Überleitungsvertrag und „Feindstaatenklauseln“ im Lichte der völkerrechtlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland - Ausarbeitung - Bearbeiter: © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 - 108/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser: Bearbeiter: Überleitungsvertrag und „Feindstaatenklauseln“ Ausarbeitung WD 2 - 108/06 Abschluss der Arbeit: 21.06.2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Der Überleitungsvertrag im Lichte der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland 1.1. Der Begriff der Souveränität und seine völkerrechtliche Bedeutung Der Begriff Souveränität bedeutet im völkerrechtlichen Sinne, dass Staaten gegenüber anderen Staaten befehlsunabhängig und nur der Völkerrechtsordnung unterworfen sind.1 Souveränität kommt einem Staat bereits als solchem zu und bedarf keiner besonderen Herleitung oder Begründung.2 Als souverän gelten grundsätzlich alle Staaten gleichermaßen und ohne Unterscheidung untereinander. Dieser Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten findet sich in Art. 2 Nr. 1 der Satzung der Vereinten Nationen. Da Beschränkungen der Souveränität eines Staates eine Ausnahme von der Regel darstellen , müssen sie besonders begründet werden. 1.2. Die Beschränkungen der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland bis z um Jahr 1990 Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 8./9. Mai 1945 endete der 2. Weltkrieg. Nach Auffassung der herrschenden Völkerrechtslehre in der Bundesrepublik 3 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts4 hatte diese Kapitulation , die anschließende Besetzung des deutschen Staatsgebiets durch alliierte Truppen und die Übernahme der obersten Regierungsgewalt durch die Alliierten jedoch nicht den Untergang des damaligen deutschen Staates, des Deutschen Reiches, zur Folge . Vielmehr wurde das Deutsche Reich als fortexistierend betrachtet und die 1949 gegründete Bundesrepublik als „teilidentisch“ mit dem Deutschen Reich angesehen.5 Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes sollte nicht ein neuer westdeutscher Staat geschaffen , sondern die deutsche Staatsgewalt in einem Teil Deutschlands neu organisiert werden.6 Aufgrund der besonderen politischen Situation war die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 jedoch nicht vollständig souverän im völkerrechtlichen Sinne . Die Beschränkungen der Souveränität ergaben sich aus verschiedenen den Alliierten zustehenden Rechten. 1 Hailbronner in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschnitt II, Rn 87; Doehring, Völkerrecht, S. 57; Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn 7. 2 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, S. 215. 3 Gornig, ROW 1991, S. 97; Ress, Die Rechtslage Deutschlands nach dem Grundlagenvertrag, S. 199 ff.; Bernhardt, JuS 1986, S. 839 ff. 4 Hierzu besonders das sog. „Grundlagenvertragsurteil“ vom 31. Juli 1973, BVerfGE 36, S. 1, 15 ff., sowie der sog. „Teso-Beschluss“ vom 21.10.1987, BVerfGE 77, S. 137, 156 ff. 5 BVerfGE 36, S. 1, 16. 6 Rauschning, JuS 1991, S. 977. - 4 - 1.2.1. Die wichtigsten Souveränitätsbeschränkungen durch die Alliierten in der Frühphase der Bundesrepublik Die Souveränität der Bundesrepublik wurde in den Jahren 1949 bis 1955 in verschiednen Bereichen durch Vorrechte der Alliierten gegenüber der deutschen Staatsgewalt eingeschränkt. Exemplarisch sollen zwei wichtige Vorrechte der Alliierten aus der Frühphase der Bundesrepublik genannt werden. - Spätestens seit Anfang Juni 1945 hatten die alliierten Truppen das Territorium des deutschen Staates endgültig besetzt. Daraus folgte die Befugnis der Siegermächte , auf diesem Gebiet