Deutscher Bundestag Rechtliche Grundlagen für die Telekommunikationsüberwachung durch ausländische Nachrichtendienste Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 – 094/13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 2 Rechtliche Grundlagen für die Telekommunikationsüberwachung durch ausländische Nachrichtendienste Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 094/13013 Abschluss der Arbeit: 18. November 2013 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. NATO-Stationierungsrecht 4 2.1. Zugang der Stationierungsstreitkräfte zu Post und Fernmeldeeinrichtungen 5 2.2. Geheimdienstkooperation und Überwachungsmaßnahmen 5 2.2.1. Achtung des deutschen Rechts 7 2.2.2. Bilaterale Ausgestaltung der Geheimdienstkooperation 7 3. Allgemeines Völkerrecht 8 4. US-amerikanisches Recht 9 5. Ergebnis 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 4 1. Einführung Die politische Debatte über die mutmaßliche Überwachung der Telekommunikation in Deutschland durch den amerikanischen Nachrichtendienst NSA wirft vielfältige rechtliche Fragen auf. Der Freiburger Historiker Josef Foschepoth hat unlängst eine Diskussion darüber angestoßen, ob und in wieweit die Überwachung durch amerikanische Geheimdienste auf der Grundlage von Verwaltungsvereinbarungen gerechtfertigt sein könnte, die Deutschland im Zuge der NATO-Truppenstationierung in den 1950er und 1960er Jahren mit den USA geschlossen hatte .1 In diesem Zusammenhang stützt er sich insbesondere auf deutsche Verbalnoten für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs aus dem Jahre 1958 und eine bilaterale Zusatzvereinbarung zum G10-Gesetz aus dem Jahre 1968. Im folgenden werden die rechtlichen Grundlagen für Überwachungsmaßnahmen amerikanischer Nachrichtendienste in Deutschland untersucht. In Betracht kommen sowohl Erlaubnisals auch Verbotstatbestände im Rahmen des Truppenstationierungsrechts (dazu 1.), des allgemeinen Völkerrechts (dazu 2.) sowie des amerikanischen Rechts (dazu 3.). Im deutschen Recht gibt es für Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung ausländischer Stellen in Deutschland keine Rechtsgrundlage.2 2. NATO-Stationierungsrecht Die fortdauernde Präsenz amerikanischer Überwachungseinrichtungen in Deutschland findet ihre Rechtsgrundlage im Stationierungsrecht. Grundlage für den dauernden Aufenthalt von US-Streitkräften in Deutschland (das sog. ius ad praesentiam) ist bis heute der sog. Aufenthaltsvertrag vom 23. Oktober 1954.3 Stationierungsrechtliche Fragen (das sog. ius in praesentia ) wurden dagegen zunächst im sog. Truppenvertrag4 und später im Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut (NTS-ZA) von 1959 geregelt.5 1 Foschepoth, Josef, Überwachtes Deutschland, Göttingen, 2. Aufl. 2013; dazu FAZ vom 7.7.2013 („Amerika darf Deutsche abhören“). 2 So lapidar – aber zutreffend – die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion – BT- Drs. 17/14560 v. 14.8.2013, S. 12 (Frage 21). Wohl aber gibt es strafrechtliche Verbote (dazu unten 2.2.1). 3 BGBl. II 1955, S. 253. 4 Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland“ zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. II 1955, 321 ff. Der Truppenvertrag wurde auf der Grundlage von Art. 8 des Deutschlandvertrages vom 26.5.1952 geschlossen. Der Truppenvertrag wurde mit dem Beitritt Deutschlands zum NATO-Truppenstatut aufgehoben. 5 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 5 Die stationierungsrechtlichen Regelungen wurden zum Teil durch bilaterale Vereinbarungen und diplomatische Noten flankiert und präzisiert. 