© 2021 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 - 111/20 Zum rechtlichen Verhältnis zwischen Atomwaffenverbotsvertrag und Nichtverbreitungsvertrag Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 2 Zum rechtlichen Verhältnis zwischen Atomwaffenverbotsvertrag und Nichtverbreitungsvertrag Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 111/20 Abschluss der Arbeit: 19. Januar 2021 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zum Narrativ der „Unverträglichkeit“ von Atomwaffenverbots- und Atomwaffensperrvertrag 4 2. Die Verifikationsregime des AVV und des NVV als Bestandteile einer gemeinsamen nuklearen Abrüstungsarchitektur 10 2.1. Methodische Vorüberlegungen 10 2.2. Die Vertragsregime in der Praxis 11 2.3. Systematik des AVV-Verifikationsregimes 13 2.4. Verifikationsbestimmungen für Nicht-Kernwaffenstaaten 14 2.4.1. Sicherungsabkommen mit der IAEO 14 2.4.2. IAEO-Zusatzprotokoll 16 2.4.3. Weitere Verifikationsformate 17 2.5. Das AVV-Verifikationsregime in der Kritik 17 2.6. Relativierung der Kritik 21 2.6.1. Gleichlauf der rechtlichen Verpflichtungen aus dem AVV und dem NVV 21 2.6.2. AVV als Bestandsgarantie für IAEO-Verifikationsstandards 21 2.6.3. Entwicklungspotential des AVV 22 2.6.4. Staatenpraxis und Ratifikationsstatus 23 2.7. Verifikationsbestimmungen für nukleare Teilhabestaaten 24 2.8. Verifikationsbestimmungen für Kernwaffenstaaten 26 3. Zum (Spannungs-)Verhältnis zwischen AVV und NVV 27 3.1. Einschlägige Rechtsvorschriften 27 3.2. Ergänzungsverhältnis 29 3.3. Keine Erweiterung von vertraglichen Austrittsmöglichkeiten 30 3.4. Kein Fortschritt bei der Streitbeilegung 33 3.5. Kollision zwischen Verpflichtungen 33 3.6. Vorrang von Verpflichtungen 34 3.7. Art. 18 AVV und das „Unverträglichkeits-Narrativ“ 35 4. Resümee 36 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 4 1. Zum Narrativ der „Unverträglichkeit“ von Atomwaffenverbots- und Atomwaffensperrvertrag Am 22. Januar 2021 tritt der Vertrag über das Verbot von Kernwaffen (sog. Atomwaffenverbotsvertrag , im Folgenden: AVV)1 vom 7. Juli 2017 in Kraft.2 Einer breiteren Öffentlichkeit ist der AVV vor allem dadurch bekannt geworden, dass die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons, ICAN), die den Vertrag durch zahlreiche Kampagnen unterstützt hatte, im Jahre 2017 den Friedensnobelpreis erhielt.3 Die Fachwelt dagegen hatte den AVV – wie kaum einen anderen völkerrechtlichen Vertrag der jüngeren Zeit – schon lange vor seinem Inkrafttreten kontrovers diskutiert und analysiert.4 Ungeachtet seines erklärten Einstehens für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt („Global Zero“) ist Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag sowohl aus politischen als auch aus rechtlichen Gründen bis heute nicht beigetreten.5 1 Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW), kurz: “Ban Treaty”, https://undocs.org/A/CONF.229/2017/8 . Deutsche Übersetzung des Vertragstextes https://www.un.org/Depts/german/conf/a-conf-229-17-8.pdf. 2 Gem. Art. 15 AVV tritt der Vertrag 90 Tage nach Hinterlegung der 50. Ratifikationsurkunde (diese kam von Honduras) in Kraft. Die derzeit 51 Mitgliedstaaten des AVV sind überwiegend Vertreter des sog. „Globalen Südens“, die entweder in nuklearfreien Zonen gelegen und/oder militärisch wie wirtschaftlich wenig Gewicht in die Waagschale werfen können. Nur drei Vertragsparteien verfügen über das politische Gewicht einer Regionalmacht (Mexiko, Nigeria und Südafrika). Unter den EU-Mitgliedstaaten haben bislang Österreich, Malta und Irland den AVV ratifiziert. Der Ratifikationsstand des AVV ist abrufbar unter: https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVI-9&chapter=26. 3 FAZ vom 6. Oktober 2017, „Friedensnobelpreis geht an Anti-Atomwaffen-Kampagne“, https://www.faz.net/aktuell/wissen/nobelpreise/friedensnobelpreis-geht-an-anti-atomwaffen-kampagne-ican- 15233815.html. 4 Vgl. aus der kaum mehr überschaubaren Literatur Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019. George Perkovich (Carnegie Endowment), “The nuclear ban treaty. What would follow?”, Mai 2017, https://carnegieendowment.org/2017/05/31/nuclear-ban-treaty-what-would-follow-pub-70136. Wissenschaftlicher Dienst (ERRS) des Europäischen Parlaments, Briefing, Januar 2018, abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2018/614664/EPRS_BRI(2018)614664_EN.pdf. Manfred Mohr, „Der Atomwaffenverbotsvertrag und seine völkerrechtliche Wirkung“, in: Humanitäres Völkerrecht (HuV) 2018, S. 125-134, https://elibrary.bwv-verlag.de/article/99.105025/huv201801012501. Xanthe Hall / Leo Hoffmann-Axthelm, „Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen tritt in Kraft“ (ICAN- Hintergrund), Oktober 2020, https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2020/10/20-10- 23_AVV_Inkrafttreten.pdf. „The TPNW: Setting the record straight“, Studie der Norwegischen Akademie für Internationales Recht, Oktober 2018, http://intlaw.no/wp-content/uploads/2018/10/TPNW-Setting-the-record-straight-Oct-2018-WEB.pdf. 5 Deutscher Bundestag, „Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag abgelehnt“, BT-Drs. 19/98, 19/1734, Plenarprotokoll 19/58 vom 18. Oktober 2018, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw42-de-atomwaffen- 573264. Vgl. zum deutschen Standpunkt Alena Kunstreich, „Prohibition or Non-Proliferation? Germany’s Point of View Concerning the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons and Effective Nuclear Arms Control and Disarmament“, in: German Yearbook of International Law (GYIL), Vol. 60 (2017), S. 773-783, https://elibrary.duncker-humblot.com/publikation/b/id/43072/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 5 Nach Lesart der Bundesregierung beschreitet der Vertrag den „falschen Weg“ zur Erreichung des Ziels globaler Abrüstung. Die politische Diskussion um einen möglichen Beitritt Deutschlands zum AVV6 erscheint derweil nahezu festgefahren. Die Argumente von Gegnern und Befürwortern des AVV sind nicht nur hinlänglich ausgetauscht,7 sondern haben sich geradezu narrativ verfestigt : Neben dem Standardargument einer Unvereinbarkeit des AVV mit der nuklearen Teilhabe sowie der NATO-Mitgliedschaft Deutschlands ist auch das Narrativ einer (möglichen) Schwächung des Nichtverbreitungsvertrags vom 1. Juli 1968 (auch: Atomwaffensperrvertrag, im Folgenden : NVV) immer wieder zu hören.8 Kritikern des Vertrages zufolge könnte der AVV den Nichtverbreitungsvertrag beschädigen und seinen acquis gefährden, indem er konkurrierende völkerrechtliche Normen etabliere. Im Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung von 2017 heißt es dazu: „Die Bundesregierung beteiligte sich nicht – wie alle NATO-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme der Niederlande, die aber gegen den Vertrag stimmten – an den Verhandlungen über diesen Vertrag, noch hat sie diesen gezeichnet. Sie hält einen solchen Vertrag nicht für geeignet, das auch von ihr angestrebte Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt tatsächlich und in nachprüfbarer Weise zu erreichen. Keiner der Nuklearwaffenstaaten, auf deren Mitwirkung es bei einer an tatsächlichem, praktischem Fortschritt orientierten nuklearen Abrüstung in erster Linie ankommt, hat sich an den Verhandlungen beteiligt. Mehr noch, der Verbotsvertrag droht dem NVV und dem mit ihm verbundenen Kontrollregime zur 6 Vgl. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, „Dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beitreten“, BT-Drs. 19/25811 vom 13. Januar 2021, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/258/1925811.pdf. Jonas Schneider, „Kernwaffenverbotsvertrag: Das Inkrafttreten ist kein Durchbruch“, SWP-Aktuell, Januar 2021, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2021A03_Kernwaffenverbotsvertrag.pdf. 7 Dazu gehört auf der Seite der Vertragsgegner das Standardargument, dass der AVV keine einzige Atomwaffe beseitige, solange er von den Atommächten abgelehnt werde; die Seite der Vertragsbefürworter betont dagegen die dringende humanitäre Notwendigkeit, den Besitz und Einsatz von Atomwaffen in völkerrechtlich eindeutiger Weise zu ächten, die nukleare Abschreckung sowie den Besitz von Atomwaffen zu delegitimieren und die nuklearen Unterstützungsstrukturen politisch unter Druck zu setzen. 8 Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT), https://www.un.org/disarmament/wmd/nuclear/npt/text/. Deutsche Übersetzung des Vertragstextes abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/207392/b38bbdba4ef59ede2fec9e91f2a8179b/nvv-data.pdf. Dem Nichtverbreitungsvertrag gehören 190 Staaten an; nur vier Staaten auf der Welt (darunter die Atomwaffenstaaten Indien, Pakistan und Israel sowie der Südsudan) sind keine Mitglieder des NVV. Deutschland ist dem NVV am 2. Mai 1975 beigetreten. Die Demokratische Volksrepublik Nordkorea hat im Januar 2003 gegenüber den VN ihren Rücktritt vom NVV erklärt; der derzeitige Vertragsstatus Nordkoreas ist jedoch umstritten (http://disarmament.un.org/treaties/a/npt/democraticpeoplesrepublicofkorea/acc/moscow). Der Ratifikationsstand des NVV ist abrufbar unter http://disarmament.un.org/treaties/t/npt. Zum NVV vgl. die Analyse des Research Service (ERRS) des Europäischen Parlaments, April 2016, https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2016/580905/EPRS_IDA(2016)580905_DE.pdf. Wiss. Dienste des Deutschen Bundestags, „Regelungen und Umsetzung des Atomwaffensperrvertrages“, 18. Mai 2006, WD 2 – 080/06, https://www.bundestag.de/resource/blob/414930/2781b051d82565eb276366927cb8b739/WD-2-080-06-pdfdata .pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 6 Verhinderung nuklearer Proliferation nachhaltigen Schaden zuzufügen sowie das globale Nonproliferations- und Abrüstungsregime zu gefährden. Die Besorgnis der Bundesregierung gilt insbesondere der wichtigen Frage der Verifikation der Umsetzung eines sog. Atomwaffenverbots, deren Regelung im Verbotsvertrag aus ihrer Sicht hinter die geltenden Verifikationsstandards der IAEO und der NVV-Vertragsstaaten zurückfällt. (…).“9 In der Antwort der Bundesregierung vom 19. Januar 2021 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 22. Dezember 2020 weist die Bundesregierung auf die Gefahr einer „Fragmentierung und realen Schwächung internationaler Abrüstungsbemühungen“ hin.10 In die gleiche Richtung gehen entsprechende Stellungnahmen der NATO: “The ban treaty is at odds with the existing non-proliferation and disarmament architecture . This risks undermining the NPT, which has been at the heart of global nonproliferation and disarmament efforts for almost 50 years, and the IAEA Safeguards regime which supports it. (…).”11 “(…) On the other hand, the ban treaty lacks any rigorous or clear mechanisms for verification , and has not been signed by any state that possesses nuclear weapons, and thus will not result in the elimination of a single nuclear weapon. It risks undermining the global non-proliferation and disarmament architecture, with the NPT at its heart for more than 50 years, and the IAEA Safeguards regime that supports it.”12 Die USA kritisieren, dass der AVV “exacerbates political tensions on disarmament, dividing states into overly-simplified camps of ‘nuclear weapons supporters’ and ‘nuclear weapons banners’, rather than recognizing shared interests. (…) Reinforcing this false dichotomy and worsening the world's 9 Vgl. Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale 2017, S. 31, https://www.auswaertigesamt .de/blob/271790/8fccd71252a309496e16991c6bd3f62e/170531-jab-2017-data.pdf. 10 Antwort der Bundesregierung vom 19. Januar 2021 (noch unveröffentlicht) auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, „Der Atomwaffenverbotsvertrag und die nukleare Abrüstung“, BT-Drs. 19/25562 vom 22. Dezember 2020 (Frage 1), https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/255/1925562.pdf. 11 NATO Press Release (2017) 135 vom 20. September 2017, “North Atlantic Council Statement on the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons,” https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_146954.htm?selectedLocale=en. 12 NATO Press Release (2020) 131 vom 15. Dezember 2020, “North Atlantic Council Statement as the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons enters into force”, https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_180087.htm?selectedLocale=en. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 7 polarization on disarmament will make further progress within the institutions that have been vehicles for success, such as the NPT review process, significantly more difficult”.13 Das Narrativ einer „Beschädigung“ des NVV und einer „Gefährdung“ seiner Ziele einschließlich die mutmaßliche „Unterminierung von NVV-Verifikationsstandards“ durch den Atomwaffenverbotsvertrag – im Folgenden der Einfachheit halber: „Unverträglichkeits-Narrativ“ – ist von den Kritikern des AVV14 zwar immer wieder vorgetragen, rechtlich aber nur rudimentär begründet worden. In der Literatur wurde u.a. die Gefahr einer „Rosinenpickerei“ heraufbeschworen, wonach sich Staaten durch ihren Beitritt zum AVV „lästiger“ Kontrollverpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag entledigen könnten, indem sie darauf verweisen, diese stünden nicht im Einklang mit dem neuen Atomwaffenverbotsvertrag.15 Staaten könnten mutmaßlich beide Abkommen „gegeneinander ausspielen“ und die Unterstützung für den neuen AVV mit einem Entzug ihrer Unterstützung für den alten NVV „aufrechnen“.16 Gewarnt wurde vor der Gefahr des „forum shopping“ und einer Störung der austarierten Balance des Nichtverbreitungsregimes.17 Schlimmstenfalls könne der AVV „als Vorwand dienen, um aus dem unbequemeren NVV auszutreten und nur noch dem AVV anzugehören.