Das iranische Atomprogramm: Zivile und militärische Nutzungspotenziale - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 2 - 099/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: , Der Konflikt um das iranische Atomprogramm Ausarbeitung WD 2 - 099/06 Abschluss der Arbeit: 01.06.2006 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Fachbereich WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Telefon (WD 2): + Telefon (WD 8): + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Entstehung und Entwicklung des iranischen Atomprogramms 4 3. Die iranischen Atomanlagen 4 4. Einwände der internationalen Staatengemeinschaft gegen das iranische Atomprogramm 8 5. Technisch-naturwissenschaftlicher Hintergrund 13 5.1. Waffenfähiges Material 13 5.2. Brennstoffkreislauf und Uran-Anreicherung: Methoden und Instrumente 14 5.3. Der Fall Iran: Nukleares Material und nukleare Anlagen 16 5.4. Fazit: Unterscheidung zwischen ziviler und militärische Nutzung? 18 6. Dokumente 19 7. Literatur 20 - 3 - 1. Einleitung Der internationale Konflikt um das iranische Atomprogramm hat durch die Erklärung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad Mitte April 2006, dass es iranischen Ingenieuren gelungen sei, angereichertes Uran herzustellen und dass Iran von jetzt an zu den Nuklearstaaten gehöre, eine erneute Zuspitzung erfahren (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2006: 6). Zum wiederholten Male wird dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Frage gelenkt, ob Iran mit seinem Atomprogramm, wie behauptet, ausschließlich zivile oder auch militärische Ziele verfolgt, d. h. den Besitz der Atombombe anstrebt. Wäre letzteres der Fall, so hätte dies für die gesamte Region schwerwiegende sicherheitspolitische Konsequenzen. Aus Sicht der internationalen Staatengemeinschaft wäre ein atomares Wettrüsten im gesamten Mittleren Osten die Folge, weil eine atomare Bewaffnung Irans auch andere Staaten der ohnehin fragilen Region zu ähnlichen Handlungen inspirieren würde. Zudem wäre zu befürchten, dass der Atomwaffensperrvertrag als Dokument der internationalen nuklearen Nichtverbreitung weitgehend ausgehöhlt würde (vgl. Thränert 2005: 10). Aus diesen Erwägungen heraus wurde im März 2006 erstmals der UN-Sicherheitsrat in den Atomkonflikt mit Iran eingeschaltet. Im Folgenden wird die Frage behandelt, welche Anhaltspunkte es dafür gibt, dass Iran mit seinem Atomprogramm militärische Ziele verfolgt. Im Zentrum stehen dabei die Bestandsaufnahmen und konkreten Vorwürfe, die die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) als die für die Überwachung der Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages zuständige Institution in den vergangenen vier Jahren seit Bekanntwerden des iranischen Atomprogramms gegenüber Iran erhoben hat. Es geht dabei um Hintergrundinformationen , die für das Verständnis des internationalen Konfliktes unerlässlich sind, die aber in der öffentlichen Diskussion aufgrund ihrer (auch technischen) Komplexität nur in geringem Maße thematisiert werden. Das folgende Kapitel enthält einen kurzen chronologischen Abriss der Atompolitik Irans. Im dritten Kapitel werden dann der Aufbau und die Funktionen der wichtigsten iranischen Atomanlagen beschrieben. Im vierten Kapitel geht es schließlich um die Einschätzungen und Vorwürfe der IAEA gegenüber Iran. - 4 - 2. Entstehung und Entwicklung des iranischen Atomprogramms Die Bestrebungen Irans zum Aufbau eines eigenen Atomprogramms reichen bis in die 1950er Jahre zurück. Der damals herrschende Schah Reza Pahlevi verfolgte damit das Ziel, Iran zum Machtzentrum des Nahen Ostens zu machen (vgl. Meier 2005: 55). Unter dem Einfluss des Kalten Krieges kam 1957 ein Abkommen Irans mit den USA über eine verstärkte nukleare Kooperation zustande, das den Schah diesem Ziel näher brachte (vgl. IISS 2005: 10). Mit dem Ausbruch der islamischen Revolution im Jahre 1979 kamen die entsprechenden Vorhaben Irans jedoch zu einem vorläufigen Ende. Der neue Machthaber Ayatollah Ruhollah Chomeini sah in dem Programm einen Verstoß gegen die Grundsätze des Islams und setzte es mit sofortiger Wirkung aus. Infolge der Revolution verließen auch zahlreiche Experten für Nukleartechnik das Land. Zudem zogen sich westliche Investoren aus zuvor getroffenen Kooperationsvereinbarungen zurück. Damit waren auch die wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Realisierung des Programms nicht mehr gegeben (vgl. IISS 2005: 12). Trotz dieser Einschränkungen wurden in den achtziger Jahren Forschungsaktivitäten in kleinem Umfang fortgesetzt. Dabei ging es insbesondere um die mit pakistanischer Unterstützung realisierten Zentrifugen-Experimente, die von dritter Seite allerdings als wenig erfolgsträchtig eingestuft wurden (vgl. IISS 2005: 33). Eine erneute Wende in der iranischen Atompolitik erfolgte im Jahre 1989 mit der Machtübernahme des iranischen Führungsduos Khamenei und Rafsanjani, auf deren Betreiben hin das Atomprogramm wieder ausgeweitet wurde. Auf der Grundlage von Natururanimporten aus China gelang es der iranischen Führung im Laufe der neunziger Jahre, ohne Wissen der internationalen Gemeinschaft Experimente zur Konversion und Anreicherung von Uran durchzuführen. Hinzu kam der schrittweise vollzogene Erwerb von zivilen Kernkraftwerken, Forschungsreaktoren und anderen Anlagen zur Errichtung eines Brennstoffkreislaufes (vgl. IISS 2005: 12). 