2.1. Zugang der Stationierungsstreitkräfte zu Post und Fernmeldeeinrichtungen Das ius in praesentia gewährt den alliierten Truppen Zugang zu Post- und Fernmeldeeinrichtungen in Deutschland. Gem. Art. 60 Abs. 2 des NTS-ZA können ausländische Streitkräfte Fernmelde- und Funkanlagen für bewegliche Funkdienste und Ortungsfunkdienste sowie sonstige Funkempfangsanlagen entsprechend den mit deutschen Behörden abgestimmten Verfahren errichten, betreiben und unterhalten. Die alliierten Militäreinrichtungen sind – ebenso wenig wie die Auslandsvertretungen – kein extraterritoriales Gebiet; es gelten vielmehr die Immunitätsregelungen des Stationierungsrechts. Überdies können die Stationierungs-Streitkräfte gem. Art. 60 Abs. 4 NTS-ZA Fernmeldeanlagen , die vor Inkrafttreten des NTS-ZA in Betrieb genommen wurden, auch weiterhin betreiben und unterhalten. Aus dem NTS-ZA ergibt sich damit ein – bis in die Besatzungszeit zurückreichender – Bestandsschutz für alliierte Fernmeldeanlagen. 2.2. Geheimdienstkooperation und Überwachungsmaßnahmen Die effektive Gewährleistung der Sicherheit ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik war die Voraussetzung für die Bereitschaft der drei Westmächte, ihre besatzungsrechtlichen Vorbehalte (auch im Bereich des Post- und Fernmeldewesens sowie der Nachrichtenkontrolle) aufzugeben.6 Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages7 bestimmte insoweit: „Die von den Drei Mächten bisher innegehabten oder ausgeübten Rechte in Bezug auf den Schutz der Sicherheit von in der Bundesrepublik stationierten Streitkräften (...) erlöschen, sobald die zuständigen deutschen Behörden entsprechende Vollmachten durch die deutsche Gesetzgebung erhalten haben und dadurch in Stand gesetzt sind, wirksame Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit dieser Streitkräfte zu treffen (…).“8 3.8.1959 (BGBl. 1961 II 1183, 1218 ) in der durch die Änderungsabkommen vom 21.10.1971 (BGBl. 1973 II 1022) und vom 18.03.1993 (BGBl. 1994 II 2594) geänderten Fassung. 6 Wolf, Joachim, Der rechtliche Nebel der deutsch-amerikanischen „NSA-Abhöraffaire“, in: Juristenzeitung 2013, S. 1039-1046 (1043). Die Beendigung des Besatzungsregimes erfolgte durch die sog. Pariser Verträge“ 1955. 7 Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten ["Deutschlandvertrag "] vom 26. Mai 1952 in der Fassung vom 23. Oktober 1954. 8 Erst das Inkrafttreten der sog. Notstandsverfassung 1968 – insb. das sog. G 10-Gesetz – führte zur Aufhebung der besatzungsrechtlichen Vorbehalte. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 6 Soweit diese Rechte weiterhin ausgeübt werden können, werden sie nur nach Konsultation mit der Bundesregierung ausgeübt, soweit die militärische Lage eine solche Konsultation nicht ausschließt.“ In Verbalnoten wurde den Westalliierten der Fortbestand ihrer Vorrechte zugesichert. In einem Schreiben von Bundeskanzler Adenauer an die drei Westalliierten vom 23. Oktober 1954 sowie in einer Verbalnote betreffend die Deutsch-Britische Vereinbarung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs vom 26. Februar 1958 wurde etwa bekräftigt, dass ein alliierter Oberbefehlshaber „im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte (nur) die unbedingt notwendigen Maßnahmen ergreifen darf, um die Gefahr zu beseitigen .