Völkerrechtliche Zurechenbarkeit von Menschenrechtsverletzungen beim Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen von Friedenstruppen - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 106/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser: Völkerrechtliche Zurechenbarkeit von Menschenrechtsverletzungen beim Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen von Friendenstruppen Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 106/08 Abschluss der Arbeit: 15.09.2008 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhalt Zusammnenfassung 3 1. Einleitung 5 2. EMRK 6 2.1. Die Leitentscheidung: Behrami und Saramati 6 2.1.1. Die Sachverhalte 6 2.1.2. Die Entscheidungsgründe 7 2.1.2.1. Mandate von UNMIK und KFOR 8 2.1.2.2. Die Zurechnung von UNMIK- und KFOR-Handlungen an den VN- Sicherheitsrat 8 2.1.2.2.1. Ausübung delegierter Befugnisse des VN-Sicherheitsrates? 8 2.1.2.2.2. Zurechnung der Verhaftung und des unterlassenen Minenräumens in tatsächlicher Hinsicht 9 2.1.2.3. Ausnahmsweiser Rückgriff auf die Staaten? 10 2.2. Weitere Entscheidungen des EGMR 12 2.2.1. Kasumaj v. Greece und Gajic v. Germany 12 2.2.2. Berić et al. v. Bosnia and Herzegovina 14 2.3. Fazit 16 2.4. IPBPR 17 2.5. Artikelentwürfe der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zur Verantwortlichkeit internationaler Organisationen 19 - 3 - Zusammenfassung Der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) hat sich in seiner Entscheidung in Behrami und Saramati ausführlich mit der Frage der Zurechnung menschenrechtsrelevanten Verhaltens bei einem durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten Friedenseinsatz auseinandergesetzt. Sofern eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat vorliegt, prüft der EGMR, ob das fragliche Verhalten den Vereinten Nationen zugerechnet werden kann. Voraussetzung hierfür scheint zu sein, dass der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der VN-Charta eigene Befugnisse an die Mitgliedstaaten delegiert hat, aber die „ultimate authority and control“ oder „effective overall control“ über den Einsatz behalten hat. Entscheidend für die Annahme, dass eine solche Kontrolle des Sicherheitsrates vorliegt, dürfte insbesondere sein, dass durch die entsprechende Resolution die Befugnisse ausdrücklich delegiert werden, dass die Delegierung hinreichend begrenzt ist und dass gegenüber dem Sicherheitsrat eine Berichtspflicht besteht, die es ihm ermöglicht, seine Kontrolle auszuüben. Kann eine effektive Kontrolle durch den Sicherheitsrat bejaht werden, hat dies zur Folge, dass ein fragliches Verhalten grundsätzlich den Vereinten Nationen zugerechnet wird. Dies hat zur Konsequenz, dass das Verhalten durch den EGMR mangels Zuständigkeit nicht mehr am Maßstab der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) überprüft wird. Zu der Frage, nach welchen Maßstäben über die Zurechnung eines menschenrechtsrelevanten Verhaltens im Zusammenhang mit einem multinationalen Militäreinsatz zu entscheiden wäre, bei dem eine Beteiligung der Vereinten Nationen nicht herleitbar ist, hat sich der EGMR – soweit ersichtlich – bisher nicht geäußert. Der Ausschuss für Menschenrechte als Vertragsorgan des IPBPR (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte) geht abweichend vom EGMR wohl nicht von einer ausschließlichen Zurechnung des Verhaltens von Friedenssoldaten an die Vereinten Nationen aus. So beschränkt sich der Ausschuss in seinem General Comment 31 nicht auf die Ausführung, dass die Vertragsstaaten die im Pakt niedergelegten Rechte aller Personen in ihrer Gewalt oder unter ihrer effektiven Kontrolle achten und gewährleisten müssten, auch wenn sie sich nicht auf dem Staatsgebiet der jeweiligen Vertragspartei befänden. Er stellt zudem klar, dass dieses Prinzip auch auf diejenigen Personen Anwendung finde, die sich in der Gewalt oder unter der effektiven Kontrolle der Streitkräfte einer Vertragspartei befinden, die außerhalb des Staatsgebietes der Vertragspartei agieren, wie etwa Streitkräfte, die nationale Kontingente bei internationalen Friedenseinsätzen bilden, und zwar unabhängig von den Umständen, unter denen solche Gewalt oder effektive Kontrolle erlangt wurde. Gem. Art. 5 der Artikelentwürfe ist das Verhalten eines Organs eines Staates oder eines Organs oder Vertreters einer internationalen Organisation, das oder der einer anderen - 4 - internationalen Organisation zur Verfügung gestellt wird, nach dem Völkerrecht als eine Handlung der letzteren internationalen Organisation anzusehen, wenn diese Organisation über dieses Verhalten effektive Kontrolle ausübt. - 5 - 1. Einleitung Deutsche Soldaten werden seit Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts in zunehmendem Maße als Friedens- und Stabilisierungstruppen im Ausland eingesetzt. Als Beispiele dieser Entwicklung lassen sich die Implementation Force (IFOR) und deren Nachfolger Stabilization Force (SFOR) in Bosnien-Herzegowina, die Kosovo Force (KFOR), die International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan sowie die United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) nennen. An der Durchführung einer Friedensmission sind in der Regel zahlreiche Völkerrechtssubjekte beteiligt. In der Praxis sind zunächst die VN stets in Friedensmissionen eingebunden , da es nach überwiegender Auffassung ausschließliche Zuständigkeit des VN- Sicherheitsrates ist, über den Einsatz bewaffneter Friedentruppen zu entscheiden.1 Ferner erfüllen die in Friedensmissionen entsandten deutschen Truppen das ihnen übertragene Mandat meist nicht allein, sondern im Zusammenwirken mit Truppen anderer Staaten oder mit weiteren internationalen Organisation wie der NATO. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass eine Friedensmission meist auf dem Gebiet eines bestimmten Staates operiert, der seinerseits ebenfalls völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit hat. Die Vielzahl beteiligter Völkerrechtssubjekte an Friedensmission wirft die Frage nach der völkerrechtlichen Letztverantwortlichkeit für Rechtsverstöße durch Friedenstruppen auf. In juristischen Kategorien formuliert, muss in völkerrechtlicher Hinsicht jede Handlung deutscher Soldaten in einer Friedensmission einem Zurechnungsendsubjekt , welches Völkerrechtspersönlichkeit haben muss, zugerechnet werden können . Die Frage nach dem Zurechnungsendsubjekt kann aus vielerlei Gründen rechtliche Bedeutung erlangen. In der Praxis ist sie in den letzten Jahren unter dem Gesichtspunkt der Haftung für mögliche Menschenrechtsverstöße durch Friedenstruppen diskutiert worden . Die Frage der Zurechnung ist zudem gerade bei menschenrechtlichen Verträgen von besonderer Bedeutung, weil nur Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, Vertragspartei der jeweiligen Verträge sind, die internationalen Organisationen NATO und Vereinte Nationen sind dagegen keine Vertragsparteien dieser Abkommen. Für ein Verhalten deutscher Soldaten, welches den