Zur Situation der Roma-Kinder in der Tschechischen Republik unter besonderer Berücksichtigung der Bildungssituation - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000-106/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserinnen: Zur Situation der Roma-Kinder in der Tschechischen Republik unter besonderer Berücksichtigung der Bildungssituation Ausarbeitung WD 2 – 3000-106/07 Abschluss der Arbeit: 31. August 2007 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Zur Entwicklung der sozioökonomischen Lage der Roma-Minderheit in der Tschechischen Republik 4 3. Zu den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf Bildungschancen und Minderheitenschutz 6 3.1. Im europäischen Rahmen 6 3.2. Im nationalen tschechischen Raum 8 4. Zur Bildungssituation für Roma-Kinder: Zwischen verbesserter Rechtslage und strukturellen Defiziten 9 4.1. Zur Lage der vorschulischen und schulischen Bildung 9 4.2. Empfehlungen des Roma Education Fund 12 5. Bildungsinitiativen zivilgesellschaftlicher Ansprechpartner 14 6. Abschließende Bemerkungen 14 7. Literaturverzeichnis 18 - 3 - 1. Einleitung Im Februar des Jahres 2005 unterzeichnete der damalige tschechische Premierminister Stanislav Gross zusammen mit den Regierungschefs Bulgariens, Kroatiens, Rumäniens, Ungarns, Mazedoniens, Serbien-Montenegros und der Slowakei die Erklärung zur „Dekade der Roma-Integration“ (nachfolgend Roma-Dekade). Diese für 2005 bis 2015 projektierte Initiative verfolgt in Zusammenarbeit mit verschiedenen Stiftungen und der Weltbank ehrgeizige Ziele zur Überwindung der gesellschaftlichen Ausgrenzung der Roma-Bevölkerung, insbesondere in den Bereichen Bildung, Wohnen, Beschäftigung und Gesundheit. Sie wird von der Europäischen Kommission, dem Europarat und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen unterstützt.1 Die aktuelle Länderstudie „Advancing Education of Roma in the Czech Republic“ des Roma Education Fund (REF) evaluiert die Bemühungen und Aktivitäten, die in den vergangenen Jahren auch im Rahmen der Roma-Dekade in der Tschechischen Republik unternommen wurden, um insbesondere die strukturelle Benachteiligung von Roma- Kindern und –Jugendlichen im Bildungswesen abzubauen. Diese Untersuchung enthält auch strategische Empfehlungen zur Verbesserung der Bildungssituation der Roma. Die vorliegende Ausarbeitung stützt sich zu großen Teilen auf diese Studie. Eine aktuelle Länderstudie zur Tschechischen Republik des Open Society Institutes liegt derzeit noch nicht vor.2 Auch existieren zu vielen sozioökonomischen Faktoren keine oder nur ungenaue Zahlen, da es staatlichen Behörden in der Tschechischen Republik laut Gesetz 273/2001 Coll. zu den Rechten von Angehörigen nationaler Minderheiten nicht gestattet ist, Daten über ethnische Minderheiten zu erfassen.3 Die vorhandenen Daten und Informationen zeichnen ein beunruhigendes Bild der Bildungssituation der Roma in der betrachteten Region. Obwohl die in der Tschechischen Republik lebenden Roma über eine im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bessere Schulbildung verfügen4, ist ihr Bildungsdefizit gegenüber dem der tschechischen Gesamtbevölkerung immens. Allein bei der staatlichen Schulausbildung, die den Grundstein für die spätere soziale Entfaltung des Einzelnen bildet, zeigen sich gravierende Probleme. Besonders sprachliche und kulturelle Barrieren erschweren eine Eingliederung von Roma-Kindern in das allgemeine Schulwesen. Daher hat die Mehrheit der Roma-Bevölkerung in der Tschechischen Republik nur eine oft nicht abgeschlossene oder an Sonderschulen abgelegte Grundschulausbildung. Seit den 1990er 1 Vgl. Decade Watch, S. 13. 2 Diese Studie ist für Anfang 2008 angekündigt. 3 Vgl. Roma Education Fund (nachfolgend REF), S. 32. 4 Vgl. UNDP. Human Development Report. Czech Republic 2003, S. 72. - 4 - Jahren hat die Integrationspolitik versucht, diese Problematik zu beheben, jedoch fehlt es bisher an einer wirkungsvollen Umsetzung. 2. Zur Entwicklung der sozioökonomischen Lage der Roma-Minderheit in der Tschechischen Republik Offizielle Daten der Volkszählung von 2001 beziffern die Zahl der Roma, die in der Tschechischen Republik leben, auf 11.718. Jedoch stützte sich die Volkszählung auf Eigenangaben, und es wird angenommen, dass viele Roma aus Angst vor Diskriminierung und rassistisch motivierten Übergriffen ihre Herkunft verschwiegen. Deswegen schätzen Experten die Anzahl der Roma deutlich höher, zwischen 160.000 bis 300.000 Menschen.5 Mit diesen 1,6 % bis 3 % der circa 10,2 Millionen umfassenden Gesamtbevölkerung stellen die Roma die größte ethnische Minderheit in der Tschechischen Republik dar. Bei den Roma in Tschechien handelt es sich nicht um eine homogene Gemeinschaft. Vielmehr setzen sie