“9 Die Rechte alliierter Militärbefehlshaber, die zweifelsohne auch Abhörmaßnahmen umfassen, knüpfen an das Vorliegen einer unmittelbaren Bedrohung der US-Streitkräfte in Deutschland an. Hieraus ergibt sich keine Rechtsgrundlage für etwaige kontinuierliche bzw. nicht anlassbezogene Datenerhebungen im deutschen Hoheitsgebiet, die mit Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis verbunden sind.10 Weiterhin bedeutsam ist die zentrale (nachrichtendienstlich ausgerichtete) Kooperationsverpflichtung in Art. 3 des NTS-ZA von 1959. Die Vorschrift lautet: „(1) In Übereinstimmung mit den im Rahmen des Nordatlantikvertrages bestehenden Verpflichtungen der Parteien zu gegenseitiger Unterstützung arbeiten die deutschen Behörden und die Behörden der Truppen eng zusammen, um die Durchführung des NATO-Truppenstatuts und dieses Abkommens sicherzustellen. (2) Die in Absatz 1 vorgesehene Zusammenarbeit erstreckt sich insbesondere auf die Förderung und Wahrung der Sicherheit sowie den Schutz (…) der Entsendestaaten und der Truppen, namentlich auf die Sammlung, den Austausch und den Schutz aller Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind. (3) Im Rahmen der in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Zusammenarbeit gewährleisten die deutschen Behörden und die Behörden einer Truppe durch geeignete Maßnahmen eine enge gegenseitige Verbindung. Personenbezogene Daten werden ausschließlich zu den im NATO-Truppenstatut und in diesem Abkommen vorgesehenen Zwecken übermittelt. Einschränkungen der Verwendungsmöglichkeiten, die auf den Rechtsvorschriften der übermittelnden Vertragspartei beruhen, werden beachtet. 9 Foschepoth, Überwachtes Deutschland, S. 294 f. (Dokument Nr. 16). 10 So dezidiert die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion – BT-Drs. 17/14560 v. 14.8.2013, S. 11 (Frage 18). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 7 Dieser Absatz verpflichtet eine Vertragspartei nicht zur Durchführung von Maßnahmen , die gegen ihre Gesetze verstoßen würden oder denen ihre überwiegenden Interessen am Schutz der Sicherheit des Staates oder der öffentlichen Sicherheit entgegenstehen . (4) Die deutschen Behörden und die Behörden eines Entsendestaates treffen alle zur Durchführung des NATO-Truppenstatuts und dieses Abkommens erforderlichen Verwaltungsmaßnahmen und schließen zu diesem Zweck, soweit erforderlich, Verwaltungsabkommen oder andere Vereinbarungen ab.“ Die Bestimmung des NTS-ZA enthält keine generelle Rechtsgrundlage für (alliierte) Telekommunikationsüberwachung in Deutschland. Die Vorschrift statuiert in Abs. 3 vielmehr einen datenschutzrechtlichen und sicherheitspolitischen Vorbehalt zugunsten des nationalen Rechts und der nationalen Sicherheitsinteressen jedes Vertragsstaates.11 2.2.1. Achtung des deutschen Rechts Die Achtung des nationalen Rechts des Aufenthaltsstaates durch die Stationierungstruppen gehört zu den Kernelementen des NATO-Truppenstatuts von 1951 (NTS).12 Art. II des NTS bestimmt: „Eine Truppe und ihr ziviles Gefolge, ihre Mitglieder sowie deren Angehörige haben die Pflicht, das Recht des Aufnahmestaates zu achten und sich jeder mit dem Geiste dieses Abkommens nicht zu vereinbarenden Tätigkeit (…) zu enthalten.“ In Deutschland ist aber das heimliche Abhören von Telefongesprächen ein Straftatbestand (vgl. §§ 201, 202a, 202b StGB). Das deutsche Strafrecht regelt die Strafbarkeit von Spionagetätigkeit in zahlreichen Strafvorschriften. Spionagetätigkeiten von Stationierungstruppen verstoßen demnach gegen das Truppenstatut. 2.2.2. Bilaterale Ausgestaltung der Geheimdienstkooperation Die Ausgestaltung der Kooperation zwischen den Vertragspartnern des NTS-ZA im post- und fernmelderechtlichen Bereich wurde auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 4 NTS-ZA zum Teil in bilateralen Abkommen geregelt, auf die der Historiker Foschepoth Bezug nimmt. 11 Wolf, Joachim, Der rechtliche Nebel der deutsch-amerikanischen „NSA-Abhöraffaire“, in: Juristenzeitung 2013, S. 1039-1046 (1044). 