© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 109/19 99 Völkerrechtliche Bewertung der Neu-Erfassung von Staatsangehörigen in Assam Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 2 Völkerrechtliche Bewertung der Neu-Erfassung von Staatsangehörigen in Assam Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 109/19 Abschluss der Arbeit: 18. Oktober 2019 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Aktuelle Reform des Staatsangehörigen-Registers in Assam 4 1.1. Das NRC-Reformvorhaben aus Regierungssicht 4 1.2. Das NRC-Reformvorhaben aus Sicht von Medien und internationalen Beobachtern 6 2. Völkerrechtlicher Rahmen nationalen Staatsangehörigkeitsrechts 8 2.1. Reichweite staatlicher Souveränität bei der Regelung der Staatsangehörigkeit 8 2.2. Menschenrechtliche Gewährleistungen der Staatsangehörigkeit 8 3. Menschenrechtliche Bewertung der NRC-Reform 11 3.1. Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zur Beendigung der Staatenlosigkeit 11 3.2. Konkrete menschenrechtliche Risiken der NRC-Reform in Assam 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 4 1. Aktuelle Reform des Staatsangehörigen-Registers in Assam 1.1. Das NRC-Reformvorhaben aus Regierungssicht Das Register der Staatsangehörigen (National Register of Citizens, nachfolgend: NRC) ist eine Besonderheit Assams innerhalb der indischen Bundesrepublik. Eine erste Fassung des NRC wurde 1951 erstellt. 1985 vereinbarte die indische Bundesregierung mit der All Assam Students Union (AASU) und der All Assam Gan Sangram Parishad (AAGSP) den sog. Assam Accord1 zur Wahrung der Interessen der Bürger Assams. Unter anderem in Erfüllung des Assam Accord mandatierte der indische Supreme Court die indische Bundesregierung 2013, das NRC zu aktualisieren. Die 2015 begonnene Überarbeitung des NRC soll neben den in der Fassung von 1951 enthaltenen Bürgern und ihren Abkömmlingen auch alle Personen enthalten, die bis März 1971 in das Wählerverzeichnis aufgenommen worden waren. Erklärtes Ziel der gegenwärtigen Aktualisierung ist nicht zuletzt die Identifizierung nicht dokumentierter Immigranten, insbesondere aus Bangladesch . Dies ist u.a. auch vor dem Hintergrund historischer Migration zu sehen. Einwanderer aus dem heutigen Bangladesch erreichten den heutigen indischen Bundesstaat Assam während der britischen Kolonialzeit, während und nach der Teilung Indiens und infolge des Bangladesch- Krieges 1971. Auch in den Jahrzehnten danach kam es zu weiterer Einwanderung aus Bangladesch nach Assam.2 Das indische Außenministerium (nachfolgend: MEA) gab am 2. September 2019 eine Presserklärung zur aktualisierten Fassung des NRC ab und erläutert diese wie folgt:3 - Der Aktualisierungsprozess habe 2015 als ein transparentes, faires, gesetzeskonformes Verfahren auf der Grundlage wissenschaftlicher Methodik begonnen. Treibende Kraft der Aktualisierung sei nicht die Exekutive, als vielmehr der Supreme Court.4 Das Gericht habe dem Antrag der Regierung auf weitere Fristverlängerungen nicht entsprochen, der enge zeitliche Rahmen resultierte aus den gerichtlichen Vorgaben.5 - Zur Eintragung in das neue Staatsangehörigen-Register berechtigt seien alle Personen, die durch geeignete Dokumente nachweisen können, dass sie von einer Person abstammen, 1 Accord between AASU, AAGSP and the Central Government on the Foreign National Issue (Assam Accord), 15 August 1985, https://peacemaker.un.org/sites/peacemaker.un.org/files/IN_850815_Assam%20Accord.pdf, siehe insbesondere dessen Par. 2 und 5.4. 2 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung 1951 bis 2014 Saif Khalid, India publishes final NRC: All you need to know on citizens’ list: Nearly 2 million left out from the controversial citizenship list in Assam amid fears they could be rendered stateless, Al Jazeera, 29 August 2019, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/final-nrc-listindia -assam-190829133456422.html. 3 Ministry of External Affairs, Statement by MEA on National Register of Citizens in Assam, 2. September 2019, https://mea.gov.in/Speeches-Statements.htm?dtl/31782/statement+by+mea+on+national+register+of+citizens +in+assam. 