“18 Große Teile der Literatur, vor allem aus dem Bereich des Abrüstungsrechts (international disarmament law) kommen zu einem gegenteiligen Schluss:19 13 United States, Statement to the UNGA First Committee (12 October 2017). https://www.reachingcriticalwill.org/images/documents/Disarmament-fora/1com/1com17/statements/12Oct_USA.pdf. 14 Dazu zählen insbesondere die neun Atommächte sowie die 27 Nicht-Kernwaffenstaaten der NATO, aber wohl auch Japan, Südkorea und Australien. 15 Oliver Meier, „Vereinte Nationen beschließen Atomwaffenverbot“, SWP-Aktuell 54, Juli 2017, S. 2, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A54_mro.pdf. 16 Kai Ambos / Matthias Lippold, „Völkerrecht und nukleare Abrüstung – eine gespaltene internationale Gemeinschaft ?“, in: Juristenzeitung (JZ) 2020, S. 913-922 (920), https://www.mohrsiebeck.com/artikel/voelkerrechtund -nukleare-abruestung-eine-gespaltene-internationale-gemeinschaft-101628jz-2020-0300?no_cache=1. 17 Adam Mount / Richard Nephew, „A nuclear weapons ban should first do no harm to the NPT“, in: Bulletin of the Atomic Scientists 7. März 2017, https://thebulletin.org/2017/03/a-nuclear-weapons-ban-should-first-do-noharm -to-the-npt/. 18 Jonas Schneider, „Kernwaffenverbotsvertrag: Das Inkrafttreten ist kein Durchbruch“, SWP-Aktuell, Januar 2021, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2021A03_Kernwaffenverbotsvertrag.pdf, S. 4. 19 Vgl. z.B. Stuart Maslen, “The Relationship of the 2017 Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons with other Agreements: Ambiguity, Complementarity, or Conflict?”, Blog of the European Journal of International Law, 1. August 2017, https://www.ejiltalk.org/the-relationship-of-the-2017-treaty-on-the-prohibition-of-nuclearweapons -with-other-agreements-ambiguity-complementarity-or-conflict/. Jeffrey Lewis, „Safeguards Challenges in the Nuclear Weapons Ban“, in: Arms Control Wonk, 10. Juli 2017, https://www.armscontrolwonk.com/archive/1203571/safeguards-challenges-in-the-nuclear-weapons-ban/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 8 „The drafters of the TPNW took great care to avoid any conflict with the NPT. This intention is reflected in their repeated statements highlighting the mutually reinforcing nature of the two treaties, as well as in the TPNW text. (…) While not identical, the core obligations of the two treaties thus seem to be perfectly consistent with one another.“20 Thomas Hajnoczi, Leiter der österreichischen Delegation bei den Verhandlungen des AVV, resümiert: “In sum, the negotiations of the TPNW were marked by the utmost care to make the TPNW a new legal instrument in line with the existing disarmament and nonproliferation regime. The treaty explicitly and structurally fits into the framework created by the NPT and constitutes a necessary measure for the implementation of its Article VI. The TPNW therefore did not create a parallel universe to the traditional one founded on the NPT, but on the contrary, makes the existing universe of legal instruments around the NPT stronger.”21 Das „Unverträglichkeits-Narrativ“ bedarf ganz offensichtlich selber einer Verifikation. In diesem Zusammenhang stellt sich etwa die Frage, welche Regelungen des AVV den Nichtverbreitungsvertrag als zentrales Element nuklearer Ordnung bedrohen und worin eine Schwächung des NVV und seiner Verifikationsstandards bestehen soll.22 Existieren konkrete Regelungen im AVV, die hinter die Verifikationsstandards des NVV zurückfallen? Oder geht es vielmehr um eine Absenkung von Verifikationsstandards als Folge einer alternativen Anwendung („pick and choose“) von vertraglich basierten Kontrollmechanismen? 20 Vgl. für viele Tytti Erästö, “The NPT and the TPNW: Compatible or conflicting nuclear weapons treaties?” Stockholm International Peace Research Institut, Sipri blog, 6. März 2019, https://www.sipri.org/commentary/blog/2019/npt-and-tpnw-compatible-or-conflicting-nuclear-weaponstreaties . 21 Thomas Hajnoczi, “The Relationship between the NPT and the TPNW”, in: Journal for Peace and Nuclear Disarmament, 2020, S. 87-91 (87), https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/25751654.2020.1738815?needAccess=true&. Ähnlich in der Bewertung auch Manfred Mohr, „Der Atomwaffenverbotsvertrag und seine völkerrechtliche Wirkung“, in: Humanitäres Völkerrecht (HuV) 2018, S. 125-134 (134), https://elibrary.bwvverlag .de/article/99.105025/huv201801012501: „Der NPT ist nicht ´at odds with the existing non-proliferation and disarmament architecture`, wie das Nordatlantikrat -Papier behauptet, sondern bekräftigt, untersetzt diese Architektur (und) baut sie aus (…).“ 22 Vgl. insoweit die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, „Der Atomwaffenverbotsvertrag und die nukleare Abrüstung“, BT-Drs. 19/25562 vom 22. Dezember 2020, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/255/1925562.pdf, (Fragen 1 bis 5). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 9 Mit Blick auf das Verhältnis zwischen beiden Vertragsregimen muss geklärt werden: Erleichtert der AVV seinen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihre Verpflichtungen aus dem NVV zu derogieren oder aus dem NVV auszuscheiden und ist ein solches Verhalten innerhalb der NVV-Gemeinschaft realistischer Weise zu erwarten? Stehen die Verpflichtungen aus beiden Verträgen in einem Rangverhältnis zueinander und werden NVV-Verpflichtungen durch höherrangige Verpflichtungen aus dem AVV verdrängt, relativiert oder überlagert? Betrifft das „Unverträglichkeits-Narrativ“ nur die Verifikationsverpflichtungen von Nicht- Kernwaffenstaaten oder auch die nuklearen Teilhabestaaten bzw. Kernwaffenstaaten, die dem AVV auf absehbare Zeit ohnehin nicht beitreten wollen? Das „Unverträglichkeits-Narrativ“ ist Ausdruck eines offenbar ungeklärten Verhältnisses zwischen beiden Vertragsregimen. Vor diesem Hintergrund fordert nun ein Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 13. Januar 2021 zum „Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag “ die Bundesregierung auf, „aktiv daran mitzuwirken, dass das Verhältnis zwischen Atomwaffensperrvertrag und Atomwaffenverbotsvertrag konstruktiv ausgestaltet wird, so dass die beiden abrüstungspolitischen Normen vereinbar nebeneinander stehen.“23 Das Verhältnis zwischen AVV und NVV gehört zu den völkerrechtlich reizvollen kontroversen Fragestellungen rund um den neuen Atomwaffenverbotsvertrag. Die mittlerweile stark angewachsene völkerrechtliche Literatur zu diesem Thema begreift das Verhältnis zwischen AVV und NVV als Spannungsfeld zwischen Konkurrenz, Kompatibilität und Konflikt.24 23 Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, „Dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beitreten “, BT-Drs. 19/25811 vom 13. Januar 2021, S. 2, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/258/1925811.pdf. 24 Harald Müller, „Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag und der neue Kernwaffenverbotsvertrag – harmonisch, kompatibel, unverträglich?“, in: S&F Sicherheit und Frieden 2/2018, S. 61-66, https://www.nomoselibrary .de/10.5771/0175-274X-2018-2-61/der-nukleare-nichtverbreitungsvertrag-und-der-neuekernwaffenverbotsvertrag -harmonisch-kompatibel-unvertraeglich-jahrgang-36-2018-heft-2. Alexander Kmentt, “Can the NPT and the TPNW co-exist?“, in: Beyond Nuclear International (blog), 4. Mai 2019, https://beyondnuclearinternational.org/2019/05/04/can-the-npt-and-the-tpnw-co-exist/. Stuart Maslen, “The Relationship of the 2017 Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons with other Agreements : Ambiguity, Complementarity, or Conflict?”, Blog of the European Journal of International Law, 1. August 2017, https://www.ejiltalk.org/the-relationship-of-the-2017-treaty-on-the-prohibition-of-nuclear-weapons-withother -agreements-ambiguity-complementarity-or-conflict/. Tytti Erästö, “The NPT and the TPNW: Compatible or conflicting nuclear weapons treaties?” Stockholm International Peace Research Institut, Sipri blog, 6. März 2019, https://www.sipri.org/commentary/blog/2019/npt-andtpnw -compatible-or-conflicting-nuclear-weapons-treaties. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 10 Teile der Literatur betrachten den AVV dagegen weniger als ein isoliertes Instrument, sondern als ein Vertragswerk, das in die nukleare Abrüstungsarchitektur eingebettet wird, wobei bereits existierende Institutionen, Strukturen und Vertragsregime künftig für, mit oder gegen den AVV arbeiten könnten.25 Beide Verträge bilden danach gewissermaßen eine Art „Tandem“, dessen Mechanismen aufeinander abgestimmt und gemeinsam implementiert werden müssen. Die vorliegende Ausarbeitung befasst sich im ersten Teil (s.u. 2.) mit den Verifikationsregimen des Atomwaffenverbotsvertrages und des Nichtverbreitungsvertrages als Bestandteile einer gemeinsamen nuklearen Abrüstungsarchitektur. Mit Blick auf das „Unverträglichkeits-Narrativ“ wird der Frage nachgegangen, ob der Atomwaffenverbotsvertrag das Verifikationsregime des Nichtverbreitungsvertrags völkerrechtlich schwächt, untergräbt oder hinter diesem zurückbleibt. Der zweite Teil der Untersuchung (s.u. 3.) wendet sich dem Verhältnis zwischen Atomwaffenverbotsvertrag und Atomwaffensperrvertrag zu. Ausgehend von den bereits aufgeworfenen Fragestellungen soll das Spannungsfeld zwischen den Vertragsregimen ausgelotet und Kollisions - bzw. Vorrangfragen sowohl normativ als auch rechtspraktisch beleuchtet werden. 2. Die Verifikationsregime des AVV und des NVV als Bestandteile einer gemeinsamen nuklearen Abrüstungsarchitektur 2.1. Methodische Vorüberlegungen Ein Vergleich bzw. eine Gegenüberstellung beider Verifikationsregime, wie dies in der Stellungnahme der ICAN26 für die öffentliche Anhörung vom 3. März 2020 des Unterausschusses ´Abrüstung` des Deutschen Bundestages27 anklingt, stößt methodisch auf gewisse Schwierigkeiten . 25 Tamara Patton / Sébastien Philippe / Zia Mian, „Fit for Purpose: An Evolutionary Strategy for the Implementation and Verification of the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, in: Journal for Peace and Nuclear Disarmament, September 2019, S. 387-409 (389), https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/25751654.2019.1666699?scroll=top&needAccess=true. 26 Vgl. Xanthe Hall, „Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle und des Nichtverbreitungsvertrages“, 3. März 2020, https://www.bundestag.de/resource/blob/684848/39e12c036533807e0fc3ee2ed855970f/Stellungnahme- Xanthe-Hall-data.pdf. 27 Öffentliche Anhörung zum Thema „Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle und des Nichtverbreitungsvertrags “ am 3. März 2020, https://www.bundestag.de/resource/blob/684194/fe7fe5eb7158893ce53d89927d57f545/TO-018-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 11 Immerhin handelt es sich bei den Verifikationsregimen von AVV und NVV nicht um zwei komplett isolierte, sondern vielmehr um rechtlich ineinander greifende und sich teilweise ergänzende Vertragsmechanismen.28 Der AVV schafft also keine gänzlich neuen Verifikationsstrukturen, sondern greift zum großen Teil auf bereits existierende Mechanismen, wie z.B. die Sicherungsabkommen der Vertragsstaaten mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), zurück. Abgesehen davon haben beide Verträge unterschiedliche Zielsetzungen, die sich letztlich auch in den vertraglich verankerten Verifikationsansätzen widerspiegeln: Der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) will die Proliferation von spaltbarem Material und nuklearer Waffentechnik verhindern. Dabei akzeptiert und zementiert er im Kern eine „Zweiklassengesellschaft“ zwischen den fünf traditionellen NVV-Kernwaffenstaaten und den Nicht-Kernwaffenstaaten. Der Atomwaffenverbotsvertrag , der in erster Linie ein nuklearer Abrüstungsvertrag ist, zielt darauf ab, diese Asymmetrie langfristig zu beenden. Dabei schließt er in abrüstungsrechtlicher Hinsicht eine „Lücke“ im Nichtverbreitungsvertrag, die sich im Hinblick auf die (unvollständige) Abrüstungsverpflichtung aus Art. 6 NVV ergibt. Während der NVV – vor allem aber die IAEO – Verifikationsmechanismen zur Eindämmung der Nichtverbreitung (non-proliferation) geschaffen hat, etabliert der Atomwaffenverbotsvertrag vor allem Abrüstungskontrollmechanismen. Eine Gegenüberstellung beider Vertragsregime läuft methodisch also Gefahr, gewissermaßen „Äpfel und Birnen“ miteinander zu vergleichen. Dieser Ansatz, die beiden unterschiedlichen Verifikationsregime einander gegenüberzustellen und womöglich einem „Effektivitäts-Ranking“ zu unterwerfen, findet in der angloamerikanischen Diskussion kaum einen Widerhall, was zu der Vermutung Anlass geben könnte, die hierzulande geführte Debatte sei wieder einmal „typisch deutsch“. 2.2. Die Vertragsregime in der Praxis Es ist eine Binsenweisheit, dass die Effektivität eines vertraglich basierten Kontrollmechanismus nicht allein vom Wortlaut des Vertragstextes abhängt, sondern vielmehr das Ergebnis gelebter Staatenpraxis ist.29 Eine juristische Auseinandersetzung mit den Verifikationsregimen von AVV und NVV muss daher immer auch die Entwicklungen in der Praxis berücksichtigen. Der NVV blickt dabei auf eine mittlerweile 50-jährige Praxis zurück.30 Seit seinem Inkrafttreten im März 1970 stützt sich der Verifikationsmechanismus des NVV auf die im Jahre 1957 gegründete Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO; International Atomic Energy Agency), 28 So Zia Mian / Tamara Patton / Alexander Glaser, “Addressing Verification in the Nuclear Ban Treaty”, in: Arms Control Today (Zeitschrift) Juni 2017, S. 10, https://www.armscontrol.org/act/2017-06/features/addressingverification -nuclear-ban-treaty. 