfassung korreliert mit anderen Daten und Publikationen und kann daher als „überwiegend belastbar“ gelten. Aufgrund von zweifelhaften Propaganda-Meldungen der Kontrahenten einerseits und der berechtigten Geheimhaltung der Konfliktparteien über ihre realen Fähigkeiten andererseits, ist jedoch eine gewisse Unschärfe der Zahlen sehr wahrscheinlich. 68 Die Bayraktar TB2 (zu Deutsch:„Fahnenträger“ TB2) wird von der 1984 gegründeten türkischen Firma Makina produziert. Laut eigener Bekundung zählt Baykar 1.100 Angestellte und hat bis dato 400 Drohnen ausgeliefert. Vgl. We are Baykar, Baykar Defense, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://baykardefence.com/We-arebaykar .html 69 Das „Harop Loitering Munition System“ (Harop Herumlungerndes Munitionssystem) wird von der staatseigenen israelischen Firma Israel Aerospace Industries (IAI) produziert und basiert auf den Vorgänger „Harpy“, weshalb die Bezeichnung „Harpy 2“ anstelle von „Harop“ manchmal anzutreffen ist. Laut dem Hersteller ist die „Harop“ ein herumlungerndes Distanz- und Angriffswaffensystem (Standoff Loitering Attack Weapon System), das Ziele lokalisieren und präzise angreifen kann. Dieses System kann laut Hersteller: 9 Stunden in der Luft bleiben, bis zu 200 Kilometer Entfernung Verbindung zu seiner Basis halten, eine Geschwindigkeit von 225 Kn (ca. 416 km/h) sowie eine Flughöhe von 15,000 ft (ca. 4.572 m) erreichen, und einen Sprengkopf von 16kg mit einer Genauigkeit von unter einem Meter zum Einsatz bringen. Darüber hinaus könne die Harop Angriffe in jeden Winkel – also auch im Sturzflug – durchführen, so dass sie in einer solchen Flugphase, nur äußerst schwer abzufangen sein dürfte. Vgl. Harop Loitering Munition System, Israel Aerospace Industries, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.iai.co.il/p/harop 70 „Suppression of Enemy Air Defences“ (SEAD), zu Deutsch: Unterdrückung feindlicher Flugabwehr. 71 Die „Orbiter 1K“ kann laut dem israelischen Hersteller Aeronautics Group bis zu 2,5 Stunden in der Luft bleiben, eine Geschwindigkeit von ca. 55-130km/h (30-70 Kn) sowie eine Flughöhe von bis zu 2.438 m (8.000 ft) erreichen und bis zu 100 km von seiner Basis entfernt zur Wirkung gebracht werden. Er trägt einen Sprengkopf von 3kg. Vgl. Aeronautics Group, Orbiter® 1K Loitering Munition UAS, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://aeronautics -sys.com/wp-content/themes/aeronautics/pdf/orbiter_1k_v2.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 18 Orbiter-372 73 (Laut den Autoren: „Herumlungernde Munition“) [Laut dem Datenblatt des Herstellers handelt es sich jedoch um einen Überwachungs- und Aufklärungsdrohne, A. d. V.]. Gekauft von Israel zwischen 2016 und 2017 Geschätzter Bestand: 10 SkyStriker74 Herumlungernde Munition gekauft von Israel zwischen 2016 und 2019 Flugdauer von 2 Stunden, Reichweite von 20 Kilometern, ausgestattet mit einem 5-kg oder 10-kg Sprengkopf Geschätzter Bestand: 100 Hermes-45075 Medium Altitude Long-Endurance (MALE)-Drohne. Gekauft von Israel zwischen 2008 und 2013 Geschätzter Bestand: 10 Hermes-90076 Medium Altitude Long-Endurance (MALE)-Drohne77. Gekauft von Israel zwischen 2017 und 2018 Entwickelt für Einsätze zur Informationsgewinnung, Überwachung und Aufklärung.78 Kann bis zu 36 Stunden in der Luft bleiben Geschätzter Bestand: 2 72 Überwachungs- und Aufklärungsdrohne. Vgl. Orbiter® 3 Small Tactical UAS, Aeronautics Group, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://aeronautics-sys.com/wp-content/themes/aeronautics/pdf/orbiter_3.pdf 73 Drohnen, wie der „Orbiter, Sky-Striker, der Heron, usw…“ werden manchmal als „Unmanned Aerial Systems“ (UAS) bezeichnet. Zu Deutsch: Unbemannte Flugsysteme. 74 Vgl. SkyStriker, Elbit Systems, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://elbitsystems.com/product/skystriker/ 75 Die Drohne ist eine Überwachungs- und Aufklärungsdrohne. Laut Hersteller kann sie bis zu 17 Stunden in der Luft bleiben und erreicht eine Flughöhe von etwa 5.486 m (18.000 ft). Vgl. Hermes 450, Elbit Systems, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://elbitsystems.com/products/uas/hermes-450/ 76 Die Drohne ist eine ISTAR-fähige Überwachungs- und Aufklärungsdrohne. (ISTAR steht für „Intelligence, Surveillance, Target Acquisition And Reconnaissance“. Zu Deutsch: Informationsgewinnung, Überwachung, Zielerfassung und Aufklärung). Laut Hersteller kann dieses Modell bis zu 36 Stunden in der Luft bleiben und erreicht eine Flughöhe von etwa 9.144 m (30.000 ft). Vgl. Hermes 900, Elbit Systems, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://elbitsystems.com/products/uas/hermes-900/ 77 Medium Altitude Long Endurance (MALE), zu Deutsch in etwa „Mittlere Flughöhe Lange Ausdauer“. Es handelt sich um Drohnen, die in der Regel in der Lage sind, eine konstante Flughöhe zwischen etwa 5.000 und 15.000 m (15.000 - 45.000 ft) zu halten und ca. 24 Stunden in der Luft bleiben können. Bekanntestes Muster in dieser Kategorie ist der US-amerikanische General Atomics MQ-1 Predator. (Vgl. MQ-1B Predator, 23. September 2015, US Air Force, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://www.af.mil/About-Us/Fact-Sheets/Display/Article /104469/mq-1b-predator/ 78 Intelligence, Surveillance and Reconnaissance (ISR). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 19 Heron79 Medium Altitude Long-Endurance (MALE)-Drohne. Gekauft von Israel zwischen 2011 und 2013 Geschätzter Bestand: 5 Aerostar80 Aufklärungsdrohne gekauft von Israel zwischen 2007 und 2012 Geschätzter Bestand: 2 Searcher81 Drohne zwischen 2011 und 2013 von Israel gekauft Geschätzter Bestand: 5 Antonov An-282 Einmotoriger Doppeldecker aus sowjetischen Zeiten Umgebaut als Drohne mit Fernsteuerungssystemen 79 Der „Heron“ ist eine ISTAR-fähige Überwachungs- und Aufklärungsdrohne. (ISTAR steht für „Intelligence, Surveillance, Target Acquisition And Reconnaissance“. Zu Deutsch: Informationsgewinnung, Überwachung, Zielerfassung und Aufklärung). Die „Heron“ wird von der staatseigenen israelischen Firma Israel Aerospace Industries (IAI) produziert. Laut Hersteller kann dieses Modell bis zu 45 Stunden in der Luft bleiben und erreicht eine Flughöhe von etwa 10.688 m (35.000 ft). Vgl. Heron Multi-Role MALE RPAS, Israel Aerospace Industries, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.iai.co.il/drupal/sites/default/files/2019-05/Heron%20Brochure .pdf (MALE RPAS steht für Medium Altitude Long Endurance Remotely Piloted Air System). Die „Heron“ ist die Standard-Aufklärungsdrohne der Bundeswehr. Vgl. Die Drohne Heron 1 – lautlose Aufklärung aus der Luft, Bundeswehr, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.bundeswehr.de/de/ausruestung-technik-bundeswehr /luftsysteme-bundeswehr/drohne-heron-1 80 Überwachungs- und Aufklärungsdrohne. Vgl. Aerostar Tactical UAS, Aeronautics Group, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://aeronautics-sys.com/wp-content/themes/aeronautics/pdf/aerostar.pdf 81 Der „Searcher“ ist eine Aufklärungsdrohne, kleiner als der IAI Heron. Vgl. Searcher Mk III, Israel Aerospace Industries (IAI), abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.iai.co.il/p/searcher-mk-iii (Es ist nicht bekannt in welcher Iteration die aserbaidschanischen Drohnen sind.) 82 Diese überalterten, zu „Drohnen“ umgebauten, Flugzeuge haben dazu gedient, die armenischen Flugabwehrsysteme zu ködern, damit diese ihre Position verraten und/oder ihren Munitionsvorrat verfeuern. ("Designed in the late 1940s, those Soviet-era biplanes are now mostly used as crop dusters or to fight forest fires. They are widely considered as “unusable” in modern combat. But Shahbazov says Baku fitted its Antonov AN-2s out so they could be piloted by remote control at low altitudes over the Armenian air defenses. “They prepared camouflage to make them look like drones,” Shahbazov explains. “The Armenians posted videos of what they thought were drones being shot down by their air defenses.” “What was really happening is that whenever the Armenians hit an AN-2 with its air defenses, the real Azerbaijani surveillance drones at higher altitudes were able to identify their positions precisely and easily destroy all of these air defenses.” in Technology, Tactics, And Turkish Advice Lead Azerbaijan To Victory In Nagorno-Karabakh, Ron Synovitz, Radio Free Europe / Radio Liberty,13. November 2020, abgerufen am 19. Januar 2020 unter https://www.rferl.org/a/technology-tactics-and-turkish-advice-leadazerbaijan -to-victory-in-nagorno-karabakh/30949158.html Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 20 Laut der Fachpublikation „UAS Vision“ mit Bezug auf eine Meldung der „Azeri Press Agency“ (APA), hätten die Aserbaidschaner darüber hinaus 60 Aeronautics Defense Systems Aerostar in Lizenz produziert und ab Ende 2011 in den Dienst gestellt. Es ist unbekannt, ob diese Drohnen 2020 noch im Dienst waren.83 83 Azerbaijani Armed Forces to Receive 60 New UAS by End of 2011, UAS Vision, 26. September 2011, abgerufen am 27. Januar 2020 unter https://www.uasvision.com/2011/09/26/azerbaijani-armed-forces-to-receive-60-newuas -by-end-of-2011/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 21 5.1.5.4. Beispiele für von Aserbaidschan eingesetzte Drohnen Abbildung (Symbolbild): Türkische Drohne vom Typ Bayraktar TB284 Abbildung (Symbolbild): IAI Heron aus israelischer Produktion85 84 Bayraktar TB2 Runway, Bayhaluk, 6. November 2014, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, abgerufen am 16. Januar 2021 über Wikipedia unter https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bayraktar _TB2_Runway.jpg (Bild nachbearbeitet: Umwandlung in schwarz-weiß). 85 IAI Heron 1 UAV in flight at Naval Air Station, Falon, Nevada, USA, Reynaldo Ramon, US Air Force, Lizenz: US Public Domain, abgerufen am 16. Januar 2021 über Wikipedia unter https://commons.wikimedia .org/wiki/File:IAI_Heron_1_in_flight_2.jpeg (Bild nachbearbeitet: Umwandlung in schwarz-weiß). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 22 Abbildung (Symbolbild): Elbit Hermes 450 aus israelischer Produktion86 Abbildung (Symbolbild): Elbit Hermes 900 aus israelischer Produktion87 86 Elbit Hermes 450 Unmanned Aerial Vehicle (UAV) of U.S. Customs and Border Protection, Gerald L. Nino, United States Department of Homeland Security, 25 Juni 2004, Lizenz: US Public Domain, abgerufen am 16. Januar 2021 über Wikipedia unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hermes_450.jpg (Bild nachbearbeitet: Umwandlung in schwarz-weiß) 87 Elbit System UAV Hermes 900 (4X-UMB) at Emmen Switzerland, Martin Thoeni, 12 October 2012, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, abgerufen am 16. Januar 2021 über Wikipedia unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:4X-UEB_01_MartinThoeni.jpg (Bild nachbearbeitet: Umwandlung in schwarz-weiß) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 23 5.1.5.5. Bewertung Zu der Frage, warum Drohnen in diesem Krieg so viel Aufmerksamkeit erregten, kommen Shaikh und Rumbaugh zu folgender Einschätzung:88 „Wie bereits in zahlreichen aktuellen Berichten argumentiert wurde, waren diese Waffen entscheidend. Aserbaidschanische Drohnen brachten erhebliche Vorteile im Rahmen der Informationsgewinnung [ISR, A.d.Ü.]89 und der Schlagfähigkeit auf Abstand. Sie ermöglichten es den aserbaidschanischen Streitkräften, Ziele zu finden, festzusetzen und zu zerstören, auch weit über die Frontlinien hinaus. Unbemannte Luftfahrzeuge wurden mit bemannten Flugzeugen zur Durchführung von Luftschlägen und mit bodengestützter Artillerie zur Feuerunterstützung in den Operationen integriert, aber die Drohnen nutzten auch oft ihre mitgeführten Waffen um militärische Hochwertziele90 zu zerstören. (…) Insbesondere die in der Türkei hergestellte Bayraktar TB2 stellte die Vielseitigkeit von Drohnen unter Beweis. Die Türkei hatte diese Drohnen zuvor in Syrien und Libyen mit großem Erfolg eingesetzt. In Bergkarabach zeigte die TB2 ebenfalls eine gute Fähigkeit zur Aufklärung und Zerstörung der gegnerischen Verteidigung. Die TB2 lieferten nicht nur Identifikations- und Zieldaten, sondern waren auch mit intelligenter Micro Munition91 ausgestattet, um Ziele direkt anzugreifen. Aserbaidschan hat die hochauflösenden Kameras, mit denen die TB2 ausgestattet sind, zudem verwendet, um zahlreiche Propagandavideos zu produzieren.“92 Zugleich weisen Shaikh und Rumbaugh daraufhin, dass Drohnen zwar eine große Rolle in dem Krieg gespielt hätten, betonen aber zugleich, dass die Bedeutung von Drohnen nicht überschätzt werden sollte, da sie durch geeignete Abwehrsysteme grundsätzlich abgewehrt werden können. Diese Systeme hätten den Armeniern jedoch nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung gestanden. 88 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. 89 Intelligence, Surveillance and Reconnaissance (ISR) in etwa: „Informationsgewinnung, Überwachung und Aufklärung“. 90 Im Englischen: High-Value-Target (HVT). 91 Die Autoren sprechen von „Smart, micro guided munition“. Es dürfte sich um die MAM-C Smart Micro Munition (Antipersonen) oder MAM-L (Panzerbrechend) Smart Micro Munition des türkischen Herstellers Rocketsan handeln, die von der TB2 zum Einsatz gebracht werden können. Vgl. Baykar, Catalog, S. 33-35, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://www.baykarsavunma.com/upload/ingilizce/Baykar_catalog_eng.pdf ; MAM-L Smart Micro Munition, Rocketsan, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://www.roketsan.com.tr/en/product /mam-l-smart-micro-munition/ 92 Übersetzung des Verfassers. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 24 5.1.6. Jamestown Foundation Eine taktische Analyse der Kampfhandlungen des Krieges um Bergkarabach liefert der Analyst des amerikanischen Forschungsinstitutes Jamestown Foundation Fuad Shahbazov in seinem Aufsatz Tactical Reasons Behind Military Breakthrough in Karabakh Conflict.93 Der Autor beschreibt die Vorgehensweise Aserbaidschans, wie folgt:94 95 „Aserbaidschan machte sich eine neue Strategie der Kriegführung zum Eigen: Statt eines traditionellen Blitzkrieges, haben seine Streitkräfte auf intensive und präzise Artillerieschläge auf die befestigten armenischen Verteidigungslinien gesetzt. Diese Herangehensweise verringerte die Zahl menschlicher Opfer und überwand die Anfälligkeit ausgedehnter Versorgungslinien. Gleichzeitig erinnert dieses Vorgehen an die Militärdoktrin der meisten NATO-Mitgliedstaaten und unterstreicht deshalb auch, inwieweit Aserbaidschan das NATO-Mitglied Türkei als Vorbild für den Aufbau eines modernen, mobilen und effektiveren Militärs betrachtet."96 5.1.7. Zenith Magazin Im seiner Analyse Kamikazedrohnen über dem Kaukasus kommt Markus Reisner97, Oberst des Generalstabsdienstes des österreichischen Bundesheers, zu der Einschätzung, dass die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan zeigen würden, wie der Krieg der Zukunft aussehen wird.98 Drohnen falle dabei eine entscheidende Rolle zu. 93 Tactical Reasons Behind Military Breakthrough in Karabakh conflict, Shahbazov, Fuad, Eurasia Daily Monitor, 3. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://jamestown.org/program/tactical-reasons-behindmilitary -breakthrough-in-karabakh-conflict/ 94 Vgl. dazu auch: Drohnen und Diplomatie, Silvia Stöber, Internationale Politik, Januar/Februar 2021, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://internationalepolitik.de/de/drohnen-und-diplomatie 95 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. 96 Übersetzung des Verfassers. 97 Vgl. auch: Robotic Wars: Legitimatorische Grundlagen und Grenzen des Einsatzes von Military Unmanned Systems in modernen Konfliktszenarien, Markus Reisner, Miles-Verlag, 2018, 392 S. 98 Kamikazedrohnen über dem Kaukasus, Markus Reisner, 30. September 2020, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://magazin.zenith.me/de/politik/militaer-im-bergkarabach-konflikt Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 25 Reisner führt zudem an: „Während also viele europäische Armeen bis heute über keine potenten MALE-Systeme99 zum Schutz ihrer Soldaten verfügen, machen kleine Staaten in Krisenregionen oder gar terroristische Organisationen vor, wie in Zukunft Kriege geführt werden. Und wenn es so einfach fällt, ohne Risiko dem Gegner „Kamikaze“-Drohnen vorbeizuschicken, fällt wohl auch jede Hemmung, die das humanitäre Völkerrecht vorgibt.