© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 101/17 Länderstudie Kolumbien Menschenrechtslage und Humanitäre Hilfe Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Ausblick 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 4 1. Einleitung Die Menschenrechtslage in Kolumbien ist trotz des 2016 unterzeichneten und per Referendum angenommenen Friedensvertrages problematisch. Ein fast sechs Jahrzehnte andauernder Binnenkonflikt , der Drogenhandel, die organisierte Kriminalität und die ungleiche Verteilung von Einkommen prägen die kolumbianische Gesellschaft. Während das Gewaltniveau in Kolumbien nach Angaben des Auswärtigen Amtes in den letzten 10 Jahren insgesamt deutlich zurückgegangen ist, stieg die Anzahl der Morde an Menschenrechtsverteidigern seit 2016 im Vergleich zu den Vorjahren massiv an.1 Diese Ausarbeitung untersucht die allgemeine Menschenrechtslage in Kolumbien ebenso wie die bisherigen Humanitären Hilfsleistungen der verschiedenen nationalen und internationalen Akteure. Vor dem Hintergrund der wichtigsten historischen Ereignisse (2.) und des aktuellen Friedensprozesses (3.) werden Schwierigkeiten und politische Rahmenbedingungen für die Leistung humanitärer Hilfe aufgezeigt (4.). Eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Humanitäre Hilfe“ existiert nicht. Teilweise wird darauf abgestellt, Humanitäre Hilfe sei „bedarfsorientierte Nothilfe, die während oder im Nachgang einer von Menschen verursachten Krise oder einer Naturkatastrophe stattfindet mit dem Ziel, Leben zu retten, Leid zu mindern und die Menschenwürde zu erhalten sowie die Prävention und Vorsorge für vergleichbare Situationen zu stärken, wenn Regierungen und lokale Akteure überfordert, außer Stande beziehungsweise nicht willens sind, angemessene Hilfe zu leisten.“2 Kern jeder Humanitären Hilfe ist dieser (und weiterer Definitionen zufolge)3 die Nothilfe und gerade nicht die Entwicklungshilfe. Humanitäre Hilfe ist stets bedarfsorientiert und an den Prinzipien der Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit ausgerichtet. Ferner 1 Auswärtiges Amt (AA), „Länderinformationen: Kolumbien: Innenpolitik“ (2017), verfügbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kolumbien/Innenpolitik_node.html (zuletzt aufgerufen am 6. November 2017). 2 Lieser, „Was ist humanitäre Hilfe?“ in Lieser und Dijkzeul (Hrsg.) Handbuch Humanitäre Hilfe (Springer, Berlin , 2013), S. 10. 3 AA und BMZ, „Leitfaden zur Erläuterung der Aufgaben des Auswärtigen Amts (AA) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in den Bereichen der Humanitären Hilfe und der Entwicklungsfördernden strukturbildenden Übergangshilfe“ (2012), verfügbar unter: https://www.bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv/themen_und_schwerpunkte/umwelt/Leitfaden _AA_BMZ_Humanitaere_Hilfe_Uebergangshilfe.pdf, S. 3; Ärzte ohne Grenzen, „Humanitäre Prinzipien“, verfügbar unter: https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/humanitaere-prinzipien (jeweils zuletzt aufgerufen am 15. November 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 5 trägt nach dem Subsidiaritätsprinzip die Regierung des betroffenen Staates die Hauptverantwortung für den Schutz ihrer Bevölkerung. Internationale Hilfe greift erst dann ein, wenn die Regierung dieser Aufgabe nicht mehr ausreichend nachkommen kann oder will.4 Humanitäre Hilfe zielt grundsätzlich eher auf die kurzfristige und unmittelbare Bekämpfung akuter lebensbedrohlicher Not, während Entwicklungshilfe die langfristige und nachhaltige Beseitigung der Ursachen von Armut, Unterentwicklung und Ungerechtigkeit anstrebt. Insbesondere bei lang anhaltenden Notsituationen oder sog. komplexen Krisen ist diese zeitliche und inhaltliche Abgrenzung der humanitären Hilfe von der Entwicklungszusammenarbeit aber schwierig.5 Wegen der ungewöhnlich langanhaltenden Kriegssituation scheint auch in Kolumbien eine klare Trennung zwischen den Bestrebungen zur Verbesserung der Menschenrechtslage einerseits und Humanitärer Hilfe andererseits kaum möglich bzw. sinnvoll. Die andauernde Notsituation ist auf Grund von politischen und gesellschaftlichen Prozessen stark mit den menschenrechtlichen Problemen verwoben und gegenseitig bedingt. So haben jahrzehntelanger Landraub von Seiten der (Para-)Militärs bzw. Rebellen, Einschüchterung, die Existenz von Landminen, Korruption sowie enge Verbindungen zwischen Politik und Drogenkartellen in der Bevölkerung ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber staatlichen und (para-)militärischen Akteuren verursacht. 