© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 095/20 Zum Handeln ausländischer Staatsorgane auf deutschem Territorium Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 2 Zum Handeln ausländischer Staatsorgane auf deutschem Territorium Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 095/20 Abschluss der Arbeit: 18. November 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internetlinks) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Der thailändische König in Bayern 4 2. Völkerrechtlicher Rahmen für ausländisches Regierungshandeln in Deutschland 6 2.1. Vornahme von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet 6 2.2. Amts- und Staatsgeschäfte: Begriffsklärung 7 2.3. Völkergewohnheitsrecht 8 2.4. Rechtliche Grenzen für auswärtiges Regierungshandeln in Deutschland 10 3. Rechtliche Überlegungen zum Fall des thailändischen Königs in Bayern 11 3.1. Thailändische Staatsgeschäfte auf deutschem Territorium 12 3.2. Kontrolle des Aufenthalts des thailändischen Königs 12 3.3. Grundsatz der Staatenimmunität 13 3.4. Rückkehr des thailändischen Königs nach Deutschland 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 4 1. Der thailändische König in Bayern Der Aufenthalt des seit seiner Krönung im Mai 2019 überwiegend in Bayern lebenden thailändischen Königs Maha Vajiralongkorn (Rama X.)1 hat nicht nur wegen angeblicher Verstöße gegen Corona-Auflagen, sondern vor allem mit Blick auf die andauernden Massenproteste regierungskritischer thailändischer Studenten2 für Befremden und Kritik in den deutschen und internationalen Medien gesorgt.3 Zu den „Aktivitäten des thailändischen Königs von deutschem Boden aus“ hat das Auswärtige Amt am 26. Oktober 2020 eine Regierungspressekonferenz abgehalten.4 Dabei wurde u.a. über das völkerrechtliche Verbot der Vornahme ausländischer Hoheitsakte auf deutschem Boden sowie über mögliche Konsequenzen im Hinblick auf die Fortdauer des Aufenthalts des thailändischen Königs in Bayern diskutiert. In den Vordergrund der rechtlichen Überlegungen rückte die Frage, ob der thailändische König „von Deutschland aus regiere“ bzw. „seinen Amtsgeschäften nachgeht oder nicht“.5 In der Tat befand sich der thailändische König, der Ende Oktober 2020 vorübergehend nach Thailand zurückgekehrt ist,6 nicht offiziell auf Staats- oder Arbeitsbesuch in Deutschland, sondern „residierte“ – im Besitz eines Privat-Visums – u.a. in seiner Villa am Starnberger See. 1 BR vom 21. Mai 2020, „Was macht der König von Thailand im Garmischer Nobelhotel?“, https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/was-macht-der-koenig-von-thailand-im-garmischernobelhotel ,RzdC4M2. Merkur vom 28. Oktober 2020, „Heiko Maas droht ´Thai-Kini` wegen Corona-Verhalten in Bayern mit Konsequenzen“, https://www.merkur.de/politik/thailand-koenig-heiko-maas-rama-x-thai-kini-bayerncoronavirus -tutzing-starnberger-see-zr-90081248.html. 2 Tagesschau vom 14. Oktober 2020, „Demonstration in Thailand. Tausende protestieren gegen Regierung“, https://www.tagesschau.de/ausland/proteste-thailand-103.html. 3 SZ vom 26. Oktober 2020, „Wenn der König aus der Ferne regiert“, https://www.sueddeutsche.de/politik/thailand-proteste-monarchie-deutschland-1.5094658. DW vom 16. Oktober 2020, „Thailand´s king should not reign from German soil, Berlin says“, https://www.dw.com/en/thailands-king-should-not-reign-from-german-soil-berlin-says/a-55304033. Week in Asia vom 24. Oktober 2020, “Is Germany about to lose patience with Thai King Maha Vajiralongkorn?” https://www.scmp.com/week-asia/people/article/3106641/germany-about-lose-patience-thai-king-mahavajiralongkorn . Bloomberg News vom 25. Oktober 2020, “Germany warns of ´consequences` if Thai king breaches law,” https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-10-25/thai-parliament-set-to-meet-in-shadow-of-fresh-wave-ofprotests . 4 https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2409890. 5 DW vom 26. Oktober 2020, „Maas überprüft ´Treiben` des Thai-Königs in Bayern“, https://www.dw.com/de/maas-%C3%BCberpr%C3%BCft-treiben-des-thai-k%C3%B6nigs-in-bayern/a- 55402595. 6 Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 28. Oktober 2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2410596. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 5 Was der König, dessen Aufenthalte in Bayern vermutlich einen nicht ganz unerheblichen Wirtschaftsfaktor für die Region darstellen, dort im Einzelnen macht bzw. gemacht hat, entzieht sich offenbar der Kenntnis der Bundesregierung. Bundesaußenminister Maas hat klargestellt, dass er es nicht dulden wolle, wenn der König sein Land von Deutschland aus regiert: „Wir haben deutlich gemacht, dass Politik, die das Land Thailand betrifft, nicht von deutschem Boden auszugehen hat. Wenn es Gäste in unserem Land gibt, die von unserem Land aus ihre Staatsgeschäfte betreiben, dem würden wir immer deutlich entgegenwirken wollen.“ Dieses „Treiben“ werde „dauerhaft überprüft“. „Und wenn es dort Dinge gibt, die wir als rechtswidrig empfinden, dann wird das sofortige Konsequenzen haben.“7 Über die Tätigkeiten des thailändischen Königs in Bayern liegen auch den Wissenschaftlichen Diensten keine näheren Erkenntnisse vor. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist aber die Tatsache, dass die thailändische Verfassung vom 6. April 20178 die (im alten Verfassungstext offenbar noch verankerte) Verpflichtung des Königs, bei Auslandsaufenthalten einen Regenten als Stellvertreter zu bestellen,9 zu einer bloßen Soll-Vorschrift „herabgestuft“ hat. Art. 16 der thailändischen Verfassung lautet nun: „Wenn der König nicht im Lande anwesend ist oder aus sonstigem Grunde nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben, soll er einen oder mehrere Regenten, die ein Komitee bilden, ernennen. Für den Fall, dass der König einen Regenten ernennt, unterzeichnet der Präsident des Parlaments die königliche Anordnung.“ 7 Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 26. Oktober 2020, „Aktivitäten des thailändischen Königs von deutschem Boden aus“, https://www.auswaertigesamt .de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2409890. DER SPIEGEL vom 26. Oktober 2020, „Maas droht Thailands König wegen Aufenthalt in Bayern“, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/heiko-maas-droht-thailand-koenig-maha-vajiralongkorn-wegenaufenthalt -in-bayern-a-cc45473e-96a2-4f3c-96f5-7739bd036654. Tagesspiegel vom 26. Oktober 2020, „Regiert der Thai-König von Bayern aus? Maas droht mit ´sofortigen Konsequenzen` bei Rechtsbruch“, https://www.tagesspiegel.de/politik/regiert-der-thai-koenig-von-bayern-ausmaas -droht-mit-sofortigen-konsequenzen-bei-rechtsbruch/26309034.html. 8 Verfassungstext (in Thai), http://www.ratchakitcha.soc.go.th/DATA/PDF/2560/A/040/1.PDF. Deutsche Übersetzung des Verfassungstextes abrufbar unter: https://www.kas.de/documents/274654/4437066/Publication+-+OCC+- +Constitution+of+the+Kingdom+of+Thailand+B.E.2560+in+German.pdf/83b438c8-4d0f-cb3d-5bde- 4b254e5f5585?version=1.0&t=1566808456031. Vgl. zur Verfassungsänderung den Pressebericht Bangkok Post vom 6. April 2017, „Six changes in constitution“, https://www.bangkokpost.com/thailand/general/1228183/six-sections-changed-in-constitution. 9 Nach deutschem Verfassungsrechtverständnis gilt ein Bundespräsident, der sich auf Staatsbesuch im Ausland befindet, als „verhindert“ (im Sinne der Vertretungsregel des Art. 57 GG), so dass in diesem Fall der Bundesratspräsident als dessen Vertreter die präsidialen Amtshandlungen im Inland (z.B. das Unterzeichnen von Gesetzen ) vorzunehmen hat; vgl. BVerwG, Az.: 2 B 106.09, Beschluss vom 7. Dezember 2009, https://www.bverwg.de/071209B2B106.09.0; Pieper, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, München, 3. Aufl. 2020, Art. 57 Rdnr. 3.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 6 Im Folgenden wird zunächst der völkerrechtliche Rahmen für ausländisches Regierungshandeln in Deutschland abgesteckt (dazu 2.); dem schließen sich dann einige rechtliche Überlegungen zum Fall „Thailand“ an (dazu 3.). 2. Völkerrechtlicher Rahmen für ausländisches Regierungshandeln in Deutschland 2.1. Vornahme von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet Die aus dem Souveränitätsgrundsatz (Art. 2 Nr. 1 VN-Charta) abgeleitete Pflicht zur Achtung der völkerrechtlichen Gebietshoheit verbietet einem Staat die Vornahme und Durchsetzung eigener Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet.10 Demnach dürfen Staatsorgane im Ausland grundsätzlich keine Hoheitsakte (acta iure imperii) vornehmen.11 Die völkerrechtliche Gebietshoheit, die primär dem Schutz des Staates dient, will diesen jedoch nicht gänzlich vor dem Handeln ausländischer Organe auf seinem Territorium abschotten. Nicht zuletzt die internationale Verflechtung zwischen den Staaten bringt in der