ihre Streitkräfte zu stationieren („ex factis occupationis ius ad praesentiam oritur“). Die jeweilige Besatzungsmacht übte dabei ihre Befugnisse aus der „occupatio bellica“ in ihrer jeweiligen Besatzungszone aus, so dass sich das Aufenthaltsrecht ihrer Truppen auch nur auf die Besatzungszone erstreckte.7 Die Bundesrepublik Deutschland musste die Anwesenheit ausländischer Streitkräfte auf ihrem Hoheitsgebiet als eine faktische Souveränitätsbeschränkung hinnehmen.8 Erst Mitte der 50er Jahre basierte der Aufenthaltstitel der alliierten Truppen zumindest auch auf einer vertraglichen Grundlage.9 - Mit dem Besatzungsstatut vom 10. April 1949, das am 21. September 1949 in Kraft trat, wurden die Befugnisse der neuen deutschen Regierung und der Alliierten abgegrenzt. Zwar räumten die Alliierten der Bundesrepublik das „größtmögliche Maß an Selbstregierung“ ein, gleichzeitig behielten sie sich aber weit reichende Befugnisse auf den Gebieten der Entmilitarisierung, der Beschränkung der Industrie und Zivilluftfahrt, der Finanzverwaltung, der Außen- und der Innenpolitik vor.10 Hier durften die Besatzungsbehörden Maßnahmen ohne deutsche Zustimmung vornehmen.11 1.2.2. Der „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten“ (sog. „Deutschlandvertrag“) vom 23. Oktober 195412 Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur vollen Souveränität der Bundesrepublik stellten die sog. „Pariser Verträge“ aus dem Jahr 1954 dar, zu denen auch der „Deutschland- 7 Rensmann, Besatzungsrecht, S. 73. 8 Zu den Einzelheiten siehe Rensmann, Besatzungsrecht, S. 69 ff. 9 Bentzien, ROW 1991, S. 386, 389; zu dem damit verbundenen Theorienstreit Rensmann, Besatzungsrecht , S. 75 ff. 10 Bötsch, Nachbefolgung, S. 24; 11 Rensmann, Besatzungsrecht, S. 35. 12 BGBl. 1955 II, S. 306 ff. - 5 - vertrag“ gehörte, der am 5. Mai 1955 in Kraft trat. Mit diesem Vertrag beendeten die drei Westalliierten ihr Besatzungsregime in der Bundesrepublik.13 Außerdem wurden das Beatzungsstatut aufgehoben und die Alliierte Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissare in der Bundesrepublik aufgelöst.14 Folgerichtig wurde durch Art. 1 Abs. 2 des Vertrages festgestellt, dass dadurch die Bundesrepublik „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten“ bekam. Allerdings wurde der Bundesrepublik durch den „Deutschlandvertrag“ nicht die vollständige völkerrechtliche Souveränität eingeräumt.15 So lautete der Art. 2 des Vertrages : „Im Hinblick auf die internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages verhindert hat, behalten die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung.“ Mit dieser Klausel wollten sich die drei Westalliierten ihre Vorbehaltsrechte bezüglich derjenigen Materien bewahren, die ihnen als besonders wichtig erschienen. Zudem konnten die Westmächte über diese Fragen keinerlei die Bundesrepublik begünstigende Regelungen treffen, da diesbezügliche Entscheidungen von allen vier Siegermächten zusammen – also einschließlich der Sowjetunion – getroffen werden mussten.16 1.2.3. Der „Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen“ (sog. „Überleitungsvertrag“) 17 Ein Teil der „Pariser Verträge“ war neben dem „Deutschlandvertrag“ u.a. auch der sog. „Überleitungsvertrag“. Dieser Vertrag wurde ebenfalls zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik Deutschland geschlossen. Mit diesem Vertrag wurden verschiedene Reglungen hinsichtlich der Bestandskraft von Entscheidungen und Maßnahmen der Westalliierten gegenüber der nach Art. 1 Abs. 2 des „Deutschlandvertrags“ als souverän bezeichneten Bundesrepublik Deutschland getroffen. Vorrangig ging es um die Frage, welche Rechtsakte der Alliierten von der deutschen Staatsgewalt als weder reversibel noch justiziabel akzeptiert werden mussten. Der „Überleitungsvertrag“ ist nicht nur aufgrund der Tatsache, dass er als Teil der „Pariser Verträge“ zeitlich mit dem 13 Art. 1 Abs. 1 des Deutschlandvertrages. 