Zur Situation der Roma-Kinder in Rumänien unter besonderer Berücksichtigung der Bildungssituation - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000-105/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Situation der Roma-Kinder in Rumänien Ausarbeitung WD 2 – 3000-105/07 Abschluss der Arbeit: 31. August 2007 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + email: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 5 2. Zur Entwicklung der sozioökonomischen Lage der Roma-Minderheit in Rumänien 6 2.1. Demographische Entwicklung im Transformationsprozess 6 2.2. Rahmenbedingungen für die Startchancen der Roma-Kinder 8 3. Zu den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf Bildungschancen und Minderheitenschutz 9 3.1. Im europäischen Rahmen 9 3.2. Im nationalen rumänischen Rahmen 10 4. Zur Bildungssituation für Roma-Kinder 11 4.1. Entwicklung des rumänischen Bildungssystems 11 4.2. Vorschulische und schulische Bildung 13 4.3. Empfehlungen des Open Society Institutes 15 5. Abschließende Anmerkungen 17 6. Literaturverzeichnis 20 - 4 - 1. Einleitung Die Lebenssituation der Roma in Rumänien glich bis zur Auflösung der Sowjetunion im Wesentlichen derjenigen anderer Roma-Stämme in Ländern des damaligen Ostblocks. Angesichts eines großen Arbeitskräftebedarfs fanden in den 1960er und 70er Jahren viele Roma dauerhafte Beschäftigung vor allem im produktiven Sektor, so dass sie zur damaligen Zeit als vergleichsweise, wenn auch in bescheidenem Maße, gesellschaftlich integriert gelten konnten. Infolge der geburtenfördernden Politik von Staats- und Parteichef Ceausescu war die Geburtenrate der Roma-Familien sehr hoch. Der in den 80er Jahren einsetzende wirtschaftliche und soziale Verfall im Ostblock bis zu dessen schließlicher Auflösung und dem Beginn der Transformationsprozesse traf die Roma in Rumänien – wie in den Nachbarländern – mit besonderer Wucht: als ehemals angelernte Arbeitskräfte waren sie nicht nur überdurchschnittlich vom Verlust ihrer Arbeitsplätze und Erwerbseinkommen betroffen (s. 2.), sondern darüber hinaus der nun vehement hervorbrechenden ethnisch motivierten Ablehnung durch die rumänische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt. Ein Prozess von negativen Rückkopplungsschlaufen ging in eine neue Runde: Armut, gesellschaftliche Ablehnung, bildungsfernes Milieu, keine Ressourcen , um Bildungsbarrieren zu überwinden, Konzentration in ländlichen Regionen mit schlechter Infrastruktur. Heute ist Rumänien eines von neun Teilnehmerländern an der von 2005 – 2015 projektierten „Dekade der Roma-Integration“, welche in Zusammenarbeit mit Stiftungen und der Weltbank ehrgeizige Ziele zur Überwindung der gesellschaftlichen Ausgrenzung der Roma-Population verfolgen, insbesondere in den Bereichen Bildung, Wohnen, Beschäftigung und Gesundheit. Die Initiative, an der neben Rumänien außerdem Bulgarien , Kroatien, Tschechische Republik, Ungarn, Mazedonien, Serbien, Montenegro und die Slowakei teilnehmen, wird von der Europäischen Kommission, dem Europarat und UNDP unterstützt. Bereits 1998 rückte die rumänische Regierung die Situation der Roma verstärkt in den Blickpunkt ihrer politischen Agenda, und im April 2001 wurde mit der Verordnung Nr. 43/2001 „Strategie zur Verbesserung der Situation der Roma“ die erste Regierungsinitiative gestartet, die sich mit den Problemen der Roma-Minderheit befasst.1 Zwei aktuelle Studien aus dem Jahr 2007 evaluieren die Bemühungen und Aktivitäten, die in den vergangenen Jahren in Rumänien unternommen wurden, um insbesondere die 1 vgl. Costel Bercus, Die Situation der Roma in Rumänien, 2005, S. 30; Costel Bercus ist einer der Vertreter der neuen Generation von Führungspersönlichkeiten der ROMA. - 5 - strukturelle Benachteiligung von Roma-Kindern und –Jugendlichen im Bildungswesen abzubauen: „Advancing Education of Roma in Romania“, herausgegeben von der Country Assessment and the Roma Education Fund’s Strategic Directions (im folgenden : REF), und „Equal access to quality education for Roma. Romania“, herausgegeben durch das Open Society Institute (OSI). Eine vergleichende UNICEF-Studie über die Lage der „Roma-Kinder in Europa“ liefert ebenfalls neuere Daten über die junge Roma-Generation in Rumänien.2 Die Ausarbeitung stützt sich im Wesentlichen auf diese Studien. 2. Zur Entwicklung der sozioökonomischen Lage der Roma-Minderheit in Rumänien 2.1. Demographische Entwicklung im Transformationsprozess Bei der Volkszählung 1992 bezeichneten sich 409 723 Menschen, d.h. 1,8 % der Gesamtbevölkerung als sogenannte „Zigeuner” gegenüber 89,4 % ethnischen Rumänen an der Gesamtbevölkerung; 1992 lebten außerdem 1 624 959 Ungarn (2,1 %), 119 462 Deutsche (0,5), 65 764 Ukrainer (0,3 %) und 8 955 Juden (0,04 %) in Rumänien. Eine neuere Erhebung von 2002 verzeichnet einen Bevölkerungsrückgang um 5 %, wobei jedoch der Anteil der Roma-Bevölkerung mit 535 250 auf 2,5 % gestiegen ist3. Inoffizielle Schätzungen kommen allerdings zu einer deutlich höheren Anzahl von Roma. Die Europäische Kommission ging 2003 von 1,8 Mio. bis 2,5 Mio. Roma in Rumänien aus, das bedeutet 8,3 % bis 11,5 % der gesamten in Rumänien lebenden Bevölkerung . 