© 2015 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 – 104/14 Herkunftsländer und Einreisewege von Flüchtlingen nach Europa Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 2 Herkunftsländer und Einreisewege von Flüchtlingen nach Europa Verfasserin: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 104/14 Abschluss der Arbeit: 8. Juli 2014 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Flüchtlingsbewegungen weltweit 5 2.1. Herkunftsländer 6 2.2. Aufnahmeländer 6 2.3. Finanzierung der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen 7 3. Irreguläre Migration nach Europa 9 3.1. Migrationsdruck auf Europa 9 3.2. Irreguläre Grenzübertritte in die EU 10 3.3. Migrationsrouten in die EU - der Seeweg 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 4 1. Einleitung Das Schiffsunglück vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa im Oktober 2013, bei dem über 360 Menschen zu Tode kamen, hat die Einwanderungs- und Asylpolitik der Europäischen Union (EU), ihr Grenzkontrollregime und ihr Bestreben, solche tragischen Vorfälle künftig zu verhindern, in den Fokus der Debatte gerückt. Die Rahmenbedingungen von Flucht und Migration sind äußerst komplex: einerseits bedingen militärische, politische, wirtschaftliche, soziale, demografische und andere Faktoren den anhaltenden , und zum Teil steigenden Migrationsdruck in Krisen- und Konfliktstaaten; andererseits hängen die Aufnahmekapazität und -bereitschaft der Zielländer der Flüchtlinge von vielschichtigen Bedingungen ab.1 Die öffentliche Diskussion von Flucht und Migration leidet häufig daran, dass eine präzise begriffliche Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und anderen Migranten unterbleibt. Auf der Grundlage von Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention von 19512 sind nur diejenigen Personen als Flüchtlinge zu bezeichnen, die „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse , Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes [befinden], dessen Staatsangehörigkeit sie [besitzen], und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen [können] oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen [wollen]“. Dieser Flüchtlingsbegriff im engeren Sinne erfasst nicht diejenigen Migranten, die bisweilen als Umwelt-, Klima oder Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet werden. Dabei ist allerdings zu betonen, dass eine exakte Abgrenzung der Gruppen, etwa im Falle der Migration wegen ethnischer Diskriminierung auf dem heimischen Arbeitsmarkt , nicht in allen Fällen zu leisten ist.3 Der vorliegende Sachstand kann auf die vielschichtigen Rahmenbedingungen von Flucht und Migration nur hinweisen, sie jedoch nicht umfassend darstellen.4 Der Sachstand beschränkt sich 1 Umfassende Informationen zu einzelnen Herkunftsländern finden sich u.a. auf der Webseite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, http://www.bamf.de/SharedDocs/Dossiers/DE/herkunftslaenderinformationen.html?nn=1367526 (letzter Zugriff 7.7.14). Siehe auch Klaus Barwig u.a. (Hrsg.), Schriften zum Migrationsrecht, Baden-Baden, 2009-14: Die Schriftenreihe versammelt aktuelle Monographien zur deutschen und europäischen migrationsrechtlichen Praxis unter Einbeziehung der völkerrechtlichen Aspekte von Migrationsbewegungen. 2 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, in Kraft getreten am 22. April 1954, verkündet mit Gesetz vom 01.09.1953 (BGB. II S. 559), http://www.unhcr.de/mandat/genferfluechtlingskonvention .html (letzter Zugriff 20. Juni 2014). Die hier wiedergegebene Definition ergibt sich in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967, das die zeitliche Beschränkung der Konvention von 1951 aufhebt. 