4 A.a.O., Par. 4. und 5. 5 So die Angaben eines Sprechers der Indischen Botschaft in Deutschland vom 17. September 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 5 die am 24. März 1971 Einwohner Assams waren.6 Eine Erhebung der Religionszugehörigkeit finde bei der Aktualisierung des NRC nicht statt, ein individueller Ausschluss vom NRC könne schon daher nicht religiös diskriminierend sein.7 - Nicht in das NRC aufgenommene Personen könnten innerhalb von 120 Tagen nach Erhalt eines entsprechenden Bescheides Berufung hiergegen einlegen. Die Frist laufe vom 31. August bis zum 31. Dezember 2019.8 Auch staatliche Behörden können die Fälle ausgeschlossener Bürger den Ausländertribunalen unterbreiten. Die Beschwerden würden von den designierten Ausländertribunalen (Foreigners’ Tribunals) in einem rechtsförmigen Verfahren geprüft. Nach Ablauf der 120-Tage-Frist könnten Rechtsmittel gegen einen Ausschluss vom NRC beim High Court of Assam und letztlich dem Supreme Court eingelegt werden.9 In den Verfahren stellten die indische Bundesregierung und die Staatsregierung von Assam Bedürftigen freien Rechtsbeistand zur Verfügung.10 Zur Bewältigung der anfallenden Verfahren werde die Zahl der zuständigen Ausländertribunale von 100 auf 300 erhöht , wodurch der Rechtsschutz allgemein und dezentral zugänglich werde.11 - Ein Ausschluss vom NRC habe keine Auswirkungen auf die Rechte der Einwohner Assams, solange nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft seien. Vorläufig mache der Ausschluss die nicht in das NRC aufgenommenen Personen weder zu Staatenlosen noch zu Ausländern im Rechtssinne.12 Das MEA betont in der zitierten Presseerklärung Indiens Verfasstheit als demokratischer, nichtdiskriminierender Rechtsstaat, in dem eine unabhängige Justiz und staatliche Einrichtungen der Verteidigung der Menschenrechte dienten.13 Nach offiziellen Angaben stehen die in der Presse berichteten Fälle von über 1.000 Personen, die sich im Abschiebegewahrsam befinden sollen, in keinem sachlichen Zusammenhang mit der NRC-Aktualisierung. Zudem gebe es keine Planung zur massenhaften Inhaftierung der im NRC 6 A.a.O., Par. 5. 7 A.a.O., Par. 6. 8 So die Angaben eines Sprechers der Indischen Botschaft in Deutschland vom 17. September 2019. 9 A.a.O., Par. 7. 10 A.a.O., Par. 9. 11 A.a.O., Par. 10. 12 A.a.O., Par. 8. 13 A.a.O., Par. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 6 nicht berücksichtigten Personen, zumal es reine Spekulation sei, wie vielen Personen nach Abschluss der Rechtsschutzverfahren im Ergebnis die indische Staatsangehörigkeit nicht zuerkannt werde.14 1.2. Das NRC-Reformvorhaben aus Sicht von Medien und internationalen Beobachtern Verschiedene Pressestimmen, zivilgesellschaftliche Menschenrechtsorganisationen und internationale Beobachter sehen in der NRC-Neufassung die Gefahr, dass etwa zwei Millionen der über 30 Millionen Einwohner Assams ihrer Staatsangehörigkeit verlieren könnten, weil es ihnen nicht gelinge, ihre familiären Wurzeln in Assam aus der Zeit vor 1971 nachzuwiesen.15 Kritiker sehen die entscheidenden Ursachen des drohenden Verlusts der (mutmaßlich) indischen Staatsangehörigkeit im Bereich technischer Probleme. Diese führten zu inkonsistenter und zum Teil willkürlich scheinender Verwaltungspraxis. So berichten Presseartikel zum Beispiel über Familien, die seit Generationen in Assam leben, und bei denen nur eines von zwei Geschwistern als Staatsangehörige(r) anerkannt worden sei. Auch werden Fälle berichtet, in denen Eltern anerkannt worden seien, nicht jedoch ihre Kinder – bzw. umgekehrt. Es liegen Hinweise vor, dass Schreibfehler in alten, zum Nachweis der Abstammung vorgelegten Dokumenten in Einzelfällen zum sachlich nicht gerechtfertigten Ausschluss vom NRC geführt hätten. Die Effektivität der Rechtsschutzverfahren wird von Kritikern angesichts der immensen Zahl zu bearbeitender Fälle als unsicher angesehen. So rolle auf die Ausländertribunale eine Prozesslawine zu, deren zeitnahe Bewältigung kaum vorstellbar scheine. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten sollen einige Ausländertribunale bereits einseitige Urteile ohne Anhörung der Parteien gefällt haben. Marginalisierte Bevölkerungsgruppen seien vom Risiko des Verlusts ihrer (mutmaßlich) indischen Staatsangehörigkeit stärker betroffen, da ihnen – z.B. infolge von Armut oder Analphabetismus – häufiger die Ressourcen fehlten, um ihre Identität durch geeignete amtliche Dokumente 14 So die Angaben eines Sprechers der Indischen Botschaft in Deutschland vom 17. September 2019. 15 Alle Angaben im nachfolgenden Abschnitt wurden entnommen: - Rebecca Ratcliffe/Kakoli Bhattacharya, India: almost 2m people left off Assam register of citizens. Rights groups warn of possible humanitarian crisis as those left off list face statelessness and detention, The Guardian 21 August 2019, https://www.theguardian.com/global-development/2019/aug/31/india-almost- 2m-people-left-off-assam-register-of-citizens; - Saif Khalid, India publishes final NRC: All you need to know on citizens’ list: Nearly 2 million left out from the controversial citizenship list in Assam amid fears they could be rendered stateless, Al Jazeera, 29 August 2019, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/final-nrc-list-india-assam-190829133456422.html; - Mridul Karmakar/Laura Höflinger, Drohende Staatenlosigkeit in Indien: Millionen zu Ausländern erklärt, Spiegel Online, 12. Oktober 2019, https://www.spiegel.de/politik/ausland/indien-fast-zwei-millionen-menschen -droht-die-staatenlosgikeit-a-1290563.html#js-article-comments-box-pager; - Stephanie Nebehay, U.N. refugee agency takes up case of potential stateless in India, Reuters, 2. Oktober 2019, https://uk.reuters.com/article/uk-un-refugees-stateless/u-n-refugee-agency-takes-up-case-of-potentialstateless -in-india-idUKKBN1WH1BZ. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 7 nachweisen zu können. Menschenrechtsaktivisten schätzen es als unwahrscheinlich ein, dass sämtliche Personen, die zu diesen Gruppen zählen, innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen formgerecht Einspruch gegen ihre Auslassung vom NRC einlegen können. Bereits vor einem rechtskräftigen Abschluss eventueller Verfahren vor den Ausländertribunalen könnten mit dem vorläufigen Ausschluss vom NRC gravierende Rechtsfolgen verbunden sein. So führe bereits die vorläufige Entziehung der Staatsangehörigkeit zu einer Erosion bürgerlicher und politischer Rechte, einschließlich des Wahlrechts. Nach Presseberichten sollen gegenwärtig bereits etwa 1.000 Personen inhaftiert worden sein, darüber hinaus würden zurzeit geschlossene Einrichtungen für etwa 30.000 Personen gebaut. Diese Zahlen werden von Regierungsseite bestritten, die einen Zusammenhang zwischen Inhaftierung und NRC-Aktualisierung bestreitet. Politische Beobachter weisen auf einige Verdachtsmomente hin, durch die sie die Annahme begründet sehen, die NRC-Reform enthielte Elemente religiöser Diskriminierung. Öffentliche Stellungnahmen des indischen Innenministers Amit Shah, wonach es Hindus, Sikhs, Jains, Buddhisten und Christen freistehe, die indische Staatsangehörigkeit zu beantragen, wobei in dieser Auflistung Muslime nicht erwähnt wurden, werden in der indischen Öffentlichkeit zum Teil als Beleg der gezielten Diskriminierung von Muslimen interpretiert.16 Auch das hindu-nationalistische Programm der gegenwärtig in Regierungsverantwortung stehenden Bharatiya Janata Partei (BJP) führt deren politische Gegner zu der Einschätzung, die NRC-Reform solle dem Ausschluss muslimischer Staatsangehöriger dienen.17 Die BJP weist diese Vorwürfe zurück und verweist auf ihre Beweggründe, die in der Notwendigkeit der Kontrolle irregulärer, nicht dokumentierter Einwanderung lägen. Angesichts der demographischen Zusammensetzung Assams (ca. 34% der Bevölkerung sind muslimischen Glaubens, ca. 6 % der