Zur Situation der Roma-Kinder in Ungarn unter besonderer Berücksichtigung der Bildungssituation - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000-104/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Zur Situation der Roma-Kinder in Ungarn unter besonderer Berücksichtigung der Bildungssituation Ausarbeitung WD 2 – 3000-104/07 Abschluss der Arbeit: 31. August 2007 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. 1. Einleitung 4 2. Zur Entwicklung der sozioökonomischen Lage der Roma Minderheit in Ungarn 7 2.1. Wirtschaftlicher Umbruch als Katalysator für Antiziganismus 9 3. Zu den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und Initiativen im Hinblick auf Bildungschancen und Minderheitenschutz 11 3.1. Im europäischen Rahmen 11 3.2. Im nationalen ungarischen Rahmen 13 4. Zur Bildungssituation für Roma-Kinder: Zwischen verbesserter Rechtslage und strukturellen Defiziten 15 4.1. Zur Lag der vorschulischen Bildung 16 4.2. Zur Lage der schulischen Bildung 17 4.3. Empfehlung des Open Society Institutes 20 5. Abschließende Bemerkungen 22 6. Quellenverzeichnis 25 - 4 - 1. Einleitung Im Jahre 2005 initiierte der damalige Weltbank-Präsident James D. Wolfensohn die „Decade of Roma Inclusion, 2005-2015“ (nachfolgend Roma-Dekade).1 Hintergrund der Initiative, die von der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und zehn Mitgliedsstaaten 2 unterstützt wird, sind die massiven Benachteiligungen, denen Roma und Sinti3 besonders in den Transformationsstaaten Ost-, Mittelost- und Südosteuropas ausgesetzt sind. Auch die Europäische Kommission setzt sich für die Bekämpfung der Diskriminierung von Europas größter ethnischer Minderheit4 ein und zählt ihre Probleme, die sich nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion und des COMECON verstärkt haben, zu „Europas drängendsten Menschenrechtsfragen“. Sowohl in den neuen, wie auch in den alten EU-Mitgliedsstaaten seien Roma „weiterhin spürbaren Diskriminierungen und gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt (…). Nach wie vor stießen sie auf zahlreiche Hindernisse beim gleichberechtigten Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Sozialschutz, Gesundheitsfürsorge, Wohnraum und öffentlichen Dienstleistungen. Die nach den Kopenhagener Kriterien erstellten Beurteilungen der Beitrittskandidaten zeigten , dass Roma-Gemeinschaften als einzige Minderheit so weit reichenden gesellschaftlichen Ausgrenzungen ausgesetzt sind.5 Besonders spürbar sind die Benachteiligungen im Bildungssektor. Bildung, ihre Qualität, der Zugang zu ihr und die verfügbaren Mittel für Lehrmittel und Zusatzförderung, entscheiden über die spätere gesellschaftliche Teilhabe der Roma-Kinder. Die Kommission bezeichnete in ihrem Bericht zur „Situation der Roma in der erweiterten Europäischen Union“ (2004) die Bildungssituation der Roma-Kinder als „sehr mangelhaft“. „Dies lässt sich größtenteils auf die Trennung der 1 Wolfensohn erhielt „für sein beispielloses Engagement“ 2006 den Theodor-Heuss-Preis. Vgl. http://www.theodor-heuss-stiftung.de/inhalt/presse/text.php?we_start=2 2 Bulgarien, Kroatien, Tschechische Republik, Ungarn, Mazedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien und Slowakien 3 Nachfolgend wird in Anlehnung an den englischen Sprachgebrauch nur noch von Roma gesprochen. Im Englischen ist auch der Begriff der „travellers“ üblich, selbst wenn die Betreffenden sesshaft sind. 4 Die Angaben zu den Gesamtzahlen schwanken wzischen 10-12 Mio. „Genaue Zahlen gibt es jedoch nicht, was zum großen Teil mit dem den Roma anhaftenden Stigma zusammenhängt, aber auch mit der Tatsache, dass viele Roma sich offiziell nur ungern selbst als Roma bezeichnen, und dass viele Regierungen Roma nicht als legitime Kategorie in ihre Volkszählungen aufnehmen wollen.“ Vgl. http://www.errc.org/db/00/DF/m000000DF.pdf, S. 12. 5 Der Bericht der EU-Kommission (Generaldirektion Beschäftigung & Soziales) aus dem Jahr 2004 findet sich unter http://www.errc.org/db/00/DF/m000000DF.pdf (Zitat S. 7f.) - 5 - Romakinder6 von den Kindern der Mehrheitsbevölkerung sowie auf das Fehlen einer angemessenen Versorgung der Kinder von Fahrenden zurückführen. Sind Romakinder in Schulen der Mehrheitsbevölkerung integriert, so handelt es sich hierbei meist um vernachlässigte oder ins Abseits gedrängte Schulen.“ Zwar profitierten auch die Roma von EU-Programmen im Bereich der Bildung und Berufsausbildung (Sokrates und Leonardo da Vinci) sowie von Projekten des Europäischen Sozialfonds (ESF), doch fehlten in den Mitgliedstaaten vielfach geeignete Strategien, um den Bildungsbedürfnissen von Roma nachhaltig gerecht zu werden.7 Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Roma-Dekade zog das Open Society Institute (OSI) der Soros-Foundation im Rahmen ihres European Monitoring and Advocacy Program (EUMAP) Bilanz: „Roma Kinder werden häufig von nicht-Roma Kindern getrennt und im Hinblick auf ihre Schulausbildung in jeder Hinsicht benachteiligt. Die Regierungen, die sich an der Decade of Roma Inclusion 2005-2015 beteiligen, haben sich selbst einen ehrgeizigen Plan gesetzt, mit dem sich die Situation verändern soll. Jedoch haben sie in den ersten zwei Jahren der Dekade nur unzureichend die enorme, vor ihnen liegende Aufgabe in den Griff bekommen. Während politische Erklärungen und Programme ihrer Umsetzung harren, sind Roma-Kinder weiterhin mit Diskriminierung , Isolation und Ausschluss konfrontiert.“ Diese Einschätzung beruht auf den Studien , die das Open Society Institut im Rahmen von EUMAP in Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Serbien in Kooperation mit den OSI-Programmen Education Support Program 8 und Roma Participation Program9 durchgeführt hat. Die umfangreichen Ergebnisse wurden im Frühjahr 2007 veröffentlicht. 10 Die Länderstudien zeichneten “ein alarmierendes Bild” der Bildungssituation von Roma -Kindern in der betrachteten Region. Während die Situation unter den einzelnen Ländern durchaus variiert, gibt es doch Gemeinsamkeiten bei den Schwierigkeiten, denen Roma-Kinder gegenüber stehen: Hohe Abbrecherquoten, Beschulung in Sonderschulen oder Spezialklassen, niedrige Erwartungen der Lehrer aufgrund kultureller Vorbehalte , anspruchslosere Lehrpläne als in Regelschulen, materielle Nachteile, nicht zu- 6 In der vorliegenden Arbeit wird die übliche Schreibweise „Roma-Kinder“ bevorzugt. 7 http://www.errc.org/db/00/DF/m000000DF.pdf (S. 2). 