3 Vgl. Matthias Reuss, Zum Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen am 20. Juni, Aktueller Begriff Nr. 8/14 vom 11. Juni 2014, http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/aussenpolitik4 (letzter Zugriff 7.7.2014). 4 Vgl. Anm. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 5 daher darauf, einige statistische Angaben zu Herkunftsländern, Aufnahmeländern und Finanzierung der Flüchtlingshilfe wiederzugeben. Diese Angaben basieren auf Berichten des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) (siehe unter 2.). Schließlich stellt die vorliegende Arbeit auf der Grundlage von Berichten der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (FRONTEX) die Flüchtlings- und Migrationsrouten über das Mittelmeer dar (siehe unter 3.). 2. Flüchtlingsbewegungen weltweit Anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni 2014 veröffentlichte der UNHCR seinen Global Trends Report 2013.5 Dem Bericht zufolge stieg die Zahl der Menschen, die dem Mandat des UNHCR unterfallen, im Jahr 2013 mit 51,2 Millionen (Mio) auf den höchsten Stand seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 16,7 Mio Flüchtlingen, beinahe 1,2 Mio Asylsuchenden sowie 33,3 Mio Binnenflüchtlingen, d.h. Menschen, die innerhalb ihres Herkunftslandes geflohen sind oder vertrieben wurden. Dass die Zahl der Menschen auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen gegenüber 2012 um 6 Mio Menschen anstieg, führt der UNHCR insbesondere auf den Bürgerkrieg in Syrien zurück, der bis Ende 2013 insgesamt 2,5 Mio Menschen zur Flucht außerhalb ihres Landes veranlasste und zu 6,5 Mio Binnenflüchtlingen führte. Darüber hinaus haben vor allem die Konflikte in der Zentralafrikanischen Republik und im Südsudan zu dem massiven Anstieg der Flüchtlingszahlen beigetragen. Die Flüchtlingsbewegungen infolge des Wiederaufflammens der bewaffneten Auseinandersetzungen im Irak sind in die UNHCR-Statistik für 2013 noch nicht eingegangen. Die Herkunfts- und Zielländer von Flüchtlingen und Asylsuchenden waren auch Gegenstand einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages am 5. Juni 2014. Dabei wies der Vertreter des UNHCR in Deutschland, Hans ten Feld, darauf hin, dass die meisten der in Not Geratenen nicht weit von ihrer Heimat als Binnenflüchtlinge beziehungsweise in den direkten Nachbarländern Schutz suchten.6 5 The UN Refugee Agency (UNHCR 2014), UNHCR’s Global Trends 2013. War’s Human Cost, http://www.unhcr.org/5399a14f9.html (letzter Zugriff 20. Juni 2014). 6 Deutscher Bundestag (2014). Chancen von Migration. In: hib – heute im bundestag Nr. 305 vom 5.06.2014, https://www.bundestag.de/presse/hib/2014_06 (letzter Zugriff 16.06.2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 6 2.1. Herkunftsländer Wie der UNHCR darlegt, waren die zehn Hauptherkunftsländer von Flüchtlingen im Jahr 2013: • Afghanistan (2,6 Mio Menschen), • Syrien (2,47 Mio Menschen), • Somalia (1,12 Mio Menschen), • Sudan (649.000 Menschen), • Demokratische Republik Kongo (500.000 Menschen), • Myanmar (480.000 Menschen), • Irak (401.000 Menschen), • Kolumbien (397.000 Menschen), • Vietnam (314.000 Menschen) und • Eritrea (308.000 Menschen).7 2.2. Aufnahmeländer Zu den zehn größten Aufnahmestaaten für Flüchtlinge weltweit gehörten im Jahr 2013: • Pakistan (1,6 Mio Menschen), • Islamische Republik Iran (857.000 Menschen), • Libanon (857.000 Menschen), • Jordanien (642.000 Menschen), • Türkei (610.000), • Kenia (535.000 Menschen), • Tschad (434.000 Menschen), • China (300.000 Menschen) und • USA (geschätzt 264.000 Menschen).8 Anhand der Zahlen wird deutlich, dass in den zehn Hauptaufnahmestaaten insgesamt 6,1 Mio der weltweit 16,7 Mio Flüchtlinge Zuflucht suchen. Die Mehrzahl der Aufnahmestaaten sind Entwicklungs- oder Schwellenländer. Die Zahl der innerhalb des europäischen Kontinents aufgenommenen Menschen beziffert der UNHCR mit 1,8 Mio Menschen, wobei darunter auch die in die Türkei eingereisten 478.000 syrische Flüchtlinge im Jahr 2013 fallen. Damit liegt Europa beim Umfang der aufgenommenen Flüchtlinge z.B. hinter der Region Horn von Afrika (2 Mio Menschen ). 