Bevölkerung wurden nicht ins NRC aufgenommen ), gibt es zumindest im Ergebnis der NRC-Aktualisierung keinen empirischen Beleg für die Behauptung gezielter religiöser Diskriminierung. Was auch immer die ursprüngliche Zielsetzung der NRC-Reform gewesen sein mag, so sollen gegenwärtig Hindus und Muslims gleichermaßen vom Ausschluss vom NRC betroffen sein.18 Gleichwohl weisen politische Beobachter auf die begriffliche Einrahmung der NRC-Reform hin: 16 BBC News, NRC: Amit Shah vows to eject illegal migrants from West Bengal, 1. Oktober 2019, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-49890663. 17 Vgl. zur Programmatik der BJP statt vieler: Ratik Asokan, Looking for Reason in Modi’s Indoia, NYRB, 7. September 2019, https://www.nybooks.com/daily/2019/09/07/looking-for-reason-in-modis-india/?printpage=true; Isaac Chotiner, Amartya Sen’s Hopes and Fears for Indian Democracy, The New Yorker, 6. Oktober 2019, https://www.newyorker.com/news/the-new-yorker-interview/amartya-sens-hopes-and-fears-for-indian-democracy . Differenziert zur Programmatik der BJP und der Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen in Indien siehe Chistian Wagner, Modis Indien, Die Bharatiya Janata Party erringt ein klares Mandat für eine zweite Amtszeit , SWP-Aktuell 2019/A 33, Juni 2019, https://www.swp-berlin.org/publikation/modis-indien/. 18 Vgl. Shekhar Gupta, Assam’s NRC debacle, caught between indigenous & Indian, Hindu & Muslim, myth & reality , 4 September 2019, https://www.youtube.com/watch?v=DKaDuVeuIqc. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 8 The fraught rhetoric surrounding the NRC, where “illegal migrant” is time and again conflated with “Muslim”, and “Muslim” with “foreigner”, shows a disconnect between what Indians have historically known […] and how, at home, they perceive those they suddenly decide are the “other”.19 2. Völkerrechtlicher Rahmen nationalen Staatsangehörigkeitsrechts 2.1. Reichweite staatlicher Souveränität bei der Regelung der Staatsangehörigkeit Grundsätzlich steht Staaten bei der Regelung ihres Staatsangehörigkeitsrechts aus völkerrechtlicher Sicht ein weiter Ermessensspielraum zu.20 Die Regelung, wer zum Staatsvolk gehört, liegt nach wie vor im Kernbereich nationaler Souveränität. Selbst das Erfordernis einer effektiven Verbindung zwischen einem Staat und dessen Angehörigen, das im Völkerrecht insbesondere aus der Nottebohm-Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs21 abgeleitet wird, beschränkt nicht das Ermessen eines Staates, ob er einem Individuum seine Staatsangehörigkeit verleiht, als vielmehr die Pflicht anderer Staaten, die verliehene Staatsangehörigkeit als Rechtsgrundlage für diplomatischen Schutz durch den genannten Staat anzuerkennen.22 Eine Ermessensreduktion des nationalen legislativen Gestaltungsspielraums ergibt sich hingegen aus den menschenrechtlichen Pflichten, die die Staaten in den letzten Jahrzehnten übernommen haben: Staaten müssen nunmehr bei nationalen Regelungen zur Verleihung und Entzug ihrer Nationalität das Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit berücksichtigen.23 2.2. Menschenrechtliche Gewährleistungen der Staatsangehörigkeit Das Recht auf Staatsangehörigkeit ist in zahlreichen universell gültigen Menschenrechtsinstrumenten normiert. Bereits nach Art. 15 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) hat jedermann das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Nach Art. 15 Abs. 2 AEMR darf 19 Amit Chaudhuri, A new India is emerging, and it is a country ruled by fear, The Guardian, 8 October 2019, https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/oct/08/narendra-modi-bjp-india. [Hervorhebung vom Bearbeiter .] 