2002 lebten 52,7 % der rumänischen Bevölkerung in städtischen, 47,3 % in ländlichen Regionen. Die Diskrepanz zwischen offiziell erhobenen und geschätzten Daten ist für alle europäischen Staaten kennzeichnend, in denen Roma leben. Das Dilemma der rumänischen Regierung besteht darin, dass sie einerseits dem Prinzip der Freiwilligkeit der ethnischen Selbstidentifikation bei Volkszählungen verpflichtet ist und dem völkerrechtlichen Verbot des Sammelns ethnisch kodierter Bevölkerungsdaten unterliegt. Andererseits fehlen diese Daten (wie z.B. Geburtenrate, Schulbesuch, Arbeitslosigkeit , Krimininalität) als Planungsgrundlage für wirksame Strategien zur 2 Außer in Rumänien wurde die Lage der Roma-Kinder in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien , Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien durch UNICEF untersucht. 3 Vgl. Costel Bercus, S. 30 - 6 - Überwindung von Diskriminierung, Ausgrenzung und Marginalisierung4. Welche Folgen das Fehlen verlässlicher Basisdaten für die Förderung von Kindern am Rande der Gesellschaft hat, benennt UNICEF: „Data availability and data quality are among the major challenges facing this report. Poor and excluded children are overlooked in statistics and official data (…) The limited data available supports the assumption that the health and nutrition of poor and particularly Roma children is considerably worse than that of their less disadvantaged peers.”5 Roma gehören zu den Verlierern der nach 1989 angelaufenen Transformationsprozesse . Zwischen 1980 und 1990 standen 45% der Roma in Rumänien in einem festen Arbeitsverhältnis, viele darunter als angelernte Arbeitskräfte in der Produktion. Nach der Wende wurden 75 % bis 80 % von ihnen arbeitslos. Die Gründe für die besondere Betroffenheit der Roma vom Verlust ihrer bisherigen Existenzsicherungsmöglichkeiten liegen im Aussterben traditioneller Roma-Berufe, dem rezessionsbedingten Abbau von Arbeitsplätzen in Bauwesen und Industrie, der Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und der darauffolgenden Benachteiligung bei der Bodenrestitution .6 Nachdem die Roma-Bevölkerung während der Ceausescu-Ära durchaus als in Ansätzen und in bescheidenem Maße integriert bezeichnet werden kann7, erfolgte mit dem Einsetzen der für die Gesamtbevölkerung von Einbußen beim Lebensstandard begleiteten Transformationsprozesses wiederum ein völliger Ausschluss aus der Gesellschaft . Viele der als erste aus ihren angelernten Beschäftigungsverhältnissen freigesetzten Roma verlegten sich auf Geschäfte der Schattenwirtschaft oder Kriminalität (v.a. Schwarzhandel mit Zigaretten, Devisen, Getränken). In dieser Umbruchsituation, die neben allen sozioökonomischen Problemen für die ethnische Gruppe der Roma zusätzlich durch das Aufbrechen der unter dem Sozialismus offiziell verpönten, gleichwohl vorhandenen rassistischen Ressentiments der rumänischen Bevölkerung prekär wurde, ist es nicht gelungen, sich politisch wirkungsvoll als Roma zu positionieren. Obwohl neben der sozialdemokratischen Roma-Partei eine 4 Vgl. Anneli Ute Gabanyi, Die Roma im EU-Erweiterungsprozeß: Fallbeispiel Rumänien, SWP- Studie 2001 (im folgenden: SWP), S. 9 5 UNICEF, Breaking the Cycle of Exclusion. Roma Children in South East Europe, S. 10; an anderer Stelle wird auf die deutschsprachige Zusammenfassung der Studie “Roma-Kinder in Europa“ Bezug genommen. 6 vgl. SWP, S. 17 7 Die Assimilationspolitik unter der sozialistischen Herrschaft war durchaus ambivalent, einerseits „wurden (sie) zu sozialer Anpassung und Assimilation gezwungen, zugleich aber wurden sie formal in die Gesellschaft dieser Staaten integriert und in deren soziale Sicherheitssysteme eingebunden.“ SWP, S. 12 Der ungarische Roma-Experte András Biró bewertet diese Integration der Roma in den Arbeitsprozess als „einen fundamentalen Wandel: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte beziehen sie ein regelmäßiges Einkommen, sie genießen die Sozial- und Krankenversicherung usw.“, ebd. - 7 - Vielzahl unterschiedlicher Roma-NGOs existiert, treten diese auf der gerade im Bildungsbereich wesentlichen kommunalen Ebene nicht wirksam in Erscheinung. Zwei Drittel aller Roma in Rumänien leben unterhalb des Existenzminimums von 100 € im Monat (gegenüber einem Viertel aller Bewohner Rumäniens); ein Drittel leben in regelrechten Ghettos bei einer pro-Kopf-Wohnfläche von 14 qm (gegenüber 32 qm bei Nicht-Roma-Rumänen).8 REF führt die weit überdurchschnittliche Armutsrate der Roma-Bevölkerung auf eine Kumulation ungünstiger Faktoren zurück: schlechter Gesundheitszustand , niedriges Bildungsniveau, geringe Möglichkeiten, am Arbeitsmarkt zu partizipieren, faktische Diskriminierung sowie eine Konzentration in ländlichen Gebieten mit entsprechend weniger Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten.9 Die aus zahlreichen Untergruppen bestehende Roma-Bevölkerung Rumäniens ist über das gesamte Land verteilt mit Konzentrationen auf