7 UNHCR (Anm. 5), S. 45-49. 8 UNHCR (Anm. 5), S. 40-44. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 7 Sub-Sahara Afrika hat mit rund 2,93 Millionen beim UNHCR registrierten Flüchtlingen und etwa 69.000 Menschen in flüchtlingsähnlichen Situationen im Jahr 2013 knapp drei Millionen Menschen Zuflucht geboten. Zu den größten Aufnahmeländern auf dem afrikanischen Kontinent zählen • Kenia (535.000 Menschen), • Tschad (435.000 Menschen), • Äthiopien (434.000 Menschen), • Südsudan (230.000 Menschen) und • Uganda (221.000 Menschen).9 Allein der Ausbruch von Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik hat zu 800.000 Binnenflüchtlingen und 88.000 Flüchtlingen in die folgenden Nachbarstaaten geführt: • Demokratische Republik Kongo (54.000 Menschen) • Tschad (15.000 Menschen), • Republik Kongo (10.000 Menschen) und • Kamerun (10.000 Menschen).10 2.3. Finanzierung der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen Während die meisten Flüchtlinge in Entwicklungs- und Schwellenländern physisch Zuflucht finden, verteilen sich die Kosten für ihre Aufnahme, Unterbringung und Versorgung auf eine Vielzahl von Geberländern. Eine umfassende und abschließende Erfassung der Finanzierung der Flüchtlingshilfe durch die Geberländer kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden: Denn während der Schwerpunkt der internationalen Flüchtlingshilfe beim UNHCR liegt, sind auch zahlreiche andere internationale Organisationen sowie Sonderorganisationen, Einzelprogramme und Nebenorgane der Vereinten Nationen (VN) an der Flüchtlingshilfe beteiligt, u.a. das Kinderhilfswerk der VN (UNICEF), die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Welternährungsprogramm (WFP), das Entwicklungsprogramm der VN (UNDP), das Hilfswerk der VN für Palästina-Flüchtlinge (UN- RWA), die EU und die Afrikanische Union (AU). Die Geberländer, einschließlich Deutschlands, wenden zur Finanzierung dieser Einrichtungen und Programme erhebliche Mittel auf. Dabei trägt Deutschland als drittgrößter VN-Beitragszahler zur Zeit etwa 7 Prozent der Aufwendungen der VN. So beläuft sich der Zweijahreshaushalt der VN für die Jahre 2014/2015 auf 5,5 Milliarden US-Dollar, wovon Deutschland einen Anteil von 7,1 Prozent trägt (pro Jahr über 190 Mio US- Dollar). Mit diesem Anteil ist Deutschland nach den USA (22 Prozent) und Japan (10,8 Prozent) drittgrößter Beitragszahler für das reguläre VN-Budget. Weitere wichtige Beitragszahler sind die 9 UNHCR (Anm. 5), S. 40-44. 10 Aktuelle Angaben finden sich auf der UNHCR-Website zur Zentralafrikanischen Republik, http://www.unhcr.org/pages/49e45c156.html (letzter Zugriff 7.7.2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 8 EU-Partner Großbritannien (5,2 Prozent), Frankreich (5,6 Prozent) und Italien (4,4 Prozent). Die 28 Mitgliedsstaaten der EU tragen ca. 35 Prozent des VN-Budgets.11 Die zehn größten Beitragszahler zum regulären Haushalt des UNHCR waren im Jahre 2011: • USA 698,17 Mio US $ • Japan 226,11 Mio US $ • Großbritannien 120,69 Mio US $ • Schweden 118,67 Mio US $ • Niederlande 78,56 Mio US $ • Norwegen 76,11 Mio US $ • Kanada 58,54 