sich aus den Gruppen der Rumungre, der Vlachika und der Sinti zusammen. Die Roma-Sprache Romanes wird in der Tschechischen Republik überwiegend im Dialekt der Ostslowakei gesprochen, ansonsten im Dialekt der Vlachika- Roma.6 Eine höhere Konzentration von Roma-Ansiedlungen ist in den Gebieten Ustecko 7, Stredocesko8 und Moravskoslezsko9 zu finden.10 Diese Muster entstanden in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Im Krieg waren fast alle der in der heutigen Tschechischen Republik ansässigen Roma durch die Nationalsozialisten als „rassisch minderwertig “ ermordet worden. Nach dem Krieg wanderten Roma aus Ungarn, Rumänien und der Ostslowakei in die heutigen tschechischen Gebiete ein und wurden als billige Arbeitskräfte in den Industriegebieten Böhmens und Mährens angesiedelt,11 begleitet von intensiven Versuchen des sozialistischen Regimes, die Roma in die Mehrheitsbevölkerung zu assimilieren.12 Das Ziel dieser Assimilationspolitik bestand darin, dass sie einerseits zu sozialer Anpassung gezwungen, zugleich aber auch formal in die sozialen Sicherungssysteme eingebunden wurden und ein regelmäßiges Einkommen bezogen. 5 Vgl. REF, S. 13. 6 Vgl. REF, S. 19. 7 Ustecko liegt im Nordosten der Tschechischen Republik (Nordböhmen). 8 Stredeocesko umschließt die Hauptstadt Prag (Mittelböhmen). 9 Moravskoslezsko liegt im Westen der Tschechischen Republik (Mähren). 10 Aufgrund der vorher genannten Schwierigkeiten zur Ermittlung der Daten über die genaue Anzahl der Roma in der Tschechischen Republik sind genaue Angaben zur Verteilung der Roma nicht möglich. 11 Vgl. Radio Praha (http://romove.radio.cz/de/artikel/19382). 12 Vgl. Europäische Kommission, S. 10. - 5 - Als mit dem Zusammenbruch des Kommunismus große Teile der staatlichen Unterstützung wegfielen, verschlechterte sich die Situation der Roma drastisch. Im Gegensatz zu der Mehrheit der Bevölkerung hatten die Roma keine ausreichenden Mittel, sich der sich schnell verändernden Gesellschaft anzupassen. Zudem ist die Mehrzahl der Roma in Regionen angesiedelt, die am stärksten von den Auswirkungen der Umstrukturierung wie hohe Arbeitslosigkeit sowie soziale und ökologische Probleme betroffen sind.13 Wie in anderen Ländern Osteuropas ist es nach der Wende auch in der Tschechischen Republik zu Ausbrüchen verstärkter antiziganistisch motivierter Feindseligkeit gegen die Roma gekommen. Neuere Umfragen ergaben, dass ca. 80 % der Tschechen keine Roma als Nachbarn haben möchten, und weiterhin wird eine alarmierend hohe Anzahl von gewalttätigen Übergriffen auf Roma-Angehörige verzeichnet.14 Auch der Zerfall der Tschechoslowakei im Jahre 1993 hatte negative Folgen für die ansässigen Roma. Die mit sieben Abgeordneten starke Roma-Präsenz im Parlament der postkommunistischen Tschechoslowakei brach ab.15 Heute sind die Roma auf politischer Ebene kaum vertreten, sie bekleiden weder ein Amt im tschechischen Parlament noch im Kabinett.16 Zudem verloren tausende Roma ihre Staatsbürgerschaft, da das tschechische Staatsbürgerschaftsgesetz von 1993 Ansässige mit ehemals slowakischer Staatsbürgerschaft nicht automatisch einbürgerte, sondern einen Nachweis über einen ständigen Wohnsitz und ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis verlangte . Diese Auflagen konnten jedoch von vielen Roma nicht erfüllt werden.17 Aufgrund fehlender Aussicht auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit und einen Arbeitsplatz setzte 1997 eine Auswanderungswelle unter den Roma überwiegend nach Kanada und Großbritannien ein. Zusätzlich trieb die angespannte Lage in Tschechien nach dem Hochwasser im Juli 1997, in der nach der Medialisierung von Plünderungen und Diebstählen der Antiziganismus verstärkt wurde, die Ausreisewilligkeit vieler Roma voran.18 Obwohl mittlerweile Anti-Diskriminierungsgesetze auf nationaler Ebene existieren, leiden Roma weiterhin unter den Folgen von Diskriminierung in der Schule, dem Arbeits - und öffentlichem Leben. Die Arbeitslosenquote der Roma beträgt in vielen Teilen der Tschechischen Republik etwa 70%, in manchen Regionen sogar über 90%.19 Aufgrund der starken Segmentierung des Arbeitsmarktes nach Nationalitäten ist die Mehrheit der Roma entweder langfristig von jedweder Arbeit ausgeschlossen oder 13 Vgl. UNDP. Human Development Report. Czech Republic 2003, S. 71. 14 Vgl. Europäische Kommission, S. 11f. 15 Vgl. Open Society Institute (nachfolgend OSI), S. 127. 16 Vgl. REF, S. 9. 17 Vgl. OSI, S. 127. 18 Vgl. Harald Christian Scheu, „Die rechtliche und soziale Stellung der Roma in der Tschechischen Republik“, 2000, S. 27. 