2. Historische Einbettung der aktuellen Situation in Kolumbien Seit dem Zerfall Groß-Kolumbiens im Jahr 1829/30 in die drei Staaten Venezuela, Ecuador und Kolumbien befindet sich Kolumbien in einem nahezu permanenten Zustand innerer Kämpfe.6 Der von 1948 bis 1953 andauernde Bürgerkrieg zwischen Konservativen und Liberalen (La Violencia) zwang Hunderttausende Bauern zur Flucht aus den fruchtbaren Andenregionen. Als Folge von Gewaltexzessen, welche teilweise von Regierungsseite gestützten Banden ausgingen und sich nicht nur gegen Oppositionelle richteten, organisierten sich die Bauern (campesinos) in einer Art Selbstverteidigungsgruppen, die die ersten modernen Guerillaverbände bildeten. Seitdem herrscht ein bewaffneter Konflikt zwischen der Regierung und verschiedenen Guerillagruppen , wie etwa der größten Guerillagruppe des Landes, der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens, FARC), der Ejército de Liberación Nacional (Nationale Befreiungsarmee, ELN) sowie anderen paramilitärischen Gruppen.7 4 AA, „Grundlagen der humanitären Hilfe“ (2017), verfügbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik /Themen/HumanitaereHilfe/1_Grundlagen/Grundlagen_node.html (zuletzt aufgerufen am 6. November 2017). 5 Lieser, „Was ist humanitäre Hilfe?“ (Fn. 2), S. 11. 6 BPB, „Kolumbien“ (29. September 2017), verfügbar unter: http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche -konflikte/54621/kolumbien zuletzt aufgerufen am 7. November 2017). 7 Die FARC wurde 2012 auf 7.800 Kämpfer, die ELN auf ca. 1.500 bis 3.000 Kämpfer geschätzt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 6 Der Guerilla setzte der kolumbianische Staat seit den 1970er Jahren eine „Aufstandsbekämpfung“ entgegen, die massive Gewaltexzesse gegen die Zivilbevölkerung einschloss. Entführungen, gewaltsames Verschwindenlassen, Mord, Rekrutierung von Kindern, Einsatz von Landminen sowie sexuellen Gewaltdelikten wurden von der Regierung toleriert oder teilweise gar kollusiv verabredet .8 In den 1970er Jahren verbreitete sich zudem der Cannabis- und Koka-Anbau. Drogenanbau und -handel erlangten zunehmende Bedeutung für die Finanzierung aller bewaffneten Gruppen.9 In den 1980er Jahren erstarkten die paramilitärischen Gruppen. Sie gaben vor, die Guerilla zu bekämpfen, gingen jedoch vielfach auch gegen Zivilisten und Oppositionelle vor und waren wesentlich am Landraub sowie am Drogengeschäft beteiligt.10 Der Konflikt brachte seit 1985 schätzungsweise 7,3 Mio. Binnenvertriebene hervor.11 Kolumbien rangiert damit, nach Syrien, auf Platz 2 der Länder mit der weltweit größten Zahl an Binnenvertriebenen .12 Mitte 2005 wurde mit der Verabschiedung des „Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden “ ein sog. Demobilisierungsprozess der paramilitärischen Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) initiiert.13 Paramilitärs und Guerillakämpfer, die sich freiwillig stellten, profitierten von einer Strafminderung. Heute geht eine zunehmende Bedrohung von den sog. „neuen kriminellen Banden“ (bandas criminales, BACRIM) aus, die sich zum Teil aus früheren Paramilitärs rekrutieren . Es wird geschätzt, dass der bewaffnete Konflikt bisher insgesamt 220.000 Menschen das Leben gekostet hat.14 Seit Juni 2004 untersucht der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag die Situation in Kolumbien im Rahmen einer sog. Vorprüfung gemäß Art. 15 Abs. 1 Rom-Statut. Das laufende Verfahren zur Informationsbeschaffung stellt eine Vorstufe zu offiziellen Ermittlungen des IStGH dar und umfasst die möglichen Tatvorwürfe der Kriegsverbrechen (begangen nach dem 1. November 2009) sowie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (begangen nach dem 1. November 8 Human Rights Watch, World Report: Colombia: Events of 2016 (2017), verfügbar unter: https://www.hrw.org/world-report/2017/country-chapters/colombia (zuletzt aufgerufen am 6. November 2017). 9 BPB, „Kolumbien“ (Fn. 6). 10 Ibid. 11 VN-OCHA, „Colombia: Humanitarian Dashboard“ (Stand: 30. Juni 2017), verfügbar unter: https://www.humanitarianresponse .info/system/files/documents/files/170814_humanitarian_dashboard_iitrim2017_0.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). 12 Human Rights Watch, World Report: Colombia: Events of 2016 (2017), verfügbar unter: https://www.hrw.org/world-report/2017/country-chapters/colombia (zuletzt aufgerufen am 6. November 2017). 13 Auswärtiges Amt, „Länderinformationen: Kolumbien: Innenpolitik“ (2017), verfügbar unter: http://www.auswaertiges -amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kolumbien/Innenpolitik_node.html (zuletzt aufgerufen am 6. November 2017). 14 EU-Kommission, „Colombia“ (2017), verfügbar unter: http://ec.europa.eu/echo/files/aid/countries/factsheets/colombia _en.