Bestimmungen eines Menschenrechtsvertrages entgegenläuft und welches der NATO oder den Vereinten Nationen zuzurechnen wäre, ergäbe sich die Konsequenz, dass ein solches Verhalten grundsätzlich nicht von den Vertragsorganen der Menschenrechtsabkommen überprüft werden könnte. Umgekehrt würde eine Zurechnung zu NATO oder VN Verfahren vor nationalen Gerichten 1 Vgl. zu der Diskussion über die Zuständigkeiten des VN-Sicherheitsrates Bothe, in: Simma, The Charter of the United Nations, A Commentary, Vol. I, 2. Aufl., Oxford 2002, „Peace-keeping“, Rn. 84 ff. - 6 - meist ebenfalls unmöglich machen, da internationale Organisationen regelmäßig Immunität vor staatlichen Gerichten genießen. Die Entwicklung der Praxis im Bereich der Menschenrechte wird im Folgenden anhand der beiden für militärisches Handeln in Friedensmissionen wichtigsten Verträge, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) aufgezeigt. Abgeschlossen wird die Ausarbeitung mit einem Blick auf die Artikelentwürfe der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zur Verantwortlichkeit internationaler Organisationen. 2. EMRK Im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dürfte die Frage, ob ein menschenrechtsrelevantes Verhalten im Rahmen dieser Einsätze einem Mitgliedstaat der Konvention oder einer internationalen Organisation wie den Vereinten Nationen oder der NATO zuzurechnen ist, anhand der jüngst ergangenen Entscheidung des EGMR in den Rechtssachen Behrami und Saramati2 zu beurteilen sein.3 2.1. Die Leitentscheidung: Behrami und Saramati Der Gerichtshof war in Behrami und Saramati mit zwei verschiedenen Sachverhalten im Zusammenhang mit der Präsenz der United Nations Mission in Kosovo (UNMIK) und der Kosovo Force (KFOR) im Kosovo befasst. Er hatte damit – soweit ersichtlich – erstmals die Gelegenheit, sich mit Fragen der Zurechnung des Verhaltens von Streitkräften der EMRK-Mitgliedstaaten im Rahmen eines multinationalen Militäreinsatzes auseinanderzusetzen. Im Ergebnis wies der Gerichtshof beide Beschwerden als unzulässig zurück, da er das fragliche Verhalten jeweils den Vereinten Nationen und nicht den beklagten Mitgliedstaaten zurechnete. 2.1.1. Die Sachverhalte In der ersten zu entscheidenden Rechtssache, dem Fall Behrami, waren die Beschwerdeführer der Vater eines Jungen, der im Jahr 2000 in der Gegend um Mitrovica/Kosovo beim Spielen mit einer nicht explodierten Streubombe tödlich verunglückt war, sowie dessen Bruder, der bei dem gleichen Vorfall schwer verletzt wurde.4 Die Beschwerde richtete sich gegen Frankreich, dem die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) mit der Begründung vorwarfen, dass die in dem Gebiet anwesenden französischen KFOR-Truppen es unterlassen hätten, die nicht explodierten 2 EGMR, Entsch. v. 2. Mai 2007, Behrami and Behrami v. France and Saramati v. France, Germany and Norway (Nr. 71412/01 und 78166/01), im Folgenden zitiert als Behrami/Saramati, (abrufbar unter http://www.echr.coe.int/echr/). 3 Soweit ersichtlich ist die Entscheidung bisher nicht im deutsch- und englischsprachigen völkerrechtlichem Schrifttum kommentiert worden. 4 Vgl. Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 5 ff. - 7 - Streubomben zu markieren und/oder zu entschärfen.5 Die Beschwerdeführer machten eine Verletzung des Rechts auf Leben aus Art. 2 EMRK geltend. Der Fall Saramti betraf eine Inhaftierung durch KFOR-Einheiten. Der Beschwerdeführer Saramati war in den Jahren 2000/2001 auf Anordnung des KFOR-Kommandeurs (COMKFOR) für mehrere Monate inhaftiert worden. Zur Rechtfertigung verwies die KFOR auf die Resolution 1244 (1999) des VN-Sicherheitsrates, welche die völkerrechtliche Grundlage für die Präsenz der UNMIK und der KFOR im Kosovo darstellt.6 Diese – so die KFOR – habe die KFOR zu der Inhaftierung ermächtigt, denn sie sei notwendig gewesen, um ein sicheres Umfeld aufrechtzuerhalten und KFOR-Truppen zu beschützen . Das Amt des KFOR-Kommandeurs wurde im betroffenen Zeitraum zunächst von einem norwegischen und später von einem französischen General ausgeübt.7 Die Beschwerde richtete sich daher gegen Norwegen und Frankreich.8 Der Beschwerdeführer machte die Verletzung seiner Rechte aus Art. 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), Art. 6 Abs. 1 (Recht auf ein faires Verfahren) und Art. 13 (Recht auf wirksame Beschwerde) geltend.9 2.1.2. Die Entscheidungsgründe In Zentrum der Entscheidung dieser beiden Fälle stand die Frage, ob die beklagten Staaten passivlegitimiert seien. Die Passivlegitimation fehlt etwa dann, wenn die Beschwerde gegen einen Staat oder ein anderes Rechtssubjekt (z.B. eine internationale Organisation ) gerichtet ist, der bzw. das nicht Vertragspartei der EMRK ist,10 oder wenn die gerügte Handlung oder Unterlassung dem beklagten Staat nicht zurechenbar ist (sog. Unvereinbarkeit ratione personae).11 Um festzustellen, ob die Beschwerde in Behrami und Saramati mit der Konvention vereinbar ist, ging der Gerichtshof in drei Schritten vor: Die Untersuchung der Mandate von UNMIK und KFOR, die Frage der Zurechnung dieser Mandate zu den Vereinten Nationen und schließlich die Prüfung, ob ausnahmsweise die beklagten Staaten eine menschenrechtliche Verantwortung treffen könnte, auch wenn das Handeln ihrer Soldaten den VN zuzurechnen ist. 5 Vgl. Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 61. 6 Sicherheitsratsresolution 1244 (1999) vom 10. Juni 1999. 7 Vgl. Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 8 ff. 8 Die Beschwerde richtete sich ursprünglich außerdem gegen die Bundesrepublik Deutschland, da der Beschwerdeführer der Auffassung war, es sei auch ein deutscher KFOR-Offizier involviert gewesen. Nachdem er diesen Nachweis aber nicht führen konnte, nahm er die Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland zurück, vgl. Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 64 f 9 Vgl. Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 62. 10 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. München 2008, § 13, Rn. 42. 11 Grabenwarter, (Fn. 10) § 13, Rn. 42. - 8 - 2.1.2.1. Mandate von UNMIK und KFOR Im ersten Schritt untersuchte der EGMR, welche Entität – UNMIK oder KFOR – das Mandat zur Inhaftierung von Personen (Saramati) bzw. zur Räumung von Minen (Behrami ) besaß. Der Gerichtshof kam dabei zu dem Schluss, dass das KFOR-Mandat den Erlass von Haftbefehlen umfasste.12 Hinsichtlich des Mandats zur Räumung von Minen befand er hingegen, dass diese Tätigkeit primär in den Verantwortungsbereich der UNMIK fiele und die KFOR insoweit nur eine unterstützende Funktion ausübe.13 2.1.2.2. Die Zurechnung von UNMIK- und KFOR-Handlungen an den VN- Sicherheitsrat In einem zweiten Schritt prüfte der Gerichtshof in zwei Stufen, ob die Verhaftung Saramatis durch die KFOR einerseits und das Unterlassen der Minenräumung durch die UNMIK andererseits den Vereinten Nationen zugerechnet werden könne. Dabei stellte des EGMR auf zwei Gesichtspunkte ab: Zum einen untersuchte er, ob es sich bei den streitgegenständlichen Mandaten von KFOR und UNMIK um Aufgaben gehandelt hat, welche der VN-Sicherheitsrat nach Kapitel VII der VN-Charta auf diese beiden Institutionen übertragen hat. Zum anderen ging der EGMR dann der Frage nach, ob die streitgegenständliche Handlung (Verhaftung Saramtis) und Unterlassung (Minenräumung) tatsächlich auch als Handlungen von KFOR und UNMIK anzusehen waren. 