19 Vgl. OSI, S. 140. - 6 - im Niedriglohnsektor beschäftigt. Infolgedessen haben viele Roma das Interesse an bezahlter Arbeit verloren. Laut UNDP wird dieses Verhalten auch durch das Sozialsystem in der Tschechischen Republik bestärkt, das Familien mit mehreren Kindern besonders fördert. Möglicherweise ist deswegen die Geburtenrate der Roma schätzungsweise zweimal so hoch wie die der Gesamtbevölkerung, die in Tschechien nach Angaben des Auswärtigen Amtes bei 1,3 Kindern pro Frau liegt.20 Segregation besteht jedoch nicht nur in sozialer sondern auch in lokaler Hinsicht. Da bedürftige Roma-Familien in Wohngebiete mit günstigeren Mieten ziehen, „weiße“ Tschechen aus diesen Gebieten wegziehen oder Roma aus Wohngebieten mit überwiegend „weißen“ Tschechen vertrieben werden, bilden sich Bezirke, die zu nahezu 100% von Roma bewohnt sind. Diese lokale Segregation wiederum erschwert die Einbindung in das Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt.21 Auf diese Weise tritt in der Tschechischen Republik der Effekt der „Ethnisierung von Armut“ auf.22 3. Zu den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf Bildungschancen und Minderheitenschutz 3.1. Im europäischen Rahmen Die wichtigsten internationalen Abkommen in den Bereichen Diskriminierung und Minderheitenrechte hat die Tschechische Republik ratifiziert.23 Zusätzlich gewährt die tschechische Verfassung internationalen Verträgen Priorität gegenüber nationalem Recht.24 Zudem wurde 1991 eine Charta der Menschenrechte und Grundfreiheiten in die verfassungsmäßige Ordnung integriert.25 Die EU-weite Bekämpfung von Diskriminierungen und Rassismus wurde durch einige Richtlinien zum Artikel 13 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nach den Änderungen des Vertrages von Amsterdam verbessert. Eine herausgehobene Bedeutung kommt der Richtlinie 2000/43/EG zu, bei der es um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft geht. Als mögliche Anwendungsbereiche werden explizit Beschäftigung, Bildung, 20 Vgl. UNDP. Human Development Report. Czech Republic 2003, S. 71f und siehe den Wirtschaftsteil zur Tschechischen Republik http://www.auswärtiges–amt.de/diplo/de/Laenderinformation/Tschechische Republik/Wirtschaft.html. 21 Vgl. REF, S. 15. 22 Vgl. UNDP. Human Development Report. Czech Republic 2003, S. 70. 23 Vgl. OSI, S. 133 (mit weiteren Nachweisen). 24 Vgl. Art. 10 Verfassung der Tschechischen Republik (Law No. 1/1993). 25 Durch Art. 3 der Verfassung der Tschechischen Republik wurde diese Charta der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Law No. 23/1991 Coll.) integriert. - 7 - Berufsausbildung, Sozialschutz, Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie Wohnraum genannt.26 Des Weiteren hat die EU ein Aktionsprogramm zur „Bekämpfung von Diskriminierungen (2000-2006)“ verabschiedet, für das die Generaldirektion Beschäftigung und Soziales verantwortlich war. Einer der Prioritätsbereiche zielte laut Kommissionsbericht auf die Integration von Roma im Bereich der Bildung und der Beschäftigung.27 Neben dem rechtlichen Rahmen, der Roma als Berufungsgrundlage für eine bessere Integration gelten kann, gibt es zwei Teile des EU-Strukturfonds, die allen von Benachteiligungen betroffenen Minderheiten zugute kommen können: Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Europäische Sozialfonds (ESF). Hinzu kommt die Gemeinschaftsinitiative EQUAL, die aus den Mitteln des ESF bezahlt wird. Ziel von EQUAL ist es, neue Instrumente bei der Bekämpfung von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen oder bewährte Mittel auszubauen. Mit Hilfe von sog. Entwicklungspartnerschaften wurden Projekte realisiert, die einer besseren Integration von ethnischen Minderheiten dienen sollten. Einige Projekte wandten sich direkt an Roma, wie z.B. das deutsche Projekt „Roma und Sinti durch Selbstorganisation zu Beschäftigung und Existenzsicherung“.28 Die Generaldirektion Bildung und Kultur hat die Diskriminierung von Roma mehrfach aufgegriffen, u.a. in einer Entschließung des Rates vom 22. Mai 1989 zu einer verbesserten schulischen Betreuung der Roma, Sinti und der Fahrenden. Fünfzehn Jahre nach der Entschließung kam die Generaldirektion für Beschäftigung und Soziales zu dem Urteil, dass „derartige Dokumente oder die Aktionsprogramme der Gemeinschaft Sokrates II oder Leonardo da Vinci noch zu keinen signifikanten Änderungen in bezug auf die Bildung von Roma geführt“ haben. Die Situation der Roma bleibe insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten Besorgnis erregend. Obwohl von 2001 bis 2003 im Rahmen des PHARE-Programms 77 Mio. Euro Zuschüsse für Roma-Projekte in den damaligen Beitritts- und Kandidatenländern gewährt worden seien, müssten „noch viel mehr Ressourcen über eine lange Zeit zugeteilt werden, um tatsächlich Wirkung zu zeigen .