© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 113/18 Informationspflichten im Rahmen internationaler Seenotrettungseinsätze Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 113/18 Seite 2 Informationspflichten im Rahmen internationaler Seenotrettungseinsätze Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 113/18 Abschluss der Arbeit: 7. August 2018 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 113/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Informationspflichten im Rahmen der Seenotrettung 4 3. Völkerrechtlich verbindliche Übereinkommen zur Seenotrettung 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 113/18 Seite 4 1. Einleitung Libyen hat die Koordinaten seiner SAR1-Zone beim Generalsekretär der Internationalen Seeschifffahrts -Organisation (International Maritime Organization, IMO) notifiziert. Diese lassen sich in der der sogenannten GISIS-Datenbank (Global Integrated Shipping Information System)2 der IMO nach vorheriger Registrierung abrufen und befinden sich in Anlage 1 dieses Sachstandes . Auf der Grundlage dieser Notifizierung hat Libyen Verhandlungen mit seinen Nachbarstaaten aufgenommen, deren Gegenstand nach Auskunft des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI)3 primär die Zusammenarbeit der benachbarten SAR-Dienste ist. Damit ist grundsätzlich festzuhalten, dass nach einer ersten Notifizierung der libyschen SAR- Zone im Juli 2017 und deren zwischenzeitlicher Rücknahme im Dezember 20174 mittlerweile eine libysche SAR-Zone existiert. Vor diesem Hintergrund geht dieser Sachstand auf die Frage ein, welche Informationspflichten staatliche Rettungskräfte im Mittelmeer gegenüber dem libyschen Joint Rescue Cooperation Centre in Tripolis haben und welche völkerrechtlichen, die Seenotrettung betreffenden Übereinkommen bestehen, die die Europäische Union (EU) bzw. deren Mitgliedstaaten binden. 2. Informationspflichten im Rahmen der Seenotrettung Das allgemeine Seerecht5 – insbesondere die Anlage zum Internationalen Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS), Kapitel V, Regel 336 – verpflichtet jeden Kapitän eines Schiffes, der von irgendeiner Seite eine Meldung über in Seenot befindliche Personen erhält , einerseits diesen mit größter Geschwindigkeit zu Hilfe zu eilen und andererseits die zuständigen Such- und Rettungsdienste zu unterrichten. Ratio dieser zweiteiligen Verpflichtung ist, dass das Seevölkerrecht eine Koordinierung der Seenotrettungseinsätze durch die zuständigen 1 Search and Rescue. 2 Global Integrated Shipping Information System, verfügbar unter: https://webaccounts.imo.org/Common/WebLogin .aspx?App=GISISPublic&ReturnUrl=https%3a%2f%2fgisis.imo.org%2fPublic%2fCOMSAR%2fDefault.aspx (zuletzt aufgerufen am 6. August 2018). 3 Auskunft des BMVI vom 6. August 2018 auf eine entsprechende Anfrage der Wissenschaftlichen Dienste. 4 Antwort des EU-Kommissars Avramopoulos auf eine Parlamentarische Anfrage (26. April 2018), EU-Dok. Nr. E- 000547/2018, verfügbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers.do?reference=E-2018- 000547&language=EN (zuletzt aufgerufen am 6. August 2018). 5 Spezielle, für den Einsatz von Einheiten des FRONTEX oder der NATO geltende Regelungen sind nicht Gegenstand dieses Sachstandes. 6 Kapitel V, Regel 33 der Anlage zum SOLAS in der Fassung vom 20. Mai 2004, verfügbar unter: http://www.imo.org/en/OurWork/Facilitation/personsrescued/Documents/Resolution%20MSC.153%2878%29- MSC%2078.pdf (zuletzt aufgerufen am 6. August 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 113/18 Seite 5 nationalen Rettungsleitstellen vorsieht. Voraussetzung einer effektiven Koordinierung ist indes u. a. auch die spiegelbildliche Pflicht aller Seefahrer, entsprechende Informationen weiterzugeben .7 Kriegsschiffe und Staatsschiffe im nicht-kommerziellen Einsatz sind gemäß Kapitel V, Regel 1 Abs. 1 der