“ 99 Medium Altitude Long Endurance (MALE), zu Deutsch in etwa „Mittlere Flughöhe Lange Ausdauer“. Es handelt sich um Drohnen, die in der Regel in der Lage sind, eine konstante Flughöhe zwischen etwa 5.000 und 15.000 m (15.000 - 45.000 ft) zu halten und ca. 24 Stunden in der Luft bleiben können. Bekanntestes Muster in dieser Kategorie ist der US-amerikanische General Atomics MQ-1 Predator. (Vgl. MQ-1B Predator, 23. September 2015, US Air Force, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://www.af.mil/About-Us/Fact-Sheets/Display/Article /104469/mq-1b-predator/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 26 Abbildung: Herumlungernde Munition bzw. sog. „Kamikaze-Drohne“ vom Typ Israel Aerospace Industries (IAI) „Harop“100. Die Drohne ist etwa 2 Meter lang und ist mit einem 23kg-Sprenkopf bewaffnet101. Sie kostete 2009 um die 10 Millionen US-Dollar pro Stück.102 In Bergkarabach wurde sie erstmalig während der Kämpfe des Jahres 2016 eingesetzt.103 100 IAI Harop UAV auf der Paris Air Show 2013, Julian Herzog, Wikimedia, Lizenz: GNU Free Documentation License v1.2, abgerufen am 16. Januar 2021 über Wikipedia unter https://commons.wikimedia .org/wiki/File:IAI_Harop_PAS_2013_02.jpg (Bild nachbearbeitet: Umwandlung in schwarz-weiß, Entfernung des Aufstellungsmastes) 101 Harop Loitering Munitions UCAV System, AirforceTechnology, abgerufen am 16. Januar 2021 unter https://www.airforce-technology.com/projects/haroploiteringmuniti/ 102 IAF plans to induct Harop UCAV by 2011, The Economic Times, 30. September 2009, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://economictimes.indiatimes.com/news/politics-and-nation/iaf-plans-to-inductharop -ucav-by-2011/articleshow/5073678.cms 103 Israeli-made kamikaze drone spotted in Nagorno-Karabakh conflict, Thomas Gibbons-Neff, 5. April 2016, Washington Post, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://www.washingtonpost.com/news/checkpoint /wp/2016/04/05/israeli-made-kamikaze-drone-spotted-in-nagorno-karabakh-conflict/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 27 5.1.8. Foreign Policy In dem Artikel No, Drones Haven’t Made Tanks Obsolete, erschienen in der Fachzeitschrift „Foreign Policy“, argumentiert der Autor Robert Batman, die Zerstörung der Panzer im Bergkarabach-Konflikt sei nicht moderner Technologie geschuldet, sondern vielmehr schlechtem Training sowie den Besonderheiten des Geländes.104 Laut Batman zeige der Krieg um Bergkarabach nicht, wie von einigen Experten diskutiert wurde, das Ende des Panzers.105 Er kommt stattdessen zu folgender Schlussfolgerung:106 „Die Gefechte in Bergkarabach sagen nichts über das Ende des Panzers aus. Vielmehr zeigt der Krieg zwei unzureichend trainierte und ausgestattete Streitkräfte, die ihre Stellungen nicht richtig geschützt haben und sich auf dem Servierteller präsentierten. Dieser Krieg zeigt auch die Macht schnell produzierter Propaganda- Videos mit völlig übertriebenen Behauptungen im Zeitalter der Sozialen Medien. Dennoch müssen Lehren aus dem Konflikt gezogen werden. Westeuropäische Streitkräfte und bis zu einem gewissen Grad auch die USA unterschätzen die Luftverteidigung. Drohnen werden eine zunehmende Bedrohung darstellen – aber billige Drohnen können auch leicht abgeschossen werden. Effizient organisierte und moderne Streitkräfte, die im Rahmen einer Operation verbundener Kräfte107 eingesetzt werden, können diese Bedrohung, sogar ohne Luftüberlegenheit, abwehren. Bei einer Konfrontation mit Exerzierplatz-Streitkräften, die das Großteil ihrer Budgets nicht in Ausbildung sondern in den Kauf der neuesten Spielzeuge investiert haben, wird sich jedwede moderne professionelle Streitkraft weiterhin durchsetzen können.“108 104 No, Drones Haven’t Made Tanks Obsolete, Robert Batman, Foreign Policy, 15. Oktober 2020, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://foreignpolicy.com/2020/10/15/drones-tanks-obsolete-nagorno-karabakh-azerbaijanarmenia / 105 Siehe dazu: Does the Nagorno-Karabakh Conflict Prove the Tank is Toast?, Peter Suciu, The National Interest, 5. Oktober 2020, abgerufen am 19. Januar unter https://nationalinterest.org/blog/buzz/does-nagorno-karabakhconflict -prove-tank-toast-170155 106 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. 107 In der Bundeswehr auch als „Gefecht der verbundenen Waffen“ bis 2007 bezeichnet. 108 Übersetzung des Verfassers. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 28 5.1.9. The Defense Post Der Forscher John Flannelly erklärt in seinem Fachbeitrag, Drone Effectiveness Against Air Defenses, Not Tanks, Is the Real Concern,109 dass die wichtigste Lehre aus dem Krieg – und somit die künftige Gefahr, die Überwindung und Ausschaltung der Flugabwehr mittels Drohneneinsatz sei: “Panzer sind nicht das wirkliche Problem. (…) Die Fähigkeit der Türkei und Aserbaidschans, syrische und armenische Flugabwehrsysteme auszuschalten, sagt viel mehr über die Zukunft der Kriegführung aus. In Syrien überwältigte die türkische Drohnenflotte von Bayraktar TB2, Anka-S110 und von Kamikaze-Drohnen vom Typ Harop (mit Hilfe elektronischer Kampfführungsmaßnahmen) die syrische Flugabwehr. Dies war der erste Einsatz von „Drohnenschwärmen“ auf einem modernen Schlachtfeld. Mit dieser Taktik konnten die türkischen Streitkräfte relativ fortschrittliche Luftverteidigungssysteme wie das in Russland hergestellte Buk-M1 oder das ebenfalls in Russland hergestellte Pantsir S-1 zerstören. Dabei wurde die Pantsir S-1 von den Russen immer als gut geeignet für die Verteidigung gegen Drohnen gepriesen. Nachdem die syrische Flugabwehr entweder ausgeschaltet oder überfordert war, setzten die türkischen Streitkräfte unbewaffnete Aufklärungsdrohnen ein, um andere syrische Flugabwehrsysteme, Panzer, Artillerie-Stellungen, Fahrzeuge und übrige Verteidigungsstellungen aufzuklären, sodass bewaffnete Drohnen und Artillerie sie ebenfalls zerstören konnten. Die Türkei exportierte dieses Know-how nach Aserbaidschan in Form von Militärberatern und Bayraktar Drohnen sowie von in Israel hergestellten Harop- Drohnen111. Aserbaidschanische Streitkräfte setzten ihre Drohnen in ähnlicher Weise gegen armenische Streitkräfte ein, was ebenso verheerende Auswirkungen hatte, zumal die Flugabwehrsysteme der Armenier, im Vergleich zu denen der syrischen Armee, weniger modern oder gar obsolet waren. 109 Drone Effectiveness Against Air Defenses, Not Tanks, Is the Real Concern, John Flannelly, 7. Dezember 2020, The Defense Post, abgerufen am 24. Januar 2021 unter https://www.thedefensepost.com/2020/12/07/drone-effectiveness -air-defense/ 110 Eine unbewaffnete MALE-Drohne, vgl. Anka Multi-Role ISR System, Turkish Aerospace, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://www.tusas.com/en/product/anka-multi-role-isr-system 111 Aserbaidschan hat zwischen 2014 und 2016 „Harop“-„Kamikaze-Drohnen“ aus Israel gekauft. Die Angabe des Autors, dass die Türkei weitere „Harop“ im Rahmen des Krieges an Aserbaidschan geliefert haben könnte, konnte nicht verifiziert werden. Allerdings kann Fachpublikationen entnommen werden, dass die Türkei im Rahmen eines 100 Millionen-US-Dollar-Vertrags 2005 der erste Kunde für „Harop“-Drohnen gewesen sei. Vgl. Harop Loitering Munitions UCAV System, Airforce Technology, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://www.airforce-technology.com/projects/haroploiteringmuniti/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 29 Die Fähigkeit der Türkei und Aserbaidschans, mit Drohnen ganze Luftverteidigungssysteme auszuschalten, gibt größeren Anlass zur Sorge, als die Wirksamkeit ihrer Drohnen gegen Panzer. Wenn Panzer keine Flugabwehr haben oder keine Luftraumssicherung erfahren können, sind sie Luftangriffen ausgeliefert. Ein zentraler Grundsatz der Operationen verbundener Kräfte ist, dass die Flugabwehr und die Luftraumherrschaft zum Schutz der Bodentruppen entscheidend sind. Die Türkei und Aserbaidschan haben gezeigt, wie Drohnen eingesetzt werden können, um Flugabwehrsysteme kostengünstig und ohne Risiko für das Leben von Piloten zu durchdringen und zu zerstören. Vor diesem Hintergrund dürfte der Markt für den Erwerb von bewaffneten und unbewaffneten Drohnen enorm wachsen. Die Wirksamkeit von Drohnen gegen Flugabwehrsysteme in Syrien und Bergkarabach sollte (...) Analysten aus zwei Gründen beunruhigen: Erstens waren die Drohnen, die von türkischen und aserbaidschanischen Streitkräften eingesetzt wurden, kostengünstig und in keiner Weise mit Tarnkappentechnologien ausgestattet. Insbesondere in Syrien bestand das Problem nicht darin, dass die syrische Luftverteidigung türkische Drohnen nicht verfolgen und anvisieren konnte, sondern dass sie nicht genug von ihnen verfolgen und anvisieren konnten. Dies gibt uns Anlass zur Sorge Nummer zwei. Wenn billige Drohnen so viel Chaos anrichten können, kann man sich vorstellen, was Tarnkappendrohnen anrichten werden. Mit Hilfe von Maßnahmen zur elektronischen Kampfführung könnte eine Kombination der beiden [Drohnentypen, E.d.Ü.] in ausreichender Anzahl ausschwrämen und dadurch sogar in der Lage sein, die fortschrittlichsten integrierten Luftverteidigungssysteme zu überwältigen.” 5.2. Drohnen und Propaganda Beide Seiten veröffentlichten seit Beginn der militärischen Auseinandersetzungen Videos und Bilder und führten auch im Internet einen „Kampf der Bilder.“112 113 Doch selbst ungeachtet der militärisch unvorteilhaften Position, die kaum Raum für Erfolgsmeldungen ließ, war Armenien Aserbaidschan in diesem Kampf hoffnungslos unterlegen, denn Armenien hatte keine dramatisch wirkenden Bilder aus der Vogelperspektive zu bieten. Aufgrund des qualitativ und quantitativ 112 Bergkarabach-Konflikt im Netz – Armenien, Aserbaidschan und der Bilder-Krieg, zdf.de, 16. Oktober 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.zdf.de/nachrichten/politik/armenien-aserbaidschan-bergkarabach -krieg-propaganda-100.html. 113 Eine Analyse, wie die vielen Videos und Bilder der staatlichen Stellen sowie der Berichterstatter vor Ort bewertet werden können, liefert der Artikel: What Open Source Evidence Tells Us About The Nagorno-Karabakh War, 23. Oktober 2020, Forbes Magazine, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.forbes.com/sites/sebastienroblin /2020/10/23/what-open-source-evidence-tells-us-about-the-nagorno-karabakh-war/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 30 hochwertigen Bild- und Videomaterials aus Drohnen und der damit einhergehenden Dramatisierung und Ästhetisierung des Kampfgeschehens verfügte Aserbaidschan im Propagandakrieg über einen entscheidenden Vorteil. 5.2.1. Human Security Center Der Analyst Jack Davis von der britischen Denkfabrik Human Security Center (HSC) in London schreibt hierzu in seinem Beitrag Unmanned Aerial Systems in Nagorno-Karabakh: A Paradigm Shift in Warfare? , ein unterschätzter Aspekt des Einsatzes von Drohnen sei ihre Fähigkeit Propagandavideos zu erstellen.114 Diesen Faktor habe insbesondere Aserbaidschan für sich genutzt. Er kommt zu folgender Einschätzung:115 „Die vielleicht eindrucksvollste Lehre aus diesem Krieg, ist die Fähigkeit, Überlegenheit ins Internet zu projizieren mittels Propaganda-Bildern, die von einer hoch über dem Schlachtfeld kreisenden Flotte unbemannter Kameras aufgenommen werden. Dieser Fähigkeit wird in zukünftigen Kriegen vermutlich eine Schlüsselrolle zukommen. Die psychologischen Auswirkungen einer solchen Zerstörungskraft dürfen von zukünftigen Planern nicht unterschätzt werden.“116 5.2.2. War on the Rocks Die Analysten Michael Kofman und Leonid Nerisisyan weisen in ihrem Beitrag The Second Nagorno-Karabakh War, Two weeks in, in der Internet-Fachpublikation „War on the Rocks“ darauf hin, Fehlinformationen und Propaganda würden es erschweren, den Kampfverlauf objektiv zu bewerten.117 Auf dem modernen Schlachtfeld verfügten zwar einige Systeme über Kameras und Video-Feeds, aber bei weitem nicht alle. Ein Social-Media-Feed der überwiegend aus Videomaterial von Drohnen bestehe, könne den Eindruck einer Dominanz dieser Systeme erwecken, auch wenn in einem Konflikt ebenso Verluste durch Panzer, Artillerie und Raketenwerfer verursacht würden. 114 Unmanned Aerial Systems in Nagorno-Karabakh: A Paradigm Shift in Warfare?, Jack Davies, Human Security Center, 24. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter http://www.hscentre.org/uncategorized/unmanned -aerial-systems-in-nagorno-karabakh-a-paradigm-shift-in-warfare/ 115 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation 116 Übersetzung des Verfassers. 117 The Second Nagorno-Karabakh War, Two weeks in, Michael Kofman und Leonid Nerisisyan, War on the Rocks, 14. Oktober 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://warontherocks.com/2020/10/the-second-nagornokarabakh -war-two-weeks-in/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 31 5.2.3. Meldungen der Selbstverteidigungskräfte der Republik Arzach Die folgenden Standbilder sind einer Video-Pressemitteilung der Selbstverteidigungskräfte der Republik Arzach vom 19. Oktober 2020 entnommen und zeigen den Sensoren- und Kamerakopf einer abgeschossenen Baykar Bayraktar TB2-Drohne aus türkischer Produktion sowie seine Seriennummer. Bis zum 22. Januar 2021 wurde das Video 69.580 Mal aufgerufen.118 119 Abbildung: Sensoren- und Kamerakopf eines abgeschossenen Baykar Bayraktar TB2-Drohne; Selbstverteidigungskräfte der Republik Arzach, Video vom 19. Oktober 2020 bei 0:00 Min. 118 YouTube-Kanal: ԱՀ ՊԱՇՏՊԱՆՈւԹՅԱՆ ԲԱՆԱԿ NKR Defense Army, Titel des Videos: Հակառակորդի հերթական ոչնչացված ԱԹՍ ն (in etwa: Eine weitere zerstörte feindliche Drohne [Maschinell basierte Kontextübersetzung, A.d.Ü.], publiziert am 19. September 2020 auf YouTube, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.youtube .com/watch?v=Hz86Fl9jITo 119 Nachträgliche Bildbearbeitung: Konvertierung in schwarz-weiß. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 32 Abbildung: Seriennummer eines abgeschossenen Baykar Bayraktar TB2-Drohne; Selbstverteidigungskräfte der Republik Arzach, Video vom 19. Oktober 2020 bei 0:24 Min. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 33 5.2.4. Meldungen des aserbaidschanischen Verteidigungsministeriums Die folgende Bildstrecke dokumentiert beispielhaft für viele die Informationsarbeit Aserbaidschans anhand von Stillbildern aus einem auf YouTube am 28. September 2020 publizierten Propaganda-Video des aserbaidschanischen Verteidigungsministeriums.120 121 Verteidigungsministerium der Republik Aserbaidschan, Video vom 28. Sept. 2020 bei 0:04 Min. 120 YouTube-Kanal: Azərbaycan Respublikası Müdafiə Nazirliyi (Ministry of Defense of the Republic of Azerbaijan), Titel des Videos: Düşmənin daha bir neçə hərbi texnikası məhv edilib (Mehrere andere feindliche Militärfahrzeuge wurden zerstört) [Maschinell basierte Kontextübersetzung, A.d.Ü.], publiziert am 28. September 2020 auf YouTube, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=AuyzR4gJRwE und https://mod.gov.az/en/news/several-more-enemy-military-vehicles-were-destroyed-video-32395.html 121 Nachträgliche Bildbearbeitung: Konvertierung in schwarz-weiß. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 34 Verteidigungsministerium der Republik Aserbaidschan, Video vom 28. Sept. 2020 bei 0:07 Min. Verteidigungsministerium der Republik Aserbaidschan, Video vom 28. Sept. 2020 bei 0:11 Min. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 35 Verteidigungsministerium der Republik Aserbaidschan, Video vom 28. Sept. 2020 bei 0:18 Min. 5.3. Der Einfluss der Türkei 5.3.1. Heinrich-Böll-Stiftung Die Türkei unterstützte im Krieg um Bergkarabach ausdrücklich Aserbaidschan.122 In seinem Beitrag Instabiler Frieden – Bergkarabach nach dem Waffenstillstandsabkommen erläutert der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Tiflis (Georgien), Stefan Meister, die geopolitischen und innenpolitischen Konsequenzen des neu ausgehandelten Waffenstillstandsabkommens für die Länder des Südkaukasus. 123 122 Türkei-Russland-Partnerschaft im Krieg um Bergkarabach, Militarisierte Friedensstiftung mit Folgen für die Konflikttransformation“, Daria Isachenko, SWP-Aktuell 2020/A 88, November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020A88/ 123 Instabiler Frieden – Bergkarabach nach dem Waffenstillstandsabkommen, Stefan Meister, Heinrich Böll Stiftung, 18. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.boell.de/de/2020/11/18/krieg-und-waffenstillstand -bergkarabach-10-konsequenzen-fuer-den-suedkaukasus-und-die-eu Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 36 Seiner Einschätzung nach war:124 „[d]ie Unterstützung Aserbaidschans durch die Türkei […] das entscheidende Element für den militärischen Sieg Bakus. Dabei hat die Türkei nicht nur geholfen die Einsatzfähigkeit der aserbaidschanischen Armee durch gemeinsame Übungen zu verbessern, sondern auch durch die Lieferung von Drohnen an Aserbaidschan und deren technische Bedienung Baku einen militärischen Vorteil ermöglicht. Das aus mehreren Quellen bestätige Einschleusen von mindestens 2000 syrischen Kämpfern mit Unterstützung der Türkei, hat die Schlagkraft der aserbaidschanischen Armee nochmal erhöht.“125 Zugleich weist Meister darauf hin, dass auch Israel Aserbaidschan durch seine Waffenlieferungen einen entscheidenden militärischen Vorteil verschafft habe126. 