12 Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 (BGBl. 1961 II S. 1190). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 8 Vom 28. Oktober 1968 stammt eine Verwaltungsvereinbarung zwischen der deutschen und britischen Regierung13 zum G10 Gesetz.14 Stimmen aus der Literatur sehen in dieser Kooperationsverpflichtung eine „rechtliche Grundlage zur Fortführung der früheren Praxis eines Einsatzes deutscher Dienste (…) zum Zwecke von Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen.“15 Eine allgemeine Rechtsgrundlage für Abhörmaßnahmen ausländischer Dienste lässt sich aus dieser Verwaltungsvereinbarung allerdings nicht entnehmen. Vielmehr wird gerade gewährleistet , dass es rechtlich zu keiner „Übersteuerung“ der deutschen Behörden durch den britischen Geheimdienst kommen darf. In Art. 2 der Vereinbarung heißt es dazu: „Wenn die britischen Behörden im Interesse der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland (…) stationierten britischen Streitkräfte die Brief-, Post- und Fernmeldekontrolle in Deutschland (…) für erforderlich halten, ersuchen sie das Bundesamt für Verfassungsschutz um diese Maßnahme.“ Das in dem o.g. Abkommen vereinbarte Kooperationsverfahren erwies sich mit der Zeit als wenig praktikabel und wurden laut Aussage der Bundesregierung nach 1990 nicht mehr angewandt . Anfang August 2013 wurde die Verwaltungsvereinbarung im beiderseitigen Einvernehmen aufgehoben.16 3. Allgemeines Völkerrecht Ein explizites Recht zur Fernüberwachung der Telekommunikation in Deutschland ergibt sich auch nicht aus dem allgemeinen Völkerrecht. Anders als für Spionage in Kriegszeiten17 enthält das allgemeine Völkerrecht für Spionageaktivitäten in Friedenszeiten keine Regelungen. Weder ist Spionage ausdrücklich erlaubt, noch ist sie durch irgendein völkerrechtliches Abkommen explizit verboten. Auch im Gewohnheitsrecht hat sich kein besonderer Rechtssatz gebildet, der geheimdienstliche Tätigkeit in anderen Staaten erlaubt, untersagt oder auf andere Weise limitiert.18 13 Foschepoth, Überwachtes Deutschland, S. 298 ff. (Dokument Nr. 18c). 14 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz), BGBl. I 1968, S. 949 ff. 15 Wolf, Joachim, Der rechtliche Nebel der deutsch-amerikanischen „NSA-Abhöraffaire“, in: Juristenzeitung 2013, S. 1039-1046 (1045). 16 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion – BT-Drs. 17/14560 v. 14.8.2013, S. 10 (Frage 17). 17 Vgl. insoweit Art. 46 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen von 1949. 18 Gusy, Christoph, Spionage im Völkerrecht, in: NZWehR 1984, S. 187-199 (187 und 198). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 9 Ein so genanntes „No Spy“-Abkommen, worin sich die Vertragsparteien verpflichten, sich nicht gegenseitig auszuspähen, existiert ansatzweise in Gestalt der britisch-amerikanischen Fernmeldeaufklärungsvereinbarung vom 5. März 1946, welcher auch Australien, Kanada und Neuseeland beigetreten sind.19 Ein Ausspähverbot wird in der Vereinbarung gleichwohl nicht ausdrücklich erwähnt; vielmehr geht es um den umfassenden Austausch von Geheimdienstinformationen , der ein gegenseitiges Ausspähen wohl überflüssig macht. Bei dieser „Vereinbarung “ scheint es sich jedoch eher um eine politische Abmachung (in Gestalt eines Memorandum of Understanding) zwischen den Geheimdiensten als um einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zwischen den Staaten zu handeln.20 Solange also die Fernaufklärung z.B. über Spionagesatelliten, d.h. direkt vom ausländischen Territorium aus (also ohne physischen