“29 Abschließend ist noch das Jugend-Aktionsprogramm 2000-2006 im Bereich der Bildung zu nennen, dessen Aufgabe es war, durch transnationale Aktivitäten das interkulturelle Bewusstsein zu stärken und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu verbessern . Ein weiterer Schwerpunkt des Programms war die Verbesserung der Bildungsangebote für Roma, Sinti und Fahrende. Die spezifisch auf diese Gruppe gerichteten 26 Die EU-Kommission weist hier insb. auf die Richtlinien 2000/43/EG; 2000/78/EG; 2002/73/EG hin. Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 13. 27 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 14. 28 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 17. 29 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 18f. - 8 - Projekte versuchen vor allem, die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs und die Qualität der Bildung zu steigern, sowie interkulturelle Bildung und Dialog zu fördern. Außerdem werden durch das Programm Lehrerfortbildungen und die Ausbildung von Roma- Mediatoren finanziert.30 3.2. Im nationalen tschechischen Raum In den letzten Jahren sind auf nationaler Ebene seitens der tschechischen Regierung mehrere Maßnahmen zur Diskriminierungsbekämpfung und zur Verbesserung der Situation der Minderheiten eingeleitet worden. Seit 1968 beschäftigt sich der „Nationalitätenrat“ in beratender Funktion mit Minderheitsfragen im Allgemeinen. 1997 richtete die tschechische Regierung eine spezielle „Kommission für Angelegenheiten der Roma-Kommunität“ ein, welche die offizielle Politik der tschechischen Regierung gegenüber der Roma-Minderheit beurteilen, Daten erheben, Informationen zusammenstellen und die Kommunikation zwischen Regierung und Roma-Vertretern fördern soll. Die Regierung setzte der Kommission die Ziele, die hohe Arbeitslosigkeit unter den Angehörigen der Roma zu senken, ihre Sicherheit zu verbessern und Rückkehrer aus der Emigration zu reintegrieren. 1998 ergänzte der „Rat der Regierung der Tschechischen Republik für Menschenrechte“ die Arbeit der Kommission. Eine Sektion des Rates beschäftigt sich speziell mit Fragen und Problemen der Roma-Minderheit.31 Das Ziel der Regierungspolitik ist vor allem die Integration der Roma in die Gesellschaft.32 Die Umsetzung dieses Vorhabens stellt sich jedoch teilweise problematisch dar. Ein Beispiel dafür ist das Anti-Diskriminierungsgesetz aus dem Jahr 2004, welches im Jahr 2006 endgültig von der Abgeordnetenkammer wegen vorgeblicher Inhaltsleere und schwieriger Umsetzbarkeit abgelehnt wurde. Dieses Gesetz sollte die EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse33 umsetzen und die bisherige, aus über 60 Einzelgesetzen bestehende Gesetzgebung ersetzen.34 Diskriminierung ist laut Verfassung der Tschechischen Republik verboten. Verschiedene Ausbildungs- und Arbeitsgesetze setzen dies um. In der Praxis scheiterte die Umsetzung des Diskriminierungsverbotes jedoch oft an den unzureichenden Vollstreckungs- 30 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 27 31 Vgl. Harald Christian Scheu, S. 30. 32 Integration bedeutet in diesem Zusammenhang Beibehaltung der Kultur, der Traditionen, des historischen Bewusstseins und, soweit möglich, auch der Sprache der Minderheiten. Vgl. Scheu, S. 31. 33 Vgl. 2000/43/EG. 34 Vgl. REF, S. 18. - 9 - möglichkeiten. Meistens werden erfolgreiche Gerichtsverfahren, welche Diskriminierung zum Gegenstand haben, im Auftrag von Nichtregierungsorganisationen geführt. Derzeit findet die Berufung des Falles „D.H. und Andere gegen die Tschechische Republik “ vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof statt, in dessen Mittelpunkt die Diskriminierung von sechs Roma-Angehörigen in der Ausbildung steht.35 Die “Charta der Menschenrechte und Grundfreiheiten” (Charta)36 gewährt ein Recht auf Bildung für jedermann, nach dem jedem Bürger das Recht auf eine freie Ausbildung in der Grund- und Sekundärstufe und anschließend auf höhere Ausbildung zusteht , in Abhängigkeit von den persönlichen Fähigkeiten des Einzelnen sowie den vorhandenen öffentlichen Mitteln. Angehörige ethnischer Minderheiten haben nach der Charta sogar das Recht, ihre Ausbildung in ihrer eigenen Sprache zu erhalten.37 Im Januar 2005 trat ein neues Ausbildungsgesetz in Kraft, welches sich insbesondere dadurch von seinen Vorläufern unterscheidet, dass es den Blickwinkel mehr auf den Ausbildungsverlauf als auf die Ausbildungsinstitutionen richtet. Es sieht vor, Wechsel innerhalb des Schulsystems zu erleichtern, Schüler, die besonderer Förderung bedürfen, stärker zu integrieren und einen gleichberechtigten Zugang zur Bildung zu fördern. Hervorzuheben ist auch, dass das letzte Jahr der früher kostenpflichtigen Vorschule in die freie Schulausbildung an öffentlichen Schulen integriert wurde. Das Gesetz stärkt außerdem