© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 100/20 Stand der Urbanisierung in Afrika Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 2 Stand der Urbanisierung in Afrika Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 100/20 Abschluss der Arbeit: 9. Dezember 2020 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Urbanisierung 4 2.1. Historie und globaler Ist-Zustand 4 2.2. Definitionsproblem: Was ist ein urbanes Gebiet und wie viele Menschen leben urban? 5 2.3. Gründe für die fortschreitende Urbanisierung der Welt 8 2.4. Vorteile von Urbanisierung 8 2.5. Nachteile von Urbanisierung 9 3. Urbanisierung in Afrika 9 3.1. Zahlen und Daten 10 3.2. Größte Probleme der Urbanisierung in Afrika 11 3.2.1. Slums 11 3.2.2. Mangelnde Resilienz gegenüber Bedrohungen durch den Klimawandel 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 4 1. Einleitung Dieser Sachstand befasst sich mit der Urbanisierung in Afrika. Zunächst erfolgen einige Begriffsklärungen sowie die Erörterung von Gründen von Urbanisierung, der durch sie gebotenen Chancen und verursachten Probleme. Abschließend werden die Entwicklungen in und Prognosen für Afrika dargestellt. 2. Urbanisierung In der einfachsten Definition bezeichnet Urbanisierung den Anteil der Stadtbewohner an der Gesamtbevölkerung .1 Urbanisierung wird in den mit Städten befassten Wissenschaften (Ökonomie, Soziologie, Ökologie usw.) jedoch nicht nur auf die physischen Aspekte (Zahl der Stadtbewohner , Flächenzuwachs der Städte, Einwohnerdichte etc.) beschränkt, sondern auch auf die Zunahme spezifisch urbaner Wirtschafts-, Umgangs- und Lebensformen, also die Annahme eines urban way of life.2 Urbanisierung ist daher nicht nur ein physischer, sondern auch ein soziokultureller Prozess, der Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft hat. Unter eher ökonomischen Gesichtspunkten ist Urbanisierung definierbar als „der sozio-ökonomische Prozess, der Menschen aus einem agrarbasierten Umfeld mit niedriger Bevölkerungsdichte in große Städte und Siedlungen mit hoher Bevölkerungsdichte und dienstleistungsbasierter Wirtschaft bewegt.“3 2.1. Historie und globaler Ist-Zustand Historisch betrachtet, ist Urbanisierung ein sehr rezentes Phänomen. Die ersten Städte entstanden archäologischen Erkenntnissen zufolge ungefähr im dritten Jahrtausend vor Christus in Mesopotamien und im Industal.4 Sie waren ein Ergebnis der ersten Herausbildung von Zivilisation, d.h. einer umfassenden Umwälzung der bisherigen Formen des menschlichen Zusammenlebens 1 Statista, Urbanisierungsgrad: Anteil der Stadtbewohner an der Gesamtbevölkerung in Deutschland in den Jahren von 2000 bis 2019, 28. August 2020, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/662560/umfrage/urbanisierung -in-deutschland/ (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). 2 U.S. National Library of Medicine, Urbanization, 2020, https://meshb.nlm.nih.gov/record/ui?name=Urbanization (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). 3 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, Atlas of the Human Planet - Mapping Human Presence on Earth with the Global Human Settlement Layer, S. 14, Europäische Kommission 2016, Download unter: https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-research-reports/atlashuman -planet-mapping-human-presence-earth-global-human-settlement-layer (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2020) Im englischen Original: „Urbanization is intended herein as the socio-economic process that moves people from low density-agricultural based environment to high- density-service sector based economy in large cities and settlements“ (Übersetzung durch den Verfasser). 4 Philippe Beaujard, The Ancient Routes of Trade and Cultural Exchanges and the First States (Sixth–Second Millennium bce), S.48ff., Cambridge University Press, Oktober 2019, https://www.cambridge.org/core/services/aopcambridge -core/content/view/B1C0C980A44DFF3EC38C4FFBBA0F7D12/9781108424561c1_47- 78.pdf/birth_of_the_state.pdf (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 5 hin zu Arbeitsteilung und Spezialisierung, der Bildung von sozialen Hierarchien und der Schaffung der ersten Staatswesen.5 Die Stadt als solche ist einigen Definitionen zufolge sogar ein konstituierendes Element der Zivilisation überhaupt.6 Dennoch lebte auch nach der „Erfindung“ der Stadt