WD 2 - 3000 - 098/17 (8. November 2017) © 2017 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Hinsichtlich des Aufklärungseinsatzes der Bundeswehr zur Bekämpfung des sog. „Islamischen Staates“ in Syrien (Militäroperation Inherent Resolve) hat die Bundestagsfraktion DIE LINKE 2016 ein Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet (2 BvE 2/16). Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob durch die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz gegen die Terrororganisation „IS“ auf der Grundlage von Art. 51 VN-Charta i.V.m. Art. 42 Abs. 7 EUV Rechte der Fraktion DIE LINKE aus Art. 24 Abs. 2 GG verletzt wurden. Umstritten ist primär die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens. Nach Auffassung der Antragsgegner fehle es der Antragstellerin bereits an der erforderlichen Antragsbefugnis. Die Fraktion DIE LINKE sei an der Mandatierung des Auslandseinsatzes durch den Bundestag am 1. Dezember 2015 beteiligt gewesen und insoweit nicht in eigenen (Mitwirkungs-)Rechten verletzt. Das Organstreitverfahren diene dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht jedoch einer davon losgelösten objektiven Verfassungsmäßigkeitskontrolle eines bestimmten Organhandelns. Die materiell-rechtliche Zulässigkeit eines Streitkräfteeinsatzes, insbesondere seine Vereinbarkeit mit Art. 24 Abs. 2 GG, sei kein zulässiger Antragsgegenstand eines Organstreitverfahrens und deshalb nicht rügefähig. Was die materielle Rechtslage angeht, so steht völkerrechtlich die Frage des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 VN-Charta (i.V.m. Art. 42 Abs. 7 EUV) vor dem Hintergrund der „IS“- Attentate von Paris vom November 2015 zur Diskussion. Das Problem besteht darin, dass die militärischen Aktionen der internationalen Anti-„IS“-Koalition sich gegen nicht-staatliche Akteure (sog. „Islamischer Staat“) auf syrischem Territorium richten, wobei Syrien – anders als der Irak – den militärischen Aktivitäten der Allianz nicht zugestimmt hat.1 1 Vgl. zum Thema zuletzt Jasper Finke, Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Akteure, in: AVR 2017, S. 1-42, online: http://www.ingentaconnect.com/content/mohr/avr/2017/00000055/00000001/art00001. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem Aufklärungseinsatz der Bundeswehr im Rahmen der Militäroperation „Inherent Resolve“ gegen den sog. „Islamischen Staat“ in Syrien Kurzinformation Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem Aufklärungseinsatz der Bundeswehr im Rahmen der Militäroperation „Inherent Resolve“ gegen den sog. „Islamischen Staat“ in Syrien Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Die syrische Regierung übt über die vom „IS“ kontrollierten Gebiete keine effektive territoriale Kontrolle mehr aus, und muss sich das Handeln der Terrororganisation daher auch nicht nach den sog. „safe haven-Kriterien“ zurechnen lassen.2 Zur rechtlichen Begründung des militärischen Auslandseinsatzes der Bundeswehr in Syrien beruft sich die Bundesregierung neben dem Selbstverteidigungsrecht auch auf die Resolution 2249 (2015) des VN-Sicherheitsrats vom 20. November 2015,3 welche zwar keine explizite Mandatierung kollektiver Militäraktionen gegen den „IS“ in Syrien enthält, wohl aber auf das Selbstverteidigungsrecht der Staatengemeinschaft gegen die Terrororganisation Bezug nimmt.4 In dieser Resolution stellt der Sicherheitsrat außer Streit, dass ein militärisches Vorgehen gegen den „IS“ in Syrien mit dem Völkerrecht grundsätzlich vereinbar ist. Gleichzeitig betont der Sicherheitsrat in seiner Präambel die außergewöhnliche Bedrohung, die vom „IS“ ausgeht und stellt damit klar, dass das militärische Vorgehen gegen die territorial verfestigte Organisation eine besondere