eine nationale Vereinheitlichung der Bildung, indem es die geltenden Rechte und Pflichten von Schülern und Studenten definiert, die zuvor dezentral durch interne Schulregeln festgesetzt werden konnten.38 4. Zur Bildungssituation für Roma-Kinder: Zwischen verbesserter Rechtslage und strukturellen Defiziten 4.1. Zur Lage der vorschulischen und schulischen Bildung In der Tschechischen Republik sind die Kinder zwischen sechs und fünfzehn Jahren schulpflichtig, der Kindergartenbesuch ist freigestellt. Kindergartenplätze werden zwar von der Regierung gefördert, jedoch wird von den Eltern zusätzlich eine Selbstbeteiligung verlangt. Von der mit dem Schulgesetz 2004 eingeführten Beitragsbefreiung des letzten Vorschuljahres wird ein positive Auswirkung auf die Bildungssituation der Roma -Kinder erwartet, da sie hierdurch besser auf die reguläre Grundschulausbildung vor- 35 Vgl. REF, S. 18. 36 Die Charta ist Bestandteil der Verfassung der Tschechischen Republik, siehe Fußnote 25 37 Vgl. REF, S. 27. 38 Vgl. REF, S. 28. - 10 - bereitet werden können. Jedoch nutzen viele Roma diese Chance mangels unzureichender Aufklärung nicht. Auch sind die weiterhin bestehenden Kosten für die Schulmahlzeiten für viele Roma-Familien oft nicht erschwinglich.39 Darüber hinaus wurden 2004 auch Vorbereitungsklassen für Kinder aus sozial benachteiligten Gruppen eingeführt. Jedoch wird diese Art von Vorbereitung nur ab einer bestimmten Klassengröße angeboten, so dass in weniger starken Jahrgängen diese Kurse nicht zustande kommen.40 Im Falle eines Zweifels an der Grundschuleignung eines Kindes wird ein sogenannter „Schulreifetest“ durchgeführt, der in tschechischer Sprache stattfindet und unter anderem verlangt, dass das Kind schon mit Stift und Papier vertraut ist. Da Roma-Kinder häufig einen Ethnodialekt sprechen, der den allgemeinen Standards der tschechischen Schrift- und Umgangssprache nicht entspricht, und der Umgang mit Stift und Papier in den Familien oft nicht gefördert wird, weisen sie häufig niedrige Testresultate auf, was vielfach in eine Sonderschulempfehlung mündet.41 Auf Sonderschulen können Kinder auch nachträglich geschickt werden, falls im weiteren Schulverlauf der Eindruck entsteht, dass ein Kind Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten aufweist.42 Nach dem Bericht des UN-Komitees zur Beseitigung jeglicher Form von Rassendiskriminierung aus dem Jahre 2004 befanden sich im Jahre 1999 etwa 75 % der Roma- Kinder auf Sonderschulen.43 Dieses System der Sonderschulen ist zwar 2004 offiziell abgeschafft worden, jedoch existieren weiterhin Schulen mit ähnlichem Konzept für Kinder mit nachgewiesenen Lerndefiziten.44 Auch Roma-Kinder in regulären Schulen werden oft in eigenen, qualitativ schlechteren Klassen unterrichtet.45 Laut REF verstärkt die lokale Segregation der Roma die schlechte Bildungssituation. Obwohl es generell keine Beschränkungen in der Schulwahl gibt, schicken Roma ihre Kinder mangels ausreichender Informationen in die nächstgelegenen Schulen.46 Auch können es sich viele Familien nicht leisten, ihre Kinder auf weiter entfernte Schulen zu schicken, oder sie befürchten die Diskriminierung ihrer Kinder in Schulen mit überwiegend Nicht-Roma-Schülerschaft.47 In Schulen mit einem hohen Anteil an Roma- 39 Vgl. REF, S. 26. 40 Vgl. REF, S. 23 41 Sonderschulen sind solche Einrichtungen, die Schüler mit Lerndefiziten aufnehmen. 42 Vgl. REF, S. 26. 43 Vgl. REF, S. 26. 44 Vgl. REF, S. 25. Im folgenden Text werden diese Schulen weiterhin als Sonderschulen bezeichnet, da sich de facto nichts verändert hat. 45 Vgl. OSI, S. 136 46 Vgl. REF, S. 10. 47 Vgl. REF, S. 33ff - 11 - Schülern setzt oft das Phänomen der sogenannten “white flight” ein. Dabei verlassen Angehörige anderer Ethnien den Schulbezirk oder melden ihre Kinder an anderen Schulen an, um ein Absinken des Ausbildungsniveaus für ihre Kinder zu verhindern. Da das Budget tschechischer Schulen jedoch von der Schüleranzahl abhängt, sind die Schulverwaltungen nicht an einer Abwanderung von Nicht-Roma-Schülern interessiert,48 was eine Ursache für die Bildung von speziellen Klassen für Roma-Schüler sein könnte. Kindern, die die Sondergrundschule absolviert haben, stehen kaum Möglichkeiten in der weiterführenden Bildung offen. Die meisten besuchen entweder technische Ausbildungszentren oder praxisorientierte Schulen, beides Schularten, die im Zuge des Sonderschulsystems aufgebaut worden waren.49 Nach Ansicht des Anthropologen Marek Jakoubek50 besteht eine zusätzliche Problematik darin, dass in der Gemeinschaft der Roma der schulischen Ausbildung kein hoher Stellenwert beigemessen werde. Dies lasse sich darauf zurückführen, dass es einen traditionellen Zusammenhalt gebe, der durch höhere Bildung