der größte Teil der Menschheit jahrtausendelang weiterhin auf dem Lande. Erst vor etwa 200 Jahren setzte in den ersten europäischen Ländern die Urbanisierung (als fortschreitender gesellschaftlicher Prozess) ein. Sie war und ist eng verbunden mit der Industrialisierung , weshalb sie in England, dem Mutterland der Industriellen Revolution, früher begann als in anderen Ländern. Im Jahre 1700 lebten in England und Wales ca. 13,3 Prozent der Bevölkerung in Städten (in Deutschland ca. 4,8 Prozent). Im Jahre 1800 hatte sich der Anteil der Stadtbevölkerung in England und Wales auf 20,3 Prozent erhöht (Deutschland: 5,5 Prozent), im Jahre 1890 auf 61,9 Prozent (Deutschland: 28,2 Prozent).7 Global gesehen, lebten noch 1800 weniger als zehn Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen überschritt der Anteil der globalen Stadtbevölkerung den der Landbevölkerung im Jahre 2007.8 Seither lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten , mit zunehmender Tendenz. 2.2. Definitionsproblem: Was ist ein urbanes Gebiet und wie viele Menschen leben urban? Nahezu alle wissenschaftlichen Untersuchungen zur Urbanisierung, die im Rahmen der Recherche für diesen Sachstand herangezogen wurden, stützen sich auf die Zahlen der Vereinten Nationen , deren Department of Economic and Social Affairs (UN-DESA) regelmäßig entsprechende Berichte veröffentlicht. Dem Bericht World Urbanization Prospects 2018 des UN-DESA zufolge lebten im Jahre 2018 ca. 55 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten.9 Unter den Weltregionen war den VN zufolge Nordamerika am urbanisiertesten (82 Prozent der Bevölkerung in Städten), gefolgt von Lateinamerika und der Karibik (81 Prozent), Europa (74 Prozent) und Ozeanien10 (70 Prozent). 5 Im Falle von Mesopotamien der sumerischen Zivilisation, im Falle des Industals der Harappa-Zivilisation. 6 The National Geographic Encyclopedia, Civilizations, 2020, https://www.nationalgeographic.org/encyclopedia /civilizations/ (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). 7 Hannah Ritchie und Max Roser, Urbanization – Urbanization over the past 500 years, 1500 to 2016, Our World in Data, November 2019, https://ourworldindata.org/urbanization#how-is-an-urban-population-defined (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). 8 Hannah Ritchie und Max Roser (Anm. 7). 9 Alle Informationen dieses Absatzes: United Nations Department of Economic and Social Affairs, World Urbanization Prospects 2018 - Highlights, S. 1, 2019, https://population.un.org/wup/Publications/Files/WUP2018- Highlights.pdf (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2020). 10 Allerdings gilt das größte Land der VN-Weltregion Ozeanien, Australien, mit über 86 Prozent Stadtbevölkerung als eines der am stärksten urbanisierten Länder der Welt. Siehe The World Bank - Data: Urban population (% of total population) - Australia, 2018, https://data.worldbank.org/indicator/SP.URB.TOTL.IN.ZS?locations=AU (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 6 Asien stand bei ca. 50 Prozent, Afrika bei 43 Prozent. Bis 2050 soll die Stadtbevölkerung weltweit um ca. 2,5 Mrd. Menschen anwachsen, wovon 90 Prozent auf Asien und Afrika entfallen werden. Dabei werden allein drei Länder - China, Indien und Nigeria - insgesamt 35 Prozent des Aufwuchses beisteuern. Hierbei gilt jedoch zu beachten, dass es keine allgemeingültige Definition einer Stadt bzw. eines urbanen Gebietes gibt. Die VN verwenden für ihre Statistiken die nationalen Definitionen. Diese unterscheiden sich von Land zu Land teils sehr erheblich. Die VN kommen im oben genannten Bericht auf der Grundlage der Vielzahl nationaler Definitionen für 2018 zu einer Schätzung von 55 Prozent urbaner Weltbevölkerung. Dahingegen schätzte die Europäische Kommission den Anteil der in urbanen Gegenden lebenden Menschen auf der Grundlage der von ihr verwendeten Definition schon für 2015 auf 85 Prozent .11 Die EU-Kommission stützt sich dabei auf eigene wissenschaftliche Erkenntnisse, für die nationale Zensusdaten mit Satellitenaufnahmen menschlicher Siedlungen kombiniert wurden.12 Dabei sind vor allem Bebauungsdichte, Lichtemissionen in der Nacht und Flächenverbrauch Indikatoren für urbane Regionen; die Definition eines urbanen Gebietes lässt sich grob herunterbrechen auf: eine Siedlung mit mindestens 5.000 Einwohnern bei einer Siedlungsdichte von