5.3.2. Centrum für angewandte Türkeistudien (SWP) In dem Aufsatz Türkei-Russland-Partnerschaft im Krieg um Bergkarabach schildert Daria Isachenko, Wissenschaftlerin am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) die Interessenlage der Türkei im Krieg um Bergkarabach.127 Nach Ansicht der Autorin verfolge die Türkei im Bergkarabach-Konflikt zwei Ziele: „Zum einen will sie mit ihrer Unterstützung Aserbaidschans ein Gegengewicht zu den Unterstützern Armeniens bilden. Aus ihrer Sicht sind dies die drei Vorsitzenden der Minsk-Gruppe, die USA, Frankreich und Russland. Zum anderen will die Türkei mit einer Beteiligung am Verhandlungsprozess ihren Status als Regionalmacht festigen. […] Auch im Südkaukasus geht es Erdogan darum, der Türkei den ‚verdienten Platz in der Weltordnung‘ neben den USA und Russland zu sichern.“ 124 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. 125 Vgl. dazu auch: Als Söldner angeworben: Syrer als Kanonenfutter der Türkei, Daniel Hechler und Tina Fuchs, tagesschau.de, 23. Oktober 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.tagesschau.de/ausland/syriensoeldner -101.html 126 Zu den Beziehungen von Aserbaidschan und Israel siehe auch: Freundschaft plus, Peter Münch, Süddeutsche Zeitung, 1. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.sueddeutsche.de/politik/waffengeschaefte -freundschaft-plus-1.5101446 127 Türkei-Russland-Partnerschaft im Krieg um Bergkarabach, Militarisierte Friedensstiftung mit Folgen für die Konflikttransformation“, Daria Isachenko, SWP-Aktuell 2020/A 88, November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020A88/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 37 5.4. Die Rolle Russlands 5.4.1. European Council on Foreign Relations Gustav Gressel, Forscher am European Council on Foreign Relations (ECFR), kommt in seinem Beitrag Military lessons from Nagorno-Karabakh: Reason for Europe to worry zu folgender Bewertung: 128 „Aserbaidschan und die Türkei vertrauten auf den Erfolg ihrer Offensive, da Russland von Beginn des Krieges an, angedeutet hatte, dass es nicht die Absicht habe, die Armenier außerhalb ihrer anerkannten Grenzen zu unterstützen. Russland sah in dem militärischen Vorgehens Aserbaidschans auch ein Mittel zur Schwächung des armenischen Ministerpräsidenten Nikol Pashinyan, der die Revolution von 2018 anführte und das alte Regime beendete. Das aserbaidschanische Handeln würde Armenien zudem wahrscheinlich dazu veranlassen, zuvor ausgehandelte „Friedenspläne“ zu akzeptieren, die die geopolitische Position Moskaus stärken würden. Diese nachteilige politische Lage führte für die Armenier unmittelbar zu militärischen Nachteilen auf dem Schlachtfeld."129 5.4.2. Zeitschrift für Sicherheits- und Außenpolitik Vertiefend zur Schlüsselrolle Russlands im Bergkarabach-Krieg wird auf den Aufsatz Krieg und Frieden im Südkaukasus. Der ewige Konflikt um Berg-Karabach von Mikheil Sarjveladze in der Zeitschrift für Sicherheits- und Außenpolitik von Januar 2021 hingewiesen.130 Zur Rolle der externen Akteure im Bergkarabach-Krieg schreibt der Autor:131 „Über die Konfliktparteien hinaus wurde der Herbstkrieg 2020 sowie dessen Ausgang von zwei Schlüsselakteuren, nämlich Russland und der Türkei beeinflusst. Russland handelte den Deal vom 9. November in enger Abstimmung mit der Türkei aus. Dadurch demonstrierte Moskau nicht nur die eigene Macht, sondern auch die 128 Military lessons from Nagorno-Karabakh: Reason for Europe to worry, Gustav Gressel, European Council on Foreign Relations, 24. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://ecfr.eu/article/military-lessonsfrom -nagorno-karabakh-reason-for-europe-to-worry/ 129 Übersetzung des Verfassers. 130 Krieg und Frieden im Südkaukasus. Der ewige Konflikt um Berg-Karabach, Mikheil Sarjveladze, Zeitschrift für Sicherheits- und Außenpolitik, 7. Januar 2021, abgerufen am 14. Januar unter https://link.springer.com/article /10.1007/s12399-020-00831-8#citeas 131 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation dieser Dokumentation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 38 Machtlosigkeit der westlichen Akteure. Die Botschaft an Armenien und Aserbaidschan lautete, es führe kein Weg an Russland vorbei.“ 6. Sicherheitspolitische Lehren 6.1. Massiver und geplanter Einsatz von Drohnen Obgleich die aserbaidschanische Regierung – und die offiziellen türkischen Medien – betonen, Aserbaidschan hätte bloß mit einer Gegenoffensive auf wiederholte Provokationen der Armenier reagiert,132 133 muss schon anhand des Beschaffungsprozesses der aserbaidschanischen Drohnen festgestellt werden, dass Aserbaidschan eine militärische Operation spätestens seit dem verlorenen Scharmützel von 2016 vorbereitet haben dürfte (ungeachtet dessen, welche Partei 2020 den Konflikt wieder in Gang gesetzt hat). Auch die markante Erhöhung des Verteidigungsetats Aserbaidschans zwischen 2019 und 2020 ist ein Indiz für eine spätestens schon 2019 geplante und bevorstehende Operation. 134 Zusätzlich zu den 2014-2016 gekauften, geschätzt 50, „Kamikaze-Drohnen“ vom Typ IAI Harop, beschaffte Aserbaidschan zwischen 2016 und 2019 geschätzte 180 „Kamikaze-Drohnen“ aus Israel: (80 Orbiter 1K und 100 SkyStriker der Firma Aeronautics Defense Systems).135 Aus israelischen Medien war im Jahr 2017 sogar zu entnehmen, dass das israelische Verteidigungsministerium der Firma Aeronautics Defense Systems ihre Exportlizenz entzogen hatte, denn während einer Vorführung hatten Angestellte von Aeronautics Defense Systems, wohl auf 132 Nagorno-Karabakh: A frozen conflict erupts, Turan Gafarli, 30. September 2020, TRT World, abgerufen am 19. Januar 2020 unter https://www.trtworld.com/opinion/nagorno-karabakh-a-frozen-conflict-erupts-40172 133 Azerbaijan Army’s Troops launched a counter-offensive operation along the entire front, Pressemitteilung, Verteidigungsministerium der Republik Aserbaidschan, 27. September 2020 - 09:10 Uhr, abgerufen am 19. Januar 2020 unter https://mod.gov.az/en/news/azerbaijan-army-s-troops-launched-a-counter-offensive-operation-alongthe -entire-front-32318.html 134 Azerbaijan Military Spending, GlobalSecurity, 28. Februar 2020, abgerufen am 22. Januar unter https://www.globalsecurity .org/military/world/azerbaijan/budget.htm 135 The Air and Missile War in Nagorno-Karabakh: Lessons for the Future of Strike and Defense, Shaan Shaikh, und Wes Rumbaugh, Center for Strategic and International Studies, 8. Dezember 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.csis.org/analysis/air-and-missile-war-nagorno-karabakh-lessons-future-strike-and-defense Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 39 aserbaidschanische Veranlassung, eine scharfe Orbiter 1K-„Kamikaze-Drohne“ auf eine reale armenische Position mit voller Absicht stürzen lassen.136 137 Vor dem Krieg besaßen die Aserbaidschaner eine – schon beeindruckende – Anzahl von Aufklärungsdrohnen, darunter 17 MALE-Drohnen138 (5 IAI Heron, 10 Elbit Hermes 450 und 2 Elbit Hermes 900) sowie 29 kleinere taktische Aufklärungsdrohnen (14 Aeronautics Aerostar, 10 Aeronautics Orbiter 3, und 5 IAI Searcher).139 Zum Vergleich stehen der Bundeswehr in der MALE-Klasse nur zwei Systeme IAI Heron mit jeweils drei Luftfahrzeuge zur Verfügung.140 Letztlich ist zu beobachten, dass die Anschaffung141 einer unbekannten Anzahl von kriegsbestimmenden MALE-Drohnen vom Typ Bayraktar TB2 der türkischen Firma Baykar wohl im Juni 2020 erfolgte.142 Stimmt diese Angabe, so wäre diese Anschaffung in direkten Zusammenhang mit den Gefechten von Juli 2020 und dem darauffolgenden 44-tägigen Krieg von September bis November zu betrachten. Darüber hinaus müsste die Frage aufgeworfen 136 Vgl. Complaint claims Israeli drone maker tried to bomb Armenian army for Azeris, Judah Ari Gross, The Times of Israel, 14. August 2017, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.timesofisrael.com/complaint-claimsisraeli -drone-maker-tried-to-bomb-armenian-army-for-azeris/ ; Drone sale to Azeris halted as maker accused of bombing Armenia in demo, Judah Ari Gross, The Times of Israel, 29. August 2017, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.timesofisrael.com/suicide-drone-sales-to-azeris-blocked-after-claim-it-hit-armenians-duringshow / 137 Laut dem israelischen Gesetz sind reale Angriffe im Rahmen einer Vorführung verboten. Laut der „Times of Israel“ sollen die Waffensystembediener die Durchführung des Angriffes zwar abgelehnt haben. Herbei gerufene höhere Angestellte der Delegation hätten jedoch den Angriff durchgeführt, aber mangels Erfahrung das Ziel verfehlt. Es seien keine Materialschäden oder Verletzte zu beklagen gewesen. Vgl. Complaint claims Israeli drone maker tried to bomb Armenian army for Azeris, Judah Ari Gross, The Times of Israel, 14. August 2017, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.timesofisrael.com/complaint-claims-israeli-drone-maker-tried-to-bomb-armenian -army-for-azeris/ 138 Medium Altitude Long Endurance (MALE), zu Deutsch in etwa „Mittlere Flughöhe Lange Ausdauer“. Es handelt sich um Drohnen, die in der Regel in der Lage sind, eine konstante Flughöhe zwischen etwa 5.000 und 15.000 m (15.000 - 45.000 ft) zu halten und ca. 24 Stunden in der Luft bleiben können. Bekanntestes Muster in dieser Kategorie ist der US-amerikanische General Atomics MQ-1 Predator. (Vgl. MQ-1B Predator, 23. September 2015, US Air Force, abgerufen am 19. Januar 2021 unter https://www.af.mil/About-Us/Fact-Sheets/Display/Article /104469/mq-1b-predator/ 139 The Air and Missile War in Nagorno-Karabakh: Lessons for the Future of Strike and Defense, Shaan Shaikh, und Wes Rumbaugh, Center for Strategic and International Studies, 8. Dezember 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.csis.org/analysis/air-and-missile-war-nagorno-karabakh-lessons-future-strike-and-defense 140 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Michel Brandt, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, 6. März 2018, Deutscher Bundestag, Drucksache 19/1082, S. 8, abgerufen am 26. Januar 2021 unter http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/19/010/1901082.pdf 141 Vorstellbar wäre auch, dass die eingesetzten Drohnen aus Beständen des türkischen Militärs entnommen bzw. ausgeliehen wurden. 142 Azerbaijan to buy armed drones from Turkey, Burak Ege Bekdil, Defense News, 25. Juni 2020, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.defensenews.com/unmanned/2020/06/25/azerbaijan-to-buy-armed-drones-fromturkey / Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 40 werden, wer die Drohnen letztendlich bedient hat. Es ist wenig glaubwürdig, dass innerhalb von so kurzer Zeit das aserbaidschanische Militär in der Lage gewesen sein könnte, Piloten, Sensorenbediener, Taktiker und Unterstützungspersonal so auszubilden, dass sie mit dem Waffensystem zielführend umgehen können. Zum Vergleich: Die britischen Drohnenpiloten müssen – nachdem sie eine 24-wöchige Grundbefähigung als Pilot erhalten haben – , einen sechsmonatigen Lehrgang143 absolvieren, um die General Atomics MQ-9 Reaper und Protector RG Mk.1144 inklusive Bewaffnung einsetzen zu können;145 Die deutsche Luftwaffe veranschlagt einen achtwöchigen Lehrgang, um schon vorqualifizierte Piloten für den Betrieb des Systems IAI Heron TP (ausschließlich in der Aufklärungsrolle) zu befähigen.146 Auch eine gewinnbringende Integration des Waffensystems in die bestehende Militärstruktur im Rahmen einer netzwerkzentrierten Kriegführung147 scheint ohne erhebliche Mitwirkung von außen wenig plausibel zu sein. Bemerkenswert ist in diesem Sinne auch der Einsatz der als „Köder-Drohnen“ umgebauten Antonov An-2. Planung, Durchführung des Umbaus und Probeflüge müssen einen Zeitraum von mehreren Wochen (wenn nicht Monaten) in Anspruch genommen haben. Daher muss dieser Schritt lange im Voraus und mit Absicht erfolgt sein. Für ein von langer Hand geplantes Vorgehen spricht auch die Tatsache, dass nach einer gemeinsamen militärischen Übung der Türkei und Aserbaidschans, Ende Juli 2020, die an der Übung teilnehmenden General Dynamics F-16 Fighting Falcon Kampfflugzeuge der türkischen Luftwaffe in Aserbaidschan verblieben.148 Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew sagte am 26. Oktober gegenüber der Nachrichtenagentur TASS, dass die fünf bis sechs türkischen F-16 zunächst als „moralische Unterstützung des türkischen Bruders“ geblieben seien, aber auch dass 143 Formal Training Unit (FTU). 144 RAF-Bezeichnung. Hersteller-Bezeichnung: General Atomics MQ-9B Sky Guardian / See Guardian. 145 Remotely Piloted Aircraft Pilot, Informationsblatt, 12. November 2019, Royal Air Force, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.raf.mod.uk/recruitment/media/3777/20191204-raf_rpas_pilot.pdf 146 Luftwaffe startet HERON TP-Ausbildung in Israel, Presse- und Informationszentrum der Luftwaffe über Presseportal.de, 28. Januar 2019, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.presseportal .de/pm/81895/4178165 147 Im Englischen: Network-Centric Warfare (NCW) 148 Turkish F-16s arrive in Azerbaijan for joint drill, Middle East Monitor, 31. Juli 2020, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.middleeastmonitor.com/20200731-turkish-f-16s-arrive-in-azerbaijan-for-joint-drill/ ; Turkish F-16s kept in Azerbaijan as 'deterrent' against Armenia, Middle East Monitor, 8. Oktober 2020, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.middleeastmonitor.com/20201008-turkish-f-16s-kept-in-azerbaijan-as-deterrent -against-armenia/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 41 sie zur Abwehr einer etwaigen „Aggression“ eingesetzt werden würden149 150. Dieses Arrangement war ein wichtiger Baustein im „Drohnenkrieg“, denn dadurch wurde der armenischen Luftwaffe der aserbaidschanische Luftraum effektiv verwehrt, was wiederum den zielführenden Einsatz von Drohnen seitens Aserbaidschans ermöglichte. Kampfdrohen können nach heutigen Stand der Technik grundsätzlich nur in einem freien Luftraum151 eingesetzt werden, da sie sonst recht einfach abgefangen oder zerstört werden können. 6.2. Ein moderner Krieg mit hohen Verlusten Der Krieg ist ausgeprägt dynamisch und kinetisch verlaufen: Er dauerte nur 44 Tage und war besonders verlustreich (insgesamt sind im Durchschnitt über 140 Tote am Tag zu beklagen gewesen). Gemäß offizieller Zahlen sind auf armenischer Seite 3.360 Soldaten gefallen.152 Gemäß offizieller Zahlen sind auf aserbaidschanischer Seite 2.841 Soldaten gefallen.153 149 Turkish F-16 may be used in case of external aggression against Azerbaijan — Aliyev, TASS, 26 Oktober 2020, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://tass.com/world/1216505 150 Erdkampfflugzeuge vom Typ Suhkoi Su-25 Frogfoot wären für die türkischen General Dynamics F-16 leichte Beute gewesen, so dass Armenien kaum das Risiko eingehen konnte, sie einzusetzen. Es darf weiterhin angenommen werden, dass die modernste Iteration der F-16 einen erfolgreichen Luftkampf gegen die – in elektronischer Hinsicht – veralteten Mikoyan-Gurevich MiG-29 führen können, wobei weder die Türkei, noch Russland ein Interesse an einer solchen Konfrontation hatten. Vgl. MiG-29 vs. F-16 Fighting Falcon: Which Fighter Jet Wins in an Aerial 'Knife Fight'?, Dario Leone, 22. August 2019, The National Interest, abgerufen am 24. Januar 2021 unter https://nationalinterest.org/blog/buzz/mig-29-vs-f-16-fighting-falcon-which-fighter-jet-wins-aerialknife -fight-75341 151 English: „Uncontested Airspace“. 152 Karabakh rescuers report 1230 dead bodies found, Caucasian Knot, 14. Januar 2021, abgerufen am 20. Januar 2021 unter http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53383/ 153 Azerbaijani MoD publishes updated list of perished militaries, Caucasian Knot, 14. Januar 2021, abgerufen am 20. Januar 2021 unter http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53355/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 42 Bis zu 450154 der 1.000 bis 4.000 von der Türkei angeheuerten syrischen Söldner155 kamen ums Leben, so die Nichtregierungsorganisation Syrian Observatory for Human Rights. Stimmen die Zahlen, so hätten die syrischen Söldner156 einen überdurchschnittlichen Blutzoll gezahlt.157 Laut dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) sind zudem infolge der Kampfhandlungen 140.000 Menschen geflohen oder intern vertrieben worden.158 154 SOHR exclusive – Death toll of mercenaries in Azerbaijan is higher than that in Libya, while Syrian fighters given varying payments, 3 Dezember 2020, Syrian Observatory for Human Rights, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.syriahr.com/en/194516/ 155 „Am Vorbild von «Blackwater» orientiert sich laut Herfried Münkler nun das russische Unternehmen von Jewgeni Prigoschin sowie das türkische militärische Dienstleistungsunternehmen SADAT. Während Prigoschin die sogenannten «Wagner»-Söldner organisiert, rekrutiert SADAT im Namen der türkischen Regierung die Schattenkrieger. Die Söldner Erdogans stammen grösstenteils aus Syrien und sind oder waren Mitglieder der von der Türkei gegründeten und logistisch unterstützten «Syrischen Nationalarmee». Unter sie reihen sich aber auch viele Kämpfer der dschihadistischen Gruppierungen der «Sultan Murat Brigade» sowie «El Amshat Brigaden». Der Sold für ihren Einsatz in Berg-Karabach soll laut dem türkischen Journalisten Fehim Tastekin monatlich 1500- 2000 $ betragen. Ihre Zahl wird auf 900 (so die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte) und 4000 (so die Regierung in Paris) geschätzt.