20 Zu Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit siehe statt vieler: Oliver Dörr, Nationality, in Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e852#law-9780199231690-e852-div1-1; Serline Trevisanut, Nationality Cases before International Courts and Tribunals, ebenda, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e853?rskey=MPXe0a&result=10&prd=MPIL; Katja Göcke, Stateless Persons, ebenda, https://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e878?rskey=MPXe0a&result =5&prd=MPIL. 21 Vgl. ICJ, Nottebohm Case (second phase), Judgment of April 6th, 1955, I.C.J. Reports 1955, p.4, https://www.icjcij .org/files/case-related/18/018-19550406-JUD-01-00-EN.pdf. 22 Vgl. statt vieler Alexander N. Makarov, Das Urteil des Internationalen Gerichtshofes im Fall Nottebohm, ZaöRV 1955/56, S. 407 ff., https://www.zaoerv.de/16_1955_56/16_1955_3_4_a_407_426.pdf. 23 OHCHR, Right to a Nationality and Statelessness, https://www.ohchr.org/EN/Issues/Pages/Nationality.aspx. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 9 niemandem seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen werden.24 Als Mitglied der VN ist Indien an die ursprünglich formell unverbindliche AEMR mittlerweile völkergewohnheitsrechtlich gebunden.25 Nach Art. 24 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) hat jedes Kind ein Recht darauf, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben.26 Art. 7 und 8 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes bestätigen das Recht eines jeden Kindes auf Erwerb einer Staatsangehörigkeit und die Pflicht der Vertragsstaaten, nicht rechtswidrig in die Staatsangehörigkeit des Kindes einzugreifen.27 Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau gewährt Frauen die gleichen Rechte wie Männern hinsichtlich des Erwerbs, des Wechsels oder der Beibehaltung der Staatsangehörigkeit; Art. 9 Abs. 2 des genannten Übereinkommens verpflichtet die Vertragsstaaten, Frauen die gleichen Rechte wie Männern im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit ihrer Kinder zu gewähren.28 Art. 29 des Übereinkommens zum Schutze der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen bestätigt für jedes Kind eines Wanderarbeitnehmers dessen Recht auf eine Staatsangehörigkeit.29 Art. 18 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen enthält Garantien, die sicherstellen sollen, dass Menschen mit Behinderungen in Fragen der Staatsangehörigkeit nicht diskriminiert werden.30 Mit Ausnahme des Übereinkommens zum 24 Universal Declaration of Human Rights, A/Res 217 A (III), 10 December 1984, https://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=eng; deutsche Fassung: https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf. 25 Zur eingetretenen Bindungswirkung der als Resolution der VN-Generalversammlung ursprünglich unverbindlichen AEMR siehe statt vieler Christian Tomuschat, United Nations, General Assembly, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e555?prd=EPIL#law-9780199231690-e555-div1-4, Rz. 22, sowie Volker Epping, in: Knut Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl., München 2018, § 9, Rn. 11 ff. 26 International Covenant on Civil and Political Rights, adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, entry into force 23 March 1976, https://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/CCPR.aspx; deutsche Fassung: https://www.institut-fuermenschenrechte .de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICCPR/iccpr_de.pdf 27 Convention on the Rights of the Child, adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 44/25 of 20 November 1989, entry into force 2 September 1990, http://ohchr.org/EN/Professional Interest/Pages/CRC.aspx; deutsche Fassung: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin /user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRC/crc_de.pdf. 28 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women New York, 18 December 1979, https://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/CEDAW.aspx; deutsche Fassung: https://www.institutfuer -menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CEDAW/cedaw_de.pdf. 29 International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families, adopted by General Assembly resolution 45/158 of 18 December 1990, https://www.ohchr.org/EN/Professional- Interest/Pages/CMW.aspx; deutsche Fassung: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload /PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICRMW/icrmw_de.pdf. 30 Convention on the Rights of Persons with Disabilities, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/CRPD/Pages/Convention RightsPersonsWithDisabilities.aspx; deutsche Fassung: https://www.institut-fuer-menschenrechte .de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention /crpd_b_de.