über 300 Einwohnern pro Quadratkilometer. Demnach ist nicht nur der globale Urbanisierungsgrad laut Atlas of the Human Planet der EU- Kommission deutlich höher als laut UN-DESA, auch die Rangfolge der Weltregionen hinsichtlich der Urbanisierung sieht anders aus: Asien führt hier die Liste mit 89 Prozent Urbanisierung an, gefolgt von Lateinamerika und der Karibik (81,7 Prozent), Afrika (81,3 Prozent), Ozeanien (76,6 Prozent), Europa (73,5 Prozent) und Nordamerika (73,3 Prozent). Die Diskrepanz ist offensichtlich vor allem unterschiedlichen Zahlen hinsichtlich Asien und Afrika geschuldet; bei den anderen Regionen liegen EU und VN nicht derart drastisch auseinander. Im Rahmen dieses Sachstandes kann nicht abschließend ergründet werden, woran dies liegt. Der Atlas of the Human Planet selbst schweigt zu den Abweichungen. Kritiker der Zahlen der EU- 11 Hannah Ritchie und Max Roser, How urban is the world?, Our World in Data, November 2019, https://ourworldindata .org/urbanization#how-is-an-urban-population-defined (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). Die Autoren stellen beispielhaft die offiziellen Definitionen verschiedener Länder für “Stadt” gegenüber; es wird dabei auf einen Blick deutlich, wie heterogen sie sind. In Schweden z.B. reicht eine Bevölkerungszahl von über 200 aus, um eine Ansiedlung offiziell als „urban“ gelten zu lassen, in Japan muss eine Siedlung dagegen über 50.000 Einwohner haben. Auch hinsichtlich der erforderlichen Bevölkerungsdichte unterscheiden sich die nationalen Kriterien. Andere Staaten wiederum berücksichtigen noch die Wirtschaftsstruktur, so ist in Indien z.B. ein Kriterium, dass mindestens 60 Prozent der männlichen Arbeitnehmer einer Ortschaft keiner landwirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. 12 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, Atlas of the Human Planet - Mapping Human Presence on Earth with the Global Human Settlement Layer, Europäische Kommission 2016, Download unter: https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-research-reports/atlashuman -planet-mapping-human-presence-earth-global-human-settlement-layer (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 7 Kommission bemängeln, dass die gewählten Kriterien eines urbanen Gebietes (5.000 Einwohner, Siedlungsdichte über 300 pro Quadratmeter) zu enggefasst seien und auch Gebiete als urban klassifizierten , die tatsächlich hauptsächlich agrarisch seien.13 Die Streitfrage kann in dieser Arbeit nicht gelöst werden. Naheliegend für die deutlichen Abweichungen hinsichtlich Afrika und Asien sind zwei Erklärungen . Erstens: Die nationalen Definitionen eines urbanen Gebietes vieler asiatischer und afrikanischer Länder unterscheiden sich möglicherweise besonders deutlich von denen von Staaten anderer Regionen und beziehen anders als diese bestimmte Gegebenheiten, die von der satellitengestützten Beobachtung der EU erkannt werden, nicht mit ein. Zweitens ist es möglich, dass die Qualität national erhobener Daten in vielen asiatischen und afrikanischen Staaten unzureichend ist. Insbesondere in den ärmeren und ärmsten Entwicklungsstaaten fehlt es oft an Geld, Kapazitäten und Infrastruktur, um regelmäßig belastbare und aktuelle demografische Daten zu erheben. Diese Staaten liegen vor allem in Afrika und Asien. Dass die Diskrepanz insbesondere bei weniger entwickelten Weltregionen (vor allem Afrika) auftritt , ist besonders relevant, da die Daten zu Urbanisierung für eine Vielzahl von entwicklungsrelevanten politischen Programmen grundlegend sind: „Informationen zu Ort und Größe einer menschlichen Siedlung werden benutzt, um Zugang (zu Dienstleistungen, zum Markt, zu industrieller Infrastruktur, Nahrung, Wasser, Land), Expositionsrisiko (für natürliche und menschengemachte Gefahren, Katastrophen und Umweltverschmutzung) und Einwirkung (menschlicher Aktivitäten auf Land- und Wasserökosysteme) zu modellieren. Tatsächlich werden globale Informationen zu menschlichen Siedlungen von einer Vielzahl global operierender Institutionen nachgefragt , eingeschlossen die Dienste der Europäischen Kommission für Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe. die Behörden und Programme der Vereinten Nationen, die Weltbank, sowie Geberländer , die quantitative Variablen benötigen, um ihre humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit oder ihre nationalen Investitionen zu priorisieren.