Praxis zahlreiche Einschränkungen der Gebietshoheit mit sich, die vertraglich, gewohnheitsrechtlich oder durch Einwilligung des Gaststaates begründet sein können.12 Einschränkungen der Gebietshoheit sind regelmäßig dem Gedanken der Staatenkooperation geschuldet und müssen zu diesem Zwecke notwendig erscheinen. So gelten seit je her Ausnahmen von der völkerrechtlichen Gebietshoheit im Bereich des konsularischen Verkehrs und des (militärischen) Stationierungsrechts. Auf der Grundlage des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen13 sowie der einschlägigen Stationierungsabkommen (z.B. NATO-Truppenstatut) können ausländische Staaten in Deutschland sehr wohl Hoheitsakte erlassen, z.B. in Konsulaten (Ausstellung von Visa, Beglaubigungen, Einbürgerungen etc.) oder in militärischen Liegenschaften, in denen ausländische Soldaten stationiert sind (Erteilen von Befehlen, Disziplinar- und Personalmaßnahmen etc.). Gewisse völkervertragliche Einschränkungen der Gebietshoheit existieren überdies im Bereich der sog. (Grenz-)Servituten (also vertraglich begründeter Nutzungsbeschränkungen, Staatsdienstbarkeiten, Transitrechte etc.), ferner im Bereich der grenzüberschreitenden polizeilichen Nacheile, der gerichtlichen 10 Vgl. grundlegend das Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofs (StIGH) aus dem Jahre 1927, Lotus-Fall, Ser. A Nr. 10, S. 18. Der Grundsatz reicht indes noch deutlich weiter zurück, vgl. etwa Fr. Saalfeld, Grundriß eines Systems des europäischen Völkerrechts, Göttingen: Römer 1809, § 23 (S. 34). 11 Vgl. für viele Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, § 4 Rdnr. 338. Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 7 Rdnr. 60. 12 Vgl. dazu grundlegend Dave Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, Zürich: Schulthess 1987. 13 Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen, BGBl. 1969, Teil II, S. 1587 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 7 Postzustellung von amtlichen Schriftstücken im Ausland oder im Bereich des Zivilluftverkehrs (Polizeigewalt des Flugzeugkapitäns).14 Die Aufzählung ist nicht abschließend. Jenseits völkervertraglicher Vereinbarungen können Amtshandlungen ausländischer Staatsorgane auch durch explizite Einwilligung des Gaststaates gerechtfertigt werden.15 So gestattet Deutschland der Türkei regelmäßig die Durchführung von Wahlen und Referenden in den türkischen Konsulaten oder in anderen Räumlichkeiten in Deutschland.16 Anlässlich des für 2017 geplanten türkischen Verfassungsreferendums über die Einführung der Todesstrafe in der Türkei vertrat das Auswärtige Amt die Rechtsauffassung: „Es ist in der Tat so, dass das Völkerrecht einem Staat völlige Freiheit bei der Entscheidung darüber gewährt, ob er es zulässt, zulassen kann und unter welchen Bedingungen er es zulässt, dass hoheitliche Handlungen eines anderen Staates auf seinem Staatsgebiet stattfinden können. (…)“.17 2.2. Amts- und Staatsgeschäfte: Begriffsklärung Es stellt sich nun die Frage, ob sich das grundsätzliche völkerrechtliche Verbot der Vornahme von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet pauschal auf das gesamte Amts- und Regierungshandeln eines ausländischen Staates („Staatsgeschäfte“) erstrecken lässt. Schwierigkeiten bereitet bereits der – vage – Terminus der „Amts- oder Staatsgeschäfte“. Der Begriff ist völkerrechtlich nicht definiert, reicht aber offensichtlich über formal hoheitliches Handeln hinaus – man denke z.B. an Regierungspressekonferenzen, die Teil der Regierungsgeschäfte sind, ohne dabei jedoch hoheitlichen Charakter aufzuweisen. Zumindest nach der Rechtsauffassung deutscher Gerichte ist der Begriff der „Amtshandlung“ im völkerrechtlichen Sinne „denkbar weit“ aufzufassen:18 14 Vgl. dazu im Einzelnen Dave Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, Zürich 1987, S. 48 ff., S. 134 ff., S. 144 ff., S. 168 ff. 15 Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, München: Beck, 6. Aufl. 2013, § 61, S. 314 f. 16 Vgl. Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste WD 2 - 3000 - 039/17, „Mitwirkung einer ausländischen konsularischen Vertretung bei Wahlen und Abstimmungen des Entsendestaates“, https://www.bundestag.de/resource/blob/504712/f75ca943093b62df5561d658633577d5/wd-2-039-17-pdfdata .pdf. 17 Regierungspressekonferenz vom 15. März 2017, Mitschnitt abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenzen/regierungspressekonferenz-vom-15- maerz-842812. Vgl. dazu auch H. Birkenkötter / A. von Notz, „Freiheit der (Auslands-)Wahl: Musste Deutschland der Türkei die Durchführung des Verfassungsreferendums gestatten?