Mio US $ • Australien 56,54 Mio US $ • Deutschland 55,68 Mio US $ • Dänemark 46,85 Mio US $.12 Diese Angaben sind allerdings vor dem Hintergrund zu sehen, dass gerade die Bewältigung aktueller Krisensituationen zu einem beträchtlichen Anteil außerhalb des regulären UNHCR-Budgets finanziert wird. So übersteigt allein die jährliche Summe der Projektmittel des „Syria Response Plan“ das reguläre Jahresbudget des UNHCR. Für das laufende Jahr 2014 sind die zehn größten Beitragszahler zu UNHCR-Programmen: • USA 917,22 Mio US $ • EU 195,57 Mio US $ • Großbritannien 137,72 Mio US $ • Japan 133,08 Mio US $ • Schweden 117,15 Mio US $ • Kuwait 101,30 Mio US $ • Norwegen 79,86 Mio US $ • Kanada 69,25 Mio US $ • Dänemark 68,93 Mio US $ • Deutschland 63,94 Mio US $.13 Zusätzlich wird ein großer Anteil der Flüchtlingshilfe auf bilateraler Ebene geleistet. Von deutscher Seite werden humanitäre Maßnahmen, die (auch) Flüchtlingen zugute kommen, z.B. auch 11 Auswärtiges Amt, http://www.auswaertigesamt .de/DE/Aussenpolitik/Friedenspolitik/VereinteNationen/StrukturVN/Finanzen/FinanzbeitragD_node.html (letzter Zugriff 7.7.2014). 12 Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, http://www.dgvn.de/un-imueberblick /deutschlands-beitraege-zur-finanzierung-des-un-systems/ii-ausgewaehlte-un-fonds-undprogramme /ii07-unhcr/ (letzter Zugriff 7.7.2014). 13 UNHCR, 2014: Top 10 Government Donors as at 2 July 2014, http://www.unhcr.org/pages/49c3646c26c.html (letzter Zugriff 11.6.2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 9 durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und seine Durchführungsorganisationen , die Kreditanstalt für Wiederaufbau oder etwa die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk getragen.14 Schließlich erhalten zum Teil auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die im Bereich der Flüchtlingshilfe eine wesentliche Rolle spielen, Finanzmittel aus öffentlicher Hand. NGOs aus Deutschland (d.h. deutsche NGOs bzw. deutsche Zweige internationaler NGOs) beteiligen sich an einer unübersehbaren Vielzahl von Hilfsprojekten für Flüchtlinge. Unterstützung des Auswärtigen Amtes erhielten in den Jahren 2012/2013 hierfür u.a.: Adventist Development and Relief Agency Deutschland, Ärzte der Welt, ASB, Arche Nova, Care, Caritas, Diakonie, DRK, Help, Humedica, Islamic Relief Deutschland, Johanniter, Luftfahrt ohne Grenzen, Malteser, Medico International, Save the Children, Welthungerhilfe und World Vision.15 3. Irreguläre Migration nach Europa 3.1. Migrationsdruck auf Europa In ihrer 2010 veröffentlichten Studie hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) das Migrationspotenzial aus Afrika mit Zielkontinent Europa untersucht.16 Die Studie prognostizierte im Vorgriff auf den politischen Umbruch in der Nahost- und Nordafrika -Region (MENA) einen steigenden Migrationsdruck auf die EU. Das BAMF sieht als Ursachen des Migrationsdrucks u.a. die demografische Entwicklung, unzureichende Perspektiven für Beschäftigung , das defizitäre Bildungswesen und die unzulängliche Gesundheitsversorgung in den Herkunftsländern. Die Studie sieht den Migrationsdruck auf Europa in Abhängigkeit davon, wie stark die Aufnahmekapazität höher entwickelter afrikanischer Regionen etwa mit Blick auf ihre Ausbildungs- und Arbeitsmärkte ist. Auch im Hinblick auf Flüchtlinge im engeren Sinne17 kommt die Studie zu dem Schluss, dass bei innerstaatlichen und internationalen Konfliktlagen der Großteil afrikanischer Flüchtlinge auf dem Kontinent selbst Schutz suche. Vergleichsweise wenige afrikanische Flüchtlinge hätten Eu- 14 So beziffert das Auswärtiges Amt die Gesamtmittel, die Deutschland seit Beginn der Syrien-Krise zur Verfügung gestellt hat, auf über 440 Mio Euro, davon über 350 Mio für humanitäre Hilfsmaßnahmen und rund 130 Mio Euro für strukturbildende Übergangs- und bilaterale Hilfe, siehe http://www.auswaertigesamt .de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Syrien/121018-SYR-HumanitaereHilfe_node.html (letzter Zugriff 7.7.2014). Zum THW siehe http://www.thw.de/DE/Aktion/Einsaetze/Ausland/ausland_node.html (letzter Zugriff 7.7.2014). 