“14 Zwar scheint der Ansatz des Atlas of the Human Planet der EU-Kommission wegen des eher naturwissenschaftlichen Ansatzes, der primär die objektiv feststellbare Bebauungs- sowie die Bevölkerungsdichte eines Ortes betrachtet, durchaus überzeugend, doch liegen, wie oben erläutert, der übergroßen Mehrheit aller Untersuchungen die Daten der VN bzw. nationaler Behörden zugrunde . Dies gilt es bei den weiteren Ausführungen in diesem Sachstand zu beachten. 13 Shlomo Angel, Patrick Lamson-Hall, Bibiana Guerra, Yang Liu, Nicolás Galarza und Alejandro M. Blei, Our Not- So-Urban World, Working Paper No. 42, Marron Institute of Urban Management, New York University, 2018, https://marroninstitute.nyu.edu/uploads/content/Angel_et_al_Our_Not-So-Urban_World,_revised _on_22_Aug_2018_v2.pdf (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020). 14 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper (Anm. 12), S. 14 - 15. Zitat im englischen Original: „Information on location and size of human settlement are used to model access (to services , market, industrial infrastructure, food, water, land), exposure (to natural / man-made hazards, disasters, pollution), and impact (of human activity on land and water ecosystems). In fact, global human settlement information are in demand by a number of institutions operating globally, including the European Commission Services for Development and Humanitarian Aid, the United Nations agencies and programs, the World Bank, as well as the donor countries that require quantitative variables to prioritize their humanitarian and development aid or their national investments“ (Übersetzung durch den Verfasser). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 8 Immerhin: UN-DESA und EU-Kommission sind sich darin einig, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten lebt und sich die Urbanisierung weiter fortsetzt, wobei sie in den Industriestaaten langsamer voranschreitet als in den Schwellen- und Entwicklungsstaaten.15 2.3. Gründe für die fortschreitende Urbanisierung der Welt Laut dem Bericht World Urbanization Prospects 2018 des UN-DESA ist die fortschreitende Urbanisierung der Welt insbesondere auf zwei Ursachen zurückzuführen, nämlich das generelle Bevölkerungswachstum in den meisten Ländern sowie die Landflucht. Die Bevölkerungswachstumsrate auf dem Lande ist tendenziell langsamer als die in den Städten und als die Rate der Landflucht. Eine (in den meisten, aber nicht allen Staaten) zunehmende Bevölkerung konzentriert sich also immer rascher in den urbanen Gebieten. 2.4. Vorteile von Urbanisierung Urbanisierung bietet verschiedene Vorteile. In Städten konzentrieren sich Kapital, Arbeitsplätze, Dienstleistungen, Informationen, Kultur und politische Machtoptionen. Städte sind aufgrund kürzerer Kommunikationswege und der höheren Konzentration von Kapital , Wissen und Anbindung an nationale und internationale Warenströme Motoren der Wirtschaft . Der oben erwähnte Zusammenhang zwischen Urbanisierung und Industrialisierung weist schon auf die herausragende Bedeutung wirtschaftlicher Faktoren hin: Städte bieten in der Regel mehr, vielfältigere und besser vergütete Arbeitsplätze als das Dorf, dessen Bewohnern primär traditionelle Tätigkeiten in der Landwirtschaft offenstehen, die manchmal (jedenfalls in Entwicklungsländern ) nur Subsistenz ermöglichen. Wirtschaftliche Diversifizierung, eine größere Zahl potenzieller Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bessere Bildungschancen, kürzere Wege für Güter und Dienstleistungen, die bessere Anbindung an globale Märkte, eine höhere Informationsdichte usw. machen Städte zu sehr viel stärkeren Wirtschaftsstandorten als das traditionelle Dorf.16 Dies gilt sowohl für Unternehmen als auch Individuen. Städte bieten dem Individuum idealiter die Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu entfalten, sie sinnvoller einzusetzen und dabei das Individualeinkommen zu maximieren. Gerade in Entwicklungsländern kommen noch Faktoren wie die Verfügbarkeit von Elektrizität, medizinischer Versorgung sowie die Trinkwasser- und Sanitärversorgung hinzu.17 Insbesondere letztere kann aber in Städten auch schlechter geregelt sein als auf dem Land, was überleitet zu den möglichen Nachteilen der Urbanisierung. 15 Hannah Ritchie und Max Roser (Anm. 8). 