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 7 2002), welche im Kontext des bewaffneten Konfliktes zwischen der Regierung und den paramilitärischen Gruppen sowie den Rebellengruppen (auch untereinander) begangen worden sein sollen.15 Untersucht werden u.a. die sog. falsos positivos. Hierbei handelt es sich um systematische außergerichtliche Tötungen, die hauptsächlich zwischen 2004 und 2008 von Mitgliedern der kolumbianischen Sicherheitskräfte an tausenden Zivilpersonen verübt worden sein sollen. Die Opfer wurden in Hinterhalte gelockt, wo sie nach ihrer Erschießung als angebliche Guerillakämpfer /-innen verkleidet wurden, um einerseits der Öffentlichkeit einen vermeintlichen Fortschritt bei der Bekämpfung illegaler Gruppen vorzuspiegeln und andererseits eine finanzielle Belohnung aus staatlichen Fonds zu erhalten.16 Der Menschenrechtsrat hat die Menschenrechtlage in Kolumbien im Rahmen des Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahrens (Universal Periodic Review) zuletzt 2013 evaluiert.17 Die thematische Bandbreite der Schlussfolgerungen und Empfehlungen – angefangen von Themen wie sexueller Gewalt, Straflosigkeit für Taten während des bewaffneten Konflikts bis hin zur Landrückgabe – zeigt, dass Kolumbien vor schwierigen Herausforderungen steht, die in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte ein kontinuierliches, politisches und gesellschaftliches Engagement erfordern. Der nächste Bericht des Menschenrechtsrates ist für Mai 2018 terminiert. Schließlich hat sich auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in 14 Fällen mit Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien, darunter auch die sog. falsos positivos, beschäftigt .18 15 IStGH, „Preliminary Examination: Colombia“ (2017), verfügbar unter: https://www.icc-cpi.int/colombia (zuletzt aufgerufen am 10. November 2017). 16 IStGH, „Situation in Colombia: Interim Report“ (2012), verfügbar unter: https://www.icc-cpi.int/NR/rdonlyres /3D3055BD-16E2-4C83-BA85-35BCFD2A7922/285102/OTPCOLOMBIAPublicInterimReportNovember 2012.pdf (zuletzt aufgerufen am 16. November 2017), Rn. 8, 93-110. 17 Menschenrechtsrat, „Report of the Working Group on the Universal Periodic Review: Colombia“ (4. Juli 2013), VN-Dok. A/HRC/24/6, S. 13 ff. 18 IAmGMR: Vélez Restrepo y familiares vs. Colombia; Gutiérrez Soler vs. Colombia, Rodríguez Vera y otros (Desaparecidos del Palacio de Justicia) vs. Colombia; Escué Zapata vs. Colombia; Ángel Alberto Duque vs. Colombia ; Marino López y otros (Operación Génesis) vs. Colombia; 19 Comerciantes vs. Colombia; Masacre de Santo Domingo vs. Colombia; Masacre de Mapiripán vs. Colombia; Caballero Delgado y Santana vs. Colombia; Masacre de Pueblo Bello vs. Colombia; Masacre de la Rochela vs. Colombia; Valle Jaramillo y otros vs. Colombia; Cepeda Vargas vs. Colombia, verfügbar unter: http://www.corteidh.or.cr/cf/Jurisprudencia2/listado_expedientes .cfm?lang=en (zuletzt aufgerufen am 17. November 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 8 3. Friedensprozess und Friedensvertrag von 2016 Am 26. November 2017 schloss die kolumbianische Regierung nach vierjähriger Verhandlungsdauer mit der FARC ein Friedensabkommen.19 Nach seiner Bestätigung durch den Kongress ist dieses seit dem 1. Dezember 2016 in Kraft. Noch im Oktober 2016 hatte die kolumbianische Bevölkerung die Vereinbarung in einem Referendum knapp abgelehnt. In Nachverhandlungen wurde in nur sechs Wochen eine überarbeitete Einigung erreicht.20 Die Verhandlungen unterstützten Vertreter der EU und der USA. Norwegen und Kuba waren „Garantiestaaten“, Venezuela und Chile „begleitende Staaten“.21 In dem Friedensabkommen äußerten die Vertragsparteien ferner den Wunsch, dass Deutschland den Friedensprozess im Bereich der Versöhnung und Übergangsjustiz unterstützen möge.22 Bisher hat Deutschland den Prozess mit Tom Koenigs (B‘90/Die Grünen) als eigens ernannten Sondergesandten des Außenministers begleitet. Die Vereinten Nationen (VN) nahmen während des Verhandlungsprozesses eher eine zurückhaltende Rolle eine und beschränkten sich auf technische Unterstützung, wo diese gewünscht war. Hintergrund war, dass sowohl die kolumbianische Regierung als auch die FARC ein gewisses Ressentiment gegenüber der VN pflegte, weshalb der Prozess von Anfang an unter dem Motto „für Kolumbianer, von Kolumbianern“ stand.23 Nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages gründete die VN auf Ersuchen der Verhandlungspartner einen dreigliedrigen Mechanismus, bestehend aus Vertretern der VN, der kolumbianischen Regierung sowie der FARC, zur Überwachung und Verifizierung des Waffenstillstandes und der Niederlegung der Waffen. Als Teil dieses