3. Die iranischen Atomanlagen Mittlerweile verfügt Iran über ein recht umfangreiches Netz von atomtechnischen Anlagen und Einrichtungen. Während von jeder einzelnen dieser Anlagen keine unmittelbare militärische Gefahr ausgeht, könnte ihr systematisches Zusammenwirken die Möglichkeit schaffen, einen unabhängigen nuklearen Brennstoffkreislauf zu bilden und somit - 5 - auch waffenfähiges Uran oder Plutonium herzustellen1. Zudem verfügt Iran über eigene Uranvorkommen in der Größenordnung zwischen etwa 3000 und 30000 Tonnen (IISS 2005: 35), die jedoch im Vergleich mit den Vorkommen in anderen Ländern als gering einzuschätzen sind (NEA/IEAE 2004; 2006). Im Folgenden werden die sechs wichtigsten iranischen Atomanlagen aufgeführt und beschrieben: Übersicht über die iranischen Atomanlagen: Quelle:http://www.learn-line.nrw.de/angebote/agenda21/archiv/03/daten/iranatom325863.jpg 1. Die Abbau- und Zerkleinerungsanlagen in Saghand und Gchine, die sich zurzeit noch im Aufbau befinden. Hier wird das im eigenen Land abgebaute Natururan durch mechanische und chemische Prozesse von anderen Elementen getrennt , so dass als Endprodukt Uranerzkonzentrat („Yellowcake“) (U3O8) übrig bleibt, welches das Rohmaterial für Kernkraftwerke und Atomwaffen darstellt. Allein mit der auf 83-94 Tonnen Yellowcake geschätzten jährlichen Produkti- 1 Um eine mögliche militärische Bedrohung, die vom Gesamtsystem der kerntechnischen Anlagen im Iran ausgeht, detaillierter abschätzen zu können, müssten auch die jeweiligen jährlichen Verarbeitungskapazitäten der einzelnen Anlagen in die Betrachtung einbezogen werden. Nur so könnten mögliche „Flaschenhälse“ im Brennstoffkreislauf identifiziert werden. Darauf muss hier jedoch verzichtet werden, auch weil z. T. nur ungenügende technische Angaben über einzelne Anlagen vorliegen . - 6 - onsmenge bei Vollbetrieb der Einrichtungen könnte das für den Betrieb von Irans Kernreaktor in Buschehr erforderliche Volumen aber noch nicht erreicht werden. Hierzu wäre eine mehr als doppelt so große Produktionsmenge erforderlich . Iran müsste also für den Betrieb der Anlage in Buschehr zusätzlich auf importiertes Uran zurückgreifen (vgl. IISS 2005: 35, 38.). 2. Der Anlagenkomplex in der iranischen Stadt Esfahan (Isfahan), der der Urankonversion dient. Hier wird das durch den Abbau- und Zerkleinerungsprozess gewonnene Uranerzkonzentrat gereinigt und chemisch so aufbereitet, dass es anschließend in den Anlagen zur Anreicherung und Kernbrennstoffherstellung weiter verarbeitet werden kann. Ziel ist bei diesem Schritt vor allem die Umwandlung von festem Uranoxid in gasförmiges Uran-Hexafluorid (UF6). Das Gas dient als Ausgangsstoff für die Anreicherung mittels Gasultrazentrifugen oder mittels Lasertechnologie. Nach vollendeter Anreicherung wird UF6 wieder in Uranoxid (UO2) oder in andere chemische Verbindungen umgewandelt. Eine Anreicherung des Urans ist sowohl für eine zivile als auch für eine militärische Weiterverwendung dieses Stoffs notwendig. Die in den Anlagen von Esfahan angewendeten Verfahren der Konversion sind somit Voraussetzung sowohl für eine zivile als auch für eine militärische Nutzung (vgl. IISS 2005: 38). 3. Die Anlage zur Anreicherung von Uran mittels Gaszentrifugen in Natanz, die sich ebenso wie die Anlagen in Saghand und Gchine noch im Stadium der Fertigstellung befindet. Die Anlage bildet einen weiteren wichtigen Bestandteil des nuklearen Brennstoffkreislaufes und wird von Experten wegen ihrer Eignung für zivile wie für militärische Zwecke als besonders problematisch eingestuft (vgl. Thränert 2005: 10). Diese Einschätzung basiert auf der Tatsache, dass der Prozess der Anreichung auch für die Produktion von waffenfähigem Uran genutzt werden kann. Natürliches Uran besteht zu 99.3% aus dem Isotop Uran-238 und zu 0.7% aus dem Isotop U-235. Sowohl für den Betrieb von Kernreaktoren als auch für die Herstellung von Atomwaffen ist jedoch ausschließlich U-235 von Nutzen. Durch Zentrifugentechnologie kann eine teilweise Trennung der beiden Isotope und eine Erhöhung des Anteils an U-235 im Gemisch („Anreicherung“) erzielt werden. Liegt dieser Anteil bei rund 3-5%, so kann das Uran für Kernreaktoren verwendet werden. Erst bei einem Anreicherungsgrad ab etwa 90% ist eine militärische Nutzung möglich (vgl. IISS 2005: 43). - 7 - 4. Eine Anlage zur Brennstoffverarbeitung und Brennelementeherstellung in Esfahan . Diese ist laut einer iranischen Stellungnahme für die Herstellung von schwach angereichertem und natürlichem Uranoxid bestimmt. Die baulichen Maßnahmen sollen im Jahre 2007 abgeschlossen werden. Bei voller Leistung sollen sowohl der Leichtwasserreaktor in Buschehr als auch der Schwerwasserreaktor in Arak mithilfe des hier gewonnenen Brennstoffs betrieben werden können (vgl. IISS 2005: 59). 5. Ein im Bau befindlicher Kernreaktor zur Stromerzeugung (Leichtwasserreaktor, prinzipiell ähnlich den Kernkraftwerken in Deutschland und anderen Ländern) im iranischen Buschehr, dessen Fertigstellung mit russischer Hilfe für Mitte 2006 angestrebt wird. Die militärische Nutzung dieser Anlage ist selbst unter der Voraussetzung unwahrscheinlich, dass Iran Kontrollen der internationalen Gemeinschaft an diesem Reaktor verweigert, da eine Umrüstung für die Erstellung von waffenfähigem Plutonium sehr aufwendig wäre (vgl. Thränert 2005: 10). 