die zentral gelegenen Regionen Brasov, Sibiu und Mures, die westlichen Regionen Satu Mare, Slalj, Bihor und Arad sowie die Gegenden Dolj und Mehedinti im Süden Rumäniens. Schätzungsweise 40,9 % bis 60 % 10 unter ihnen sprechen Romanes, 54,3 % Rumänisch, 4,7 % Ungarisch. Sie gehören der russisch-orthodoxen Religion an. 2.2. Rahmenbedingungen für die Startchancen der Roma-Kinder Der Start in ein Leben in Armut und mit schlechten Lebenschancen ist Roma-Kindern buchstäblich in die Wiege gelegt: Lauf UNICEF leiden 53% der Roma-Mütter an Hunger während der Schwangerschaft gegenüber 9% der übrigen Bevölkerung; ihre Kinder haben gehäuft ein niedriges Geburtsgewicht von unter 2.500 g11. Struktureller Ausdruck der über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegenden Armut ist auch der hohe Anteil an Roma, die von staatlichen Transfers leben: allein 66,2 % der Roma-Haushalte leben von Leistungen des Familienlastenausgleichs, weitere 9,5 % von Arbeitslosenunterstützung. Werden diese Daten zur Abhängigkeit von Sozialtransfers ins Verhältnis gesetzt zur gesamten Altersstruktur, so wird die dramatische Bedeutung von Bildungsanstrengungen für die Roma-Bevölkerung besonders deutlich: bei einem Durchschnittsalter von 25 Jahren ist jeder dritte Roma 14 Jahre alt oder jünger. Mit dem Fehlen von Erwerbs- 8 vgl. ebd. 9 Vgl. REF, Country Profile, S. 14 10 Diese erhebliche Diskrepanz geht auf unterschiedliche Schätzungen durch UNICEF und REF zurück . 11 Vgl. UNICEF, Zusammenfassung - 8 - einkommen der Eltern aus regulärer Tätigkeit fehlen entsprechend auch Rollenvorbilder erfolgreicher Erwachsener, welche den Stellenwert von Schul- und Berufsbildung an die nachwachsende Roma-Generation weitervermitteln könnten. Eine besondere Problemgruppe innerhalb der Roma-Kinder stellen diejenigen dar, die ohne familialen Zusammenhang in Kinderheimen leben, obwohl sie mehrheitlich mindestens noch ein Elternteil haben. Nach Schätzungen gehört jedes zweite bis dritte der etwa 40.000 in Heimen platzierten Kinder der Volksgruppe der Roma an, genaue Daten hierüber liegen nicht vor.12 Aufgrund der äußerst kargen Ausstattung staatlicher Institutionen und der emotionalen Vernachlässigung von Heimkindern sind diese beim Eintritt in das Erwachsenenalter noch weniger auf dessen Anforderungen vorbereitet als gleichaltrige Roma, die in Familienverbänden heranwachsen. 3. Zu den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf Bildungschancen und Minderheitenschutz 3.1. Im europäischen Rahmen Die EU-weite Bekämpfung von Diskriminierungen und Rassismus wurde mit der Annahme einiger Richtlinien zum Artikel 13 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nach den Änderungen des Vertrages von Amsterdam verbessert. Eine herausgehobene Bedeutung kommt der Richtlinie 200/43/EG zu, bei der es um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft geht. Als mögliche Anwendungsbereiche werden explizit Beschäftigung , Bildung, Berufsausbildung, Sozialschutz, Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie Wohnraum genannt.13 Des Weiteren hat die EU ein Aktionsprogramm zur „Bekämpfung von Diskriminierungen (2000-2006)“ verabschiedet , für das die Generaldirektion Beschäftigung und Soziales verantwortlich war. Einer der Prioritätsbereiche zielte laut Kommissionsbericht auf die Integration von Roma im Bereich der Bildung und der Beschäftigung.14 Neben dem rechtlichen Rahmen, der Roma als Berufungsgrundlage für eine bessere Integration gelten kann, gibt es zwei Teile des EU-Strukturfonds, die allen von Benach- 12 UNICEF: Rumänien: Kindern das Leben im Heim ersparen 13 Die EU-Kommission weist hier insb. auf die Richtlinien 2000/43/EG; 2000/78/EG; 2002/73/EG hin. Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 13. 14 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 14. - 9 - teiligungen betroffenen Minderheiten zugute kommen können: Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Europäische Sozialfonds (ESF). Hinzu kommt die Gemeinschaftsinitiative EQUAL, die aus den Mitteln des ESF bezahlt wird. Ziel von EQUAL ist es, neue Instrumente bei der Bekämpfung von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen oder bewährte Mittel auszubauen. Mit Hilfe von sog. Entwicklungspartnerschaften wurden Projekte realisiert, die einer besseren Integration von ethnischen Minderheiten dienen sollten. Einige Projekte wandten sich direkt an Roma, wie z.B. das deutsche Projekt „Roma und Sinti durch Selbstorganisation zu Beschäftigung und Existenzsicherung“.15 Die Generaldirektion Bildung und Kultur hat die Diskriminierung von Roma mehrfach aufgegriffen, u.a. in einer Entschließung des Rates vom 22. Mai 1989 zu einer verbesserten schulischen Betreuung der Roma, Sinti und der Fahrenden. Fünfzehn Jahre nach der Entschließung kam die Generaldirektion für Beschäftigung und Soziales zu dem Urteil, dass „derartige Dokumente oder die Aktionsprogramme der Gemeinschaft Sokrates II oder Leonardo da Vinci noch zu keinen signifikanten Änderungen in Bezug auf die Bildung von Roma geführt“ haben. Die Situation der Roma bleibe insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten Besorgnis erregend. Obwohl von 2001 bis 2003 im Rahmen des PHARE-Programms 77 Mio. Euro Zuschüsse für Roma-Projete in den damaligen Beitritts- und Kandidatenländern gewährt worden seien, müssten „noch viel mehr Ressourcen über eine lange Zeit zugeteilt werden, um tatsächlich Wirkung zu zeigen.