Mechanismus wurde für die Dauer von zwölf Monaten eine politische Vor-Ort-Mission mit unabhängigen internationalen Beobachtern ins Leben gerufen.24 Um die FARC zu demobilisieren, zu entwaffnen und in die Zivilgesellschaft wiedereinzugliedern , wurden seit Dezember 2016 verschiedene Gesetze erlassen, darunter etwa ein Amnestiegesetz 25, nach welchem FARC-Kämpfer/-innen unter bestimmten Umständen Amnestien gewährt werden können, sofern es sich bei den von ihren begangenen Straftaten nicht um schwere Menschenrechtsverletzungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Die FARC 19 Acuerdo final para la terminación del conflicto y la construcción de una paz estable y duradera (24. November 2016), verfügbar unter: http://www.altocomisionadoparalapaz.gov.co/procesos-y-conversaciones/Documentos %20compartidos/24-11-2016NuevoAcuerdoFinal.pdf (zuletzt aufgerufen am 8. November 2017). 20 BPB, „Kolumbien“ (Fn. 6). 21 International Peace Institute, “Made in Havana: How Colombia and the FARC Decided to End the War“ (Februar 2017), verfügbar unter: https://www.ipinst.org/wp-content/uploads/2017/02/IPI-Rpt-Made-in-Havana.pdf (zuletzt aufgerufen am 8. November 2017), S. 1. 22 Ziffer 6.4.2. des Friedensvertrages a.E. (Fn. 19). 23 International Peace Institute, “Made in Havana” (Fn. 21), S. 1. 24 VN-SR, „Resolution 2261 (2016)“ (25. Januar 2016), VN-Dok. S/RES/2261. 25 Gesetz 1820 vom 30. Dezember 2016, verfügbar unter: http://es.presidencia.gov.co/normativa/normativa /LEY%201820%20DEL%2030%20DE%20DICIEMBRE%20DE%202016.pdf (zuletzt aufgerufen am 14. November 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 9 zogen daraufhin ihre an die 7.000 Kämpfer/-innen in 26 Übergangszonen zusammen, in denen diese ihre Waffen niederlegen und sich auf ein ziviles Leben vorbereiten sollen. Seit Juni 2017 gilt die FARC als entwaffnet.26 Sie hat damit ihre Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag vollumfänglich erfüllt. Demgegenüber hinkt der kolumbianische Kongress mit der Verabschiedung bestimmter Gesetze hinterher.27 Daher steigt mit zunehmendem, ergebnislosen Zeitablauf die Gefahr, dass sich die ehemaligen FARC-Kämpfer/-innen erneut der Gewalt zuwenden. Die internationale Gemeinschaft wertete den Abschluss des Friedensvertrages durchaus positiv, was sich u.a. darin äußerte, dass dem kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos im Dezember 2016 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Zudem rief auch Papst Franziskus bei seiner Reise nach Kolumbien im September 2017 zur Versöhnung auf. Innenpolitisch ist der Friedensschluss mit der FARC hingegen umstritten. Die Gründe hierfür sind vielfältig: zum einen sind positive Auswirkungen des Friedensvertrages in den betroffenen ländlichen Regionen noch nicht hinreichend spürbar. Zum anderen steht die Übergangsjustiz vor der Herausforderung, die Guerillakämpfer zur Niederlegung der Waffen zu bewegen und dafür im Gegenzug eine angemessene Strafmilderung zu gewähren. Zu diesem Zweck wurde im Rahmen des Friedensvertrages das „Integrale System für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung der Gewalt“ (Sistema integral de Verdad, Justicia, Reparación y no Repetición) entwickelt. Das System umfasst eine Wahrheitskommission, eine Sondereinheit zur Suche verschwundener Personen , eine Sondergerichtsbarkeit, Maßnahmen zur Opferentschädigung und Sicherheitsgarantien .28 Seit dem Waffenstillstand mit der FARC ist zwar ein massiver Rückgang der alltäglichen Gewalt in Kolumbien zu verzeichnen. Allerdings ist die Zahl der Gewalttaten von bewaffneten Gruppen gegen Gemeindeführer und Menschenrechtsverteidiger spürbar gestiegen.29 Nach Angaben des kolumbianischen Ombudsmannes kam es in Kolumbien zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 1. März 2017 zu 156 Morden, fünf Fällen des Verschwindenlassens sowie 33 Gewalttaten gegen 26 Diakonie Katastrophenhilfe, „Kolumbien: Für ein menschenwürdiges Leben“ (2017), verfügbar unter: https://www.diakonie-katastrophenhilfe.de/hilfe-weltweit/uebersicht-aller-projekte/kolumbien.html (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). 27 Zum wörtlich „prekären“ Umsetzungsstand der friedensvertraglichen Vereinbarungen siehe Observatorio de Seguimiento a la implementación del Acuerdo de Paz, Bericht vom 2. Oktober 2017 („¿Es posible una paz estable y duradera sin cumplir el Acuerdo Final?“), verfügbar unter: https://de.scribd.com/document/360494546/ OIAP-Boletin-004-1 (zuletzt aufgerufen am 15. November 2017). 28 Acuerdo final para la terminación del conflicto y la construcción de una paz estable y duradera (Fn. 19), 5.1. Sistema Integral de Verdad, Justicia, Reparación y No Repetición. 