© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 111/19 Möglichkeit der Verhängung eines Handelsembargos/Importstopps durch Deutschland gegenüber Staaten, in denen Zwangsarbeit eingesetzt wird Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 111/19 Seite 2 Möglichkeit der Verhängung eines Handelsembargos/Importstopps durch Deutschland gegenüber Staaten, in denen Zwangsarbeit eingesetzt wird Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 111/19 Abschluss der Arbeit: 10. Oktober 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 111/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Gemeinsame Handelspolitik der EU, Zuständigkeit der EU für Verhängung der außenpolitisch motivierten Handelsmaßnahmen (Art. 206, 207, 215 AEUV) 4 3. Internationale Übereinkommen über Verbot der Zwangsarbeit und ILO 5 4. Zulässigkeit eines Handelsembargos nach WTO-Recht 6 4.1. Art. XX (b) GATT 7 4.2. Art. XXI (b) GATT 8 5. Zulässigkeit eines Handelsembargos als völkerrechtliche Repressalie 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 111/19 Seite 4 1. Einleitung Zu untersuchen ist die Frage, ob es für Deutschland möglich ist, ein Handelsembargo bzw. einen Importstopp gegenüber einem Drittstaat zu erklären, in dem Güter unter Einsatz von Zwangsarbeit produziert werden. Ein Handelsembargo wird definiert als eine staatliche Zwangsmaßnahme, die den Güterhandel mit einem anderen Staat unterbindet, i.d.R. als Repressalie gegen Völkerrechtsverletzungen oder um den betreffenden Staat zu bestimmten Handlungen zu zwingen bzw. davon abzuhalten.1 Beim Importstopp handelt es um ein teilweises Verbot, das entsprechend nur den Import von bestimmten Gütern betrifft, die etwa unter Einsatz von Zwangsarbeit hergestellt wurden. Die Untersuchung erfolgt anhand der Betrachtung des einschlägigen internationalen Rechts gegen die Zwangsarbeit, des Welthandelsrechts, des Völkerrechts sowie des Rechts der Europäischen Union, in deren Spannungsfeld sich die Frage nach Verhängung eines umfassenden Handelsembargos bzw. eines Importstopps stellt. 2. Gemeinsame Handelspolitik der EU, Zuständigkeit der EU für Verhängung der außenpolitisch motivierten Handelsmaßnahmen (Art. 206, 207, 215 AEUV) Deutschland und alle anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind an die gemeinsame Handelspolitik (Art. 206, 207 AEUV) gebunden. Bei Maßnahmen wie Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern, ist ein einstimmiger Beschluss nach Titel V Kapitel 2 EUV erforderlich, da diese die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU betrifft. (sog. GASP-Beschluss).2 Dieser Beschluss wird dann gem. Art. 215 AEUV dabei auf Vorschlag der Kommission und des Hohen Vertreters durch den Rat mit einer qualifizierten Mehrheit angenommen.3 Ein Handelsembargo/Importstopp kann also – vorbehaltlich der unten angeführten materiellen Voraussetzungen, die nach Völkerrecht erfüllt werden müssen – nur durch den Rat der Europäischen Union und nicht etwa durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verhängt werden . Die durch die EU erlassenen Wirtschaftssanktionen bedürfen dann aber einer Implementierung auf der Ebene der EU-Mitgliedsstaaten. In Deutschland setzt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrollen (BAFA) Handelsembargos administrativ um.4 1 Gabler Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/embargo-36710 (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019); vgl. Géraldine Garcon, Handelsembargen der Europäischen Union auf dem Gebiert des Warenverkehrs gegenüber Drittstaaten, Baden-Baden 1997, S. 23 ff; Bungenburg, in: von der Groeben/Schwarz/Hatje, Europäsisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, AEUV Art. 215, Rn. 1. 2 Kokott, in Streinz. Kommentar zu EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 215 AEUV [Restriktive Maßnahmen], Rn. 11. 