16 Siehe Joseph Cortright, City Advantages, CEOs for Cities, 2015, https://cityobservatory.org/wp-content/uploads /2015/09/Cortright_City_Advantage_2007.pdf.pdf (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). 17 Hannah Ritchie und Max Roser, Urban populations tend to have higher living standards, Our World in Data, November 2019, https://ourworldindata.org/urbanization#urban-populations-tend-to-have-higher-living-standards (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 9 2.5. Nachteile von Urbanisierung Die Nachteile der Urbanisierung hängen zumeist von ihrer Geschwindigkeit, Planung und Umsetzung ab. Hier liegt die Verantwortung bei der lokalen Politik und Verwaltung und hängt von deren politischen Willen, Wissensstand, Effizienz und Finanzausstattung ab. Gewisse Probleme scheinen aber grundsätzlich in Verbindung mit dem urbanen Umfeld zu stehen . Städte haben in der Regel ein höheres Preisniveau (insbesondere für Wohnraum), beengtere Wohnverhältnisse, höhere Kriminalitätsraten, mehr drogenabhängige Menschen, schlechtere Luftqualität; ihre Bewohner leiden tendenziell unter mehr Stress. Auch diese Faktoren können aber zumeist durch eine entsprechende effektive Gesetzgebung, Planung und Umsetzung zumindest gemildert werden. Daher treten Urbanisierungsnachteile in Entwicklungs- und Schwellenländern besonders oft und besonders drastisch auf. Es mangelt ihnen oft an den entsprechenden politischen und finanziellen Kapazitäten, um Probleme frühzeitig und effizient lösen zu können. Insbesondere die Entstehung unregulierter bzw. informeller Armensiedlungen (Slums) sowie ein zu langsamer Ausbau der notwendigen Infrastruktur (Straßen, Elektrizität, Wasser und Abwasser, Müllentsorgung usw.) sind generelles Merkmal von Städten in Entwicklungsländern. In Slums leben die Menschen oft illegal bzw. unangemeldet, sie können daher oft keinen Rechtsanspruch auf ihre Wohnung und auf Leistungen des Staates bzw. der Kommune geltend machen. Werden sie Opfer von Gewalt oder Raub, wenden sie sich oft nicht an die Polizei. Abgesehen davon gibt es problematische Aspekte, die über die Auswirkungen auf die Bewohner und ihre Lebensqualität hinausreichen: Städte konsumieren mehr Energie und Ressourcen als ländliche Gebiete und produzieren dabei erheblich mehr Umweltverschmutzung.18 Gleichzeitig sind Städte und urbane Gebiete, insbesondere in Entwicklungsstaaten, besonders vom Klimawandel bedroht, da sie sehr häufig in Küstennähe liegen und daher vom Anstieg des Meeresspiegels direkt betroffen sind (siehe dazu auch Abschnitt 3.2).19 Dies stellt die betroffenen Staaten und ihre Geberländer ggf. vor enorme finanzielle Herausforderungen. 3. Urbanisierung in Afrika Wie oben ausgeführt, kommen VN und EU hinsichtlich der Urbanisierung Afrikas zu sehr unterschiedlichen Erkenntnissen. Im Folgenden werden zunächst die relevanten quantitativen Zahlen 18 „UN-Habitat zufolge konsumieren Städte 78 Prozent der Energie weltweit und produzieren 60 Prozent der Treibhausgasemissionen. Dabei bedecken sie jedoch nur 2 Prozent der Erdoberfläche.“ (Zitat im englischen Original: „According to UN Habitat, cities consume 78 per cent of the world’s energy and produce more than 60 per cent of greenhouse gas emissions. Yet, they account for less than 2 per cent of the Earth’s surface“; Übersetzung durch den Verfasser), United Nations Climate Action, Cities and Pollution, 2020, https://www.un.org/en/climatechange/climate-solutions/cities-pollution#:~:text=Cities%20are%20major %20contributors%20to,cent%20of%20the%20Earth's%20surface. (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020). 19 John Holder, Nico Kommenda und Jonathan Watts, The three-degree world: the cities that will be drowned by global warming, Guardian am 3. November 2017, https://www.theguardian.com/cities/ng-interactive /2017/nov/03/three-degree-world-cities-drowned-global-warming (zuletzt abgerufen am 23. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 10 aus dem Atlas of the Human Planet der EU-Kommission aufgeführt. Danach folgen qualitative Erläuterungen, für die auch auf Zahlen und Daten aus anderen Quellen zurückgegriffen wird. 3.1. Zahlen und Daten Laut EU-Kommission liegt der Urbanisierungsgrad des afrikanischen Kontinentes bei 81,3 Prozent .20 Außerdem ist Afrika der Kontinent, auf dem der Urbanisierungsgrad seit 1990 am schnellsten gewachsen ist.21 Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede innerhalb Afrikas. Von nur vier Staaten weltweit, in denen der Urbanisierungsgrad laut Atlas of the Human Planet unter 70 Prozent liegt, liegen zwei in Afrika, nämlich Namibia und eSwatini (Swasiland). Mit Ägypten und dem Südsudan liegen aber auch zwei der weltweit 23 Staaten mit einem Urbanisierungsgrad von über 90 Prozent auf dem afrikanischen Kontinent.22 Die Bevölkerung Afrikas hat sich in den letzten 40 Jahren vervierfacht und die Bebauungsdichte verdreifacht.23 Dabei gab es allein zwischen 2000 und 2015 eine Verdopplung der bebauten Fläche .24 Dieser Zuwachs ist vor allem auf Burundi, Malawi und Niger (bebaute Fläche urbaner Gebiete von 1990 auf 2015 verdreifacht) sowie Angola, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Côte d'Ivoire, Demokratische Republik Kongo, Gambia, Ghana, Guinea, Mali, Mosambik, Nigeria, Ruanda , Senegal, Sierra Leone, Südsudan, Tansania, Togo, Tschad und Uganda (Fläche verdoppelt) zurückzuführen. Von 74 Staaten weltweit, bei denen sowohl Bebauungsdichte als auch Bevölkerungswachstum über dem globalen Durchschnitt liegen, liegt mehr als die Hälfte in Afrika, wovon wiederum die Hälfte zu den Ländern mit geringem Einkommen (Low Income Countries, LIC) gehört.25 Allerdings sind die vorangehenden Zahlen relativ: Die Zahl der bebauten Quadratmeter pro Kopf ist in fast allen afrikanischen Ländern immer noch deutlich geringer als in den Ländern mit hohem Einkommen.26 Bemerkenswert ist die Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent auch, wenn man das Verhältnis von Urbanisierungsgrad und Urbanisierungszuwachs im Zeitverlauf betrachtet, also des Grades der Urbanisierung innerhalb einer Bevölkerung und der Geschwindigkeit des Wachstums der Städte. Dieses Verhältnis impliziert die Dynamik, mit der sich der gesellschaftliche Wandel der Urbanisierung vollzieht. Die Mehrzahl der Staaten, in denen beide Werte zwischen 1990 und 20 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, (Anm. 14), S. 43. 21 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, S. 40 ff. 22 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, S. 42. 23 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, S.5. 24 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, S.32-33. 25 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper (Anm. 23). 26 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, S.39. Man beachte die Weltkarte, die das Verhältnis von Einwohnerzahl und bebauter Quadratmeter darstellt. In Afrika gibt es nur in Somalia und in Namibia Werte von über 300 Quadratmeter pro Kopf, was weltweit sonst nur in Nordamerika, Europa, Singapur und in Australien der Fall ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 11 2015 anstiegen, liegt in Afrika. Außerdem insbesondere auch jene Staaten, in denen das Verhältnis von Stadt- zu Landbevölkerung (die Urbanisierungsrate) zwar in diesem Zeitraum unterhalb des globalen Durchschnitts lag, aber das Wachstum der Urbanisierung darüber. In diesen Ländern gab es in diesem Zeitraum also besonders erhebliche demographische Veränderungen; die Städte wuchsen innerhalb kurzer Zeit besonders schnell.27 Tatsächlich lebt in vielen afrikanischen Staaten ein höherer Anteil der Bevölkerung in urbanen Agglomerationen mit mehr als 1 Mio. Einwohnern als in Deutschland.28 3.2. Größte Probleme der Urbanisierung in Afrika Grundsätzlich verursacht Urbanisierung in Afrika die gleichen Probleme und bietet die gleichen Chancen wie in allen anderen Weltregionen. Insbesondere zwei Probleme treten jedoch auf dem afrikanischen Kontinent relativ betrachtet häufiger auf, und zwar, weil sie generell typisch sind für Entwicklungsländer, von denen es in Afrika eben mehr gibt als auf anderen Kontinenten. Dazu kommt noch die im Vergleich sehr schnelle Urbanisierung. Lokale bzw. kommunale Regierungen hinken wegen der raschen Zunahme der Bevölkerung in den Städten oft mit ihrer Raumplanung und dem Infrastrukturbau hinterher.29 3.2.1. Slums Dieses Problem ist am auffälligsten hinsichtlich des Anteils der urbanen Bevölkerung, der in Slums lebt (siehe Karten auf der nächsten Seite).30 Wie ersichtlich, lag dieser Anteil im Jahre 2014 für Afrika deutlich über dem Asiens und Lateinamerikas . Im Südan und Südsudan lebten den Daten der VN zufolge sogar nahezu 90 Prozent der Stadtbevölkerung in Slums. Allerdings lag der Anteil der Stadtbevölkerung in beiden Staaten laut VN noch im Jahre 2017 nur bei 34 Prozent (Sudan) sowie 19 Prozent (Südsudan). Hier zeigt sich wieder eine erhebliche Diskrepanz zur EU-Kommission, die bei beiden Staaten eine Urbanisierungsrate von über 80 Prozent erkennt. Sowohl im Sudan als auch im Südsudan wird ein urbanes Gebiet als Siedlung mit mehr als 5.000 Einwohnern definiert.31 Da die Untersuchung der EU- 27 Martino Pesaresi, Michele Melchiorri, Alice Siragusa und Thomas Kemper, S.47 - 48. 