15 BT-Drs. 17/4561 vom 12. Dezember 2013, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/145/1714561.pdf (letzter Zugriff 7.7.2014). 16 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Vor den Toren Europas? Das Potenzial der Migration aus Afrika. Forschungsbericht 7, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Forschungsberichte/fb07-vor-den-toreneuropas .html (letzter Zugriff: 16.06.2010). 17 Siehe oben (Einleitung). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 10 ropa zum Ziel. Daher geht die BAMF-Studie davon aus, dass afrikanische Staaten weiterhin als Hauptaufnahmeländer von afrikanischen Flüchtlingen bzw. Migranten fungieren.18 3.2. Irreguläre Grenzübertritte in die EU In ihrer Risikoanalyse für 2014 resümiert die Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (FRONTEX), dass in den Jahren 2009 bis 2013 die Einreise auf dem Landweg im Verhältnis zur Einreise auf dem Luftweg stetig zunahm, so dass zwischenzeitlich vermutlich mehr Menschen auf dem Landweg einreisen.19 FRONTEX führt das u.a. auf die Visa-Liberalisierung für die Länder des westlichen Balkans und auf die Umsetzung lokaler Grenzverkehrsabkommen zurück.20 Der Großteil der sich in Europa illegal aufhaltenden Personen kommt zunächst mit Visa nach Europa.21 So wurden 2012 insgesamt 14,25 Millionen Visa mit kurzer Laufzeit vergeben. Der Trend bei der Vergabe von Kurzzeit-Visa ist steigend: 13 Prozent mehr Menschen haben gegenüber 2011 Kurzzeit-Visa erhalten, gegenüber dem Jahr 2009 beträgt die Steigerung 51 Prozent. Der überwiegende Anteil der Visa 2012 wurde in drei Ländern ausgestellt: der Russischen Föderation (42 Prozent), der Ukraine (9 Prozent) und China (8 Prozent).22 FRONTEX macht allerdings keine Angaben zu einer etwaigen Korrelation zwischen der prozentualen Steigerung bei der Vergabe von Kurzzeit-Visa und der statistischen Entwicklung der Gesamtzahl der Personen, die zunächst mit einem Kurzeitvisum eingereist waren und sich nach dessen Ablauf weiterhin in der EU aufhalten . FRONTEX erfasst die Zahl irregulärer Grenzübertritte, ohne dabei die Beweggründe der aufgegriffenen Personen zu erheben und ausdrücklich zwischen Flüchtlingen und anderen Migranten zu unterscheiden. Hinsichtlich der illegalen Grenzüberschreitungen für das Jahr 2013 weist FRONTEX auf drei Phänomene hin: die Zahl syrischer Flüchtlinge ist 2013 auf 25.500 gestiegen, die Flüchtlinge nutzen vor allem die östliche und die zentrale Mittelmeerroute, Transit- bzw. Herkunftsländer der Bootsflüchtlinge waren Libyen und Ägypten; die Zahl illegaler Grenzüberschreitungen stieg insbesondere an der ungarisch-serbischen Grenze; 18 BAMF (Anm. 16), S. 97 und 118. 19 FRONTEX, Annual Risk Analysis 2014, http://frontex.europa.eu/publications/ (letzter Zugriff 11.6.2014), S. 6. 20 FRONTEX (Anm. 19), S. 6. 21 FRONTEX, Migratory Routes Map, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/migratory-routes-map (letzter Zugriff 5.6.2014). 