3 Vgl. ausführlich zum Verfahren Bungenburg, in: von der Groeben/Schwarz/Hatje, Europäsisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, AEUV Art. 215, Rn. 20 ff. 4 Vgl. Bungenburg, in: von der Groeben/Schwarz/Hatje, Europäsisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, AEUV Art. 215, Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 111/19 Seite 5 3. Internationale Übereinkommen über Verbot der Zwangsarbeit und ILO Der Einsatz von Zwangsarbeit wird durch die überwiegende Mehrheit von Staaten international geächtet. So enthält Art. 6 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte das Recht des Einzelnen, „seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen“.5 Dieses Recht beinhaltet nicht nur die Möglichkeit zur freien Wahl einer Tätigkeit, sondern auch die Freiheit des Einzelnen von jeglichem Zwang zur Arbeit.6 Ferner spricht Art 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von dem „Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen“.7 Damit spiegelt sich im Recht auf Arbeit immer auch das grundsätzliche völkerrechtliche Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit. In ausdrücklicher Form hat das Verbot der Zwangsarbeit Eingang in Art. 4 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)8 und Art. 8 Abs. 3 lit. a) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte9 sowie in Art. 5 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union10 gefunden. Der International Labour Organisation (ILO), der heute mit Deutschland insgesamt 187 Staaten angehören11, engagiert sich seit ihrer Gründung im Jahr 1919 durch Formulierung und Durchset- 5 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (unterzeichnet am 19. Dezember 1966, in Kraft getreten am 3. Januar 1976), verfügbar unter: http://ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages /CESCR.aspx, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 6 Siehe dazu den Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, Das völkerrechtliche Verbot der Zwangsarbeit und die Arbeit von Strafgefangenen während der Freiheitsentziehung von 26. Oktober 2016, WD 2 - 3000 – 132-16, S. 4. 7 Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte , verfügbar unter https://www.ohchr.org/EN/UDHR/Documents/UDHR_Translations/ger.pdf, (letzter Zugriff : 10. Oktober 2019). 8 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Rom, vom 4. November 1950, verfügbar unter: https://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 9 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, verfügbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/IC- CPR/iccpr_de.pdf, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 10 Charta Der Grundrechte Der Europäischen Union (2000/C 364/01) vom 7. Dezember 2000, verfügbar unter: https://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf, https://www.europarl.europa.eu/charter /pdf/text_de.pdf, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 11 Liste aller 187 Mitgliedstaaten der ILO ist einsehbar unter https://www.ilo.org/public/english/standards /relm/country.htm (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 111/19 Seite 6 zung internationaler Arbeits- und Sozialnormen für die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen als eine zentrale Voraussetzung für die weltweite Armutsbekämpfung.12 Die Beseitigung der Zwangsarbeit ist dabei eines der vier zentralen Grundprinzipien der ILO und ergibt sich insbesondere aus dem Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit von 1930, dem Zusatzprotokoll dazu von 2014 sowie dem Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit von 1957.13 Diese Übereinkommen wurden von der weit überwiegenden Mehrzahl der ILO-Mitgliedsstaaten 14 ratifiziert und sind damit für diese völkerrechtlich bindend. Die Verfassung der ILO15 sieht in Art. 25 ff. ein Verfahren für den Fall vor, dass ein Mitgliedstaat die auf sich genommenen Verpflichtungen zum Einsatz der Zwangsarbeit nicht erfüllt. In diesem Fall kann ein anderer Mitgliedstaat gegen diesen eine Klage vor dem Verwaltungsrat der ILO einreichen , der eine entsprechende Untersuchung durchführt und einen Bericht vorlegt. Bleiben die Feststellungen des Berichtes zwischen den Mitgliedstaaten streitig, so kann die Streitfrage nach Art. 29 der ILO-Verfassung dem Internationalen Gerichtshof zur Feststellung vorgelegt werden. Befolgt der Mitgliedstaat die im Bericht des Verwaltungsrates der ILO oder in der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes etwa enthaltenen Handlungsempfehlungen nicht binnen der vorgeschriebenen Frist, so kann der Verwaltungsrat den anderen Mitgliedstaaten gem. Art. 33 der ILO-Verfassung Maßnahmen empfehlen, die ihm zur Durchsetzung der Handlungsempfehlungen zweckmäßig erscheinen. Die Verhängung eines Handelsembargos oder Importstopps oder jeglicher anderen Zwangsmaßnahmen durch ILO selbst ist im oben beschriebenen ILO-Streitbeilegungsverfahren also nicht vorgesehen. Auch nach einem festgestellten Verstoß gegen die Verpflichtungen zur Abschaffung von Zwangsarbeit kann ILO den Mitgliedsstaaten nur Maßnahmen unverbindlich empfehlen. 