8 http://www.soros.org/initiatives/esp 9 http://www.soros.org/initiatives/roma 10 Die Berichte über die fünf weiteren Mitgliedsstaaten der Roma-Dekade (Kroatien, Tschechische Republik, Mazedonien, Montenegro und Slowakien) sind für 2007 angekündigt. http://www.soros.org/initiatives/roma/articles_publications/publications/equal_20070329/roma_2007032 9.pdf oder http://www.eumap.org/topics/minority/reports/roma_education. - 6 - letzt durch mangelnde Investitionen in die schulischen Einrichtungen, die Roma-Kinder besuchen. Obwohl die Regierungen Nationale Aktionspläne11 beschlossen hätten, in denen der Bildungssektor einen der vier Reformbereiche darstelle, bestehe das Problem der gesonderten Beschulung von Roma-Kindern fort: „Selbst wenn die Probleme der Segregation bereits identifiziert wurden, hat doch keines der Länder überzeugende Lösungsansätze initiiert“, so OSI-Bildungsexperte Mihai Surdu. Im Frühjahr 2007 rief das VN-Kinderhilfswerk UNICEF anlässlich einer Studie über die Situation der Roma-Kinder in Südosteuropa die europäischen Regierung dazu auf, Chancengleichheit herzustellen und nachhaltige Maßnahmen gegen die fortwährenden Diskriminierungen zu ergreifen.12 Die Europäische Kommission erklärte in ihrer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage des Europäischen Parlamentes13, sie stimme mit der UNICEF-Studie überein. Die Kommission verwies darauf, dass zwischen 1999 und 2006 mehr als 120 Millionen Euro für Roma-Projekte ausgegeben worden seien, ein Großteil davon im Bildungssektor. In dem Zeitraum von 2007 bis 2013 wird Ungarn von der Europäischen Union 23 Milliarden Euro für soziale und regionale Entwicklungsprojekte erhalten. Nach Auffassung der Stiftung Roma Education Fund (REF)14 ist davon auszugehen, dass von der Verbesserung der sozialen Infrastruktur auch die Roma profitieren werden.15 Das Thema Bildung wird in zahlreichen Publikationen zu der Situation der Roma- Kinder in der Region Südost- und Mittelosteuropas aufgegriffen. Sehr detailliert setzen sich zwei Studien mit den Reformen in Ungarn auseinander: Erstens die Länderstudie des 2005 gegründeten Roma Education Fund (REF), zweitens die Länderstudie des Open Society Institutes (OSI) der Soros Foundation mit dem Titel „Equal access to quality education for Roma“. Beide aus dem Jahr 2007 stammenden Untersuchungen enthalten auch strategische Empfehlungen. 11 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der ungarische Aktionsplan für wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum (The new Hungary Development Plan 2007-20013 for Employment and Growth) das Problem der Roma nicht thematisiert. Vgl. http://www.duihk.hu/fileadmin/user_upload/Dokumente/Wirtschaftsinfos/HU/Foerdermittel/2006- 10-25_NFT2_en.pdf 12 http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/presse/fotomaterial/Roma_Konferenz/Subregional _Study_on_Roma_Children_Embargoed_5March.pdf 13 Schriftliche Anfrage E-1438/07 von Catherine Stihler (PSE); Antwort E-1438/07EN 14 Die Stiftung ist sowohl in der Schweiz, wie auch in Ungarn registriert und hat ihr Hauptbüro in Budapest 15 REF, S. 9 - 7 - 2. Zur Entwicklung der sozioökonomischen Lage der Roma Minderheit in Ungarn In Ungarn leben schätzungsweise 580.000 Roma. Das sind rund 5,5 Prozent der Gesamtbevölkerung von knapp 10,1 Millionen Einwohnern. Bei dieser größten ethnischen Minderheit Ungarns handelt es sich um keine homogene Gemeinschaft. Sie lassen sich nach historischen und sprachlichen Gesichtspunkten in vier Gruppen einteilen. Die größte Gruppe sind mit 70 Prozent die im 15. Jahrhundert eingewanderten sog. „Romungrók “, deren Hauptsprache Ungarisch ist. Rund 20 Prozent der Roma-Bevölkerung zählt zu den später eingewanderten „Oláh-cigányok“ (Eigenbezeichnung „caco rom“). Diese sich als „wahre“ Roma verstehende Gruppe spricht Romanes (auch Romani genannt ), das wie Urdu und Hindi zur indoarischen Sprachfamilie gehört und auf den nordwestlichen Dialekt einer altindischen Volkssprache zurückgeht. Im Westen Ungarns lebt eine kleine aus Österreich stammende Gruppe von Sinti, die ebenfalls Romanes spricht. Im Südwesten des Landes leben die Ende des 19. Jahrhunderts aus Rumänien eingewanderten „Beasch“ (Eigenbezeichnung). Diese ca. 50.000 Roma sprechen vorwiegend Rumänisch.16 Die größten Roma-Ansiedlungen gibt es im Norden Ungarns inklusive der nördlichen Hochebene sowie im süd-westlichen Transdanubien. Die meisten Roma leben in den zwei nördlichen Verwaltungsbezirken Szabolcs-Szatmár-Bereg und Borsod-Abaúj- Zemplén, wo rund ein Viertel von ihnen wohnt. Insgesamt leben 57 Prozent der ungarischen Roma in sehr strukturschwachen Gebieten. Zwischen 58 bis 64 Prozent leben in Dörfern. Vierzig Prozent der Roma leben in Orten mit weniger als 2000 Einwohnern. In den größeren Städten wiederum ist eine Ghettoisierung der Roma-Bevölkerung zu beobachten . Zu den städtischen Ballungsgebieten gehören Budapest, Miskolc und Ozd. Während die magyarische Bevölkerung im Schnitt abnimmt und altert, wächst der Roma -Bevölkerungsanteil. Proportional betrachtet ist der Anteil der Minderjährigen dort aufgrund der hohen Geburtenquote sehr viel höher, wobei die Lebenserwartung mit 56 Jahren zwölf Jahre unter der der magyarischen Bevölkerungsmehrheit liegt. Die Einkommenssituation der Roma hat sich seit dem Wechsel des politischen und wirtschaftlichen Systems im Jahr 1989 laufend verschlechtert. Die meisten ungarischen Roma leben nach Einschätzung des Roma Education Funds unterhalb der Armutsgrenze.17 Ein Drittel von ihnen lebt in extremer Armut, meistens in Wohngebieten mit einer sehr hohen ethnischen Konzentration.18 Eine Vergleichsstudie der Weltbank (2005) zu den Lebensbedingungen von Roma-Haushalten und Haushalten der Mehrheitsbevölkerung 16 Mihok 1998: 119f. 17 Vgl. dazu auch TÁRKI Hungarian Household Panel Serveys (http://www.tarki.hu/en/) 18 REF, S. 9 - 8 - in Bulgarien, Ungarn und Rumänien zeigt die deutliche Benachteilung der Minderheit: Während „nur“ 9,6 Prozent der nicht-Roma Bevölkerung in Ungarn auf Lehmboden schläft, sind es 33 Prozent der Roma. Auch bei den sanitären Verhältnissen, die oft den Grundstein für Diskriminierungen im Alltag legen, klaffen die Verhältnisse auseinander : 88 Prozent der Bevölkerungsmehrheit verfügt über ein Badezimmer oder eine Dusche , jedoch nur 50,2 Prozent der Roma-Haushalte. 83,2 Prozent der ungarischen Bevölkerung haben einen eigenen Warmwasser-Zugang, aber nur 45,1 Prozent der Roma .19 Vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems waren die Roma zwar besser in den Arbeitsmarkt integriert, aber auf einem sehr niedrigen Niveau. „Der Großteil der Roma blieb in der untersten Schicht der ungarischen Gesellschaft stecken. Da soziale Aufstiegschancen nach wie vor stark eingeschränkt sind, werden auch die folgenden Generationen unterprivilegierten Gruppen angehören“, prognostizierte 1998 die Berliner Roma-Expertin Brigitte Mihok.20 Die Einkommenssituation der Roma hat sich seit dem Ende des Kommunismus ständig verschlechtert. Rund 50 Prozent der Roma im arbeitsfähigen Alter sind arbeitslos (im Verhältnis zu 13 Prozent der magyarischen Bevölkerung ), in den strukturschwachen Regionen hätte manchmal nur jeder zehnte Roma Arbeit . Im Jahre 2003 gaben nur 28,1 Prozent der männlichen Roma-Bevölkerung ihr Gehalt als ihre Haupteinkommensquelle an. „Es ist nicht zu übersehen, dass der Großteil der Roma zu den Verlierern der Transitionsprozesse gehört“, bilanzierte Mihok 1998. Die Hilfsarbeiter seien die ersten gewesen, die im Zuge der wirtschaftlichen Veränderungen ohne ausreichende soziale Absicherung ihre Stellen verloren. Die Stimmung in der Bevölkerung sei als Roma-feindlich einzuschätzen. 21 Im Zuge des Demokratisierungsprozesses hätten die Roma zwar gesetzlich verankerte Minderheitengarantien erhalten sowie Möglichkeiten zur Gründung eigener politischer und kultureller Organisationen , doch hätten die ökonomischen Wandelungsprozesse aufgrund des anhaltend niedrigen Bildungs- und Ausbildungsniveaus und des latenten Rassismus auf Arbeitgeberseite zu zunehmender Marginalisierung und Ausgrenzung geführt. Der weitere soziale Abstieg scheine vorgezeichnet.22 Ob sich diese Prognose aus dem Jahr 1998 tatsächlich bewahrheiten wird, kann auch zwei Jahre nach Beginn der Roma-Dekade nur bedingt beurteilt werden. Festzuhalten bleibt, dass Ungarn laut des Roma-Netzwerkes DecadeWatch einen herausragend positiven Platz bei der Bewertung integrativer Bemühungen innerhalb der südosteuropäischen Subregion einnimmt. Dies sagt aufgrund mangelnder Datenerhebung seitens der 19 Ringold, Orenstein, Wilkens 2005, 37. 