Anlage zum SOLAS von der Anwendung des Kapitels V ausgenommen. Sie sind lediglich „gehalten, soweit zumutbar und durchführbar in Übereinstimmung mit diesem Kapitel zu handeln“ (Kapitel V, Regel 1 Abs. 2 der Anlage zum SOLAS).8 Außerdem genießen diese Schiffe Immunität nach den Art. 95 bzw. 96 des VN-Seerechtsübereinkommens (SRÜ). Nach Einschätzung eines mit der Thematik befassten Referatsleiters aus dem BMVI können sich Kriegs- und Staatsschiffe bei NATO- oder FRONTEX-Einsätzen auf die Ausnahme des Kapitel V, Regel 1 Abs. 1 der Anlage zum SOLAS berufen, um zu verhindern, dass sensible Informationen „unsicheren“ Empfängern zugänglich werden.9 3. Völkerrechtlich verbindliche Übereinkommen zur Seenotrettung Die Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot ist als Ausdruck der Menschlichkeit tief verankert in der Jahrhunderte alten, maritimen Tradition und gilt gemeinhin als ungeschriebenes Völkergewohnheitsrecht.10 Kodifiziert wurde die Pflicht zur Seenotrettung erstmals 1910 im Brüsseler Abkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über Hilfeleistung und Bergung in Seenot11. Praktisch jede nachfolgende Übereinkunft über die Sicherheit auf See enthält eine entsprechende Vorschrift, etwa: 7 Siehe auch IMO, International Aeronautical and Maritime Search and Rescue Manual, Bd. II: Mission Co-ordination (IMO, Exeter, 2016), S. 3-1 – 3-5, insbes. Nr. 3.1.1, 3.4.1 sowie 3.4.6. 8 Siehe auch Jacobshagen, Seeschifffahrtsrecht und Öffentliches Seerecht (LIT-Verlag, Berlin, 2016), S. 71. 9 Auskunft des BMVI vom 6. August 2018 auf eine entsprechende Anfrage der Wissenschaftlichen Dienste. 10 Nandan und Rosenne, UNCLOS 1982: A Commentary (1995), Vol III, S. 170 (171 f.); International Maritime Organization, „Note by the Secretariat: Place of Refuge” (20. Februar 2002), Dok. Nr. LEG 84/7, S. 2; Sachstand “Völkerrechtliche Schutzpflichten gegenüber Migranten in Seenot“ (31. Oktober 2013), WD 2 - 3000 - 078/13, S. 4; Barnes, „Refugee Law at Sea“, ILCQ, 2004, Vol. 53, S. 47 (49); Noyes, „Ships in Distress“ (2007), in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Rn. 8; Rah, Asylsuchende und Migranten auf See (2007), S. 100; v. Brevern und Bopp, „Seenotrettung von Flüchtlingen“, ZaöRV, 2002, S. 841; von der Mühll, Hilfeleistung und Bergung in Seenot (1948), S. 52 f. 11 Convention for the Unification of Certain Rules with Respect to Assistance and Salvage at Sea (unterzeichnet am 23. September 1910, in Kraft getreten am 1. März 1913), RGBl. 1913, Nr. 10, S. 66. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 113/18 Seite 6 − 1974: Internationales Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See – SOLAS (Anlage, Kapitel V, Bestimmung 10)12; − 1979: Internationales Übereinkommen über Seenotrettung – SAR (Anlage, Kapitel 2, Nr. 2.1.10)13; oder − 2004: VN-Seerechtsübereinkommen – SRÜ (Art. 98)14. Während die Übereinkünfte nur Staaten binden, die diese unterzeichnet und ratifiziert haben, gilt Völkergewohnheitsrecht für alle Staaten gleichermaßen. Soweit ersichtlich, widersprechen sich die Übereinkommen nicht inhaltlich. *** 12 International Convention for the Safety of Life at Sea (unterzeichnet am 1. November 1974, in Kraft getreten am 25. Mai 1980), 1184 UNTS 3, verfügbar unter: http://treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/Volume %201184/volume-1184-I-18961-English.pdf (zuletzt aufgerufen am 7. August 2018). 13 Convention on Maritime Search and Rescue (unterzeichnet am 27. April 1979; in Kraft getreten am 22. Juni 1985), BGBl. 1982, Teil II, Nr. 20, S. 486. 14 United Nations Convention on the Law of the Sea (unterzeichnet am 10. Dezember 1982, in Kraft getreten am 16. November 1994), BGBl. 1994, Teil II, S. 1799, verfügbar unter: http://www.un.org/Depts/los/convention_agreements /convention_overview_convention.htm (zuletzt aufgerufen am 7. August 2018).