“ in Moskau vermittelt Waffenruhe im Berg-Karabach-Konflikt, Amalia van Gent, 10. Oktober 2020, Infosperber, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.infosperber.ch/politik/welt/moskau -vermittelt-waffenruhe-im-berg-karabach-konflikt/ 156 Von Söldnern im richtigen Sinne zu sprechen ist teilweise schwierig, weil nicht wenige von diesen syrischen Kombattanten werden aufgrund des Krieges im eigenen Land mangels perspektive geradezu gezwungen sich als Söldner zu verdingen. Turkey deploying Syrian fighters to help ally Azerbaijan, two fighters say, Reuters Staff, 28. September 2020, Reuters, abgerufen am 21. Januar 2021 unter https://www.reuters.com/article/armenia-azerbaijan -turkey-syria-int/turkey-deploying-syrian-fighters-to-help-ally-azerbaijan-two-fighters-say-id USKBN26J258 ; Syrian recruit describes role of foreign fighters in Nagorno-Karabakh, The Guardian, Bethan McKernan, 2. Oktober 2020, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.theguardian .com/world/2020/oct/02/syrian-recruit-describes-role-of-foreign-fighters-in-nagorno-karabakh ; Are Syrian Mercenaries Helping Azerbaijan Fight For Nagorno-Karabakh?, Ron Synovitz, Radio Free Europe / Radio Liberty https://www.rferl.org/a/are-syrian-mercenaries-helping-azerbaijan-fight-for-nagorno-karabakh-/30895331.html 157 Nagorno-Karabakh battles – Fatalities among Turkish-backed Syrian mercenaries jump to 250, and more bodies arrive in Syria, Syrian Observatory for Human Rights, 6. November 2020, https://www.syriahr.com/en/191389/ 158 140.000 Flüchtlinge im Bergkarabach-Konflikt laut IKRK, Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten, Auswärtiges/Antwort - 09.12.2020 (hib 1364/2020), abgerufen am 21. Januar 2021 unter https://www.bundestag .de/presse/hib/812566-812566 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 43 6.2.1. Materialverluste Armenien / Republik Arzach 6.2.1.1. Allgemeine Materialverluste Laut Recherchen des Blogs „Oryx“159 basierend auf die Analyse von Bildern des Kampfgeschehens, haben Armenien und die Republik Arzach unter anderen 229 Kampfpanzer160 vom Typ T-72 bei Kämpfen verloren161. Zur Einordnung: Nach der Reform „Neuausrichtung der Bundeswehr“ von 2010 besaß das Deutsche Heer lange Zeit nur noch 225 Kampfpanzer vom Typ KMW Leopard 2. Die Armenier verloren 62 Schützenpanzer sowie 75 Truppentransporter vom Typ BMP-1 und BMP-2, dazu kamen 550 ungepanzerte Lastkraftwagen und Geländewagen. Weiterhin wurden 207 Haubitzen und Selbstfahrlafetten sowie 76 Mehrfach-Raketenwerfer verloren. Schließlich wurden 1 Erdkampfflugzeug Sukhoi Su-25K Frogfoot und 1 Transporthubschrauber Mil Mi 8 Hip verloren. (Hinzu kommt noch eine große Anzahl von verschiedenen militärischen Gegenständen). Aufgrund der sehr hohen Verlustzahlen seitens Armeniens, ist es höchst unwahrscheinlich, dass die allermeisten dieser Ziele direkt von Drohnen bekämpft wurden, wie die Aserbaidschanische Propaganda es in zahlreichen Videos suggeriert. Zwar kann die türkische Bayraktar TB2 mit bis zu zwei MAM-L162 Antipanzer- und zwei MAM-C163 Antipersonen-Raketen bewaffnet werden, aber die Bayraktar TB2 bleibt in erster Linie eine Aufklärungsdrohne. Es würde auch weder einen taktischen noch einen ökonomischen Sinn ergeben, die Drohne immer wieder starten und landen zu lassen, nachdem sie nur zwei bis maximal vier Ziele bekämpft hat und wieder aufmunitioniert werden muss. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass Aserbaidschan – und die Türkei – ihre Taktik um eine drohnenzentrische Operation verbundener Kräfte164 basiert haben, wobei die Bayraktar TB2 fast ausschließlich Aufklärungsaufgaben wahrgenommen haben dürfte. Womöglich wurden vorwiegend Hochwertziele (Luftverteidigungssysteme, Kommunikationszentren …) von Bayraktar TB2 Drohnen oder von hochwertigen, teuren (ca. 10 Millionen 159 Vgl. The Fight For Nagorno-Karabakh: Documenting Losses on The Sides Of Armenia and Azerbaijan Stjin Mitzer und Joost Oliemans, Oryx, 27. September 2020, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.oryxspioenkop .com/2020/09/the-fight-for-nagorno-karabakh.html 160 Mittlerweile wird ein Mindestsollbestand von 400 für die Zukunft angepeilt. vgl. Verteidigungspolitiker wollen 80 zusätzliche Leos – Haushaltsentscheidung steht noch aus, Thomas Wiegold, Augen geradeaus!, 8. November 2019, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://augengeradeaus.net/2019/11/verteidigungspolitiker -wollen-80-zusaetzliche-leos-haushaltsentscheidung-steht-noch-aus/comment-page-1/ 161 136 Kampfpanzer wurden zerstört, 4 außer Betrieb gesetzt und 89 erbeutet; 25 Schützenpanzer wurden zerstört, 37 erbeutet; 25 Truppentransporter wurden zerstört, 37 erbeutet. 162 Vgl. MAM-L Smart Micro Munition, Rocketsan, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.roketsan .com.tr/en/product/mam-l-smart-micro-munition/ 163 Vgl. MAM-C Smart Micro Munition, Rocketsan, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.roketsan .com.tr/en/product/mam-c-smart-micro-munition/ 164 Ehem. Gefecht der verbundenen Waffen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 44 US-Dollar)165 und in begrenzter Zahl (ca. 50) verfügbaren „Kamikaze-Drohnen“, wie der IAI Harop direkt bekämpft. Weitere wichtige taktische aber kleinere Ziele wurden wahrscheinlich mit ebenfalls kleineren „Kamikaze-Drohnen“ (z.B. Orbiter 1K / SkyStriker) ausgeschaltet. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürften die aus israelischer Produktion stammenden MALE-Drohnen der Aserbaidschaner und die Bayraktar TB2 aus türkischer Produktion vor allem extensive Aufklärung betrieben haben – vermutlich schon lange vor dem Kriegsausbruch – und die verdichteten Aufklärungsdaten an die Feuerleitstelle einer Haubitzen-Batterie (Reichweite bis zu 15-20 km) oder eines Mehrfachraketenwerfers (längere Reichweite) weitergegeben haben, damit die aufgeklärten Positionen bekämpft werden. Die arzachischen Selbstverteidigungskräfte verfügten über 200 bis 300 T-72 Kampfpanzer laut der Fachpublikation Military Balance 2020 sowie eine ähnliche Anzahl von Schützenpanzer (BRDM-2), von gepanzerten Truppentransportern (BMP-1 oder BMP-2) und Feldkanonen. Die Zahl der Kämpfer wird auf 18.000 bis 20.000 geschätzt.166 Die Trennung nach armenischen Streitkräften und arzachischen Selbstverteidigungskräften ist allerdings unscharf, so dass diese Zahlen nur Richtwerte sein können. Es ist daher kaum möglich, die genaue Kampfaufstellung der Armenier anzugeben. Doch insgesamt lässt sich vermuten, dass nach so starken Verlusten die armenische Seite praktisch ihren gesamten Großgerätbestand verloren haben dürfte. 6.2.1.2. Verlust von Drohnen Laut Recherchen des Blogs „Oryx“ haben Armenien und die Republik Arzach 3 Drohnen und 1 „Kamikaze-Drohne“, alle aus eigener Produktion verloren: 1 X-55 (zerstört) 1 Quadcopter (abgestürzt) 1 BZEZ „Kamikaze-Drohne“ (abgestürzt) 1 Drohne unbekanntes Typs (zerstört) Bei allen verlorenen Mustern handelt es sich um kleine Aufklärungsdrohnen (X-55) oder gar um, allem Anschein nach, Drohnen aus dem zivilen Elektronikmarkt. Auch das von „Oryx“ verlinkte Bild der „Kamikaze-Drohne“ vom Typ BZEZ zeigt eine handelsübliche Drohne, die nur kurze Reichweiten zurücklegen kann und mit einer improvisierten Sprengvorrichtung modifiziert wurde. Diese Feststellung unterstreicht, dass Armenien zum Zeitpunkt des Krieges keinerlei ernst zu nehmende Drohnen im Kampfgebiet – und somit keine Aufklärungsfähigkeit – besaß. 165 IAF plans to induct Harop UCAV by 2011, The Economic Times, 30. September 2009, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://economictimes.indiatimes.com/news/politics-and-nation/iaf-plans-to-inductharop -ucav-by-2011/articleshow/5073678.cms 166 The Military Balance 2020, International Institute for Strategic Studies, Routledge, 2020, S. 186. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 45 Abbildung: Abgestürzter Quadcoper der armenischen bzw. arzachischen Streitkräfte (laut Mitteilung des Verteidigungsministeriums Aserbaidschans).167 167 The Fight For Nagorno-Karabakh: Documenting Losses on The Sides Of Armenia and Azerbaijan, Stijn Mitzer, Oryx, 27. September 2020, Undatierte Aufnahme, abgerufen über Postimage am 24. Januar 2021 unter https://i.postimg .cc/Qt4jjCy2/image.jpg (Bild nachbearbeitet: Umwandlung in schwarz-weiß) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 46 6.2.2. Materialverluste Aserbaidschans 6.2.2.1. Allgemeine Materialverluste Laut Recherchen des Blogs „Oryx“ 168 hat Aserbaidschan 40 Kampfpanzer vom Typ T-72 und vom Typ T-90, 15 Schützenpanzerwagen sowie 36 Truppentransporter (BMP-1, BMP-2, BMP-3, BTR-82A) verloren169. Dazu kamen 46 ungepanzerte Lastkraftwagen und Geländewagen. Weiterhin gingen 1 Mehrfach-Raketenwerfer sowie 1 Erdkampfflugzeug Sukhoi Su-25K Frogfoot und 1 Transporthubschrauber Mil Mi 8/17 Hip verloren. Die spürbar geringen Verluste Aserbaidschans gegenüber Armenien dürfen so gedeutet werden, dass das Land die ganze Zeit die Initiative hatte, und von Anfang an offensive Operationen geführt hat. 6.2.2.2. Verlust von Drohnen Laut Recherchen des Blogs „Oryx“ hat Aserbaidschan insgesamt 3 Drohnen bekannten Typs, 8 Drohnen unbekannten Typs, 14 „Kamikaze-Drohne“ sowie 11 Antonov An-2 „Köder-Drohnen“ verloren. 1 Aeronautics „Aerostar“ Aufklärungsdrohne (abgestürzt) 11 IAI „Harop“ „Kamikaze-Drohne“ (8 zerstört, 2 im Iran und 1 in Georgien abgestürzt) 2 Elbit SkyStriker „Kamikaze-Drohne“ (2 abgestürzt und erbeutet) 1 Aeronautics Orbiter 1K „Kamikaze-Drohne“ (abgestürzt und erbeutet) 2 Bayraktar TB2 bewaffnete Aufklärungsdrohne (1 zerstört, 1 abgestürzt) 8 Drohnen unbekannten Typs (8 zerstört) 11 Antonov An-2 „Köder-Drohnen“170 168 Vgl. The Fight For Nagorno-Karabakh: Documenting Losses on The Sides Of Armenia and Azerbaijan Stjin Mitzer und Joost Oliemans, Oryx, 27. September 2020, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.oryxspioenkop .com/2020/09/the-fight-for-nagorno-karabakh.html 169 40 Kampfpanzer wurden zerstört, 12 außer Betrieb gesetzt, 1 aufgegeben, 3 erbeutet, 1 erbeutet und wieder verloren; 2 Schützenpanzer wurden zerstört, 1 außer Betrieb gesetzt, 4 aufgegeben, 37 erbeutet ; 36 Truppentransporter wurden zerstört, 19 außer Betrieb gesetzt, 6 aufgegeben, 8 erbeutet. 170 Diese überalterten, zu „Drohnen“ umgebauten, Flugzeuge haben dazu gedient, die armenischen Flugabwehrsysteme zu ködern, damit diese ihre Position verraten und/oder ihren Munitionsvorrat verfeuern. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 47 9 Bayraktar TB2 wurden von russischen EloKa-Maßnahmen171 am Ende des Kriegs zerstört.172 (Es ist nicht klar, ob diese Verluste – oder Teile davon – schon in der Statistik von „Oryx“, zum Beispiel in der Kategorie „unbekannt“ registriert worden sind). Die Verlustliste der Aserbaidschaner spiegelt die Qualität, Quantität und Vielfalt des Einsatzes von Drohnen und „Kamikaze-Drohnen“ durch die Aserbaidschaner wider. Bemerkenswert, ist unter anderem, die Tatsache, dass 8 „Kamikaze-Drohnen“ vom Typ IAI Harop – aus einem geschätzten Gesamtbestand von 50 – zerstört werden konnten, und dass zwei ihr Ziel so sehr verfehlt haben, dass sie in angrenzenden Ländern abgestürzt sein sollen. Es kann festgestellt werden, dass trotz der äußerst begrenzten Verteidigungsmittel der Armenier die aserbaidschanischen Drohnen in mehreren Fällen erfolgreich bekämpft werden konnten – Dies räumt mit dem Mythos der Unbesiegbarkeit von Drohnen auf. In Anbetracht der hohen Verlustquote und des Zerstreuungsraums der IAI Harop muss auch der Mythos der Unfehlbarkeit von herumlungernder Munition ebenfalls kritisch überdacht werden. 6.3. Russland und die Türkei: die Hauptgewinner Der Sozialwissenschaftler Kerem Schamberger von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München kommt stellvertretend für viele Beobachter, in einem Interview mit Tomasz Konicz in „Telepolis“ zu der Schlussfolgerung: Die Hauptgewinner sind die Türkei und Russland.173 Insgesamt lässt sich in der Tat feststellen, dass sowohl Russland als auch die Türkei ihre jeweilige Position in der Region spürbar verbessert haben. Russland ist zur bestimmenden Schutzmacht avanciert und die Türkei konnte seine Reputation auf dem internationalen Parkett als „Königsmacherin per Drohne“ ebenfalls erheblich steigern. 6.3.1. Russland Es spricht viel dafür, dass es im Interesse Russlands war, die militärische Auseinandersetzung bis zu einem gewissen Punkt zuzulassen. Dadurch konnte die Regierung in Jerewan indirekt geschwächt und somit auf die von Moskau gewünschte Linie gebracht werden. Zeitgleich konnte 171 EloKa steht für Elektronische Kampfführung. Im Englischen: Electronic Warfare (EW). 172 Russia knocking Turkish drones from Armenian skies, Stephen Bryen, 26. Oktober 2020, AsiaTimes, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://asiatimes.com/2020/10/russia-knocking-turkish-drones-from-armenian-skies/ 173 Die Hauptgewinner sind die Türkei und Russland, Tomasz Konicz im Interview mit Kerem Schamberger, Telepolis, 14. November 2020, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://www.heise.de/tp/features/Die-Hauptgewinner -sind-die-Tuerkei-und-Russland-4960342.html?seite=all Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 48 Russland durch traditionell gute Beziehungen zu Aserbaidschan – unter Ausnutzung der Zwangslage Armeniens und dank einer regional starken Militärpräsenz – einen Waffenstillstand medienwirksam und für Moskau somit reputationssteigernd vereinbaren. Zeitgleich wurde Aserbaidschan gegenüber Russland geschwächt. Erstens wurde der Kern Bergkarabachs de facto unter russischen Schutz gestellt und somit wurde er für Baku unerreichbar ohne eventuelles grünes Licht aus Moskau. Zweitens bedeutet die russische Militärpräsenz für Aserbaidschan, dass Baku sich mit Moskau wesentlich enger als früher abstimmen und verständigen muss. Zu den schon 5.000 Soldaten, die Russland in Armenien vor dem Krieg stationiert hatte, gesellen sich nach dem Waffenstillstand 2.000 Friedensoldaten im Bergkarabach, im Herzen Aserbaidschans, einem Land, in dem russische Truppen bis jetzt keinerlei Militärpräsenz hatten und das den USA und Israel zugewandt war. Darüber hinaus unterhält Moskau mit den 18 in Armenien stationierten Mikoyan-Gurevitch MiG-29 die wohl schlagkräftigste Luftwaffe in der armenisch-aserbaidschanische Region, wenn man von der türkischen Luftwaffe absieht. Dabei wird die russische Schlagkraft noch erhöht werden, wenn neuere nuklearwaffenfähige Sukhoi Su-30SM, wie geplant, die MiG-29 ersetzen. Daher hat sich Moskau zum unumgänglichen Akteur im Konflikt um Bergkarabach durchgesetzt. 6.3.2. Türkei Nachdem die Türkei komplexe Angriffe in Syrien mit Erfolg getestet hatte, griff sie mit einem ausgeklügelten Einsatz von Drohnen im libyschen Bürgerkrieg ein. Dort konnte sie den Kurs der Geschichte im eigenen Sinne beziehungsweise im Sinne der Libyschen Übergangsregierung (GNA)174 erfolgreich beeinflussen175. In Bergkarabach hat die Türkei 2020 unter Beweis gestellt, dass der Einsatz von ihren Drohen den Ausschlag zu Gunsten des Auftraggebers geben kann. Somit hat sie ihr regionales und internationales Ansehen als militärische Regionalmacht erheblich gesteigert. 174 Government of National Accord. Zu Deutsch: Regierung der Nationalen Übereinkunft. 175 Ankaras Sturmreiter fegen über Libyen, Markus Reisner, Zenith, 27. Mai 2020, abgerufen am 16. Januar 2021 unter https://magazin.zenith.me/de/politik/t%C3%BCrkische-drohnen-libyen Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 49 6.3.3. Die türkische Bayraktar Drohne 6.3.3.1. Allgemeine Angaben Der türkischstämmige MIT176-Doktorand Selcuk Bayraktar177 konnte 2005 die türkische Armee von seiner Vision einer militärischen Drohne überzeugen. Entwicklungs- und Produktionsstandort sollte der 1984 gegründete Maschinenbaubetrieb „Baykar“ der Familie werden. Daraufhin wurden 500 Minidrohnen, die Bayraktar Mini,178 für das türkische Militär produziert. 