und damit zusammenhängender Emanzipation des Einzelnen gefährdet werden könne. Zudem genieße in Roma- Kreisen die Vermittlung von kulturellen Werten und ethischen Normen durch die Älteren der Gemeinschaft ein höheres Ansehen als das in Schulen gelehrte Wissen51, auch weil viele glaubten, dass sogar gut ausgebildete Roma auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert würden.52 Deshalb werde dem Beitrag von Kindern und Jugendlichen zum Familieneinkommen oft ein höherer Stellenwert beigemessen als dem Schulbesuch .53 Die in der Regel schlechte finanzielle Situation der Roma behindert die Ausbildung der Kinder auch insofern, als die strikten Lehrpläne tschechischer Schulen oft die Hilfe der Eltern oder private Nachhilfe erfordern, was für Roma-Eltern beides nicht leistbar ist.54 Auch Ergebnisse der PISA-Untersuchungen in den Jahren 2000 und 2003 belegen, dass der sozioökonomische Status der Schüler großen Einfluss auf ihre Leistungen hat.55 Um Roma-Kinder aus sozial schwachen Familien zu fördern, stehen Kindern in regulären Schulen seit 2004 Stipendien des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport zur Verfügung. Für Roma-Schüler der höheren Sekundarstufe können Schulen ebenso Sti- 48 Vgl. REF, S. 21f. 49 Vgl. ERRC, Punkt 3.3. 50 Marek Jakoubek arbeitet an der Universität Pilsen. 51 Vgl. Radio Praha, Roma-Kultur: Familientradition als Problem?, www.romoveradio.cz/de/druck/2005. 52 Vgl. REF, S. 33 53 Vgl. Radio Praha, Kindheit, aus dem Artikel die traditionellen Lebensart der Roma, www.romove.radio.cz/de/druck/2707. 54 Vgl. REF, S. 35. 55 Vgl. REF, S. 31. - 12 - pendien beantragen. Der REF kritisiert jedoch, dass diese in nur geringem Umfang und nicht systematisch bewilligt würden und der Verwaltungsaufwand sehr groß sei. Außerdem können sich Roma-Schüler erfolgreichversprechend um Unterstützung durch NGOs und private Spender wie Verda Fund oder Slovo 21 bewerben.56 Von staatlicher Seite werde im Bildungssystem nicht ausreichend auf die Bedürfnisse und Traditionen der Roma eingegangen. So gebe es fast keine Roma-Lehrer, und auch in der Ausbildung von Lehrern und Rektoren würden Integrationsstrategien, Vielfältigkeit und Chancengleichheit nicht berücksichtigt.57 Diesem Missstand versuchte die Regierung durch die Einführung der Pädagogischen Assistenten im Jahre 1998 entgegenzuwirken . Die Assistenten sollen Schülern mit sozial schwachem Hintergrund helfen, im Schulalltag zurechtzukommen, den Lehrern im Bildungsauftrag assistieren und die Kommunikation und Kooperation zwischen Lehrern, Schülern und deren Familien unterstützen .58 Obwohl in der Tschechischen Republik offiziell der Unterricht für Angehörige von Minderheiten ab einer gewissen Anzahl in der jeweiligen Sprache angeboten werden muss, gibt es keine Unterrichtsangebote in Romanes.59 4.2. Empfehlungen des Roma Education Fund Der Roma Education Fund (REF) formuliert in seiner Länderstudie zur Tschechischen Republik einen strategischen Rahmen für die Verbesserung der Bildungssituation der Roma, der hier zusammenfassend wiedergegeben ist.60 Der REF priorisiert drei Bereiche, in denen Veränderungen stattfinden müssen: 1. Verbesserung des Zugangs zu bereits existierenden Programmen und Leistungen für Roma, einschließlich der Programme für Vorschule, Kindergarten, Vorbereitungskurse , Stipendien und andere Programme zur Unterstützung. 2. Effektivere Anwendung von EU-Mitteln zur finanziellen Unterstützung der Roma-Ausbildung. 3. Systematische Veränderungen in folgenden Bereichen, um Roma betreffende Ungerechtigkeiten zu beseitigen: 56 Vgl. REF, S. 27. 57 Vgl. REF, S. 10. 58 Vgl. REF, S. 27. 59 Begründet wird dies unter anderem damit, dass Roma nicht geographisch konzentriert lebten oder dass das Romanes nicht die Muttersprache der tschechischen Roma sei. 60 Vgl. REF, S. 43ff. - 13 - Vermeidung frühzeitiger Schulzuordnung und übermäßiger Konzentration von Roma-Kindern in Grundschulen Übergreifende Maßnahmen zur Vorbeugung von Segregation im gesamten Schulsystem, inklusive der Wohnungssegregation Evaluierung der Effektivität von Roma-unterstützenden Programmen Kooperation von Lehrern und pädagogischen Assistenten Laut des REF muss zum Erreichen dieser Ziele mit Interessenvertretern auf drei Ebenen zusammengearbeitet werden. Für jede Ebene werden konkrete Maßnahmen vorgeschlagen : Unterstützung der Roma-Kommunität: Eltern sollen in die Ausbildung ihrer Kinder involviert, von der Wichtigkeit von Bildung überzeugt, und die Kommunikation zwischen Eltern und Schulen soll ausgebaut werden; die Vorbildrolle von Roma-Schülern in höheren Klassenstufen soll hervorgehoben, die Vernetzung von Roma-NGOs und Experten im Bildungsbereich gestärkt werden. Unterstützung von Schulen und