2.1.2.2.1. Ausübung delegierter Befugnisse des VN-Sicherheitsrates? Den Rahmen des Kapitels VII VN-Charta sah der EGMR als gegeben an, da die relevante Sicherheitsratsresolution 1244 (1999) sich ausdrücklich hierauf berufen habe. Weiter führte er aus, dass die Resolution die Mitgliedstaaten sowie maßgebliche internationale Organisationen autorisiert habe, die internationale Sicherheitspräsenz im Kosovo einzurichten, und dass die internationale Sicherheitspräsenz unter einem einheitlichem Kommando und einer einheitlichen Kontrolle eingesetzt werden sollte. Der Sicherheitsrat habe insofern die Befugnis, eine internationale Sicherheitspräsenz zu errichten , sowie die Durchführung dieser militärischen Operation an die Mitgliedstaaten sowie hierzu bereite Organisationen delegiert. Die Kontingente, aus denen sich die Sicherheitspräsenz zusammensetzt, operierten daher auf der Grundlage einer Befehlsgewalt , die von den Vereinten Nationen delegiert worden sei, und nicht von der Organisation selbst ausgeübt werde.14 12 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 124. 13 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 125 ff. 14 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 129. Im Original heißt es “[…], that Resolution authorised “Member States and relevant international organisations” to establish the international security presence in Kosovo as set out in point 4 of Annex 2 […]. Point 4 of Annex 2 added that the security presence would have “substantial [NATO] participation” and had to be deployed under “unified command and control”. The UNSC was thereby delegating to willing organisations and members states […] - 9 - 2.1.2.2.2. Zurechnung der Verhaftung und des unterlassenen Minenräumens in tatsächlicher Hinsicht Sodann widmete sich der Gerichtshof ausführlich der Frage, ob die Inhaftierung Saramatis auf Befehl des KFOR-Kommandeurs den Vereinten Nationen oder der KFOR zuzurechnen ist. Wesentliche Voraussetzung für eine Zurechnung an die Vereinten Nationen sei – so der EGMR –, dass die Befugnisse („powers“), die der Sicherheitsrat an die KFOR delegiert habe, hinreichend begrenzt seien.15 Die Schlüsselfrage laute daher, ob der Sicherheitsrat die letzte Weisungsbefugnis und Kontrolle („ultimate authority and control“) behalten habe, so dass lediglich die Durchführung der Operation delegiert worden sei.16 Der Gerichtshof bejahte die Delegierung von Sicherheitsbefugnissen durch Resolution 1244 (1999) und nannte dafür folgende fünf Gründe: 1. Kapitel VII erlaube es dem Sicherheitsrat, Befugnisse an die Mitgliedstaaten und relevante Internationale Organisationen zu delegieren. 2. Die relevante Befugnis sei eine delegierbare Befugnis. 3. Die Delegierung dieser Befugnis sei ausdrücklich in der Resolution selbst vorgesehen . 4. Die Resolution lege das Mandat mit angemessener Genauigkeit fest, indem sie die zu erreichenden Ziele, die zugewiesenen Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die einzusetzenden Mittel darlege. Die Resolution habe der Delegierung von Befugnissen damit hinreichend festgelegte Grenzen gesetzt. 5. Die Führung der Militärpräsenz sei nach der Resolution verpflichtet, dem Sicherheitsrat Bericht zu erstatten, damit der Sicherheitsrat seine letzte Weisungsbefugnis und Kontrolle („overall authority and control“) ausüben könne.17 Diese Kriterien sah der EGMR im Falle von KFOR als erfüllt an: Der Sicherheitsrat habe die letzte Weisungsbefugnis und Kontrolle („ultimate authority and control”) über die Sicherheitsmission behalten und zum einen an die NATO die Befugnis delegiert, die KFOR einzurichten, sowie zum anderen der NATO die Durchführung der KFOR unter ihrem Kommando übertragen. Der EGMR unterscheidet hier also zwischen der letzten Weisungsbefugnis und Kontrolle („ultimate authority and control”), die beim Sicherheitsrat verblieben sei, und der Durchführung der Operation unter dem Kommando der NATO („operational command“).18 Die Beschwerdeführer hatten hatte hierzu vorgetragen , dass die truppenstellenden Staaten in bestimmten Fragen weiterhin eigenständige Befehlsgewalt hatten. Insoweit stellte der Gerichtshof zwar fest, dass die Entscheidung, ob im Einzelfall die Immunität aufzuheben ist, beim nationalen Kommandeur liege, die truppenstellenden Staaten zumindest in disziplinarischen und strafrechtlichen Fragen the power to establish an international security presence as well as its operational command. Troops in that force would operate therefore on the basis of UN delegated, and not direct, command.” 15 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 132. 16 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 133. 17 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 134. 18 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 139. - 10 - die ausschließliche Zuständigkeit besäßen, einige Staaten ihre eigenen Beschwerdestellen eingerichtet hätten und zumindest ein Staat die Zuständigkeit seiner Zivilgerichte bejaht habe19. Allerdings konnte dies seiner Ansicht nach an der Zurechnung der Verhaftung zu KFOR, an welche – nach Ansicht des EGMR – der VN-Sicherheitsrat über die NATO Befugnisse delegiert hatte, nichts ändern.20 Nach alledem kam der Gerichtshof im zweiten Schritt seiner Prüfung hinsichtlich der KFOR zu dem Ergebnis, dass dem Sicherheitsrat die letzte Weisungsbefugnis und Kontrolle („ultimate authority and control“) verblieben war, während die NATO die effektive Befehlsgewalt über relevante operationelle Angelegenheiten behalten habe. Unter diesen Umständen habe die KFOR rechtmäßig delegierte Befugnisse des Sicherheitsrates nach Kapitel VII ausgeübt, so dass das fragliche Verhalten grundsätzlich den Vereinten Nationen zurechenbar sei.21 Die Zurechnung der unterlassenen Minenräumung als Aufgabe der UNMIK war für den EGMR weitaus unproblematischer. Als subsidiäres Organ des Sicherheitsrates sei die UNMIK diesem gegenüber unmittelbar und voll verantwortlich. Ihr Unterlassen sei daher grundsätzlich den Vereinten Nationen zuzurechnen.22 2.1.2.3. Ausnahmsweiser Rückgriff auf die Staaten? Im dritten Schritt seiner Prüfung kam der Gerichtshof schließlich auf die Frage zu sprechen , ob trotz der festgestellten Zurechnung zu den VN auch eine Haftung der EMRK- Staaten für ihr Handeln im Rahmen von KFOR und UNMIK bestehen kann. In einem Einschub rekapitulierte der Gerichtshof hierzu sein Urteil in der Rechtssache Bosphorus v. Ireland.23 In seinem Bosphorus-Urteil habe der Gerichtshof – so der EGMR in Behrami und Saramati – ausgeführt, den Vertragsstaaten der EMRK sei es nach der Konvention zwar nicht verboten, einer internationalen Organisation beizutreten, um auf bestimmten Gebieten miteinander zu kooperieren. Die Mitgliedstaaten blieben jedoch nach Art. 1 EMRK für alle Handlungen und Unterlassungen ihrer Organe verantwort- 19 Hier bezieht sich der Gerichtshof auf die Entscheidung des Londoner High Court of Justice vom 7. April 2004, Bici v. Ministry of Defence ([2004] EWHC 786 (QB)). In diesem Fall hatten zwei Kosovo-Albaner, die am 2. Juli 1999 von britischen Soldaten in vermeintlicher Notwehr beschossen worden waren und dadurch Verletzungen erlitten hatten, erfolgreich Schadensersatz nach britischem Deliktsrecht („tort“) eingeklagt. 