14 Art. 1 Abs. 1 des Deutschlandvertrages. 15 Raap, BayVBl. 1992, S. 11. 16 Rensmann, Besatzungsrecht, S. 54. 17 BGBl. 1955 II, S. 405 ff. - 6 - „Deutschlandvertrag“ eine Einheit darstellt, an diesem zu messen. Auch inhaltlich ist der Zusammenhang zwischen „Deutschlandvertrag“ einerseits und „Überleitungsvertrag “ andererseits zu sehen. Die fast vollständige Wiederherstellung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland war ohne die Zustimmung zum „Überleitungsvertrag“ nicht zu erreichen. 1.3. Der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (sog. „2+4-Vertrag“) vom 12. September 199018. Die politischen Umwälzungsprozesse des Jahres 1989 in Osteuropa und insbesondere die Veränderungen in der DDR, die schließlich zur deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 führten, mussten zwangsläufig auch zu einer Neuregelung der Rechte und Pflichten der vier Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs im Hinblick auf das wiedervereinigte Deutschland führen. Die politischen Grundlagen wurden im Sommer des Jahres 1990 im Zuge der sog. „2+4-Verhandlungen“ gelegt19, die schließlich zum sog. „2+4-Vertrag“ vom 12. September 1990 führten. Der Kerngedanke des „2+4-Vertrages“ ist in Art. 7 Abs. 1 festgehalten: „Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden , damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.“ Damit sind bspw. folgende alliierte Maßnahmen außer Kraft getreten:20 - Die Erklärung der Alliierten angesichts der Niederlage Deutschlands vom 5. Juni 1945, - die sog. „Potsdamer Beschlüsse“ vom 2. August 1945, - die Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken in bezug auf den Zugang nach Berlin, 18 BGBl. 1990 II, S. 1317. 19 Fiedler, JZ 1991, S. 685, 687. 20 Blumenwitz, NJW 1990, S. 3041, 3047. - 7 - - die Erklärung der Alliierten Kommandatur der Stadt Berlin vom 5. Mai 1955 über die Stellung West-Berlins nach dem Inkrafttreten der „Pariser Verträge“ (sog. „Kleines Besatzungsstatut“), - das Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971. Die Folge dieses Verzichts ist in Art. 7 Abs. 2 des „2+4-Vertrages“ festgelegt: „Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“ 1.4. Der Notenwechsel vom 27./28. September 1990 Im Zuge des „2+4-Vertrages“ kam es am 27./28. September 199021 zu einem Notenwechsel zwischen Vertretern der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik , der Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs. Dieser Notenwechsel sieht in Art. 2 das Außerkrafttreten des „Überleitungsvertrages“ vor, verbunden jedoch mit der Einschränkung nach Art. 3, dass verschiedene enumerativ aufgezählte Regelungen trotz der Aussage von Art. 7 Abs. 1 Satz 2 des „2+4-Vertrages“ weiterhin in Kraft bleiben.22 Demnach bleiben auch nach 1990 folgende Bestimmungen des Überleitungsvertrages wirksam: - aus dem ersten Teil: Art. 1 Absatz 1 Satz 1 bis „… Rechtsvorschriften aufzuheben oder zu ändern“ sowie die Absätze 3, 4 und 5, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 5 Abs. 1 und 3, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8, - aus dem dritten Teil: Art. 3 Abs. 5 Buchstabe a des Anhangs, Art. 6 Abs. 3 des Anhangs, - aus dem sechsten Teil: Art. 3 Abs. 1 und 3, - aus dem siebten Teil: Art 1 und Art. 2, - aus dem neunten Teil: Art. 1, - aus dem zehnten Teil: Art. 4. Bei den fortgeltenden Bestimmungen handelt es sich im wesentlichen um sog. „versteinertes Besatzungsrecht“, also Besatzungsrecht, welches bereits bei Abschluß des „Überleitungsvertrages “ keinerlei Disposition durch die deutsche Staatsgewalt unterlag.23 Zu- 21 BGBl. 1990 II, S. 1386. 