“16 Abschließend ist noch das Jugend-Aktionsprogramm 2000-2006 im Bereich der Bildung zu nennen, dessen Aufgabe es war, durch transnationale Aktivitäten das interkulturelle Bewusstsein zu stärken und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu verbessern. Ein weiterer Schwerpunkt des Programms war die Verbesserung der Bildungsangebote für Roma, Sinti und Fahrende. Die spezifisch auf diese Gruppe gerichteten Projekte versuchen vor allem, die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs und die Qualität der Bildung zu steigern sowie interkulturelle Bildung und Dialog zu fördern. Außerdem würden durch das Programm Lehrerfortbildungen und die Ausbildung von Roma-Mediatoren finanziert.17 3.2. Im nationalen rumänischen Rahmen Die rechtlich garantierten Zugangsvoraussetzungen für Roma-Kinder in Rumänien sind sowohl in der Verfassung als auch im nationalen Bildungsgesetz festgeschrieben und 15 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 17. 16 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 18f. 17 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 27 - 10 - frei von ethnisch motivierten Diskriminierungen. Das Recht auf Bildung ist ebenso eindeutig verankert wie die gleichberechtigten Zugangsmöglichkeiten zur Bildung für jedermann , ohne Rücksicht auf Rasse, ethnische Zugehörigkeit und soziale Herkunft. Darüber hinaus ist Rumänien das einzige Land Europas, in dessen Parlament ein Roma als Vertreter einer Roma-Partei einen für diese Minderheit reservierten Sitz innehat18; auch hat Rumänien mehrere internationale Abkommen zum Minderheitenschutz unterzeichnet . 2001 verabschiedete die rumänische Regierung die „Strategie zur Verbesserung der Situation der Roma“, deren Ziel darin besteht, die Folgen von Diskriminierung und Marginalisierung der Roma zu überwinden und optimale Lösungen für ihre Schwierigkeiten zu finden. Der Plan wurde auch von den politischen Roma-Vertretern, die in den Entstehungsprozess mit eingebunden waren, sehr positiv bewertet.19 Die Regierungsstrategie konzentriert sich auf zehn Aktionsbereiche mit jeweiligen Maßnahmenkatalogen: öffentliche Verwaltung und Gesellschaftsentwicklung, Wohnen, soziale Sicherheit, Gesundheit, Wirtschaft, Recht und öffentliche Ordnung, Schutz von Kindern, Bildung, Kultur und Kulte, Kommunikation und bürgerliche Beteiligung. Im Bereich der Bildung sieht die Strategie eine positive Diskriminierung der Roma im Schul- und Hochschulwesen vor. An Gymnasien und Hochschulen stehen ihnen landesweit Plätze zur Verfügung, um die sie nur untereinander in Wettbewerb treten müssen. Im Jahr 2001 wurde die aus diesem seit 1993 laufenden Förderprogramm hervorgegangene Elite junger Roma zwischen 26 und 28 Jahren auf etwa 400 Personen, darunter drei Viertel Frauen, geschätzt.20 4. Zur Bildungssituation für Roma-Kinder 4.1. Entwicklung des rumänischen Bildungssystems Bereits 1998 wurden bei den Ministerien für Arbeit und Sozialfürsorge, Gesundheitsheitsministerium , Kulturministerium und Unterrichtsministerium und auf regionaler Ebene Abteilungen und Planstellen für Roma-Fragen eingerichtet. 1999 setzte das Unterrichtsministerium auf Ebene der Kreise und der Hauptstadt Bukarest Schulinspektoren für Roma-Fragen ein. Es wurden Schulbücher und Textsammlungen gedruckt und 18 Vgl. SWP, S. 24 19 Vgl. SWP, S. 26, und DecadeWatch, S. 111f. 20 Vgl. ebd., S. 25 - 11 - neue Curricula ausgearbeitet, die der Kultur und Geschichte der Minderheiten – darunter auch der Roma – Raum geben.21 Im Rahmen des Projektes „Improving Roma Education – Focus Romania“ des EU- Stabilitätspaktes für Südosteuropa werden fünf Versuchsschulen gefördert, an denen junge Roma neben rumänischem auch muttersprachlichen Unterricht erhalten und besonders gefördert werden. Insgesamt werden in Rumänien weitaus seltener Schüler in Schulen für lern- oder geistig behinderte Kinder überwiesen als in anderen Transformationsländern . Auch die Trennung der Roma-Schülern vom Regel-Unterricht wird so weit als möglich vermieden. Als Ausgleichsmaßnahme für ihr soziales Handicap werden für junge Roma Plätze an Gymnasien sowie Studienplätze an bestimmten Universitäten des Landes freigehalten22. Das politische Ziel, langfristig eine Elite junger Roma auszubilden und zu entwickeln, wird durch eine Vielzahl koordinierender Maßnahmen flankiert. So hat das Bildungsministerium auf nationaler und regionaler Ebene Bildungsinspektoren eingesetzt, die sich speziell um Schulen mit Roma-Schülern kümmern sollen. Außerdem hat die Regierung Unterrichtsmaterial über die Kultur und Geschichte der Roma herausgegeben und Lehrerfortbildungen für den Umgang mit Roma entwickelt . Der Anteil von Roma