© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 108/16 Proliferationsversuche für das iranische Nuklearprogramm und die Wiener Vereinbarung (Joint Comprehensive Plan of Action) vom 14. Juli 2015 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Juli 2015 einigten sich die sog. „EU3+3“ Staaten (China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien , Russland, USA) mit dem Iran auf einen Joint Comprehensive Plan of Action (kurz: JCPOA, sog. Wiener Vereinbarung) zur Beilegung des Streits um das iranische Nuklearprogramm .1 Die Wiener Vereinbarung sieht technische Beschränkungen und Kontrollmechanismen vor, die gewährleisten sollen, dass das iranische Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient und nicht für die Entwicklung von Nuklearwaffen verwendet werden kann. Eine neu ins Leben gerufene Gemeinsame Kommission (Joint Commission), in der die Unterzeichnerstaaten des JCPOA gleichberechtigt vertreten sind, überwacht die Umsetzung der Wiener Vereinbarung . Ungeachtet dessen bescheinigte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seinem Jahresbericht 2015 dem Iran „illegale proliferationsrelevante Beschaffungsaktivitäten auf einem weiterhin hohen quantitativen Niveau“.2 Laut BfV gilt das vor allem für Güter, die im Bereich Nukleartechnik eingesetzt werden können. Das Bundesamt für Verfassungsschutz betonte zudem, der Iran habe unter Nutzung konspirativer Verschleierungstaktik (Tarnfirmen, Strohmänner) und mit Blick auf sein ambitioniertes Trägertechnologieprogramm seine Aktivitäten verstärkt, um sich Technik für den Bau von Raketen zu beschaffen. Nach einem Bericht des Tagesspiegels vom 4. Juli 20163 habe der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz über 140 „Einkaufsversuche“ identifiziert, die dem Zweck dienten, an Technik „heranzukommen“, welche für Atomwaffen und Trägerraketen nutzbar wäre. 90 Prozent der in Deutschland erkannten Beschaffungsversuche würden allerdings scheitern, weil Firmen und Verfassungsschutz kooperierten. Im Folgenden soll geklärt werden, ob die von den Verfassungsschutzämtern beklagten „Beschaffungsversuche“ einen Verstoß gegen das sog. Wiener Abkommen darstellen und welche politischen Konsequenzen daraus ggf. zu ziehen sind. 1 Joint Comprehensive Plan of Action, Text verfügbar unter: https://eeas.europa.eu/statementseeas /docs/iran_agreement/iran_joint-comprehensive-plan-of-action_en.pdf. 2 https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht- 2015. 3 Tagesspiegel online v. 4.7.2016, http://www.tagesspiegel.de/politik/verfassungsschutz-iran-will-mit-allenmitteln -die-atombombe/13829050.html. Vgl. dazu auch das Interview des Tagesspiegels mit dem Präsidenten des Thüringer Amts für Verfassungsschutz Stephan Kramer, http://www.tagesspiegel.de/politik/thueringensverfassungsschutzchef -kramer-wir-sollten-dem-iran-keine-zugestaendnisse-mehr-machen/13920336.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 108/16 Seite 5 2. Verpflichtungen des Iran aus dem Wiener Abkommen Die in der Wiener Vereinbarung festgelegten Verpflichtungen des Irans betreffen thematisch drei Bereiche: Die Anreicherung mit Uran (Teil A), den Schwerwasserreaktor in Arak (Teil B) sowie Transparenz und vertrauensbildende Maßnahmen (Teil 3). Das iranische Trägertechnologieprogramm ist selbst nicht Gegenstand der Wiener Vereinbarung. Für den Erwerb von Nukleartechnologie relevant erscheint das Kapitel über „Transparenz und vertrauensbildende Maßnahmen“. Die Verpflichtungen Irans aus der Wiener Vereinbarung sind jedoch sehr allgemein gehalten und gehen über das bloße „Vereitelungsverbot“, wie es Art. 18 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) generell für alle völkerrechtlichen Verträge vorsieht ,4 nicht hinaus. So lautet etwa Punkt viii der Präambel zur Wiener Nuklear-Vereinbarung: Iran commit to (…) refrain from any action inconsistent with the letter, spirit and intent of this JCPOA that would undermine its successful implementation. Ähnlich lautet die Verpflichtung aus Punkt 16 der Vereinbarung: Iran will not engage in activities (…), that could contribute to the development of a nuclear explosive device (…). Darüber hinaus enthält die Wiener Vereinbarung keine speziellen Verbote, die es dem Iran untersagen würden, sich bestimmte nukleartechnische Güter zu beschaffen. Vielmehr ermöglicht die Vereinbarung sogar den Transfer von Nukleartechnologie in den Iran, sieht dafür allerdings ein besonderes Genehmigungsverfahren vor. Die „EU3+3“ Staaten betreten damit gewissermaßen „Neuland“ bei der Exportkontrolle:5 So soll eine spezielle Arbeitsgruppe der Joint Commission, die sog. Procurement Working Group,6 alle Anträge auf Lieferung von Atomtechnologie, auf „dual use“-Technologien und auf relevanten Dienstleistungen begutachten und genehmigen.7 Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) kann den Endverbleib von Nukleartechnologie vor Ort überprüfen. Der Iran verpflichtet sich in Punkt 17 der Wiener Vereinbarung, im Einklang mit diesen Beschaffungsgrundsätzen (insb.: Genehmigung durch die Procurement Working Group) zu handeln.8 4 Art. 18 WVRK lautet: Ein Staat ist verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck eines Vertrags vereiteln würden. 