20 Mihok 1998, 122. 21 Mihok 1998, 122f.. 22 Mihok 1998, 115. - 9 - ungarischen Regierung zwar noch nichts über die tatsächlichen Erfolge der Reformbestrebungen aus, muss aber in eine Bewertung Ungarns mit einfließen. DecadeWatch hält fest, dass eine nachhaltige Wirkung der Integrationspolitik u.a. davon abhängen wird, ob es der Budapester Regierung gelingen wird, die negative Sichtweise der magyarischen Bevölkerungsmehrheit im Hinblick auf die Roma abzubauen und die Mentalität bis hinein in die lokale Ebene schrittweise zum Positiven zu verändern.23 2.1. Wirtschaftlicher Umbruch als Katalysator für Antiziganismus Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den Staaten Mittel- und Osteuropas verstärkte Anstrengungen, die Roma zur Sesshaftigkeit zu zwingen, nicht zuletzt durch die gewaltsame Trennung der Kinder von ihren Familien. Einige Regierungen führten nach Aussage der EU-Kommission Zwangssterilisierungen von Roma-Frauen ein. Der vorherrschende sich gegen die Völker der Sinti, Roma und Jenischen gerichtete Antiziganismus , der im Dritten Reich in Deutschland und zahlreichen anderen besetzten Staaten in blutigen Verfolgungen und Deportationen gegipfelt war, setzte sich nach 1945 vielfach in Form bürokratisierter Diskriminierungen fort. So wurde insbesondere im östlichen Teil Europas die gesonderte Beschulung der Roma-Kinder in Sonderschulen oder Spezialklassen zur Regel. „Nach 1989 ist es sowohl in Ost- als auch in Westeuropa zu Ausbrüchen starker Ressentiments gegen Roma gekommen. In Osteuropa machten manche Regierungen die Roma kollektiv für den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung oder dafür, dass dieser unmittelbar bevorstehe, verantwortlich“,24 so die EU- Kommission in ihrem Bericht von 2004. In Albanien, Bulgarien, Deutschland, Jugoslawien , Polen, Rumänien, Russland, der Slowakei, der Ukraine und Ungarn seien die Roma „systematisch verfolgt“ worden. Rassistische Bewegungen, die sich explizit gegen die Roma richteten, seien insbesondere in der Tschechischen Republik wie in der Slowakei in alarmierender Weise aktiv geworden. Trauriger Höhepunkt seien die blutigen Verfolgungen der Roma durch Kosovo Albaner im Jahr 1999 gewesen. Im Jahresbericht 2002 bezeichnete Human Rights Watch die Situation der Roma in Ungarn als „prekär“. Roma seien Diskriminierungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt , bei der Strafverfolgung und im Bildungswesen ebenso ausgesetzt wie physischer Gewalt.25 Im Jahre 1996 veröffentlichte Human Rights Watch einen knapp 90 Seiten 23 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 36. 24 http://www.errc.org/db/00/DF/m000000DF.pdf (S. 11). Vierfünftel der Roma-Bevölkerung des Kosovos – ca. 120.000 Menschen – seien heute Binnenflüchtlinge oder lebten im Exil. 25 http://hrw.org/wr2k2/europe11.html (Bericht 2002). Der Bericht geht auch auf Einzelfälle ein. - 10 - starken Bericht über Diskriminierungen der Roma in Ungarn und kam zu dem Urteil, dass diese „endemisch“ seien. Die Roma seien in der ungarischen Bevölkerung fast völlig marginalisiert und hätten kaum Mittel, sich aus eigener Kraft gegen die bestehenden Benachteiligungen zu wehren.26 Detailliert wird auf die bestehenden Diskriminierungen im Bildungswesen eingegangen (vgl. Kap. 4). Offene Feindseligkeiten und vielfältige Vorbehalte gehören für die Roma in Ungarn trotz aller Reformen nach wie vor zum Alltag (vgl. Kap 3.2). Laut Frankfurter Rundschau möchten 80 Prozent der ungarischen Bevölkerung nichts mit „den Zigeunern“ zu tun haben. Sogenannte „Dunkelhäutige“ dürften bspw. manche Wirtschaften nicht betreten und Bürgermeister versuchten, in ihren Gemeinden den Verkauf von Häusern an Roma zu verhindern. Zuweilen würden Roma-Ansiedelungen mutwillig zerstört, wie geschehen in der Ortschaft Zamoly (60 Kilometer von Budapest entfernt). Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof sprach den betroffenen Roma daraufhin das Recht auf politisches Asyl aus. Rund zwei Dutzend der obdachlos gewordenen Roma aus Zamoly wurden von Frankreich als Flüchtlinge anerkannt.27 Auch die Journalistin Barbara Minderjahn berichtet, dass Rassismus in Ungarn alltäglich sei und sich ganz besonders gegen die Roma richtet. „Roma sind faul, klauen und leben im Dreck. Das ist das gängige Klischee. Allein deswegen schon werden Romakinder in vielen Schulen diskriminiert. Wenn sie sich dann auch noch anders verhalten als ihre Mitschüler, haben selbst die intelligentesten unter ihnen kaum noch eine Chance auf gute Noten.“28 Nach Angaben des Büros des Minderheiten-Ombudsmannes des ungarischen Parlamentes kommt ein Großteil der Eingaben von Roma, die sich gegen die vielfältigen Formen von Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, im Bildungssektor und bei der Strafverfolgung beschweren.29 26 http://hrw.org/reports/1996/Hungary.htm (Bericht 1996), S. 1. 27 Minderheit im Teufelskreis, Frankfurter Rundschau vom 08.06.2001. 28 „Die Schüler sollen die Schönheit ihrer Sprache sehen“. Die Gandhischule für Romakinder in Pécs. Das Parlament, 19.04.2004. 29 Ringold, Orenstein, Wilkens (2005), 132. - 11 - 3. Zu den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und Initiativen im Hinblick auf Bildungschancen und Minderheitenschutz 3.1. Im europäischen Rahmen Die EU-weite Bekämpfung von Diskriminierungen und Rassismus wurde nach den Änderungen des Vertrages von Amsterdam mit der Annahme einiger Richtlinien zum Artikel 13 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verbessert. Eine herausgehobene Bedeutung kommt der Richtlinie 200/43/EG zu, bei der es um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft geht. Als mögliche Anwendungsbereiche werden explizit Beschäftigung , Bildung, Berufsausbildung, Sozialschutz, Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie Wohnraum genannt.30 Des Weiteren hat die EU ein Aktionsprogramm zur „Bekämpfung von Diskriminierungen (2000-2006)“ verabschiedet , für das die Generaldirektion Beschäftigung und Soziales verantwortlich war. Einer der Prioritätsbereiche zielte laut Kommissionsbericht auf die Integration von Roma im Bereich der Bildung und der Beschäftigung.31 Auch das Europäische Parlament hat sich eingehend mit der ganzen Bandbreite der Diskriminierungen auseinandergesetzt, mit denen Roma in den Mitgliedsstaaten konfrontiert sind. In einer Entschließung (P6_TA, 2005, 0151) forderte das EP die Kommission anlässlich des Internationalen Roma-Tages (8. April 2005) zum Handeln auf. Unter Berufung auf das internationale Regelwerk sowie auf den 2004 von der EU- Kommission veröffentlichten Roma-Bericht32 wies das EP „auf die in mehreren Mitgliedstaaten bestehende Rassentrennung im Schulsystem (hin), wobei die Roma-Kinder entweder in getrennten Klassen mit niedrigerem Niveau oder in Klaßen (sic) für geistig Behinderte unterrichtet werden“. Dieser Hinweis erfolge „in der Erkenntnis, dass ein verbesserter Zugang zu Bildung und Chancen auf akademische Abschlüsse von Roma für Fortschritte im Hinblick auf bessere Aussichten der Roma-Gemeinschaften wesentlich sind.