am Lehrpersonal soll erhöht werden. Das rumänische Bildungssystem durchläuft einen Mitte der 1990er Jahre begonnenen und seit Ende 2005 forcierten Dezentralisierungsprozess, der neben der Stärkung der Länder- und Kommunalebene auch eine größere Autonomie der Schulen zum Ziel hat. Nach den Zielen der Regierung soll dieser Dezentralisierungsprozess bis zum Schuljahr 2009/2010 landesweit abgeschlossen sein. Nachdem zunächst die Implementierung der auf den verschiedenen Ebenen hierfür erforderlichen Entscheidungsgremien stattgefunden hat23, soll der dezentrale Ansatz inhaltlich sukzessive auf die Bereiche Curriculum, Evaluation und Zertifizierung, personelle Ressourcen, Netzwerke, Management und Verwaltung, Finanzierung, Monitoring und Controlling angewandt werden. Mit der hiermit verbundenen Aufwertung der lokalen Entscheidungsträger befürchten Beobachter die fundierte Gefahr, dass Roma-Kinder die Leidtragenden dieser Entwicklung sein werden, da sie – im Gegensatz zu der nicht-diskriminierenden Grundhaltung zentralstaatlicher Bildungspolitik – direkt den Entscheidungen und dem Einfluss lokaler Ak- 21 Vgl. SWP, S. 24, und REF, S. 44 22 Laut einer Verordnung des Ministeriums für Bildung und Forschung mussten ab 1998 149 Plätze für Roma-Studenten an 8 Universitäten, 2000/2001 an 23 Universitätszentren 373 Plätze, 2001/2002 an 29 Universitäten 397 Plätze und 2002/2003 an 37 Universitäten 422 Plätze für Roma-Studenten zur Verfügung gestellt werden, vgl. Costel Bercus, S. 38, und SWP, S. 25 23 Eine tabellarische Darstellung der staatlichen Organe im Erziehungssystem und ihrer Funktion findet sich in REF, S. 26f. - 12 - teure wie Schuldirektoren, Elternvertreter und Organisationen mit vorurteilsbehafteten und diskriminierenden Haltungen ausgesetzt sind.24 4.2. Vorschulische und schulische Bildung Kinder, die in einer bildungsfernen Umgebung aufwachsen, sind besonders auf vorschulische Vorbereitung angewiesen, um Defizite der frühkindlichen Sozialisation möglichst vor Eintritt in die offizielle Bildungslaufbahn kompensieren zu können. Laut UNICEF- Studie besuchen 17% der Roma-Kinder Vorschule oder Kindergarten im Vergleich zu 76% aller anderen Drei- bis Sechsjährigen in Rumänien, wodurch der weitaus größte Teil der jungen Roma bereits bei der Einschulung schlechtere Ausgangschancen hat als die rumänischen Kinder derselben Alterskohorte. UNICEF nennt deshalb das Ziel, 80% der Roma-Kinder sollten in gute Vorschule gehen, als das entscheidende Schlüsselelement, um ihre schulische Integration zu erhöhen und den Teufelskreis aus einer erfolglosen Bildungskarriere und damit einhergehender schlechter Berufsaussichten durchbrechen zu können. 25 Costel Bercus spricht von einer „de facto Segretation“ der Roma im Bildungssystem, da sie trotz der auf Integration ausgerichteten Bildungspolitik auf lokaler Ebene in eigenen Klassen oder Schulen konzentriert werden mit der Folge, dass die Bildungsqualität deutlich schlechter ist als in Klassen mit mehrheitlich Nicht-Roma-Schülern.26 Rumänien verfügt über ein komplexes Parallelsystem an speziellen Grundschulen und weiterführenden Schulen für Kinder mit physischen und geistigen Handicaps, deren Besuch aufgrund des reduzierten Curriculums (z.B. ohne Fremdsprachen) eine weiterführende Bildungslaufbahn faktisch ausschließt. Der Anteil von Roma-Kindern, die unmittelbar in solche Schulen ersteingeschult wird, liegt nach Angaben des European Roma Rights Centre bei 70 % bis 90 %.27 Erschwerend komme hinzu, so Bercus und REF, dass die rumänische Regierung leugne, dass ein so hoher Prozentsatz der Kinder von definitiven Weichenstellungen betroffen ist, und dieses Problem somit auch nicht als Handlungsfeld staatlicher Bildungspolitik thematisiert werde. 24 Vgl. REF, S. 27 25 UNICEF finanziert in Rumänien Tutoren und Sommerkurse für Roma-Kinder zur Vorbereitung auf das neue Schuljahr und ermutigt Kinder, die den Schulbesuch abgebrochen haben, zur Rückkehr; vgl. UNICEF-Zusammenfassung 26 vgl. Costel Bercus, S. 40 27 vgl. REF. S. 37; „The majority of Roma children who attend special schools suffer from a socialcultural handicap; they belong to a sub-culture, living in an environment of poverty, promiscuity, and illiteracy, which prohibits a normal physical and intellectual development.“ The European Roma Rights Centre, zitiert ebd. - 13 - Eine UNDP-Studie von 2005 belegt, dass die Schulbesuchsdauer von Roma-Kindern weiterhin deutlich kürzer ist als die der rumänischen Mehrheitsbevölkerung. Liegt der Anteil beschulter Roma mit 9 Jahren noch bei 85 % im Vergleich zu 100% der Rumänen , verändert sich das Verhältnis bei Zwölfjährigen auf 72 % zu 88 % hin zu den 15- jährigen auf 55 % Roma zu 88 % Rumänen, die die Schule besuchen. Der Anteil an Schülern, die in der Altersgruppe 12 Jahre und älter vier Schuljahre vollendet hatten, beträgt innerhalb der rumänischen Bevölkerung 94,4 %, innerhalb der romanischen weniger als die Hälfte (46 %).28 In der Altersgruppe der 16 - 19jährigen Roma besuchen 12 % bis 20 % weiterführende Schulen.29 Bis zu 20 % der