© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 093/19 Völkerrechtliche Folgen der Gestattung der Nutzung militärischer Anlagen durch NATO-Mitglieder in Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 2 Völkerrechtliche Folgen der Gestattung der Nutzung militärischer Anlagen durch NATO-Mitglieder in Deutschland Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 093/19 Abschluss der Arbeit: 11. September 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Tatsächliche Hintergründe: Nutzung des Flugstützpunktes Ramstein für US-amerikanischer Drohneneinsätze 4 2. Völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit 5 2.1. Vorliegen einer Unterstützungshandlung Deutschlands im Sinne der Staatenverantwortlichkeit 6 2.1.1. Denkbare Beihilfe- oder Unterstützungshandlung 7 2.1.2. Kenntnis der Umstände des völkerrechtswidrigen Handelns 10 2.1.3. Völkerrechtswidrigkeit einer hypothetischen eigenen Haupttat 11 2.2. Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit 11 2.3. Geltendmachung der Staatenverantwortlichkeit 12 3. Verantwortlichkeit der Mitglieder der Bundesregierung nach internationalem Strafrecht 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 4 1. Tatsächliche Hintergründe: Nutzung des Flugstützpunktes Ramstein für US-amerikanischer Drohneneinsätze Der Auftraggeber fragt nach Handlungspflichten der Bundesregierung, die sich aus dem Völkerrecht im Hinblick auf die Nutzung des Flugstützpunktes Ramstein durch US-amerikanische Streitkräfte ergeben. Tatsächlicher Hintergrund der Fragestellung ist die Bedeutung des Flugstützpunktes für US-amerikanische Drohneneinsätze im Jemen. Die vorliegende Arbeit ergänzt die Ausführungen der Wissenschaftlichen Dienste zu den rechtlichen Möglichkeiten, die Nutzung militärischer Anlagen von NATO-Mitgliedern in Deutschland zu beschränken.1 In einem Urteil vom März 2019 stellte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster den nachfolgend skizzierten Sachverhalt fest.2 Zwar wurde gegen das Urteil Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen und eingelegt. Doch ist das Bundesverwaltungsgericht eine reine Revisionsinstanz : Es prüft, ob die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte mit dem Bundesrecht und dem Recht der Europäischen Union vereinbar sind.3 Als eine reine Rechtsinstanz stellt es keine neuen Tatsachen fest.4 Der vom OVG Münster festgestellte Sachverhalt kann daher als abschließende gerichtliche Feststellung angesehen werden. Das OVG Münster stellte im Hinblick auf die Nutzung des Flugstützpunktes Ramstein im Rahmen US-amerikanischer Drohneneinsätze fest, es bestünden gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Vereinigten Staaten unter Verwendung technischer Einrichtungen auf dem Flugstützpunkt Ramstein sowie der dort stationierten Truppen bewaffnete Drohneneinsätze durchführen, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen.5 Insbesondere gebe es starke Gründe für die Annahme, dass die Satelliten-Relaisstation in Ramstein von zentraler Bedeutung 1 Sachstand: Rechtliche Möglichkeiten, die Nutzung militärischer Anlagen von NATO-Mitgliedern in Deutschland zu beschränken, WD 2 – 3000 – 077/19, 31. Juli 2019, https://www.bundestag.de/analysen (in Veröffentlichung ). Zum Status des Stützpunktes Ramstein siehe bereits die Kurzinformation WD2 - 3000 - 124/15, 21. Juli 2015, https://sehrgutachten.de/bt/wd2/124-15-zum-status-des-militaerflughafens-ramstein.txt. Zur Rolle des Militärstützpunktes Ramstein im Zusammenhang mit US-amerikanischen Drohneneinsätzen siehe WD 2 - 3000 - 149/16, 15. Dezember 2016, https://www.bundestag.de/resource /blob/490500/7299816e2b2d684467772f817df8d517/wd-2-149-16-pdf-data.pdf. 2 Oberverwaltungsgericht NRW, 4. Senat, Urteil, 4 A 1361/15, 19. März 2019, https://www.justiz .nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2019/4_A_1361_15_Urteil_20190319.html. 3 BVerwG, Rechtsprechung, https://www.bverwg.de/rechtsprechung. 4 A.a.O. 5 OVG NRW, Urteil vom 19. März 2019 ‒ 4 A 1361/15 ‒ Wortlaut der mündlichen Urteilsverkündung, S. 3, http://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/11_190319/Muendliche_Urteilsbegruendung.