22 Art. 3 des Notenwechsels vom 27./28. September 1990. 23 Blumenwitz, ZfP 1999, S. 195, 200; Rensmann, Besatzungsrecht, S. 185. - 8 - sammenfassend lässt sich das weiter gültige Besatzungsrecht in drei große Bereiche einteilen: - Gültig bleiben alle Rechte und Verpflichtungen, die durch gesetzgeberische, gerichtliche oder Verwaltungsmaßnahmen der Besatzungsbehörden oder aufgrund solcher Maßnahmen begründet oder festgestellt worden sind. - Ferner bleiben alle Maßnahmen, die für „Zwecke der Reparation oder Restitution oder aufgrund des Kriegszustandes“ gegen das „deutsche Auslands- oder sonstige Vermögen durchgeführt worden sind“, einschließlich eines diesbezüglichen Klagestopps, gültig. - Schließlich bleiben „Maßnahmen, welche von den Regierungen oder mit ihrer Ermächtigung in der Zeit zwischen dem 1. September 1939 und dem 5. Juni 1945 wegen des in Europa bestehenden Kriegszustandes getroffen wurden“, einschließlich eines diesbezüglichen Klagestopps, wirksam. Die Tatsache, dass verschiedene Bestimmungen und Maßnahmen der Besatzungsmächte bestandskräftig sind, führt nicht zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik Deutschland heute völkerrechtlich nicht vollständig souverän ist. Der Fortbestand des Besatzungsrechts basiert darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland freiwillig eine entsprechende völkerrechtliche Bindung eingegangen ist. Die Tatsache, dass sich ein Staat gegenüber anderen Staaten Bindungen auferlegt, ist jedoch kein Beweis für eine nur unvollständige Souveränität des Staates, sondern im Gegenteil gerade Ausfluß seiner Souveränität .24 Daher sind die fortgeltenden Bestimmungen des „Überleitungsvertrages“ nicht als Beschränkung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland anzusehen.25 24 Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn 7; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn 638, Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S.23. 25 Blumenwitz in: HStR IX, § 211 Rn 46. - 9 - 1.5. Ist der „2+4 Vertrag“ völkerrechtlich als Friedensvertrag anzusehen? Üblicherweise werden durch einen völkerrechtlichen Friedensvertrag drei verschiedene Bereiche geregelt26: 1. die Beendigung des Kriegszustandes, 2. die Aufnahme friedlicher Beziehungen, insbesondere auch die Wiederaufnahme der durch den Krieg abgebrochenen diplomatischen Beziehungen, und 3. die Regelung der durch den Krieg entstandenen Rechtsfragen. Der Kriegszustand zwischen den Westalliierten und der Bundesrepublik wurde faktisch schon Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre beendet, spätestens jedoch mit den – deklaratorischen – gemeinsamen Erklärungen über das Ende des Kriegszustandes im Juli 1951.27 Die Sowjetunion gab eine gleichlautende Erklärung im Jahr 1955 ab.28 Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit den drei westlichen Siegermächten erfolgte bereits mit Gründung der Bundesrepublik; mit der Sowjetunion wurden 1955 diplomatische Beziehungen aufgenommen. Die ersten beiden Voraussetzungen eines völkerrechtlichen Friedensvertrages werden durch den „2+4-Vertrag“ somit nicht erfüllt. Daher wird in der Völkerrechtswissenschaft eher dazu tendiert, den „2+4-Vertrag“ nicht als Friedensvertrag anzusehen.29 Allerdings enthält nach Art. 12 der Präambel der „2+4-Vertrag“ die „abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“, womit zum Ausdruck kommt, dass es die formelle Urkunde eines Friedensvertrages herkömmlicher Art nicht mehr geben wird, durch den „2+4-Vertrag“ vielmehr die endgültige und abschließende Regelung in bezug auf Deutschland geschaffen werden soll.30 26 Blumenwitz, NJW 1990, S. 2048, 2049. 