Roma besuchen Schulen, an denen mehr als 50 % der Schüler ebenfalls Roma sind. Hohe Anteile an Roma-Schülern wiederum korrelieren mit Faktoren, die zu schlechteren Lernbedingungen führen, als sie im Landesdurchschnitt gegeben sind: überfüllte Klassen, schlechtere Lehrmittelausstattung, weniger qualifizierte Lehrer.30 Der Anteil nicht eingeschulter Roma-Kinder beträgt 34 %31, womit sie 80 % aller nichtbeschulten Kindern Rumäniens stellen; 2002 wurde eine Analphabetenquote von 2,6 % für die Gesamtbevölkerung ermittelt, für die Roma lag sie mit 25,6 % zehnmal so hoch. Als Gründe dafür, warum in Rumänien, das offiziell keine Politik der Segregation von ethnischen Minderheiten betreibt, gleichwohl eine deutliche de facto-Trennung der jungen Romageneration innerhalb des Bildungssystems existiert, nennt REF die ungünstige Kumulation unterschiedlicher Barrieren: Vorschulplätze sind nicht kostenfrei und somit für Roma-Eltern nicht erschwinglich, knappe Kapazitäten berufstätigen Eltern vorbehalten. Die Einschulung in die Grundschule scheitert für ca. 5% aller Roma-Kinder an ihrer fehlenden offiziellen Registrierung , die hohen Abbrecherquoten sind u.a. auf fehlende Straßen und öffentliche Transportmittel und auf für Roma-Eltern unerschwingliche direkte (Schulbedarf) oder indirekte Kosten32 für den Schulbesuch zurückzuführen. Der in Verfassung und nationaler Gesetzgebung formulierten Gleichberechtigung zum Trotz werden die Bildungschancen von Roma an entscheidenden Schlüsselstellen konterkariert : „Discrimination is present in all processes where personal judgement can 28 Die Ergebnisse der UNDP-Studie Faces of Poverty 2005 sind wiedergegeben bei REF, S. 38 29 Vgl. UNICEF (Zusammenfassung) 30 vgl. ebd.; ebenso siehe die zuammenfassende Darstellung in REF, S. 40f. 31 vgl. ebd. 32 Unter indirekten Kosten ist insbesondere der „Verdienstausfall“ zu verstehen, der den Familien dadurch entsteht, dass ältere Kinder die Schule besuchen, anstatt innerhalb oder außerhalb des Haushaltes zu arbeiten. - 14 - influence decision making in the education system, and it is the main factor contributing to a difficult environment in schools.“33 Die große soziale Distanz zwischen rumänischer Mehrheitsbevölkerung und den Roma sowie starke Vorurteile ihnen gegenüber drücken sich nach Ansicht von REF in Diskriminierungen in vielen Lebensbereichen aus – insbesondere auch bei Entscheidungen über die Zuweisung zu Schulen bzw. Schulklassen. Durch solcherart erfahrene Benachteiligung entmutigt werden nicht nur die Roma-Schüler, sondern auch deren Eltern, die nicht an den Möglichkeiten elterlicher Mitgestaltung partizipieren.34 Als folgerichtiger Ausdruck der dargestellten Barrieren in der Schullaufbahn ist die Tatsache zu betrachten, dass der Anteil von Roma- Studierenden an den Universitäten bei 2 % liegt. 4.3. Empfehlungen des Open Society Institutes Das Open Society Institute formuliert in seiner Länderstudie zu Rumänien 2007 insgesamt 70 Empfehlungen an die rumänische Regierung, deren wesentliche Inhalte hier wiedergegeben werden35: Erhebung relevanter Daten: Erhebung von bildungspolitisch aussagekräftigen Daten nach Alter, ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht; Beteiligung von Roma-Untergruppen an den nationalen Stichproben bei internationalen Bildungstests (PISA, TIMSS), um Trends bei den Schulerfolgen von Roma-Schülern generieren zu können; Entwicklung eines Systems, das den Schulwechsel von Roma im Zuge von deren Migration dokumentiert („tracking“ system); Aufstellung und Evaluierung von Qualitätskriterien für eine gute Lernumgebung durch die Schulaufsicht. Erhöhung der Schulbindung: Sicherstellung eines zweijährigen Ganztags-Vorschulbesuches für alle Kinder durch Schaffung ausreichender Klassenräume und das kostenfreie Angebot von Lernprogrammen; Fundraising zur Finanzierung von Mahlzeiten, Bekleidung und Schulbedarf für benachteiligte Kinder an Grund- und weiterführenden Schulen; Bekämpfung von Kinderarbeit und Rückführung von Schulabbrechern in das Bildungssystem; Einrichtung von „Zweite Chance“-Klassen für ehemalige Schulabbrecher. 33 REF, S. 41 34 so die Aussagen einer UNDP-Studie von 2002, wiedergegeben in REF, ebd. 35 Equal Access to Quality Education for Roma. Romania, OSI 2007, S. 334 - 341 - 15 - Einstufungsverfahren in Sonderschulen bzw. Spezialklassen: Erfüllung des National Action Plan of the Decade of Roma Inclusion (kurz: Decade Action Plan) insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung der schulischen Segregation; Sicherstellung klarer Verantwortlichkeiten für eine Umsetzung der Roma-Strategie im Zuge der Dezentralisierung des nationalen Bildungssystems ; Verabschiedung eines ministeriellen Erlasses zur Aufhebung von Segregation aus Gründen der Ethnie, des sozio-ökomischen Status, des Geschlechtes und der Religion; Schulung der regional Verantwortlichen für die Schulaufsicht, der Lehrer und Eltern mit dem Ziel der Akzeptanzsteigerung gegenüber benachteiligten, insbesondere Roma-Schülern. Sprache: Erfüllung des Curriculums mit Kursen