4. Zulässigkeit eines Handelsembargos nach WTO-Recht Deutschland und die Mehrzahl anderer Staaten16 gehören der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) an, deren Zweck in der Ermöglichung eines möglichst freien Welthandels durch Abbau von Handelshemmnissen, Streitschlichtung in den internationalen Handels- 12 ILO, Wir über uns, https://www.ilo.org/berlin/wir-uber-uns/lang--de/index.htm, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 13 Die Übersicht über die relevanten Abkommen mit weiterführenden Links zu Volltexten ist verfügbar unter https://www.ilo.org/berlin/arbeits-und-standards/kernarbeitsnormen/lang--de/index.htm, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 14 Eine umfassende Übersicht über die Ratifizierung der ILO-Abkommen ist verfügbar unter https://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=1000:10011:0::NO:10011:P10011_DISPLAY_BY,P10011_CONVEN- TION_TYPE_CODE:2,F, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 15 Verfügbar unter https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---europe/---ro-geneva/---ilo-berlin/documents/genericdocument /wcms_571881.pdf, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 16 Vgl. die Übersicht über die Mitgliedschaft bzw. Beobachterstatus einzelner Staaten unter https://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org6_e.htm, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 111/19 Seite 7 konflikten sowie Förderung nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung und globaler Armutsbekämpfung besteht.17 Die rechtliche Grundlage der WTO bilden die folgenden Hauptübereinkommen: General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), in dem es um Warenhandel geht, sowie General Agreement on Trade in Services (GATS) zu Dienstleistungen und Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) zu immateriellen Gütern. Die einseitige Verhängung von Handelsbeschränkungen, insbesondere eines vollständigen Importstopps von Waren bzw. eines Handelsembargos ist nach den WTO-Vorschriften grundsätzlich unzulässig (Art. XI GATT – Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen).18 Eine Ausnahmevorschrift , die Verhängung von Handelsbeschränkungen bei Verletzung von völkerrechtlichem Zwangsarbeitsverbot oder anderen Menschenrechten (sog. Sozialklausel), ist in den Vorschriften des WTO-Rechts nicht enthalten.19 Solche Maßnahmen können jedoch unter bestimmten Umständen gem. den allgemeinen Ausnahmevorschriften nach Art. XX bzw. Art. XXI GATT gerechtfertigt sein. 4.1. Art. XX (b) GATT Gem. Art. XX (b) GATT bleibt es einem WTO-Mitgliedstaat möglich, handelsbeschränkende Maßnahmen u.a. dann einzuführen, wenn dies zum Schutz von Leben oder Gesundheit von Menschen erforderlich ist. Man könnte daran denken, dass die Zwangsarbeit das Leben oder zumindest die Gesundheit der unter solchen menschenunwürdigen Bedingungen tätigen Menschen gefährdet und daher ein Handelsembargo rechtfertigen könnte. Jedoch greift dieser Überlegung zu kurz: Zum einen ist diese Ausnahmeklausel für den Schutz eigener Staatsbürger durch den aktiv tätigen Staat und nicht der Bürger eines Drittstaaten konzipiert; zum anderen bringt der Zustand der unter Zwangsarbeit produzierten Waren als solcher nach der Einfuhr ins Land der Verwendung keine Gesundheits- oder Lebensgefahr für die Endverbraucher mit sich.20 Deutschland – sowie auch andere WTO-Mitglieder – können sich also nicht auf den Schutz des Lebens und Gesundheit eigener Bürger berufen, um ein Handelsembargo/Importstopp gegen einen anderen Mitgliedsstaat zu verhängen, in dem Güter unter Einsatz von Zwangsarbeit produziert werden. Art. XX (b) GATT geht nicht so weit, dass ein Schutz des Lebens und Gesundheit der Menschen, die Zwangsarbeit in anderen Ländern verrichten, zu Handelsembargo gegenüber diesen Ländern ermächtigt. 17 Informationen der Bundesregierung zur Welthandelsorganisation (WTO), https://www.bundesregierung .de/breg-de/service/welthandelsorganisation-wto--615792, (letzter Zugriff: 10. Oktober 2019). 18 Siehe dazu Michael J. Jahn, Die einseitige Aussetzung von GATT-Verpflichtungen als Repressalie, Berlin 1996, S. 26 f. 19 Vgl. zu der Sinnhaftigkeit einer Einführung von Sozialklauseln ins WTO-Recht ausführlich Matthias Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, Die Durchsetzung sozialer Standards im Rahmen der WTO, Baden Baden 1999. 