“33 Damit verbunden sei die Aufforderung an die betroffenen Mitgliedstaaten, „innerhalb einer bestimmten Frist Programme zur Beseitigung der Segregation aufzulegen und so den freien Zugang der Roma-Kinder zu qualitativ hochwertiger Schulbildung zu gewährleisten und das Entstehen von Abneigung gegenüber den Roma unter den Schulkindern zu verhindern.“34 Gleichzeitig verwies das EP „auf die Entschließung 30 Die EU-Kommission weist hier insb. auf die Richtlinien 2000/43/EG; 2000/78/EG; 2002/73/EG hin. Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 13. 31 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 14. 32 GD-Bericht Beschäftigung und soziale Angelegenheiten 33 Hinweis unter Punkt P, vgl. Amtsblatt der Europäischen Union C 45 E/131 vom 28. April 2005. 34 Forderung Nr. 15, vgl. Amtsblatt der Europäischen Union C 45 E/131 vom 28. April 2005. - 12 - des Rates und der im Rat vertretenden Unterrichtsminister vom 22. Mai 1989 zur Bildung der Kinder von Roma, Sinti und Fahrenden (…) und ist der Auffassung, dass die Gewährleistung des Zugangs aller Roma-Kinder zur regulären Bildung Priorität bleibt“. Neben dem rechtlichen Rahmen, der Roma als Berufungsgrundlage für den Anspruch auf eine bessere Integration gelten kann, gibt es zwei Teile des EU-Strukturfonds, die allen von Benachteiligungen betroffenen Minderheiten zugute kommen können: Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Europäische Sozialfonds (ESF). Hinzu kommt die Gemeinschaftsinitiative EQUAL, die aus den Mitteln des ESF bezahlt wird. Ziel von EQUAL ist es, neue Instrumente bei der Bekämpfung von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen oder bewährte Mittel auszubauen . Mit Hilfe von sog. Entwicklungspartnerschaften wurden Projekte realisiert, die einer besseren Integration von ethnischen Minderheiten dienen sollten. Einige Projekte wandten sich direkt an Roma, wie z.B. das deutsche Projekt „Roma und Sinti durch Selbstorganisation zu Beschäftigung und Existenzsicherung“.35 Die Generaldirektion Bildung und Kultur hat die Diskriminierung von Roma mehrfach aufgegriffen, u.a. in einer Entschließung des Rates vom 22. Mai 1989 zu einer verbesserten schulischen Betreuung der Roma, Sinti und der Fahrenden. Fünfzehn Jahre nach der Entschließung kam die Generaldirektion für Beschäftigung und Soziales zu dem Urteil, dass „derartige Dokumente oder die Aktionsprogramme der Gemeinschaft Sokrates II oder Leonardo da Vinci noch zu keinen signifikanten Änderungen in Bezug auf die Bildung von Roma geführt“ haben. Die Situation der Roma bleibe insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten Besorgnis erregend. Obwohl von 2001 bis 2003 im Rahmen des PHARE-Programms 77 Mio. Euro Zuschüsse für Roma-Projekte in den damaligen Beitritts- und Kandidatenländern gewährt worden seien, müssten „noch viel mehr Ressourcen über eine lange Zeit zugeteilt werden, um tatsächlich Wirkung zu zeigen.“36 Nach Zeitungsangaben kritisieren selbst PHARE-Mitarbeiter, dass nicht immer gesichert sei, wohin das Geld fließe und ob es tatsächlich bei den Roma ankomme .37 Abschließend ist noch das Jugend-Aktionsprogramm 2000-2006 im Bereich der Bildung zu nennen, dessen Aufgabe es war, durch transnationale Aktivitäten das interkulturelle Bewusstsein zu stärken und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einzudämmen. Ein weiterer Schwerpunkt des Programms war die Verbesserung der Bildungsangebote für Roma, Sinti und Fahrende. Die spezifisch auf diese Gruppe gerichteten Projekte versuchen vor allem, die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs und die Qualität der Bildung 35 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 17. 36 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 18f. 37 Kein Bonus für die Roma, die tageszeitung vom 18.02.2002. - 13 - zu steigern, sowie interkulturelle Bildung und Dialog zu fördern. Außerdem wurden durch das Programm Lehrerfortbildungen und die Ausbildung von Roma-Mediatoren finanziert.38 3.2. Im nationalen ungarischen Rahmen Zwischen 1945-1989 waren die Roma in Ungarn im Gegensatz zu anderen Minderheiten (Deutschen, Slowaken, Südslawen und Rumänen) nicht als eigenständige Nationalität anerkannt, sondern lediglich als „soziale Randgruppe“. Diese Nicht-Anerkennung basierte auf einem ZK-Beschluss aus dem Jahr 1961, der forderte, dass die „Zigeunerfrage “ nicht als eine nationale oder sprachliche Angelegenheit, sondern als eine sozialpolitische zu behandeln sei. Erst 1985 wurden die Roma als „ethnische Minderheit“ in Ungarn anerkannt, blieben aber bis 1988 von der Minderheitenpolitik ausgeschlossen. 1990 wurde ihnen der Status einer „anerkannten Minderheit“ zugesprochen.39 1990 wurde mit dem „Amt für nationale und ethnische Minderheiten“ (Office for National and Ethnic Minorities, NEHK) eine neue Institution ins Leben gerufen, in dem die Reformbemühungen des ungarischen Staates gebündelt werden. Ein weiterer Ansprechpartner ist ein eigens berufener parlamentarischer Minderheiten- Ombudsmann (Parliamentary Commissioner for Ethnic and National Minorities ).40 Die inhaltliche Ausgestaltung des „Decade Action Plan“ (DAP) wurde in die Hände des damaligen Staatssekretärs Laszlo Teleki gelegt, der zunächst direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt wurde. Nach der Umbildung der Regierung im Jahr 2003 wurde das von Teleki geleitete Dekadensekretariat zweimal institutionell neu zugeordnet , zunächst dem Minister für Chancengleichheit, dann dem Ministerium für Jugend und Soziales.41 Im Oktober 1993 trat in Ungarn ein neues Minderheitengesetz in Kraft, das der Roma- Bevölkerung im Hinblick auf kulturelle Identität und Chancengleichheit weitreichende Rechte gewährt. Die Umsetzung, bzw. Ausschöpfung des Gesetzes scheitert jedoch in der Praxis vielfach, nicht zuletzt an mangelnden finanziellen Ressourcen des ungarischen Staates und geringer eigener Mittel der Roma-Minderheit. Nicht förderlich ist zudem, dass der ungarische Staat bei der Ausgestaltung der kulturellen Freiräume auf die Unterstützung der Herkunftsnation setzt, wie z.B. auf Mittel der Bundesregierung 38 Vgl. http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm, S. 27 39 Mihok 1999, 53 40 Ringold, Orenstein, Wilkens (2005), 130-132 41 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 85. - 14 - für die deutsche Minderheit.42 Die Roma verfügen aber aufgrund ihrer spezifischen Geschichte über keine Herkunftsnation und sind deswegen auch im Gegensatz zu den Deutsch-Ungarn nicht als nationale, sondern als ethnische Minderheit anerkannt. Aufgrund ihrer Abhängigkeit vom ungarischen Staat sind sie im Verhältnis zu anderen Minderheiten im Nachteil. Dies wird besonders bei der schulischen Vermittlung ihrer Herkunftssprachen deutlich. 