Inlandsbezug) erfolgt, liegt keine völkerrechtliche Rechtsverletzung vor.21 Bloße Fernaufklärung, so das Argument, sei kein unzulässiger Eingriff in die inneren Angelegenheiten des überwachten Staates. Diese Auffassung wird gestützt durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser hatte im Jahre 2006 in einem Fall gegen Deutschland im Hinblick auf die internationale Überwachung des drahtlosen Fernmeldeverkehrs durch den deutschen Bundesnachrichtendienst festgestellt, dass das Abhören von Telefonaten im Ausland, die nicht über das Festnetz, sondern über Satellit oder Richtfunkstrecken abgewickelt werden, sowie die Verwendung der dadurch erlangten Informationen nicht gegen die völkerrechtlich geschützte territoriale Souveränität anderer Staaten verstößt.22 4. US-amerikanisches Recht Auch das Recht der USA verbietet die Auslandsspionage der eigenen Geheimdienste nicht. Auf dem (Um-)Weg über das Netzsystem (Internetserver) der USA kann die „deutsche“ Telekommunikation jederzeit abgehört, gespeichert und ausgewertet werden. 19 Die sog. Allianz der Fünf Augen („Five Eyes“). Der Text des British-U.S. Communication Intelligence Agreement findet sich auf der Webseite der NSA unter http://www.nsa.gov/public_info/_files/ukusa/agreement_outline_5mar46.pdf. 20 So Talmon, Stefan, Das Abhören des Kanzlerhandys und das Völkerrecht, Oktober 2013, Bonn Research Papers on Public International Law No. 3/2013. Social Science Research Network (SSRN); abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=2347941. 21 Etwas anderes ergibt sich freilich bei Überwachungsmaßnahmen mit Territorialbezug, also im Kontext von Spionagehandlungen einer Auslandsvertretung oder Einrichtungen von Stationierungstruppen. 22 EGMR, Entscheidung vom 29. Juni 2006 - Weber und Saravia gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 54934/00, EGMR-Reports 2006-XI, para. 88. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 10 Nach Section 215 des USA Patriot Act von 200123 wird den US-Geheimdiensten ein weitreichender Spielraum für Informationen eröffnet, die für Untersuchungen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung relevant sind. Obwohl der Patriot Act die flächendeckende Überwachung des Internets oder einen Zugang zu den Metadaten aus Telefonverbindungen nicht ausdrücklich gestattet, hat die Obama-Administration in der heutigen Lesart dieser Bestimmung eine Ermächtigung zum flächendeckenden Abhören und Speichern aller Telefongespräche von amerikanischen (und ausländischen) Bürgern abgeleitet.24 Der Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) von 1978 (in der erweiterten Fassung von 2008)25 ermächtigt die US-Dienste zur Überwachung der Kommunikation von US-Bürgern mit dem Ausland. Die mit der Kontrolle der Überwachung betrauten geheim tätigen FISA- Gerichten (FISC) scheinen aber die Überwachungsanträge – schon allein aufgrund der großen Zahl – routinemäßig zu billigen.26 Die Überwachung der Telekommunikation im Ausland durch US-Nachrichtendienste bedarf nach Maßgabe von Section 702 des FISA und den „Procedures Used by the NSA for Targeting Non-US-Persons Located Outside the United States to Acquire Foreign Intelligence Information “ keiner Genehmigung.27 Die US-amerikanische Praxis der Nachrichtendienste mag nach deutschem Rechtsverständnis als rechtswidrig empfunden werden;28 sie gerät derzeit auch verstärkt in die Kritik des US- Senats29 und der amerikanischen Zivilgesellschaft.30 Gleichwohl ist die Überwachung der Te- 23 18 USC § 2339A (Public Law 112-283). USA Patriot Act = Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act vom 25. Oktober 2001. 