für Romanes und die romanische Kultur; Fortbildung der Lehrer in Romanes und in Methoden des bilingualen und interkulturellen Unterrichtens. Lehrpersonal: Verpflichtung qualifizierter Lehrer gerade in ländlichen Regionen und Gemeinden mit hohem Anteil an Roma-Bevölkerung durch Schaffung von Anreizen; Sicherstellung der Einbindung erfahrener Mediatoren; Entwicklung eines nationalen Konzeptes zur Lehrer-Erstausbildung und Weiterbildung unter Berücksichtigung interkulturellen und multikulturellen Lehrens; Unterstützung innovativer Unterrichtsmodelle in Schulen mit großer Fluktuation und hohem Anteil an saisonaler Schülerschaft; Unterstützung neuer Ansätze von größerer Schulautonomie bei Entscheidungen und Management sowie einer Schüler-orientierten Beratung unter Einbeziehung der Eltern. Pädagogisches Leitbild: Revision der nationalen Erziehungs-Leitbilder mit dem Ziel einer Akzeptanz der Diversifikation und Multikulturalität der rumänischen Gesellschaft; dementsprechende Überarbeitung der Schulbücher auf allen Ebenen; Entwicklung von Lernmaterial zur Geschichte und Kultur der Roma. Schul-Community: Einbeziehung von Roma in die Arbeit der Schulen, insbesondere bei Fortbildungsmaßnahmen für Lehrer und Mediatoren; Erfahrungsaustausch über innovative Projekte und Networking zwischen Schulen; Unterstützung des Elter- - 16 - nengagements sowie Einbeziehung von Roma-NGOs in Entscheidungsgremien . Antidiskriminierungsmaßnahmen: Unterstützung des National Council for Combating Discrimination (NCCD) und weiterer nationaler Institutionen zur Bekämpfung rassischer Diskriminierung ; finanzielle und ideelle Unterstützung für Projekte zur Erhöhung interethnischer Toleranz; Insistieren auf Einhaltung nationaler Gesetze und Normen bei Schulen mit diskriminierender Praxis. Schulaufsicht: Regelmäßige Beaufsichtigung von Schulen und Sicherstellung der Einhaltung gesetzlich definierter Standards, Schulaufsicht als Prozess sowohl der Kontrolle als auch der Unterstützung. 5. Abschließende Anmerkungen Vergleicht man die Absichten der rumänischen Regierung, mithilfe der 2001 begonnenen „Strategie zur Verbesserung der Situation der Roma“ die existierende Segregation der Roma-Bevölkerung durch eine Vielzahl von Handlungsbereichen und Ansatzpunkten zu bekämpfen, mit den Empfehlungen des OSI aus dem Jahr 2007 (s. 4.3.) und zieht den aktuellen Bericht von DecadeWatch36 hinzu, so lassen sich folgende Anmerkungen festhalten: Mit seiner nationalen Strategie zur Überwindung der Diskriminierung der Roma war die rumänische Regierung auch nach Ansicht von Roma-NGOs vorbildlich initiativ. Auch im Rahmen der konzeptuellen Arbeiten an einem National Decade Action Plan of the Decade of Roma Inclusion (im folgenden: DAP) schien Rumänien zunächst eine Vorreiterrolle unter den Teilnehmerstaaten einzunehmen . Die Regierung versäumte jedoch offenbar die Implementierung wirkungsvoller Institutionen auf zentraler und lokaler Ebene einschließlich effektiver (Schul-)aufsichtsbehörden. Die erforderlichen Mittel, um landesweit konkrete Maßnahmen zur Integration von Roma in die Gesellschaft umzusetzen, wurden nicht bereitgestellt. In dem durch die gleichzeitig stattfindende Abgabe staatlicher Verantwortung im Zuge der parallel stattfindenden Dezentralisierung des Bildungswesens entstehenden Vakuum auf den für Bildungsentscheidungen re- 36 DecadeWatch: Roma Activists assess the Progress of the Decade of Roma Inclusion. Romania - 17 - levanten kommunalen Ebenen besteht die Gefahr, dass antiziganistische Ressentiments von lokalen Entscheidungsträgern (Schuldirektoren) und in der Zivilgesellschaft (Elternschaft, Nachbarn) weiterhin ihren ungehinderten Ausdruck finden können.37 Die Zusammenarbeit zwischen nationaler Regierung und Vertretern der Roma- Organisationen ist offensichtlich nicht institutionalisiert und stringent; auf Phasen der Einbeziehung der Roma-NGOs folgen solche, in denen letztere über mangelnde Transparenz und Eingebundenheit klagen.38 Gerade im Bereich der Schulbildung erfordert die Überwindung zahlreicher Barrieren und diskriminierender Faktoren ein großes Netzwerk an Unterstützern (z.B. Roma-Lehrer und – Mediatoren; lokal in NGOs engagierte Roma), wechselseitige Verlässlichkeit zwischen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene scheinen hierfür eine wichtige Voraussetzung zu sein. Als weiterhin ungelöst gesehen wird die Problematik von Klassen oder Schulen mit überwiegender Roma-Schülerschaft als Folge ihrer Konzentration in Siedlungen ; verstärkt wird diese Tendenz durch die „weiße Flucht“ von Nicht- Roma-Eltern, die ihre Kinder auf private Schulen oder solche in Bezirken mit geringer Roma-Bevölkerungsdichte schicken.39 Positiv bewertet DecadeWatch die Schritte der positiven Diskriminierung von Roma an Oberschulen und Universitäten, die zu einer Steigerung der Absolventenzahlen dieser Stufen geführt habe, sowie die Einrichtung von „Second Chance “-Klassen für ehemalige Schulabbrecher; ebenso den Einsatz von Roma- Mediatoren im Vor- und Grundschulbereich, der zu einer Erhöhung