29 Vgl. insoweit Shea, Thomas E., Verifying Nuclear Disarmament, London: Routledge, 2020, S. 65 ff. 30 Dabei musste es sich auch in schwierigen Situationen (Iran, Nordkorea) bewähren; vgl. dazu etwa Tariq Rauf / Robert Kelley, „Nuclear Verification in Iran“, in: Arms Control Today, Vol. 44 (2014), S. 8-17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 12 die gem. Art. 3 NVV für die Überwachung des Nichtverbreitungsvertrages (z.B. durch Satellitenüberwachung , „vor Ort“-Inspektionen u.a.m.) zuständig ist. Im Rahmen der IAEO haben sich verschiedene Verifikationsformate herausgebildet und etabliert, die noch näher erläutert werden (s.u. 2.4.). Zur abrüstungspolitischen Staatenpraxis zählen neben den turnusmäßig alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen31 auch NVV-übergreifende Formate wie die Nonproliferation and Disarmament Initiative (seit 2010) bzw. die Stockholm Inititiative for Nuclear Disarmament. Zudem unterliegt das Verifikationsregime des NVV seit Jahren einer Evaluierung durch die Friedensforschung, Nuklearwissenschaft oder Politikwissenschaft.32 Nicht zuletzt ist der Nichtverbreitungsvertrag Gegenstand nationaler und internationaler Rechtsprechung geworden .33 Dem Vertrags- und Verifikationsregime des AVV, der am 22. Januar 2021 in Kraft tritt, steht dagegen der Praxistest erst noch bevor. Internationale Überwachungsgremien, die der AVV gem. Art. 4 vorsieht, existieren bislang nur auf dem Papier.34 Verfahrensabläufe, die sich im Rahmen des NVV seit langem etabliert haben, müssen sich beim AVV erst noch einschleifen. Eine Zusammenkunft aller AVV-Vertragsstaaten, die Art. 8 AVV – analog zur NVV-Überprüfungskonferenz – vorsieht, um Angelegenheiten in Bezug auf die Anwendung und Durchführung des Vertrages zu prüfen und ggf. weitere Beschlüsse zu fassen, wird vom VN-Generalsekretär frühestens innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des AVV einberaumt (vgl. Art. 8 Abs. 2 AVV). Die vertraglich vorgezeichneten Konturen des Verifikationsregimes werden sich erst allmählich 31 Die NVV-Überprüfungskonferenz 2015 konnte sich trotz intensiver Verhandlungen nicht auf ein Abschlussdokument einigen; die für Mai 2020 geplante 10. Überprüfungskonferenz wurde wegen der Pandemie auf August 2021 verlegt (https://www.un.org/sites/un2.un.org/files/20-137nve-note-verbale.pdf). Vgl. zum derzeitigen Stand der Abrüstungsbemühungen und zur Überprüfung des NVV Rüdiger Lüdeking, „50 Jahre Atomwaffensperrvertrag: Ein Plädoyer für atomare Abrüstung und Nichtverbreitung in Zeiten der Corona-Pandemie,“ BAKS Arbeitspapiere, 4/2020, https://www.baks.bund.de/sites/baks010/files/arbeitspapier_sicherheitspolitik_2020_4.pdf. 32 Götz Neuneck, „Nukleare Rüstungskontrolle: Stand und zentrale Herausforderungen“, in: Zeitschrift für Außenund Sicherheitspolitik (ZFAS) 2018, S. 581-601, https://link.springer.com/article/10.1007/s12399-018-0742-5. Oliver Thränert, „Die Zukunft des Atomwaffensperrvertrags“, SWP-Studie, August 2004, S. 12 ff., https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2004_S28_trt_ks.pdf. 33 Der IGH hat einzelne Bestimmungen des NVV (insb. die Verhandlungsverpflichtung aus Art. 6 NVV) im Rahmen seines Nuklearwaffen-Gutachtens ausgelegt – vgl. ICJ, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 8 July 1996, https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/95/095-19960708- ADV-01-00-EN.pdf. Art. 6 NVV war auch Gegenstand einer Klage der Marshall-Inseln gegen die Atommächte vor dem IGH im Jahre 2016, die der IGH allerdings mangels eigener Jurisdiktion abgewiesen hatte. Die Entscheidungen deutscher Gerichte zum NVV betreffen vor allem Fragen der nuklearen Teilhabe Deutschlands (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. März 2018 - 2 BvR 1371/13, http://www.bverfg.de/e/rk20180315_2bvr137113.html). 34 Überlegungen zur künftigen AVV-Überwachungsbehörde finden sich bei Tamara Patton / Sébastien Philippe / Zia Mian, „Fit for Purpose: An Evolutionary Strategy for the Implementation and Verification of the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, in: Journal for Peace and Nuclear Disarmament 2019, S. 387-409 (400 f.), https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/25751654.2019.1666699?scroll=top&needAccess=true. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 13 „mit Leben füllen“.35 Wie sich der AVV dabei in die nukleare Abrüstungsarchitektur einfügen und welchen praktischen Mehrwert bzw. welche Entwicklungspotentiale er möglicherweise entfalten wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen. Auch die innerstaatliche Umsetzung des Vertrages, auf die Art. 5 AVV abstellt, muss sich in Zukunft erst noch bewähren. Ein abschließendes Urteil über das AVV-Verifikationsregime, das nicht nur den bloßen Wortlaut der Vertragsbestimmungen in den Blick nimmt, sondern darüber hinaus auch die Staatenpraxis einschließlich der Methoden, Techniken und Verifikationsverfahren berücksichtigt, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls nicht seriös fällen. Apodiktische Feststellungen und Vorhersagen einer (mutmaßlichen) Unterminierung oder Schädigung des NVV durch das Verifikationsregime eines Vertrages, der noch nicht einmal in Kraft getreten ist, sind jedoch mit einer gewissen Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen. 2.3. Systematik des AVV-Verifikationsregimes Das in den Art. 3 und 4 AVV geregelte Verifikationsregime des Atomwaffenverbotsvertrags gestaltet sich relativ kompliziert. Im Grundsatz differenziert der AVV zwischen den Verpflichtungen von Nicht-Nuklearwaffenstaaten (geregelt in Art. 3 AVV) und denen von Nuklearwaffenstaaten (geregelt in Art. 4 Abs. 2 und 3 AVV). Art. 4 Abs. 1 AVV bezieht sich dagegen (nur) auf Staaten, die ihr Kernwaffenprogramm im Zeitraum nach der Verabschiedung aber vor Inkrafttreten des AVV (7. Juli 2017 bis 22. Januar 2021) aufgegeben haben. Staaten, die in die nukleare Teilhabe (nuclear sharing) der NATO36 eingebunden sind (im Folgenden: nukleare Teilhabestaaten) – neben Deutschland sind dies Belgien, die Niederlande, Italien und die Türkei37 – betrachtet der AVV als Nicht-Kernwaffenstaaten. 35 Vgl. Zia Mian / Tamara Patton / Alexander Glaser, “Addressing Verification in the Nuclear Ban Treaty”, in: Arms Control Today, Juni 2017, https://www.armscontrol.org/act/2017-06/features/addressing-verificationnuclear -ban-treaty. Tamara Patton / Sébastien Philippe / Zia Mian, „Fit for Purpose: An Evolutionary Strategy for the Implementation and Verification of the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, in: Journal for Peace and Nuclear Disarmament, September 2019, S. 387-409 (394 ff.), https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/25751654.2019.1666699?scroll=top&needAccess=true. 36 Die nukleare Teilhabe besteht aus zwei Komponenten. Zur technischen Komponente gehört die Bereitstellung europäischer Trägersysteme und ausgebildeter Bedienungsmannschaften für den Einsatz von US-Atomwaffen im Kriegsfall sowie von Lagermöglichkeiten für US-Atomwaffen auf dem Territorium des Teilhabestaates. Zur politischen Teilhabe gehört die Mitarbeit in Nato-Gremien, in denen Informationen über nukleare Angelegenheiten ausgetauscht, nukleare Rüstungsplanung betrieben, Rüstungskontrollinteressen abgeglichen und nukleare Einsatzszenarien diskutiert und beschlossen werden (vgl. Otfried Nassauer, „Wird Europa technisch ausgetrickst?“, in: Neues Deutschland vom 16. November 2020, https://www.neuesdeutschland .de/artikel/1144425.globale-sicherheitspolitik-wird-europa-technisch-ausgetrickst.html). 37 Griechenland hat die nukleare Teilhabe in der NATO im Jahre 2001 aus finanziellen Gründen und Kanada bereits im Jahre 1984 aus friedenspolitischen Gründen aufgekündigt. Unter den derzeit 30 NATO- Mitgliedstaaten existieren also drei Kernwaffenstaaten (USA, Frankreich und Großbritannien) und fünf Teilhabestaaten (Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien und die Türkei). Die anderen 22 NATO-Staaten sind Nicht-Teilhabestaaten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 14 Für den Fall eines Beitritts unterlägen nukleare Teilhabestaaten also dem Verifikationsregime für Nicht-Kernwaffenstaaten. Allerdings gehen die Bestimmungen des AVV in Bezug auf nukleare Teilhabestaaten weiter als für Nicht-Teilhabestaaten. Neben Art. 3 AVV gelten insoweit auch die Sonderregelungen aus Art. 4 Abs. 4 AVV.38 2.4. Verifikationsbestimmungen für Nicht-Kernwaffenstaaten Der AVV legt den Verifikationsmechanismus für Nicht-Kernwaffenstaaten in Art. 3 fest: „1. Für jeden Vertragsstaat (…) gelten mindestens seine zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrags in Kraft befindlichen Sicherungsverpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergie-Organisation weiter, unbeschadet zusätzlicher einschlägiger Rechtsinstrumente, die er in der Zukunft möglicherweise annimmt. 2. Jeder Vertragsstaat (…) schließt mit der Internationalen Atomenergie-Organisation ein umfassendes Sicherungsabkommen (INFCIRC/153 Rev. 2) und setzt es in Kraft, sofern er dies nicht bereits getan hat. Die Verhandlungen über ein derartiges Abkommen werden binnen 180 Tagen nach dem Inkrafttreten dieses Vertrags für den betreffenden Vertragsstaat aufgenommen. Das Abkommen tritt spätestens 18 Monate nach dem Inkrafttreten dieses Vertrags für den betreffenden Vertragsstaat in Kraft. Danach gelten für jeden Vertragsstaat die daraus entstehenden Verpflichtungen weiter, unbeschadet zusätzlicher einschlägiger Rechtsinstrumente , die er in der Zukunft möglicherweise annimmt.“ Art. 3 AVV verweist auf die IAEO-Sicherungsabkommen und greift damit auf Verifikationsstandards des NVV zurück, die im Folgenden skizziert und erläutert werden sollen. 2.4.1. Sicherungsabkommen mit der IAEO Das Verifikationsregime des Nichtverbreitungsvertrages ist in Art. 3 NVV angelegt, hat sich aber unter der Ägide der IAEO kontinuierlich weiterentwickelt und ausdifferenziert. Gem. Art. 3 NVV ist es Aufgabe der IAEO, Sicherungsmaßnahmen mit allen Nicht-Kernwaffenstaaten durchzuführen . Die IAEO soll sicherstellen, dass aus deklarierten Nuklearaktivitäten kein spaltbares Material für die Herstellung von Atomwaffen abgezweigt wird. Im NVV selbst sind allerdings keine konkreten Sicherungsmaßnahmen festgeschrieben. Es bleibt der IAEO überlassen, die entsprechenden technischen Mittel und Maßnahmen zur Verifikation z.B. durch eine Sicherungsvereinbarung über Inspektionsrechte und Safeguards auszugestalten. Durch die völkerrechtlich verbindlichen Sicherungsabkommen (Comprehensive Safeguard-Agreements) zwischen den 38 Vgl. näher Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 4 Rdnr. 4.33. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 15 NVV-Staaten und der IAEO wird der gesamte deklarierte Spaltstofffluss – also der Prozess von der Einfuhr oder Gewinnung bis zur Entsorgung nuklearen Materials – Kontrollen unterworfen.39 Sicherungsvereinbarungen im Nichtverbreitungsregime des NVV werden nach Maßgabe von IAEO-standardisierten Richtlinien INFCIRC/153 (korrigiert) geschlossen.40 Ein Staat verpflichtet sich damit, IAEO-Schutzmaßnahmen für das gesamte Kernmaterial bei allen friedlichen nuklearen Aktivitäten in seinem Hoheitsgebiet zu akzeptieren. Im Rahmen dieser Abkommen hat die IAEO das Recht und die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Schutzvorkehrungen getroffen werden, um sicherzustellen, dass dieses Material nicht für Kernwaffen verwendet wird.41 Obwohl die Annahme von Sicherheitsmaßnahmen gem. Art. 3 NVV völkerrechtlich verpflichtend ist,42 haben einige wenige NVV-Mitgliedstaaten bis heute noch keine Sicherungsabkommen mit der IAEO abgeschlossen.43 Art. 3 AVV verlangt nun die Beibehaltung bestehender Verifikationsabkommen, mindestens aber den im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages vorgeschriebenen Abschluss eines Standard- Verifikationsabkommens mit der IAEO. Die Verpflichtung aus Art. 3 AVV entspricht daher den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 des Nichtverbreitungsvertrages.44 Art. 3 AVV schreibt diesen Verifikationsstandard als Mindeststandard für Nicht-Kernwaffenstaaten fest. Der Bericht der Norwegischen Akademie für Internationales Recht zum Atomwaffenverbotsvertrag weist auf den Unterschied zwischen den Verifikationsbestimmungen des Art. 3 NVV und Art. 3 AVV hinsichtlich der IAEO-Sicherungsabkommen hin: 39 Auswärtiges Amt, „IAEO“, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/abruestungruestungskontrolle /nukleare-abruestung-und-nichtverbreitung/-/207052. 40 INFCIRC/153(Corrected) - The Structure and Content of Agreements Between the Agency and States Required in Connection with the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (iaea.org), https://www.iaea.org/sites/default/files/publications/documents/infcircs/1972/infcirc153.pdf. 41 Vgl. insoweit die Informationen von der IAEO-Homepage, https://www.iaea.org/topics/safeguards-legalframework /more-on-safeguards-agreements. 42 Art. 3 Abs. 1 NVV lautet: „Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Sicherungsmaßnahmen anzunehmen, wie sie in einer mit der IAEO nach Maßgabe ihrer Satzung und ihres Sicherungssystems auszuhandelnden und zu schließenden Übereinkunft festgelegt werden (…).“ 43 Dabei handelt es sich um die – proliferationstechnisch aber wohl eher unkritischen – Staaten Cabo Verde (Kapverden), Eritrea, Guinea, Guinea-Bissau, São Tomé und Príncipe sowie Timor-Leste (vgl. Statusliste zum IAEO-Zusatzprotokoll https://www.iaea.org/sites/default/files/20/01/sg-ap-status.pdf). 44 So Harald Müller, „Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag und der neue Kernwaffenverbotsvertrag – harmonisch , kompatibel, unverträglich?