22 FRONTEX (Anm. 19), S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 11 der Migrationsdruck aus Nordafrika, mit den Transit- und Herkunftsstaaten Libyen und Ägypten hält an.23 Illegale Grenzüberschreitungen nach den zehn am häufigsten aufgegriffenen Nationalitäten: Abbildung 124 Anhand von Abbildung 1 wird deutlich, dass sich die zahlenmäßige Zusammensetzung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit der Flüchtlinge verändert hat. Während im Jahr 2010 lediglich 861 syrische Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen registriert wurden, waren es 2013 insgesamt 25.546 Personen syrischer Staatsangehörigkeit, rund ein Viertel aller irregulären Grenzübertritte. Der Anteil afghanischer Flüchtlinge ging hingegen zurück von 25.000 Personen im Jahr 2010 auf 9.000 Personen im Jahr 2013. 3.3. Einreisewege in die EU - der Seeweg Nur ein geringer Anteil der irregulären Migranten erreicht die EU auf dem Seeweg, die Mehrheit reist zunächst legal ein und kehrt nach Ablauf ihres Visums nicht in ihr Herkunftsland zurück. So wird z.B. für Spanien der Anteil der auf dem Seeweg illegal eingereisten Migranten auf acht Prozent geschätzt.25 23 FRONTEX (Anm. 19), S. 7. 24 FRONTEX (Anm. 19), S. 70. 25 United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC: 2011). The role of organized crime in the smuggling of migrants from Africa to the European Union, http://www.unodc.org/documents/human-trafficking/Migrant- Smuggling/Report_SOM_West_Africa_EU.pdf (letzter Zugriff: 16.06.2014), S. 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 12 FRONTEX unterteilt die illegalen Grenzüberschreitungen in die Europäische Union auf dem Seeweg in acht verschiedene Routen:26 • Östliche Grenzroute, • Östliche Mittelmeerroute, • Westliche Balkanroute, • Zirkuläre Route von Albanien nach Griechenland, • Apulien- und Kalabrienroute, • Zentrale Mittelmeerroute, • Westliche Mittelmeerroute, • Westafrikanische Route. Östliche Grenzroute Im Jahr 2013 wurden an der EU-Außengrenze zu Belarus, Moldawien, der Ukraine und der Russischen Föderation knapp über 1.300 illegale Grenzübertritte registriert.27 Die Sicherung dieser 6.000 Kilometer langen Grenze stellt eine große Herausforderung dar. Nicht nur der reguläre Personenverkehr ist an der EU-Außengrenze zur Ukraine hoch, auch die Wahrscheinlichkeit der undokumentierten irregulären Grenzübertritte wird von FRONTEX als hoch eingeschätzt. Die Zahl der aufgegriffenen Personen hat sich seit Beginn der Datensammlung im Jahr 2008 mit zwischen 1.000 und 1.600 Personen relativ konstant gehalten. Aufgrund lokaler Grenzverkehrsabkommen zwischen der Ukraine und den europäischen Nachbarstaaten Ungarn, Polen und der Slowakischen Republik, die den Inhabern von Kurzzeit-Visa einen Aufenthalt von 90 Tagen je Halbjahr gewähren, ist der Grenzverkehr um 70 Prozent angestiegen. 2009 sowie zwischen 2011 und 2013 lag die Zahl der georgischen Staatsangehörigen, die in Polen Asyl beantragten, um sich dann in Richtung Westeuropa abzusetzen, „ungewöhnlich hoch“.28 26 FRONTEX, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/migratory-routes-map (letzter Zugriff 7.7.2014). Vgl. hierzu Louise Shelley, Human Smuggling and Trafficking into Europe, A Comparative Perspective, http://www.migrationpolicy.org/research/human-smuggling-and-trafficking-europe-comparative-perspective (letzter Zugriff 16.6.2014). In ihrem Bericht zu Menschenhandel nach Europa für das Migration Policy Institute weist Louise Shelley darauf hin, dass sich die Routen der illegalen Einreise nach Europa fortwährend verändern , um Unterbrechungen durch Polizei oder Grenzkontrollen zu vermeiden. Während des bewaffneten Konflikts in Libyen haben Schmuggler und Menschenhändler sich die unübersichtliche Lage im Land zunutze gemacht , um Menschen aus Sub-Sahara-Afrika auf die italienische Insel Lampedusa zu schmuggeln. 