24 Näher dazu Wolf, Joachim, Der rechtliche Nebel der deutsch-amerikanischen „NSA-Abhöraffaire“, in: JZ 2013, S. 1040. 25 https://www.govtrack.us/congress/bills/110/hr6304 . Die Geltung des Gesetzes wurde Ende 2012 von Kongress noch einmal um 5 Jahre verlängert http://www.heise.de/newsticker/meldung/US-Kongress-verlaengert- Lauschgesetz-um-weitere-fuenf-Jahre-1775716.html 26 Rüb, „Überwachung leicht gemacht“, FAZ v. 13.7.2013. 27 Abgedruckt unter https://netzpolitik.org/wp-upload/fisa-court-exhibit-a.pdf . 28 Das deutsche Datenschutzrecht, das die informationelle Selbstbestimmung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit der Menschenwürde ableitet, findet im internationalen Vergleich so gut wie keine Nachahmung . 29 Interview mit Frank James Sensenbrenner in: FAZ vom 9.11.2013, S. 7 („Der Kongress wird der NSA die Flügel stutzen“). 30 So hat die amerikanische Bürgerrechts-NGO „American Civil Liberties Union“ Klage gegen das PRISM- Überwachungsprogramm eingereicht (vgl. International Herald Tribune v. 13.6.2013). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 094/13 Seite 11 lekommunikation ausländischer Regierungschefs durch die NSA – soweit der Vorgang vom Hoheitsgebiet der USA ausgeht – nach amerikanischem Recht legal.31 Der US-Abgeordnete Frank Sensenbrenner hat in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass „die Rechte von Personen, die in keiner Verbindung zu den Vereinigten Staaten stehen, nur durch die Gesetze der Länder geschützt werden können, in denen sie leben.“32 Für den Schutz der Privatsphäre von Ausländern sei der US-Kongress auch nicht zuständig. Die vom Abgeordneten Sensenbrenner mit-initiierte Gesetzesinitiative zur Reform der Nachrichtendienste (sog. USA Freedom Act) 33 sieht folglich nur den Schutz der Privatsphäre von US- Bürgern vor. 5. Ergebnis Die rechtlichen Grundlagen für amerikanische Überwachungstätigkeiten ergeben sich nicht aus einer mutmaßlichen „Fortgeltung von Besatzungsrecht“ oder aus jahrzehntealten bilateralen Vereinbarungen im Kontext der Truppenstationierung. Sie ergibt sich zum einen aus USamerikanischem Recht, welches den Überwachungstätigkeiten der NSA mit Blick auf die Privatsphäre von Ausländern praktisch keine Grenzen setzt, und zum anderen aufgrund fehlender völkerrechtlicher Vereinbarungen über das Verbot von Spionage. Ein völkerrechtlicher Schutz deutscher Staatsbürger und Politiker vor nachrichtendienstlicher Überwachung aus dem Ausland wird sich auch künftig kaum gewährleisten lassen; die aktuellen Verhandlungen zwischen mit den USA über ein „No-Spy“-Abkommen machen dies deutlich .34 31 Wolf, Joachim, Der rechtliche Nebel der deutsch-amerikanischen „NSA-Abhöraffaire“, in: JZ 2013, S. 1040 f.; vgl. auch das Interview vom 30.10.2013 mit Prof. Russel Miller, Verfassungsblog, http://www.verfassungsblog.de/de/ein-gewisses-mass-an-heuchelei-in-der-deutschen-sorge/#.UnfZ56yLE2w. Über die Befugnisse der US-Geheimdienste nach innen, also bei der Ausspähung der US-Bürger im eigenen Land, bestehe dagegen Unklarheit. Die einschlägigen US-Gesetze begrenzten in gewissem Umfang die Möglichkeiten, auf Amerikaner zuzugreifen. Aber keine dieser Beschränkungen gelte für Ausländer. Aber auch in Deutschland werden fremde Staatsgeheimnisse strafrechtlich nicht geschützt und nur die Agententätigkeit für fremde Mächte sanktioniert (vgl. § 99 StGB). 32 Interview mit Frank James Sensenbrenner in: FAZ vom 9.11.2013, S. 7. 33 http://sensenbrenner.house.gov/legislation/theusafreedomact.htm. 34 Vgl. etwa Der Spiegel 46/2013 v. 11.11.2013, S. 44 („American Spy“).