1993 wurde mit dem Minderheitengesetz ein in der Region einmaliges System lokaler Minderheitenselbstverwaltungen (Minority Self-Governements, MSG) eingeführt, um den Angehörigen von Minderheiten einen institutionellen Rahmen zu geben, in dem sie kollektive Rechte und politische Ziele besser vertreten können. Im Juni 2000 waren von insgesamt 1.339 MSGs 738 von Roma geführt, 271 von Deutschen und jeweils 75 von Kroaten und Slowaken. Und dennoch erwiesen sich besonders die Roma-MSGs aufgrund mangelnder personeller und finanzieller Ressourcen und dem niedrigen Bildungsstand ihrer Repräsentanten als wenig erfolgreich. Im Mittelpunkt der Arbeit der lokalen Roma-Vertretungen standen kulturelle und bildungspolitische Inhalte.43 Rein rechtlich betrachtet bietet das Minderheitengesetz eine weitreichende Berufungsgrundlage von der Bewahrung der Identität, über das Prinzip der Kulturautonomie bis hin zum Recht, eigene Einrichtungen für Erziehung, Unterricht, Kultur und Wissenschaft zu unterhalten. Zwar gebe der Staat dazu Zuschüsse, diese seien aber sehr gering, schränkt Mihok ein, so dass die Regelungen zumindest für die Roma nicht zu durchgreifenden Verbesserungen geführt haben. „Strukturelle und personelle Probleme blockieren (…) im Alltag die Ausschöpfung dieser großzügigen Rechte: Es herrscht ein Mangel an ausgebildeten Roma-Kindergärtnerinnen und –Lehrern, es gibt eine viel zu geringe Zahl von Pädagogikstudenten (…), und es fehlen die materiellen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung von Bildungseinrichtungen.“ 44 42 „Bei der Volkszählung 2001 bezeichneten sich 62.000 Bürgerinnen und Bürger Ungarns als Angehörige der deutschen Minderheit, als Angehörige des ungarndeutschen Kulturkreises sogar 87.000; damit bilden die Ungarndeutschen die zweitgrößte Minderheit in Ungarn. Auf der Basis des 1993 verabschiedeten und 2005 novellierten ungarischen Minderheitengesetzes vertritt die "Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen" (LdU) die politischen Interessen der deutschen Minderheit. Deutschland betrachtet die Ungarndeutschen als eine wichtige Brücke zwischen beiden Ländern. Die Bundesregierung unterstützt die Ungarndeutschen durch gemeinschaftsfördernde Maßnahmen, etwa die Ausstattung von Büros der Minderheitenselbstverwaltungen, Begegnungs- oder Altentagesstätten , und durch eine breite Zusammenarbeit im sprachlichen, kulturellen und bildungspolitischen Bereich.“ Quelle: Homepage Auswärtiges Amt (Botschaft Budapest). Vgl.:http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Ungarn/Bilateral.html#t3 (dl 04.07.07) 43 Ringold, Orenstein, Wilkens (2005), 132ff. 44 Vgl. zu den einzelnen Paragraphen des Minderheitengesetzes Mihok 1998: 116f sowie 118 „§ 6.“Die Republik Ungarn unterstützt die Verwirklichung der Rechtsgleichheit auch durch Maßnahmen , welche die Beseitigung der Chancenungleichheit zum Ziel haben.“ § 45 Abs. 2: „Zur Minderung der Bildungsrückstände der Zigeunerethnie können spezifische Unterrichtsbedingungen geschaffen werden.“ - 15 - 4. Zur Bildungssituation für Roma-Kinder: Zwischen verbesserter Rechtslage und strukturellen Defiziten Der in Budapest ansässige Roma Education Fund bescheinigt den politischen Verantwortlichen in Ungarn eine „positive Haltung“ zu einer besseren Integration der Roma- Kinder ins Bildungssystem. Rein rechtlich betrachtet haben diese in Ungarn unbeschränkten Zugang zum Bildungssystem, doch gibt es in der Praxis zahlreiche Beschränkungen , die der verfassungsmäßig garantierten Chancengleichheit zuwider laufen 45: Mihok spricht in diesem Zusammenhang von „Bildungssegregation.“46 Nachfolgend sollen die wichtigsten Kritikpunkte des Roma Education Fund zusammengefasst werden, um einen ersten Überblick zu schaffen47: Selektives Bildungssystem: „In Ungarn gibt es nach Auffassung des REF ein „selektives Bildungssystem“, in dem generell Kindern aus sozial schwachen Familien – also nicht nur Roma – der Zugang zu qualitativ guten öffentlichen Einrichtungen erschwert wird. Die Chance einen Platz im Kindergarten zu bekommen sei niedriger. Diskriminierung/Schulleitung: Schul-Direktionen verhielten sich häufig ablehnend gegenüber Roma Kindern. Armut/Transportkosten: Die Einkommensarmut der Familien stelle eine wesentliche Barriere dar. Viele Roma lebten in strukturschwachen, ländlichen Gebieten. Oft seien die guten Schulen weit entfernt. Der Besuch einer qualitativ guten Einrichtung scheitere dann nicht zuletzt an fehlenden Transportmöglichkeiten , bzw. auch an fehlenden finanziellen Mitteln der Eltern, für diese aufzukommen. Qualitätsmängel/Schulausbildung: Der REF schätzt die Qualität der schulischen Ausbildung für Roma-Kinder deutlich niedriger ein als für die magyarische Bevölkerungsmehrheit. Der daraus resultierende niedrigere Bildungsstand berührt unweigerlich die späteren Berufschancen der Kinder. Qualitätsmängel/Lehrerausbildung: Die Lehrer würden in der Ausbildung nur unzureichend auf einen Unterricht in multikulturellen Klassen vorbereitet . Viele Lehrer zögen Fortbildungen im Bereich Englisch und Informatik vor anstatt sich den sozialen Problemen der Roma zuzuwenden. 45 REF, S. 10. 46 Mihok 1998: 124ff. 47 http://romaeducationfund.hu - 16 - Pauschaleinstufung/Sonderschulen: Bei der Festsetzung der schulischen Qualifikation herrsche die Tendenz vor, Roma-Kinder pauschal heilpädagogischen Sonderschulen zuzuweisen, wo sie unabhängig von ihren geistigen Fähigkeit mit behinderten Kinder zusammen unterrichtet würden und so unweigerlich den Anschluss an nicht-lernbehinderte Gleichaltrige verlören. 4.1. Zur Lage der vorschulischen Bildung Ohne eine bessere Vorbereitung auf die Grundschule und eine gezielte frühkindliche Förderung werden die Roma-Kinder auch in Zukunft die schlechteren Startchancen haben und Gefahr laufen, den Anschluss rasch zu verlieren. Daher sieht Mihok hier die größte Herausforderung des Bildungssektors und verweist auf eine Untersuchung der Pädagogischen Forschungsgruppe der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass eine bessere vorschulische Bildung die Chancen auf eine Ausbildung in der Regelgrundschule deutlich erhöhen würde. Da aber die frühkindliche Förderung von Roma-Kindern an zahlreichen Barrieren scheitere, würde nach wie vor ein sehr hoher Prozentsatz von ihnen pauschal heilpädagogischen Sonderschulen zugewiesen. Besonders Gemeinden mit einem hohen Anteil an Roma unterhielten häufig keine Kindergärten.48 Eine Fallstudie der Weltbank in der Kleinstadt Hajdúhadház hat die gravierenden Startnachteile gezeigt, die Roma-Kinder trotz aller Investionen im Bildunsgssektor nach wie vor haben. Der Großteil von ihnen lernt in den beiden örtlichen Grundschulen in Förderklassen (bridging classes), Spezialklassen (segregated classes) oder in heilpädagogischen Integrationsklassen. Die meisten von ihnen haben nur die letzte Klasse der insgesamt drei Jahre währenden Vorschule besucht. Zu den Folgen der unzureichenden Vorbereitung auf die Grundschule wird der Direktor einer örtlichen Grundschule zitiert: „Das einzige Auswahlkriterium (für die Förderklassen) ist die Vorschulerziehung. Jemanden in eine normale Klasse ohne vollständige Vorschulerziehung zu tun, wäre vergleichbar mit einem Rennen zwischen einem Trabanten und einem Mercedes.“ Die Weltband kritisiert die bisherige Verwendung der eigens für Roma-Kinder eingestellten Mittel als Fortsetzung des segregierten Schulsystems.49 48 Mihok 1998: 126. 