20 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 139. 21 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 140 f.: „[…] the Court finds that the UNSC retained ultimate authority and control and that effective command of the relevant operational matters was retained by NATO. […] In such circumstances, the Court observes that KFOR was exercising lawfully delegated Chapter VII powers of the UNSC so that the impugned action was, in principle, “attributable” to the UN [...]. 22 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 142 f. 23 EGMR, Urt. v. 30. Juni 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm Ve Ticaret Anonim Şirketi v. Ireland (Nr. 45036/98), im Folgenden zitiert als Bosphorus. - 11 - lich und zwar unabhängig davon, ob das fragliche Verhalten notwendig war, um ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Allerdings bestehe eine Vermutung dafür, dass Handlungen der Mitgliedstaaten in Ausführung von Verpflichtungen, die aus der Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation folgten, im Einklang mit der EMRK stünden, wenn innerhalb der fraglichen Organisation ein Menschenrechtsschutz gewährleistet sei, der der EMRK zumindest ebenbürtig sei.24 Der EGMR weist aber darauf hin, dass es sich im Fall Behrami und Saramati um Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen handele. Operationen aufgrund von Sicherheitsratsresolutionen nach Kapitel VII seien für die Aufgabe der Vereinten Nationen, den internationalen Frieden und die Sicherheit zu gewährleisten, grundlegend. Ihre Effektivität hänge jedoch von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten ab, sie zu unterstützen. Hieraus folgerte der EGMR, die Konvention könne nicht dergestalt ausgelegt werden, dass Handlungen und Unterlassungen der Vertragsstaaten, die durch eine Sicherheitsratsresolution gedeckt sind und im Vorfeld oder im Zuge von Friedensmissionen vorgenommen würden, der Überprüfung durch den EGMR unterworfen seien . Eine solche Vorgehensweise würde nicht nur eine Einmischung in eine Kernaufgabe der Vereinten Nationen bedeuten, sondern auch die effektive Durchführung derartiger Operationen beeinträchtigen. Zudem würde dies bedeuten, der Durchführung einer Sicherheitsratsresolution Bedingungen aufzuerlegen, die im Text der Resolution selbst nicht vorgesehen seien.25 Die Argumentation der Beschwerdeführer, der materielle und prozessuale Menschenrechtsschutz , der von der KFOR zur Verfügung gestellt würde, sei jedenfalls dem Schutz durch die EMRK nicht im Sinne des Bosphorus-Urteils ebenbürtig, wies der EGMR zurück.26 Der ihm vorliegende Fall unterscheide sich wesentlich vom Fall Bosphorus . In letzterem Fall sei die fragliche Handlung (die Beschlagnahme eines Flugzeuges ) aufgrund der Entscheidung eines irischen Ministers, auf irischem Boden und durch irische Behörden ausgeführt worden. Es hätten daher keinerlei Zweifel daran bestanden, dass der Gerichtshof die Zuständigkeit ratione personae für die Überprüfung der fraglichen Maßnahme besessen habe.27 In den vorliegenden Fällen könnten die angefochtenen Handlungen und Unterlassungen der KFOR und der UNMIK hingegen nicht den 24 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 145. 25 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 149 „the Convention cannot be interpreted in a manner which would subject the acts and omissions of Contracting Parties which are covered by UNSC Resolutions and occur prior to or in the course of such missions, to the scrutiny of the Court. To do so would be to interfere with the fulfilment of the UN's key mission in this field including, as argued by certain parties , with the effective conduct of its operations. It would also be tantamount to imposing conditions on the implementation of a UNSC Resolution which were not provided for in the text of the Resolution itself.“ 26 Vgl. Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 150. 27 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 151. - 12 - beklagten Staaten zugerechnet werden. Darüber hinaus seien sie auch nicht auf dem Gebiet dieser Staaten oder aufgrund einer Entscheidung ihrer Behörden vorgenommen worden. Die vorliegenden Fälle unterschieden sich daher sowohl hinsichtlich der Verantwortlichkeit der beklagten Staaten als auch bezüglich der Zuständigkeit des Gerichtshofes ratione personae eindeutig vom Bosphorus-Fall.28 Nach alledem kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Beschwerde unvereinbar mit der Konvention ratione personae29 sei und erklärte sie damit für unzulässig.30 Auf weitere Zulässigkeitserwägungen – wie etwa die örtliche Anwendbarkeit der Konvention – ging der Gerichtshof nicht mehr ein.31 2.2. Weitere Entscheidungen des EGMR Auf die Entscheidung in Behrami und Saramati folgten bis August 2007 noch zwei weitere Entscheidungen des EGMR im Zusammenhang mit der Präsenz der KFOR im Kosovo sowie eine Entscheidung im Zusammenhang mit dem Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegovina, in denen der EGMR seine in Behrami und Saramati entwickelten Grundsätze anwendete. 2.2.1. Kasumaj v. Greece und Gajic v. Germany In Kasumaj v. Greece32 ging es um die Beschwerde eines Kosovo-Albaners, der vortrug , griechische KFOR-Soldaten hätten im Jahr 1999 ihr Hauptquartier auf ihm gehörenden landwirtschaftlichen Grundstücken errichtet, ohne ihm dafür eine Entschädigung zu gewähren.33 Es seien daher sowohl Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK (Recht auf Eigentum), als auch Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf Zugang zu einem Gericht ) und Art. 13 (Recht auf wirksame Beschwerde) verletzt.34 In einem weiteren Fall, Gajic v. Germany35, machte der Beschwerdeführer – ein Serbe, der bis zu seiner Flucht im Juni 1999 in Prizren/Kosovo gelebt hatte – geltend, eine ihm gehörende Wohnung in Prizren sei zwischen 1999 und 2004 vom deutschen KFOR-Kontingent genutzt worden, 28 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 151: „In the present cases, the impugned acts and omissions of KFOR and UNMIK cannot be attributed to the respondent States and, moreover, did not take place on the territory of those States or by virtue of a decision of their authorities. The present cases are therefore clearly distinguishable from the Bosphorus case in terms both of the responsibility of the respondent States under Article 1 and of the Court's competence ratione personae.