6. Der geplante Bau einer Fabrik für schweres Wasser und eines Schwerwasserreaktors in der iranischen Stadt Arak. Im Gegensatz zu dem Reaktor in Buschehr könnte diese Anlage, die nach iranischen Angaben zu Forschungszwecken errichtet wird, auch für die Produktion von waffenfähigem Plutonium verwendet und somit für die Realisierung militärischer Vorhaben eingesetzt werden (vgl. Thränert 2005: 11). Zu den beschriebenen sechs Anlagen kommt eine Reihe von Forschungs- und Pilotanlagen hinzu. Als wichtigste sind hierbei zu nennen: 1. die Versuchsanlagen zur Urananreicherung im Teheraner Nuclear Research Center sowie in Natanz, 2. Testeinrichtungen zur Anreicherung mittels Zentrifugen der Kala Electric Company in Teheran sowie 3. ein Laboratorium zur Durchführung von Anreicherungsaktivitäten mit Lasertechnologie in Lashkar Abad bei Karaj (vgl. Anlage zum IAEA Bericht 09/2003). Iran selbst behauptet, mit dem Bau bzw. der Inbetriebnahme seiner Anlagen lediglich zivile Ziele zu verfolgen (vgl. Statement Iran 09/20032). Für das Vorhaben, einen eigenen nuklearen Brennstoffkreislauf zu errichten, werden vor allem zwei Motive genannt. Zum einen wird dabei auf die Endlichkeit der Ölvorkommen und die Verminderung des 2 Die vollständige iranische Stellungnahme kann unter : http://www.iaea.org/NewsCenter/Focus/IaeaIran/bog12092003_statement-iran.pdf abgerufen werden. - 8 - Exportvolumens durch den eigenen Ölverbrauch verwiesen. Zum anderen will man unabhängiger von der Kooperationsbereitschaft der internationalen Partner Irans werden (vgl. Thränert 2005: 12). Zur Legitimation ihrer nuklearen Projekte beruft sich die iranische Regierung auf den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV)3, dem Iran seit dessen Inkrafttreten im Jahre 1970 angehört. Als Unterzeichnerstaat verpflicht sich Iran zum einen dazu, die Herstellung, den Erwerb und die Verbreitung von Kernwaffen zu unterlassen (vgl. Artikel II; NVV). Zum anderen sichert Artikel IV des Vertrages dem Land ebenso wie allen anderen Vertragsparteien das „unveräußerliche Recht ... [zu], unter Wahrung der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln“ (NVV). Zur Überprüfung der vertragstreuen Ausrichtung seines Atomprogramms hat Iran bereits 1974 mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ein zusätzliches Abkommen geschlossen, das dieser Kontrollmaßnahmen zugesteht, die über die im Atomwaffensperrvertrag vorgesehenen hinaus gehen. Artikel 8 dieser Übereinkunft fordert, dass Iran der Behörde Informationen zu nuklearem Material und zu den entsprechenden Anlagen zur Verfügung stellt (vgl. Iran Safeguards Agreement 1974: 3). Trotz dieser vertraglichen Grundlagen und der beschwichtigenden Aussagen Irans bleibt die Möglichkeit einer zivil-militärischen Doppelverwendbarkeit der Kerntechnik weiterhin bestehen . Diese „dual use“-Problematik bildet den Kernpunkt in der Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm (vgl. Kalinowski 2006: 6). 4. Einwände der internationalen Staatengemeinschaft gegen das iranische Atomprogramm In den vergangenen vier Jahren haben sich die Anzeichen dafür, dass die Teheraner Regierung mit ihrem Atomprogramms neben zivilen auch militärische Ziele verfolgt, d. h. versucht, in den Besitz der Atombombe zu gelangen, vermehrt. Erhärtet wurde ein entsprechender Verdacht erstmals im August 2002, als eine iranische Exiloppositionsgruppe öffentlich die Behauptung aufstellte, dass Iran heimlich eine Anlage zur Kernbrennstoffproduktion in Natanz und eine weitere Anlage zur Herstellung von Schwerwasser 3 Die deutsche Übersetzung des englischen Originaltextes ist abrufbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/friedenspolitik/abruestung/nvv.pdf - 9 - bei Arak errichten würde (vgl. IISS 2005: 16). Satellitenaufnahmen der entsprechenden Gebiete bestätigten diese Aussagen. Im Februar 2003 räumte Iran auch offiziell ein, schwach angereichertes Uran produzieren zu wollen. Die bekannt gewordenen nukleartechnischen Vorgänge stellen zwar als solche noch keine Verletzung des NVV dar, sie trugen aber, da sie zuvor geheim gehalten worden waren, dazu bei, dass sich die internationale Staatengemeinschaft zunehmend kritisch mit dem iranischen Atomprogramm auseinander setzte (vgl. IISS 2005: 16). Die Beteuerungen Teherans, mit seinem Atomprogramm rein zivile Zwecke zu verfolgen , werden von der internationalen Staatengemeinschaft auch aufgrund weiterer, vor allem politischer Indizien in Zweifel gezogen. So wird die Begründung Irans, mit dem Atomprogramm die Basis für seine Energieversorgung verbreitern zu wollen, angesichts der großen Ölvorkommen des Landes von vielen westlichen Beobachtern als wenig glaubwürdig eingestuft (vgl. Vakil 2005: 183). Zudem ist bekannt, dass maßgebliche Vertreter der geistlichen Elite Irans abweichend von der offiziellen Linie der Teheraner Regierung die Auffassung vertreten, dass das Land aufgrund seiner angeblich prekären geo-politischen Lage zumindest die Option auf die Entwicklung von Atomwaffen haben sollte (vgl. Takeyh 2004: 55). Zwar sind nach dem Jahre 2001 mit der Entmachtung Saddam Husseins im Irak und des Taliban-Regimes in Afghanistan zwei potentielle Gefahrenquellen für die nationale Sicherheit Irans verschwunden; mittlerweile werden aber die amerikanischen Truppen in den Nachbarländern, die Iran faktisch umzingeln, von iranischer Seite als neue Bedrohung eingestuft (vgl. Takeyh 2003: 23; Müller 2004: 13-14). Seit der Aufdeckung des iranischen Atomprogramms im Jahre 2002 hat die internationale Staatengemeinschaft, vertreten