49 Ringold, Orenstein, Wilkens (2005), 140ff. - 17 - 4.2. Zur Lage der schulischen Bildung Geringe Unterschiede innerhalb der Bevölkerungsgruppen Ungarns scheint es hinsichtlich der schulischen Registrierung von Kindern im Alter zwischen 6-14 Jahren zu bestehen . Die Quote der Roma-Kinder liegt nur knapp unter der der Nicht-Roma-Kinder. Die Weltbank weist jedoch darauf hin, dass diese Zahl noch nichts über den regelmäßigen Schulbesuch aussagt. Nicht nur zwischen Roma und Nicht-Roma divergieren die Schulkarrieren, sondern auch innerhalb der einzelnen Roma-Gruppen. Entscheidend für die Frage, ob die Grundschulausbildung abgeschlossen oder abgebrochen wird, scheint sowohl der Ort der Schulausbildung zu sein, wie auch die Herkunftssprache. So fand eine Studie von 1993 heraus, dass die Schulabbrecherquote der Roma in Budapest bei 16 Prozent, in anderen Städten bei 24 Prozent und auf dem Land bei 27 Prozent lag. Auch Sprachkompetenz entscheidet über die Dauer des Schulbesuchs: Romungrok- Roma, deren Muttersprache Ungarisch ist, haben nur zu 23 Prozent weniger als eine Grundschulausbildung. Bei den vorwiegend Rumänisch sprechenden Beasch liegt die Quote hingegen bei 42 Prozent.50 Eine frühzeitige Segregation von Roma-Kindern, also ihre Trennung von Altersgenossen anderer Ethnien, wird in den einschlägigen Studien des Open Society Instituts und des Roma Education Funds übereinstimmend als wesentliches Problem benannt. Die Absonderung von Roma-Kindern verläuft auf mehreren Ebenen:51 Segregation nach Schulen: Schulverwaltungen eröffnen eigene Schulen für Roma-Kinder, da Eltern anderer Ethnien dazu tendieren, bei einer zu hohen Roma-Konzentration ihre Kinder von den Regelschulen zu nehmen und eigenständig umzuschulen. Dieses Phänomen wird auch „white flight“ genannt . Zuweisung zu Sonderschulen: Oft würden Roma Kinder ohne pädagogische Notwendigkeit heilpädagogischen Sonderschulen zugewiesen, um sie nicht in Regelschulen beschulen zu müssen. Der Anteil von Roma-Kindern sei in Sonderschulen extrem hoch. Segregation nach Klassen: Ungarische Schulen haben kein Interesse an einer Abwanderung von nicht-Roma Schülern, da ihr Budget abhängig ist von der Gesamtschülerzahl. Um dem Schülerschwund entgegen zu wirken, eröffnen sie spezielle Roma-Klassen, die häufig in anderen, qualitativ schlechteren Gebäuden, bzw. Räumen untergebracht sind. 50 Ringold, Orenstein, Wilkens (2005), 43. 51 REF, S. 11. - 18 - Einteilung als Study-at-Home Schüler: Viele Roma-Kinder würden als „study-at-home“-Schüler eingeteilt und lediglich die Prüfungen am Schuljahresende ablegen. Aufgrund der in der Regel schlechten Wohnverhältnisse und des niedrigen Bildungsgrades der Eltern sind diese Schüler gegenüber regelbeschulten Kindern deutlich im Nachteil. Abdrängung in Schulen für berufliche Weiterbildung: Ältere Roma- Schüler würden häufig in der 9. und 10. Klasse in Schulen zur beruflichen Weiterbildung abgedrängt, die ein Sammelbecken für sozial schwache und akademisch schlechte Schüler seien. Zahlreiche ungarische und internationale Untersuchungen hätten auf die hohe Abbrecherquote, die geringen Praktika -Plätze und die mangelnde Verzahnung mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes hingewiesen.52 Auch Human Rights Watch kritisierte 1996 ausführlich die bestehenden Diskriminierungen im Bildungssystem. Folgende Kernaussagen finden sich in dem Bericht53: Reformwunsch der Roma-Eltern: Die 120 Interviews, die 1995 in 40 Städten geführt wurden, hätten gezeigt, dass Roma-Führer und Eltern Verbesserungen im Bildungssystem als dringlichstes Problem einstufen. Benachteiligung bei kultureller Erziehung: In der ungarischen Mehrheitsbevölkerung gebe es einen starken Widerstand gegen den Anspruch der Roma auf kulturelle Erziehung (Unterricht in der eigenen Sprache und Geschichte ), wobei anderen Minderheiten dieses Recht zugebilligt werde. Bereits während des kommunistischen Systems hätten andere nationale Minderheiten entsprechende Privilegien gehabt, die man auch heute den Roma in der Praxis vorenthalte, obwohl sie nun rechtlich denselben Anspruch besäßen . Endstation Grundschule: Obwohl die Anzahl der Grundschüler und damit die Alphabetisierungsquote in der ersten Hälfte der 1990er Jahre erheblich zugenommen habe, sei der Besuch weiterführender Schulen immer noch extrem selten. Während die Hälfte der ungarischen Schüler ihre Schulausbildung nach der 8. Klasse fortsetzte, sind es bei den Roma nur 3 Prozent. Nur 1 Prozent der Roma studiere später. Isolation von Mehrheitsgesellschaft: Obwohl die Roma nur fünf Prozent der Bevölkerung stellen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit einem über- 52 Vgl. REF, 10-12. 53 http://hrw.org/reports/1996/Hungary.htm (S. 28-35). - 19 - proportional hohen Anteil anderer Roma-Kinder die Schule besuchen, sehr hoch. Die pauschale Einstufung von Roma-Kindern für Förderklassen führe entgegen der offiziellen Intention fast nie zur Rückschulung ins Regelsystem . HRW bezeichnet diese Förderschulen als „Sackgassen-Institutionen“.54 Oft würden die Kinder gar nicht richtig getestet, so dass auch normal intelligente oder unauffällige Schüler eine Schulausbildung auf niedrigem Niveau erhielten. Die Roma-Schüler seien somit „off the playing field from day one“.55 “White Flight“: Eltern der ungarischen Mehrheitsbevölkerung würden ein gemeinsames Lernen der Kinder konterkarieren, indem sie ihre Kinder von Schulen mit hohem Roma-Anteil herunternähmen („white flight“). Da die Schulen ihr Budget entsprechend ihrer Schülerzahl erhielten, seien die Direktionen indirekt gezwungen, Spezialklassen für hauptsächlich Roma- Kinder zu öffnen, um den Schwund anderer magyarischer Schüler zu vermeiden . Materielle Armut als Hürde: Mangelnde materielle Ressourcen führten zu einer weiteren Benachteiligung der Roma-Schüler. HRW zitiert den Vater eines Schülers aus dem Verwaltungsbezirk Baranya: „Entweder bekommt er Bücher oder Schuhe. Beides kann ich mir nicht leisten.“ Ein Lehrer aus dem Nordosten weiß hingegen zu berichten, dass im Winter viele Schüler zuhause bleiben, weil sie keine geeignete Kleidung hätten.56 Mangelnde Datenerfassung als Reformhindernis: Seit 1992 dürfen Bildungseinrichtungen keine Statistiken nach ethnischen Kriterien führen. Das Verbot „ethnischer Statistiken“ mache es unmöglich, die Zweckbestimmung der zugewiesenen Mittel zu überprüfen. Oft kämen die entsprechenden Mittel nicht ihrem Förderzweck zugute. Mangelndes Vertrauen in gymnasiale Eignung: HRW bezeichnet die Steigerung des Roma-Anteils in den weiterführenden Schulen als Gradmesser für erfolgreiche Bildungsarbeit. Der Anteil von Roma-Kindern auf Gymnasien ist nach wie vor verschwindend gering. Roma-Kindern werde deutlich weniger zuge-traut.Vorbildfunktion habe das Gandhi-Gymnasium in Pécs.57 54 http://hrw.org/reports/1996/Hungary.htm, S. 30. 55 http://hrw.org/reports/1996/Hungary.htm, S. 31. 56 http://hrw.org/reports/1996/Hungary.htm, S. 32. 57 Der Großteil der Kosten wird von der Soros-Foundation getragen. - 20 - Minderheitenschulen: Im Gegensatz zu anderen Minderheiten hätten die Roma keine Schulen, in denen der Unterricht teilweise in ihren Sprachen stattfinden könne. 