Ausnahmesituation darstellt. Die Bundesregierung hat zur Rechtfertigung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts ausdrücklich die territoriale Verfestigung der Organisation angeführt (und beruft sich nicht auf den sog. „unable and unwilling“-Test). Das Selbstverteidigungsrecht gegen nichtstaatliche Gruppen, die die tatsächliche Kontrolle über ein Gebiet ausüben, das von der Regierung des betreffenden Staates nicht mehr kontrolliert wird, findet überdies Bestätigung in der internationalen Staatenpraxis. Als rechtliche Begründung trägt also die Bezugnahme auf das Selbstverteidigungsrecht und die Sicherheitsratsresolution 2249 (2015) für den Bundeswehreinsatz, solange die syrische Regierung keine effektive Kontrolle über jenen vom „IS“ besetzten Teil des syrischen Territoriums ausübt, von dem aus der „IS“ grenzüberschreitende Gewaltakte plant und durchführt.5 2 Ob es einer entsprechenden Zurechnung (noch) bedarf, ist in der völkerrechtlichen Literatur umstritten: Vgl. dazu Theodore Christakis, Challenging the „unwilling or unable” test, in: ZaöRV 2017, S. 19 ff. sowie Matthias Hartwig, Which State´s territory may be used for self-defense against non-state actors?, in: ZaöRV 2017, S. 43 ff., Beiträge zum Thema online unter: https://beckonli - ne.beck.de/?vpath=bibdata%2fzeits%2fZAOERV%2f2017%2fcont%2fZAOERV%2e2017%2eH01%2egl1%2eht m. 3 http://www.un.org/depts/german/sr/sr_15/sr2249.pdf. 4 Vgl. insoweit bereits die im Nachgang zu „9/11“ ergangenen Sicherheits-Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001), in denen der Sicherheitsrat ein Selbstverteidigungsrecht gegen die Terrororganisation Al Quaida angenommen hat. 5 Christopher Verlage, Anti-IS-Einsatz in Syrien rechtmäßig, in: ZRP 2016, S. 90; im Ergebnis ebenso Anne Peters, German Parliament decides to send troops to combat ISIS, http://www.mpil.de/files/pdf4/Peters_EJILTalk- German_troops_to_Syria1.pdf. Kurzinformation Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem Aufklärungseinsatz der Bundeswehr im Rahmen der Militäroperation „Inherent Resolve“ gegen den sog. „Islamischen Staat“ in Syrien Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Ausdrücklich bezieht sich der Entsendebeschluss des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 18/6866 vom 1. Dezember 2015, S. 2 und der Verlängerungsbeschluss (BT-Drs. 18/9960 vom 13. Oktober 2016, S. 1) darauf, dass der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen und nach den Regeln eines kollektiven Sicherheitssystems gem. Art. 24 Abs. 2 GG erfolgt ist. Die Bundesregierung argumentiert, das Vorgehen gegen den „IS“ sei in Wahrnehmung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts von Ziff. 5 der Sicherheitsrats-Resolution 2249 (2015) umfasst .6 Die Resolution füge die Ausübung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts in das VN- System der kollektiven Sicherheit ein und begründe dadurch einen „Handlungsverbund“ zwischen den Teilnehmerstaaten der Anti-„IS“-Koalition und den Vereinten Nationen. Das Selbstverteidigungsrecht stelle nach seiner Zielrichtung eine für die Effektivität des kollektiven Sicherheitssystems der VN systemimmanente Ergänzung dar.7 Insoweit sich der Streitkräfteeinsatz gegen den „IS“ an Art. 51 VN-Charta orientiere, finde er daher im Rahmen und nach den Regeln des kollektiven Sicherheitssystems der VN statt. *** 6 Kritisch Dapo Akande / Marko Milanovic, The Constructive Ambiguity of the Security Council’s ISIS Resolution , EJIL blog 21.11.2015, https://www.ejiltalk.org/the-constructive-ambiguity-of-the-security-councils-isisresolution /. 7 Matthias Ruffert, Terrorismusbekämpfung zwischen Selbstverteidigung und kollektiver Sicherheit, in: ZRP 2002, S. 247 ff. (251).