© 2015 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 – 108/13 Zur Wirkung und Gestaltung von sog. Stillhalteklauseln in Freihandelsverträgen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 108/13 Seite 2 Zur Wirkung und Gestaltung von sog. Stillhalteklauseln in Freihandelsverträgen Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 108/13 Abschluss der Arbeit: 16. Januar 2014 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 108/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur Funktion von Stillhalteklauseln 4 3. Zu möglichen Typen von Stillhalte- und Ausnahmeregelungen 5 3.1. Positiv- oder Negativliste 5 3.2. Ausnahmeregelungen 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 108/13 Seite 4 1. Einleitung Im Kontext der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika wird in der Öffentlichkeit teilweise diskutiert, welche Auswirkungen sogenannte Stillhalteklauseln für die Gestaltungsspielräume des innerstaatlichen Gesetzgebers haben. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ein Überblick über die Funktionsweise von Stillhalteklauseln im Allgemeinen gegeben. Weiterhin werden exemplarisch Regelungstypen und Möglichkeiten, die Wirkung von Stillhalteklauseln durch Ausnahmevorschriften zu begrenzen , aufgezeigt. 2. Zur Funktion von Stillhalteklauseln Enthält ein Freihandelsvertrag eine Stillhalteklausel, verpflichten sich die Vertragsparteien, keine neuen Beschränkungen einzuführen, wenn diese nicht in dem Vertrag ausdrücklich vorgesehen sind. Stillhalteklauseln sind mit Blick auf ihre Funktionsweise die erste Stufe einer Liberalisierung von Handelsbeziehungen. Zwar werden Beschränkungen noch nicht unmittelbar abgebaut , aber das Entstehen neuer Hemmnisse verhindert. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass zudem jeder Vertrag, der einen Abbau von bestehenden Beschränkungen vorsieht, implizit zugleich eine Verpflichtung enthält, dies nicht durch neue Regelungen zu konterkarieren. Diese Verpflichtungen sind völkerrechtlich verbindlich.1 Verstößt eine Vertragspartei gegen eine solche Verpflichtung ist sie nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit haftbar. Zudem können Verträge Sanktionsmechanismen vorsehen, etwa die Suspendierung bestimmter Privilegien, die der Vertragspartei durch den Vertrag eingeräumt werden. Angesichts ihrer Funktionsweise können Stillhalteklauseln sich als Kompromiss anbieten, wenn im Rahmen von Verhandlungen in bestimmten Sektoren oder in bestimmten Detailfragen keine Einigung über eine schrittweise Liberalisierung erreichbar erscheint. Im Folgenden wird eine Auswahl von Beispielen für Stillhalteverpflichtungen dargestellt, wie sie sich in unterschiedlichen völkerrechtlichen Verträgen finden. Eine Stillhalteklausel, die ein Beispiel einer Kompromisslösung darstellt, enthält Art. 92 AEUV. Dieser sieht vor, dass bis zum Erlass gemeinsamer Vorschriften im Verkehrssektor ein Mitgliedstaat seine Vorschriften in diesem Bereich nicht so umgestalten darf, dass sie in ihren Auswirkungen die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu inländischen Verkehrsunternehmen ungünstiger stellen. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur möglich, wenn der Rat einstimmig eine Ausnahmeregelung gewährt. 1 Die Idee einer Stillhaltevereinbarung zur schrittweisen Ermöglichung von Handelsliberalisierungen findet sich bereits in dem Kodex für die Liberalierung des Kapitalverkehrs der OECD, der auf einem bindenden Beschluss des OECD-Rates beruht. Dazu OECD, Forty Years' Experience with the OECD Code of Liberalisation of Capital Movements, 2002, S. 58 ff. und Bonucci/Kothari, OECD, in Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online verfügbar unter http://www.mpepil.com, Mai 2011, Rn. 46. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 108/13 Seite 5 Ein weiteres Beispiel für eine Stillhalteverpflichtung findet sich in Art. V (1) b) ii) GATS. Danach ist eine Voraussetzung dafür, dass sich ein Staat darauf berufen kann, Vertragspartei einer Übereinkunft zur Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs zu sein, dass dieses Übereinkommen wenigstens ein Verbot der Einführung neuer oder stärker diskriminierender Maßnahmen enthält. Art. III Abs. 6 GATT enthält eine Stillhalteverpflichtung, die als Voraussetzung für eine Ausnahme vom allgemeinen Verbot mengenmäßiger Handelsbeschränkungen formuliert ist. Danach dürfen zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende Regelungen beibehalten werden, wenn sie unter anderem nicht in einer die Einfuhr schädigenden Weise geändert werden. 3. Zu möglichen Typen von Stillhalte- und Ausnahmeregelungen 3.1. Positiv- oder Negativliste Um den Anwendungsbereich einer Stillhalteklausel zu bestimmen, stehen zwei Regelungstypen zur Verfügung. Bei der Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs könnte sich etwa eine Stillhalteklausel entweder nur auf die Regulierung von Dienstleistungen beziehen, die auf einer Positivliste aufgeführt sind. Oder sie gilt für alle Dienstleistungen, mit Ausnahme derjenigen, die auf einer Negativliste stehen. Der Unterschied zwischen den beiden Regelungstechniken liegt vor allem im Umgang mit neuen Entwicklungen, die bei Abschluss des Vertrages nicht bedacht worden sind. Bei einer Positivliste sind diese nicht erfasst, bei einer Negativliste werden sie oftmals unter die generelle Stillhalteverpflichtung fallen, da sie mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht von einer der Ausnahmen gedeckt werden. In diesem Sinne erreicht eine Negativliste tendenziell einen weiteren Anwendungsbereich . 