Behörden: Es sollen Anreize für Schulen geschaffen werden, qualifizierten Unterricht für Roma-Kinder einzurichten; Pädagogische Assistenten sollen mehr in den Schulablauf eingebunden werden; eine systematische Förderung von Roma-Kindern durch Vorbereitungskurse, außerschulischen Aktivitäten und Stipendien soll aufgebaut werden; ein glaubwürdiges und umfassendes Datenerhebungssystem über die Ausbildungssituation von Roma-Kindern soll in Zusammenarbeit mit Roma-NGOs und den kommunalen Institutionen eingerichtet werden. Weiterentwicklung der Bildungspolitik Bestimmungen wie die frühzeitige Schulzuordnung oder die de facto- Sonderschulbildung sollen überarbeitet werden; die Implementierungsmaßnahmen verschiedener Reformen sollen auf ihre Effektivität hin evaluiert werden; die Lehrerausbildung soll um die Bereiche Soziale Gerechtigkeit, Integration und Chancengleichheit ergänzt werden. - 14 - 5. Bildungsinitiativen zivilgesellschaftlicher Ansprechpartner Organisationen, die sich für die Belange der Roma einsetzen sind Slovo 21, Nova Skola , People in Need, Step by Step CR, League for Human Rights und The IQ Roma Service . Die Zivilgesellschaft fördert viele die Roma betreffenden politischen Vorhaben wie zum Beispiel die Einführung von pädagogischen Assistenten, Sozial- und Straßenarbeitern, die Unterstützung von Schülern und Studenten und die Recherche zu Diskriminierungsüberprüfungen und hilft bei deren praktischer Umsetzung.61 Hervorzuheben ist dabei die Rolle des REF, der aus sechs von der tschechischen Regierung vorgeschlagenen Projekten zwei ausgesucht und unterstützt hat. Zum einen errichtete der REF eine Expertenkommission, die Analysen des Bildungssystems durchführt, die Zusammenarbeit mit tschechischen Regierungsmitgliedern verstärkt und den National Development Fund bekannt machen soll, damit mehr finanzielle Unterstützung für die Ausbildung der Roma aufgebracht werden kann. Das zweite, von der Organisation Anthinganoi geleitete Projekt soll helfen, die von der Regierung erlassene Richtlinie zur multikulturellen Ausbildung in Grundschulen umzusetzen. Insgesamt investierte der REF rund 250.000 € in diese Programme in der tschechischen Republik.62 6. Abschließende Bemerkungen Zwei Jahre nach Beginn der Roma-Dekade zog die Initiative DecadeWatch Bilanz. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Roma-Aktivisten verschiedenster zivilgesellschaftlicher Gruppierungen und Wissenschaftler, die mit fachlicher und finanzieller Unterstützung des Open Society Institutes und der Weltbank in den Jahren 2005-2006 eigenständige Untersuchungen vorgenommen haben, um die Umsetzung der ehrgeizigen Ziele in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Dekade zu überprüfen und auf Erfolge wie auf Mängel hinzuweisen. Das Ranking bezieht sich auf die Kernbereiche Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheit, Wohnen und Diskriminierung. Zu diesem Zweck wurde ein von 0 bis 4 reichendes Punktesystem entwickelt.63 61 Vgl. REF, S. 19. 62 Vgl. REF, S. 43. 63 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 15. Erläuterung zum Punktesystem: 0: - 15 - Um einschätzen zu können, wo die Tschechische Republik im Rahmen der Dekadeaktivitäten steht, muss man die Vergleichsperspektive betrachten. Hier ist zusammenfassend folgendes festzustellen64: Zur regionalen Bilanz65 In allen Dekade-Ländern (Mazedonien ausgenommen) hat es in den letzten zwei Jahren „spürbaren Fortschritt“ gegeben. Decade Action Plans (DAPs) und ein entsprechender institutioneller Rahmen für ihre Umsetzung wurden geschaffen. Es mangelt in allen Ländern noch an Nachhaltigkeit der Initiativen. Die meisten Regierungen begreifen Roma-Inklusion als sporadische Aufgabe. Decade Watch plädiert hingegen für langfristige und kontinuierliche Strategien. Die institutionelle Verzahnung der unterschiedlichen Roma-bezogenen Arbeitseinheiten ist noch unzureichend, und Absprachen müssen besser koordiniert werden. Das gilt sowohl für die zentralstaatlichen Stellen wie auch für den Informationsfluss zwischen Hauptstätten und Provinzen bzw. lokalen Behörden. Für den Erfolg der Maßnahmen ist die Rolle der Gemeinden entscheidend. Dies muss stärker anerkannt werden. Sie müssen besser einbezogen werden. Die Umsetzung der Reformen auf lokaler Ebene muss besser kontrolliert werden . Positiv zu sehen ist die Einrichtung des Decade Trust Funds, aus dem eine Reihe von Gemeinschaftsaufgaben finanziert werden. Mit Ausnahme von Serbien und Montenegro zahlen alle Dekademitgliedsstaaten ein. Als größtes Hindernis auf dem Weg zu einer Implementierung der DAPs erweist sich der Mangel an zuverlässigem Datenmaterial, der die Bereiche Bildung , Arbeitsmarkt, Gesundheit und Wohnen umfasst. Erst umfangreiche, regelmäßig erhobene und differenzierte Daten ermöglichen die Überprüfung, ob die Implementierung begonnener Reformen erfolgreich ist. keine Handlung der Regierung. 