“ 29 Siehe hierzu unter 2.1.2. 30 Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 152. 31 Vgl. Behrami/Saramati (Fn. 2), Abs. 153. 32 EGMR, Entsch. v. 5. Juli 2007, Kasumaj v. Greece (Nr. 6974/05), im Folgenden zitiert als Kasumaj. 33 Kasumaj (Fn. 32), Abs. 1 ff. 34 Kasumaj (Fn. 32), Abs. 3. 35 EGMR, Entsch. v. 28. August 2007, Gajic v. Germany (Nr. 31446/92), im Folgenden zitiert als Gajic. - 13 - ohne dass er hierfür eine Miete erhalten hätte.36 Er warf der Bundesrepublik Deutschland daher Verletzungen von Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK (Recht auf Eigentum) und von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) vor. Sein Antrag auf Zahlung einer Miete war vom deutschen Bundesamt für Wehrverwaltung abschlägig beschieden worden, da es den Nachweis des Eigentums des Beschwerdeführers nicht als erbracht ansah. Neben der Auffassung, die Beschwerde sei unvereinbar mit der Konvention ratione personae und loci,37 trug die Bundesrepublik Deutschland daher vor, die Beschwerde sei schon deswegen unzulässig, da der Beschwerdeführer es versäumt habe, den innerstaatlichen Rechtsweg zu erschöpfen, denn das Verwaltungsverfahren schwebe noch und dem Beschwerdeführer stünde im Falle eines abschlägigen Bescheides der Verwaltungsrechtsweg offen.38 Der Gerichtshof wies beide Beschwerden – mit leicht unterschiedlicher Begründung – als unzulässig zurück. In Kasumaj v. Greece beschränkte er sich darauf, auf seine Entscheidung in Behrami und Saramati zu verweisen und erklärte die Beschwerde für unvereinbar mit der Konvention ratione personae.39 In Gajic v. Germany dagegen erinnerte („recalls“) er daran, dass nach seiner Entscheidung in Behrami und Saramati hinsichtlich des Verhaltens der KFOR in erster Linie problematisch sei, ob er die Kompetenz zur Überprüfung der Beiträge der Vertragstaaten zur internationalen Sicherheitspräsenz besitze und wiederholte („reiterates“), dass das Verhalten der KFOR grundsätzlich den Vereinten Nationen zuzurechnen und er unzuständig ratione personae sei, die Handlungen der Mitgliedstaaten im Namen („on behalf of“) der Vereinten Nationen zu überprüfen.40 Ob diese Erwägungen auch seine Entscheidung in Gajic v. Germany trügen, ließ der Gerichtshof allerdings offen. Vielmehr erklärte er die Beschwerde – dem Hilfsargument Deutschlands folgend – mangels Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges für unzulässig: Selbst wenn man annähme, die Beschlagnahmung der Wohnung könne die Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland begründen, so habe der Beschwerdeführer gegenüber den innerstaatlichen Verwaltungsbehörden eine Ersatzforderung geltend gemacht und könne sich – soweit dieses Vorgehen erfolglos sein sollte – an die Verwaltungsgerichte wenden.41 36 Gajic (Fn. 35), S. 3. 37 Zu um Begriff ratione personae siehe unter 2.1.2.; der Begriff der ratione loci beschreibt die örtliche Vereinbarkeit mit der Konvention. 38 Gajic (Fn. 35), S. 5. 39 Kasumaj (Fn. 32), S. 3. 40 Gajic (Fn. 35), S. 5 f. 41 Gajic (Fn. 35), S. 6: „[…] even assuming that the requisition of the apartment in question might engage the responsibility of the respondent State, the Court notes that the applicant lodged a request for compensation with the domestic administrative authorities and may, should that be unsuccessful, avail himself of the administrative courts. Thus, the applicant’s complaint is in any event premature and should therefore be declared inadmissible […].” - 14 - 2.2.2. Berić et al. v. Bosnia and Herzegovina In einer Entscheidung vom 16. Oktober 2007 im Fall Berić et al. v. Bosnia and Herzegovina hat der EGMR über die Zurechenbarkeit von Handlungen des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina entschieden.42 Die Beschwerdeführer waren im Jahr 2004 durch den Hohen Repräsentanten wegen ihrer mangelnden Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) ihrer öffentlichen und politischen Ämter enthoben worden, welche sie bis dahin in der „Republika Srpska“ ausgeübt hatten.43 Sie legten daraufhin Beschwerde gegen Bosnien und Herzegowina ein und machten Verletzungen von Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), Art. 11 EMRK (Versammlungsfreiheit) und Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) geltend.44 Der EGMR wies die Beschwerde wegen Unvereinbarkeit mit der Konvention ratione personae als unzulässig zurück.45 Die Einrichtung des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina geht auf Annex 10 des am 14. Dezember 1994 unterzeichneten Friedensabkommens von Dayton46 zurück.47 Der Hohe Repräsentant besitzt hiernach umfangreiche hoheitliche Befugnisse zur Durchsetzung des Friedensabkommens.48 Für die Nominierung des Hohen Repräsentanten ist das durch die Londoner Friedensimplementierungskonferenz vom 8.-9. Dezember 1995 eingerichtete sog. „Steering Board“ des ebenfalls durch diese Konferenz geschaffenen „Peace Implementation Council“ (PIC)49 zuständig.50 Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erklärt sich in der Folge mit der Ernennung einverstanden .51 42 EGMR, Entsch. v. 16.10.2007, Berić et al. v. Bosnia and Herzegovina (Nr. 36357/04 u.a.), im Folgenden zitiert als Berić. 43 Vgl. Berić (Fn. 42), Abs. 2. 44 Vgl. Berić, (Fn. 42), Abs. 20. 45 Vgl. Berić, (Fn. 42), Abs. 30. 46 General Framework Agreement: Annex 10 – Agreement on Civilian Implementation v. 14.12.1995, abrufbar unter: http://www.ohr.int/dpa/default.asp?content_id=380 (Stand: 15.9.2008). 47 Siehe dazu Badzio, Die völkerrechtliche Legitimation des Hohen Repräsentanten in Bosnien- Herzegowina, in: Epping /Heintze (Hrsg.), Wiederherstellung staatlicher Strukturen in Nach- Konflikt-Situationen – Theoretische Fragen und Fallstudien, Berlin 2007, S. 45 (47 ff.) 48 Siehe dazu Badzio (Fn. 47), S. 45, (49 ff.). 49 Der PIC besteht aus 55 Staaten, deren gemeinsames Interesse die Durchsetzung des Friedensabkommens ist. Dem „Steering Board“ gehören Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Russland, Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Präsidentschaft der Europäischen Union, die Europäische Kommission und die Organisation der Islamischen Konferenz an, vgl. Conclusions of the Peace Implementation Conference Held at Lancaster House London v. 08.12.1995, Ziff. 21 (abrufbar unter http://www.ohr.int/pic/default.asp?content_id=5168 Stand: 15.9.2008). 50 Vgl. z.B. Political Declaration from Ministerial Meeting of the Steering Board of the Peace Implementation Council vom 30.05.1997, Ziff. 88 ff. (abrufbar unter: http://www.ohr.int/pic/default.asp?content_id=5180, Stand: 15.9.2008); siehe auch Badzio (Fn. 47), S. 45 (48). 