28 Siehe Karte „Share of people living in urban agglomerations of more than 1 million, 2017“ bei Hannah Ritchie und Max Rosen, (Anm.8), Abschnitt Urban density: urban agglomerations. Tatsächlich weisen in Europa nur Rumänien und Polen einen niedrigeren Anteil von Einwohnern in Agglomerationen von über einer Million Einwohnern auf als die Bundesrepublik, in der dieser Anteil bei 9,55 Prozent liegt. In Südafrika liegt der Anteil bei ca. 35 und im Kongo gar bei 61 Prozent. 29 Laut Weltwirtschaftsforum wird auf keinem Kontinent ein so geringer Anteil des Bruttoinlandsproduktes in die Infrastruktur investiert wie in Afrika, was vor allem an der sehr schnellen Zunahme der Bevölkerung liegt. Siehe World Economic Forum, The Global Risks Report 2019, 2019, S. 82, http://www3.weforum .org/docs/WEF_Global_Risks_Report_2019.pdf (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020). 30 Hannah Ritchie und Max Roser unter Bezugnahme von Daten von UN Habitat, 2014. 31 Hannah Ritchie und Max Rosen, How is an urban area defined? - Karte „Minimum number of inhabitants of a settlement to classify as an urban area“, Our World in Data, 2019, https://ourworldindata.org/urbanization (zuletzt abgerufen am 3. Dezember 2020), Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 12 Kommission keine spezifischen Daten über Slums beinhaltet, kann sich hier nur an die Zahlen der VN gehalten werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 13 Städte inklusiv, sicher, widerstandsfähig (resilient) und nachhaltig zu machen, ist das elfte der siebzehn Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) der VN.32 Dazu gehört das Unterziel, sicheren Wohnraum bereitzustellen. Ein anderes SDG verpflichtet die VN-Staaten dazu, Wasser- und Sanitärversorgung sicherzustellen. Die geringen Kapazitäten lokaler Regierungen, weitverbreitete Korruption, schlechte Informationen und die enorme Geschwindigkeit , in der die urbane Bevölkerung wächst, machen es den meisten afrikanischen Staaten sehr schwer, diese Ziele zu erreichen. Dies trifft aber auch auf nichtafrikanische Entwicklungsstaaten zu.33 Trotz der immensen Schwierigkeiten hat der Anteil der Slumbewohner an der urbanen Bevölkerung in den meisten afrikanischen Ländern in den vergangenen Jahren abgenommen . Besonders stark waren die Verbesserungen in Ägypten und Ruanda; in Kenia und Côte d’Ivoire gab es hingegen kaum eine Veränderung. 32 UN Sustainable Development Goals, Goal 11: Make cities inclusive, safe, resilient and sustainable, 2020, https://www.un.org/sustainabledevelopment/cities/ (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020). 33 Für eine Erörterung der prinzipiellen Probleme, vor der der Ausbau kommunaler Infrastruktur insbesondere in Slums (anhand des Beispiels Nordafrika) steht, siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Das Thema Sanitärversorgung in der Entwicklungszusammenarbeit mit Schwerpunkt Nordafrika, WD 2 - 3000 - 212/14, 11. Dezember 2014 (VS-NfD). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 14 3.2.2. Mangelnde Resilienz gegenüber Bedrohungen durch den Klimawandel Auch andere Probleme und Risiken der Urbanisierung wiegen mit Hinblick auf Afrika nicht etwa prinzipiell schwerer als in den meisten anderen Weltregionen, sondern weil der Kontinent über so viele Länder mit geringem Einkommen und geringem Entwicklungsstand verfügt. Dazu gehört beispielsweise auch die steigende Anfälligkeit von Städten für den Anstieg des Meeresspiegels , bedingt durch den Klimawandel. Wie in anderen Weltregionen konzentrieren sich die meisten Großstädte Afrikas in Küstennähe.34 Die Lage am Meer bietet grundsätzliche Vorteile: Sie ermöglicht die Anbindung an den internationalen Handel und die Fischerei; darüber hinaus befinden sich in Küstennähe oft auch die für die Landwirtschaft geeignetsten Flächen. Die