27 FRONTEX, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/eastern-borders-route (letzter Zugriff 7.7.2014). 28 FRONTEX, Eastern Borders route, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/eastern-borders-route (letzter Zugriff 7.7.2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 13 Östliche Mittelmeerroute 2013 wurden an der östlichen Mittelmeerroute fast 24.800 Personen aufgegriffen.29 Die östliche Mittelmeerroute führt Flüchtlinge aus Fernost, dem Mittleren Osten und dem Horn von Afrika über Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien in die Türkei. Seit 2007 sind insbesondere auf den drei großen Inseln der Ostägäis, Samos, Lesbos und Chios, Flüchtlingsbewegungen registriert worden. Die Menschen versuchten, griechisches Festland per Boot oder auf dem türkischgriechischen Landweg zu erreichen. Die häufigsten Herkunftsländer auf dieser Route sind Syrien, Afghanistan, Somalia und Eritrea. Die östliche Mittelmeerroute gewann durch die Visa- Liberalisierung der Türkei gegenüber nordafrikanischen Ländern und angesichts eines verstärkten Grenzschutzes in Spanien, Italien und Malta bis 2012 an Bedeutung. Die Flüchtlingsbewegungen nahmen nach August 2012 deutlich ab infolge verstärkter Sicherheitsanstrengungen durch den griechischen Grenzschutz, der seine Kooperation mit der türkischen Seite vertiefte.30 Westliche Balkanroute Auf der westlichen Balkanroute wurden 2013 insgesamt fast 20.000 Personen aufgegriffen.31 Auf dieser Route verzeichnet FRONTEX den höchsten relativen Anstieg illegaler Grenzübertritte in die EU durch syrische und somalische Staatsbürger. Die Route wird hauptsächlich von zwei Migrantengruppen genutzt: die erste stammt aus den Ländern des westlichen Balkans selbst; die zweite setzt sich zusammen aus asiatischen Migranten, die das Gebiet der EU über die türkischgriechischen Land- oder Seegrenzen erreichen und dann durch die Länder des westlichen Balkans in Richtung Ungarn oder Rumänien ziehen. Mit der Einführung von Kurzzeit-Visa für Staatsangehörige der Länder des westlichen Balkans wandelte sich die Region von einem Herkunftsgebiet in ein Transitgebiet für Migranten.32 Zirkuläre Route zwischen Albanien und Griechenland 2013 wurden auf der zirkulären Route zwischen Albanien und Griechenland 8.700 Personen aufgegriffen .33 Die Landgrenze zwischen Griechenland und Albanien galt über Jahre als einer der Brennpunkte für irreguläre Migration. Zwischen 2008 und 2009 lag die Zahl der irregulären Grenzübertritte in die EU bei rund 40.000 Personen und damit bei einem Anteil von 40 Prozent aller illegalen EU-weiten Grenzübertritte. FRONTEX führt die Höhe der irregulären Migration aus Albanien auf den Umstand zurück, dass diese Route für Albaner relativ einfach und kostengünstig war und griechische Unternehmen in der Regel rechtlich nicht belangt wurden, wenn sie Al- 29 FRONTEX, Eastern Mediterranean route, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/eastern-mediterraneanroute (letzter Zugriff 7.7.2014). 30 FRONTEX (Anm. 29). 31 FRONTEX, Western Balkans route, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/western-balkan-route (letzter Zugriff 7.7.2014). 32 FRONTEX (Anm. 31). 