29 CINEP, „Informe: Panorama de violaciones al derecho a la vida, libertad e integridad de líderes sociales y defensores de derechos humanos en 2016 y primer semestre de 2017“ (11. Oktober 2017), verfügbar unter: http://www.cinep.org.co/Home2/component/k2/item/495-informe-panorama-de-violaciones-al-derecho-a-lavida -libertad-e-integridad-de-lideres-sociales.html (zuletzt aufgerufen am 15. November 2017), S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 10 Gemeindeführer und Menschenrechtsverteidiger.30 Der VN-Hochkommissar für Menschenrechte verifizierte im Jahr 2016 hingegen 59 Morde, 44 Angriffe, 210 Bedrohungen und drei Fälle des Verschwindenlassens, welche u.a. auf eine mangelnde Präsenz staatlicher Organe in den betroffenen Gebieten zurückzuführen sei.31 In diesem Zusammenhang kritisierte der VN-Hochkommissar für Menschenrechte die hohe Zahl von Gewalttaten gegen Menschenrechtsverteidiger, welche straflos blieben, und regte ein Anreizsystem an, welches Strafverfolger für Fortschritte bei der Verfolgung dieser Taten belohnen würde.32 Inzwischen wurden auch erste FARC-Mitglieder ermordet. Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass bewaffnete Gruppen die Kontrolle über jene Gebiete übernommen haben, aus denen sich die FARC zurückgezogen hat. Um einerseits zu verhindern, dass die ELN in das entstandene Machtvakuum aufrückt und um andererseits möglichst alle Akteure am Friedensprozess zu beteiligen, fanden zwischen Februar und September 2017 drei Gesprächsrunden zwischen der Regierung und der ELN in Quito (Ecuador ) statt. Zum Ende der dritten Runde wurde ein vom 1. Oktober 2017 bis zum 12. Januar 2018 befristeter Waffenstillstand verkündet.33 Der Waffenstillstand wurde jedoch bereits Ende Oktober 2017 durch die Ermordung eines indigenen Führers durch eine ELN-Einheit gebrochen. Deutschland ist auf Ersuchen der ELN Teil einer internationalen Unterstützungsgruppe im Rahmen der Verhandlungen.34 30 Carlos Alfonso Negret Mosquera, “Violencia y amenazas contra los líderes sociales y los defensores de derechos Humanos” (31. März 2017), siehe: http://www.defensoria.gov.co/es/nube/noticias/6236/156-l%C3%ADderessociales -y-defensores-de-derechos-humanos-han-sido-asesinados-en-los-%C3%BAltimos-14-meses-Defensor %C3%ADa-Defensor%C3%ADa-del-Pueblo-l%C3%ADderes-sociales-Defensor-del-Pueblo-Colombial %C3%ADderes-sociales.htm (zuletzt aufgerufen am 14. November 2017). 31 VN-Menschenrechtsrat, „Annual Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights on the situation of human rights in Colombia“ (14. März 2017), VN-Dok. A/HRC/34/3/Add.3, Rn. 54, 57. 32 Ibid., Rn. 59. 33 BPB, „Kolumbien“ (Fn. 6); zu den Verhandlungen mit der ELN siehe auch Tom Koenigs, „4. Bericht über den Friedensprozess in Kolumbien: Schwerpunkt ELN“ (26. April 2017), verfügbar unter: http://www.tom-koenigs .de/kolumbien/4-bericht-ueber-den-friedensprozess-in-kolumbien.html (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). 34 Neben Deutschland sind auch Italien, die Niederlande, Schweden, die Schweiz und Norwegen Teil der Unterstützergruppe (Grupo de Países de Apoyo, Acompañamento y Cooperación); siehe Tom Koenigs, „4. Bericht über den Friedensprozess in Kolumbien: Schwerpunkt ELN“ (Fn. 33), S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 11 4. Humanitäre Hilfe Trotz des voranschreitenden Friedensprozesses leidet die kolumbianische Zivilbevölkerung weiterhin unter den massiven Folgen des bewaffneten Konflikts. Häuser wurden zerstört, Zugang zu grundlegendem Gütern wie Wasser, Medizin und Bildung fehlt, Landbesitz ist extrem ungleich verteilt. Menschenrechtsverteidiger, Gewerkschafter und Journalisten werden auch weiterhin bedroht oder attackiert – etwa von anderen paramilitärischen Gruppen. Die Landbevölkerung (vor allem die indigene und afro-kolumbianische Bevölkerung) wird weiterhin durch Paramilitärs vertrieben. Darüber hinaus gehört Kolumbien mittlerweile zu den am stärksten verminten Ländern der Erde. Auch Naturkatastrophen wie etwa Überschwemmungen verursacht durch das Klimaphänomen El Niño, Erdbeben, Vulkanausbrüche, extreme Dürre oder massive Erdrutsche (zuletzt im April 2017 in der Stadt Mocoa) suchen das Land in regelmäßigen Abständen heim. So waren nach Angaben der Europäischen Union (EU) allein 2016 1,7 Mio. Menschen von Naturkatastrophen betroffen.35 Schließlich gilt Kolumbien weltweit als eines der Länder mit der größten sozialen Ungleichheit.36 4.1. Akteure Während die kolumbianische Regierung nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen (NROs) den humanitären Bedarf nur ungenügend oder gar nicht abdeckt, kommen andere nationale