durch die IAEA, intensive Untersuchungen durchgeführt , um sich Gewissheit über das tatsächliche Ausmaß dieses Programms zu verschaffen .4 So besichtigten Vertreter der IAEA im Februar 2003 erstmals die Anlage in Natanz und kurze Zeit später die Kala Electric Company. Allerdings verweigerte Iran der IAEA zu diesem Zeitpunkt noch die Entnahme von Proben und verhinderte damit die Überprüfung der Frage, ob in diesen Anlagen militärisch nutzbares nukleares Material hergestellt oder verwendet wurde. Zugleich gab die Teheraner Regierung aber zu, im Jahre 1991 nukleares Material aus China erhalten zu haben sowie den Bau eines 4 Die Ausführungen hierzu beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf IISS 2005: 16-25. - 10 - Schwerwasserforschungsreaktors mit einer Leistung von 40 Megawatt in Arak zu planen . Nach Abschluss ihrer Ermittlungen legte die IAEA im Juni 2003 einen ersten Bericht vor, in dem sie Iran gravierende Verfehlungen vorwarf. Iran habe gegen seine Verpflichtungen gemäß dem Sicherheitsabkommen verstoßen, indem seine Regierung es versäumt habe, den Besitz von nuklearem Material, die Aufbereitung und Verwendung dieses Materials sowie die Verfügung über Anlagen, in denen dieses Material aufbewahrt und verarbeitet wurde, gegenüber der IAEA anzuzeigen (IAEA Bericht 06/2003: 3).5 Die Kritik der IAEA bezog sich insbesondere auf den Uranimport aus China, die Weiterverarbeitung dieses Materials sowie auf fehlende Informationen zum Teheraner Forschungszentrum und zu der nuklearen Einrichtung in Esfahan (vgl. IAEA Bericht 06/2003: 7). Diese Hinweise auf iranische Vertragsverletzungen verband die IAEA mit der Aufforderung, die Kooperation mit der Behörde zu verbessern und weitere Untersuchungen zur Klärung der Sachlage zuzulassen. Zunächst aber wurden weitere Einzelheiten über das iranische Atomprogramm bekannt. So gestand Iran im August 2003 ein, bereits in den 1980er Jahren unter Mitwirkung des pakistanischen Netzwerkes A. Q. Khan sein Zentrifugen-Programm gestartet zu haben. Besorgnisse löste auch die Entdeckung von Spuren hoch angereicherten Urans in der Kala Electric Company aus.6 Außerdem weist die IAEA darauf hin, dass Iran die angeforderten Angaben zu seinem Atomprogramm nur zögerlich bereitstellte und die Informationen in einigen Fällen im Widerspruch zu bisherigen Aussagen standen. In einer weiteren Resolution bekräftigte die IAEA daher die Forderung an Iran zur Intensivierung der Kooperation sowie zur Aufklärung aller strittigen Sachverhalte (IAEA Resolution 09/2003: 2-3). Parallel zur Einleitung der genannten Untersuchungsschritte vollzog sich ein politischer Verhandlungsprozess zwischen der EU (insbesondere Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens) und Vertretern der Teheraner Regierung.7 Im Oktober 2003 ging aus 5 Alle seit 2003 veröffentlichten Berichte der IAEA in Bezug auf die Iranproblematik sind unter: http://www.iaea.org/NewsCenter/Focus/IaeaIran/index.shtml abrufbar. 6 Erst im Jahre 2005 konnte die IAEA nach intensiver Nachforschung Irans Angaben bestätigen, dass diese Spuren aus Experimenten in Pakistan stammten, aus denen die Anlagen importiert worden waren (vgl. Kalinowski 2006: 6-7). 7 Einen Überblick über den Verhandlungsverlauf bietet: . Der Konflikt um das iranische Atomprogramm / . Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. - (aktualisierte Fassung). - [Berlin], 2006. - 18 Bl. - Sachstand - 11 - dieser Initiative das Teheraner Abkommen hervor, durch das zumindest vorübergehend eine Entspannung in der Auseinandersetzung erzielt werden konnte. Iran versprach darin die vollständige Einstellung seiner Anreicherungsaktivitäten und eine engere Kooperation mit der IAEA. Im Gegenzug gestanden die EU-Repräsentanten Iran das Recht zu, die Kernenergie für friedliche Zwecke zu nutzen. Mitte 2004 wurden jedoch weitere Einzelheiten über das iranische Atomprogramm bekannt , die erneut Zweifel an der Kooperationsbereitschaft Teherans aufkommen ließen. So berichtete die IAEA, dass Iran u. a. den Bau neuer Zentrifugen eingeleitet habe. Darüber hinaus gab die iranische Regierung im April 2004 bekannt, die Produktion von UF6 anzustreben. Dieses Vorgehen Irans wurde von der IAEA umgehend als Verstoß gegen das Teheraner Abkommen bewertet. Die iranische Seite stellte sich hingegen auf den Standpunkt, dass ihre Entscheidung, freiwillig und zeitlich begrenzt atomtechnische Aktivitäten auszusetzen, nur für einen klar definierten Bereich und eben nicht für die Produktion von UF6 gelte (IAEA Report 06/2004: 10). Die Resolutionen der IAEA von Juni und September 2004, in denen die iranischen Vorhaben ausdrücklich als Verstöße gegen getroffene Abmachungen gewertet werden, hat die iranische Seite dann auch weitgehend ignoriert. Im September 2004 gab Iran bekannt, mit der Umwandlung von 37 Tonnen „yellowcake“ in UF6 begonnen zu haben. In der Folgezeit war es wiederum eine von der EU ausgehende Initiative, die eine weitere Zuspitzung des Konflikts zunächst abwenden konnte. Am 15.11.2004 wurde nach dem Abschluss von Verhandlungen mit iranischen Vertretern eine neue Vereinbarung, das so genannte Pariser Abkommen, geschlossen. Hierin erklärte sich Iran erneut zur vollständigen Einstellung seiner Anreicherungsaktivitäten bereit. In der noch im gleichen Monat verabschiedeten Resolution der IAEA wurden Iran dann deutliche Fortschritte bei der Kooperationsintensität und der Bereitschaft zur