2006 bestellte die Türkei 10 IAI Heron aus Israel, die allerdings von israelischen Piloten geflogen wurden. Die Sorge, dass die produzierten Daten unter der Hand an israelische Auswertungsstellen weitergeleitet werden könnten, sowie erhebliche Differenzen179 zwischen den Vertragspartnern veranlasste die Türkei immer mehr dazu, eine landeseigene weitgehend autarke Lösung anzustreben.180 2009 hob erstmalig eine Weiterentwicklung der Bayraktar Mini, die MALE-Drohne181 Bayraktar TB1 ab, welche 2014 in den Dienst gestellt wurde.182 Der Erstflug der Bayraktar TB2 eine Weiterentwicklung der TB1 erfolgte 2014 und die Indienststellung 2015.183 Ende 2019 stieg der türkische Staat mit 600 Millionen Lira ($106 Millionen ein)184, mit dem Ziel, die Produktionskapazität der TB2 auf 92 Einheiten im Jahr zu verdoppeln. Das türkische Militär hat mittlerweile mindestens 75 Bayraktar TB2 in Dienst, welche eine monatliche Flugzeit von 6.000 Stunden absolvieren.185 Darüber hinaus sollen 24 der neuen, wesentlich leistungsfähigeren 176 Massachusetts Institute of Technology. 177 2016 heiratete er die jüngste Tochter vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. 178 Bayraktar Mini UAV, Wikipedia, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/Bayraktar _Mini_UAV 179 Turkey accuses Israel of selling them defective drones, Itamar Eichner, 24. Juni 2018, Ynet, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-5295266,00.html 180 How Turkey Defied the U.S. and Became a Killer Drone Power, Umar Farooq, 14. May 2019, The Intercept, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://theintercept.com/2019/05/14/turkey-second-drone-age/ 181 Medium Altitude Long Endurance (MALE). Zu Deutsch: Mittlere Höhe Lange Ausdauer. 182 Bayraktar Tactical AUS, Wikipedia, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/Bayraktar _Tactical_UAS 183 How Turkey Defied the U.S. and Became a Killer Drone Power, Umar Farooq, 14. May 2019, The Intercept, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://theintercept.com/2019/05/14/turkey-second-drone-age/ 184 Turkish Drone Maker Baykar Makina Gets Government Support, Taylan Bilgic, Blomberg, 5. September 2019, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-09-05/turkish-drone-makergets -government-support-to-boost-output 185 How Turkey Defied the U.S. and Became a Killer Drone Power, Umar Farooq, 14. May 2019, The Intercept, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://theintercept.com/2019/05/14/turkey-second-drone-age/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 50 Akinci-Drohnen186 sowie weitere 36 Drohnen unbekannten Typs bei Baykar gebaut werden.187 Bis Januar 2021 sind laut Herstellerangaben 400 Bayraktar TB2 gebaut worden und sie haben über 250.000 Flugstunden absolviert.188 Es handelt sich also um ein umfangreich erprobtes und zuverlässiges Waffensystem. 6.3.3.2. Die Feuertaufe der Bayraktar Die ersten Kampfeinsätze konnte die Bayraktar TB2 im Rahmen der türkischen Operation „Olive Branch“ bei Afrin, in Nordsyrien, gegen die kurdischen PKK und YPG -Milizen vom 20. Januar bis zum 7. April 2018 absolvieren189. Den offiziellen Statistiken sind folgenden Daten zu entnehmen: die Bayraktar TB2 haben 382 Sorties190 absolviert; die Bayraktar TB2 sind 4916 Stunden geflogen; die Bayraktar TB2 erzielten 449 Direkttreffer; (Die Drohne führte den Angriff selbst durch); die Bayraktar TB2 erzielten 680 indirekte Treffer; (Kampfflugzeuge oder Kampfhubschrauber führten den Angriff auf Basis von Aufklärungsergebnissen der Drohne durch); 186 Bayraktar Akıncı, Wikipedia, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/Bayraktar _Ak%C4%B1nc%C4%B1 187 Turkish Drone Maker Baykar Makina Gets Government Support, Tylan Bilgic, 5: September 2019, Blomberg, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-09-05/turkish-drone-makergets -government-support-to-boost-output 188 We are Baykar, Baykar Defense, abgerufen am 18. Januar 2021 unter https://baykardefence.com/We-arebaykar .html 189 Turkey’s Bayraktar TB2 drones enable swift, precise victory against YPG/PKK in Syria’s Afrin, 19. April 2018, Daily Sabah, 2018, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.dailysabah.com/war-on-terror /2018/04/19/turkeys-bayraktar-tb2-drones-enable-swift-precise-victory-against-ypgpkk-in-syrias-afrin 190 Vom frz. „Sortie“ (Ausgang). Der Begriff bezeichnet den Abflug einer Flugmaschine im Rahmen einer Operation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 51 die Bayraktar TB2 neutralisierten191 insgesamt 1.129 „Terroristen“,192 (direkte + indirekte Treffer); die Bayraktar TB2 trugen zu 28,3 Prozent aller neutralisierten „Terroristen“ bei. Der Hersteller setzte die Bayraktar TB2 in einem am 17. Mai 2018 auf YouTube publizierten und bis Ende Januar 2021 über 1,8 Millionen Mal aufgerufene Werbevideo193, wie folgt in Szene: Bildschirmabbild: Baykar Technologies, YouTube, Werbevideo vom 17. Mai 2018 bei 0:02 Min. 191 Offizielle Bezeichnung der türkischen Armee. Theoretisch könnte es sich auch um Kombattanten handeln, die sich ergeben haben. Im Allgemeinen wird verstanden, dass diese getötet wurden. Vgl. „The Turkish security institutions use the term "neutralized" in reference to terrorists captured dead or alive, or those who surrendered during the operations. However, the term is usually used for the terrorists who were killed in the operations.“ in: Turkey’s Bayraktar TB2 drones enable swift, precise victory against YPG/PKK in Syria’s Afrin, 19. April 2018, Daily Sabah, 2018, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.dailysabah.com/war-on-terror /2018/04/19/turkeys-bayraktar-tb2-drones-enable-swift-precise-victory-against-ypgpkk-in-syrias-afrin 192 Der Begriff Terrorist (Türkische: Terörist) ist der offiziell angewandte Begriff. Dass alle Menschen aus diesem Personenkreis die Eigenschaften eines Terroristen nach deutscher Auslegung erfüllen, ist mehr als fraglich. 193 Bayraktar TB2 Operation Olive Branch, Baykar Technologies, Herstellervideo über YouTube, 17. Mai 2018, abgerufen am 24. Januar 2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=-3HumgQ6nic (Bilder nachbearbeitet: Umwandlung in schwarz-weiß). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 52 Bildschirmabbild: Baykar Technologies, YouTube, Werbevideo vom 17. Mai 2018 bei 0:49 Min. Bildschirmabbild: Baykar Technologies, YouTube, Werbevideo vom 17. Mai 2018 bei 1:12 Min. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 53 6.3.3.3. Die „Bayraktar“194 im Vergleich zum „Predator“195 und „Reaper“196 MQ-1 Predator Bayraktar TB2 MQ-9 Reaper Hersteller / Land General Atomics / USA Baykar / Türkei General Atomics / USA Erstflug Juli 1994 August 2014 Februar 2001 Indienststellung 1995 2015 2007 Antrieb Rotax Kolbenmotor ca. 115 PS Rotax Kolbenmotor ca. 100 PS Honeywell Turboprop 197 ca. 950 PS Max. Flughöhe ca. 7.600m ca. 6.800m ca. 15.400m Max. Flugdauer über 24 Std. 24 Std. 23 bis 30 Std je nach Bewaffnung Max. Nutzlast ca. 200kg 55kg ca. 1.700kg Produktion (Stk.) 268 ca. 400 (Stand 2020) 269 (Stand 2019) Preis $20 Mio. US (Fiskaljahr 2009) $5 Mio. US (2020) $14 Mio. US (Fiskaljahr 2009) $32 Mio. US (Fiskaljahr 2020) 194 Baykar Catalog, Baykar, 55 S., abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://www.baykarsavunma.com/upload /ingilizce/Baykar_catalog_eng.pdf 195 General Atomics MQ-1 Predator, Wikipedia, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://en.wikipedia .org/wiki/General_Atomics_MQ-1_Predator ; MQ-1B Predator, 23. September 2015, U.S. Air Force, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://www.af.mil/About-Us/Fact-Sheets/Display/Article/104469/mq-1b-predator/ ; UAV, General Atomics MQ-1L Predator A, Smithonian National Air and Space Museum, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://airandspace.si.edu/collection-objects/uav-general-atomics-mq-1l-predatora /nasm_A20040180000 196 General Atomics MQ-9 Reaper, Wikipedia, abgerufen am am 26. Januar 2021 unter https://en.wikipedia .org/wiki/General_Atomics_MQ-9_Reaper ; Produktionszahlen, vgl: United States Air Force Air Power Yearbook 2020, Key Publishing, 2019, S. 94, in General Atomics MQ-9, Wikipedia, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/General_Atomics_MQ-9 ; Why The Air Force Needs A Cheaper Reaper, David Hambling, 10. Juni 2020, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://www.forbes.com/sites /davidhambling/2020/06/10/why-the-air-force-needs-a-cheaper-reaper/?sh=63c3dc13946f 197 Propellerturbinenluftstrahltriebwerk (PTL). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 54 Vereinfacht gesagt, lässt sich sagen, dass die heutige Baykar Bayraktar TB2 ungefähr die Leistung der US-amerikanischen General Atomics MQ-1 Predator vorweisen kann, die schon 1995 in Dienst gestellt und 2018 aus dem Dienst zurückgezogen wurde. Zwar ist die Bayraktar TB2 unschlagbar günstig aber die Predator konnte schon 1995 eine 4-mal höhere Nutzlast tragen, während die Reaper, die aktuelle Weiterentwicklung, eine sogar 30-mal höhere Nutzlast tragen kann. Daher ist die Bayraktar TB2 keine so neuartige Waffe, wie der offizielle Diskurs es gerne propagiert, 198 sondern ein Beispiel dafür, dass die Türkei einen neuen Platz in der Weltordnung anstrebt und dabei erfolgreich ist, die dazu gehörigen Technologien in Eigenregie zu entwickeln und einzusetzen. 6.3.3.4. Schwachpunkte Die Drohne Baykar Bayraktar TB2 hat grundsätzlich drei limitierende Schwachpunkte: 1. Die Waffen-Nutzlast ist mit etwa 55kg äußerst begrenzt und kann sowohl aufgrund der knapp bemessenen Motorisierung als auch aufgrund der Tragflächenstruktur in Leichtbauform wahrscheinlich kaum erweitert werden. Auf der offiziellen Internet-Seite199 des türkischen Präsidenten ist eine Baykar Bayraktar TB2 mit vermutlich zwei MAM-L200 Antipanzer- (jeweils 22kg nach Hersteller-Angaben) und zwei MAM-C201 Antipersonen- Raketen (jeweils 6,5kg nach Hersteller-Angaben) zu sehen. Es dürfte sich also um die Maximalbewaffnung handeln. Nach heutigen Maßstaben ist eine so niedrige Nutzlast für eine Kampfdrohne nicht mehr zeitgemäß. Zum Vergleich ist eine MAM-L-Rakete ungefähr halb so groß, wie eine panzer-brechende AGM-114 Hellfire-Rakete (ca. 48kg)202, die für US-amerikanische Drohnen typische Bewaffnung. 198 Türkiye Radyo ve Televizyon Kurumu (Türkische Hörfunk- und Fernsehanstalt). 199 Bayraktar Unmanned Aerial Vehicle, Presidency of The Republic of Turkey / Presidency of Defence Industries, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.ssb.gov.tr/Website/contentList.aspx?PageID=365&LangID=2 200 Vgl. MAM-L Smart Micro Munition, Rocketsan, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.roketsan .com.tr/en/product/mam-l-smart-micro-munition/ 201 Vgl. MAM-C Smart Micro Munition, Rocketsan, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.roketsan .com.tr/en/product/mam-c-smart-micro-munition/ 202 Hellfire Family of Missiles, United States Army Acquiisition Support Center, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://asc.army.mil/web/portfolio-item/hellfire-family-of-missiles/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 55 2. Die TB2 Drohnen sind (immer noch) auf ausländische Schlüsseltechnologien angewiesen, die Teilweise einer Exportkontrolle unterstellen oder unterstellen können. Darunter sind folgende Schlüsselkomponenten zu nennen: Bombardier-Rotax Kolbenmotor (Österreich / Kanada) Garmin GPS-Navigationsmodul (Schweiz / USA) L3-Harris-Wescam Sensoren- und Kamera-Modul (USA / Kanada) Im Zuge des Bergkarabach-Einsatzes wurde von der armenischen Seite vorgetragen, dass die oben genannten Firmen sowie weitere Firmen in Europa und den USA, sich mit ihren Lieferungen an die Türkei für den unrechtsmäßigen Einsatz der Drohnen mitschuldig gemacht hätten.203 Diese Pressemeldung wurde in westlichen Medien breit rezipiert. Daraufhin haben alle drei Firmen – Garmin204, Rotax205 und Wescam206 – einen Lieferungsstopp verhängt. Die Türkei wird sicherlich die Rotax-Maschine relativ kurzfristig gegen eine andere, vermutlich einheimische, gleichwertige Lösung ersetzen können. Der Ersatz des GPS-Navigationsmoduls von Garmin und des Sensoren- und Kamera-Moduls L3-Harris-Wescam dürfte sich dagegen als wesentlich schwieriger gestalten und zu einem zeitweiligen Produktionsstopp führen, für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass der Hersteller keinen Vorrat angehäuft hat. Inwiefern die Maßnahmen sich langfristig auswirken, bleibt abzuwarten, da im August 2020 bekannt wurde, dass die USA schon ab 2018 die Waffenverkäufe an die Türkei unter Embargo gestellt hatten. Darüber 203 Evidence of U.S. Parts in Turkish Drones Deployed by Azerbaijan (2020), Armenian National Commitee of America, undatiert, abgerufen am 22. Januar 2021 unter http://anca.org/assets/pdf/BayraktarDrone _US_Nato_Technology.pdf 204 Garmin company says will investigate use of its technology in Turkish drones, Siranush Ghazanchyan, 4. November 2020, Public Radio of Armenia, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://en.armradio .am/2020/11/04/garmin-company-says-will-investigate-use-of-its-technology-in-turkish-drones/ 205 Österreichische Motoren für den Drohnenkrieg in Bergkarabach, Markus Sulzbacher, 9. Oktober 2020, Der Standard, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.derstandard.de/story/2000120601430/oesterreichische -motoren-fuer-den-drohnenkrieg-in-bergkarabach ; Lieferung gestoppt: Keine österreichischen Motoren für türkische Kampfdrohnen mehr, Markus Sulzbacher, 26. Oktober 2020 ,Der Standard, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.derstandard.de/story/2000121196470/lieferung-gestoppt-keine-oesterreichischen -motoren-fuer-tuerkische-kampfdrohnen-mehr 206 Canadian block on drone parts shows Turkey’s defense industry still not independent, Burak Ege Bekdil, Defense- News, 13. Oktober 2020, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.defensenews.com/global/europe /2020/10/13/canadian-block-on-drone-parts-shows-turkeys-defense-industry-still-not-independent/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 56 hinaus strebt die Türkei eine hohe Autarkie bis 2023207 im Rüstungsbereich an und das Land hat sich sicherlich darauf vorbereitet. Laut Hersteller, stehen schon Ersatzlösungen aus einheimischer Produktion zur Verfügung: das Wescam LX15-Modul soll durch das opto-elektronische System CATS der Firma Aselan und der Rotax-Motor soll durch einen TUSAŞ PD 170 Motor mit höherer Leistung (ca. 170 PS) ersetzt werden.208 3. Der Hersteller musste erhebliche technische Kompromisse eingehen, um den äußerst günstigen Preis209 von 5 Millionen US-Dollar zu realisieren und um die Drohne überhaupt bauen zu können. Eine dieser verhängnisvollen Kompromisse ist der Einbau eines nicht gehärteten GPS-Navigationsmoduls der Firma Garmin 210 anstatt einer für militärischen Zwecke gehärteten Systemlösung. Die Auswirkung dieser programmatischen Wahl – sei es aus ökonomischen Gründen oder aufgrund von Exportbeschränkungen – dürfte jedoch erklären, warum die russischen EloKa- Gegenmaßnahmen in Syrien und Bergkarabach so erfolgreich gewesen sind, denn Angriffe auf die GPS-Navigationsmodule von Drohnen sind ein wunder Punkt von allen Drohnen insbesondere, wenn keine weiteren Positionierungssysteme vorhanden sind.211 207 Turkey’s TB2 drones are changing modern warfare, TRT World, Adam Bensaid, 28. Oktober 2020, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.trtworld.com/magazine/turkey-s-tb2-drones-are-changing-modern-warfare- 40924 (Bildzitat: TRT World/Aserbaidschanisches Verteidigungsministerium; nachträgliche Änderung: Konvertierung in schwarz-weiß) 208 Nach Lieferstopp: Türkische Drohne mit einheimischer Kamera CATS ausgestattet, NEX24 News, 10. Dezember 2020, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://nex24.news/2020/12/nach-lieferstopp-tuerkischedrohne -mit-einheimischer-kamera-cats-ausgestattet/ 209 Bayraktar Unmanned Aerial Vehicle, Presidency of The Republic of Turkey / Presidency of Defence Industries, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.ssb.gov.tr/Website/contentList.aspx?PageID=365&LangID=2 210 „It has been brought to Garmin’s attention that one of our products has been incorporated into Bayraktar UAVs deployed in the conflict in the Nagorno-Karabakh region. The Garmin product used in these drones is a commercial , non-military product that is widely and legally available for purchase on the open market. It is not designed or intended for military use, and it is not even designed or intended for use in drones. We have investigated how our products ended up in these drones, and we can confirm that we do not sell any products directly to Baykar. Further, we are contacting our independent dealers to instruct them to cease selling Garmin products to Baykar and to any other persons or companies they have reason to suspect are engaged in nefarious activities. We want to thank all those who brought this to our attention.