27 Hierzu Bötsch, Nachbefolgung, S. 25. 28 Bötsch, Nachbefolgung, S. 25. 29 Rensmann, Besatzungsrecht, S. 60; Schweitzer in: HStR VIII § 190 Rn 21. 30 Zippelius, BayVBl. 1992, S. 289, 290; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn 1872a. - 10 - 2. Die so genannten „Feindstaatenklauseln“ der Vereinten Nationen 2.1. Die beiden „Feindstaatenklauseln“ in der deutschen Übersetzung Artikel 53 der Satzung der Vereinten Nationen: „(1) Der Sicherheitsrat nimmt gegebenenfalls diese regionalen Abmachungen oder Einrichtungen zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen unter seiner Autorität in Anspruch. Ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats dürfen Zwangsmaßnahmen auf Grund regionaler Abmachungen oder seitens regionaler Einrichtungen nicht ergriffen werden; ausgenommen sind Maßnahmen gegen einen Feindstaat im Sinne des Absatzes 2, soweit sie in Artikel 107 oder in regionalen, gegen die Wiederaufnahme der Angriffspolitik eines solchen Staates gerichteten Abmachungen vorgesehen sind; die Ausnahme gilt, bis der Organisation auf Ersuchen der beteiligten Regierungen die Aufgabe zugewiesen wird, neue Angriffe eines solchen Staates zu verhüten. (2) Der Ausdruck “Feindstaat“ in Absatz 1 bezeichnet jeden Staat, der während des Zweiten Weltkriegs Feind eines Unterzeichners dieser Charta war.“ Artikel 107 der Satzung: „Maßnahmen, welche die hierfür verantwortlichen Regierungen als Folge des Zweiten Weltkriegs in bezug auf einen Staat ergreifen oder genehmigen, der während dieses Krieges Feind eines Unterzeichnerstaats dieser Charta war, werden durch diese Charta weder außer Kraft gesetzt noch untersagt.“ 2.2. Der Hintergrund der „Feindstaatenklauseln“ Die „Feindstaatenklauseln“ wurden 1945 als Übergangsregelungen in die Satzung aufgenommen .31 Das Hauptmotiv für die beiden Klauseln lag darin, dass die Siegermächte sich durch die Satzung der Vereinten Nationen bei der Aushandlung weder der Kapitulationsbedingungen noch der Friedensbedingungen mit den Staaten, die während des Zweiten Weltkriegs Feind eines Unterzeichnerstaates der Satzung waren, behindern lassen wollten.32 Zudem sollte mit den Klauseln das Sicherheitsbedürfnis der Siegermächte gegenüber den Feindstaaten des Zweiten Weltkrieges befriedigt werden.33 31 Ress in Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 107 Rn 2; für Art. 107 der Satzung folgt dies schon aus der systematischen Überschrift des Kap. XVII: „Übergangsbestimmungen betreffend die Sicherheit“. 32 Ress in Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen: Kommentar, Art. 107 Rn 1. 33 Ress in Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen: Kommentar, Art. 53 Rn 9. - 11 - 2.3. Die heutige Bedeutung der „Feindstaatenklauseln“ Innerhalb der Völkerrechtswissenschaft werden die „Feindstaatenklauseln“ als „obsolet “ angesehen34. Mit diesem Begriff wird zum Ausdruck gebracht, dass keinerlei Anwendungsbedarf mehr für diese Bestimmungen besteht. Dabei ist umstritten, ob die Klauseln dadurch gegenstandslos geworden sind, dass die ehemaligen Feindstaaten mit der Zeit sämtlich den Vereinten Nationen beigetreten sind und dadurch ihren Status als „Feindstaat“ verloren haben35 oder ob der Aussagegehalt der beiden Normen nach dem Beitritt eines ehemaligen „Feindstaates“ zu den Vereinten Nationen von den Grundsätzen der souveränen Gleichheit gem. Art. 2 Nr. 1 und des allgemeinen Gewaltverbots gem. Art. 2 Nr. 4 der Satzung überlagert wird36. Einigkeit besteht im Ergebnis, dass die Klauseln heute keinen Regelungsgehalt mehr aufweisen und aus der