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 5 für die Fernsteuerung der Drohnen sei.6 Das OVG Münster bekräftigt seine Feststellungen in diesem Zusammenhang mit einem Verweis auf die Ergebnisse des 1. Untersuchungsausschusses des 18. Deutschen Bundestages.7 2. Völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit Das OVG Münster bestätigte die Rechtsauffassung des Untersuchungsausschusses des 18. Deutschen Bundestages, dass nicht alle der durch die Relaisstation in Ramstein ermöglichten Drohneneinsätze völkerrechtswidrig seien, sondern der Nachweis der Völkerrechtswidrigkeit einzelner Drohneneinsätze jeweils aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls geführt werden müsse.8 Dabei ist rechtlich allerdings unzweifelhaft, dass die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten bei der Auswahl militärisch legitimer Ziele9 als eines der Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts auch für bewaffnete Drohneneinsätze gilt.10 Untersuchungen des VN-Sonderberichterstatters für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus kamen zu dem Ergebnis, dass die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten nicht bei allen US-amerikanischen Drohneneinsätzen gebührend beachtet und der Verdacht der Völkerrechtswidrigkeit somit nicht in allen Fällen ausgeräumt wurde.11 Sofern einzelne US-amerikanische Drohneneinsätze durch die Relaisstation in Deutschland ermöglicht wurden, stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage nach einer etwaigen Staatenverantwortlichkeit Deutschlands (2.1.) und den daraus möglicherweise resultierenden Rechtsfolgen (2.2.). Im Ergebnis sei vorausgeschickt: Im Hinblick auf Deutschlands Unterstützung teilweise völkerrechtswidriger Drohneneinsätze der Vereinigten Staaten, die von deutschem Territorium aus technisch ermöglicht werden, ist es völkerrechtlich zumindest denkbar, eine Staatenverantwortlichkeit Deutschlands zu begründen. Allerdings hängt die Verantwortlichkeit im Einzelfall von den konkreten Umständen des jeweiligen Drohneneinsatzes und von der effektiven Kenntnis der 6 A.a.O, S. 4. 7 Deutscher Bundestag Drucksache 18/12850, 18. Wahlperiode, 23. Juni 2017, Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes, S. 1354, https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/128/1812850.pdf. 8 OVG Münster, a.a.O. (Fn. 5), S. 9 und Bundestag Drucksache 18/12850 (Fn. 7), S. 1354. 9 OVG Münster, a.a.O. (Fn. 5), S. 9, 10 und 12. 10 Grundlegend und m.w.N. siehe die Ausarbeitung: Der Einsatz von Kampfdrohnen aus völkerrechtlicher Sicht, WD 2 - 3000 - 093/19, 27. September 2012, https://www.bundestag.de/resource /blob/406736/945fddf928288908c6cc2e924cd0a5a6/WD-2-118-12-pdf-data.pdf. 11 Vgl. Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, A/HRC/25/59, 10 March 2014, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/RegularSessions/Session25/Documents/A-HRC-25-59.doc (mit Verweis auf Einzelfälle in Afghanistan, Pakistan, Jemen, Somalia , Gaza, Rz. 39 – 69). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 6 zuständigen deutschen Staatsorgane von diesen Umständen ab. Auf der Grundlage der Erkenntnismöglichkeiten , auf denen die vorliegende Arbeit beruht, ist von einem völkerrechtlichen Haftungsrisiko der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit den US-amerikanischen Drohneneinsätzen – nicht zuletzt infolge verfahrenstechnischer Erwägungen – nicht ernsthaft auszugehen . Anders mag es um die Gefahr eines politische Reputationsschadens bestellt sein: Soweit Deutschland sich nicht positioniert, wird es von der internationalen Gemeinschaft als Beteiligter an einem völkerrechtswidrigen Verhalten wahrgenommen und in eine politische Verantwortungsgemeinschaft mit den Vereinigten Staaten gestellt. Die VN-Völkerrechtskommission (ILC) ruft in diesem Zusammenhang in Erinnerung: In any event, wrongful assistance given to another State has frequently led to diplomatic protests. States are entitled to assert complicity in the wrongful conduct of another State even though no international court may have jurisdiction to rule on the charge, at all or in the absence of the other State.12 2.1. Vorliegen einer Unterstützungshandlung Deutschlands im Sinne der Staatenverantwortlichkeit Völkerrechtliche Leitlinien zur Feststellung und den Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit 13 sind in den Artikelentwürfen der VN-Völkerrechtskommission (ILC) zur Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln enthalten.14 Die ILC-Artikelentwürfe sind kein völkerrechtlicher Vertrag und als solche rechtlich nicht bindend, wurden aber von der VN-Generalversammlung durch Resolution verabschiedet und spiegeln in weiten Teilen den Stand der Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts wider.15 Die ILC hat die Artikelentwürfe in einer mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Wissenschaft kommentierten Fassung veröffentlicht . Die ILC-Artikelentwürfe enthalten in ihrem Kapitel IV Regelungsvorschläge zur Verantwortlichkeit eines Staates in Verbindung mit dem Handeln eines anderen Staates. Die ILC betont in ihrer 12 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with