“, in: S&F Sicherheit und Frieden 2/2018, S. 61-66 (64), https://www.nomoselibrary .de/10.5771/0175-274X-2018-2-61/der-nukleare-nichtverbreitungsvertrag-und-der-neuekernwaffenverbotsvertrag -harmonisch-kompatibel-unvertraeglich-jahrgang-36-2018-heft-2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 16 „The TPNW commits any party that has not yet done so to bring into force a comprehensive safeguards agreement with the IAEA based on IAEA document INFCIRC/153 (Corrected). This makes the TPNW considerably more precise than the NPT, which only obliges its parties to ´accept safeguards` set forth in an unspecified agreement to be negotiated with the IAEA. At the time of the NPT’s adoption, the IAEA applied safeguards under the considerably less robust INFCIRC/66/Rev. 2. The stronger model agreement INFCIRC/153 was adopted by the IAEA Board of Governors in March 1971 – more than three years after the adoption of the NPT – and is today, in its corrected form, the basis for all comprehensive IAEA safeguards applied in NPT non-nuclear-weapon states” (…).45 2.4.2. IAEO-Zusatzprotokoll Mit der Entdeckung nicht-deklarierter, heimlicher Nuklearaktivitäten im Irak im Jahre 1991, die der IAEO nicht gemeldet wurden, erwies sich der bisherige Verifikationsmechanismus des NVV als unzureichend. Die IAEO entwickelte daher ein Zusatzprotokoll, das 1997 vom IAEO- Gouverneursrat verabschiedet wurde. Das Zusatzprotokoll verlangt – aufbauend auf den IAEO- Sicherungsabkommen – den Abschluss von zusätzlichen, auf den jeweiligen Mitgliedstaat zugeschnittenen völkerrechtlich verbindlichen Abkommen mit der IAEO.46 Das Zusatzprotokoll von 1997 gibt den IAEO-Inspektoren die Möglichkeit, unangemeldete Kontrollen in beliebigen Anlagen durchzuführen. Es ermöglicht der IAEO überdies, eine Versicherung darüber abzugeben, dass es in einem NVV-Mitgliedstaat keine Hinweise auf nicht-deklarierte nukleare Aktivitäten gibt.47 Das IAEO-Zusatzprotokoll wurde bislang von 150 NVV-Staaten gezeichnet und ist derzeit für 136 NVV-Staaten (darunter Deutschland) sowie für die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) in Kraft.48 Dazu gehören die meisten Staaten, die nukleare Aktivitäten betreiben. „Sorgenkind“ in diesem Zusammenhang ist der Iran.49 Soweit ersichtlich, sind einmal in Kraft getretene IAEO- Zusatzprotokolle von den Staaten nicht mehr gekündigt / außer Kraft gesetzt worden; das Modell Protocol enthält keine Kündigungsklausel, sondern regelt nur sein Inkrafttreten. 45 Gro Nystuen / Kjølv Egeland / Torbjørn Graff Hugo, „The TPNW: Setting the record straight“, Studie der Norwegischen Akademie für Internationales Recht, Oktober 2018, S. 10, http://intlaw.no/wpcontent /uploads/2018/10/TPNW-Setting-the-record-straight-Oct-2018-WEB.pdf. 46 Ein Model Protocol Additional to the Agreement(s) between State(s) and the IAEA for the Application of Safeguards ist abrufbar unter: https://www.iaea.org/sites/default/files/infcirc540c.pdf. 47 Vgl. näher Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 3 Rdnr. 3.14. ff. sowie IAEO-Homepage, https://www.iaea.org/topics/additional-protocol. 48 Status des Zusatzprotokolls (Stand: Sept. 2020): https://www.iaea.org/sites/default/files/20/01/sg-ap-status.pdf. 49 Iran, which has signed the Additional Protocol, notified the Agency that it would, pending entry into force, apply the Additional Protocol provisionally as of 16 of January 2016. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 17 Solange das IAEO-Zusatzprotokoll nicht von allen NVV-Mitgliedstaaten akzeptiert worden ist, schafft es jedenfalls innerhalb des Nichtverbreitungsregimes ein „Zwei-Klassen“-Verifikationsrecht . 2.4.3. Weitere Verifikationsformate Neben den Sicherungsabkommen und dem IAEO-Zusatzprotokoll haben sich unter der Ägide der IAEO weitere Verifikationsformate herausgebildet.50 Voluntary Offer Agreements der fünf Nuklearwaffenstaaten des NVV beziehen sich auf deren friedliche Nuklearaktivitäten. Item-Specific Safeguards Agreements (Artikelpezifische Sicherungsübereinkommen) basieren auf dem Sicherungsabkommen INFCIRC/66/Rev.2. Die Vertragsstaaten solcher Vereinbarungen verpflichten sich, kein Kernmaterial, keine Einrichtungen oder sonstigen Gegenstände, die der Vereinbarung unterliegen, zur Herstellung von Atomwaffen oder zur Förderung militärischer Zwecke zu verwenden. Die IAEO setzt in drei Staaten, die nicht Vertragsparteien des NVV sind, Schutzmaßnahmen gemäß solcher Vereinbarungen um. Small Quantities Protocol: Das im Jahre 1974 standardisierte und 2005 überarbeitete „Kleine-Mengen-Protokoll“ kann in Verbindung mit einem Comprehensive Safeguard Agreement abgeschlossen werden und gestattet dessen Einschränkung in Bezug auf Verpflichtungen zur Meldung von spaltbarem Material.51 2.5. Das AVV-Verifikationsregime in der Kritik Vor dem Hintergrund der skizzierten IAEO-Verifikationsformate entfaltet sich auch das „Unverträglichkeits -Narrativ“ der Bundesregierung, die sich auf den Standpunkt stellt, das Verifikationsregime des AVV sei unzureichend und bleibe hinter den Verifikationsstandards des NVV zurück. Die Argumentationslinie soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Als Ausgangspunkt der Argumentation ist festzuhalten, dass Art. 3 AVV als Verifikations- Mindeststandard nur den Abschluss der klassischen Sicherungsabkommen mit der IAEO (INFCIRC/153/Rev. 2) festschreibt. Art. 3 AVV verlangt von Nicht-Kernwaffenstaaten jedoch nicht den Abschluss des IAEO-Zusatzprotokolls von 1997. Der AVV stellt lediglich sicher, dass 50 Folgende Angaben sind der IAEO-Homepage entnommen, https://www.iaea.org/topics/safeguards-legalframework /more-on-safeguards-agreements. Näher dazu auch Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 3 Rdnr. 3.11. 51 Die überarbeitete Version des „Kleine-Mengen-Protokolls“ wird bislang (Stand: Sept. 2020) von 51 Staaten angewendet (vgl. zum Status https://www.iaea.org/sites/default/files/20/01/sg-sqp-status.pdf). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 18 NVV-Mitgliedstaaten, welche das IAEO-Zusatzprotokoll bereits abgeschlossen haben, dieses weiter implementieren. Allerdings könnte man in die Formulierung des Art. 3 AVV (‘‘at a minimum’’, ‘‘without prejudice to any additional relevant instruments that it may adopt in the future’’) eine indirekte Aufforderung an die Staaten hineinlesen, das Zusatzprotokoll abzuschließen und damit höhere Standards zu vereinbaren. Eirini Giorgou, legal advisor des IKRK und Teilnehmerin an den Vertragsverhandlungen , beleuchtet in diesem Zusammenhang die Hintergründe der Vertragsverhandlungen : „Proposals were made for a reference to ‘stricter standards’ and for language ‘encouraging’ states to upgrade. The fact that both met with strong opposition is indicative of the level of sensitivity among states of this issue. Nevertheless, there was tacit agreement that by ‘‘additional relevant instruments’’ the provision refers to the AP, as well as to potential stricter standards to be developed in the future.“52 Die Tatsache, dass Art. 3 AVV die Ratifikation des IAEO-Zusatzprotokolls als „Verifikations- Goldstandard“ nicht verbindlich festgeschrieben hat, wird indes nicht nur von der Bundesregierung , sondern auch in der Literatur nachdrücklich kritisiert und bedauert: “Strong safeguards against clandestine nuclear weapon programs are absolutely essential for disarmament to proceed. States will not disarm when other states seen as potential (or actual) proliferators (such as Argentina, Brazil, Egypt, Iran, Saudi Arabia, Syria, Venezuela) have not committed to the strongest form of safeguards. The background to this issue is that within the NPT there are some key states (including those listed above) that have not accepted the Additional Protocol.”53 „Dass der [AVV] das Zusatzprotokoll noch nicht einmal empfiehlt, bedeutet im Bereich Safeguards einen Rückschritt um Jahrzehnte. Dadurch wird die Mission der IAEO und speziell das Zusatzprotokoll untergraben. Zwar scheinen die Befürworter des [AVV] die IAEO nicht absichtlich schwächen zu wollen. Gleichwohl geben manche Vertreter von [AVV]-Staaten inoffiziell zu, der Vertrag schade der IAEO faktisch – eine für die Reduzierung nuklearer Risiken kontraproduktive Entwicklung.“54 52 Eirini Giorgou, “Safeguards Provisions in the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, in: Arms Control Law, 11. April 2018, https://armscontrollaw.com/2018/04/11/safeguards-provisions-in-the-treaty-on-theprohibition -of-nuclear-weapons/. 53 Jeffrey Lewis, „Safeguards Challenges in the Nuclear Weapons Ban“, in: Arms Control Wonk, 10. Juli 2017, https://www.armscontrolwonk.com/archive/1203571/safeguards-challenges-in-the-nuclear-weapons-ban/. Ebenso Shea, Thomas E., Verifying Nuclear Disarmament, London u.a.: Routledge, 2020, S. 67. 54 Jonas Schneider, „Kernwaffenverbotsvertrag: Das Inkrafttreten ist kein Durchbruch“, SWP-Aktuell, Januar 2021, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2021A03_Kernwaffenverbotsvertrag.pdf, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 19 „Wer nie Kernwaffen besessen hat, kommt mit ´umfassenden Safeguards`, d.h. der alten Standard-Verifikation des NVV von 1972 davon, obwohl die gesamte Welt seit den Erkenntnissen aus dem Irak von 1991 weiß, dass sich damit heimliche Spaltstoffproduktions - oder direkte Waffenaktivitäten nicht aufklären lassen. Wer schon ein Zusatzprotokoll unterschrieben hat, mit dessen Maßnahmen heimliche Aktivitäten entdeckt werden können, behält das ebenso wie das Standardabkommen bei, aber das sind eben nicht alle Vertragsparteien. (…)“55 Warum die Vertragsverhandlungen des AVV im Jahre 2017 die Chance verstreichen ließen, einen höheren Standard – nämlich die Inkraftsetzung des IAEO-Zusatzprotokolls – verbindlich festzuschreiben , ist letztlich wohl den politischen Widerständen auf der UN Diplomatic Conference geschuldet.56 In der Literatur findet sich folgende Erklärung: „Article 3 was the result of long and strenuous negotiations, and a compromise between three negotiating factions: those supporting an explicit reference to the IAEA model Additional Protocol (AP) as the mandatory Safeguards standard required of TPNW States Parties; those (few) objecting to such a provision and willing to accept only a reference to the IAEA model Comprehensive Safeguards Agreement (CSA) – an instrument less intrusive in terms of inspections than the Additional Protocol – as the mandatory standard for Safeguards; and a minority according to which the TPNW need not contain Safeguards provisions at all, but that it should be a short, simple, straightforward framework-setting instrument focused on the core prohibitions, to be complemented by existing and future instruments (…). Valid arguments were thus made by states that establishing the AP as the minimum acceptable standard in the TPNW would mean changing the former’s nature from optional to mandatory, something that would exceed the mandate of the Negotiating Conference.“57 55 Harald Müller [ehem. Leiter des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und Experte für nukleare Abrüstung], „Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag und der neue Kernwaffenverbotsvertrag – harmonisch, kompatibel, unverträglich?“, in: S&F Sicherheit und Frieden 2/2018, S. 61-66 (64 f.), https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0175-274X-2018-2-61/der-nukleare-nichtverbreitungsvertrag-und-derneue -kernwaffenverbotsvertrag-harmonisch-kompatibel-unvertraeglich-jahrgang-36-2018-heft-2. 56 Vgl. insoweit Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 3 Rdnr. 3.14. ff. Für eine Erweiterung der Mindeststandards in Art. 3 AVV um das Zusatzprotokoll hatten sich Chile, Schweden und Uganda ausgesprochen (UN Doc. A/CONF.229/2017/WP.6, 10 May 2017, para. 10); zu den Gegnern einer Verbindlichmachung des Zusatzprotokolls gehörte vor allem Malaysia, dessen Auffassung die Mehrheit der Staaten folgte. 57 Eirini Giorgou, “Safeguards Provisions in the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, in: Arms Control Law, 11. April 2018, https://armscontrollaw.com/2018/04/11/safeguards-provisions-in-the-treaty-on-theprohibition -of-nuclear-weapons/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 20 Deutschland setzt sich (wie die EU insgesamt) indes nachhaltig dafür ein, dass das Zusatzprotokoll im Nichtverbreitungsregime als „Goldstandard“ akzeptiert wird.58 Die Argumentationslinie der AVV-Kritiker geht weiter davon aus, dass sich in der Praxis des Nichtverbreitungsregimes für die meisten NVV-Staaten (derzeit 136 von 190 Staaten) faktisch ein höherer Verifikationsstandard als die bloßen IAEO-Sicherungsabkommen herausgebildet habe. Demgegenüber schreibe Art. 3 AVV – so die Kritiker weiter – nur einen („Mindest“-)Standard fest, der aus Sicht der Bundesregierung schlechterdings als „überholt“ angesehen werden könne. Ob das IAEO-Zusatzprotokoll heute international schon als Standard bei der Kontrolle der friedlichen Nutzung von spaltbarem Material (Safeguards) gilt, wird indes unterschiedlich beurteilt.59 Die NVV-Überprüfungskonferenz hat 2010 festgestellt, dass das Comprehensive Safeguards Agreement zusammen mit dem Zusatzprotokoll für die NVV-Staaten heute den „erweiterten Verifikationsstandard “ darstellt und hat NVV-Staaten ohne Zusatzprotokoll zu dessen Abschluss und Inkraftsetzung aufgerufen.60 Die Studie der Norwegischen Akademie für Internationales Recht zum Atomwaffenverbotsvertrag stellt dagegen fest: „However, it is not the case that the Additional Protocol (AP) is a universally accepted standard. On the contrary, attempts at making the AP mandatory for all states have consistently failed. At the TPNW negotiating conference, efforts to make the AP a universal requirement were rejected by the same group of states that have consistently opposed such moves in the context of the NPT.