4.3. Empfehlung des Open Society Institutes Das Open Society Institute der Soros-Foundation hat in seiner Länderstudie zu Ungarn (2007) insgesamt 44 Empfehlungen an die ungarische Regierung ausgesprochen, die hier zusammengefasst wiedergegeben werden58: Datenlage: Verbesserung und methodische Vereinheitlichung der Datenerhebung . Erhebung von Daten nach „ethnischer Zugehörigkeit, Farbe, Religion , Sprache, Geschlecht, Alter, Wohnort und Nationalität“. Regelmäßige und kontrollierte Datenerhebung in öffentlichen Schulen im Hinblick auf Leistungsbilanz der Schüler, Abbrecherquoten, Schulversagen. Vorschule: Umsetzung des Ziels Nr. 4 (target 4) des National Action Plan of the Decade of the Roma Inclusion (nachfolgend Decade Action Plan): Erhöhung der Vorschulplätze; Platzanspruch für Kinder aus prekären (vulnerable) Familien; im Bedarfsfall kostenlose Mahlzeiten; Senkung des Vorschulpflichtalters . Wohnort Segregation/ geographische Isolation: Erhöhung des regionalen Schulangebotes; Qualitätsverbesserung und bessere Kontrolle des Selektionsverfahrens ; kostenlose Unterbringung und Verpflegung der Schüler bei langen Schulwegen; Initiativen, um die Intoleranz von Nicht-Roma Eltern und -Schülern abzubauen. Einstufungsverfahren in Sonderschulen, bzw. Spezialklassen: Erfüllung der Ziele 2, 3, und 5 des Decade Action Plans (Bekämpfung der Praxis der Fehleinstufung und Stigmatisierung von Roma Kindern im Bildungssystem; fachliche Überprüfung der bereits als lernbehindert eingestuften Schüler und gegebenenfalls Rückschulung ins allg. Schulsystem; bessere Kontrolle des Einstufungsverfahrens als ‚Study-at-Home“-Schüler’59; Gewährleistung, dass die Einstufung in Sonderschulen oder spezielle Klassen nach objektiven 58 Equal Access to Quality Education for Roma, OSI 2007, 190-195. Vgl. Auch Anlage 59 In diesem Fall sollen Schüler den Lehrstoff selbstständig zuhause erarbeiten und legen lediglich die Prüfungen am Schuljahresende unter Aufsicht ab. Angesichts der Tatsache, dass viele Roma Familien in beengten Verhältnissen leben und auch viele Eltern einen niedrigen Bildungsgrad haben, in ein störungsfreies, effizientes Lernen vielfach nicht gewährleistet. - 21 - Kriterien und nicht aufgrund kultureller Vorbehalte verläuft; Einbeziehung eines Roma-Repräsentanten in den Prüfungsausschuss für Lernbehinderungen ; Stärkung einer entschlossenen Reintegrationspolitik für fehlplazierte Schüler. Sprache: Erfüllung der im Minderheitengesetz festgeschriebenen Verpflichtungen , eine multikulturelle Erziehung zu gewährleisten, indem ausreichend fremdsprachiges Lehrmaterial sowie entsprechend ausgebildetes Lehrpersonal zu Verfügung steht, die Sprachkenntnisse in Romanes und Beasch- Rumänisch besitzen; früheres Einsetzen der Sprachvermittlung. Schulfinanzierung: Herstellung „sektoraler Neutralität“, so dass kirchliche und private Schulen nur bei Gleichbehandlung aller Schüler Anspruch auf öffentliche Gelder haben; Einführung effektiverer Sanktionen bei Regelverstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz. Schulbezirke: Wiedereinführung verbindlicher Schulbezirke und Sanktionierung eigenmächtiger Umschulungen durch Übertragung der Schulkosten an die betreffenden Eltern.60 Schulausstattung: Festsetzung eines verbindlichen Minimalstandards für Schulen und Vorschulen im Hinblick auf Infrastruktur, Personal, physische Bedingungen (physical conditions) und Lernergebnisse. Bestellung eines Notfall-Managers bei Nicht-Erfüllung des Minimalstandards und Schließung der Einrichtung nach drei Jahren im Falle fehlender Angleichung. Lernbedingungen: Schaffung zusätzlicher Lernräume (study halls), um Kindern aus benachteiligten Familien das Erledigen von Hausaufgaben zu ermöglichen. Lehrplanstandards: Sicherstellung, dass zusätzliche Kurse (Sprachen, Kunst, Spezialisierungen) grundsätzlich allen Schülern offen stehen. Anti-Diskriminierungstraining: Einführung von Modulen über soziale Gerechtigkeit als fester Bestandteil der Lehreraus- und Fortbildung; Abbau von Stereotypen und Vorurteilen im Hinblick auf die Perzeption der Roma. Schulaufsicht: Vereinheitlichung bestehender Kontrollmechanismen für Schulen und Vorschulen; Verhängung von Bußgeldern für die Einrichtung 60 Hintergrund ist die Tendenz von Nicht-Roma Eltern, ihre Kinder bei hohem Roma-Anteil in Klassen , bzw. Schulen abzumelden und ein homogenes Umfeld zu suchen. - 22 - von Spezialklassen oder sogenannte „catch-up classes“61 ; Zentralisierung der Schulaufsicht und Objektivierung des Aufsichtsverfahrens; stärkere Kontrolle der Inspektoren im Hinblick auf Fairness.62 5. Abschließende Bemerkungen Zwei Jahre nach Beginn der Roma-Dekade zog die Initiative DecadeWatch Bilanz. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Roma-Aktivisten verschiedenster zivilgesellschaftlicher Gruppierungen und Wissenschaftler, die mit fachlicher und finanzieller Unterstützung des Open Society Institutes und der Weltbank in den Jahren 2005-2006 eigenständige Untersuchungen vorgenommen haben, um die Umsetzung der ehrgeizigen Ziele in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Dekade zu überprüfen und auf Erfolge wie auf Mängel hinzuweisen. Das Ranking bezieht sich auf die Kernbereiche Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheit, Wohnen und Diskriminierung. Zu diesem Zweck wurde ein von 0 bis 4 reichendes Punktesystem entwickelt.63 Um einschätzen zu können, wo Ungarn im Rahmen der Dekadeaktivitäten steht, muss man die Vergleichsperspektive betrachtet. Hier ist zusammenfassend folgendes festzustellen 64: Zur regionalen Bilanz65 61 Klassen, die vorgeblich zum Nachholen von Lehrstoff dienen, aber de facto ein langsameres und wenig anspruchsvolles Lehrprogramm haben sollen. 62 Hier scheint Übereineinstimmung zu dem „EU Monitoring and Advocacy Program (EUMAP) zu bestehen, wie ein etwas unklarer Verweis auf S. 195 der OSI-Studie vermuten lässt. 63 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 15. Erläuterung zum Punktesystem: 0: keine Handlung der Regierung. 1: Sporadische Maßnahmen, erste Schritte, aber keine regelmäßiges oder systematisches Vorgehen. 2: Regelmäßige, aber keine systematischen Maßnahmen; noch kein programmatischer Ansatz. 3: vorliegendes Regierungsprogramm, fortgeschrittene Handlungen, aber keine integrierte Politik (gemeint ist hier koordiniertes Handeln der verantwortlichen Stellen) 4: Integrierte Politik , die den Standard für Regierungshandeln und Verantwortlichkeit setzt. 64 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 18-20. 65 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 18-20. - 23 - Es hat in allen Dekade-Ländern (Mazedonien ausgenommen) in den letzten zwei Jahren „spürbaren Fortschritt“ gegeben. Decade Action Plans (DAPs) und ein entsprechender institutioneller Rahmen für ihre Umsetzung wurden geschaffen. Es mangelt in allen Ländern noch an Nachhaltigkeit der Initiativen. Die meisten Regierungen begreifen Roma-Inklusion als sporadische Aufgabe. Decade- Watch plädiert hingegen für langfristige und kontinuierliche Strategien. Die institutionelle Verzahnung der unterschiedlichen Roma-bezogenen Arbeitseinheiten ist noch unzureichend und Absprachen müssen besser koordiniert werden. Das gilt sowohl für die zentralstaatlichen Stellen, wie auch für den Informationsfluss zwischen Hauptstätten und Provinzen, bzw. lokalen Behörden. Für den Erfolg der Maßnahmen ist die Rolle der Gemeinden entscheidend. Dies muss stärker anerkannt werden. Sie müssen besser einbezogen werden. Die Umsetzung der Reformen auf lokaler Ebene muss besser kontrolliert werden. Positiv zu sehen ist die Einrichtung des Decade Trust Funds, aus dem eine Reihe von Gemeinschaftsaufgaben finanziert werden. Mit Ausnahme