Satzung der Vereinten Nationen zu streichen sind. Die Tatsache, dass die beiden Bestimmungen zum momentanen Zeitpunkt noch Bestandteil der geltenden Satzung sind, wird darauf zurückgeführt, dass das Verfahren zur Änderung der Satzung zu aufwendig für eine schnelle Textänderung der Satzung ist.37 Die Satzung der Vereinten Nationen sieht zwei verschiedene Verfahren vor, mit denen die Satzung durch die Mitgliedstaaten geändert werden kann. Beide Bestimmungen stehen im 18. Kapitel der Satzung. Artikel 108 der Satzung lautet: „Änderungen dieser Charta treten für alle Mitglieder der Vereinten Nationen in Kraft, wenn sie mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Generalversammlung angenommen und von zwei Dritteln der Mitglieder der Vereinten Nationen einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats nach Maßgabe ihres Verfassungsrechts ratifiziert worden sind.“ Artikel 109 der Satzung lautet: „(1) Zur Revision dieser Charta kann eine Allgemeine Konferenz der Mitglieder der Vereinten Nationen zusammentreten; Zeitpunkt und Ort werden durch Beschluß einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Generalversammlung und durch Beschluß von neun beliebigen Mitgliedern des Sicherheitsrats bestimmt. Jedes Mitglied der Vereinten Nationen hat auf der Konferenz eine Stimme. (2) Jede Änderung dieser Charta, die von der Konferenz mit Zweidrittelmehrheit empfohlen wird, tritt in Kraft, sobald sie von zwei Dritteln der Mitglieder der 34 Ress in Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen: Kommentzar, Art. 53 Rn 5. 35 Ress in Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen: Kommentar, Art. 53 Rn 29. 36 Nachweise bei Ress in Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 53 Rn 29 Fn 98. 37 Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 94. - 12 - Vereinten Nationen einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats nach Maßgabe ihres Verfassungsrechts ratifiziert worden ist. (3) Ist eine solche Konferenz nicht vor der zehnten Jahrestagung der Generalversammlung nach Inkrafttreten dieser Charta zusammengetreten, so wird der Vorschlag , eine solche Konferenz einzuberufen, auf die Tagesordnung jener Tagung gesetzt; die Konferenz findet statt, wenn dies durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder der Generalversammlung und durch Beschluß von sieben beliebigen Mitgliedern des Sicherheitsrats bestimmt wird.“ Das Verfahren nach Art. 108 der Satzung stellt den schnelleren Weg zu einer Satzungsänderung dar und soll daher die verfahrensrechtliche Grundlage für kleinere Anpassungen bieten.38 Auf Grundlage dieser Norm kamen bisher drei Satzungsänderungen zustande .39 Die erste Änderung, die 1965 in Kraft trat, hatte die Vergrößerung des Sicherheits - und des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) zum Gegenstand. Mit der 1968 in Kraft getretenen zweiten Änderung der Satzung wurde ein Versehen im Rahmen der ersten Satzungsänderung korrigiert. Die dritte Änderung bewirkte eine Vergrößerung des ECOSOC im Jahr 1973 auf 54 Sitze. Mit Art. 109 der Satzung wird ein Verfahren zur Revision, d.h. zur Gesamtüberprüfung, der Satzung vorgegeben. Von entscheidender Bedeutung ist bei dieser Regelung die Einberufung einer Revisionskonferenz, die durch eine Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung und neun Stimmen im Sicherheitsrat konstituiert wird und mit Empfehlungen zur Satzungsänderung schließt. Bisher kam es noch zu keiner Revision auf Grundlage des Art. 109 der Satzung.40 Im Zuge der gegenwärtigen Reformbemühungen innerhalb der Vereinten Nationen werden die beiden „Feindstaatenklauseln“ in allen wichtigen Reformdokumenten als veraltet bezeichnet und zur ersatzlosen Streichung empfohlen. Namentlich der Bericht des vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, zur Erarbeitung von Reformvorschlägen eingesetzten „High Level Panel on Threats, Challenges and Change“ hat in seinem der Öffentlichkeit im Dezember 2004 vorgestellten Bericht die Streichung vorgeschlagen.41 In diesem Sinne hat der Generalsekretär in seiner Stellungnahme vom 21. März 2005 zum Bericht des High Level Panel empfohlen:42 38 Seidel, RuP 2006, S. 87, 89. 