Küstenregionen aller Kontinente sind daher dicht besiedelt und haben einen hohen Urbanisierungsgrad . In Afrika leben z.B. etwa 85 Prozent aller Bewohner der Küstenebenen in Städten.35 Laut Weltwirtschaftsforum liegen in Afrika mindestens 19 bedrohte Küstenstädte mit einer Bevölkerung von mindestens 1 Mio. Menschen.36 Je mehr Menschen vom Binnenland in die Städte an der Küste ziehen, desto mehr sind durch den Anstieg des Meeresspiegels gefährdet. Aber auch die ländlichen Küstengebiete sind von einem Meeresspiegelanstieg betroffen.37 Der Verlust von Dörfern und Feldern durch Überflutung verstärkt wiederum die Landflucht, so dass sich hier ein Teufelskreis bildet. Auch abseits der Küsten kann der Klimawandel die Urbanisierung verstärken. Wenn ausbleibender Regen oder zunehmende Extremwetterereignisse die Landwirtschaft unprofitabel oder gar unmöglich machen, ist es plausibel, dass viele Betroffene versuchen werden, ihr Auskommen in den Städten zu finden. Prognosen der Weltbank zufolge könnten bis zum Jahre 2050 etwa 86 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika aufgrund von Klimawandelfolgen (Dürre, Überschwemmung , Bodendegradation) zur Binnenmigration gezwungen sein.38 34 United Nations Ocean Conference 2017, Factsheet: People and Oceans, 2017, https://www.un.org/sustainabledevelopment /wp-content/uploads/2017/05/Ocean-fact-sheet-package.pdf (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020). 35 Sally Brown, African countries aren’t doing enough to prepare for rising sea levels, The Conversation am 16. September 2018, https://theconversation.com/african-countries-arent-doing-enough-to-prepare-for-risingsea -levels-103002 (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020). 36 World Economic Forum, The Global Risks Report 2019, 2019, S. 63, http://www3.weforum.org/docs/WEF_Global _Risks_Report_2019.pdf (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020). Der Bericht nennt vierzehn dieser Städte: Abidjan, Accra, Alexandria, Algier, Casablanca, Dakar, Daressalam, Douala, Durban, Lagos, Luanda, Maputo, Port Elizabeth und Tunis. In den Metropolregionen dieser Küstenstädte leben insgesamt etwa 71,4 Millionen Menschen. Von den vierzehn Städten ist Lagos mit 14 Millionen Einwohnern in der Metropolregion die größte und eine der Megacities Afrikas. Als Megacity gilt eine Stadt mit mehr als 10 Mio. Einwohnern. 37 Matteo Fagotto, West Africa Is Being Swallowed by the Sea, Foreign Policy im Oktober 2016, https://foreignpolicy .com/2016/10/21/west-africa-is-being-swallowed-by-the-sea-climate-change-ghana-benin/ (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020). 38 World Economic Forum (Anm. 36), S.64. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 100/20 Seite 15 Tatsächlich bedroht der Klimawandel in Afrika Küsten- wie Binnenstaaten.39 Von den fünf Ländern , die in der Analyse als am bedrohtesten eingestuft werden, liegen vier in Afrika: Zentralafrikanische Republik, Demokratische Republik Kongo, Liberia und Südsudan. In der Demokratischen Republik Kongo liegt dabei mit Kinshasa eine der Megastädte40 Afrikas. Das Zusammenspiel lokaler klimatischer sowie naturräumlicher Gegebenheiten mit den sozio-ökonomischen Problemen der meisten afrikanischen Staaten ist der Grund dafür, dass Afrika in den Risikoanalysen als der am stärksten vom Klimawandel bedrohte Erdteil eingestuft wird.41 *** 39 Siehe Karte des britischen Risikoanalyse-Unternehmens Verisk Maplecroft unter folgendem Link: Verisk Maplecroft – Climate Change Vulnerability Index 2017, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources /verisk%20index.pdf (zuletzt abgerufen am 3. Dezember 2020). 40 Kinshasa hat derzeit ca. 15 Millionen Einwohner. Andere afrikanische Megastädte sind Kairo und Lagos, die Einwohnerzahl der Metropolregion Luanda wird auf ca. 10 Millionen geschätzt. 41 Sally Brown (Anm. 31). Für eine umfassendere Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf Afrika siehe Jochen Hinkel, Sally Brown, Lars Exner, Robert J. Nicholls, Athanasios T. Vafeidis und Abiy S. Kebede, Sealevel rise impacts on Africa and the effects of mitigation and adaptation: an application of DIVA, Regional Environmental Change Volume 12, S. 207–224, 2012, abrufbar unter Springer Link, https://link.springer.com/article /10.1007/s10113-011-0249-2 (zuletzt abgerufen am 7. Dezember 2020).