© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 097/20 Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit von VN-Resolutionen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 097/20 Seite 2 Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit von VN-Resolutionen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 097/20 Abschluss der Arbeit: 17. November 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internetlinks) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 097/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Resolutionen des VN-Sicherheitsrats 4 2. Resolutionen der VN-Generalversammlung 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 097/20 Seite 4 1. Resolutionen des VN-Sicherheitsrats Gem. Art. 25 VN-Charta „kommen die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen überein, die Beschlüsse des Sicherheitsrats im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzuführen.“ Gem. Art. 25 VN-Charta kann allein der VN-Sicherheitsrat (im Rahmen seiner Aufgaben) gegenüber allen VN-Mitgliedstaaten verbindliche Beschlüsse fassen.1 Er tut dies regelmäßig bei Resolutionen unter Kapitel VII der VN-Charta.2 Dieses Kapitel betrifft „Maßnahmen des Sicherheitsrats bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“.3 Andere Resolutionen des Sicherheitsrats – wie z.B. die sog. „thematische Resolution 1325 (2000) – ergehen nicht unter Kapitel VII der VN-Charta, sondern in unverbindlicher Form unter Kapitel VI der VN-Charta (dieses betrifft die „friedliche Beilegung von Streitigkeiten“). Die (zuweilen propagierte) „Faustformel“, wonach Kapitel VII-Resolutionen rechtlich bindend, während die nach Kapitel VI ergangenen Resolutionen des VN-Sicherheitsrats dagegen rechtlich unverbindlich sind, vermag die rechtliche Realität indes nur unzureichend abzubilden.4 Die systematische Stellung von Art. 25 innerhalb der VN-Charta macht vielmehr deutlich, dass sich die dort niedergelegte Befugnis des Sicherheitsrates nicht auf Beschlüsse nach Kapitel VII der Charta beschränkt.5 1 Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, München: Beck, 2. Aufl. 2015, Rdnr. 90. Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, Rdnr. 155. 2 Eine Zusammenstellung mit Fragen und Antworten zum Thema „Kapitel-VII-Resolutionen” findet sich im 36-seitigen Security Council Special Research Report 2008 No. 1 (23. Juni 2008), “Security Council Action under Chapter VII: Myths and Realities”, https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27- 4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/Research%20Report%20Chapter%20VII%2023%20June%2008.pdf. 3 In der Präambel von „Kapitel VII-Resolutionen” findet sich regelmäßig die Formel: „The Security Council, acting under Chapter VII of the Charter of the UN (…)”. Der Sicherheitsrat stellt eine Bedrohung des Friedens nach Art. 39 VN-Charta fest und kann die Mitgliedstaaten sodann zu Zwangsmaßnahmen gegen den Friedensstörer (Art. 42 VN-Charta) ermächtigen. Vgl. näher Stefan Oeter, „Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta“, in: Vereinte Nationen (Zeitschrift) 4/2016, S. 164-169, https://zeitschrift-vereintenationen .de/fileadmin/publications/PDFs/Zeitschrift_VN/VN_2016/Heft_4_2016/08_Oeter_VN_4-16_5-8- 2016.pdf. 4 Vgl. grundlegend zur Diskussion Delbrück, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München: 1991, Art. 25 Rdnr. 11 ff. (14). 5 Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, Rdnr. 155. Innerhalb von Kapitel VII ist Art. 48 VN-Charta lex specialis. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 097/20 Seite 5 Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat Art. 25 VN-Charta in seinem Namibia-Gutachten wie folgt ausgelegt:6 “Article 25 is not confined to decisions in regard to enforcement action but applies to ´the decisions of the Security Council` adopted in accordance with the Charter. Moreover, that Article is placed, not in Chapter VII, but immediately after Article 24 in that part of the Charter which deals with the functions and powers of the Security Council. If Article 25 had reference solely to decisions of the Security Council concerning enforcement action under Articles 41 and 42 of the Charter, that is to say, if it were only such decisions which had binding effect, then Article 25 would be superfluous, since this effect is secured by Articles 48 and 49 of the Charter.” Folglich können sowohl Kapitel VII-Resolutionen als auch Kapitel VI-Resolutionen des VN- Sicherheitsrats verbindliche Wirkung entfalten.7 Umgekehrt können auch im Rahmen von Kapitel VII der VN-Charta unverbindliche Empfehlungen des Sicherheitsrats ergehen.8 Der Security Council Special Research Report von 2008 schlussfolgert dementsprechend:9 “The Council has general powers under articles 24 and 25 to adopt binding decisions and such decisions do not need to