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 10 Schutze der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen ist Indien Vertragsstaat aller genannten menschenrechtlichen Übereinkommen und daher an das hierin normierte Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit völkervertragsrechtlich gebunden.31 Das Recht auf Staatsangehörigkeit in den genannten Instrumenten bedarf der Konkretisierung, zu welcher Staatsangehörigkeit der oder die Einzelne berechtigt ist. Entsprechende Ansätze finden sich im Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961.32 Indien ist kein Vertragsstaat dieses Übereinkommens,33 gleichwohl können nach überwiegender Ansicht dessen zentrale Bestimmungen zur völkerrechtlichen Konkretisierung und Operationalisierung des auslegungsbedürftigen Rechts auf Staatsangehörigkeit herangezogen werden.34 Dem entsprechend sollen Staaten Staatenlosigkeit dadurch vermeiden, dass sie ihre eigene Staatsangehörigkeit anderenfalls staatenlosen Personen zuteilwerden lassen, wenn diese entweder im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates geboren wurden35 oder Abkömmlinge eines bzw. einer Staatsangehörigen sind.36 In einer – rein formell betrachtet – völkerrechtlich unverbindlichen Resolution der VN-Generalversammlung rief diese die Staaten auf: to adopt nationality legislation with a view to reducing statelessness, consistent with the fundamental principles of international law, in particular by preventing arbitrary deprivation of nationality […].37 Zu erinnern ist schließlich daran, dass die willkürliche Entziehung der Staatsangehörigkeit eine Verfolgung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. h) des IStGH-Statuts38, und somit – bei Vorliegen der 31 UNTC, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-4&chapter=4&clang=_en; UNTC, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-15&chapter=4&clang=_en; UNTC, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-11&chapter=4&clang=_en; UNTC, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-13&chapter=4&clang=_en; UNTC, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-8&chapter=4&clang=_en. 32 Convention on the Reduction of Statelessness, https://www.bgbl.de/xaver /bgbl/start.xav?start=//*%5B@attr_id=%27bgbl277s0597.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id% 3D%27bgbl277s0597.pdf%27%5D__1569937265259; deutsche Fassung: https://www.bgbl.de/xaver /bgbl/start.xav?start=//*%5B@attr_id=%27bgbl277s0597.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id% 3D%27bgbl277s0597.pdf%27%5D__1570528025236. 33 UNTC, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=V-4&chapter=5&clang=_en. 34 OHCHR, Right to a Nationality and Statelessness, https://www.ohchr.org/EN/Issues/Pages/Nationality.aspx. 35 Vgl. Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit (s.o.) (mit weiteren Einzelheiten). 36 Vgl. Art. 1 Abs. 4 des Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit (s.o.) (mit weiteren Einzelheiten). 37 UN General Assembly, A/RES/50/152, 9 February 1996, https://undocs.org/en/A/RES/50/152. [Hervorhebung vom Bearbeiter.] 38 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, https://www.un.org/depts/german/internatrecht/roemstat 1.