“61 Ungeachtet dessen lässt sich der Kritikpunkt der Bundesregierung nicht ganz von der Hand weisen – vor allem, wenn er mit der Befürchtung einhergeht, dass Staaten, die dem AVV beitreten , ohne das IAEO-Zusatzprotokoll in Kraft gesetzt zu haben, ihre Verifikationspflichten auf dem in Art. 3 AVV festgeschriebenen Mindeststandard „einfrieren“ und jedenfalls wenig Motivation haben könnten, auch noch das IAEO-Zusatzprotokoll zu ratifizieren. Würde sich eine solche Befürchtung bewahrheiten, könnte die Mitgliedschaft im AVV tatsächlich dazu beitragen, das Verifikationsregime des NVV zu „untergraben“. 58 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/abruestung-ruestungskontrolle/nukleareabruestung -und-nichtverbreitung/-/207052. 59 Einen internationalen Standard unterstellt etwa Jonas Schneider, „Kernwaffenverbotsvertrag: Das Inkrafttreten ist kein Durchbruch“, SWP-Aktuell, Januar 2021, S. 4, https://www.swpberlin .org/fileadmin/contents/products/aktuell/2021A03_Kernwaffenverbotsvertrag.pdf. 60 Vgl. näher Franziska Baumann, „Die NVV-Überprüfungskonferenz 2010“, IFSH Working Paper, März 2011, http://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2011/3236/pdf/wp_15.pdf. 61 Gro Nystuen / Kjølv Egeland / Torbjørn Graff Hugo, „The TPNW: Setting the record straight“, Norwegian Academy of International Law, Oktober 2018, S. 11, http://intlaw.no/wpcontent /uploads/2018/10/TPNW-Setting-the-record-straight-Oct-2018-WEB.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 21 2.6. Relativierung der Kritik Der Argumentation der AVV-Kritiker lassen sich einige Punkte entgegenhalten: 2.6.1. Gleichlauf der rechtlichen Verpflichtungen aus dem AVV und dem NVV Das Argument, Art. 3 AVV falle hinter den Verifikationsstandard des NVV zurück, muss in gewisser Weise eingeschränkt werden. Betrachtet man nämlich (nur) Art. 3 des Nichtverbreitungsvertrages und nicht die Verifikationsformate der IAEO, so stellt man vielmehr einen rechtlichen Gleichlauf der Verpflichtungen aus NVV und AVV fest. Eine Ratifikation des Zusatzprotokolls fordert nämlich auch der NVV nicht. Die erweiterten Kontrollmöglichkeiten durch das Zusatzprotoll , welche sich unter der Ägide der IAEO herausgebildet haben, ergeben sich weder aufgrund einer völkerrechtlichen Verpflichtung nach dem NVV noch aufgrund einer gewohnheitsrechtlichen Verfestigung des Nichtverbreitungsregimes – sie beruhen einzig und allein auf der freiwilligen Vereinbarung der NVV-Staaten. Alle Staaten, die das Zusatzprotokoll noch nicht gezeichnet haben, können dazu völkerrechtlich also nicht gezwungen, sondern müssen vielmehr politisch überzeugt werden. Rechtlich gesehen liegen die Verifikationsbestimmungen des AVV auf dem Niveau des NVV und fallen jedenfalls nicht dahinter zurück.62 Das „Zwei-Klassen“-Verifikationsrecht des Nichtverbreitungsregimes wird durch den AVV zwar nicht abgeschafft, aber auch nicht zementiert: Kein Staat ist durch eine Mitgliedschaft im AVV rechtlich gehindert, auch das IAEO-Zusatzprotokoll für sich in Kraft zu setzen. 2.6.2. AVV als Bestandsgarantie für IAEO-Verifikationsstandards NVV-Mitgliedstaaten, die das IAEO-Zusatzprotokoll, akzeptiert haben, können im Falle ihres Beitritts zum AVV nicht mehr dahinter zurück. Art. 3 AVV macht deutlich, dass alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AVV bereits bestehenden Verifikationsverpflichtungen der Staaten „unberührt bleiben“. Art. 3 AVV gestattet den Staaten also kein Zurückfallen hinter einen bereits akzeptierten Verifikationsstandard . In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Staaten die Möglichkeit , das einmal abgeschlossene Zusatzprotokoll, wieder zu kündigen, mit dem Beitritt zum AVV verwirkt hätten. Die Mitgliedschaft im AVV führe dadurch quasi zu einer rechtlichen Bestands- 62 So im Ergebnis auch Harald Müller, „Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag und der neue Kernwaffenverbotsvertrag – harmonisch, kompatibel, unverträglich?“, in: S&F Sicherheit und Frieden 2/2018, S. 61-66 (64 f.), https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0175-274X-2018-2-61/der-nukleare-nichtverbreitungsvertrag-und-derneue -kernwaffenverbotsvertrag-harmonisch-kompatibel-unvertraeglich-jahrgang-36-2018-heft-2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 22 garantie für IAEO-Verifikationsstandards.63 Teile der Literatur sehen in dieser Bestandgarantie sogar eine rechtliche Verbesserung gegenüber Art. 3 NVV: “The specific mention of INFCIRC/153 (Corrected) in the TPNW can nevertheless be seen as an improvement from the NPT Article III, which does not specify any particular safeguards standard. Moreover, as noted above, the TPNW does not allow states parties to downgrade their existing verification arrangements, and hence it does not undermine the existing Model Additional Protocol agreements which are already in force in 136 countries , should they decide to join the Treaty.“64 „Moreover, the Treaty goes beyond the NPT, by obliging States Parties to maintain, as a minimum, their existing Safeguards standards, thus making the Additional Protocol mandatory for states that are bound by it when the TPNW enters into force. (…) This caveat was added not only to implicitly encourage states to upgrade their Safeguards standards by adopting an Additional Protocol, but also to accommodate any new, higher standards that might be elaborated in the future in the context of the IAEA and beyond.”65 2.6.3. Entwicklungspotential des AVV Angesichts der verifikationsrechtlich positiven Entwicklung des Nichtverbreitungsregimes seit Inkrafttreten des NVV im Jahre 1970 wird man auch dem AVV-Verifikationsregime eine gewisse Zeitspanne zur Entfaltung seines „Entwicklungspotentials“ zugestehen müssen. So schafft Art. 7 AVV etwa gegenseitige Kooperationsverpflichtungen, „um die Durchführung des Vertrags zu erleichtern .“ Dies könnte vor dem Hintergrund relevant werden, dass die Staaten, die dem AVV 63 So explizit auch Thomas Hajnoczi, “The Relationship between the NPT and the TPNW”, in: Journal for Peace and Nuclear Disarmament, 2020, S. 87-91 (90): Consequently, a country that already has an Additional Protocol is, under the TPNW, legally obliged to continue with it and has forfeited the right to withdraw from it”, https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/25751654.2020.1738815?needAccess=true&. Zu klären wäre allerdings, ob eine solche Kündigungsmöglichkeit für Nicht-AVV-Mitgliedstaaten rechtlich und faktisch überhaupt besteht. Eirini Giorgou, “Safeguards Provisions in the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, in: Arms Control Law, 11. April 2018, https://armscontrollaw.com/2018/04/11/safeguards-provisions-in-the-treaty-on-theprohibition -of-nuclear-weapons/: „The objective is to ensure that states would not take the absence of an explicit mandatory Safeguards standard in the TPNW as an invitation to opt out from their existing Safeguards obligations .“ 64 Tytti Erästö, “The NPT and the TPNW: Compatible or conflicting nuclear weapons treaties?” Stockholm International Peace Research Institut, Sipri blog, 6. März 2019, https://www.sipri.org/commentary/blog/2019/npt-andtpnw -compatible-or-conflicting-nuclear-weapons-treaties. 65 Eirini Giorgou, “Safeguards Provisions in the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, in: Arms Control Law, 11. April 2018, https://armscontrollaw.com/2018/04/11/safeguards-provisions-in-the-treaty-on-theprohibition -of-nuclear-weapons/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 23 beitreten, unterschiedlich strikte Verifikationsverpflichtungen mitbringen. 2.6.4. Staatenpraxis und Ratifikationsstatus Den meisten der 51 Staaten, die dem Atomwaffenverbotsvertrag bis heute beigetreten sind, wird man ein ernsthaftes Interesse an nuklearer Abrüstung und an Verhinderung von nuklearer Proliferation wohl kaum absprechen können. Das Argument, eine Mitgliedschaft im AVV könnte das NVV-Verifikationsregime dadurch „untergraben“, dass AVV-Mitgliedstaaten, die das IAEO-Zusatzprotokoll noch nicht ratifiziert haben, ihre Verifikationsstandards auf einem Minimum „einfrieren“, ist letztlich nicht mehr als eine Befürchtung. Das künftige Handeln von Staaten lässt sich kaum verlässlich prognostizieren. Allenfalls lassen sich aus dem bisherigen Verhalten von Staaten gewisse Schlüsse ziehen. Dazu bietet sich ein Blick auf den aktuellen Ratifikationsstand zum AVV, zum NVV und zum IAEO- Zusatzprotokoll an: Alle AVV-Mitgliedstaaten sind gleichzeitig auch Mitglieder des NVV. Noch kein NVV- Mitgliedstaat hat seit seinem Beitritt zum AVV den NVV verlassen. Von den derzeit 51 AVV-Mitgliedstaaten hat der ganz überwiegende Teil auch das IAEO- Zusatzprotokoll in Kraft gesetzt oder zumindest gezeichnet. Für sie gilt in jedem Fall der höhere Verifikationsstandard. Und auch von den weiteren 35 Staaten, die den AVV unterschrieben , aber noch nicht ratifiziert haben (sich also gewissermaßen im „Wartestand“ befinden) hat die Mehrzahl bereits das IAEO-Zusatzprotokoll gezeichnet bzw. schon in Kraft gesetzt. Von den 51 AVV-Mitgliedstaaten haben (nur) 10 Staaten das IAEO-Zusatzprotokoll noch nicht einmal gezeichnet. Insoweit lässt sich nicht ausschließen, dass diese Staatengruppe ihre Verifikationspflichten auf dem Mindeststandard des AVV „einfrieren“ könnten. Möglich ist aber auch, dass sie das Zusatzprotokoll später in Kraft setzen. Bei Lichte betrachtet handelt es sich bei dieser Staatengruppe jedoch fast ausschließlich um kleine Inselstaaten,66 die dem AVV womöglich nur aus symbolischen Gründen beigetreten sind. Einen echten „Problemfall“ in dieser Hinsicht bildet allerdings Venezuela. Der Staat, dessen Name im Zusammenhang mit Proliferation genannt wird67 – ist Mitglied des NVV und seit 2018 auch des AVV, hat aber das IAEO-Zusatzprotokoll weder gezeichnet noch ratifiziert . 66 Maldives, Nauru, Samoa, Coolinseln, St. Lucia, St. Vincent und Grenadine, Trinidad und Tobago, Tuvalu sowie San Marino und Guyana. Proliferationstechnisch fallen sie – gelinde gesagt – kaum ins Gewicht. 67 Jeffrey Lewis, „Safeguards Challenges in the Nuclear Weapons Ban“, in: Arms Control Wonk, 10. Juli 2017, https://www.armscontrolwonk.com/archive/1203571/safeguards-challenges-in-the-nuclear-weapons-ban/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 24 Weitere NVV-Saaten, die unter dem Verdacht stehen, Proliferation zu betreiben (genannt werden u.a. Argentinien, Brasilien, Ägypten, Iran, Saudi-Arabien oder Syrien) und insoweit eine besondere Herausforderung für die NVV-Staatengemeinschaft darstellen, haben das IAEO-Zusatzprotokoll nicht unterzeichnet und werden aller Voraussicht nach auch nicht dem AVV beitreten (allein Brasilien hat den AVV zumindest gezeichnet). Die proliferationsrechtliche „Misere“ in Bezug auf diese Staatengruppe wird durch die Existenz des AVV offenbar weder verbessert noch verschlechtert. Jene fünf NVV-Staaten, die noch nicht einmal die Standard-Sicherungsabkommen (geschweige denn das Zusatzprotokoll) akzeptiert haben68 – neben Nordkorea also gewissermaßen die NVV-„Paria“ – haben aber zumindest den AVV gezeichnet. Im Falle einer Ratifikation des AVV wäre für diese Staaten das IAEO-Sicherungsabkommen der Mindeststandard . Völkerrechtlicher Druck käme dann gewissermaßen von zwei Seiten (vom NVV und vom AVV). Eine AVV-Mitgliedschaft würde sich für diese Staatengruppe komplementär auswirken. Proliferationstechnisch sind sie wohl eher zu vernachlässigen. Im Ergebnis lassen sich die von den AVV-Kritikern artikulierten Befürchtungen empirisch kaum belegen. 2.7. Verifikationsbestimmungen für nukleare Teilhabestaaten Die nukleare Teilhabe von Mitgliedstaaten des AVV ist mit dem Atomwaffenverbotsvertrag grundsätzlich unvereinbar.69 Darin liegt nach Lesart der Bundesregierung zumindest rechtlich das größte Hindernis für einen Beitritt Deutschlands zum AVV. Art. 1 lit. g) AVV verpflichtet Vertragsstaaten, unter keinen Umständen eine Stationierung, Aufstellung und Dislozierung von Kernwaffen auf seinem Hoheitsgebiet zu gestatten.70 Art. 1 lit. c) AVV verbietet es Nicht- Nuklearwaffenstaaten darüber hinaus, „Kernwaffen oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar anzunehmen.“ Beide Verpflichtungen umschreiben wesentliche Elemente der nuklearen Teilhabe. 68 Dies sind: Cabo Verde (Kapverden), Guinea-Bissau, São Tomé und Príncipe sowie Timor-Leste. 69 Vgl. auch Oliver Meier, Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung vom 3. März 2020 des Unterausschusses ´Abrüstung` des Deutschen Bundestages zum Thema „Zukunft der Nuklearen Rüstungskontrolle und des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, https://www.bundestag.de/resource/blob/684648/353a1138e1319259b1621b8bfc3b346c/Stellungnahme-Dr- Oliver-Meier-IFSH-data.pdf 70 Vgl. aber bereits zur jüngsten Diskussion um nukleare Teilhabe mit Blick auf den Nichtverbreitungsvertrag Bernd Hahnfeld, „Nukleare Teilhabe ist völkerrechtswidrig“, in: Wissenschaft und Frieden W&F (Zeitschrift) 3/2020, S. 46-48. Kai Ambos / Matthias Lippold, „Völkerrecht und nukleare Abrüstung – eine gespaltene internationale Gemeinschaft ?“, in: Juristenzeitung (JZ) 2020, S. 913-922 (914 f.), https://www.mohrsiebeck.com/artikel/voelkerrechtund -nukleare-abruestung-eine-gespaltene-internationale-gemeinschaft-101628jz-2020-0300?no_cache=1 halten die Vereinbarkeit der nuklearen Teilhabe mit dem NVV zumindest im Kriegsfall für problematisch. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 25 Art. 4 Abs. 4 AVV ergänzt die materiellen Verpflichtungen von nuklearen Teilhabestaaten um eine prozedurale Komponente:71 Jeder Vertragsstaat, der in seinem Hoheitsgebiet Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper hat, die sich im Eigentum, im Besitz oder in der Verfügungsgewalt eines anderen Staates befinden, trägt dafür Sorge, „dass diese Waffen so bald wie möglich, spätestens aber zu einem von dem ersten Treffen der Vertragsstaaten festzulegenden Termin, zügig entfernt werden. Nach der Entfernung dieser Waffen oder sonstigen Sprengkörper legt der Vertragsstaat dem Generalsekretär der Vereinten Nationen eine Meldung vor, aus der hervorgeht, dass er seine Verpflichtungen nach diesem Artikel erfüllt hat.