51 Vgl. z.B. Sicherheitsratsresolution 1112 (1997) v. 12.06.1997, Abs. 1. - 15 - In Sicherheitsratsresolution 1031 vom 15. Dezember 1995 zum Friedensabkommen von Dayton heißt es unter anderem: „Der Sicherheitsrat, […] tätigwerdend nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, […] 26. unterstützt die auf Ersuchen der Parteien erfolgte Bestellung eines Hohen Beauftragten, der im Einklang mit Anhang 10 des Friedensübereinkommens über die zivilen Aspekte der Umsetzung die Durchführung des Friedensübereinkommens überwachen und die beteiligten zivilen Organisationen und Stellen mobilisieren, ihnen gegebenenfalls Anleitung erteilen sowie ihre Tätigkeit koordinieren wird, und erklärt sich mit der Bestellung von Carl Bildt zum Hohen Beauftragten einverstanden; 27. bestätigt, dass der Hohe Beauftragte die letzte Instanz an Ort und Stelle für die Auslegung von Anhang 10 des Friedensübereinkommens über die zivilen Aspekte der Umsetzung ist; […]“52 Der EGMR geht in seiner Entscheidung im Fall Berić davon aus, der Sicherheitsrat habe die Einrichtung des Hohen Repräsentanten durch den PIC als einer informellen Gruppe von Staaten als Zwangsmaßnahme nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen durch Resolution 1031 autorisiert.53 Unter Verweis auf Art. 5 der Artikelentwürfe zur Verantwortlichkeit internationaler Organisationen führt der EGMR sodann – ähnlich wie in Behrami und Saramati – aus, die Schlüsselfrage laute, ob der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bei der Delegierung seiner Befugnisse durch Resolution 1031 die „effective overall control“ behalten habe,54 was er aus den folgenden Gründen bejahte: 1. Die Resolution selbst habe die Delegierung ausdrücklich vorgesehen („it was neither presumed nor implicit, but prior and explicit in the Resolution itself“). Es sei zwar richtig, dass das Friedensabkommen und die Beschlüsse der Londoner Friedensimplementierungskonferenz der Resolution vorangegangen seien, jedoch seien 52 Übersetzung des Deutschen Übersetzungsdienstes der Vereinten Nationen, Jahresband 1995 (UN Doc. (S/INF/51), S. 23 ff. (abrufbar unter: www.un.org/Depts/german/). Im englischen Original heißt es: „The Security Council, […] Acting Chapter VII of the Charter of the United Nations. […] 26. Endorses the establishment of a High Representative, following the request of the parties, who, in accordance with Annex 10 on the civilian implementation of the Peace Agreement, will monitor the implementation of the Peace Agreement and mobilize and, as appropriate, give guidance to, and coordinate the activities of, the civilian organizations and agencies involved, and agrees the designation of Mr. Carl Bildt as High Representative; 27. Confirms that the High Representative is the final authority in theatre regarding interpretation of Annex 10 on the civilian implementation of the Peace Agreement; […]“ 53 Vgl. Berić, (Fn. 42), Abs. 26. 54 Vgl. Berić, (Fn. 42), Abs. 27. - 16 - sie mit Zustimmung der Vereinten Nationen vervollständigt worden („completed with UN approval“). 2. Die Resolution (im Zusammenhang gelesen mit dem Friedensabkommen und den Beschlüssen der Londoner Friedensimplementierungskonferenz, auf die sie sich ausdrücklich beziehe) habe der Delegierung von Befugnissen hinreichend definierte Grenzen gesetzt („put sufficiently defined limits on the delegation“). Zudem hätten die der ursprünglichen Resolution nachfolgenden Resolutionen des Sicherheitsrates die Beschlüsse der späteren Friedensimplementierungskonferenzen gutgeheißen („endorsed“). 3. Der Hohe Repräsentant sei durch die Resolution verpflichtet, dem Sicherheitsrat Bericht zu erstatten, damit dieser seine „overall control“ ausüben könne.55 Die Handlungen des Hohen Repräsentanten seien daher grundsätzlich den Vereinten Nationen zuzurechnen.56 Ob Bosnien und Herzegowina trotzdem für die angefochtenen Akte verantwortlich gemacht werden könne, verneint der Gerichtshof knapp unter Hinweis auf seine Argumentation in Behrami und Saramati.57 2.3. Fazit Der EGMR hat sich in seiner Entscheidung in Behrami und Saramati ausführlich mit der Frage der Zurechnung menschenrechtsrelevanten Verhaltens bei einem durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten Friedenseinsatz auseinandergesetzt. Sofern eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat vorliegt, prüft der EGMR, ob das fragliche Verhalten den Vereinten Nationen zugerechnet werden kann. Voraussetzung hierfür scheint zu sein, dass der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der VN-Charta eigene Befugnisse an die Mitgliedstaaten delegiert hat, aber die „ultimate authority and control “58 oder „effective overall control“59 über den Einsatz behalten hat. Entscheidend für die Annahme, dass eine solche Kontrolle des Sicherheitsrates vorliegt, dürfte insbesondere sein, dass durch die entsprechende Resolution die Befugnisse ausdrücklich delegiert werden, dass die Delegierung hinreichend begrenzt ist und dass gegenüber dem Sicherheitsrat eine Berichtspflicht besteht, die es ihm ermöglicht, seine Kontrolle auszuüben . Kann eine effektive Kontrolle durch den Sicherheitsrat bejaht werden, hat dies zur Folge, dass ein fragliches Verhalten grundsätzlich den Vereinten Nationen zugerechnet wird. Dies hat zur Konsequenz, dass das Verhalten durch den EGMR mangels Zuständigkeit nicht mehr am Maßstab der EMRK überprüft wird. Zu der Frage, nach welchen Maßstäben über die Zurechnung eines menschenrechtsrelevanten Verhaltens im Zusammenhang mit einem multinationalen Militäreinsatz zu ent- 55 Vgl. Berić, (Fn. 42), Abs. 28. 56 Vgl. Berić, (Fn. 42), Abs. 28. 57 Vgl. Berić, (Fn. 42), Abs. 29 (Es werden hier die Abs. 146-149 der Behrami/Saramati-Entscheidung wörtlich wiedergegeben). 58 So die Terminologie in Behrami/Saramati, siehe oben Fn. 16 und dazugehöriger Text. 59 So die Terminologie in Berić, siehe oben Fn. 54 und dazugehöriger Text. - 17 - scheiden wäre, bei dem eine Beteiligung der Vereinten Nationen nicht herleitbar ist, hat sich der EGMR – soweit ersichtlich – bisher nicht geäußert. 2.4. IPBPR Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, der als Vertragsorgan des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) fungiert, hat ebenfalls bereits zu Fragen der Staatenverantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen bei Friedensmissionen Stellung genommen. Der Menschenrechtsausschuss kann – auch im Falle von Individualbeschwerden nach dem 1. Fakultativprotokoll zum Pakt – keine für die Vertragsstaaten verbindlichen Anordnungen treffen, sondern ist auf Maßnahmen mit empfehlendem Charakter beschränkt. Dennoch spielt seine Spruchpraxis für die Auslegung des IPBPR in der Praxis eine wichtige Rolle. Der Menschenrechtsausschuss hat sich im Rahmen eines Individualbeschwerdeverfahrens ebenfalls bereits mit einem Sachverhalt im Zusammenhang mit der Präsenz von UNMIK im Kosovo befasst.60 In dem Verfahren Kurbogaj v. Spain ging es um Hausdurchsuchungen durch eine spanische Polizeieinheit der UNMIK im Kosovo. Die Beschwerdeführer warfen Spanien Verletzungen von Art. 2 Abs. 3 a) IPBPR (Recht auf wirksame Beschwerde) sowie von Art. 17 (Schutz von Familie, Privatleben und Wohnung) vor.61 Der Menschenrechtsausschuss