“, Pressemitteilung, 9. November 2020, Corporate Responsability , Garmin, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.garmin.com/en-HK/investors/responsibility/ 211 Russian Electronic Warfare System Brings Down Hostile Drones in Syria, Bureau, 3. Februar 2020, DefenseWorld.net, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.defenseworld.net/news/26265/Russian _Electronic_Warfare_System_Brings_Down_Hostile_Drones_in_Syria#.YArX39hKhaQ ; Russia knocking Turkish drones from Armenian skies, Stephen Bryen, 26. Oktober 2020, AsiaTimes, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://asiatimes.com/2020/10/russia-knocking-turkish-drones-from-armenian-skies/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 57 6.3.4. Erfolgsnarrative der Türkei Am 26. Oktober 2020 publizierte die staatseigene Nachrichtenagentur TRT212 World den Artikel Turkey’s TB2 drones are changing modern warfare213 (Türkische TB2-Drohnen ändern die moderne Kriegführung) von Adam Bensaid, in dem das offizielle Narrativ abgebildet ist:214 Abbildung: Kameraperspektive aus einer Drohne. Das Bild entstammt einer Pressemeldung der aserbaischanischen Regierung (unlegendiert in dem Artikel). „TB2-Drohnen bieten ihren Nutzern einen Kraftmultiplikator und stehen hinter Aserbaidschans schnellem Vormarsch auf den strategischen Latschin-Korridor, der das besetzte Berg-Karabach mit Armenien verbindet.215 (…) Jetzt bietet selbst die Dunkelheit der Nacht keine Sicherheit mehr. Das ist eine Revolution, und Drohnen haben sie möglich gemacht. Wenn Sie auf den heutigen Schlachtfeldern den Himmel kontrollieren, kontrollieren Sie den Boden. Für Aserbaidschan ist die Kontrolle des Latschin-Korridors ein erheblicher Hebel, um ein günstiges Ende der Kämpfe zu verhandeln (…) Während der Verkauf von Drohnen, wie dem US-Predator, stark reguliert ist, um sicherzustellen, dass die USA und ihre engen Verbündeten einen militärischen Vorsprung behalten, ändert sich die Situation rapide. 212 Türkiye Radyo ve Televizyon Kurumu (Türkische Hörfunk- und Fernsehanstalt). 213 Turkey’s TB2 drones are changing modern warfare, TRT World, Adam Bensaid, 28. Oktober 2020, abgerufen am 22. Januar 2021 unter https://www.trtworld.com/magazine/turkey-s-tb2-drones-are-changing-modern-warfare- 40924 (Bildzitat: TRT World/Aserbaidschanisches Verteidigungsministerium; nachträgliche Änderung: Konvertierung in schwarz-weiß). 214 Übersetzung durch den Verfasser dieser Dokumentation. 215 Hervorhebung im Originaltext vorhanden. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 58 Willkommen zur TB2-Drohne der Türkei (…) Ende Februar 2020, als 33 türkische Soldaten bei einem Luftangriff in der Nähe Idlibs [in Syrien, A.d.Ü.] getötet wurden, startete die Türkei kurz danach eine fünftägige Offensive in Nordsyrien, die die TB2-Drohne bekannt machte. Bei einem radikal neuen Einsatz von Drohnen gegen Panzertruppen, Chemiewaffendepots und Luftverteidigungsplattformen führte die Türkei hunderte von Angriffen durch und meldete, dass mehr als 2.500 Kämpfer des syrischen Regimes getötet worden seien. Der darauffolgende Sieg stoppte den Vormarsch des syrischen Regimes auf Idlib und drängte Moskau zur Vermittlung eines Waffenstillstandes. Die gleiche Taktik wurde von Aserbaidschan in den Eröffnungssalven des Konflikts angewendet, eine relativ kleine Flotte von TB2-Drohnen wurde eingesetzt, um bedeutende Teile der armenischen Luftverteidigungsanlagen, Artillerie und Panzer methodisch auszuschalten. Flut (…) Im Jahr 2005 überreichte der 26-jährige Selcuk Bayraktar, ein Doktorand am MIT, einer Gruppe türkischer Beamter eine kleine hausgemachte Drohne. Nach der Übernahme des 1984 gegründeten Ingenieurbüros seines Vaters konzentrierte sich das Unternehmen auf unbemannte Drohnen. (…) Die Drohnen brachten einen Paradigmenwechsel und boten den türkischen Streitkräften Echtzeitinformationen über grenzüberschreitende Bewegungen der PKK-Terroristen. Bis 2019 hatte die Türkei mehr als 75 TB2-Drohnen eingesetzt, die mehr als 6.000 Stunden pro Monat flogen. Mit einer Reichweite von 150 km und einer Nutzlast von 120 lbs [ca. 55 kg, A.d.Ü.] zu diesem Zeitpunkt, haben die Drohnen die Bewegungen und die Hauptaktivität der PKK216 hart getroffen. Der Rest wurde schnell Geschichte. Nachdem sie in Syrien, im Irak, in Libyen und gegen die PKK eingesetzt wurde, und nur acht Jahre nach ihrem ersten Flug, wird die mit einem Preis von 5 Millionen Dollar erschwingliche TB2-Drohne von Libyen, Aserbaidschan, der Ukraine, Katar, Turkmenistan, Oman und Pakistan eingesetzt. Für traditionelle Mächte hat dies Besorgnis über die sich weltweit ändernde Machtdynamik ausgelöst. Für die Türkei bedeutet es, dass sie dem Ziel einen Schritt näher gekommen ist, bis 2023 jegliche ausländische Abhängigkeit in ihrem Verteidigungssektor zu beseitigen.“ 217 216 Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK), zu Deutsch: Arbeiterpartei Kurdistans. 217 Übersetzung durch den Verfasser dieser Dokumentation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 59 6.3.5. Inszenierung und Ummünzung des militärischen Erfolges Zum offiziellen Narrativ gehört auch, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der offiziellen Siegesparade vom 10. Dezember 2020 Seite an Seite mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew beiwohnen durfte. Dies unterstreicht die Bedeutung der türkischen Intervention im Geschehen. Recep Tayyip Erdogan (links) und Ilham Alijew (rechts) auf der Siegesparade am 10. Dezember 2020 in Baku218 7. Völkerrechtliche Einordnung 7.1. Einsatz von Drohnen Ein generelles völkerrechtliches Verbot für den Einsatz von Kampfdrohnen besteht nicht. Der Einsatz von Drohnen in einem bewaffneten Konflikt steht jedoch unter dem Vorbehalt der strikten Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Zu den Einzelheiten wird auf die Ausarbeitung der 218 Ilham Aliyev and Recep Tayyip Erdoğan during the 2020 Victory Parade of Baku, President.az (Präsidentenamt der Republik Aterbaidschan), 4 April 2014, Lizenz: CCA 4.0 International, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ilham_Aliyev_and_RT_Erdogan_in_the_Victory_Parade_of_2020.jpg Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 60 Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages Der Einsatz von Kampfdrohnen aus völkerrechtlicher Sicht vom 27. Dezember 2012 verwiesen.219 Ergänzend sind der Beitrag Rechtsfragen des Einsatzes bewaffneter Drohnen aus völkerrechtlicher Perspektive220 von Stefan Oeter in der Fachzeitschrift „Ethik und Militär“ vom erstens Halbjahr 2014 sowie die Abhandlung Bewaffnete Drohnen im Lichte des humanitären Völkerrechts – oder: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin221 von Kristina Schönfeldt im „Bonner Rechtsjournal“ vom ersten Halbjahr 2015 zu nennen. Zudem wird auf die Stellungnahmen der Sachverständigen in der Anhörung des Verteidigungsausschusses über die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr vom 5. Oktober 2020 hingewiesen.222 7.2. Einsatz von autonomen Waffen Im Krieg um Bergkarabach kamen allerdings nicht nur bewaffnete Kampfdrohnen, sondern auch herumlungernde Munition, also weitgehend autonome Waffen zum Einsatz.223 Herumlungernde Munition (Loitering munition im Englischen) werden oft als „Kamikaze-Drohnen“ umschrieben. Diese hochautonomen Waffensysteme kreisen in der Luft über dem Zielgebiet und können, wenn nötig, mehrere Stunden auf der Lauer bleiben. Wenn ein vorher definiertes Zielobjekt im Überwachungsbereich erfasst und vom Bordalgorithmus für zulässig im Sinne der Missionsvorgabe berechnet wurde, stürzen sich diese sogenannten „Kamikaze-Drohnen“ auf besagtes Ziel, explodieren und zerstören sich dabei selbst. Wird kein Ziel entdeckt, kann herumlungernde Munition unter Umständen selbstständig an ihre Ausgangsbasis zurückfliegen. 219 Der Einsatz von Kampfdrohnen aus völkerrechtlicher Sicht, Ausarbeitung, Bundestag, Drucksache WD 2 - 3000 - 118/12 vom 27. Dezember 2012, abgerufen am 16. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/resource /blob/406736/945fddf928288908c6cc2e924cd0a5a6/WD-2-118-12-pdf-data.pdf 220 Rechtsfragen des Einsatzes bewaffneter Drohnen aus völkerrechtlicher Perspektive, Stefan Oeter, Ethik und Militär, 2014-1, abgerufen am 19. Januar 2021 unter http://www.ethikundmilitaer.de/de/themenueberblick /20141-drohnen/oeter-rechtsfragen-des-einsatzes-bewaffneter-drohnen-aus-voelkerrechtlicher-perspektive/ 221 Bewaffnete Drohnen im Lichte des humanitären Völkerrechts - oder: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin, Kristina Schönfeldt, Bonner Rechtsjournal, 01/2015, S.25ff abgerufen am 27. Januar 2021 unter https://www.bonner -rechtsjournal.de/fileadmin/pdf/Artikel/2015_01/BRJ_025_2015_Schoenfeldt.pdf 222 Die Stellungnahmen der Sachverständigen sind abrufbar unter: Dokumente, Deutscher Bundestag 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw41-pa-verteidigung-790764 223 Auf dem Weg in den autonomen Krieg- Haben Drohen den Krieg in Bergkarabach entschieden?, Ulrike Franke, Hauptstadtbrief, 27. Dezember 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.derhauptstadtbrief.de/aufdem -weg-in-den-autonomen-krieg/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 61 7.2.1. Kommentare 7.2.1.1. Hauptstadtbrief Die Wissenschaftlerin Ulrike Franke bezeichnet in dem Beitrag Auf dem Weg in den autonomen Krieg – Haben Drohnen den Krieg in Bergkarabach entschieden? für den „Hauptstadtbrief“ die Rolle, die sogenannte „Kamikaze-Drohnen“ im Krieg von 2020 um Bergkarabach gespielt haben, als „bedeutsam – und besorgniserregend“. Franke fügt hinzu: „Diese Systeme sind in ihrem Automatisierungsgrad weit fortgeschritten, was der Sorge Vorschub leistet, dass Kriege autonomer werden könnten – eine gefährliche Entwicklung.“224 7.2.1.2. Zenith Magazin Markus Reisner, Oberst des Generalstabsdienstes des österreichischen Bundesheers, kommt in seinem Beitrag Kamikazedrohnen über dem Kaukasus, zu folgendem Fazit: „Im 21. Jahrhundert scheinen der Unterscheidungsgrundsatz, die Verhältnismäßigkeit , das Verbot der Anwendung unzulässiger Methoden und der allgemeine Grundsatz der Menschlichkeit einer autonomen Kriegsführung zu weichen. Der aktuelle Konflikt in Bergkarabach führt uns die Parameter der Kriegsführung von morgen klar vor Augen.“ 7.2.2. Völkerrechtliche Aspekte 7.2.2.1. Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung Mit der Frage, ob der Einsatz autonomer Waffensysteme mit den Vorgaben des humanitären Völkerrechts vereinbar sein kann, befasst sich der Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) Autonome Waffensysteme vom 29. Oktober 2020 auf den hier verwiesen wird.225 224 Auf dem Weg in den autonomen Krieg – Haben Drohen den Krieg in Bergkarabach entschieden?, Ulrike Franke, Hauptstadtbrief, 27. Dezember 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.derhauptstadtbrief.de/aufdem -weg-in-den-autonomen-krieg/ 225 Autonome Waffensysteme, Reinhard Grünwald und Christoph Kehl, Arbeitsbericht Nr. 187, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Oktober 2020, https://www.tab-beim-bundestag .de/de/pdf/publikationen/berichte/TAB-Arbeitsbericht-ab187.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 62 Im Rahmen einer Anfrage des Science Media Center anlässlich des TAB-Berichts geht Frank Sauer, Forscher an der Universität der Bundeswehr München, unter anderem auf den Einsatz autonomer Waffensysteme im Bergkarabach-Krieg ein und stellt fest:226 „Aktuell wird in den Kampfhandlungen rund um Bergkarabach zum Beispiel das israelische System ‚Harpy‘ [bzw. ‚Harop‘, A.d.V.]227 eingesetzt. Diese ‚Kamikazedrohne‘ ist in Fachkreisen schon lange als autonomes Waffensystem bekannt, weil sie in der Luft kreist, auf Ziele wartet und diese dann eigenständig ohne Rückversicherung bei einem menschlichen Bediener angreift. Das ist, anders als die Abwehr von Munition, völkerrechtlich hochproblematisch, weil das System zwischen Kombattanten und Zivilisten gar nicht unterscheiden kann – letztere also absolut inakzeptablen Risiken aussetzt.“228 Zur grundsätzlichen Fragestellung schreiben die Autoren des TAB-Berichtes Reinhard Grünwald und Christoph Kehl: „Die Entwicklung und der mögliche Einsatz von zunehmend autonom agierenden Waffensystemen schaffen große normative Unsicherheiten, die sich in der Kernfrage zuspitzen, ob und inwiefern es erlaubt sein soll, Maschinen über Tod oder Leben von Menschen entscheiden zu lassen. Diese Fragestellung erscheint nur mit Blick auf die besondere Situation, wie sie im Kriegsfall herrscht, überhaupt zulässig. Doch selbst in Kriegen gibt es Grenzen des moralisch wie auch völkerrechtlich Erlaubten, die sicherstellen sollen, dass ein gewisses Maß an Menschlichkeit gewahrt bleibt.“ Der Bericht fasst unter dem Abschnitt Humanitäres Völkerrecht und ethische Erwägungen die Einschätzung der Autoren so zusammen:229 230 „Das humanitäre Völkerrecht (HVR) soll im Fall eines internationalen bewaffneten Konflikts den größtmöglichen Schutz von Zivilisten, nichtmilitärischen Gebäuden und Infrastrukturen sowie der natürlichen Umwelt 226 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. 227 Das „Harop Loitering Munition System“ (Harop Herumlungerndes Munitionssystem) wird von der staatseigenen israelischen Firma Israel Aerospace Industries (IAI) produziert und basiert auf den Vorgänger „Harpy“, weshalb manchmal die Bezeichnung „Harpy 2“ anstelle von „Harop“ anzutreffen ist. 228 Regulierung von autonomen Waffensystemen – TAB-Bericht, Science Media Center Germany, 3. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/rapid-reaction/details /news/regulierung-von-autonomen-waffensystemen-tab-bericht/ 229 Autonome Waffensysteme, TAB-Fokus Nr. 26 zum Arbeitsbericht Nr. 187, Oktober 2020, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.tab-beim-bundestag.de/de/pdf/publikationen/tab-fokus/TAB-Fokus-026.pdf 230 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 63 gewährleisten. Gemäß HVR kann ein Waffeneinsatz nur dann zulässig sein, wenn er sich erstens nur gegen militärische Ziele richtet (Unterscheidungsgebot). Zweitens dürfen Kollateralschäden an zivilen Personen und Objekten in Relation zum direkten militärischen Nutzen der Operation nicht exzessiv sein (Verhältnismäßigkeit), und drittens ist dasjenige Mittel zu wählen, welches der Zivilbevölkerung bzw. zivilen Objekten den geringsten Schaden zufügt (Vorsorgeprinzip). Als Grundvoraussetzung dafür, dass ein AWS [Autonomes Waffensystem, A.d.V.] völkerrechtskonform eingesetzt werden könnte, muss es also legitime militärische Ziele zuverlässig identifizieren können. (…) [Zur] Entscheidung, ob eine Person bzw. ein Objekt ein legitimes militärisches Ziel darstellt, reicht dessen bloße Identifizierung bei Weitem nicht aus. Hierfür ist ein umfassenderes Lagebild erforderlich sowie die Einschätzung von Verhaltensweisen und letzten Endes der Intentionen des Gegners. Beispielsweise ist schwer vorstellbar, auf welche Weise sich ein verwundeter Soldat einem AWS ergeben könnte. Dies würde die korrekte Deutung subtiler – auch emotionaler – Signale sowie verbaler und nonverbaler Kommunikation erfordern. Zweifel sind angebracht, ob AWS hierzu in absehbarer Zeit in der Lage sein werden. Befürworter von AWS weisen laut den Autoren darauf hin, dass diese nicht den typisch menschlichen Unzulänglichkeiten unterliegen, wie Müdigkeit, starke Emotionen (Angst, Wut, Rachegelüste) (…) Außerdem würden AWS präziser und schneller operieren als Menschen, sie müssten auch nicht aus Selbstschutz feuern (…). Demgegenüber wird in der ethischen Debatte um AWS oft das Argument vorgebracht, dass die Tötung von Menschen durch autonome Systeme nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist. Die Opfer würden entwürdigt, indem sie in einem rein technischen Prozess zu Zielobjekten degradiert werden. In Deutschland und in vielen anderen freiheitlich-demokratischen Gesellschaften gilt die Menschenwürde als besonders schützenswerter Grundwert‘.“ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 64 7.2.2.2. Öffentliches Fachgespräch im Deutschen Bundestag Am 4. November 2020 fand ein öffentliches Fachgespräch zum Thema „Autonome Waffensysteme“ im Deutschen Bundestag statt. Dieses ist auf der Internet-Seite des Bundestages abrufbar.231 Folgende Wortbeiträge sind mit Blick auf das Völkerrecht und diese Dokumentation bemerkenswert:232 Johanna Polle und Dr. Christian Alwardt vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) fragten: „Was wäre einer der Haupteffekte Autonomer Waffensysteme ? Es wäre die Gefahr eines menschlichen Kontrollverlustes über Entscheidungen von Leben oder Tod.