und internationale Akteure diesem ebenfalls nur teilweise nach.37 Wegen der Fülle und Fluktuation der verschiedenen Akteure wird im Folgenden lediglich schlaglichtartig auf die Bundesregierung (4.1.1.), VN-OCHA (4.1.2.) sowie einige NROs (4.1.3.) eingegangen. Die Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 4.1.1. Bundesregierung Die Hilfe der Bundesregierung im Kolumbien-Kontext fokussiert vornehmlich auf die durch den gewaltsamen Konflikt intern Vertriebenen sowie die von Naturkatastrophen betroffene Bevölkerung .38 Diese Personengruppen leiden unter eingeschränkter Bewegungsfreiheit und haben nur begrenzten Zugang zu Gesundheits- und Wasserversorgung, Schulen, Transport und Verkehr. 35 EU-Kommission, „Colombia“ (2017), verfügbar unter: http://ec.europa.eu/echo/files/aid/countries/factsheets/colombia _en.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). 36 BPB, „Kolumbien“ (Fn. 6). 37 Kolko, „Die humanitäre Situation in Kolumbien: Factsheet von Caritas International und Diakonie Katastrophenhilfe “ (2017), verfügbar unter: https://www.kolko.net/aktuelles/die-humanitaere-situation-in-kolumbienfactsheet -von-caritas-international-und-diakonie-katastrophenhilfe/ (zuletzt aufgerufen am 9. November 2017). 38 Deutscher Bundestag, „Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2010 bis 2013“ (16. Oktober 2014), BT-Drs. 18/2900, S. 46. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 12 In diesem Kontext wurden Gesundheitseinrichtungen, die Verteilung von Hilfsgütern und die Bereitstellung von Wasser, Sanitäreinrichtungen und Unterkünften für intern Vertriebene unterstützt , außerdem Maßnahmen des IKRK zum Schutz von Menschen, die sich auf Grund des Konfliktes in Gefangenschaft befinden. Des Weiteren wurden Projekte im Bereich Katastrophenvorsorge , Soforthilfe nach Überschwemmungen und Nahrungsmittelsicherheit gefördert. Um zur besseren Koordinierung beizutragen und mit der kolumbianischen Regierung auf eine dauerhafte Lösung für die Binnenvertrieben hinzuwirken, unterstützte die Bundesregierung ferner die Einrichtung eines VN-OCHA-Länderbüros. In den Jahren 2010 bis 2013 betrug die deutsche humanitäre Hilfe in Kolumbien 12,26 Millionen Euro. Davon trug das AA 9,1 Millionen Euro und das BMZ 3,16 Millionen Euro bei.39 Das AA fördert darüber hinaus auch Projekte humanitärer Hilfsorganisationen wie der Caritas und der Diakonie. Nach Angaben des AA betrug die Gesamtzahl der 2017 von Deutschland für Kolumbien geleisteten Humanitären Hilfe ca. 4,88 Mio. Euro. 2016 waren es noch ca. 7,96 Mio. Euro.40 Für eine detaillierte Übersicht der Zahlen ab 2012, siehe - Anlage 1: AA, „Kolumbien: Humanitäre Hilfe“ (November 2017) (VS-NFD); - Anlage 2: AA, „Kolumbien: Deutsche Humanitäre Hilfe“ (November 2017) (VS-NFD); und - Anlage 3: BMZ, „Kolumbien: Schwerpunkt I-III“ (November 2017) (VS-NFD). 4.1.2. VN-OCHA Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung von Humanitären Angelegenheiten (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, VN-OCHA) unterhält in Kolumbien eine nationale Mission, um der besonderen Situation vor Ort möglichst effektiv Rechnung tragen zu können.41 Nach Angaben des VN-OCHA waren in Kolumbien zwischen 2014 und 2016 4,9 Mio. Menschen auf Humanitäre Hilfe angewiesen (bei einer Gesamtbevölkerungszahl von ca. 49 Mio. mithin 39 Deutscher Bundestag, „Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2010 bis 2013“ (16. Oktober 2014), BT-Drs. 18/2900, S. 46. 40 VN Financial Tracking Service, Zahlen für 2016, verfügbar unter: https://fts.unocha.org/data-search/results/outgoing ?usageYears=2016&locations=83&f%5B0%5D=destinationLocationIdName%3A%2249%3AColombia %22&search_type=directional; Zahlen für 2016, verfügbar unter: (jeweils zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). 41 VN-OCHA, „ Colombia“ (2017), verfügbar unter: http://www.unocha.org/rolac/perfil-de-pa%C3%ADses/colombia (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 13 10 Prozent).42 Dabei spielen nach dem Strategieplan der Organisation eine besonders wichtige Rolle: – Der Schutz und Vermeidung von Notsituationen (Prevention) – Ernährungssicherheit (Food Security and Nutrition) – Die zeitnahe Wiedergutmachung gegenüber Opfern (Early Recovery) – Die Sicherstellung einer grundlegenden Gesundheitsversorgung (Health), sowie – Der Zugang zu Trinkwasser bzw. zur Abwasserversorgung (WASH).43 Von Seiten der VN waren im Rahmen der Humanitären Hilfe auch folgende Organisationen involviert: – der VN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR), – der VN-Hochkommissar für Menschenrechte (OHCHR), – die Internationale Organisation für Migration (IOM), – die