äußerte sich in seiner Entscheidung nicht zu der Frage, ob die Beschwerdeführer der Herrschaftsgewalt („jurisdiction“)62 Spaniens unterstanden, sondern wies die Beschwerde schon deswegen als unzulässig zurück, weil die Beschwerdeführer es versäumt hätten, den innerstaatlichen Rechtsweg zu erschöpfen.63 Zwar hat sich der Ausschuss damit einer ausdrücklichen Aussage über die Zurechnung des fraglichen Verhaltens enthalten. Allerdings dürfte der Umstand, dass er den Beschwerdeführern vorhielt, es unterlassen zu haben, den Rechtsweg in Spanien zu beschreiten, wohl dahingehend zu deuten sein, dass der Ausschuss jedenfalls nicht von einer ausschließlichen Zurechnung des Verhaltens spanischer UNMIK-Polizisten an die Vereinten Nationen ausgegangen sein kann.64 Dies stünde im Einklang mit seinen Äußerungen zum Geltungsbereich des Paktes an anderer Stelle. So beschränkt sich der Ausschuss in seinem General Comment 31 nicht auf die Ausführung, dass die Vertragsstaaten die im Pakt niederge- 60 Human Rights Committee, Entscheidung vom 11. August 2006, Communication No. 1374/2005, Azem Kurbogaj and Ghevdet Kurbogaj v. Spain (UN Doc. CCPR/C/87/D/1374/2005). 61 Human Rights Committee (Fn. 60), Abs. 3.1 und 3.8. 62 Nach Art. 2 Abs. 1 IPBPR verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, die im Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt („jurisdiction) unterstehenden Personen zu gewährleisten. 63 Human Rights Committee (Fn. 60), Abs. 6.3: „[…] Without pronouncing itself on the question of jurisdiction in the particular circumstances of the case, the Committee notes that the authors did not address themselves at any point to any penal or administrative authorities in Spain. […]“. Das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 b) des 1. Fakultativprotokolls. 64 Genau dies hatte aber Spanien in seiner Stellungnahme unter anderem vorgetragen, siehe Human Rights Committee (Fn. 60), Abs. 4.1. - 18 - legten Rechte aller Personen in ihrer Gewalt oder unter ihrer effektiven Kontrolle achten und gewährleisten müssten, auch wenn sie sich nicht auf dem Staatsgebiet der jeweiligen Vertragspartei befänden. Er stellt zudem klar, dass dieses Prinzip auch auf diejenigen Personen Anwendung finde, die sich in der Gewalt oder unter der effektiven Kontrolle der Streitkräfte einer Vertragspartei befinden, die außerhalb des Staatsgebietes der Vertragspartei agieren, wie etwa Streitkräfte, die nationale Kontingente bei internationalen Friedenseinsätzen bilden, und zwar unabhängig von den Umständen, unter denen solche Gewalt oder effektive Kontrolle erlangt wurde.65 Ähnlich ausdrücklich betonte der Ausschuss die Bindungswirkung des Paktes bei multinationalen Militäreinsätzen in seiner Würdigung des Staatenberichtes Belgiens aus dem Jahr 2003. Dort legte er hinsichtlich des Umfangs der Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 1 IPBPR (Geltungsbereich des Paktes) dar, Belgien müsse die Menschenrechtsgarantien des Paktes nicht nur innerhalb seines Staatsgebietes respektieren, sondern auch dann, wenn es Hoheitsgewalt im Ausland ausübe, wie etwa im Falle von friedenserhaltenden Einsätzen („peacekeeping missions“) oder NATO-Militäreinsätzen („NATO military missions“). Die an solchen Einsätzen teilnehmenden Soldaten müssten entsprechend trainiert werden.66 Gegenüber der Bundesrepublik Deutschland hat der Menschenrechtsausschuss schließlich seine Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, dass sie in ihrem Staatenbericht aus dem Jahr 2003 keine Stellung zur Anwendbarkeit des Paktes auf solche Situationen bezogen hätte, in denen deutsche Truppen oder Polizeikräfte im Ausland, insbesondere im Rahmen von Friedensmissionen, operierten.67 65 Human Rights Committee, General Comment No. 31, Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant vom 26. Mail 2004 (UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13), Abs. 10: „This principle applies to those within the power or effective control of the forces of a State Party acting outside its territory, regardless of the circumstances in which such power or effective control was obtained, such as forces constituting a national contingent of a State Party assigned to an international peace-keeping or peace-enforcement operation.“ 66 Concluding Observations of the Human Rights Committee: Belgium. 12/08/2004 (UN Doc. CCPR/CO/81/BEL), Abs. 6: „The State party should respect the safeguards established by the Covenant , not only in its territory but also when it exercises its jurisdiction abroad, as for example in the case of peacekeeping missions or NATO military missions, and should train the members of such missions appropriately.“ 67 Concluding Observations of the Human Rights Committee: Germany. 01/05/2004 (UN Doc. CCPR/CO/80/DEU), Abs. 11. Die Bundesrepublik Deutschland antwortete hierauf wie folgt: „Wherever its police or armed forces are deployed abroad, in particular when participating in peace missions, Germany ensures to all persons that they will be granted the rights recognized in the Covenant , insofar as they are subject to its jurisdiction. Germany's international duties and obligations, in particular those assumed in fulfilment of obligations stemming from the Charter of the United Nations , remain unaffected. The training it gives its security forces for international missions includes tailor-made instruction in the provisions of the Covenant.“, siehe Comments by the Government of Germany to the concluding observations of the Human Rights Committee: 11/04/2005 (UN Doc. CCPR/CO/80/DEU/Add.1). - 19 - 2.5. Artikelentwürfe der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zur Verantwortlichkeit internationaler Organisationen Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen erarbeitet seit dem Jahr 2002 sogenannte Artikelentwürfe zur Verantwortlichkeit internationaler Organisationen („Draft Articles on Responsibility of International Organizations“).68 Sie schließt damit an ihre Arbeiten zur Staatenverantwortlichkeit an, die im Jahr 2001 mit den Draft Articles on State Responsibility abgeschlossen wurden,69 aber die Frage der Verantwortlichkeit internationaler Organisationen offenließen.70 Die erarbeiteten Artikelentwürfe enthalten unter anderem Regelungen über die Voraussetzungen der Zurechnung eines völkerrechtswidrigen Verhaltens an eine internationale Organisation. Zwar sind die Artikelentwürfe der Völkerrechtskommission als solche nicht rechtsverbindlich.71 Der EGMR hat sich in seinen Entscheidungen in Behrami und Saramati und Berić allerdings ausdrücklich auf die Artikelentwürfe, welche die Zurechenbarkeit betreffen, bezogen.72 Sie dürften daher – unabhängig von der Frage, ob sie entsprechende völkergewohnheitsrechtliche Regelungen darstellen – für die Beurteilung der Frage, ob ein menschenrechtsrelevantes Verhalten einer internationalen Organisation zurechenbar ist, maßgeblich sein. Nach Art. 3 der Artikelentwürfe hat jede völkerrechtswidrige