39 Seidel, aaO. 40 Seidel, RuP 2006, S. 87, 89. 41 Report of the High Level Panel, S. 92, Rn 298. 42 UN-Doc. 59/2005, S. 52 Rn 217. - 13 - “Nonetheless, the United Nations now operates in a radically different world from that of 1945, and the Charter should reflect the realities of today. In particular , it is high time to eliminate the anachronistic “enemy” clauses in Articles 53 and 107 of the Charter.” Schließlich hat die 60. Generalversammlung der Vereinten Nationen auf ihrer dreitägigen Regierungskonferenz vom 14. bis 16. September 2005 in ihrem Abschlussdokument die Streichung der „Feindstaatenklauseln“ gefordert.43 Aufgrund dieser Stellungnahmen verschiedener Organe ist daher anzunehmen, dass die „Feindstaatenklausel“ bei der nächsten Satzungsänderung ersatzlos gestrichen werden. 43 UN-Doc. A/60/L.1, Rn 177. - 14 - Literatur - Bentzien, Joachim: Die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte, ROW 1991, S. 386 - 393 - Bernhardt, Rudolf: Die Rechtslage Deutschlands, JuS 1986, S. 839 - 846 - Blumenwitz, Dieter: Deutsche Souveränität im Wandel, ZfP 1999, S. 195 – 215 - Blumenwitz, Dieter: Der Vertrag vom 12. 9.1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, NJW 1990, S. 3041 - 3048 - Blumenwitz, Dieter: Rechtseinheit im Übergang, Handbuch des Staatsrechts (HStR) Band IX, Die Einheit Deutschlands – Festigung und Übergang, Heidelberg 1997 - Bötsch, Christine: Die Nachbefolgung des westalliierten Besatzungsrechts im Lichte des Staats- und Völkerrechts, Frankfurt/Main 2000, zugl., Würzburg, Univ., Diss., 1999 - Dahm, Georg/Delbrück, Jost/Wolfrum, Rüdiger: Völkerrecht, Band I/1, Berlin New York 1988 - Doehring, Karl: Völkerrecht, 2. Auflage, Heidelberg 2004 - Fiedler, Wilfried: Die Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands und die Einigung Europas, JZ 1991, S. 685 – 692 - Gareis, Sven/Varwick, Johannes: Die Vereinten Nationen, Opladen 2003 - Geiger, Rudolf: Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Auflage, München 2004 - Gornig, Gilbert: Der Zwei-plus-vier-Vertrag unter besonderer Berücksichtigung grenzbezogener Regelungen, ROW 1991, S. 97 – 106 - Ipsen, Knut: Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004 - Raap, Christian: Ist das vereinte Deutschland souverän?, BayVBl. 1992, S. 11 - 12 - Rauschning, Dietrich: Die Wiedervereinigung vor dem Hintergrund der Rechtslage Deutschlands, JuS 1991, S. 977 – 985 - 15 - - Rensmann, Michael: Besatzungsrecht im wiedervereinigten Deutschland, Baden -Baden 2002, zugl., Hannover, Univ., Diss., 2001 - Ress, Georg: Die Rechtslage Deutschlands nach dem Grundlagenvertrag, Berlin New York 1978 - Schweitzer, Michael: Die Verträge Deutschlands mit den Siegermächten, Handbuch des Staatsrechts (HStR) Band VIII, Die Einheit Deutschlands – Entwicklungen und Grundlagen, Heidelberg 1995 - Seidel, Gerd: Reform der UNO, RuP 2006, S. 87 - 97 - Seidl-Hohenveldern, Ignaz/Stein, Torsten: Völkerrecht, 10. Auflage, Köln 2000 - Simma, Bruno (Hrsg.): Charta der Vereinten Nationen: Kommentar, München 1991 - Vitzthum, Wolfgang Graf (Hrsg.): Völkerrecht, 2. Auflage, Berlin New York 2001 - Zippelius, Reinhold: Deutsche Einheit und Grundgesetz; BayVBl. 1992, S. 289 - 295