1: Sporadische Maßnahmen, erste Schritte, aber keine regelmäßiges oder systematisches Vorgehen. 2: Regelmäßige, aber keine systematischen Maßnahmen; noch kein programmatischer Ansatz. 3: vorliegendes Regierungsprogramm, fortgeschrittene Handlungen, aber keine integrierte Politik (gemeint ist hier koordiniertes Handeln der verantwortlichen Stellen) 4: Integrierte Politik, die den Standard für Regierungshandeln und Verantwortlichkeit setzt. 64 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 18-20. 65 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 18-20. - 16 - DecadeWatch empfiehlt, Zwei-Jahres-Pläne einzuführen und verbindliche Zielvereinbarungen zu treffen. Die Agenda der Roma-Dekade muss von den Regierungen stärker als nationalstaatliche Angelegenheit verstanden werden. Diese Auffassung muss sich auch noch stärker in der Bevölkerung durchsetzen. Zur tschechischen Bilanz Innerhalb der Dekade-Länder liegt die Tschechische Republik im Mittelfeld (1,76 P) etwa gleichauf mit Bulgarien (1,84 P), der Slowakei (1,82 P), Rumänien und Kroatien (jeweils 1,70 P). Ungarn nimmt in der Gesamtbewertung den ersten Platz ein (2,29 P). Die Schlusslichter bilden Mazedonien (1,37 P), Serbien (1,24 P) und Montenegro (0,63 P). Ende 2006 hatten die meisten Dekade-Länder DAPs mit einer Zehn- Jahresperspektive angenommen, deren Ausgestaltung stark variiert. Allerdings ist die Effektivität in Bezug auf die Beeinflussung der Politik mangels eindeutiger Indikatoren und Quellen sowie ernstzunehmender Fristen und Ziele zweifelhaft . Die Tschechische Republik und die Slowakei veröffentlichten bisher als einzige Länder ihre Umsetzungserfolge - Tschechien gibt sogar jährlich einen Bericht über die Implementierung und Fortschritte heraus. Insgesamt führt die Tschechische Republik in diesem Ranking (2,3 P). Hinsichtlich der Schaffung eines effizienten institutionellen Rahmens liegt die Tschechische Republik im Mittelfeld (2,75 P) gleichauf mit Kroatien. Beurteilt wurde hier, ob die Länder geeignetes Personal ausgebildet haben, welchen Rang die Mitarbeiter besitzen, welche Kompetenzen diese haben, ob die Koordination der Aktivitäten gut funktioniert, ob das Land in den Decade Trust Fund einzahlt und ob es an den Treffen des International Decade Steering Committee teilnimmt . Angeführt wird dieses Ranking durch Ungarn (3,13 P) und die Slowakei (2,94 P), die Verlierer sind Serbien (1,25 P) und Montenegro (0,50 P). Im Bereich der Bildung belegt die Tschechische Republik den vorletzten Platz (1,0 P), nur noch gefolgt von Mazedonien (0,80 P). Führend sind in diesem Sektor Ungarn (3,80 P) und Rumänien (2,40 P). Das relativ niedrige Ranking lässt nicht nur auf mangelnde Fortschritte schließen, sondern hat u. a. mit den Beurteilungskriterien zu tun (bspw. dem Fehlen Roma-bezogener Bildungsdaten ). Bei der Begleitung der Reformen wird die positive Rolle des Roma Education Funds erwähnt. - 17 - Im Hinblick auf die Umsetzung einer EU-konformen Anti-Diskriminierungspolitik liegt die Tschechische Republik zusammen mit Kroatien und Serbien auf dem vorletzten Rang (jeweils 1,00 P). Die Liste wird von Ungarn (4,00 P), Bulgarien und Rumänien (jeweils 3,5 P) angeführt. Durchschnittlich erreichte die Tschechische Republik bis auf eine Ausnahme mittelmäßige bis schlechte Werte im Vergleich zu den anderen Dekade- Ländern. - 18 - 7. Literaturverzeichnis Decade Watch (2007). Roma Activists Assess the Progress of the Decade of Roma Inclusion. (http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf (dl. 11.07.07). European Roma Rights Center (1999). Roma and Schools for Mentally Handicapped in the Czech Republic. Europäische Kommission (2004). Die Situation der Roma in der erweiterten Europäischen Union. http://ec.europa.eu/employment_social/publications/2005/ke6204389_de.pdf (dl. 11.07.07). Open Society Institute (2001). Minority Protection in the Czech Republic http://www.eumap.org/reports/2001/minority/sections/czech/minority_czech.pdf (dl. 12.07.2007). Radio Praha. Die Geschichte der Roma auf dem Gebiet der Tschechischen Republik. http://romove.radio.cz/de/artikel/19382 (dl. 28.06.2007). Roma Education Fund (2007). Advancing Education of Roma in the Czech Republic. http://www.romaeducationfund.hu/ (dl. 06.07.2007). Scheu, Harald Christian (2000). „Die rechtliche und soziale Stellung der Roma in der Tschechischen Republik“, Europa Ethnica (57), 2000. - 19 - UNDP. Human Development Report Czech Republic 2003. http://hdr.undp.org/docs/reports/national/CEH_Czech_Republic/Czech_Republic_2003 _en.pdf (dl. 11.07.07).