“ Art. 4 Abs. 4 AVV lässt den nuklearen Teilhabestaaten, die dem AVV beitreten wollen, rein zeitlich eine weite Hintertür offen. Ein Teilhabestaat muss keineswegs sofort alle Atomwaffen von seinem Territorium verbannen, sondern sie nur „zügig entfernen“. Der Vertrag verlangt dies „so bald wie möglich“, spätestens aber zu einem Termin, der auf der Überprüfungskonferenz der Vertragsstaaten mit Stimmenmehrheit festgelegt werden muss. Dieser Zeitpunkt kann – rein theoretisch – relativ lange auf sich warten lassen.72 Dies relativiert bis zu einem gewissen Grade rechtliche Bedenken hinsichtlich eines Beitritts Deutschlands zum AVV. Das vertragliche „Zugeständnis“ in Art. 4 Abs. 4 AVV lässt sich aber auch als Indiz dafür werten, dass der Vertrag zumindest den vorübergehenden Besitz von Atomwaffen nicht als völkerrechtswidrig ansieht. Christopher Ford, Special Assistent to the President of the United States, hat dies 2017 vor der Carnegie Endowment wie folgt dargelegt: „Moreover, the ´ban` document itself also demonstrates that there is no legal norm of nonpossession of nuclear weapons, for its very text contradicts the idea that nuclear weapons possession is per se unlawful. The ´ban` contemplates that countries may join it while still possessing nuclear weapons, or while having such weapons stationed in their territory. They would only have to eliminate such things pursuant to deadlines that are not set in the treaty itself and that would have to be determined by a meeting of States Party subsequent to their accession to the treaty.“73 Dieser Umstand ist von Bedeutung, weil er eine mögliche völkergewohnheitsrechtliche Verfestigung von AVV-Verpflichtungen – wie z.B. das Verbot der Lagerung von Atomwaffen auf eigenem Territorium – entgegenwirkt (vgl. dazu sogleich unten, Fn. 75). 71 Abgesehen davon unterliegen nukleare Teilhabestaaten – wie alle anderen Nicht-Kernwaffenstaaten auch – dem Verifikationsregime des Art. 3 AVV. 72 Gem. Art. 8 Abs. 2 AVV werden „Treffen der Vertragsstaaten vom Generalsekretär der Vereinten Nationen alle zwei Jahre einberufen, sofern die Vertragsstaaten nichts anderes vereinbaren.“ 73 Christopher Ford, “Briefing on Nuclear Ban Treaty by NSC Senior Director Christopher Ford”, Carnegie Endowment for International Peace (22 August 2017), https://carnegieendowment.org/2017/08/22/briefing-onnuclear -ban-treaty-by-nsc-senior-director-christopher-ford-event-5675. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 26 2.8. Verifikationsbestimmungen für Kernwaffenstaaten Die Verifikationsmechanismen, die der AVV für Kernwaffenstaaten vorsieht, haben eine andere Stoßrichtung als der NVV – schließlich geht es darum, das Atomwaffenprogramm in überprüfbarer und unumkehrbarer Weise „abzuwickeln“, die Einsatzbereitschaft der Kernwaffen aufzuheben und diese „so bald wie möglich“ zu vernichten (Art. 4 Abs. 2 AVV). Gem. Art. 4 Abs. 3 AVV werden die Kernwaffenstaaten dazu verpflichtet, mit einer noch zu schaffenden „Competent Authority“ ein Zeitplan zur Durchführung und Überwachung der Abrüstung ihrer Kernwaffen und zugehöriger Anlagen zu vereinbaren. Mit der IAEO ist sodann ein Abkommen abzuschließen, das sowohl die Abzweigung von Spaltmaterial aus dem zivilen Brennstoffkreislauf wie auch heimliche Aktivitäten aufzudecken geeignet ist – dies entspricht einem Verifikationsstandard, der auf dem Niveau des IAEO-Zusatzprotokolls liegt.74 Ob sich dieses Prozedere in der Praxis bewähren wird, bleibt abzuwarten. 74 Harald Müller, „Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag und der neue Kernwaffenverbotsvertrag – harmonisch, kompatibel, unverträglich?“, in: S&F Sicherheit und Frieden 2/2018, S. 61-66 (64 f.), https://www.nomoselibrary .de/10.5771/0175-274X-2018-2-61/der-nukleare-nichtverbreitungsvertrag-und-der-neuekernwaffenverbotsvertrag -harmonisch-kompatibel-unvertraeglich-jahrgang-36-2018-heft-2. Xanthe Hall, „Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle und des Nichtverbreitungsvertrages“, 3. März 2020, S. 3, https://www.bundestag.de/resource/blob/684848/39e12c036533807e0fc3ee2ed855970f/Stellungnahme- Xanthe-Hall-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 27 Angesichts des erklärten Widerstandes der Kernwaffenstaaten gegenüber dem AVV, die sich auch jeder gewohnheitsrechtlichen Verfestigung des AVV widersetzen,75 wird ein großer Teil des AVV-Verifikationsregimes, der sich auf die Kontrolle von Nuklearwaffenstaaten bezieht, jedenfalls bis auf weiteres unanwendbar bleiben. 3. Zum (Spannungs-)Verhältnis zwischen AVV und NVV 3.1. Einschlägige Rechtsvorschriften Der AVV verweist an zwei Stellen auf den Nichtverbreitungsvertrag. Absatz 18 der Präambel des AVV bekräftigt zunächst, 75 Vgl. NATO Press Release (2020) 131 vom 15. Dezember 2020, https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_180087.htm?selectedLocale=en: “We do not accept any argument that the ban treaty reflects or in any way contributes to the development of customary international law.” Das BVerfG stellte fest: „Da insbesondere die Atommächte und einige NATO-Staaten die Vertragsverhandlungen sowie die Ausarbeitung des Vertrages boykottiert haben, dürfte der Vertrag mangels einheitlicher Staatenpraxis nach gegenwärtiger Einschätzung nur schwerlich effektives Völkergewohnheitsrecht werden.“ Vgl. Beschluss des 2. Senats vom 15. März 2018 - 2 BvR 1371/13, Rn. 52 http://www.bverfg.de/e/rk20180315_2bvr137113.html. Während eine gewohnheitsrechtliche Verfestigung eines Atomwaffenverbots bzw. des AVV als Ganzem angesichts der erklärten Widerstände der Nuklearwaffenstaaten (sog. persistent objector) ausgeschlossen erscheint, bleibt die gewohnheitsrechtliche Verfestigung einzelner Verpflichtungen aus dem AVV – etwa das Verbot der Dislozierung bzw. Lagerung von Atomwaffen auf dem Gebiet von Nicht-Kernwaffenstaaten – durchaus denkbar. Das Gewohnheitsrecht könnte sich unabhängig von der Rechtsüberzeugung der Nuklearwaffenstaaten entwickeln . Die rechtlichen Hürden wären freilich hoch: Neben einer überwältigenden Mehrheit der Nicht- Kernwaffenstaaten aus allen Rechtskreisen der Welt müssten auch die nuklearen Teilhabestaaten eine solche Entwicklung mehrheitlich mittragen. Ob sich die für eine Gewohnheitsrechtsbildung erforderliche Rechtsüberzeugung (opinio iuris) allein durch den Beitritt dieser Staaten zum AVV dokumentieren ließe, ist ungeklärt. Das Verhältnis zwischen Völkervertragsrecht und Gewohnheitsrecht ist vielfältig: In der Regel entwickelt sich Gewohnheitsrecht im Vorfeld einer vertraglichen Einigung; ein späterer völkerrechtlicher Vertrag bildet dann das Gewohnheitsrecht mehr oder weniger vollständig ab (vgl. z.B. das Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen oder das Recht auf Selbstverteidigung aus Art. 51 der Charta) oder geht noch darüber hinaus (wie etwa im Falle des VN-Seerechtsübereinkommens von 1982). Das Gewohnheitsrecht kann aber auch völkervertragliche „Lücken“ füllen (vgl. z.B. die Draft articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts von 2001). Die Praxis kennt auch Fälle, in denen sich bereits existierende völkerrechtliche Verträge als Ganzes (z.B. der Weltraumvertrag vom 27. Januar 1967, das Erste Zusatzprotokoll von 1977 zu den Genfer Konventionen) oder jedenfalls einzelne Teile davon (z.B. das Refoulementverbot aus Art. 3 der VN-Anti-Folterkonvention vom 10. Dezember 1984) gewohnheitsrechtlich verfestigt haben. Vgl. zur Diskussion zum Thema AVV und Völkergewohnheitsrecht Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Einführung, S. 53 ff. Manfred Mohr, „Der Atomwaffenverbotsvertrag und seiner völkerrechtliche Wirkung“, in: Humanitäres Völkerrecht (HuV) 2018, S. 125-134 (128-130), https://elibrary.bwv-verlag.de/article/99.105025/huv201801012501. Kai Ambos/Matthias Lippold, “The ICJ and nuclear disarmament: towards a universal obligation?”, 8. Juli 2020, https://www.ejiltalk.org/the-icj-and-nuclear-disarmament-towards-a-universal-obligation/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 28 „dass der vollen und wirksamen Durchführung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, der den Eckpfeiler des nuklearen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregimes darstellt, eine entscheidende Rolle bei der Förderung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zukommt.“ Die Präambel des AVV anerkennt nicht nur die Bedeutung des NVV als Pfeiler der nuklearen Nichtverbreitung, sondern spiegelt auch den Willen der vertragsverhandelnden Staaten wider, beide Verträge im Sinne voller Komplementarität ausgestalten zu wollen. Thomas Hajnoczi, Leiter der österreichischen Delegation bei den Vertragsverhandlungen des AVV, führt insoweit aus: “The preambular already reflects the high importance that the negotiators of the TPNW have accorded to the NPT and, in particular, to securing full complementarity between the two treaties. The NPT was never meant to be a comprehensive regulation of all aspects that were indispensable for the peaceful uses of nuclear energy, non-proliferation, and nuclear disarmament.”76 In – scheinbarem – Widerspruch zu den Bekundungen der Präambel steht Art. 18 AVV, der explizit auf das Verhältnis des Atomwaffenverbotsvertrages zu anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen eingeht: „Die Durchführung dieses Vertrags lässt die Verpflichtungen der Vertragsstaaten aus bestehenden völkerrechtlichen Übereinkünften, deren Vertragsparteien sie sind, unberührt, sofern diese Verpflichtungen mit dem Vertrag vereinbar sind.“77 Die Auslegung von Art. 18 AVV erscheint ausgesprochen kontrovers. Zum Teil wird Art. 18 AVV als Beleg für die grundsätzliche Kompatibilität von Verpflichtungen aus dem AVV mit anderen, bereits bestehenden Verträgen gewertet („lässt … unberührt);78 zum Teil wird in die Norm eine Rangfolge hineingelesen, wonach der NVV dem AVV nachgeordnet sei: „Diese Hierarchie kann praktisch relevant werden, wenn die zwei Verträge miteinander in Konflikt geraten. Sollten zum Beispiel die Bemühungen erfolgreich sein, das Zusatzprotokoll zum verpflichtenden Standard für die NPT-Mitglieder zu machen, bestünden unterschiedliche Anforderungen an die Parteien beider Verträge. 76 Thomas Hajnoczi, “The Relationship between the NPT and the TPNW”, in: Journal for Peace and Nuclear Disarmament, 2020, S. 87-91 (87), https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/25751654.2020.1738815?needAccess=true&. 77 Art. 18 AVV in der verbindlichen englischen Fassung des Vertrags lautet: “The implementation of this Treaty shall not prejudice obligations undertaken by States Parties with regard to existing international agreements, to which they are party, where those obligations are consistent with the Treaty”. 78 So etwa Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 18 Rdnr. 18.09. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 29 Dann könnte die Hierarchie das Argument stützen, dass im Streitfall die höherrangige Rechtsnorm des [AVV] maßgebend sei. Schlimmstenfalls könnte diese Rangfolge als Vorwand dienen, um aus dem unbequemeren NPT auszutreten und bloß dem [AVV] anzugehören .“79 Im Folgenden soll das Verhältnis zwischen AVV und NVV näher beleuchtet werden. 3.2. Ergänzungsverhältnis In der Literatur ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass die weitreichenden Abrüstungsverpflichtungen des Atomwaffenverbotsvertrages die Regelungen des NVV nicht in Frage stellen, sondern sie im Gegenteil ergänzen und implementieren.80 Die lässt sich am Beispiel der umstrittenen Abrüstungsverpflichtung aus Art. 6 NVV darlegen. Die Norm lautet: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“ Entgegen anderslautender Interpretationsansätze enthält Art. 6 NVV keine klassische Abrüstungsverpflichtung , sondern statuiert – im Einklang mit der Rechtsauffassung des IGH – ein pactum de contrahendo, also eine zweiseitige Verpflichtung (twofold obligation), die darin besteht, in gutem Glauben Verhandlungen über die nukleare Abrüstung zu führen, abzuschließen und ein Ergebnis zu erzielen.81 Das Ergebnis ist in concreto nicht präjudiziert. In der völkerrechtlichen Literatur – aber wohl auch in der Staatspraxis – besteht Einigkeit darüber, dass die vollständige Umsetzung von Art. 6 NVV einer rechtlich verbindlichen Regelung bedarf, um Nuklearwaffen zu verbieten, da sich das Ziel einer atomwaffenfreien Welt anders kaum erreichen lässt. Erfahrungen mit anderen Abrüstungsverträgen hätten gezeigt, dass dabei die Verbotsnorm zeitlich vorausgehen muss und die Abrüstung von Waffen darauf folgt – dies funktioniere aber nicht umgekehrt.82 79 Jonas Schneider, „Kernwaffenverbotsvertrag: Das Inkrafttreten ist kein Durchbruch“, SWP-Aktuell, Januar 2021, S. 4 https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2021A03_Kernwaffenverbotsvertrag.pdf. 80 Vgl. z.B. Manfred Mohr, „Der Atomwaffenverbotsvertrag und seine völkerrechtliche Wirkung“, in: Humanitäres Völkerrecht (HuV) 2018, S. 125-134 (134), https://elibrary.bwv-verlag.de/article/99.105025/huv201801012501. 81 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, 8 July 1996, I.C.J. Reports 1996, S. 264, Rd. 99, https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/95/095-19960708-ADV-01-00-EN.pdf: “The legal import of that obligation goes beyond that of a mere obligation of conduct; the obligation involved here is an obligation to achieve a precise result – nuclear disarmament in all its aspects – by adopting a particular course of conduct, namely, the pursuit of negotiations on the matter in good faith.” 