Offenlegung strittiger Sachverhalte bescheinigt (vgl. IAEA Resolution 11/2004: 2). Bald darauf traten jedoch neue Irritationen über das iranische Vorgehen auf. Diese verstärkten sich, als Iran im Sommer 2005 ankündigte, die zeitweilig ausgesetzten Anreicherungsaktivitäten wieder aufzunehmen zu wollen. Die diplomatischen Bemühungen waren damit vorläufig an ein Ende gelangt. Zieht man eine vorläufige Bilanz, so ergibt sich eine lange Reihe von nukleartechnischen Aktivitäten Irans, die von der IAEA als Verletzung des 1974 mit Iran abgeschlos- - 12 - sen Abkommens über umfassendere Sicherheitsmaßnahmen (Safeguards Agreement) eingestuft werden. Die folgenden Rechtsverstöße gelten dabei als zentral: Der bereits erwähnte Import von Natururan aus China sowie die weitere Verwendung dieses Rohstoffes, insbesondere zur Produktion von Nuklearmaterial und die dabei entstandenen Abfälle wurden laut IAEA-Angaben nicht ordnungsgemäß von Iran gemeldet . Dies hätte nach Artikel 8 des Safeguards Agreement aber erfolgen müssen. Ähnliche Versäumnisse im Hinblick auf Meldepflichten Irans sind in den Augen der IAEA auch in anderen Fällen zu verzeichnen. So wurde über Anreicherungsexperimente von importiertem UF6 in den Jahren 1999 und 2002, über die Verwendung von Uranmetall zum Zwecke von Laseranreicherungsexperimenten und über die Produktion unterschiedlicher Uranoxide, Uranflouride und Ammoniumuranylkarbonat ebenfalls nicht vorschriftgemäß Bericht erstattet. Gleiches gilt für Versuche zur Herstellung von U02- Targets (Ein Target ist Material, auf das man Strahlung auftreffen lässt, um in der Materie Kernumwandlungen hervorzurufen.) zwischen 1988 und 1992 im Nuklearzentrum von Esfahan und die anschließende Bestrahlung in einem Forschungsreaktor in Teheran, bei der die Abspaltung von Plutonium gelang. Hinzu kommt, dass die Existenz diverser Anlagen, die Bestandteile des Nuklearprogramms Teherans sind, bei der IAEA nicht deklariert wurde. Neben den im Jahre 2002 entdeckten Reaktoren in Natanz und Arak zählen hierzu insbesondere die Kala Electric Company bei Teheran, in der mit pakistanischer Hilfe eine Pilotanlage für Anreicherungsaktivitäten entstanden ist, sowie eine Einrichtung zur Laseranreicherung in Lashkar Abad bei Karaj, deren nukleartechnische Zweckbestimmung im Jahre 2004 von der IAEA bestätigt wurde (vgl. IAEA Bericht 09/2005: 2-3; Kalinowski 2006: 7). Darüber hinaus hat die Internationale Atomenergiebehörde bis heute nicht abschließend klären können, über welchen technischen Standard das iranische Atomprogramm verfügt . Fraglich ist vor allem der Stand der im Iran verwendeten Zentrifugentechnologie (vgl. Meier 2005: 60). Laut eigenen Angaben erhielt Teheran bereits Mitte der 1980er Jahre technische Beschreibungen und Komponenten für so genannte P1-Zentrifugen, mit denen die Urantrennung durchgeführt werden kann. Untersuchungen der IAEA ergaben allerdings, dass Iran auch über Konstruktionspläne für fortgeschrittene P2- Zentrifugen verfügt. Diese pakistanische Zentrifugenvariante besitzt eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit und würde somit die Errichtung eines heimlichen Nuklearprogramms zu militärischen Zwecken begünstigen (vgl. IISS 2005: 51-52). Iran bestreitet - 13 - entsprechende Lieferungen, wohingegen die IAEA weiterhin Klärungsbedarf in dieser Frage sieht, und zwar insbesondere für den Zeitraum von 1995 bis 2002 (vgl. IAEA Bericht 09/2005: 6). Es ist folglich nicht ein einzelner Rechtsverstoß, sondern eine Fülle von vertragswidrigen nukleartechnischen Aktivitäten, die den Atomkonflikt zwischen der internationalen Staatengemeinschaft und Iran begründen. Auch die IAEA hat jüngst noch einmal unterstrichen , dass erst die lange Dauer des Konfliktes von über drei Jahren und die Kumulation einer Vielzahl von Ereignissen die Staatengemeinschaft dazu bewegt haben, im Frühjahr 2006 den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Fall zu befassen (IAEA Bericht 02/2006: 11). 5. Technisch-naturwissenschaftlicher Hintergrund 5.1. Waffenfähiges Material Kernwaffen, die auf dem Prinzip der Kernspaltung beruhen, können im Prinzip entweder aus Uran oder aus Plutonium hergestellt werden8. Uran kommt in relativ großer Menge in natürlichen Lagerstätten vor (siehe 2006). Kleinere Uranvorkommen existieren auch im Iran. Plutonium kommt hingegen in der Natur praktisch nicht (d. h. nur in winzigen Mengen) vor und kann daher nicht durch Abbau gewonnen werden. Um waffenfähiges Plutonium zu erhalten, müsste dieses zunächst in speziellen Reaktoren erzeugt werden (durch Bestrahlung von Uran mit Neutronen) und dann in einer Wiederaufarbeitungsanlage aus den Reaktor-Brennstäben isoliert werden. Reaktoren und Wiederaufarbeitungsanlagen wären nicht nur technisch aufwändig, sondern auch relativ leicht zu lokalisieren und bei Kontrollen als militärischen Zwecken dienend zu erkennen. Es ist daher allgemein davon auszugehen, dass ein Staat, der ein militärisches Atomprogramm vor internationalen Kontrollen verbergen oder möglicherweise vor feindlichen Militärschlägen schützen will, nicht auf Plutonium, sondern eher auf Uran als spaltbares Material setzen wird. „Letztlich ist der Weg zur Bombe über angereichertes Uran der einfachere. Immerhin ist es ein Weg, für den kein Atomreaktor vonnöten ist“ (von Randow 2005). Uran ist zwar in größerer Menge in der Natur zu finden. Jedoch liegt Natururan immer als Mischung der beiden Uran-Isotope