von Serbien und Montenegro zahlen alle Dekademitgliedsstaaten ein. Als größtes Hindernis auf dem Weg zu einer Implementierung der DAPs erweist sich der Mangel an zuverlässigem Datenmaterial, der die Bereiche Bildung , Arbeitsmarkt, Gesundheit und Wohnen umfasst. Erst umfangreiche, regelmäßig erhobene und differenzierte Daten ermöglichen die Überprüfung, ob die Implementierung begonnener Reformen erfolgreich ist. DecadeWatch empfiehlt, Zwei-Jahres-Pläne einzuführen und verbindliche Zielvereinbarungen zu treffen. Die Agenda der Roma-Dekade muss von den Regierungen stärker als nationalstaatliche Angelegenheit verstanden werden. Diese Auffassung muss sich auch noch stärker in der Bevölkerung durchsetzen. Zur ungarischen Bilanz66 Ungarn hat innerhalb der Dekade-Länder die größten Fortschritte gemacht. Die ungarische Gesamtbewertung wird lediglich durch den Umstand gemindert, dass 66 http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf, S. 21-29. - 24 - bei Redaktionsschluss des DecadeWatch-Berichtes noch kein langfristiger Decade Action Plan vorlag. In der Gesamtbewertung liegt Ungarn mit 2,29 Punkten auf dem ersten Platz, gefolgt von Bulgarien (1,84 P); Slowakei (1,82 P), Tschechische Republik (1,76), Rumänien (1,72 P), Kroatien (1,70 P), Mazedonien (1,37 P), Serbien (1,24 P) und dem Schlusslicht Montenegro (0,63 P). Ende 2006 hatten die meisten Dekade-Länder DAPs mit einer zehn Jahresperspektive angenommen, deren Ausgestaltung stark variiert. Ungarn und Rumänien hatten zum Zeitpunkt der Erhebung noch keinen Zehn-Jahresplan verabschiedet . Das Ranking für diesen Bereich führt die Tschechische Republik an (2,3 P). Ungarn liegt gemeinsam mit Montenegro auf dem siebten und damit vorletzten Platz (0,60 P). Hinsichtlich der Schaffung eines effizienten institutionellen Rahmens liegt Ungarn auf dem ersten Platz (3,13 P), dicht gefolgt von der Slowakei (2,94 P). Beurteilt wurde hier, ob die Länder geeignetes Personal ausgebildet haben, welchen Rang die Mitarbeiter besitzen, welche Kompetenzen diese haben, ob die Koordination der Aktivitäten gut funktioniert und ob das Land in den Decade Trust Fund einzahlt und ob es an den Treffen des International Decade Steering Committee teilnimmt. Verlierer dieses Rankings sind Serbien (1,25 P) und Montenegro (0,50 P). Bei dem Bereich Bildung liegt Ungarn mit Abstand auf dem ersten Platz (3,80 P), gefolgt von Rumänien (2,40 P). Die anderen Länder haben Wertungen im Einserbereich. So liegt die ansonsten vergleichsweise gut abschneidende Tschechische Republik bei 1,0 Punkten. Das relativ niedrige Ranking lässt indessen nicht auf mangelnde Fortschritte schließen, sondern hat u.a. mit den Beurteilungskriterien zu tun (bspw. dem Fehlen Roma-bezogener Bildungsdaten). Bei der Begleitung der Reformen wird die positive Rolle des Roma Eduaction Funds erwähnt. Ungarn könne den anderen Dekade-Ländern als Vorbild dienen und habe gezeigt, wie nach Abschluss der Pilotphase eine konzertierte Reformpolitik aussehen könne. Auch im Hinblick auf die Umsetzung einer EU-konformen Anti- Diskriminierungspolitik liegt Ungarn mit Abstand vorne (4,00 P). Auf dem zweiten Platz liegen Bulgarien und Rumänien (3,50 P). Deutlichen Rückstand haben Kroatien, die Tschechische Republik und Serbien (je 1,00 P). Das Schlusslicht bilden Mazedonien und Montenegro. Von den fünf erwähnten Rankings belegt Ungarn viermal den ersten Platz. Auch bei den Roma-bezogenen Reformen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt liegt - 25 - es vorne. Im Gesundheitsbereich belegt Ungarn den vierten Platz. Ingesamt schneidet es im Vergleich zu den anderen Dekade-Ländern mit Abstand am besten ab. 6. Quellenverzeichnis I. Aufsätze & Monographien Mihok, Brigitte (1998): Rechtliche Gleichstellung versus alltägliche Chancenungleichheit . Zur Situation der Roma in Ungarn. In: Ethnos-Nation 6, S. 115-129. Dies (1990): Vergleichende Studie zur Situation der Minderheiten in Ungarn und Rumänien (1989-1996) unter besonderer Berücksichtigung der Roma. In der Reihe: Ethnien – Regionen - Konflikte; Bd. 10; Frankfurt a./ Berlin u.a.,. Ringold, Dena; Orenstein, Mitchell A:, Wilkens; Erika (2005): Roma in an Expanding Europe: Breaking the Poverty Cycle. Hg. von The World Bank, Washington D.C.. II. Offzielle Dokumente Amtsblatt der Europäischen Union C 45 E/131 vom 28. April 2005. Europäisches Parlament: Schriftliche Anfrage E-1438/07 von Catherine Stihler(PSE) EU-Kommission: Antwort E-1438/07EN III. Presse Minderheit im Teufelskreis, Frankfurter Rundschau vom 08.06.2001. - 26 - „Die Schüler sollen die Schönheit ihrer Sprache sehen“. Die Gandhischule für Romakinder in Pécs. Das Parlament, 19.04.2004. Kein Bonus für die Roma. die tageszeitung vom 14.08.2002. Vgl. http://www.taz.de/index.php?id=archiv&dig=2002/08/14/a0099&type=98 Elektronische Quellen (alphabetisch) Bulgarien übernimmt Vorsitz (dl 09.07.07) http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2081248,00.html Chance for Children Foundation (dl 03.07.07) http://www.cfcf.hu/?language=english&folder_id=101 Decade of Roma Inclusion 2005-2015 (dl 04.07.07) http://www.romadecade.org/ Decade Watch (dl. 10.07.07) http://demo.itent.hu/roma/portal/downloads/DecadeWatch/DecadeWatch%20- %20Complete%20(English;%20Advance%20Printing).pdf European Centre for Minority issues (dl. 02.07.07) Status of National Minorities: http://www.ecmiromania.org/Publications.14.0.html European Roma Information Office (dl. 10.07.07) http://www.erionet.org/ - 27 - EU- PHARE-Programm (dl. 04.07.07) http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/brochure_roma_oct2003_de.pdf European Roma Rights Center (dl. 10.07.07) http://www.errc.org/ http://www.errc.org/db/00/DF/m000000DF.pdf (Bericht 2004) Hungary Statistics 2007 (dl 04.07.07) http://www.ecmi.de/emap/download/Hungary_Statistics.pdf Human Rights Watch (dl. 11.07.07) http://hrw.org/reports/1996/Hungary.htm (Bericht 1996) http://hrw.org/wr2k2/europe11.html (Bericht 2002) Information and Refugee Board of Canada (dl 04.07.07) http://www.irbcisr .gc.ca/en/research/ndp/ref/index_e.htm?docid=84&cid=105&sec=CH07 Open Society Institute (dl. 10.07.07) http://www.soros.org/initiatives/roma/articles_publications/publications/equal_2007032 9/roma_20070329.pdf Roma Education Fund (dl 02.07.07) Country Assessment/ http://romaeducationfund.hu/ - 28 - Romnews.com (dl 10.07.07) http://www.romnews.com/community/index.php?newlang=deu „Roma unter dem Stabilitätspakt“ der Europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) (dl. 10.07.07) http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/roma/rfund/rfund_de.htm Theodor-Heuss-Stiftung (dl 10.07.07) http://www.theodor-heuss-stiftung.de/inhalt/presse/text.php?we_start=2 Ungarische Regierung (dl. 10.07.07) http://www.duihk.hu/fileadmin/user_upload/Dokumente/Wirtschaftsinfos/HU/Foerderm ittel/2006-10-25_NFT2_en.pdf UNICEF (dl 02.07.07) http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/presse/fotomaterial/Roma_Konferenz/S ub-regional_Study_on_Roma_Children_Embargoed_5March.pdf Weltbank (dl. 02.07.07) http://siteresources.worldbank.org/INTDGF/DGFPrograms/21170353/RY07RomaEduF und.pdf http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/NEWS/0,,contentMDK:21134175~me nuPK:34463~pagePK:34370~piPK:34424~theSitePK:4607,00.html (dl. 10.07.07)