“, Verfassungsblog vom 30. März 2017, https://verfassungsblog.de/freiheit-der-auslands-wahl-musste-deutschland-der-tuerkei-die-durchfuehrung-desverfassungsreferendums -gestatten/. 18 So explizit OLG Köln, Az.: 2 Zs 1330/99, Beschluss vom 16. Mai 2000, http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koeln/j2000/2_Zs_1330_99beschluss20000516.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 8 Bei einem Staatspräsidenten ist darunter „jeder Akt zu verstehen, der dem Staat in Verfolgung seiner politischen Ziele zuzurechnen ist.“ Ein „erst-recht-Schluss“ (argumentum a fortiori) legt ein Verbot ausländischen Regierungshandelns auf fremdem Territorium prima facie nahe.19 Doch wäre es dann einem Regierungschef, der sich zum Staatsbesuch im Ausland aufhält, rechtlich auch verwehrt, aktuelle Vorfälle in seinem Heimatstaat, die sich während seiner Abwesenheit ereignet haben, der Auslandspresse gegenüber zu kommentieren. Eine Auseinandersetzung mit Begrifflichkeiten führt an dieser Stelle offenbar nicht wirklich weiter. Literatur und Staatenpraxis legen vielmehr einen differenzierten Umgang mit dem Grundsatz der Gebietshoheit nahe. So geht die völkerrechtliche Literatur davon aus, dass das Handeln von Staatsorganen, die sich auf Einladung eines ausländischen Staates im Ausland aufhalten, solange keinen Verstoß gegen die Gebietshoheit des Aufenthaltsstaates begründet, wie es keine Auswirkungen auf die fremde Rechtsordnung zeitigt.20 Völkerrechtlich zulässig – die Zustimmung des Gaststaates vorausgesetzt – wäre im Extremfall sogar die Duldung einer Exilregierung, die im Ausland legislative, administrative und richterliche Funktionen ausübt.21 Im Ergebnis gebietet also weniger das Völkerrecht den Amtsgeschäften von Staatsorganen auf fremdem Territorium Einhalt, als vielmehr der Umfang der Einwilligung des Aufenthaltsstaates. Jedenfalls existiert keine völkerrechtliche Regel, die es einem (Gast-)Staat verbietet, einem anderen Staat die Vornahme von Regierungsgeschäften auf dem Territorium des Gaststaates zu gestatten. 2.3. Völkergewohnheitsrecht Angesichts der ausgedehnten Konferenz- und Reisetätigkeit von Staatsorganen (zumindest vor der Corona-Pandemie) und flankiert von den technischen Möglichkeiten moderner Kommunikationsmittel lässt sich mittlerweile wohl schon von einem völkergewohnheitsrechtlich verfestigten Recht von Staatsorganen ausgehen, bei Auslandsaufenthalten die Amts- und Regierungsgeschäfte in gewissem Umfang weiter zu führen, soweit es die Lage zu Hause erfordert. Dezidiert führt der Bonner Völkerrechtler Talmon in diesem Zusammenhang aus: 19 Wenn die Vornahme von Hoheitsakten verboten ist, dann doch wohl erst recht die Vornahme des gesamten Regierungshandelns. 20 Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, § 4 Rdnr. 339. 21 So Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 7 Rdnr. 188. Vor allem während des Zweiten Weltkriegs beherbergte etwa Großbritannien zahlreiche Exilregierungen europäischer Staaten (Frankreich, Norwegen, Polen etc.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 9 “[I]nternational law has long recognized that heads of State have the “jus imperii domi suae in suos exercendi”; that is, that they have the right to exercise sovereign powers over their subjects at home, even while abroad.[22] While in former times there were practical limits to the exercise of this right, modern means of communication mean that heads of State can actively participate in the conduct of State affairs even in a foreign country. Today, heads of State cannot just sign papers or execute acts of parliament; they can also receive briefings and give orders in real time to their authorities at home. Active participation in the conduct of the affairs of State while abroad inevitably involves the exercise of sovereign authority in the territory of another State. However, the visiting foreign heads of State do not exercise any sovereign authority “in relation to” their host State but do so only in relation to their own home State. Their action has no impact in the host State’s territory and involves no derogation from or incompatibility with its territorial sovereignty. Thus, visiting heads of States – irrespective of whether on an official or a private visit – are generally permitted to perform acts of State concerning their own country.”23 Hält sich ein Staatsorgan also auf Einladung (bzw. mit Genehmigung) des Inhabers der Gebietshoheit zu einem Staatsbesuch dort auf, sind gewisse Amtshandlungen des ausländischen Staatsorgans von dieser Genehmigung also gewissermaßen „mit umfasst“ – zumindest so lange sich die Amtshandlungen nicht auf den Aufenthaltsstaat auswirken (also Gebietsbezug entfalten) bzw. sich gegen diesen richten.24 In welchem Umfang auswärtiges Regierungshandeln im Ausland gewohnheitsrechtlich zulässig ist, lässt sich indes nicht exakt beziffern. Ein Minimum an dienstlicher Handlungsfähigkeit wird man wohl auch einem Regierungschef, der sich mit Einverständnis des Gaststaates dort (nur) zu Urlaubszwecken aufhält, kaum verwehren können. 22 In dieser Traditionslinie weisen einflussreiche völkerrechtliche Lehrmeinungen des 19. Jahrhundert sogar auf die (noch weitergehende) Rechtsbefugnis von Staatsoberhäuptern hin, „dass den im Ausland reisenden Souveränen Jurisdiction über die Mitglieder ihrer Suite in einem gewissen Umfang zuerkannt werden müsse.“ Vgl. Sir Robert Phillimore, „Commentaries upon International Law“, Philadelphia: T. & J. W. Johnson, 1854, Bd. II, S. 131. (Phillimore war von 1867-1875 der letzte Richter am traditionsreichen, im 14. Jhd. gegründeten High Court of Admiralty in London). Ebenso August Wilhelm Heffter, „Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart“, Berlin: Verlag v. Schroeder 1855, § 54. (Heffter war Rechtsprofessor an der Friedrich-Wilhelms Universität Berlin und Königlich Preußischer Ober-Tribunalsrat). Die Lehrmeinung im 19. Jahrhundert ging also davon aus, dass der Souverän (Fürst, Monarch) seine Hoheitsgewalt über die ihm Unterworfenen (Gefolge) auch ins Ausland mitnimmt. Von dieser Vorstellung geblieben ist die Befugnis, mittels moderner Kommunikationsmittel die Regierungsgeschäfte zu Hause zumindest in gewissem Umfang mit zu „plotten“. 23 Talmon/Wimmer, “Germany tells Thailand’s King not to rule from its soil”, German Practice in International Law (GPIL) vom 26. Oktober 2020, https://gpil.jura.uni-bonn.de/2020/10/germany-tells-thailands-king-not-torule -from-its-soil/. 24 Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 7 Rdnr. 60. Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, § 4 Rdnr. 339. Unzulässig ist dagegen die heimliche Vornahme von Hoheitsakten (insb. Entführungen, Liquidierungen etc.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 10 Die Staatenpraxis zeigt sich insgesamt ausgesprochen dynamisch, wobei die Grenze zwischen bloßer Courtoisie (diplomatische Gepflogenheit, Höflichkeit) und echtem, d.h. von Rechtsüberzeugung (opinio iuris) getragenem Gewohnheitsrecht aber durchaus fließend sein kann.25 So darf eine Verteidigungsministerin, die sich auf Truppenbesuch im Ausland aufhält, dem Kommandeur des dortigen Stützpunktes bei dieser Gelegenheit auch eine Beförderungs- oder Ernennungsurkunde aushändigen (Hoheitsakt). Möglich erscheint auch, dass die Ministerin vom Ausland aus – etwa im Rahmen einer per Skype durchgeführten Krisensitzung mit ihrem Ministerium – Anweisungen an nachgeordnete Kommandostellen im eigenen Land erteilt.26 Schließlich sind die dem Zweck eines Auslandsbesuches dienenden Hoheitsakte eines Staatsorgans – wie etwa das Unterzeichnen eines völkerrechtlichen Vertrages – völkerrechtlich zulässig (selbst wenn dies Auswirkungen auf den Aufenthaltsstaat hat). Selbst im Bereich der Legislative gibt es zunehmend gemeinsame Sitzungen parlamentarischer Ausschüsse mit Parlamentariern befreundeter Staaten, bei denen Regierungsbefragungen durchgeführt – d.h. Regierungsvertreter beider Staaten stehen den Parlamentariern beider Staaten Rede und Antwort – oder Geschäftsordnungsangelegenheiten (z.B. auf der Grundlage des Deutsch- Französischen Parlamentsabkommens vom 20. März 2019) beschlossen werden; beides zweifellos Amtshandlungen von Parlamentariern im Ausland. 