3.2. Ausnahmeregelungen Im Anwendungsbereich einer Stillhalteklausel kann aus einer Vielzahl von Gründen das Bedürfnis nach einer differenzierteren Regelung bestehen, die dem innerstaatlichen Gesetzgeber bestimmte Handlungsoptionen erhält. Dies gilt insbesondere für Regelungen, die zwar Auswirkungen auf den Handel besitzen, aber nicht dem Ziel einer diskriminierenden Abschottung des heimischen Marktes dienen. Hierzu bestehen sowohl in inhaltlicher als auch verfahrensmäßiger Hinsicht vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. So könnten beispielsweise einzelne, als besonders sensibel erachtete Sektoren oder Aspekte von der Stillhalteverpflichtung ausgenommen werden. Je breiter der Anwendungsbereich einer Stillhalteverpflichtung formuliert ist, desto mehr Ansatzpunkte für diesen Regelungstypus werden bestehen. In die gleiche Richtung gehen Regelungen, die neue Maßnahmen dann zulassen, wenn sie bestimmten Gemeinwohlzielen dienen, etwa dem Schutz der Umwelt oder der Gesundheit. Um zu verhindern, dass unter vordergründiger Berufung auf solche Ziele Maßnahmen vorgenommen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 108/13 Seite 6 werden, die eigentlich der Privilegierung einheimischer Unternehmen dienen, werden solche Ausnahmeregelungen in der Praxis oftmals an weitere Bedingungen geknüpft. So verlangt z.B. Art. XX GATT, dass Maßnahmen, die unter Berufung auf diese Ausnahme durchgeführt werden, nicht zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung oder zu einer verschleierten Handelsbeschränkung führen. Schließen Ausnahmeregelungen an bestehende Bestimmungen in anderen Verträgen an oder verweisen sogar unmittelbar auf sie, dürfte für eine Einschätzung der praktischen Bedeutung auch eine zu der bestehenden Regelung ggf. vorliegende Spruchpraxis von Bedeutung sein. Diese kann Anlass dazu bieten, bestimmte Fragen ausdrücklich klarzustellen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, neue Regelungen dann zu erlauben, wenn diese auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden. Ein Beispiel hierfür bietet Art. 113 Abs. 5 AEUV. Hierbei ist eine wichtige Frage, welchen Grad an Sicherheit die neuen Erkenntnisse erreicht haben müssen. Mit Blick auf das sogenannte Vorsorgeprinzip ließe sich anführen, dass auch gut begründete Verdachtsmomente bereits ausreichen sollten. Weiterhin kann die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen neue Regelungen zu erlassen, erst nach Ablauf einer bestimmten Frist eingeräumt werden. In vergleichbarer Weise können Kündigungsklauseln dazu führen, dass im Ausnahmefall der Gestaltungsspielraum des innerstaatlichen Gesetzgebers wiederhergestellt werden kann. Dabei dürfte allerdings zu berücksichtigen sein, dass die Kündigung eines Abkommens oftmals im Gegenzug auch erhebliche politische und wirtschaftliche Kosten mit sich bringen kann. In prozeduraler Hinsicht kann beispielsweise vorgesehen werden, dass neue Beschränkungen erst nach Befassung eines internationalen Gremiums erlassen werden können. Aufgabe dieses Gremiums wäre die Überprüfung, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die geplante Maßnahme vorliegen. Gestaltungsmöglichkeiten umfassen sowohl die Zusammensetzung des Gremiums2 als auch dessen verfahrensmäßige Einbindung. So kann die Genehmigung einer geplanten Maßnahme verlangt werden, dem Gremium ein Widerspruchsrecht3 eingeräumt werden oder nur Konsultationen vorgesehen werden. Eine solche Prüfung von Ausnahmen zu einer Stillhalteregelung im Vorfeld des Erlasses einer Maßnahme dienen nicht nur der Kontrolle, ob die Vertragsparteien die Bestimmungen des Vertrages einhalten. Sie können auch im Vergleich zu einem nachgelagerten Schiedsverfahren die Rechtssicherheit für die Vertragspartei erhöhen, die eine Maßnahme vornehmen will. Bei einer nachgelagerten Kontrolle können bereits Zweifelsfälle zu einer Zurückhaltung bei der Neuregulierung führen, insbesondere wenn beispielsweise ein Investitionsschutzvertrag bei Verstößen Schadensersatzforderungen von Investoren ermöglicht. 2 Insbesondere ist zu klären, durch wen die Mitglieder des Gremiums benannt werden und in welchem Verhältnis sie zu den Vertragsparteien stehen. 3 Nach dieser Struktur ist etwa Art. 114 Abs. 4-6 AEUV, der den Erlass weitergehender Schutzmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten regelt, ausgestaltet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 108/13 Seite 7 Dies unterstreicht, das eine Beurteilung der praktischen Folgen einer Stillhalteregelung und ihrer Ausnahmen für die Regelungsspielräume des innerstaatlichen Gesetzgebers nicht zuletzt berücksichtigen muss, in welchem institutionellen Kontext sie steht. Besonderes Augenmerk dürfte dabei auf die Regelungen zur Streitschlichtung zu richten sein.