33 FRONTEX, Circular route from Albania to Greece, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/circular-routefrom -albania-to-greece (letzter Zugriff 7.7.2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 14 baner illegal beschäftigten. Die Beweggründe der albanischen Migranten beschreibt FRONTEX als überwiegend ökonomischer Natur: ein Großteil der Migranten strebe eine kurzfristige Beschäftigung in der Landwirtschaft oder im Baugewerbe an. Mit der Einführung der Visafreiheit für Albanien im Jahr 2010 ist die Zahl der illegal in die EU einreisenden Albaner zurückgegangen auf 5.300 Personen im Jahr 2011 und 5.500 Personen im Jahr 2012.34 Apulien- und Kalabrienroute Nach Angaben von FRONTEX wurden auf dieser Route 2013 etwa 5.000 Personen beim Versuch der Einreise in die EU aufgegriffen.35 Die meisten Personen, die diese Route nutzen, stammen ursprünglich aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Ägypten, haben im Zuge ihrer Migration die Türkei und/oder Ägypten durchreist, den Schengenraum zumeist über die Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland betreten und bewegen sich in Richtung Italien. Vor dem Hintergrund der politischen Transformationsprozesse in der arabischen Welt verzeichnete FRONTEX auf dieser Route im Jahre 2011 mit 5.259 Grenzübertritten einen Höhepunkt der Einwanderung .36 Zur Zeit ist der Anteil syrischer Flüchtlinge auf dieser Route im Steigen begriffen. Zentrale Mittelmeerroute Auf der zentralen Mittelmeerroute griff FRONTEX 2013 über 40.000 Personen auf, die ursprünglich hauptsächlich aus Syrien, Eritrea und Somalia stammen.37 Die Route führt über Libyen nach Malta, die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa oder das italienische Festland. Sie ist der am stärksten genutzte Seeweg. Die starken Schwankungen der Gesamtzahl (2010: 4.500 Migranten; 2011: 64.300 Migranten; 2012: 15.900 Migranten; 2013: 40.304 Migranten) reflektieren u.a. aktuelle politische Entwicklungen in Nordafrika, insbesondere in Libyen.38 Westliche Mittelmeerroute 2013 griff FRONTEX auf der westlichen Mittelmeerroute 6.800 Personen auf.39 Die beiden am stärksten vertretenen Herkunftsländer der Migranten sind Marokko und Algerien, wobei der Anteil von Migranten aus dem südlichen Afrika (z.B. Nigeria, Elfenbeinküste, Benin) steigt. Die Route nimmt ihren Ausgang in den Staaten Westafrikas, führt über Niger nach Algerien und weiter nach Marokko. In Marokko versuchen die Migranten, die Grenze zu den spanischen Exklaven 34 FRONTEX (Anm. 33). 35 FRONTEX, Apulia and Calabria Route, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/apulia-and-calabria-route (letzter Zugriff 7.7.2014). 36 FRONTEX (Anm. 35). 37 FRONTEX, Central Mediterranean Route, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/central-mediterraneanroute (letzter Zugriff 7.7.2014). 38 FRONTEX (Anm. 37). 39 FRONTEX, Western Mediterranean Route, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/western-mediterraneanroute (letzter Zugriff 7.7. 2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 104/14 Seite 15 Ceuta und Melilla zu überwinden oder auf dem Seeweg nach Südspanien oder auf die Kanarischen Inseln überzusetzen. Die Gesamtzahl der bei ihrer Einreise in die EU aufgegriffenen Personen blieb in den Jahren seit 2008 relativ konstant. Allerdings hatten die Umbrüche in der arabischen Welt auch auf dieser Route eine Katalysatorfunktion: So wurden im Jahr 2011 auf dieser Route 8.450 Personen aufgegriffen.40 Westafrikanische Route FRONTEX griff im Jahr 2013 auf dieser Route 250 Personen auf. Die Route bezeichnet den Seeweg von der Küste Westafrikas (vor allem von Senegal und Mauretanien) zu den Kanarischen Inseln.41 Die Hauptherkunftsländer der Migranten waren vermutlich Marokko, Senegal, Niger, Nigeria und Mali – eine Nationalitätsfeststellung war jedoch bei Migranten auf der westafrikanischen Route oft nicht möglich.42 40 FRONTEX (Anm. 39). 41 Frontex, Western African Route, http://frontex.europa.eu/trends-and-routes/western-african-route (letzter Zugriff 7.7.2014). 42 BAMF (Anm. 16), S. 166.