U-238 (zu 99,3%) und U-235 (zu 0,7%) vor. Nur 8 Beide Typen wurden bereits seit der Frühzeit der Kernwaffenentwicklung verfolgt. Die am 06.08.1945 über Hiroshima abgeworfenen Atombombe enthielt Uran, die drei Tage später über Nagasaki abgeworfene Bombe enthielt vermutlich Plutonium als spaltbares Material. - 14 - das leichtere, seltenere U-235 ist spaltbar und kann an kernphysikalischen Kettenreaktionen teilnehmen. Mit Natururan als Brennstoff kann keinerlei Kettenreaktion aufrecht erhalten werden. Für die Verwendung zur Energiegewinnung in zivilen Kernkraftwerken muss der Anteil des spaltbaren U-235 im Brennstoff zuvor auf mindestens 3-5% erhöht werden. Diese so genannte Anreicherung geschieht in speziellen Anreicherungsanlagen . Ein Urangemisch mit einem solchen, nur moderat erhöhten Anteil an U-235 wird als schwach angereichertes Uran (engl.: low-enriched Uranium, LEU) bezeichnet. Für die Verwendung in Kernwaffen muss der U-235-Anteil jedoch noch weiter erhöht werden. Ab 20% U-235 spricht man von hoch angereichertem Uran (engl.: highly enriched Uranium, HEU). Für die tatsächliche militärische Verwendung wird oft ein Anreicherungsgrad von 85-90% als untere Grenze genannt. Zwar könnte auch Uran mit einem Anreicherungsgrad zwischen 20 und 85% bereits für Waffenzwecke eingesetzt werden. Jedoch würde dabei der relativ hohe Anteil des nicht spaltbaren U-238 die Kettenreaktion behindern und zum vorzeitigen Abbruch der Explosion führen. Dadurch würde die Sprengkraft der Bombe reduziert. Auch wäre der Zündmechanismus komplizierter zu konstruieren, und mögliche Trägersysteme für Bomben hätten höhere Anforderungen zu erfüllen, da sie das U-238 als „Ballast“ mit zu transportieren hätten. Es ist daher davon auszugehen, dass ein Staat, der Kernwaffen konstruieren will, erhebliche Anstrengungen in die Anreicherung von Uran auf mindestens etwa 90% investieren wird. 5.2. Brennstoffkreislauf und Uran-Anreicherung: Methoden und Instrumente Der Weg vom Natururan zum schwach oder hoch angereicherten Uran führt über einen mehrstufigen Prozess. Das in Lagerstätten abgebaute Uran-Erz muss zunächst vom Wirtsgestein getrennt, zerkleinert und gereinigt werden. Dann wird es im Rahmen der so genannten „Konversion“ chemisch isoliert, umgewandelt und in den gasförmigen Zustand überführt. Das Endprodukt dieses Prozesses, Uranhexafluorid (UF6), ist ein Gas, das aus Atomen der Elemente Uran und Fluor zusammengesetzt ist. Dabei bestehen die Uran-Atome nach wie vor aus einem Gemisch von 99,3% des Isotops U-238 und 0,7% des Isotops U-235. Um diese beiden Isotope zu trennen und das spaltbare U-235 anzureichern, wird das UF6-Gas in der Folge in Anreicherungsanlagen weiter verarbeitet. Dafür stehen im Prinzip verschiedene Technologien zur Wahl. Während früher vor allem Diffusionsmethoden zur Anwendung kamen, sind diese heute u. a. wegen des hohen nötigen Energieaufwandes nur noch in geringerem Umfang im Einsatz. Die Mehrzahl der Anreicherungsanlagen funktioniert heute nach dem Verfahren der Anreicherung durch Gasultrazentrifugen , so auch die Anlagen der Firma Urenco im nordrhein-westfälischen Gronau, die die deutschen Kernkraftwerke versorgt (Ohnemus 2005). Daneben existie- - 15 - ren weitere Anreicherungsmethoden, so etwa die Laseranreicherung. Diese bietet einige prinzipielle Vorteile, erscheint jedoch technisch sehr aufwändig und hat sich bisher nicht im industriellen Maßstab durchsetzen können. Bei der Anreicherung durch Gasultrazentrifugen erfolgt die Trennung allein aufgrund der leicht geringeren Masse des spaltbaren U-235. Das UF6-Gas wird in zylinderförmige Gefäße (Zentrifugen) eingeleitet, die sich mit hoher Geschwindigkeit um die eigene Achse drehen und dabei das Gas ebenfalls in Rotation versetzen. Aufgrund ihrer höheren Masse erfahren dabei Moleküle, die ein Atom des schwereren Isotops U-238 enthalten , eine etwas größere Fliehkraft als Moleküle mit dem U-235-Isotop. Daher reichert sich das U-235 im inneren Bereich (nahe der Drehachse) an, während nahe der Außenwand des sich drehenden Zylinders die U-238-Konzentration höher ist. Durch zwei getrennte Rohre werden die angereicherte und abgereicherte Fraktion des Gasgemisches dann abgeleitet. Dabei ist zu beachten, dass die Trennung in einem einzelnen Zentrifugier-Schritt nicht vollständig sein kann. Vielmehr ist die U-235-Konzentration nur leicht erhöht bzw. erniedrigt gegenüber dem Anfangszustand. Um eine Anreicherung bis hin zu LEU oder sogar HEU zu erzielen, müssen daher viele Zentrifugen-Systeme zu einer so genannten Kaskade hintereinander geschaltet werden, wobei jede einzelne Zentrifuge jeweils das Produkt des vorhergehenden Schrittes als Ausgangsmaterial nimmt und (etwas) weiter anreichert. Um zusätzlich zum Anreicherungsgrad auch den Durchsatz, d. h. die pro Tag oder Jahr auf eine gegebene Konzentration angereicherte Menge Uran (in kg oder Tonnen ) zu erhöhen, werden außerdem mehrere solcher Systeme parallel zueinander betrieben . Zentrifugen sind zwar konzeptionell einfach, jedoch in der technologischen Realisierung sehr kompliziert. Da sie sich mit sehr hohen Geschwindigkeiten drehen, sind sie sehr anfällig gegenüber mechanischen Störungen und daher wartungsintensiv. Außerdem erfordern die Steuerung und der automatische Betrieb einer Kaskade von vielen (d.h. Tausenden) zusammen geschalteten Zentrifugen einen erheblichen technischen Aufwand (von Randow 2006b). Verfügt ein Land jedoch