be always taken under Chapter VII (…). Resolutions adopted under Chapter VII may also (and usually do) include provisions which are nonbinding .” Ob eine Entschließung (resolution) des VN-Sicherheitsrats (in der Rechtsform einer Resolution) vom Inhalt her einen verbindlichen Beschluss (decision) oder nur eine unverbindliche Empfehlung (recommendation) enthält, muss also durch Auslegung der sprachlichen Fassung der Resolution unter Berücksichtigung des gesamten Kontextes ermittelt werden.10 6 IGH, Rechtsgutachten vom 21. Juni 1971, „Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970)”, Advisory Opinion, 1971 I.C.J. 16 (June 21), Rdnr. 113, abrufbar unter: http://www.worldcourts.com/icj/eng/decisions/1971.06.21_namibia.htm. 7 Vgl. Peters, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Eds.), The Charter of the United Nations. A Commentary, Vol. I, Oxford 2012, Art. 25 Rdnr. 11. 8 So Klein/Schmahl, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, Berlin: de Gruyter 2016, S. 312. 9 A.a.O. (Anm. 2). 10 Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, Tübingen: Mohr 2006, Rdnr. 68. Peters, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Eds.), The Charter of the United Nations. A Commentary, Vol. I, Oxford 2012, Art. 25 Rdnr. 8 f. Vgl. zur Auslegung näher Ulrike Brandl, „Auslegung von Resolutionen des Sicherheitsrats: Einheitliche völkerrechtliche Regelungen oder ´pick and choose` aus möglichen Auslegungsregeln?“, in: Archiv des Völkerrechts (AVR) 2015, S. 279-321. Michael C. Wood, “The Interpretation of Security Council Resolutions”, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law (1998) 2, S. 73-95, https://www.mpil.de/files/pdf2/mpunyb_wood_2.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 097/20 Seite 6 Dies gestaltet sich nicht immer einfach, da ggf. auch die Diskussion unter den Sicherheitsratsmitgliedern im Vorfeld bzw. bei der Abfassung der Resolution berücksichtigt werden muss. Eine völkerrechtlich verbindliche Auslegung einer Sicherheitsrats-Resolution bleibt dem Internationalen Gerichtshof (IGH) vorbehalten. 2. Resolutionen der VN-Generalversammlung Resolutionen der VN-Generalversammlung sind als solche rechtlich nicht bindend, sondern haben grundsätzlich nur empfehlenden Charakter.11 Da Resolutionen der Generalversammlung – im Gegensatz zu denen des VN-Sicherheitsrats – regelmäßig von einer deutlich größeren Anzahl von Staaten getragen werden, sind sie rechtlich nicht bedeutungslos, sondern fallen gemeinhin unter den Begriff des sog. „soft law“.12 Zum Teil werden Resolutionen der VN-Generalversammlung auch als authentische Interpretationen der VN-Charta bzw. als Auslegungshilfe für bindendes Völkerrecht (z.B. die Aggressionsdefinition der VN-Generalversammlung zur Auslegung von Art. 51 VN-Charta) angesehen. Resolutionen der VN-Generalversammlung können als Initiator oder Katalysator zur Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht beitragen. Ob soft law im Laufe der Zeit zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt, hängt von der Staatenpraxis und der sie tragenden Rechtsüberzeugung (opinio iuris) ab. Der IGH geht davon aus, dass eine Reihung inhaltlich deckungsgleicher VN- Resolutionen über einen gewissen Zeitraum hinweg die für die Gewohnheitsrechtsbildung notwendige Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft zum Ausdruck bringt.13 Tatsächlich haben sich zahlreiche Resolutionen der VN-Generalsammlung, wie z.B. die Allgemeine Menschenrechtserklärung von 1948, die Friendly-Relations-Deklaration von 197014 oder die Aggressionsdefinition von 197415 mit den Jahren zu Völkergewohnheitsrecht entwickelt. *** 11 Matthias Herdegen, Völkerrecht, München: Beck, 19. Aufl. 2020, § 20 Rdnr, 2. Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, Tübingen: Mohr Siebeck 2006, 2. Kap. Rdnr. 172. Ruffert / Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, München: Beck, 2. Aufl. 2015, § 3 Rdnr. 94. Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, München: Vahlen, 14. Auflage 2017, Rn. 134. 12 Vgl. zur Relevanz von „Soft Law“: Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, Tübingen 2006, 2. Kap. Rdnr. 182 ff. Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, München: Beck 6. Auflage 2013, § 22 II 2c; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Aufl. 2018, § 20, Rn. 20 ff. m.w.N. 13 Vgl. IGH, Urteil vom 27. Juni 1986, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Rep. 1986. 14. Ziff. 188, https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/70/070-19860627-JUD-01-00-EN.pdf. 14 Res. 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970. Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen , https://www.un.org/Depts/german/gv-early/ar2625.pdf. 15 Res. 3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974, https://www.un.org/Depts/german/gv-early/ar3314_neu.pdf.