der Schulbindung (höhere Einschulungsquoten, geringere Abbruchquoten) bei jungen Roma-Kindern beigetragen habe; das gleiche gelte für die Bereitstellung freier Mahlzeiten und Schultransporte für benachteiligte Kinder. Zusammenfassend stellt DecadeWatch für den Bereich des Bildungswesens fest, die progressive Politik des nationalen Bildungsministeriums habe die erwarteten Effekte in 37 vgl. DecadeWatch, S. 112 38 So hat sich ausgerechnet in der Umsetzung der von den Roma positiv bewerteten nationalen Strategie die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Roma-Vertretern verschlechtert, da die Regierung nur noch mit der (Sozialdemokratischen) Roma-Partei statt wie zuvor mit einem breiten Bündnis von Roma-Vertretern und –Experten zusammenzuarbeiten. 39 Vgl. DecadeWatch, S. 115; vor derselben Problematik stehen auch viele westeuropäische Großstädte mit Bezirken, in denen sich Migrantengruppen konzentrieren, woraufhin bildungsorientierte Eltern der Mehrheitsbevölkerung nach dem „not in my backyard please“-Prinzip private Bildungsalternativen für ihre Kinder suchen. - 18 - Teilen (noch) nicht erbracht. Segregation von Roma-Kindern finde in allen Teilen des Landes auch im Jahr 2007 weiterhin statt: „Under these circumstances, it is hard to imagine how the government hopes to achieve the draft DAP’s objective of eliminating segregation by 2008.“40 Nach Ansicht vieler Experten sind die Bemühungen der rumänischen Regierung, die auf dem Hintergrund vielfältiger Faktoren langfristig gewachsenen und fortexistierenden Benachteiligungen der Roma-Kinder durch eine Vielzahl von Maßnahmen zu beseitigen, offenkundig. Wenn die praktische Umsetzung der ehrgeizigen Ziele sich, wie die beobachtenden Studien feststellen, als vor allem auf lokaler Ebene von Ressentiments behindert erweist, so zeigt dies, wie langfristig ein Prozess hin zur Schaffung eines in der ganzen gesellschaftlichen Breite diskriminierungsfreien Klimas anzulegen ist. Die auf zehn Jahre konzipierte „Dekade der Roma-Integration“ könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, alle staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure, die an einer positiveren Zukunft für die heute junge Roma-Generation arbeiten , bei ihren Anstrengungen zu unterstützen. 40 DecadeWatch, S. 116 - 19 - 6. Literaturverzeichnis Costel Bercus, Die Situation der Roma in Rumänien, in: Max Matter (Hg.), Die Situation der Roma und Sinti nach der EU-Osterweiterung, 2005 P 5112124 Anneli Ute Gabanyi, Die Roma im EU-Erweiterungsprozeß: Fallbeispiel Rumänien, SWP-Studie S 41, Dezember 2001 P 771578 Alfred Pfaller, Rumänien: Neues Tigerland oder Problemkind der EU? Friedrich-Ebert- Stiftung (Hrsg.), Internationale Politikanalyse, Januar 2007 Elektronische Quellen (alphabetisch) II.1. Studien, die dieser Ausarbeitung zugrunde gelegt wurden Country Assessment and the Roma Education Fund’s Strategic Directions, Advancing Education of Roma in Romania, dl 4.7.2007 http://www.romaeducationfund.hu/documents/Romania_report Decadewatch: Roma activists assess the progress of the Decade of Roma Inclusion, dl 10.7.2007 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Romania%20(English;%20Advance%20Printing).pdf Open Society Institute 2007, Equal access to quality education for Roma. Romania, dl 4.7.2007 http://www.soros.org/initiatives/roma/articles_publications/publications/equal_2007032 9/roma_20070329.pdf UNICEF-Studie zur Lage der Roma-Kinder in Osteuropa; dl 27.6.2007 - 20 - http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/presse/fotomaterial/Roma_Konferenz/S ub-regional_Study_on_Roma_Children_Embargoed_5March.pdf UNICEF-Studie Roma-Kinder in Europa, Zusammenfassung; dl 27.6.2007 http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/mediathek/I_0092_Roma_Kinder_in_Eu ropa_2007.pdf II.2. Weitere elektronische Quellen (dl 27.6.2007) Adressen von Roma-NGOs http://www.kath-zigeunerseelsorge.de/5_Anschriften_Links/adressen-frame.htm errc-Bericht „Barriers to the Education of Roma in Europe” http://www.errc.org/cikk.php?cikk=385 European Commission – Regular Report on Romania’s Progress towards Accession to European Union – 2003 http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/report_2003 Monitoring Education for Roma http://www.soros.org/initiatives/esp/articles_publications/publications/monitoring_2006 1218/monitoring_20061218.pdf odihr/osce - Seite über Roma und Sinti - Aktivitäten http://www.osce.org/odihr/18148.html Roma Decade moves forward with Plans for Monitoring, dl 10.7.2007 - 21 - http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/COUNTRIES/ECAEXT/EUEINPEX TN/0,,contentMDK:21134175~menuPK:590772~pagePK:2865066~piPK:2865079~the SitePK:590766,00.html Rumänien: Kindern das Leben im Heim ersparen http://www.unicef.de/rumaenien.html Rumänien: Neues Tigerland oder Problemkind der EU? http://72.14.205.104/custom?q=cache:Qu0Jlu8_7AgJ:www.fes.de/ipg/inhalt_d/pdf/09_ Pfaller_D.pdf+Roma&hl=de&ct=clnk&cd=8&client=google-coop-np UNDP-Studie “Faces of Poverty” 2005 http://vulnerability.undp.sk/