UN Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women (UN WOMEN), – das VN World Food Programme (WFP), – das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), – der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), – das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) sowie – der Minenaktionsdienst der Vereinten Nationen (UNMAS).44 4.1.3. Europäische Union Die EU-Kommission hat Kolumbien seit mehreren Jahren (zuletzt 2017) auf die sog. Liste der vergessenen Krisen45 gesetzt. Hiernach werden „vergessene Krisen“ definiert als: „(…) schwere, langwierige humanitäre Krisensituationen, in deren Rahmen die betroffene Bevölkerung keine oder nur unzureichende internationale Hilfe erhält und wo – zum Teil dem fehlenden Medieninteresse geschuldet – kein politisches Engagement besteht, die Krise zu bewältigen. Dies 42 VN-OCHA, „Colombia: Humanitarian Dashboard“ (Stand: 30. Juni 2017), verfügbar unter: https://www.humanitarianresponse .info/system/files/documents/files/170814_humanitarian_dashboard_iitrim2017_0.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). 43 VN-OCHA, „Humanitarian Needs Overview 2017” (2016), verfügbar unter: https://www.humanitarianresponse .info/system/files/documents/files/hno_colombia_2017_en.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017), S. 26 ff. 44 VN-OCHA, „Humanitarian Response Plan 2017” (2016), verfügbar unter: https://www.humanitarianresponse .info/system/files/documents/files/hrp_template_2017_colombia_english.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017), S. 20. 45 ECHO, „Forgotten Crisis Assessment” (September 2017), verfügbar unter: https://ec.europa.eu/echo/sites/echosite /files/annex_4_fca_sep2017.pdf (zuletzt aufgerufen am 9. November 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 14 bezieht sich hauptsächlich auf langwierige Konfliktsituationen, kann aber auch auf jene Krisen bezogen werden, die von wiederkehrenden Naturkatastrophen herrühren.“46 In Ländern, die in die Liste aufgenommen wurden, ist nicht nur ein Mangel an Spendenbereitschaft zu verzeichnen, sondern vor allem auch die fehlende Präsens von humanitären Akteuren.47 Die Liste dient damit letztlich dem Zweck, die Aufmerksamkeit internationaler Geber auf Krisen zu lenken, die in der europäischen Öffentlichkeit keine hinreichende Präsenz finden. Seit 1994 hat die EU-Kommission für Kolumbien über 231,2 Mio. Euro an Humanitärer Hilfe bereitgestellt .48 2017 betrug die Summe der Hilfeleistungen 3,2 Mio. Euro.49 Damit ist das Land der zahlenmäßig größte Empfänger von EU-Hilfen in Lateinamerika. Die EU-Kommission richtet ihre Hilfe dabei einerseits auf die aus dem bewaffneten Konflikt resultierenden Probleme, insbesondere den Schutz, die Gesundheitsversorgung, die Wasserund Abwasserversorgung für besonders schutzbedürftige Personengruppen wie etwa Kinder und Frauen, aber auch die indigene und afro-kolumbianische Bevölkerung.50 Andererseits bezweckt die EU mit ihren Hilfeleistungen auch die Bekämpfung der Folgen von Naturkatastrophen durch akute Nothilfe, Kapazitätsaufbau und Resilienzstärkung. 51 4.1.4. Nichtregierungsorganisationen Auch Nichtregierungsorganisationen leisten ihren Beitrag zur Humanitären Hilfe in Kolumbien. Beispielhaft seien an dieser Stelle genannt: Deutsche Caritas, Diakonie Katastrophenhilfe, Ärzte ohne Grenzen, Oxfam, Save the Children, World Vision und das Internationale Rote Kreuz.52 46 EU Kommission, “Annual Report of the European Union’s Humanitarian Aid and Civil Protection Policies and Their Implementation in 2015” (1. Dezember 2016), Dok.-Nr. COM(2016) 751 final, S. 12, Fn. 8: “Forgotten crises are defined as severe, protracted humanitarian crisis situations where affected populations are receiving no or insufficient international aid and where there is no political commitment to solve the crisis, due in part to a lack of media interest. This refers primarily to protracted conflict situations, but can also refer to crises resulting from the cumulative effect of recurring natural disasters, or, even a combination of the two.” 47 EU-Kommission, „Assessing Needs, Vulnerability and Risk“ (4. Oktober 2017), verfügbar unter: http://ec.europa .eu/echo/what/humanitarian-aid/needs-assessments_en (zuletzt aufgerufen am 9. November 2017). 48 EU-Kommission, „Colombia“ (2017), verfügbar unter: http://ec.europa.eu/echo/files/aid/countries/factsheets/colombia _en.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017). 49 Ibid. 50 Ibid. 51 Ibid. 52 VN-OCHA, „Humanitarian Response Plan 2017” (2016), verfügbar unter: https://www.humanitarianresponse .info/system/files/documents/files/hrp_template_2017_colombia_english.