© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 107/17 Zur möglichen Aufstellung eines NATO-Logistikkommandos auf dem Gebiet der ehemaligen DDR im Lichte des „Zwei-plus-Vier-Vertrags“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Zur neuen NATO-Kommandostruktur Im Zuge der aktuellen bündnisinternen Diskussion über die neue Kommandostruktur der Allianz 1 geht es u.a. um die Errichtung eines neuen NATO-Logistikkommandos, das sich auf die schnellere Verlegung von Menschen und Material konzentrieren soll. Neben einigen osteuropäischen NATO-Mitgliedstaaten ist aufgrund seiner zentralen Lage auch Deutschland als möglicher Standort für dieses Logistikkommando im Gespräch. Entscheidungen zur Standortfrage sollen allerdings erst im Februar 2018 beim kommenden Treffen der NATO- Verteidigungsminister getroffen werden. Vor dem Hintergrund der offenen Standortfrage untersucht der vorliegende Sachstand, ob die Stationierung einer NATO-Kommandozentrale (engl. „headquarters“, zum Teil wird auch allgemein von „command“ gesprochen) auf dem Gebiet der ehemaligen DDR den Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland 2 (sog. Zwei-plus-Vier-Vertrag) vom 12. September 1990 verletzen würde. 2. Zwei-Plus-Vier-Vertrag Der völkerrechtlich immer noch verbindliche Zwei-plus-Vier-Vertrag sieht in Art. 5 Abs. 3 vor: „Nach dem Abschluss des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins können in diesem Teil Deutschlands auch deutsche Streitkräfteverbände stationiert werden, die in gleicher Weise militärischen Bündnisstrukturen zugeordnet sind wie diejenigen auf dem übrigen deutschen Hoheitsgebiet , allerdings ohne Kernwaffenträger. Darunter fallen nicht konventionelle Waffensysteme , die neben konventioneller andere Einsatzfähigkeiten haben können, die jedoch in diesem Teil Deutschlands für eine konventionelle Rolle ausgerüstet und nur dafür vorgesehen sind. Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“ 1 „Bedrohung durch Russland – Nato bekommt neue Kommandostruktur“, Spiegel Online vom 8. November 2017, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/nato-minister-stimmen-fuer-neuekommandozentren -a-1177108.html (letzter Zugriff: 27. November 2017). 2 BGBl. 1990 II S. 1317. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 107/17 Seite 5 Zur Auslegung des Vertragstextes ist überdies eine Vereinbarte Protokollnotiz zum Zwei-plus- Vier-Vertrag heranzuziehen,3 in der es heißt: „Alle Fragen in Bezug auf die Anwendung des Wortes "verlegt", wie es im letzten Satz von Artikel 5 Abs. 3 gebraucht wird, werden von der Regierung des vereinten Deutschland in einer vernünftigen und verantwortungsbewussten Weise entschieden, wobei sie die Sicherheitsinteressen jeder Vertragspartei, wie dies in der Präambel niedergelegt ist, berücksichtigen wird.“ Zu klären ist, ob die Errichtung einer NATO-Kommandozentrale auf ostdeutschem Territorium den Tatbestand der „Stationierung bzw. des Verlegens ausländischer Streitkräfte“ im Sinne des Zwei-plus-Vier-Vertrags erfüllt (der englische Vertragstext spricht von „stationing of foreign armed forces“) und damit vertragswidrig wäre. 3. Zum Begriff der Streitkräfte im Zwei-plus-Vier-Vertrag 3.1. Definitionsansätze Der Begriff der „Streitkräfte“ ist im Zwei-plus-Vier-Vertrag selbst nicht definiert. Anhaltspunkte ergeben sich aber aus dem Völker- bzw. Verfassungsrecht. Für den Bereich des humanitären Völkerrechts definiert etwa Art. 43 Abs. 1 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen den Begriff der Streitkräfte wie folgt: „Die Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei bestehen