Handlung einer internationalen Organisation die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der internationalen Organisation zur Folge. Eine völkerrechtswidrige Handlung einer internationalen Organisation liegt vor, wenn ein Verhalten in Form eines Tuns oder Unterlassens zum einen der internationalen Organisation nach dem Völkerrecht zurechenbar ist und zum anderen eine Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht dieser internationalen Organisation darstellt .73 Gem. Art. 5 der Artikelentwürfe ist das Verhalten eines Organs eines Staates 68 Siehe dazu insbesondere Report of the International Law Commission, 54th session, 2002 (UN Doc. A/57/10), Kap. VIII; Report of the International Law Commission, 55th session, 2003 (UN Doc. A/58/10), Kap. IV; Report of the International Law Commission, 56th session, 2004 (UN Doc. A/59/10), Kap. V; Report of the International Law Commission, 57th session, 2005 (UN Doc. A/60/10), Kap. VI; First report on responsibility of international organizations by Mr. Giorgio Gaja, Special Rapporteur vom 26. März 2003 (UN Doc. A/CN.4/532); Second report on responsibility of international organizations by Mr. Giorgio Gaja, Special Rapporteur vom 2. April 2004 (UN Doc. A/CN.4/541); Third report on responsibility of international organizations by Mr. Giorgio Gaja, Special Rapporteur vom 13. Mai 2005 (UN Doc. A/CN.4/553); Fourth report on responsibility of international organizations by Mr. Giorgio Gaja, Special Rapporteur vom 28. Februar 2006 (UN Doc. A/CN.4/564). 69 Siehe Report of the International Law Commission, 53rd session, 2001 (UN Doc. A/56/10), Kap. IV. 70 Vgl. Art. 57 der Draft Articles on State Responsibility. 71 Vgl. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, § 39 Rn. 2. 72 Wörtlich heißt es dazu in Behrami/Saramati (Fn. 2): “The Court has used the term “attribution” in the same way as the ILC in Article 3 of its draft Articles on the Responsibility of International Organisations .” 73 Im englischen Original heißt es: „1. Every internationally wrongful act of an international organization entails the international responsibility of the international organization. 2. There is an internationally wrongful act of an international organization when conduct consisting of an action or omis- - 20 - oder eines Organs oder Vertreters einer internationalen Organisation, das oder der einer anderen internationalen Organisation zur Verfügung gestellt wird, nach dem Völkerrecht als eine Handlung der letzteren internationalen Organisation anzusehen, wenn diese Organisation über dieses Verhalten effektive Kontrolle ausübt.74 In der Kommentierung der Völkerrechtskommission zu Art. 5 der Artikelentwürfe heißt es u.a., das Kriterium für die Zurechnung eines Verhaltens an einen Staat oder an eine internationale Organisation sei gem. Art. 5 die tatsächliche Kontrolle über das spezifische Verhalten des Organs oder des Vertreters, der einer internationalen Organisation zur Verfügung gestellt ist.75 Die Zurechnung eines Verhaltens an den truppenstellenden Staat sei mit der Beibehaltung von bestimmten Befugnissen über sein nationales Kontingent verbunden und hänge damit von der Kontrolle ab, die der Staat im Einzelfall ausübt. Wenn ein Staat einer internationalen Organisation ein Organ oder einen Vertreter zur Verfügung gestellt hat, sei die entscheidende Frage hinsichtlich der Zurechnung, wer über das fragliche Verhalten („the conduct in question“) die effektive Kontrolle ausübe.76 Ferner nahm die Völkerrechtskommission in ihrer Kommentierung auf einen Bericht des VN- Generalsekretärs zur Zurechnung bei Friedenstruppen der Vereinten Nationen Bezug. Dieser habe geäußert, die Verantwortlichkeit der Vereinten Nationen für Streitkräfte der Vereinten Nationen beruhe auf der Annahme, dass die fragliche Operation unter der „exclusive command and control“ der Vereinten Nationen stehe. Im Falle von „joint operations“ würde sich die Verantwortlichkeit nach Vereinbarungen zwischen den Vereinten Nationen und den truppenstellenden Staaten richten. Soweit es an solchen Vereinbarungen fehle, müsse die Verantwortlichkeit im Einzelfall nach dem Grad der „effektiven Kontrolle“ bei der Durchführung der Operation festgestellt werden, so der Generalsekretär .77 Hierzu äußert sich wiederum die Völkerrechtskommission, nach der es sion: (a) Is attributable to the international organization under international law; and (b) Constitutes a breach of an international obligation of that international organization.“, vgl. International Law Commission, Responsibility of International Organizations - Titles and texts of the draft articles 1, 2 and 3 adopted by the Drafting Committee vom 4. Juni 2003 (UN Doc. A/CN.4/L.632). 74 Im englischen Original heißt es: „The conduct of an organ of a State or an organ or agent of an international organization that is placed at the disposal of another international organization shall be considered under international law an act of the latter organization if the organization exercises effective control over that conduct.“, vgl. International Law Commission, Responsibility of International Organizations - Titles and texts of the draft articles 4, 5, 6 and 7 adopted by the Drafting Committee vom 27. Mai 2004 (UN Doc. A/CN.4/L.648). 75 Im englischen Original heißt es: „„The criterion for attribution of conduct either to the contributing State or organization or to the receiving organization is based according to article 5 on the factual control that is exercised over the specific conduct taken by the organ or agent placed at the receiving organization’s disposal.[…]“, vgl. Report of the International Law Commission, 56th Session, 2004 (UN Doc. A/59/10), Kap. V, Abs. 72 , Unt.-Abs. (3). 76 Ebenda (Fn. 75), Unt-Abs. 6 f.: „[…] Attribution of conduct to the contributing State is clearly linked with the retention of some powers by that State over its national contingent and thus on the control that the State possesses in the relevant respect. (7) As has been held by several scholars, when an organ or agent is placed at the disposal of an international organization, the decisive question in relation to attribution of a given conduct appears to be who has effective control over the conduct in question. […]“ 77 Ebenda (Fn. 75), Unt-Abs. (8). - 21 - zwar verständlich sei, dass die Vereinten Nationen im Interesse der Effektivität militärischer Einsätze die ausschließliche Befehlsgewalt über Peacekeeping-Truppen beanspruchten . Die Frage der Zurechnung sollte jedoch – so die Ansicht der Völkerrechtskommission – auch hier anhand eines tatsächlichen Kriteriums („factual criterion“) behandelt werden.78 78 Ebenda (Fn. 75), Unt-Abs. (8): „[…] While it is understandable that, for the sake of efficiency of military operations, the United Nations insists on claiming exclusive command and control over peacekeeping forces, attribution of conduct should also in this regard be based on a factual criterion .“