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 11 übrigen Tatbestandsvoraussetzungen – eine Begehungsvariante eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit darstellen kann.39 Die Literatur diskutiert in diesem Zusammenhang sowohl die Möglichkeit, dass bereits die Entziehung selbst eine Verfolgung darstellen kann, als auch die Fälle weiterer Diskriminierung und Verletzung von Menschenrechten nach Entzug der Staatsangehörigkeit .40 Auf der Grundlage historischer Erfahrung sind Fälle, in denen nach Ausbürgerung weitere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, durchaus vorstellbar.41 3. Menschenrechtliche Bewertung der NRC-Reform 3.1. Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zur Beendigung der Staatenlosigkeit Im Rahmen der Vereinten Nationen obliegt es dem UNHCR, die staatlichen Aktivitäten zum Schutz des individuellen Menschenrechts auf Staatsangehörigkeit, der übrigen Menschenrechte der Staatenlosen und zur Verhinderung von Staatenlosigkeit zu fördern.42 Die Staatengemeinschaft hat seit 2014 ihre Bemühungen zur globalen Beendigung der Staatenlosigkeit intensiviert. Zu diesem Zweck verfolgen die Staaten unter Federführung des UNHCR den „Global Action Plan 2014 – 2024“43 und die #IBelong-Kampagne44. Zu den einzelnen menschenrechtlichen Zielen des Globalen Aktionsplans, die im vorliegenden Zusammenhang von Relevanz sein können, zählen insbesondere - die Gewährleistung, dass kein Kind staatenlos geboren wird (Aktion 2), - die Verhinderung der Versagung, des Verlusts oder der Entziehung der Staatsangehörigkeit auf der Grundlage diskriminierender Kriterien (Aktion 4), - die erleichterte Einbürgerung staatenloser Immigranten (Aktion 6) und - die Ausgabe von nationalen Identitätsnachweisen an Berechtigte (Aktion 8). Soweit die beschriebene NRC-Reform und die damit verbundene Verwaltungs- und Rechtsschutzpraxis den international menschenrechtlichen Rahmenvorgaben zum Recht auf Staatsange- 39 Siehe im Einzelnen Michelle Foster/Hélène Lambert, International Refugee Law and the Protection of Stateless Persons, Chapter V: Statelessness as Persecution, Excerpt auf https://www.oxfordscholarship .com/view/10.1093/oso/9780198796015.001.0001/oso-9780198796015-chapter-5. 40 Vgl. Michelle Foster/Hélène Lambert, a.a.O. 41 Vgl. die Beispiele nationalsozialistischer Ausbürgerungen in Deutschland sowie der Rohingya in Myanmar, in: Aktueller Begriff Nr. 26/14 (29. September 2014), https://www.bundestag.de/resource /blob/332394/43561799cc62b9c0c99ce795ae6331b9/rechtstellung-der-staatenlosen-data.pdf. 42 Zur völkerrechtlichen Rechtsgrundlage des UNHCR-Mandats im Hinblick auf Staatenlose siehe UNHCR, Handbook on Protection of Stateless Persons, Geneva 2014, file:///P:/_unverschluesselt/Eigene%20Dateien /002%20BT/Auftr%C3%A4ge/UNHCR_Handbook-on-Protection-of-Stateless-Persons.pdf, S. 4 (m.w.N.) 43 UNHCR, Global Action Plan to End Statelessness 2014 – 2024, https://www.unhcr.org/protection/statelessness /54621bf49/global-action-plan-end-statelessness-2014-2024.html 44 UNHCR, #IBelong, https://www.unhcr.org/ibelong/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 12 hörigkeit Rechnung tragen sollen, so wären hierbei auch die genannten Ziele des Globalen Aktionsplans zu berücksichtigen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die NRC-Reform die Vorgabe der internationalen Gemeinschaft, die Staatenlosigkeit bis 2024 zu beenden, untergräbt. Im Kontext des Globalen Aktionsplans bewertet der VN-Hochkommissar für Flüchtlinge die menschenrechtliche Problematik der NRC-Reform in Assam wie folgt: „Any process that could leave large numbers of people without a nationality would be an enormous blow to global efforts to eradicate statelessness,” High Commissioner Grandi said. “I appeal to India to ensure that no one is rendered stateless by this action, including by ensuring adequate access to information, legal aid, and legal recourse in accordance with the highest standards of due process.” While India has a sovereign right and authority to establish who is an Indian national , UNHCR urges the Government to take steps that mitigate the risk of any individual being left stateless as a result of the NRC update in Assam or similar processes that may take place in other states in India, and