“ Die sicherheitspolitischen Konsequenzen von AWS233 seien ein gefährlicher Höhepunkt von Entwicklungen, die man bereits heute beobachte: Militärische Aufgaben würden vom Menschen an einen Rechner delegiert. Auch sie benannten die Gefahr eines internationalen Wettrüstens, getrieben von einer Automatisierungsspirale sowie einer zunehmenden Beschleunigung der Kriegführung. Anja Dahlmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) betonte, der Fokus der internationalen Gespräche zu Lethal Autonomous Weapon Systems (LAWS)234 liege auf dem Schutz des humanitären Völkerrechtes. Dies gebe die Waffenkonvention der Vereinten Nationen vor, die ein multilaterales Verbot von LAWS ermögliche. Die Diskussion bewege sich bei den Vereinten Nationen weg von technischen Definitionen von LAWS hin zur Beibehaltung der menschlichen Kontrolle bei der Zielauswahl und -bekämpfung. Allerdings machte sie auch deutlich, dass die Gespräche nur mit einer politischen Erklärung oder sogar ohne Ergebnis enden könnten. Aber selbst ohne Verbotsvertrag entfalte der Gesprächsprozess eine normative Wirkung, da sich Staaten über die menschliche Rolle beim Waffeneinsatz austauschen und dies (zumindest teilweise) bei ihren eigenen Rüstungsprojekten berücksichtigen. 231 Öffentliches Fachgespräch „Autonome Waffensysteme“, Deutscher Bundestag, 4. November 2020, abgerufen am 16. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/a18_bildung/technikfolgenabschaetzung/veranstaltungen /801006-801006 232 Autonome Waffensysteme: Wenn Maschinen über Leben und Tod entscheiden, Berichterstattung aus Ausschuss und Plenum, 4. November 2020, Deutscher Bundestag, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/a18_bildung #url=L2Rva3VtZW50ZS90ZXh0YXJjaGl2LzIwMjAva3c0NS1wYS1iaWxkdW5nLXdhZmZlbnN5c3Rlb- WUtNzk4ODQ2&mod=mod539246 233 Autonomous Weapon Systems. Zu Deutsch: Autonome Waffensysteme. 234 Zu Deutsch: Letale Autonome Waffensysteme. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 65 7.2.2.3. Schriftenreihe Beiträge zum Europa- und Völkerrecht Einen ausführlichen Überblick zum aktuellen Stand in der wissenschaftlichen Diskussion enthält Annika Rauchs Beitrag Autonome Waffensysteme und Völkerrecht: Stand der wissenschaftlichen Diskussion, offene Forschungsfragen und aktuelle Regelungsanstrengungen im internationalen System in der Schriftenreihe „Beiträge zum Europa- und Völkerrecht“ von Mai 2020.235 Die Autorin fasst ihre Ausarbeitung so zusammen:236 „Der Einsatz von AWS [Autonomen Waffensysteme, A.d.V.] stellt gewissermaßen eine Revolution der Kriegsführung dar und bringt gleichzeitig vielfältige Probleme mit sich. Die analysierten Normen sind nur teilweise ausreichend, um eine umfassende rechtliche Einhegung zu gewährleisten. Insbesondere bei der Frage nach der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit ergeben sich Lücken, die nur durch extensive Auslegung oder Schaffung neuer Normen geschlossen werden können. (…) Bezüglich der Achtung der Menschenwürde ist die mögliche technische Präzision von AWS letztlich irrelevant. Hier ist es wesentlich, den betroffenen Menschen als solchen wahrzunehmen und ihn nicht als Objekt zu behandeln. Gerade dies geschieht aber, wenn ein AWS über eine Tötung entscheidet. Somit muss diese Entscheidung stets von einem Menschen getroffen werden. (…) Nur ein Verbot von Autonomie [kann] bei der Entscheidung über letale Gewaltanwendung eine drohende Verletzung der Menschenwürde verhindern. Rechtliche und ethische Fragen sollten letztlich immer Vorrang vor technischen und militärischen Möglichkeitserwägungen haben.“ 235 Autonome Waffensysteme und Völkerrecht: Stand der wissenschaftlichen Diskussion, offene Forschungsfragen und aktuelle Regelungsanstrengungen im internationalen System, Annika Rauch, in: Christian Tietje (Hrsg), Beiträge zum Europa- und Völkerrecht, Heft 20, Mai 2020, abgerufen am 20. Januar 2021 unter: https://tietje.jura.uni-halle.de/sites/default/files/BeitraegeEVR/Heft%2020_Rauch.pdf 236 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Dokumentation. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 66 8. Zusammenfassung 8.1. Allgemeine Feststellung Der massive und gut geplante Einsatz von Aufklärungs- und bewaffneten Kampfdrohnen sowie herumlungernder Munition (sogenannten „Kamikaze-Drohnen) 237 durch Aserbaidschan im Krieg von 2020 um Bergkarabach, im Zusammenspiel mit Technik, Kampferfahrung und Waffenlieferungen der Türkei, hebelte gezielt – und schlussendlich mit Erfolg – den Standortvorteil238 der Armenier weitestgehend aus. Dies wiederum eröffnete entsprechende taktische, operative und schließlich strategische Gestaltungsräume, die in der Summe geeignet waren, die faktische Patt-Situation zugunsten Aserbaidschans aufzulösen. Somit kann zusammenfassend gesagt werden, dass der Einsatz von Drohnen und herumlungernder Munition in wesentlichem Maße – aber nicht ausschließlich – den Sieg Aserbaidschans ermöglichte. 8.2. Völkerrechtliche Würdigung In völkerrechtlicher Hinsicht zeichnet der Krieg um Bergkarabach im Jahre 2020 zwei besonders beunruhigenden Entwicklungen auf: Erstens ist die enorme Unterstützung zu nennen, die die Türkei (ein formal neutrales Land – und NATO-Mitglied) dem kriegsbeteiligten Aserbaidschan zukommen lassen konnte. Die durchaus kriegsentscheidende Unterstützung wurde nicht zuletzt dadurch möglich, weil der Einsatz von bewaffneten oder nicht bewaffneten Kampfdrohnen sich weitestgehend plausibel leugnen lässt. Vor einigen Jahren, als Kampfdrohnen weder in der heute üblichen Qualität noch in der für umfangreiche Operationen erforderlichen Quantität verfügbar waren, wäre in dem Szenario der vorliegenden Dokumentation das Entsenden von Bodentruppen oder von Flugzeugen von Nöten gewesen, um eine Seite zu unterstützen. Damit wären hohe politische, diplomatische, völkerrechtliche und militärische Risiken verbunden. Die Möglichkeit, auf Drohnen zurückzugreifen, verwischt daher die anerkannten Normen des Völkerrechtes, führt aber zur Frage der Völkerrechtskonformität eines solchen Engagements, insbesondere seitens eines NATO- Mitgliedes. (Die Entsendung von syrischen Söldnern durch die Türkei, um Aserbaidschan zu unterstützen, wird nicht als kriegsentscheidend bewertet, da Aserbaidschan auf ausreichende eigene Soldaten zurückgreifen konnte. Vielmehr aber sind sie ein probates Mittel, um die eigenen Verluste zu minimieren und somit etwaige Proteste der Bevölkerung gegen eine kriegsführende Regierung zu minimieren). Zweitens ist die offenkundig umfangreiche Anwendung von autonomen Waffen in Form von herumlungernder Munition zu nennen. Diese Waffen vermögen nicht nur die etablierten Fundamente der Kriegführung augenscheinlich zu erschüttern, sondern auch die Stellung des Menschen – ob Kombattant oder nicht Kombattant. Fortan läuft der Mensch auf oder in dem 237 Diese hochautonomen Systeme kreisen in der Luft über dem Zielgebiet. Wenn ein vorher definiertes Ziel im Überwachungsbereich erfasst und als legitim berechnet wurde, stürzen sie sich auf dieses, explodieren und zerstören sich dabei selbst. 238 Im Normalfall geben Gebirgsgebiete einen Verteidiger einen Vorteil gegenüber einen Angreifer. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 67 Einzugsgebiet des Schlachtfeldes Gefahr, nur noch Objekt eines Algorithmus zu sein, oder anders gesagt, Objekt des immateriellen Willens einer Maschine zu werden, wobei diese Maschine ihn – nachvollziehbar oder nicht – auslöschen kann. 8.3. Verteidigungspolitische Würdigung 8.3.1. Beobachtungen Die Erfolge der aserbaidschanischen und türkischen Kampfdrohnen haben keine „Neue Strategie“ begründet, wie von einigen Beobachtern behauptet. Sie spielten stattdessen eine disruptive239 Rolle, die in hohem Masse zum Sieg beitrug. Diese fußte jedoch auf einer durchaus logischen und zu erwartenden taktischen Fortschreibung im Sinne der Beendigung einer Patt-Situation zugunsten eines der Kontrahenten. Ein Verbund an günstigen Umständen und guter Vorbereitung hat den Sieg der Aserbaidschaner möglich gemacht und dieser Verbund war in der Summe sicherlich wichtiger als der Einsatz eines bestimmten Waffentypus.240 Im jetzigen Stand der Technik ist der Einsatz von Drohnen nur in einem Luftraum, in dem Luftherrschaft oder zumindest umfangreiche Luftüberlegenheit herrscht, möglich. Drohnen sind keineswegs neue Waffen, selbst bewaffnete Drohen nicht. Einsatzfähige Prototypen gab es schon am Ende des Zweiten Weltkrieges241 und die erste moderne Kampfdrohne, die US-amerikanische General Atomics MQ-1 Predator wurde 1995 in Dienst gestellt – vor über 25 Jahren (!). Das erste 239 Eine disruptive Taktik – oder Strategie – muss übrigens nicht zwangsweise auf Technologie beruhen. Russland konnte 2014 die Krim völkerrechtswidrig annektieren, indem ein disruptiver Ansatz zu Grunde gelegt wurde: Die Entsendung von sogenannten „Grünen Menschen“ (Soldaten ohne Hoheitsabzeichen) vermochte es, geopolitische Fakten zu schaffen und den Gegner sowie die Weltgemeinschaft handlungsunfähig zu machen. 240 Technology, Tactics, And Turkish Advice Lead Azerbaijan To Victory In Nagorno-Karabakh, Ron Synovitz, Radio Free Europe / Radio Liberty, 13. November 2020, abgerufen am 19. Januar 2020 unter https://www.rferl.org/a/technology-tactics-and-turkish-advice-lead-azerbaijan-to-victory-in-nagorno-karabakh /30949158.html 241 Did You Know Assault Drones Were Used in WWII, Smithsonian Channel, 23. Oktober 2015, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=FFBcTQRyRVg Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 68 Mal, dass eine Drohne242 für einen scharfen Angriff243 eingesetzt wurde, war am 23. Januar 2001 in Afghanistan.244 Bewaffnete Kampfdrohnen kreisen schon seit über 20 Jahren über den Schlachtfeldern dieser Welt: von Paradigmenwechsel kann also kaum gesprochen werden. Doch: die zunehmende Leistungssteigerung , die technologische Proliferation mit der Möglichkeit, doppelverwendungsfähige245 Produkte einzubauen, und vor allem die Verbilligung der Bauteile führt dazu, dass der Anwenderkreis für diese Waffengattung sich dramatisch ausgebreitet hat und weiter ausbreiten wird. Dadurch haben sich die möglichen Einsatzszenarien schon vervielfältigt und dieser Trend wird ungebrochen weitergehen. 8.3.2. Faktoren für den aserbaidschanischen Sieg Die Aserbaidschaner haben ab ca. 2007 in taktischen und ab 2008 in MALE- Drohnen investiert.246 2012 hat Aserbaidschan Drohnen, Flugabwehr und Raketensysteme für 1,6 Milliarden US-Dollar aus Israel gekauft.247 2016 hat Aserbaidschan nach offiziellen Angaben für 4,5 Milliarden US-Dollar Waffen aus Israel gekauft.248 249 2020 haben die Aserbaidschaner somit als erwartbares 242 Es handelte sich um eine General Atomics MQ-1L Predator A. 243 In diesem Fall wurde eine AGM-114 Hellfire-Rakete abgefeuert. 244 General Atomics MQ-1L Predator A, Smithonian National Air and Space Museum, abgerufen am 26. Januar 2021 unter https://airandspace.si.edu/collection-objects/uav-general-atomics-mq-1l-predator-a/nasm_A20040180000 245 Doppelverwendungsfähige oder „Dual-Use“-Produkte sind zivile Produkte, die meist durch Umgehung der Exportbestimmungen auch für militärische Zwecke benutzt werden können. 246 The Air and Missile War in Nagorno-Karabakh: Lessons for the Future of Strike and Defense, Shaan Shaikh, und Wes Rumbaugh, Center for Strategic and International Studies, 8. Dezember 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.csis.org/analysis/air-and-missile-war-nagorno-karabakh-lessons-future-strike-and-defense 247 Azerbaijan Makes Massive Israeli Weapons Purchase – But Not Because of Iran, Joshua Kucera, 27. Februar 2012, Eurasianet, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://eurasianet.org/azerbaijan-makes-massive-israeli-weaponspurchase -but-not-because-of-iran 248 Experts believe Israel unlikely to drop lucrative arms sales to Azerbaijan, Guillaume Lavallée, 5. Oktober 2020, The Times of Israel, abgerufen am 14. Januar 2021 unter https://www.timesofisrael.com/experts-believe-israelunlikely -to-drop-lucrative-arms-sales-to-azerbaijan/ 249 Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Lieferungen sich über mehrere Jahre hinweg erstrecken, so dass ein erheblicher Teil der Lieferungen nach 2020 erfolgen wird. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 69 Ergebnis einen gegenüber Armenien enormen quantitativen und qualitativen Vorsprung gehabt.250 Aserbaidschan hat im Vorfeld des Krieges eine ganze Reihe von Militärübungen mit der – in Syrien und Libyen kriegserprobten – Türkei durchgeführt und war daher auf den eigenen Krieg sehr gut vorbereitet. 251 Diese Zusammenarbeit mit der in der NATO-Doktrin versierten Türkei hat die Fähigkeiten der Aserbaidschaner augenscheinlich spürbar erweitert. Aserbaidschan konnte sich mit Hilfe der Türkei – dank der Stationierung von türkischen Abfangjägern in Aserbaidschan und der frühzeitigen Ausschaltung der Flugabwehr – die absolute Luftherrschaft über dem Operationsgebiet sichern. Ohne diese wäre der Einsatz der Drohnen kaum möglich und selbst der Einsatz von Bodentruppen wäre erheblich erschwert beziehungsweise wesentlich verlustreicher gewesen. Aserbaidschan konnte sich die zweckmäßige Neutralität Russlands, einer der beiden Regionalmächte, und die umfangreiche Unterstützung der Türkei, der anderen Regionalmacht, sichern.252 Aserbaidschan hat seit Jahren etwa viermal mal mehr für seine Streitkräfte als Armenien investiert und war insgesamt viel besser als Armenien ausgerüstet und vorbereitet. Außerdem hatte Aserbaidschan den Vorteil der Initiative. 8.3.3. Faktoren für die armenische Niederlage Die Armenier waren augenscheinlich nicht auf einen Krieg vorbereitet (Stellungen waren teilweise nicht einmal gegen visuelle Aufklärung getarnt). 250 Vgl. Unmanned Aerial Systems in Nagorno-Karabakh: A Paradigm Shift in Warfare?, Jack Davies, Human Security Center, 24. November 2020, abgerufen am 14. Januar 2021 unter http://www.hscentre.org/uncategorized/unmanned -aerial-systems-in-nagorno-karabakh-a-paradigm-shift-in-warfare/ 251 Azerbaijan, Turkey Hold Large-Scale Military Drills Amidst Escalation of Tensions With Armenia, Vasif Huseynov, 14. August 2020, in Eurasia Daily Monitor Volume: 17 Issue: 121, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://jamestown.org/program/azerbaijan-turkey-hold-large-scale-military-drills-amidst-escalation-of-tensionswith -armenia/ 252 Diese Unterstützung dürfte auf dem Schlachtfeld eine insgesamt größere Rolle als die Art von eingesetzten Waffen gehabt haben. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 70 Armenien hatte praktisch keine strategische und so gut wie keine taktische Aufklärungsfähigkeit, so dass der Kampf extrem asymmetrisch – und daher kaum zu gewinnen – war. Armenien konnte keine Parität in der Waffenkategorie Drohnen herstellen. Während Aserbaidschan seine ganze Strategie um eine drohnenzentrische Kriegführung basierte, hatte Armenien in diesem Feld nichts zu bieten. Die Flugabwehrsysteme der Armenier waren entweder verhaltet oder nicht in ausreichender Stückzahl vorhanden oder konnten überlistet werden. EloKa253- Maßnahmen scheinen den Armeniern fast komplett gefehlt zu haben. Dadurch konnten die Aserbaidschaner praktisch die gesamte Flugabwehr der Armenier gleich am Anfang des Krieges ausschalten. Die Schutzmacht Russland, welche Truppen, Flugzeuge sowie gefechtsentscheidende EloKa-Fähigkeiten in Armenien stationiert hatte – und somit jederzeit hätte intervenieren können – hatte frühzeitig verkündet, sich im Konflikt nicht auf die armenische Seite schlagen zu wollen. Mit oder ohne Einsatz von Drohnen, hätte Armenien kaum eine Chance gehabt, diesen Konflikt zu gewinnen. Die Drohnen waren also nicht kriegsentscheidend, vielmehr haben sie zur sehr spürbaren Erhöhung der Schlagkräftigkeit der Aserbaidschaner beigetragen und so die Möglichkeit eröffnet, einen kurzen Krieg zu führen. Dadurch wurde sowohl die Regierung in Jerewan als auch die Weltgemeinschaft vor vollendete Tatsachen gestellt, wodurch wiederum eine mögliche militärische oder diplomatische Unterstützung Armeniens weitestgehend im Keim erstickt wurde. 9. Ausblick 9.1. Im Allgemeinen Der Krieg in Bergkarabach hat der Welt einige moderne Waffen vorgeführt und anschaulich dargestellt, in welche Richtung die Kriegführung sich entwickelt: zunehmende Automatisierung, Kampf um die Luftherrschaft, Kampf um die Hoheit über das elektronische Spektrum, Kampf um das Informationsumfeld und schließlich hohe Materialverluste sowie Opferzahlen in kurzer Zeit werden die Zukunft des Krieges höchst wahrscheinlich prägen. Drohnen sind in hohem Maße prägend für die Kriegführung und können unter bestimmten Umständen (Überraschungsvorteil, Luftherrschaft…) sogar kriegsentscheidend sein. Drohnen sind jedoch keine „Wunder-Allzweck-Waffen“: Eine gut vorbereitete und technologisch fortgeschrittene Streitmacht kann diese Waffenkategorie grundsätzlich gut bekämpfen. 253 EloKa steht für Elektronische Kampfführung. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 71 Die heutigen Verteidigungslücken gegen Drohnen und vor allem herumlungernde Munition (z.B. im Falle von koordinierten Sättigungsangriffen) werden in der Zukunft höchst wahrscheinlich geschlossen werden können, denn sie sind charakteristisch für den ewigen Kampf zwischen dem Schild und dem Schwert, in dem ständig nachgerüstet wird, und je nach Zeitfenster das Schwert das Schild durchdringt oder an ihm zerbricht. Fakt ist, dass das schon in Syrien erfolgreich erprobte russische elektronische Kampfsystem KRET Krasukha-4 „Belladonna“254, das in den allerletzten Tagen des Krieges zu Gunsten Armeniens eingesetzt wurde und laut Presseberichten neun, türkische Baykar Bayraktar TB2-Drohnen abgeschossenen haben soll, sehr erfolgreich war.255 Dies bedeutet aber auch: Staaten, die ihre Verteidigungssysteme nicht ständig weiterentwickeln beziehungsweise entsprechend einsatzfähig halten, werden zwangsweise ins Hintertreffen geraten. 9.2. Im geopolitischen Hinblick 9.2.1. Türkei und NATO Kurz- bis mittelfristig ist zu erwarten, dass die Türkei weiterhin ihre dynamische bis aggressive – und völkerrechtlich äußerst problematische – Außenpolitik, zumindest in Teilen, auf die extensive Nutzung von militärischen Drohnen abstützen wird, wie sie es in Syrien, Libyen und jetzt in Bergkarabach gemacht hat. Dies dürfte eine erhebliche Herausforderung beziehungsweise Belastung für die NATO und die Weltgemeinschaft sein. Insbesondere für das Verteidigungsbündnis dürfte die türkische Vorgehensweise nicht unproblematisch sein, da diese von außen betrachtet, nur schwerlich im Einklang mit dem Völkerrecht und dem Nicht-Angriffsprinzip der NATO-Charta stehen dürfte.256 257 258 259 254 Russian Electronic Warfare System Brings Down Hostile Drones in Syria, Bureau, 3. Februar 2020, Defense- World.net, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://www.defenseworld.net/news/26265/Russian_Electronic _Warfare_System_Brings_Down_Hostile_Drones_in_Syria#.YArX39hKhaQ 255 Russia knocking Turkish drones from Armenian skies, Stephen Bryen, 26. Oktober 2020, AsiaTimes, abgerufen am 20. Januar 2021 unter https://asiatimes.com/2020/10/russia-knocking-turkish-drones-from-armenian-skies/ 256 Der Nordatlantikvertrag (NATO Charta, A.d.V.), North Atlantic Treaty Organization, Washington DC, 4. April 1949, abgerufen am 24. Januar 2021 unter https://www.nato.int/cps/en/natohq/official _texts_17120.htm?selectedLocale=de 257 Auf die Frage, ob die Praxis der Türkei in den genannten Fällen auf dem Boden des Völkerrechts steht und ob die NATO-Charta de jure verletzt wird, kann diese Dokumentation nicht näher eingehen. 258 Türkische Militäroperation und Völkerrecht: Ein Angriffskrieg und kein Nato Bündnisfall, Marion Sendker, Legal Tribune Online, 22. Oktober 2019, , abgerufen am 24. Januar 2021 unter https://www.lto.de/recht/hintergruende /h/tuerkei-militaer-offensive-syrien-voelkerrecht-ausnahmen-angriffskrieg/ 259 Der Krieg um Nagorni Karabach scheint gestoppt. Es gibt viele Tote – und auf der Strecke bleibt das Völkerrecht, Günther Bächler, 15. November 2020, Neue Zürcher Zeitung, abgerufen am 24. Januar 2021 unter https://www.nzz.ch/meinung/krieg-um-berg-karabach-auf-der-strecke-bleibt-das-voelkerrecht-ld.1586761 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 72 9.2.2. Drohnenproliferation Perspektivisch könnte es eine weitere Proliferation der türkischen Drohnentechnologie geben und eine türkisch-aserbaidschanisch-iranische260 Zusammenarbeit entstehen. Grund dafür sind: Erstens: die zur Zeit expansionistische Außenpolitik der Türkei; Zweitens: die durchaus engen und freundschaftlichen Beziehungen, die die Türkei mit dem Iran unterhält;261 Drittens: die Beziehungen zwischen dem Iran und Aserbaidschan sind vorwiegend freundschaftlicher Natur und beide Staaten sind schiitisch-moslemisch;262 Viertens: der Iran hat mehrmals gezeigt, dass er sich für den Einsatz von Drohnen zunehmend interessiert, ohne selbst jedoch in der Lage zu sein, die Technologie in absehbarer Zeit auf höchstem Niveau beherrschen zu können.263 Daher dürfte der Iran an einem Transfer der türkischen Technologie und der türkischaserbaidschanischen Anwendungserfahrungen äußerst interessiert sein beziehungsweise sich dies einiges kosten lassen. 9.3. Lehren für Deutschland Abgesehen von der offenkundigen Tatsache, dass die Armenier kaum vorbereitet waren und vom aserbaidschanischen Angriff überrascht wurden, waren aus militärischer Sicht die entscheidenden Faktoren für den aserbaidschanischen Sieg, die absolute Luftherrschaft, die allem Anschein nach hervorragende und konkurrenzlose Informationsgewinnung, Überwachung, Zielerfassung und 260 Zwar erleben die Beziehungen zwischen Aserbaidschan und dem Iran erhebliche Höhen und Tiefen, doch ganz unwahrscheinlich ist eine Annährung nicht. Im Falle einer Zusammenarbeit Aserbaidschans mit dem Iran in der „Drohnen-Frage“, könnte Israel zwar erwägen seine erhebliche Unterstützung für das aserbaidschanische Drohnenprogramm einzustellen aber dies dürfte die Aserbaidschaner kaum abschrecken, da sie die israelische Technologie nach und nach mit (fast) ebenbürtiger türkischer Technologie ersetzen könnten. Ein Lieferstopp würde Israel, das in hohem Maße (40 Prozent des Gesamtbedarfs) von den Rohöllieferungen aus Baku abhängig ist, dagegen schwer treffen, während Baku einen Lieferstopp des Rohöls nach Israel (10 Prozent des Exports) ohne Probleme abfangen könnte. 261 Vgl. Iran-Turkey relations, Wikipedia, abgerufen am 27. Januar unter https://en.wikipedia .org/wiki/Iran%E2%80%93Turkey_relations 262 Vgl. Azerbaijan–Iran relations, Wikipedia, abgerufen am 27. Januar unter https://en.wikipedia.org/wiki/Azerbaijan %E2%80%93Iran_relations 263 Examining Iranian Drone Strikes in Syria, Galen Wright, offiziere.ch, 29. Februar 2016, abgerufen am 27. Januar 2021 unter https://www.offiziere.ch/?p=26604 ; Iran tests drones in military exercise, Reuters Staff, 2. Januar 2021, Reuters, abgerufen am 27. Januar unter https://www.reuters.com/article/iran-drill-drone-int-id USKBN29A1A5 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 73 Aufklärung (ISTAR)264 der Aserbaidschaner sowie die – integrierte265 – vernetzte Operationsführung (NetOpFü)266. Insofern hat der Konflikt der Welt eindrucksvoll vorgeführt, dass bestmögliche ISR267/ISTAR-Fähigkeiten unerlässlich sind, um auf dem modernen Schlachtfeld überlebensfähig zu sein. In den Medien liegt der Fokus der Berichterstattung fast ausschließlich auf bewaffneten Drohnen. Aufklärungs- und Überwachungsdrohnen sind jedoch ein essentielles und nicht zu unterschätzendes Mittel der Kriegführung, denn sie ermöglichen militärische Überlegenheit durch Informationsüberlegenheit. Eine ausreichende Anzahl von Aufklärungsdrohnen (von welchem Baumuster auch immer) führt zwangsweise zur asymmetrischen Informations- und somit Wirkungsüberlegenheit, wenn ein Gegner weder in der Lage ist, diese Drohnen frühzeitig abzuwehren, noch mit eigenen ähnlichen oder ebenbürtigen Aufklärungsmitteln Aufklärungserkenntnisse in ausreichender Menge und Qualität zu generieren. Darauf basierend wird die Seite, die zur Informationsüberlegenheit gelangt ist, in die Lage versetzt, die passiven und aktiven Luftverteidigungssysteme des Gegners mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit ausschalten zu können. Ist die Luftverteidigungsfähigkeit des Gegners ausgeschaltet und Luftherrschaft oder zumindest überwiegende Luftüberlegenheit über dem Kampfgebiet hergestellt, sei es auf operativer oder taktischer Ebene, so kann der Nutznießer dieses Zustandes in der Regel ohne merkliche Gegenwehr seinen Gegner bekämpfen. Folgende Lehren sind daher im Allgemeinen aus dem Konflikt zu ziehen: 9.3.1. Aktive Maßnahmen Der Krieg um Bergkarabach im Jahre 2020 hat eindrücklich vor Augen geführt, dass Kampfdrohnen und herumlungernde Munition keine Zukunftsmusik mehr sind. Kampfdrohnen und herumlungernde Munition stellen schon im heutigen Konfliktszenario eine unmittelbare Bedrohung dar, wogegen sowohl Streitkräfte im auswärtigen Krisenbewältigungseinsatz als auch Streitkräfte, die im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung aktiviert werden, sich schützen müssen. 264 Intelligence, Surveillance, Target Acquisition And Reconnaissance (ISTAR). 265 Da die Türkei offiziell verkündet hatte, Aserbaidschan mit allen notwendigen Mitteln zu unterstützen, darf davon ausgegangen werden, dass eine gewisse Integration auf taktischer und operativer Ebene stattgefunden hat, denn ohne diese enge Zusammenarbeit wäre Aserbaidschan kaum in der Lage gewesen, die türkischen Drohnen so gewinnbringend einzusetzen. 266 Das deutsche Konzept von NetOpFü entspricht dem NATO bzw. amerikanischem Konzept von „Network-Centric-Warfare“. 267 Intelligence, Surveillance and Reconnaissance (ISR). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 74 Aus militärischer Sicht, sind Aufklärungsdrohnen und bewaffnete Drohnen im Rahmen der aktuellen und der neuen Bedrohungs- und Einsatzszenarien offenkundig nicht mehr weg zu denken.268 269 Die Erfahrung in Bergkarabach lehrt, dass diese Mittel lange vor dem Ausbruch eines etwaigen Konfliktes oder vor der Verkündung eines Einsatzes in einer Missions- oder Szenario-adäquater Zahl und Qualität zur Verfügung stehen müssen, damit sich die gewünschte Wirkung entfalten kann. Anschaffung und Einsatz von autonomer herumlungernder Munition, also von „Kamikaze- Drohnen“ kommt aufgrund von verfassungsmäßigen und völkerrechtlichen Bedenken für die Bundesrepublik nicht in Frage.270 Daher kann auf diesem Gebiet keine Waffengleichheit hergestellt werden: vielmehr müssen die Streitkräfte daher zur Selbstverteidigung materiell und konzeptionell ertüchtigt werden. 9.3.2. Defensive Maßnahmen Der Krieg von 2020 im Bergkarabach hat gezeigt, dass eine von Kampfdrohnen und herumlungernder Munition bedrohte Streitkraft sich nur durch mehrschichtige und multidimensionale Verteidigungsmaßnahmen unter Berücksichtigung des Informationsumfeldes schützen kann. 9.3.2.1. Mehrschichtige Abwehr Der Krieg in Bergkarabach lehrt, dass zur effizienten Verteidigung vor den Gefahren von Drohnen und herumlungernder Munition Schutzsysteme gebraucht werden, die über die Fähigkeiten von schultergestützten Flugabwehrraketen (MANPADS)271, wie der US-amerikanischen FIM-92 Stinger oder der russischen 9K32 Strela-2 (NATO-Bezeichnung: SA-7 Grail) hinausgehen. 268 „Die UAS [Unmanned Aircraft Systems, A. d.V.], die der Bundeswehr heute zur Verfügung stehen, sind eine wertvolle Unterstützung und in vielen Einsatzgebieten zwingend erforderlich. Eine zusätzliche Bewaffnung der UAS der Bundeswehr entspräche heutigen Einsatzrealitäten und ist dringend geboten.“ in Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung an den Deutschen Bundestag zur Debatte über eine mögliche Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr, Bundesministerium der Verteidigung, 3. Juli 2020, abgerufen am 25. Januar 2021 unter https://www.bmvg.de/resource /blob/274160/f5d26b7af1a024551e4aafc7b587a01d/20200703-download-bericht-drohnendebatte-data.pdf 269 Drohnen werden Wahlkampfthema, Tobias Schulze und Stefan Reinecke, 16. Dezember 2021, taz, abgerufen am 25. Januar 2021 unter https://taz.de/SPD-Waffen-und-Haushaltsausschuss/!5734120/ 270 Vgl. Autonome Waffensysteme, Reinhard Grünwald und Christoph Kehl, Arbeitsbericht Nr. 187, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Oktober 2020, abgerufen am 25. Januar 2021 unter https://www.tab-beim-bundestag.de/de/pdf/publikationen/berichte/TAB-Arbeitsbericht-ab187.pdf 271 Man Portable Air Defense System (MANPADS). Zu Deutsch: Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 75 Begründung dafür ist, dass MANPADS für die Abwehr von tieffliegenden Hubschraubern und Flugzeugen konzipiert worden sind, während Drohnen in Höhen fliegen, die für diese Systeme nur schwer erreichbar sind beziehungsweise von Soldaten mit dem bloßen Auge gar nicht erfasst werden können. MANPADS sind außerdem – zum Beispiel mangels Infrarot-Signatur bei kleineren Drohnen – weitgehend nutzlos gegen eine Vielzahl von kleinen und billigen Modellen. Hinzu kommt eine mathematisch-ökonomische Überlegungskomponente272. Die Beschaffung, selbst in großer Zahl, eines schultergestützten Flugabwehrraketensystems lohnt sich förmlich, nur für die Bekämpfung von Flugzeugen oder Hubschraubern: Eine Rakete wie die Stinger kostet mehr oder weniger um die 40.000 US-Dollar273, während eine Sukhoi Su-35, zum Beispiel, etwa 85 Millionen US-Dollar kostet.274 Das Kostenrisiko einer Auseinandersetzung trägt in diesem Fall der Operateur des Flugzeuges – selbst, wenn der Operateur der Flugabwehr eine große Anzahl von Systemen beschaffen muss, um seinen Luftraum zu schützen. (Die Kostenparität Stinger/Su-35 ist mit einer Zahl von 2.125 Flugabwehrraketen für 1 Flugzeug erreicht, wobei diese – im Gegensatz zu Kampfflugzeugen – kaum Folgekosten verursachen). Mit dem Einsatz von billigen Drohnen ist diese Gleichung umgekehrt. Ein Operateur von Drohnen, der viele kleinere Drohnen und/oder „Kamikaze-Drohnen“ einsetzt, kann, um einen Luftraum zu bedrohen oder anzugreifen, mit geringen Kosten rechnen – selbst die hochwertige Baykar Bayraktar TB2 kostet nur um die fünf Millionen US-Dollar, das sind in etwa 6 Prozent vom Preis einer Sukhoi SU-30M2. So bürdet ein Angreifer, der Drohnen einsetzt – zumindest beim heutigen Stand der Technik – , einem Verteidiger ungleich höhere, im Extremfall untragbare Kosten, auf. Deshalb müssen im Abwehrkampf gegen Drohnen kostenoptimierte Lösungen gefunden werden. Gebraucht wird in Zukunft daher ein mehrschichtiges Verteidigungssystem kinetischer und elektromagnetischer Art. Die äußerste Schicht sollte in der Lage sein MALE275-Drohnen in Höhen von 5.000 bis 15.000 m zu bekämpfen (vermutlich sind kleine Flugabwehrraketen oder Abfangdrohnen für diesen Auftrag geeignet). Die Mittlere Schicht sollte in der Lage sein, zeitgleich eine große Anzahl von kleineren Drohnen in Höhen von 500 bis 5.000 m zu bekämpfen (vermutlich 272 Diese einfache ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung war der Grund für die Lieferung von Stinger-Raketen an die Mudschahidin durch die Amerikaner während des Krieges in Afghanistan zwischen 1979 und 1989. Die Flugabwehrraketen waren ein relativ billiges Mittel, das ungleich höhere Kosten beim Feind verursachte und somit die taktische Initiative verschob. 273 India to Buy 245 US Stinger Air-to-Air Missiles, Franz-Stefan Gady, 1. April 2016, The Diplomat, abgerufen am 25. Januar 2021 unter https://thediplomat.com/2016/04/india-to-buy-245-us-stinger-air-to-air-missiles/ 274 New Su-30SM2: Will it be better than the Rafale, Aishwarya Rakesh, 21 September 2020, DefenseWorld.net, abgerufen am 28. Januar 2021 unter https://www.defenseworld.net/feature/44/New_Su_30SM2__Will_it_be_better _than_the_Rafale_#.YBG3RdhKhaQ 275 Medium Altitude Long Endurance (MALE). Zu Deutsch: Mittlere Höhe Lange Ausdauer. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 76 sind selbstfahrende Schnellfeuer-Flugabwehrkanonen276 für diesen Auftrag geeignet). Schließlich müssen die Soldaten befähigt werden, sich im Nahbereich (0 bis 500 m) zu schützen. Die logische technologische und taktische Fortschreibung wird daher wahrscheinlich zur Entwicklung von „autonomen Anti-Drohnen-Drohnen“ führen. Der türkische Hersteller Baykar bereitet sich konzeptionell schon darauf vor: Bildschirmabbild: Internetseite des türkischen Herstellers Baykar am 25. Januar 2021.277 276 Die Bundeswehr hat 2010 alle 91 Flugabwehrkanonenpanzer vom Typ Gepard (und somit ihre gesamte Teilfähigkeit) außer Dienst gestellt, um die Betriebskosten um 60 Millionen Euro jährlich zu drücken. Vgl. Bundeswehr legt aus Sparzwang alle Flak-Panzer still, Hannoversche Allgemeine, 13. März 2010, abgerufen am 25. Januar 2021 unter https://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Bundeswehr-legt-aus-Sparzwang -alle-Flak-Panzer-still 277 Internetseite des türkischen Herstellers Baykar, abgerufen am 25. Januar 2021 unter https://baykardefence .com/page-Unmanned-Fighters.html Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 113/20 Seite 77 9.3.2.2. Multidimensionale Abwehr Die Abwehr von Kampfdrohnen und herumlungernder Munition kann nicht auf ausschließlich kinetische Wirkmittel begrenzt werden, vielmehr muss sie im Verbund mit elektronischen Gegenmaßnahmen (EloKa)278 erfolgen. Daher ist es für eine durch Kampfdrohnen und herumlungernde Munition bedrohte Streitkraft unerlässlich, ihre Hoheit beziehungsweise Herrschaft im elektromagnetischen Spektrum behaupten zu können. 9.3.2.3. Aktivitäten im Informationsumfeld Das Informationsumfeld muss als Teil einer multidimensionalen Abwehr verstanden werden, um die Maßnahmen zu veranlassen, die geneigt sind, Propaganda-Bemühungen eines Gegners zu vermindern, zu verhindern und / oder ihnen zu entgegnen. 10. Schlussfolgerung In Anbetracht der neuesten Entwicklungen in Syrien, Libyen und nicht zuletzt im Krieg um Bergkarabach im Jahr 2020, scheinen sowohl zukunftsweisende politische Grundsatzentscheidungen und Weichenstellungen als auch eine – der neuen Situation angemessenen Anpassung der Organisation und Ausstattung der Streitkräfte in Friedenszeiten sowie eine Novellierung der Einsatzdoktrin unumgänglich. *** 278 Elektronische Kampfführung.