5 Näher Meier/Zamirirad, Die Atomvereinbarung mit Iran, SWP-Aktuell Nr. 70, August 2015, verfügbar unter: http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A70_mro_zmd.pdf. 6 Die Einrichtung der Arbeitsgruppe erfolgt durch Annex IV (Nr. 6) zur Wiener Vereinbarung. 7 In Punkt 6.1.1. von Annex IV heißt es: The working group decides on proposals by states seeking to engage in the supply, sale or transfer directly or indirectly from their territories, or by their nationals (…) to Iran, and (…) of all items, materials, equipment, goods and technology (…), if the end-use will be for Iran's nuclear programme , as well as any further items if the relevant State determines that they could contribute to activities inconsistent with the JCPOA. 8 Punkt 17 der Vereinbarung lautet: Iran will cooperate and act in accordance with the procurement channel in this JCPOA, as detailed in Annex IV. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 108/16 Seite 6 3. Illegale Beschaffungsversuche Die Beschaffung von Nuklearmaterial und -technik durch den Iran außerhalb des durch die Wiener Vereinbarung (mit Annex IV) vorgegebenen Rahmens und der entsprechend vorgegebenen Prozeduren für den Nukleartransfer ist grundsätzlich unzulässig und steht im Widerspruch zu Ziel und Zweck der Wiener Vereinbarung. Mit Blick auf den Vertragszweck ist es dabei grundsätzlich unerheblich, ob eine Beschaffung „erfolgreich“ war oder „im Versuchsstadium stecken geblieben“ ist; bei den Bestimmungen der Wiener Vereinbarung handelt es sich insoweit nicht um strafrechtliche Vorschriften, die zwischen Versuch und Vollendung unterscheiden. Entscheidend (im Sinne von Punkt 6 des Annex IV) ist vielmehr der Umstand, ob und inwieweit die streitbefangenen nukleartechnischen Güter für das iranische Nuklear- und Trägertechnologieprogramm tatsächlich verwendet werden können und sollen. Ungeachtet der Bestimmungen der Wiener Vereinbarung handelt es sich bei der Frage der Beschaffung von Nuklearmaterial in erster Linie um ein Problem der nationalen Exportkontrolle. Die Beschaffung von Nukleartechnik durch den Iran in Deutschland setzt nämlich – neben einer (entsprechend nachzuweisenden) staatlichen Aktivität auf iranischer Seite9 – zwingend die einvernehmliche Beteiligung einer entsprechenden Firma auf deutscher Seite voraus. In diesem Zusammenhang geht es daher vor allem um die behördliche (bzw. staatsanwaltschaftliche) Klärung von Verletzungen und strafrechtlich relevanten Verstößen einer Firma gegen (Export-) Bestimmungen des deutschen Außenwirtschaftsgesetzes (AWG), der Außenwirtschaftsverordnung , der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 (sog. EG-Dual-use-Verordnung) oder der Abgabenordnung (AO). 4. Politische Streitschlichtung Mit Blick auf eine mögliche Verletzung der Wiener Vereinbarung gilt es zu klären, ob und inwieweit eine Beschaffung von nukleartechnisch relevanten Gütern durch den Iran außerhalb des vorgegebenen Rahmens für den Nukleartransfer zulässig ist. Entscheidend ist dabei der Nachweis der tatsächlichen bzw. geplanten Verwendungsmöglichkeit der jeweiligen Güter für das iranische Nuklear- und Trägertechnologieprogramm. Zur Klärung solcher Fragen sieht die Wiener Vereinbarung ein Streitschlichtungsverfahren vor, um eine politische Klärung der Angelegenheit herbeizuführen.10 Die Unterzeichnerstaaten der Wiener Vereinbarung haben danach das Recht, der Gemeinsamen Kommission Probleme betreffend die Umsetzung der Wiener Vereinbarung vorzulegen; die Kommission kann dazu eine Empfehlung aussprechen. 9 Dies erscheint angesichts der „Verschleierungstaktik“ nicht einfach. 10 Vgl. Punkt 36 f. JCPOA. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 108/16 Seite 7 Solche »consultation and clarification«-Prozeduren haben sich in anderen Rüstungskontrollabkommen als Vorstufe formaler Vertragsverletzungsverfahren durchaus bewährt.11 Gelingt es den Beteiligten nicht, den Streit binnen 15 Tagen aus der Welt zu schaffen, kann jeder Unterzeichnerstaat gem. Punkt 36 der Wiener Vereinbarung die Außenminister der „EU3+3“ Staaten und des Irans dazu veranlassen, sich mit dem Thema zu befassen. Parallel können die Streitparteien das Problem einem dreiköpfigen beratenden Ausschuss (Advisory Board) vorlegen. Ist der betreffende Unterzeichnerstaat der Wiener Vereinbarung der Auffassung, dass es sich um ein schwerwiegenderes Problem handelt, kann er die Angelegenheit am Ende vor den VN- Sicherheitsrat bringen. Eine förmliche Befassung der IAEO mit Fragen von etwaigen Verstößen gegen die Wiener Vereinbarung ist nicht vorgesehen. Ende der Bearbeitung . 11 Meier/Zamirirad, Die Atomvereinbarung mit Iran, SWP-Aktuell Nr. 70, August 2015, a.a.O. (Fn. 5), S. 5.