einmal über die Technologie und ausgebildetes Personal zum Betrieb einer Anreicherungsanlage, so könnte dieselbe Anlage je nach Betriebsweise für die Herstellung sowohl von schwach als auch von hoch angereichertem Uran verwendet werden. Es wäre nicht möglich, allein aufgrund der Bauart der Anlage zu unterscheiden, ob die Anreicherung für zivile oder militärische Zwecke betrieben wird. Für die Benutzung zur Energiegewinnung muss das angereicherte Uran schließlich zu Brennelementen und Brennstäben verarbeitet werden. Hierzu wird es üblicherweise - 16 - zunächst erneut chemisch umgewandelt und in festes Uranoxid (UO2) überführt. Für den Gebrauch in Bomben hingegen ist es vorteilhaft, das Uran in reiner Form als Uranmetall vorliegen zu haben. Beobachter weisen deshalb darauf hin, dass Funde von elementarem Uranmetall einen deutlichen Hinweis auf militärische Absichten eines Landes darstellten (Rühle 2006). 5.3. Der Fall Iran: Nukleares Material und nukleare Anlagen Im Fall des Iranischen Atomprogramms stellt sich die Frage, ob unter den bisher bekannt gewordenen Tatsachen Hinweise auf Anlagen oder Materialien zu finden sind, die allein aufgrund ihrer technisch-naturwissenschaftlichen Charakteristik eindeutig als (nur) für militärische Anwendungen geeignet zu identifizieren sind. Ein eindeutiger Hinweis aufgrund nuklearen Materials läge etwa dann vor, wenn im Iran Vorräte von hoch angereichertem Uran (HEU) gefunden würden. Dieses böte für die zivile Verwendung keinen Vorteil gegenüber schwach angereichertem Uran (LEU), wäre aber zwingende Voraussetzung für den Bau von Uran-Kernwaffen. Tatsächlich sind in einem iranischen Labor einmal sehr geringe Mengen von HEU gefunden worden . Nach iranischer Darstellung stammten diese Spuren aus Verunreinigungen an Zentrifugen , die der Iran in Pakistan gebraucht gekauft hatte. Nach längerer Untersuchung des Sachverhalts bestätigte die Internationale Atomenergiebehörde dem Vernehmen nach diese Darstellung (von Randow 2006a). Ein weiterer Hinweis auf militärische Absichten aufgrund von nuklearem Material könnte sich aus der Tatsache ergeben, dass im Iran 1991 400 Kilogramm Uran chemisch in elementares Uran-Metall umgewandelt wurden (Rühle 2006). Andere Darstellungen berichten sogar, dieses Uranmetall sei in Halbkugel-Form gebracht worden (von Randow 2006a). Metallischer Zustand und halbkugelartige Form wären für den Bombenbau vorteilhaft, für zivile Anwendungen hingegen nicht hilfreich und unüblich. Allerdings lässt sich den vorliegenden Berichten über diesen Fund nicht entnehmen, ob das Uranmetall auch bis zu dem für Waffenzwecke notwendigen Grad angereicht war. Abgesehen von diesen (wenigen) verdächtigen Materialfunden könnten Hinweise auf militärische Absichten in den iranischen Anlagen zur Uran-Verarbeitung und Anreicherung gesucht werden. Allerdings ist eine trennscharfe Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Nutzung allein anhand von Inspektionen von Anlagen und Geräten äußerst kompliziert. Praktisch alle bisher bekannten Anlagen fallen in die Kategorie der „Dual-Use“-Technologie, die je nach Betriebsweise sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen könnten. - 17 - Im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stand in jüngster Zeit die Anlage zur Urananreicherung in Natanz. Unbestritten ist, dass diese Anlage sowohl zur Produktion von LEU als Brennstoff für Kernkraftwerke als auch zur Produktion von HEU für den Bombenbau dienen könnte. Die Mitteilung des iranischen Präsidenten, dass in dieser Anlage 146 Zentrifugen zu einer Kaskade zusammengeschaltet und erfolgreich zur Anreicherung von Uran verwendet worden seien, wurde von manchen Beobachtern so interpretiert , dass Iran faktisch zur Atommacht aufgestiegen sei. Andere Beobachter interpretieren diese Mitteilung primär als politische Drohgeste; im übrigen sei sie „technisch ein Nullevent“ (von Randow 2006b). Die Zahl von 146 Zentrifugen sei viel zu klein für die Anreicherung in industriellem Maßstab. Man brauche mindestens etwa 1700 Zentrifugen , um angereichertes Uran für eine einzige Atombombe pro Jahr herstellen zu können . Für eine Serienproduktion im industriellen Maßstab seien sogar bis zu 50.000 Zentrifugen notwendig. Mit der Zahl der zu einer Kaskade zusammengeschalteten Zentrifugen steige auch die Komplexität der notwendigen Steuerungs- und Regelungselektronik, über die der Iran bisher vermutlich nicht verfüge. Außerdem fehle es dem Iran noch an Sicherheitstechnik , Betriebserfahrung, Erfahrungen mit Montage, Wartung und Reparatur der sehr störanfälligen Zentrifugensysteme, an hochreinen Ausgangsstoffen und insbesondere an den nötigen Mengen des Elementes Fluor. Selbst wenn alle diese Schwierigkeiten überwunden werden könnten, müsse der Iran noch erhebliche Probleme beim Design von Bomben, der Miniaturisierung von Gefechtsköpfen, der Montage des Gefechtskopfes auf der Trägerrakete etc. lösen, bevor tatsächlich eine Bedrohung durch iranische Kernwaffen befürchtet werden müsse. Nach dieser Darstellung ist der Iran, selbst wenn man ihm militärische Absichten unterstellt, noch mindestens 4 Jahre vom Status einer Atommacht entfernt (von Randow 2006b). Als weiterer Hinweis auf militärische Absichten wird teilweise der Bau einer Fabrik für schweres Wasser und eines Schwerwasserreaktors in Arak gewertet. Bei diesem Reaktortyp entsteht während des Betriebs vermehrt Plutonium, das für den Bau