82 Thomas Hajnoczi, “The Relationship between the NPT and the TPNW”, in: Journal for Peace and Nuclear Disarmament, 2020, S. 87-91 (89): “Experience from disarmament treaties shows that the prohibition norm comes first and destruction will follow, not the other way around”, https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/25751654.2020.1738815?needAccess=true&. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 30 Der AVV, der am 7. Juli 2017 von 122 Staaten angenommen wurde, greift diesen Ansatz auf und schreibt die Verpflichtungen aus Art. 6 NVV gewissermaßen fort. Absatz 17 der AVV-Präambel lautet: „[…] bekräftigend, dass eine Verpflichtung besteht, in redlicher Absicht Verhandlungen mit dem Ziel der nuklearen Abrüstung in all ihren Aspekten und unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zu führen und zu einem Abschluss zu bringen.“ In der Literatur wird erwogen, den AVV weniger als eine „Bedrohung“ des NVV sondern mehr als die Erfüllung einer sich gewohnheitsrechtlich verfestigenden Verpflichtung aus Art. 6 des Atomwaffensperrvertrags zu sehen: „Rather than undermining the NPT, the TPNW could potentially be interpreted as the fulfilment of Articles 6 and 7 of the treaty.“83 3.3. Keine Erweiterung von vertraglichen Austrittsmöglichkeiten Art. 18 AVV entbindet keinen Mitgliedstaat des Atomwaffenverbotsvertrags davon, seine Verpflichtungen aus anderen Verträgen, denen er angehört, einzuhalten. Art. 18 AVV erweitert in keiner Weise die in anderen völkerrechtlichen Verträgen enthaltenen Derogations- oder Austrittsmöglichkeiten. Die Studie der Norwegischen Akademie für Internationales Recht zum Atomwaffenverbotsvertrag hält fest, dass eine Ratifikation des Atomwaffenverbotsvertrages „by no means alters the requirements for withdrawal from the NPT, nor does it offer states a legal pretext to exit from the NPT.“84 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass alle Staaten, die in den letzten Jahren dem AVV beigetreten sind, gleichzeitig auch dem NVV angehören. Zu beobachten ist also eine kumulative, keine alternative Mitgliedspraxis. Bislang hat kein AVV-Mitgliedstaat durchblicken lassen, dass er den Nichtverbreitungsvertrag aufgrund seines Beitritts zum AVV zu verlassen gedenkt. Eine Mitgliedschaft im AVV wäre nach Einschätzung von Abrüstungsexperten des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) jedenfalls nicht das ausschlaggebende Moment für ein solches (hypothetisches) Szenario.85 Im Übrigen gestaltet sich ein Austritt aus dem NVV rechtlich nicht so einfach, wie es das „Unverträglichkeits-Narrativ“ Glauben macht. 83 So Gail Lythgoe, “Nuclear Weapons and International Law: The Impact of the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, Blog of the European Journal of International Law, 2. Dezember 2020, https://www.ejiltalk.org/nuclear-weapons-and-international-law-the-impact-of-the-treaty-on-the-prohibition-ofnuclear -weapons/. 84 Gro Nystuen / Kjølv Egeland / Torbjørn Graff Hugo, „The TPNW: Setting the record straight“, Report of the Norwegian Academy of International Law, Oktober 2018, S. 9, http://intlaw.no/wpcontent /uploads/2018/10/TPNW-Setting-the-record-straight-Oct-2018-WEB.pdf. 85 Tytti Erästö, “The NPT and the TPNW: Compatible or conflicting nuclear weapons treaties?” Stockholm International Peace Research Institut, Sipri blog, 6. März 2019, https://www.sipri.org/commentary/blog/2019/npt-andtpnw -compatible-or-conflicting-nuclear-weapons-treaties Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 31 Die Kündigungsregime beider Verträge weichen im Detail voreinander ab. Ein AVV-Mitgliedstaat kann gem. Art. 17 Abs. 3 AVV erst nach einer Kündigungsfrist von einem Jahr den Vertrag verlassen . Ist er während dieser Zeit an einem bewaffneten Konflikt beteiligt, so endet seine Mitgliedschaft im AVV erst mit dem Ende des Konflikts.86 Eine Kündigung des Nichtverbreitungsvertrages kann dagegen schon mit einer Frist von nur drei Monaten erfolgen; sie muss allerdings gegenüber allen anderen Vertragsparteien sowie dem VN-Sicherheitsrat erklärt werden.87 Eine Kündigung des AVV erfolgt dagegen – mit deutlich weniger Publizität – nur gegenüber dem VN-Generalsekretär als Verwahrer (Art. 19 AVV), der rechtlich noch nicht einmal verpflichtet wäre, diese Information an die Staatengemeinschaft weiterzugeben. In beiden Kündigungsklauseln (Art. 10 NVV und Art. 17 AVV) ist seitens des austrittswilligen Staates eine Darlegung der Umstände (extraordinary events related to the subject matter of the treaty) erforderlich, welche der Kündigung des Vertrages zugrunde liegen. Welche Umstände dies sein können, bleibt offen. In einer sehr engen Auslegung von Art. 17 AVV hat Christopher Ford, Special Assistent to the President of the United States, 2017 vor der Carnegie Endowment argumentiert, dass ein Austritt nach Art. 17 AVV wohl letztlich nur im Falle eines nuklearen Angriffs eines Staates gegen den austrittswilligen Staates zulässig wäre.88 Vertragliche Kündigungsklauseln, die den Austritt eines Mitgliedstaates aus dem Vertrag reglementieren und womöglich erschweren, haben eine vertragsstabilisierende Wirkung. Daneben können sie aber auch für die innerstaatliche Akzeptanz eines völkerrechtlichen Vertrages relevant werden. 86 Die Kündigungsklausel in Art. 17 AVV lautet: „(2) Jeder Vertragsstaat hat in Ausübung seiner staatlichen Souveränität das Recht, von dem Vertrag zurückzutreten , wenn er feststellt, dass außergewöhnliche, mit dem Gegenstand des Vertrags zusammenhängende Ereignisse die höchsten Interessen seines Landes gefährden. Er teilt diesen Rücktritt dem Verwahrer mit. Diese Mitteilung hat eine Darlegung der außergewöhnlichen Ereignisse zu enthalten, durch die nach Ansicht des betreffenden Vertragsstaats eine Gefährdung seiner höchsten Interessen eingetreten ist. (3) Der Rücktritt wird erst 12 Monate nach dem Eingang der Rücktrittsmitteilung beim Verwahrer wirksam. Ist der zurücktretende Vertragsstaat jedoch bei Ablauf dieser 12 Monate an einem bewaffneten Konflikt beteiligt, so bleibt der Vertragsstaat solange durch die Verpflichtungen aus diesem Vertrag und allen etwaigen Zusatzprotokollen gebunden, bis er nicht mehr an dem bewaffneten Konflikt beteiligt ist.“ 87 Die Kündigungsklausel in Art. 10 Abs. 1 NVV sieht vor: „Jede Vertragspartei ist in Ausübung ihrer staatlichen Souveränität berechtigt, von diesem Vertrag zurückzutreten , wenn sie entscheidet, dass durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrags zusammenhängende Ereignisse eine Gefährdung der höchsten Interessen ihres Landes eingetreten ist. Sie teilt diesen Rücktritt allen anderen Vertragsparteien sowie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen drei Monate im Voraus mit. Diese Mitteilung hat eine Darlegung der außergewöhnlichen Ereignisse zu enthalten, durch die ihrer Ansicht nach eine Gefährdung ihrer höchsten Interessen eingetreten ist.“ 88 Christopher Ford, “Briefing on Nuclear Ban Treaty by NSC Senior Director Christopher Ford”, Carnegie Endowment for International Peace (22 August 2017), https://carnegieendowment.org/2017/08/22/briefing-onnuclear -ban-treaty-by-nsc-senior-director-christopher-ford-event-5675: „It is not even clear that withdrawal would be permitted if a State Party were not attacked with nuclear weapons.“ Denkbar sind aber wohl aber auch Szenarien, bei denen es um Aufrüstung oder internationale Sicherheit geht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 32 Newell Highsmith, ehemaliger Legal Advisor des US-State Department, hat deutlich gemacht, dass “this kind of clause has been essential to obtaining US Senate consent to ratification of the NPT.”89 Eine vermeintlich “strengere” Austrittsklausel mag zwar einerseits vertragsstabilisierend wirken, kann aber Staaten andererseits auch „abschrecken“ oder im Ratifikationsprozess negativ zu Buche schlagen. Dies wird oft verkannt, wenn die Kündigungsklauseln von AVV und NVV miteinander verglichen werden. Nach der Kündigungsklausel des Art. 17 Abs. 3 AVV verlängert sich die 12-Monatsfrist, wenn sich der austrittswillige Staat in einem „bewaffneten Konflikt“ befindet. Diese Formulierung wird als ausgesprochen problematisch angesehen, da der Vertragstext nicht deutlich macht, ob etwa auch interne Konflikte („Bürgerkriege“) oder der von den USA propagierte „War on terror“ von der Kündigungsregelung umfasst sein sollen. Unklar ist weiter, ob Art. 17 AVV eine Mitgliedschaft „ad infinitum“ anstrebt, wenn ein austrittswilliger Staat nach Beendigung eines Konflikts in einen neuen Konflikt verstrickt wird, bei dem er sich womöglich nur verteidigt.90 Derartige Unklarheiten können für potentiell beitrittswillige Staaten am Ende durchaus „abschreckend“ wirken. Vertragliche Kündigungsklauseln müssen sich – ebenso wie andere Vertragsregelungen – in der Praxis erst einmal bewähren. Der Präzedenzfall „Nordkorea“ macht in diesem Zusammenhang deutlich, wie schwer sich die internationale Staatengemeinschaft mit einem austrittswilligen NVV-Mitgliedstaat tut. Gleichzeitig relativiert der Fall „Nordkorea“ die Befürchtungen mancher AVV-Kritiker, wonach ein Austritt aus dem NVV bei den AVV-Mitgliedstaaten „Schule machen“ könnte. Nordkorea hatte im Jahre 2003 seine Kündigung des NVV nur gegenüber dem VN-Sicherheitsrat – d.h. vor allem gegenüber den anderen Atommächten – nicht aber gegenüber allen anderen Vertragsstaaten des NVV erklärt, was (u.a. bei Deutschland) Zweifel an der formalen Gültigkeit der Kündigungserklärung hervorgerufen hat. Diese Zweifel brachen sich auf der jährlichen Sitzung der NVV-Mitgliedstaaten Bahn: Nach Auffassung der französischen und britischen Delegation hätte Nordkorea bereits vor seiner Austrittserklärung gegen den NVV verstoßen. Die Ausstiegsklausel sei aber nicht installiert worden, um Vertragsbrechern ein „Schlupfloch“ zu lassen, durch das sie den Vertrag einfach verlassen können; Art. 10 NVV sei nur für Fälle außergewöhnlicher Umstände vorgesehen. Bei der NVV-Sitzung am 28. April 2003 wurde diplomatisch eine „salomonische Lösung“ gefunden, über die Thränert von der Stiftung Wissenschaft und Politik 89 Newell Highsmith / Mallory Stewart, “The Nuclear Ban Treaty: A Legal Analysis”, in: Survival. Global Politics and Strategy (Zeitschrift), Vol. 60 (2018), S. 129-151 (136), https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00396338.2018.1427371?scroll=top&needAccess=true. 90 Für eine Ausdehnung auf nicht-internationale Konflikte etwa Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 17 Rdnr. 17.11. Zweifelnd dagegen Newell Highsmith / Mallory Stewart, “The Nuclear Ban Treaty: A Legal Analysis”, Survival. Global Politics and Strategy (Zeitschrift), Vol. 60 (2018), S. 129-151 (137), der einige Konstellationen durchspielt , https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00396338.2018.1427371?scroll=top&needAccess=true. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 33 berichtet:91 Aufgrund der uneindeutigen Haltung der anwesenden Delegationen beschloss der ungarische Verhandlungsvorsitzende László Molnar, das Namensschild Nordkoreas an sich zu nehmen. Es wurde in dessen Schreibtisch aufbewahrt und blieb damit im Konferenzraum, um deutlich zu machen, dass die Vertragskündigung Nordkoreas diplomatisch nicht vollumfänglich akzeptiert worden war. Das UN Office for Disarmament Affairs konstatiert bis heute, dass „State parties to the Treaty continue to express divergent views regarding the status of the Democratic People´s Republic of Korea under the NPR.“92 3.4. Kein Fortschritt bei der Streitbeilegung Ebenso wenig wie der Nichtverbreitungsvertrag enthält auch der AVV keine wirksamen Regelungen darüber, wie im Falle von Vertragsverletzungen zu verfahren ist.93 Das in Art. 11 AVV niedergelegte Streitbeilegungsverfahren liegt weitgehend in der Hand der Streitparteien; die Vertragsgemeinschaft als Ganzes fungiert in diesem Verfahren bestenfalls als Mediator ohne eigene Entscheidungs- und Sanktionsbefugnisse. Die schon im NVV ungeklärte Frage der „Vertragseinhaltung“ wird durch den AVV nicht gelöst. 3.5. Kollision zwischen Verpflichtungen Der Regelungsgehalt von Art. 18 AVV erstreckt sich vor allem auf den Kollisionsfall zwischen dem AVV und anderen Verträgen. Art. 18 AVV übernimmt hier fast wortgleich die etwas verschwurbelt wirkende Kollisionsregel aus Art. 26 Abs. 1 des Vertrages über den Waffenhandel vom 2. April 2013.94 Solche Kollisionsregelungen sind im Völkervertragsrecht nicht ungewöhnlich . Eine prägnantere Regelung als in Art. 18 AVV findet sich etwa in Art. 103 der VN-Charta: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang.“ 91 Oliver Thränert, „Die Zukunft des Atomwaffensperrvertrags“, SWP-Studie, August 2004, S. 28 f. mit Fn. 52, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2004_S28_trt_ks.pdf. 92 Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 17 Rdnr. 17.08. 