20 Moritz von Unger, Die Zulässigkeit >humanitärer Wirtschaftssanktionen< in und neben dem WTO-Recht, Kritische Justiz, Vol. 37, No. 1 (2004), S. 37, 40 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 111/19 Seite 8 4.2. Art. XXI (b) GATT Art XX (b) GATT ermächtigt die Mitgliedsstaaten, Handelsbeschränkungen zur Wahrung eigener wesentlicher Sicherheitsinteressen zu verhängen. Voraussetzung ist also, dass die verhängte Handelsbeschränkung objektiv geeignet ist, dem Schutz der Sicherheitsinteressen des tätig gewordenen Mitgliedsstaates zu dienen. Die Verhängung eines Handelsembargos/Importstopps zum Zwecke der Abschaffung der Zwangsarbeit in einem anderen Staat kann auch bei weiter Interpretation des Art. XXI GATT kaum als Befolgung wesentlicher Sicherheitsinteressen dargestellt werden. Hier kann wieder auf die o.g. Überlegung zurückgegriffen werden, dass das in dem zu sanktionierenden Staat unter Einsatz von Zwangsarbeit hergestellte Produkt in Deutschland so ankommt, dass von ihm keine Gefahren für die Verbraucher bzw. für die Sicherheit ausgehen. Eine unmittelbare Gefährdung der Sicherheit in Deutschland durch Nichteinhaltung der Arbeitsstandards in einem Drittland ist ebenso wenig ersichtlich. Der Rückgriff auf Art. XXI (b) GATT zur Rechtfertigung eines Handelsembargos/Importstopps ist also nicht erfolgsversprechend. 5. Zulässigkeit eines Handelsembargos als völkerrechtliche Repressalie Aus völkerrechtlicher Sicht wäre es vorstellbar, dass handelsbeschränkende Maßnahmen außerhalb des WTO-Rechts nach dem völkerrechtlichen Repressalienrecht zulässig sind. Unter einer Repressalie versteht man eine an sich völkerrechtswidrige Maßnahme, welche jedoch als Reaktion auf eine Völkerrechtsverletzung eines anderen Staates erfolgt, um diesen zur Rückgängigmachung des von ihm zu verantwortenden Unrechts zu veranlassen.21 Die Verletzung der o.g. ILO-Konventionen zur Zwangsarbeit stellt, jedenfalls hinsichtlich krasser, versklavungsähnlicher Formen der Zwangsarbeit, eine Verletzung des menschenrechtlichen Mindeststandards, die jeder ILO-Mitgliedsstaat gegenüber der Staatengemeinschaft und jedem einzelnen Staat schuldet (sog. erga-omnes-Pflichtverletzung), dar, sodass auch jeder Staat grundsätzlich befugt sein muss, das pflichtgerechte Verhalten durch eigene Maßnahmen durchzusetzen.22 Problematisch jedoch ist, dass die Verhängung von handelsbeschränkenden Maßnahmen unter WTO-Mitgliedsstaaten abschließend durch das das oben dargestellte WTO-Regelwerk, also insb. Art. XX und XXI GATT geregelt sein könnte, sodass dadurch für Rückgriff auf allgemeine völkerrechtliche Instrumente kein Platz wäre (sog. self-contained régime).23 Dafür spricht, dass die o.g. Einschränkung im Art. XXI (b) GATT, die Handelsbeschränkungen nur bei Verletzung wesentli- 21 Géraldine Garcon (Fn. 1), S. 216 m.w.N. 22 Moritz von Unger (Fn. 20), S. 44 f. m.w.N. 23 Hierzu Moritz von Unger (Fn. 20), S. 45 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 111/19 Seite 9 cher Sicherheitsinteressen erlaubt, dann keinen Sinn ergeben würde, wenn ein Mitgliedsstaat unterhalb dieser Schwelle einfach auf das allgemeine Völkerrecht zurückgreifen dürfte.24 Andererseits wird dagegen mit den unterschiedlichen Schutzrichtungen argumentiert: Während Art. XXI (b) GATT dem staatlichen Erhaltungsinteresse diene, das ultimative unbeschränkte Maßnahmen gegen jedweden Adressaten erlaube, reagiere die Repressalie auf einen GATT-fremden, aber völkerrechtswidrigen Sachverhalt allein gegenüber dem Verursacher des Völkerrechtsverstoßes und soll damit erlaubt sein.25 Bisher wurde dieser Meinungsstreit nicht durch entsprechende Entscheidung eines WTO-Panels oder eines anderen internationalen Gerichtes aufgelöst. Auch die als Kompromiss vorgeschlagene Lösung, wonach für bestimmte genau definierte Verpflichtungen aus dem Völkerrecht eine Sanktionsmöglichkeit in das GATT-Regelwerk aufgenommen wird,26 hat sich bisher nicht durchgesetzt . Insoweit ist festzustellen, dass die Verhängung eines Handelsembargo/Importstopps unter Rückgriff auf völkerrechtliche Repressalie auf einer unsicheren rechtlichen Grundlage erfolgen müsste und es nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass solche Maßnahmen einer WTOrechtlichen Überprüfung standhalten würden. *** 24 So Michael J. Jahn (Fn. 18.), S. 391. ff. 25 Moritz von Unger (Fn. 20), S. 50. 26 Vgl. Michael J. Jahn (Fn. 118), S. 392; zurückhaltend dazu Matthias Reuß (Fn. 19), S. 216.