aus der Gesamtheit der organisierten bewaffneten Verbände, Gruppen und Einheiten, die einer Führung unterstehen (…)“. Das Grundgesetz erwähnt die „Streitkräfte“ u.a. in Art. 87a Abs. 2 GG. Gemäß der Kommentarliteratur umfasst der Begriff „alle als Kombattanten uniformierten Verbände, welche militärisch gegliedert, geführt und bewaffnet unter die Befehls- und Kommandogewalt des Verteidigungsministers gehören“.4 In Abgrenzung zu den zivilen Teilen des Verteidigungsressorts (Bundeswehrverwaltung , Truppendienstgerichte, Militärseelsorge, etc.) umfassen die Streitkräfte – also die sog. „Truppe“ – daher nur eine Teilmenge der Bundeswehr. 3 Gem. Art. 31 Abs. 2 lit. b) WVRK ist zur Auslegung des Vertrags heranzuziehen „jede Urkunde, die von den Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses abgefasst und als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde angenommen wurde.“ 4 Hernekamp, in: v.Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, München, 5. Aufl. 2003, Art. 87a, Rdnr. 6; ähnlich Epping, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München, 2. Aufl. 2013, Art. 87a, Rdnr. 1; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München, 7. Aufl. 2014, Art. 87a, Rdnr. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 107/17 Seite 6 3.2. Auslegung des Vertragstextes Fraglich bleibt, wie die Vertragsparteien den Begriff der „Streitkräfte“ verstanden haben (= historische Auslegung des Vertragstextes) bzw. welchen politischen Zweck sie mit der Regelung verbanden (= teleologische Auslegung, von altgriech.: telos). Art. 5 Abs. 3 des Zwei-plus-Vier-Vertrags trägt den sowjetischen Sicherheitsbedenken gegenüber einer potentiell nach Osten „expandierenden“ NATO Rechnung. Dieser Artikel federt nämlich die politische Grundentscheidung für den Verbleib des wiedervereinten Deutschlands in den Bündnisstrukturen der NATO stationierungsrechtlich ab und kommt damit den Sicherheitsinteressen der ehemaligen Sowjetunion entgegen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der noch bis 1994 in Ostdeutschland stationierten Truppen der Roten Armee. Der so verstandene Sinn und Zweck der Vertragsregelung in Art. 5 Abs. 3 hat sich spätestens mit der NATO-Erweiterung um zahlreiche Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts (baltische Staaten, Polen, Tschechien, Rumänien, Bulgarien, etc.) politisch „überholt“ – gleichwohl bleibt die Vertragsregelung rechtlich weiterhin verbindlich.5 Der historische Hintergrund sowie der Sinn und Zweck der Vertragsregelung in Art. 5 des Zweiplus -Vier-Vertrags lassen sich jedoch insoweit fruchtbar machen, als sie im Ergebnis eine interpretatorische Engführung des Begriffs der „Streitkräfte“ auf die (genuin) kämpfenden Truppenkontingente (Panzerdivisionen u.ä.) zu stützen vermögen. Bereits die Aufzählung „der Stationierung ausländischer Streitkräfte“ in einem Atemzug mit der „Stationierung von Atomwaffen“ (Art. 5 Abs. 3 Zwei-plus-Vier-Vertrag) spricht dafür, dass die Vertragsstaaten mit der Regelung über die „Stationierung und Verlegung von Streitkräften“ bewaffnete Truppenkontingente vor Augen gehabt haben, die mit Blick auf den sowjetischen Vertragspartner sicherheitspolitisch relevant erschienen. Dies erklärt auch die Vereinbarte Protokollnotiz, wonach die Entscheidung des wiedervereinigten Deutschlands über eine Stationierung von Streitkräften die Sicherheitsinteressen der Vertragsparteien (insb. der ehemaligen Sowjetunion) berücksichtigen sollte. 5 Gem. Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) kann selbst „eine grundlegende Änderung der beim Vertragsabschluss gegebenen Umstände“ grundsätzlich nicht als Grund für die Beendigung des Vertrages oder den Rücktritt von ihm geltend gemacht werden. Abgesehen davon geht der Zweit-plus-Vier-Vertrag in seinen Regelungswirkungen weit über die Stationierungsfrage in Art. 5 Abs. 3 hinaus. Der völkerrechtliche „Mehrwert“ von Art. 5 des Zwei-plus-Vier-Vertrags liegt dabei vor allem in seiner nuklearpolitischen Bedeutung: Er macht das Gebiet der ehemaligen DDR völkerrechtlich zu einer atomwaffenfreien Zone. Die (theoretische) Möglichkeit, dass eine Vertragsregelung durch konsequente „Nichtanwendung“ – und getragen von der Überzeugung, dass sie rechtlich nicht mehr verbindlich ist – ihre rechtliche Geltung verlieren kann [sog. „desuetudo“, vgl. dazu Ipsen, Völkerrecht, München, 6. Aufl. 2014, § 16, Rdnr. 112; ein Beispiel für eine solche Entwicklung hin zu einer nicht mehr anwendbaren Norm ist die sog. „Feindstaatenklausel“ in Art. 107 der VN-Charta], braucht daher an dieser Stelle nicht näher erörtert zu werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 107/17 Seite 7 Reduziert man den Begriff der „Streitkräfte“ in Art. 5 Zwei-plus-Vier-Vertrag interpretatorisch auf „bewaffnete Truppenkontingente von sicherheitspolitisch relevanter Dimension“, so wird man ein Logistik-Hauptquartier im Ergebnis kaum dazu zählen können: Ein Logistik-Hauptquartier (engl. „logistics command“) besteht nämlich nicht aus bewaffneten militärischen Verbänden, sondern ausschließlich aus militärischem und zivilem Stabspersonal, das sich aus zahlreichen NATO-Mitgliedstaaten rekrutiert. Das militärische Stabspersonal, vorrangig uniformierte Experten aus der sog. „Logistiktruppe“, plant und überwacht die Verlegung und Rückverlegung von Personal und Material sowie die Folgeversorgung und Lieferungen in das und aus dem Einsatzgebiet. Dabei wird es von zivilen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – d.h. Ingenieuren, KFZ-Meistern, Technikern, IT-Spezialisten, Verwaltungsfachleuten, Fachkräften für Lagerlogistik, etc. – unterstützt. Das bewaffnete Personal eines Logistikkommandos reduziert sich allein auf den Wach- und Sicherungsdienst. Für die Einsatz- und Durchhaltefähigkeit der NATO- Truppen ist ein Logistikkommando zweifelsohne relevant. Doch erscheint der geographische Standort eines solchen Kommandos aus sicherheitspolitischer Sicht eher unerheblich. Die Unterscheidung zwischen der Errichtung einer Kommandozentrale und der Stationierung von Truppenverbänden spiegelt sich im NATO-Stationierungsrecht wieder: 6 Dieses differenziert nämlich rechtlich zwischen dem NATO-Truppenstatut (welches die Rechtsstellung der ausländischen Truppenteile im Aufenthaltsstaat regelt) und den auf Grund des NATO-Vertrages errichteten internationalen militärischen Hauptquartieren.7 Macht man die stationierungsrechtliche Unterscheidung zwischen Hauptquartier und Truppe für die Interpretation des Zwei-plus-Vier-Vertrages fruchtbar, so stützt sie die bereits erwähnte interpretatorische Engführung des Streitkräftebegriffs in diesem Vertrag. Im Ergebnis verstößt damit die Errichtung eine Logistik-Kommandozentrale der NATO auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht gegen Art. 5 Abs. 3 des Zwei-plus-Vier-Vertrags. *** 6 Vgl. näher Fleck, Dieter, Zur Neuordnung des Aufenthaltsrechts für ausländische Streitkräfte in Deutschland, in: ZaöRV 1996, S. 389–405 (403). 7 Vgl. BGBl. II 1969, S. 1997. Gesetz vom 17. Oktober 1969 zum Protokoll vom 28. August 1952 über die Rechtsstellung der auf Grund des Nordatlantikvertrags errichteten internationalen militärischen Hauptquartiere (NATO-Hauptquartier-Protokoll).