93 Vgl. zur Vertragseinhaltung des NVV Oliver Thränert, „Die Zukunft des Atomwaffensperrvertrags“, SWP-Studie, August 2004, S. 32 ff, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2004_S28_trt_ks.pdf. 94 Vertrag über den Waffenhandel (The Arms Trade Treaty), BGBl. 2013 Teil II, S. 1427-1442. Vertragstext (engl., frz. und dt. Übersetzung) mit deutschem Ratifikationsgesetz vom 19. Oktober 2013 sind abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/254194/585531a8a4db63fa63c8376c3a905751/attvertragstext -bgbl-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 34 3.6. Vorrang von Verpflichtungen Im Gegensatz zu Art. 103 VN-Charta ordnet Art. 18 AVV keinen expliziten Vorrang der Verpflichtungen aus dem AVV gegenüber anderen Verträgen an. Art. 18 AVV sichert die Durchführung des AVV lediglich in der Weise, dass im Falle einer Unvereinbarkeit (zwischen zwei Verträgen) die Verpflichtungen aus dem anderen Vertrag „nicht unberührt“ bleiben (können). Der Konflikt zwischen den kollidierenden Verpflichtungen aus zwei unterschiedlichen Verträgen muss dabei nicht zwangsläufig durch einen Vorrang des AVV gelöst werden. Art. 18 AVV belässt den Staaten einen größeren Spielraum, um einen solchen Konflikt aufzulösen, als die Regelung in Art. 103 VN-Charta. Die in der Literatur zuweilen konstatierte pauschale „Höherrangigkeit“ des AVV gegenüber dem NVV95 lässt sich jedenfalls nur eingeschränkt unterstreichen. Das Schlüsselwort in Art. 18 AVV ist die ´Vereinbarkeit` (consistent with). „Vereinbar mit“ bedeutet nicht das gleiche wie „identisch mit“.96 Vielmehr lässt der Begriff der ´Vereinbarkeit` den Staaten in der Praxis einen weiten Einschätzungsspielraum.97 Zwei Verpflichtungen, die aus unterschiedlichen Verträgen herrühren, können unvereinbar sein, wenn sie z.B. konträre Ziele verfolgen. Sie können aber auch unvereinbar sein, wenn eine Verpflichtung hinsichtlich desselben Gegenstandes restriktiver ist als eine andere. Im Verhältnis zwischen dem AVV und einem anderen Vertrag bedeutet das: Weitergehende Verpflichtungen aus dem AVV können nicht dadurch relativiert oder ausgehebelt werden, dass sich ein Staat auf die weniger restriktiven Verpflichtungen aus einem anderen Vertrag beruft. Insoweit gilt – wenig überraschend – die Vorrangregel aus Art. 18 AVV. Zutreffend merkt Casey-Maslen daher an, dass Art. 18 AVV vielfach kaum mehr ist als ein statement of common sense.98 Ein Vorrang des AVV gegenüber dem NVV ergibt sich auch nicht aus allgemeinem Völkerrecht. Gem. Art. 30 Abs. 4 der Wiener Vertragsrechtskonvention gilt im Verhältnis zwischen Staaten, die sowohl den Atomwaffenverbotsvertrag als auch den Nichtverbreitungsvertrag ratifiziert haben und Staaten, die nur Mitglied des NVV sind, allein der NVV. Art. 30 Abs. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK), der die Anwendung zweier aufeinanderfolgender Verträge über 95 Vgl. Oliver Meier, „Vereinte Nationen beschließen Atomwaffenverbot“, SWP-Aktuell 54, Juli 2017, S. 2, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A54_mro.pdf. Newell Highsmith / Mallory Stewart, “The Nuclear Ban Treaty: A Legal Analysis”, in: Survival. Global Politics and Strategy (Zeitschrift), Vol. 60 (2018), S. 129-151 (141), https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00396338.2018.1427371?scroll=top&needAccess=true. 96 So Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 18 Rdnr. 18.10. 97 In der Praxis könnte es daher durchaus Streit darüber geben, wieweit bestimmte vertragliche Verpflichtungen im Einzelfall reichen und ob sie mit anderen Verpflichtungen vereinbar sind; vgl. insoweit Bernhardt, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München: Beck 1991, Art. 103 Rdnr. 15. 98 Stuart Casey-Maslen, “The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons. A Commentary”, Oxford 2019, Art. 18 Rdnr. 18.11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 35 denselben Gegenstand regelt und dabei ein Rangverhältnis festlegt,99 ist auf das Verhältnis zwischen AVV und dem Nichtverbreitungsvertrag nicht anwendbar. 3.7. Art. 18 AVV und das „Unverträglichkeits-Narrativ“ Art. 18 AVV trifft allerdings keine Regelung für den – hypothetischen – Fall, wonach die striktere Verpflichtungen bzw. höheren Standards nicht im AVV, sondern in einem anderen Vertragswerk verankert sind. Einen solchen Fall insinuiert aber das „Unverträglichkeits-Narrativ“, das von der Gefahr einer „Unterminierung“ der NVV-Standards durch den AVV ausgeht. Fraglich ist, wie Art. 18 AVV in einem solchen Fall auszulegen wäre. Gem. Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) sind völkerrechtliche Verträge „im Lichte ihres Zieles und Zwecks“ auszulegen. Ausweislich der Formulierungen in der Präambel gehört es zu den erklärten Zielen des Atomwaffenverbotsvertrages, möglichst weitreichende nukleare Abrüstungsverpflichtungen und eine möglichst hohe Kontrolldichte zu erreichen.100 Ziel des AVV ist es offensichtlich nicht, bestehende Kontrollstandards zu untergraben oder abzuschwächen. Insoweit spricht einiges dafür, Art. 18 AVV im Zweifel zugunsten eines höheren Kontrollstandards auszulegen . Die Kollisionsregel des Art. 18 AVV und ihre Auslegung zugunsten eines höheren Verifikationsstandards könnte z.B. relevant werden, wenn es um den AVV-Beitritt eines Staates geht, der ein Comprehensive Safeguard Agreement abgeschlossen hat, das durch ein „Kleine Mengen- Protokoll“ (Small Quantities Protocol) eingeschränkt ist. Hier stellt sich die Frage, ob Art. 3 AVV diesen Staat zur vollumfänglichen Anwendung des Sicherungsabkommens verpflichtet.101 Dies ließe sich mit Blick auf Art. 18 AVV bejahen. Abgesehen davon werden Unvereinbarkeiten zwischen dem AVV und dem NVV in der Praxis wohl eher die Ausnahme bleiben. Die Studie der Norwegischen Akademie für Internationales Recht zum Atomwaffenverbotsvertrag stellt fest: 99 Art. 30 Abs. 2 WVRK lautet: „Bestimmt ein Vertrag, dass er einem früher oder später geschlossenen Vertrag untergeordnet ist oder nicht als mit diesem unvereinbar anzusehen ist, so hat der andere Vertrag Vorrang.“ 100 In der Präambel des AVV heißt es etwa im Absatz 16: „(…) entschlossen zu handeln, um wirksame Fortschritte auf dem Weg zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zu erzielen.“ 101 Nach Einschätzung der Bundesregierung bleibt die Regelung in Art. 3 AVV an dieser Stelle offen; vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 19. Januar 2021 (noch unveröffentlicht) auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, „Der Atomwaffenverbotsvertrag und die nukleare Abrüstung“, BT-Drs. 19/25562 vom 22. Dezember 2020 (Frage 5), https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/255/1925562.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 36 „In practice however, it is difficult to see precisely what those inconsistencies would be. TPNW negotiators did a thorough job in making sure that the two treaties would be perfectly compatible with each other“.102 4. Resümee Das Verhältnis zwischen Atomwaffenverbotsvertrag und Nichtverbreitungsvertrag ist ganz offensichtlich besser als sein Ruf. Während vor allem durch AVV-kritische Staatenvertreter sowie durch regierungsnahe Think Tanks und Abrüstungsexperten Zweifel an der rechtlichen Vereinbarkeit von AVV und NVV geäußert und genährt werden, kommt doch der ganz überwiegende Teil der Völkerrechtsliteratur – darunter ausgewiesene Experten aus dem Bereich des international disarmament law von Universitäten und Forschungsinstituten, aber vor allem auch Teilnehmer (Diplomaten und academics) an der UN Diplomatic Conference, die den AVV ausgehandelt hat – zu dem Ergebnis, dass beide Verträge weniger in einem rechtlichen Konkurrenz-, als in einem Komplementärverhältnis zueinander stehen. Das bedeutet konkret: Der AVV steht juristisch nicht in Widerspruch zum NVV.103 Die rechtliche „Fortschreibung“ des AVV besteht vor allem darin, dass er – im Gegensatz zum NVV – konkrete Abrüstungsverpflichtungen enthält und die Strategie der nuklearen Abschreckung delegitimiert .104 Mit diesem Vertragszweck verbindet sich offensichtlich die Hoffnung zahlreicher Staaten, die dem AVV in den letzten Jahren beigetreten sind. 102 Gro Nystuen / Kjølv Egeland / Torbjørn Graff Hugo, „The TPNW: Setting the record straight“, Report of the Norwegian Academy of International Law, Oktober 2018, S. 22, http://intlaw.no/wpcontent /uploads/2018/10/TPNW-Setting-the-record-straight-Oct-2018-WEB.pdf. Dieser Einschätzung folgend z.B. Tytti Erästö, “The NPT and the TPNW: Compatible or conflicting nuclear weapons treaties?” Stockholm International Peace Research Institut, Sipri blog, 6. März 2019, https://www.sipri.org/commentary/blog/2019/npt-and-tpnw-compatible-or-conflicting-nuclear-weaponstreaties . 103 Ebenso Kai Ambos / Matthias Lippold, „Völkerrecht und nukleare Abrüstung – eine gespaltene internationale Gemeinschaft?“, in: Juristenzeitung (JZ) 2020, S. 913-922 (919), https://www.mohrsiebeck.com/artikel/voelkerrecht-und-nukleare-abruestung-eine-gespaltene-internationalegemeinschaft -101628jz-2020-0300?no_cache=1. Thomas Hajnoczi, “The Relationship between the NPT and the TPNW”, in: Journal for Peace and Nuclear Disarmament , 2020, S. 87-91 (90), https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/25751654.2020.1738815?needAccess=true&. 104 Manfred Mohr, „Der Atomwaffenverbotsvertrag und seiner völkerrechtliche Wirkung“, in: Humanitäres Völkerrecht (HuV) 2018, S. 125-134 (131), https://elibrary.bwv-verlag.de/article/99.105025/huv201801012501. Gro Nystuen / Kjølv Egeland / Torbjørn Graff Hugo, „The TPNW: Setting the record straight“, Bericht der Norwegian Academy of International Law, Oktober 2018, S. 24 f., http://intlaw.no/wpcontent /uploads/2018/10/TPNW-Setting-the-record-straight-Oct-2018-WEB.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 37 Der AVV unterminiert den NVV nicht, sondern ist Bestandteil einer gemeinsamen nuklearen Abrüstungsarchitektur. Der AVV ist daher auch kein Hemmnis für die nukleare Abrüstung, hätten die NVV-Staaten nur den politischen Willen dazu.105 Im Rahmen dieser Architektur soll Art. 18 AVV gegenüber anderen Nuklearverträgen den acquis des AVV absichern. Für den Fall der Unvereinbarkeit kollidierender Verpflichtungen aus verschiedenen Verträgen muss eine Lösung herbeigeführt werden, wobei sich nach der Intention des AVV grundsätzlich der höhere Kontrollstandard durchsetzt. Damit wird deutlich, dass Art. 18 AVV kein explizites Rangverhältnis des AVV zulasten des NVV begründet. Bestehende Verpflichtungen der Staaten aus dem NVV werden durch eine Mitgliedschaft im AVV weder aufgehoben noch relativiert.106 Dies räumt selbst die NATO in ihrer jüngsten Stellungnahme zum AVV ein: „The ban treaty will not change the legal obligations of our countries with respect to nuclear weapons.”107 Möglicherweise bricht sich hier die Einsicht Bahn, dass der Atomwaffenverbotsvertrag nicht der “Totengräber ” des Nichtverbreitungsregimes sein will und sein wird. Gleichwohl erweisen sich Narrative oft als langlebig. Die rechtliche aber auch politische Diskussion über die aufgeworfenen Fragen wird – und muss – daher weiter gehen. Abzuwarten bleibt vor allem das Verhalten der Staaten, die in Zukunft dem AVV beitreten und / oder das IAEO- Zusatzprotokoll in Kraft setzen (oder es unterlassen). Höhere Verifikationsstandards lassen sich nur schwer gegen den Willen der Staaten durchsetzen. Das Völkerrecht – in Gestalt von AVV und NVV – schafft (nur) die rechtlichen Spielräume, Möglichkeiten und Anreize; Entscheidungen treffen müssen die Staaten selbst. Die derzeitige Staaten- und Ratifikationspraxis deutet nicht darauf hin, dass die Mitgliedschaft im AVV dazu genutzt wird, um das Verifikationsregime des NVV zu schwächen oder zu untergraben. Manche Befürchtungen, die das „Unverträglichkeits- Narrativ“ nähren, erweisen sich am Ende womöglich als grundlos. 105 So Harald Müller, „Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag und der neue Kernwaffenverbotsvertrag – harmonisch , kompatibel, unverträglich?“, in: S&F Sicherheit und Frieden 2/2018, S. 61-66 (65), https://www.nomoselibrary .de/10.5771/0175-274X-2018-2-61/der-nukleare-nichtverbreitungsvertrag-und-der-neuekernwaffenverbotsvertrag -harmonisch-kompatibel-unvertraeglich-jahrgang-36-2018-heft-2. 106 Dies gilt nicht zuletzt für die Rechte und Verpflichtungen aus dem NVV (Art. 4 und 5), die sich in Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung von Kernenergie ergeben. Die AVV-Präambel (Abs. 21) nimmt Bezug auf Art. 4 NVV und konstatiert in diesem Zusammenhang: „[…] nachdrücklich darauf hinweisend, dass dieser Vertrag nicht so auszulegen ist, als werde dadurch das unveräußerliche Recht seiner Vertragsstaaten beeinträchtigt , unter Wahrung der Gleichbehandlung die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln […].“ 107 NATO Press Release (2020) 131 vom 15. Dezember 2020, “North Atlantic Council Statement as the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons enters into force”, https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_180087.htm?selectedLocale=en. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 111/20 Seite 38 Wichtig erscheint es dagegen, festgefahrenen Debatten neue Impulse zu verleihen. Das vorliegende Gutachten versteht sich dabei keineswegs als Plädoyer für einen Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag, sondern – um die ratio von Art. 6 NVV zu bemühen – als Plädoyer für die Fortsetzung eines ergebnisoffenen Diskurses. Das rechtliche Verhältnis zwischen AVV und NVV, das bei diesem Diskurs eine Rolle spielt, ist – so das Ergebnis dieser Ausarbeitung – womöglich „verträglicher“, als das „Unverträglichkeits-Narrativ“ glauben macht. Eirini Giorgou, Rechtsberaterin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und Teilnehmerin bei den Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag, findet abschließend ebenso pragmatische wie eindringliche Worte: „Let’s end with some universally acknowledged truths. […] The TPNW is now a reality. Despite its shortcomings, it shook the stagnating waters of nuclear disarmament. Instead of engaging in futile debates in favour or against it, states should join forces to maintain, and strengthen, this momentum […]. The problem is, we may be running out of time.“108 *** 108 Eirini Giorgou, “Safeguards Provisions in the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons”, in: Arms Control Law, 11. April 2018, https://armscontrollaw.com/2018/04/11/safeguards-provisions-in-the-treaty-on-theprohibition -of-nuclear-weapons/.