calls on the authorities to refrain from detaining or deporting anyone whose nationality has not been verified through this process.45 3.2. Konkrete menschenrechtliche Risiken der NRC-Reform in Assam Sollten die – ohnehin bisher nur zu einem Teil eingelegten – Rechtsmittel der fast 2 Millionen Einwohner Assams, die nicht in das aktualisierte NRC aufgenommen wurden, scheitern, würde in Assam die weltweit größte bekannte Gruppe Staatenloser entstehen.46 Zudem gibt es Befürchtungen , weitere indische Bundesstaaten (Mizoram, Nagaland) könnten dem Beispiel Assams folgen.47 Das individuelle Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit würde dadurch in einer massenhaften Zahl von Einzelfällen beeinträchtigt. Die Gefahr rechtlicher Beeinträchtigungen resultiert nicht zuletzt aus dem Umstand, dass es bisher kein Abkommen zwischen Indien und Bangladesch gibt, wonach Personen, denen die Aufnahme in das NRC versagt wurde, dort Aufnahme finden oder gar die Staatsangehörigkeit erwerben würden. Selbst wenn Indien mit einzelnen Staaten entsprechende völkerrechtliche Vereinbarungen treffen sollte, würden die irrtümlich aber rechtskräftig vom aktualisierten NRC ausgeschlossenen Personen bis auf weiteres staatenlos bleiben. 45 UNHCR, Press Release: UN High Commissioner for Refugees expresses alarm at statelessness risk in India’s Assam, 1 September 2019, https://www.unhcr.org/news/press/2019/9/5d6a24ba4/un-high-commissioner-refugees -expresses-alarm-statelessness-risk-indias.html. [Hervorhebung vom Bearbeiter.] 46 Vgl. Institute on Statelessness and Inclusion, Statelessness in Numbers: 2018, http://files.institutesi.org/ISI_statistics _analysis_2018.pdf. 47 Vgl. Rahul Tripathi, Manipur, Mizoram pass bills fearing Assam influx after NRC, ET, 19 September 2019, https://economictimes.indiatimes.com/news/politics-and-nation/manipur-mizoram-pass-bills-fearing-assaminflux -after-nrc/articleshow/71208010.cms Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 109/19 Seite 13 Eine Inhaftierung von Einwohnern Assams, die nicht in das aktualisierte NRC aufgenommen wurde, könnte aus völkerrechtlicher Sicht als willkürliche und daher menschenrechtswidrige Inhaftierung zu bewerten sein. Denn zum einen können die Inhaftierten als Staatenlose nicht abgeschoben werden, so dass die Haft potentiell zeitlich unbefristet ist, zum anderen steht es nicht in der Macht der Inhaftierten, durch rechtskonformes Verhalten der eigenen Inhaftierung vorzubeugen oder dieser zu entgehen.48 Sollte die indische Regierung sich für eine Inhaftierung der betroffenen Personen entscheiden, stieße dies auf menschenrechtliche Bedenken. Eine Gefahr menschenrechtswidriger (ethnischer) Diskriminierung bei der Aktualisierung des NRC liegt im Ausschluss Bengalisch-sprechender Einwohner Assams, wobei muslimische und hinduistische Bengalisch-sprechende Einwohner zwar gleichermaßen betroffen sind, arme und nicht-alphabetisierte Bengalisch-sprechende Einwohner jedoch in erhöhtem Maße.49 Verfahrensmängel (wie z.B. ausbleibende Belehrungen über Rechtsschutzmittel und -einlegungsfristen ) erhöhen weiter die Gefahr, dass eine unabsehbare Anzahl von Einwohnern Assams staatenlos , und damit in ihrem individuellen Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit verletzt werden .50 Abschließend sei betont, dass Staatenlosigkeit zu den Risikofaktoren für Flucht und Vertreibung zählt.51 Auch deshalb ist zu gewärtigen, dass die menschenrechtswidrige Entziehung der Staatsangehörigkeit zu weiteren Menschenrechtsverletzungen führen kann. *** 48 Vgl. European Network on Statelessness, Protecting Stateless Persons from Arbitrary Detention, https://www.statelessness.eu/sites/www.statelessness.eu/files/attachments/resources/ENS_LockeInLimbo_Detention _Agenda_online.pdf. 49 Nach schriftlichen Angaben des UNHCR [15 Oktober 2019, dem Bearbeiter vorliegend]. 50 A.a.O. 51 Vgl. Zahra Albarazi/Laura van Waas, Statelessness and Displacement, http://files.institutesi.org/stateless_displacement .pdf.