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. November 2017), S. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 15 Auf dem Gebiet der Einhaltung der Menschenrechte sind deutsche NROs wie Kolko, FIAN, Brot für die Welt und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) sowie international tätige NROs wie Amnesty International, Gesellschaft für bedrohte Völker, Peace Brigades International, Human Rigths Watch; Fédération Internationale des Ligues des Droits de l’Homme (FIDH), und das Oficina Internacional de los Derechos Humanos Acción Colombia (OIDHACO) hervorzuheben. Auf nationaler Ebene engagieren sich in Kolumbien etwa die Asociación de Familiares de Detenidos - Desaparecidos (ASFADDES), die Comisión Colombiana de Juristas (CCJ), das Centro de Investigación y Educación Popular (CINEP), die Consultoría para los Derechos Humanos y el Desplazamiento (CODHES) sowie die Comunidad de Paz San José de Apartadó. 4.2. Arbeitsbedingungen vor Ort Wie bereits dargestellt (siehe oben S. 8 f.), sind die Gewalttaten von bewaffneten Gruppen gegen Gemeindeführer und Menschenrechtsverteidiger spürbar gestiegen. Somos Defensores, eine kolumbianische NRO, hat im Zeitraum zwischen der Unterzeichnung des ersten Friedensvertrages im September 2016 bis Juni 2017 82 Morde sowie 50 versuchte Attentate allein an Menschenrechtsverteidigern dokumentiert.53 Neben Gemeindeführern und Menschenrechtsverteidigern werden auch Friedens-, Landrechtsund Umweltaktivisten sowie Opferorganisationen zunehmend bedroht. Dabei bleiben über 90 Prozent der Gewalttaten gegen soziale Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger straflos. Die praktische Arbeit nationaler und internationaler Akteure wird damit letztlich vor allem wegen des mangelnden Schutzes durch staatliche Institutionen sowie eine minimale Aufklärungsquote vor große Schwierigkeiten gestellt. Zwar wurde bei der Staatsanwaltschaft eine Sonderermittlungseinheit eingerichtet; deren Aufbau erfolgt aber nur schleppend. Ein weiteres, großes Problem für die Arbeit von Hilfsorganisationen vor Ort ist die Gefährdung durch Landminen. 53 Somos Defensores, „¡AGÚZATE!“ (2017), verfügbar unter: https://www.somosdefensores.org/index .php/en/publicaciones/informes-siaddhh/146-aguzate (zuletzt aufgerufen am 15. November 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 101/17 Seite 16 5. Ausblick Die Umsetzung des Friedensprozesses wird – ebenso wie die Schaffung einer funktionierenden Übergangsjustiz – noch einige Jahre oder gar Jahrzehnte andauern. Im Frühjahr 2018 werden in Kolumbien Wahlen zum Kongress, im Mai 2018 Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die FARC – welche sich mittlerweile als politische Kraft etabliert hat und deren „A“ nicht mehr für „armas“ (Waffen), sondern für „alternativa“ (Alternative) steht (also „Alternative Revolutionäre Kraft des Gemeinwohls des Volkes“) – wird ebenfalls an den Wahlen teilnehmen. Die politische Ausrichtung der neuen FARC ist stark sozialistisch orientiert. Der Friedensvertrag garantiert der FARC für die kommenden beiden Wahlperioden jeweils fünf Sitze im Abgeordnetenhaus und im Senat. Der ehemalige Präsident Alvaro Uribe wird als Führer der konservativen, gegen den Friedensvertrag positionierten Opposition antreten.54 Um kurzfristig einen erneuten Rückgriff der ehemaligen FARC-Kämpfer/-innen zur Gewalt zu verhindern, muss die kolumbianische Regierung künftig verstärkt an der Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag arbeiten. Ferner muss die Übergangsjustiz wirksam in Gang gebracht werden und effektive Verfahren zur Landrückgabe an betroffene Opfer bzw. zur Rückansiedlung Vertriebener geschaffen werden. Was die Verbesserung der Menschenrechtslage betrifft, wird es entscheidend sein, den Schutz der nationalen und internationalen Akteure von staatlicher Seite zu gewährleisten und Mechanismen zu schaffen, um einer Wiederholung bestmöglich vorzubeugen. Politisches Ziel muss es sein, ein breites Spektrum an Gesprächs- und Kooperationspartnern sicherstellen, um der Korruption vorzubeugen, welche immer noch massiv grassiert. Und nicht zuletzt wird es unumgänglich sein, sich langfristig mit den gravierenden ungleichen Einkommensverhältnissen in Kolumbien auseinanderzusetzen. Denn diese waren einer der Ursprungsgründe für die Entstehung der FARC. *** 54 Deutschlandfunk Kultur, „Der Frieden in Kolumbien ist relativ: Tom Koenigs im Gespräch mit Burkhard Birke“ (30. September 2017), verfügbar unter: http://www.deutschlandfunkkultur.de/ringen-um-ein-fragiles-abkommen -der-frieden-in-kolumbien.990.de.html?dram:article_id=397128 (zuletzt aufgerufen am 8. November 2017).