einer Plutoniumbombe verwendet werden könnte (von Randow 2005, Wirz 2004). Allerdings müsste es hierzu zunächst aus den abgebrannten Brennstäben extrahiert werden. Pläne für den Bau der hierzu notwendigen Wiederaufarbeitungsanlage im Iran sind bisher nicht bekannt. Umgekehrt bietet ein Schwerwasserreaktor auch Vorteile für die zivile Energienutzung: Im Gegensatz zu den üblichen Leichtwasserreaktoren benötigt er nicht einmal schwach angereichertes Uran, sondern kann direkt mit Natururan betrieben werden . Sollte Iran die Option der Energiegewinnung mit Schwerwasserreaktoren systematisch nutzen wollen, könnte dies also möglicherweise als Hinweis auf friedliche Absichten des Atomprogramms interpretiert werden – allerdings wohl nur unter der Bedingung , dass auf eine Uran-Anreicherung vollständig verzichtet wird, da diese dann für - 18 - die zivile Nutzung entbehrlich wäre. Andererseits weisen manche Kommentatoren darauf hin, dass Schwerwasserreaktoren gerade deshalb besonders heikel sind, weil Natururan wesentlich leichter zu beschaffen sei – insbesondere in einem Land mit eigenen Uranvorkommen wie dem Iran – und das entstehende Plutonium so leichter unbemerkt missbraucht werden könne als im Fall des für Leichtwasserreaktoren nötigen, leicht angereicherten Urans (Wirz 2004). Vermutungen über militärische Absichten gründen sich bisher offenbar vor allem auf andere als technische Faktoren wie den oft aggressiven Tonfall führender iranischer Politiker, die mangelhafte Kooperation des Landes mit der Internationalen Atomenergiebehörde , die zögerliche Informationspolitik, die Verheimlichung vieler Bau- und Entwicklungsprojekte, sowie die vermutete geostrategische Interessenlage Irans. Hinweise könnten ferner daraus abgeleitet werden, dass Iran an der Fertigstellung einer eigenen Anreicherungsanlage festhält, obwohl Russland die Belieferung des Kernkraftwerks in Buscher mit angereichertem Uran angeboten hatte. Weitere Indizien könnten schließlich darin gesehen werden, dass Iran zeitgleich zum Atomprogramm Mittelstreckenraketen entwickelt bzw. beschafft hat, die für atomare Sprengköpfe geeignet wären (Wirz 2004), sowie in angeblichen Versuchen iranischer Agenten, auf dem Schwarzmarkt waffenfähiges Uran zu kaufen (Rühle 2006). 5.4. Fazit: Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Nutzung? Es erscheint derzeit kaum möglich, in eindeutiger Weise eine Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zwecken des iranischen Atomprogramms allein aufgrund technisch-naturwissenschaftlicher Kriterien zu treffen. Es gibt zwar viele Hinweise auf mögliche militärische Ziele dieses Programms, eindeutige Beweise liegen jedoch bislang nicht vor. Den wesentlichen Grund dafür macht ein Zitat des Journalisten Rühle (2006) deutlich: „Das Dilemma … ist, dass die Prozesse zur – erlaubten – friedlichen Nutzung der Kernenergie zu 95 Prozent identisch sind mit den – verbotenen – Prozessen zum Bau einer Atomwaffe. Mit anderen Worten: Technisch betrachtet, wird erst in der allerletzten Phase eines Atomprogramms sichtbar, ob es um friedliche Nutzung oder um Bombenbau geht“ (Rühle 2006). - 19 - 6. Dokumente IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT safeguards agreement in the Islamic Republic of Iran. Report by the Director General. 06.06.2003. GOV/2003/40. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT safeguards agreement in the Islamic Republic of Iran. Report by the Director General. 26.08.2003. GOV /2003/63. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT safeguards agreement in the Islamic Republic of Iran. Report by the Director General. 10.11 2003. GOV/2003/75. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT safeguards agreement in the Islamic Republic of Iran. Report by the Director General. 24.02 2004. GOV/2004/11. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT safeguards agreement in the Islamic Republic of Iran. Report by the Director General. 01.06.2004. GOV/2004/34. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT safeguards agreement in the Islamic Republic of Iran. Report by the Director General. 02.09.2005. GOV/2005/67. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT safeguards agreement in the Islamic Republic of Iran. Report by the Director General. 27.02 2006. GOV/2006/15. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran. Resolution adopted by the Board on 12 September 2003. GOV/2003/69. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran. Resolution adopted by the Board on 13. March 2004. GOV/2004/21. IAEA Board of Governors: Implementation of the NPT Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran. Resolution adopted by the Board on 24. September 2005. GOV/2005/77. IAEA: The Text of the Agreement between Iran and the Agency for the Application of Safeguards in Connection with the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons.13.12.1974. Abrufbar unter: http://www.iaea.org/Publications/Documents /Infcircs/Others/infcirc214.pdf - 20 - 7. Literatur Denza, Eileen 2005: Non-proliferation of nuclear weapons: the European Union and Iran. In: European foreign affairs review. – 10, 3, S. 289 - 311. IISS - International Institute for Strategic Studies 2005: Iran’s strategic weapons programmes : a net assessment. London: Routledge. Kalinowski 2006: Das Nuklearprogramm des Iran – zivil oder militärisch? 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