2.4. Rechtliche Grenzen für auswärtiges Regierungshandeln in Deutschland Klare völkerrechtliche, vor allem aber verfassungsrechtliche Grenzen für das auswärtige Regierungshandeln auf deutschen Territorium ergeben sich im Grunde erst bei Verstößen gegen den eigenen ordre public. Der menschen- und grundrechtlich gebundene Verfassungsstaat darf es nämlich nicht dulden, dass ausländische Staatsorgane von seinem Territorium aus Hoheitsakte vornehmen, welche die Menschenrechte irgendwo auf der Welt (einschließlich im Heimatland des ausländischen Staatsorgans) verletzen. Diese Rechtsauffassung teilt im Grundsatz auch das Auswärtige Amt. Auf den Regierungspressekonferenzen vom 26. und 28. Oktober 202027 legte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes dar: 25 Vgl. zu den Begriffen und zur Unterscheidung Dörr, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 19 Rdnr. 14. Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, Tübingen: Mohr 2006, 2. Kap. Rdnr. 185 ff. (S. 100). 26 Ähnlich Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, München: Beck, 6. Aufl. 2013, § 61, S. 315. Aus der Air Force One des U.S.-Präsidenten lässt sich offenbar ein ganzes Land regieren oder ein Krieg führen. 27 Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 26. Oktober 2020, „Aktivitäten des thailändischen Königs von deutschem Boden aus“, https://www.auswaertigesamt .de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2409890. Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 28. Oktober 2020, „Aktivitäten des thailändischen Königs von deutschem Boden aus“, https://www.auswaertigesamt .de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2410596. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 11 „Es geht uns auch darum, dass von Deutschland aus keinerlei Rechtsakte oder Ähnliches erlassen werden, die den international verbrieften Menschenrechten widersprechen, also dem sogenannten ordre public.“ „Die Bundesregierung ist (…) davon überzeugt – und erwartet auch –, dass keinesfalls von hier aus Entscheidungen getroffen werden, die der deutschen Rechtsordnung, dem Völkerrecht oder den international verbrieften Menschenrechten widersprechen.“ Verfassungsrechtlich problematisch wäre – wegen der Ausstrahlungswirkung von Art. 102 GG28 – etwa die Unterzeichnung eines Todesurteils durch ein ausländisches Staatsoberhaupt während seines Staatsbesuchs in Deutschland zulasten eines ausländischen Delinquenten im Ausland. Gleiches gilt für etwaige menschenrechtsverletzende Anweisungen eines in Deutschland weilenden ausländischen Ministers gegenüber seinen Sicherheitskräften zu Hause. Strukturell ergeben sich ähnliche Rechtsfragen (vgl. dazu noch unten, 3.2.) wie beim Betrieb der US-Air Base im pfälzischen Ramstein,29 die im Verdacht steht, dass von dort aus auch völkerrechtwidrige US-Kampfdrohneneinsätze gegen mutmaßliche Terroristen im Irak und im Jemen gesteuert worden sind. 3. Rechtliche Überlegungen zum Fall des thailändischen Königs in Bayern Der Aufenthalt des thailändischen Königs in Bayern ist völkerrechtlich gesehen ein „Präzedenzfall “, der mit diplomatischem Fingerspitzengefühl behandelt werden muss. Rechtlich bewegt sich der Fall in einer Grauzone außerhalb der „vertrauten“ Kategorien des offiziellen Staatsbesuchs und den damit einhergehenden – und ggf. völkergewohnheitsrechtlich verfestigten – Handlungsmöglichkeiten ausländischer Staatsorgane im Ausland (s.o. 2.3.). 28 Vgl. dazu Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste, WD 2 – 3000 – 046/17, „Verbot der Durchführung eines türkischen Referendums in Deutschland zum Thema ´Einführung der Todesstrafe in der Türkei`“, https://www.bundestag.de/resource/blob/513090/2e33f4299df0c0a1f1af13604301fc75/WD-2-046-17-pdfdata .pdf. 29 Vgl. zum Thema „US-Drohneneinsätzen und die Rolle der Ramstein Air Base“ das Urteil des OVG Münster vom 19. März 2019, Az.: 4 A 1361/15, https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2019/4_A_1361_15_Urteil_20190319.html. Vgl. dazu die Besprechung in: Legal Tribune Online (LTO) vom 19. März 2019, „Teilerfolg für Jemeniten vor OVG Münster. Deutschland soll US-Drohneneinsätze kontrollieren“, https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ovg-muenster-4a1361-15-drohnen-einsaetze-usa-ramstein-voelkerrechtkontrolle /. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 12 3.1. Thailändische Staatsgeschäfte auf deutschem Territorium Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie ein „Betreiben von Staatsgeschäften“ (Amtsund Regierungshandeln) des thailändischen Königs auf deutschem Boden nicht duldet. Damit beruft sie sich auf den Grundsatz der Gebietshoheit und schränkt ihr Einverständnis hinsichtlich des Aufenthalts und der Tätigkeit des thailändischen Königs in Deutschland ein. Die thailändische Seite hat diese Haltung offenbar akzeptiert und damit – jenseits aller Diskussion über die völkergewohnheitsrechtlichen Aspekte des auswärtigen Regierungshandelns auf deutschem Territorium – bilateral Konsens über diese Angelegenheit hergestellt.30 Das Auswärtige Amt erklärte dazu auf der Regierungspressekonferenz am 28. Oktober 2020: „[…] und zum anderen kann ich Ihnen sagen, dass Thailand unsere Haltung zu Hoheitsakten des Königs kennt. Die Thailänder haben uns wiederholt versichert, dass der König sich nur zu Privataufenthalten in Deutschland aufhält und hier keinerlei Regierungsfunktionen ausübt.“31 Dies gilt insbesondere mit Blick auf etwaige königliche Dekrete oder Anweisungen, die menschenrechtswidrige Auswirkungen in Thailand zeitigen (s.o. 2.4.). 3.2. Kontrolle des Aufenthalts des thailändischen Königs Die Verifikation solcher Handlungen gestaltet sich indes schwierig. Presseberichten zufolge liegen dem Auswärtigen Amt bis dato keine „belastbaren Hinweise“ auf ein rechtswidriges Verhalten des thailändischen Monarchen während seines Aufenthalts in Bayern vor.32 Das (noch nicht rechtskräftige) Urteil des OVG Münster33 zur Rolle der Ramstein-Air Base in Zusammenhang mit US-Drohneneinsätzen legt in strukturell ähnlich gelagerten Sachverhalten 30 Geht man davon aus, dass ein gewisses Maß an Regierungshandeln auf fremdem Staatsgebiet gewohnheitsrechtlich zulässig ist, so lässt sich dieses Völkergewohnheitsrecht freilich auch nicht im Konsenswege zwischen zwei Staaten einfach „außer Kraft setzen“. Aber wo kein Kläger, da kein Richter. 31 Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 28. Oktober 2020, „Aktivitäten des thailändischen Königs von deutschem Boden aus“, https://www.auswaertigesamt .de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2410596. 32 BR24 vom 11. November 2020, „Keine Hinweise auf Verstöße des Thai-Königs in Bayern“, https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/keine-hinweise-auf-verstoesse-des-thai-koenigs-inbayern ,SG0b6o3. Der Nachrichtensender beruft sich dabei auf eine Antwort des Auswärtigen Amts auf Anfragen der Bundestagsabgeordneten Margarete Bause (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) und Sevim Dagdelen (DIE LINKE). 33 OVG Münster, Urteil vom 19. März 2019, Az.: 4 A 1361/15, https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2019/4_A_1361_15_Urteil_20190319.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 13 eine gewisse Kontrolltätigkeit des Gaststaates nahe, die über bloße Zusicherungen der Gegenseite hinausgeht, belässt aber der Bundesregierung im Ergebnis einen weiten Handlungsspielraum:34 „Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht ist es Sache der Bundesregierung, auch unter Abwägung mit außen- und verteidigungspolitischen staatlichen Belangen darüber zu entscheiden, welche konkreten Schutzmaßnahmen sie zu ergreifen gedenkt.“ (Leitsatz 13). Immerhin räumt das Auswärtige Amt auf der Pressekonferenz vom 26. Oktober 2020 ein: „Wir haben über die Gespräche mit der thailändischen Seite hinaus selbstverständlich noch andere Möglichkeiten, zu überprüfen, was genau der König macht, wenn er sich in Deutschland aufhält.“35 3.3. Grundsatz der Staatenimmunität Etwaige deutsche Überprüfungsmaßnahmen müssen indes den Grundsatz der Staatenimmunität respektieren. Der Aufenthalt des thailändischen Königs in Bayern diente zwar nur privaten Zwecken; gleichwohl hält sich ein amtierendes Staatsoberhaupt auch auf einer Urlaubsreise im Ausland nicht als „Privatperson“, sondern als Staatsoberhaupt auf. Als solcher genießt der Monarch im Ausland gewohnheitsrechtlich die vollständige funktionale und persönliche Immunität, weil er in seiner Person die „Würde des Staates“ repräsentiert.36 Hoheitliche (Zwangs-)Maßnahmen (z.B. Telefonüberwachung, Quarantäne, Bußgelder etc.) gegenüber amtierenden ausländischen Staatsoberhäuptern, die sich in Deutschland aufhalten, sind völkerrechtlich unzulässig. 34 So wäre etwa eine Kontrolle der Kommunikationsdaten der US-Truppen nach dem Stationierungsrecht rechtlich nicht zulässig. 35 Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 26. Oktober 2020, „Aktivitäten des thailändischen Königs von deutschem Boden aus“, https://www.auswaertigesamt .de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2409890. 36 Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, § 4 Rdnr. 328. Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 7 Rdnr. 286 f. Theodor Schweisfurth, Völkerrecht, Tübingen: Mohr 2006, 3. Kap. Rdnr. 39a (S. 113). Die Unverletzlichkeit von Staatsoberhäuptern und Monarchen, auch wenn sie sich zu privaten Zwecken außer Landes aufhalten, gehört zu den althergebrachten Grundsätzen des Völkerrechts – vgl. insoweit schon Friedrich v. Martens, Völkerrecht, Erster Band, Berlin: Weidmann 1883, § 82 (S. 314 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 14 Ultima ratio wäre eine Ausweisung denkbar.37 Gleichwohl ist auch ein ausländisches Staatsoberhaupt bzw. ein ausländischer Monarch – ebenso wie akkreditierte Diplomaten – völkerrechtlich verpflichtet, die deutschen Gesetze und Vorschriften (einschließlich landesrechtliche Corona-Vorschriften) zu beachten. Art. 41 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über Diplomatische Beziehungen (WÜD) legt unmissverständlich fest: „Alle Personen, die Vorrechte und Immunitäten genießen, sind unbeschadet derselben verpflichtet, die Gesetze und andere Rechtsvorschriften des Empfangsstaats zu beachten.“ 3.4. Rückkehr des thailändischen Königs nach Deutschland Die wohl spätestens 2021 bevorstehende Rückkehr des thailändischen Königs nach Deutschland gibt Anlass für weitergehende rechtliche und diplomatische Überlegungen: Einreisebeschränkungen, wie sie auf der Regierungspressekonferenz vom 26. Oktober 2020 thematisiert worden sind, wären aus infektionsschutzrechtlichen Gründen dann denkbar, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Darüber hinaus käme aber eine Verweigerung der Einreise des thailändischen Königs nach Deutschland – abgesehen von dem zu erwartenden politischen Eklat – einer faktischen Enteignung des Eigentümers einer Villa am Starnberger See gleich und wäre daher schon aus menschenrechtlichen Erwägungen (vgl. das Eigentumsrecht gem. Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK) fragwürdig. Gleichwohl benötigt (auch) der thailändische König für einen privaten Aufenthalt in Deutschland ein Visum, das nach Maßgabe des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)38 als Ergebnis einer behördlichen Ermessensentscheidung ausgestellt wird.39 37 Gem. Art. 9 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über Diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 (BGBl. 1964 Teil II, Seite 959 ff., abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classifiedcompilation /19610070/201406120000/0.191.01.pdf) können akkreditierte Diplomaten zur persona non grata erklärt werden, was eine Abberufung des Betreffenden zur Folge hat. Analog lässt sich diese Vorschrift auch auf alle anderen Staatsorgane anwenden, die sich im Gastland aufhalten. 38 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), https://www.gesetze-iminternet .de/aufenthg_2004/. § 6 Abs. 1 AufenthG lautet: „Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels“. Dabei können sog. Schengen-Visa für einen Aufenthalt bis zu 90 Tagen (mit Verlängerungsmöglichkeit ) oder nationale Visa für längerfristige Aufenthalte erteilt werden. 39 Möglicherweise verfügt der thailändische König aber auch über ein „Dauervisum“ zur ständigen Ein- und Ausreise nach Deutschland. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 095/20 Seite 15 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, der die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen regelt, setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels „in der Regel voraus, dass […] der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund die Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet.“ Solange aber für ein entsprechendes Verhalten des thailändischen Königs (vgl. zu den Grenzen oben, 2.4.) nicht einmal konkrete Anhaltspunkte vorliegen (s.o. 3.2.), wird man ihm ein Visum aus rechtlichen Gründen (Rechtsgedanke der „Unschuldsvermutung“) kaum verweigern können. Allenfalls ließe sich überlegen, ob man die Erteilung eines Visums politisch-diplomatisch (d.h. auf freiwilliger Basis)40 daran knüpfen könnte, dass der thailändische König für die Dauer seines Aufenthaltes in Deutschland gem. Art. 16 der thailändischen Verfassung (s.o. 1.) einen Regenten für die Regierungsgeschäfte in Thailand bestellt. *** 40 Ein rechtlicher Nexus zwischen Visumserteilung und Regenten-Bestellung wäre mit Blick auf den Grundsatz der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates wohl nicht haltbar.