Commentaries, Resolution der VN-Generalversammlung, 85. Plenarsitzung, 12.Dezember 2001, A/56/589 Corr. 1, http://legal .un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries/9_6_2001.pdf, S. 67. Deutsche Übersetzung der Artikelentürfe (ohne ILC-Kommentare): John Richard Eydner, http://eydner.org/dokumente /darsiwaev.PDF. 13 Zur Staatenverantwortlichkeit siehe im Einzelnen Knut Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage, München 2014, S. 561 ff. 14 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with Commentaries, a.a.O. (Fn. 12) 15 Siehe im Einzelnen James Crawford, State Responsibility, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1093#law-9780199231690-e1093-div1- 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 7 Kommentierung des Handelns mehrerer Staaten, dass jeder Staat grundsätzlich nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist.16 Art. 16 der ILC-Artikelentwürfe betrifft die Verantwortlichkeit eines Staats für seine Hilfe oder Unterstützung eines anderen Staats, wenn dieser völkerrechtswidrig handelt. Danach ist ein Staat, der einem anderen Staat bei dessen Begehung eines völkerrechtswidrigen Handelns hilft oder ihn dabei unterstützt, völkerrechtlich dafür verantwortlich, wenn der zuerst genannte Staat (1) tatsächlich Hilfe oder Unterstützung leistet, (2) er diese Hilfe oder Unterstützung in Kenntnis der Umstände des völkerrechtswidrigen Handelns des zuerst genannten Staats leistet und (3) das völkerrechtswidrige Handeln des hauptsächlich agierenden Staates auch für den helfenden Staat völkerrechtswidrig wäre. 2.1.1. Denkbare Beihilfe- oder Unterstützungshandlung Nach den ILC-Artikelentwürfen gilt eine Beihilfe- oder Unterstützungshandlung nur dann als solche , wenn sie einen signifikanten, wenn auch nicht unbedingt unverzichtbaren Tatbeitrag darstellt .17 Entscheidend ist, ob die Beihilfehandlung die Handlung des hauptverantwortlich agierenden Staats tatsächlich fördert.18 Stellt ein Staat wissentlich auf seinem Territorium Einrichtungen zur Verfügung, von denen aus ein anderer Staat eine Völkerrechtsverletzung begeht, so kommt dem zuerst genannten Staat eine unterstützende Rolle, dem zuletzt genannten Staat hingegen die Hauptverantwortung zu.19 Einerseits gibt es keine allgemeine völkerrechtliche Pflicht, das völkerrechtswidrige Verhalten eines anderen Staates zu unterbinden.20 Andererseits kann in der Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Staats sogar dazu führen, dass dem Beihilfe leistenden Staat die Rechtsverletzung als eine eigene (im Sinne von Art. 11 ILC-Artikelentwürfe) zugerechnet wird.21 Die Qualifizierung einer Unterstützungshandlung als effektiver Beitrag ist keine reine Tatsachenfrage, sondern hängt auch von normativen Vorgaben ab. So kommt es unter anderem darauf an, ob der Beihilfe leistende Staat selbst völkerrechtlich verpflichtet ist, das völkerrechtswidrige Verhalten des hauptverantwortlich agierenden Staats zu 16 ILC, a.a.O. (Fn. 12): „Under chapter IV, one State may be responsible for the internationally wrongful act of another , for example if the act was carried out under its direction and control. Nonetheless the basic principle of international law is that each State is responsible for its own conduct in respect of its own international obligations (…)[T]he principle of independent responsibility (…) is appropriate since each State has its own range of international obligations and its own correlative responsibilities.” (S. 34 und 64). Im Ergebnis ebenso Ipsen, a.a.O. (Fn. 13), S. 563. 17 ILC, a.a.O. (Fn. 12): „There is no requirement that the aid or assistance should have been essential to the performance of the internationally wrongful act; it is sufficient if it contributed significantly to that act.” (S. 65). 18 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 66. 19 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 66. 20 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 65. 21 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 65. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 8 verhindern.22 Spezifische völkerrechtliche Regelungen können Beihilfehandlungen verbieten, oder sogar dazu führen, dass eine Pflicht zur Verhinderung des hauptverantwortlich agierenden Staats besteht.23 Wenn es sich bei der Haupttat um einen schwerwiegenden Bruch zwingender Völkerrechtsnormen handelt, können Staaten verpflichtet sein, alles ihrerseits Mögliche zu tun, um eine völkerrechtswidrige Situation abzustellen.24 Unter diese Konkretisierungen der Beihilfe- oder Unterstützungshandlung durch die ILC lassen sich die vom OVG Münster festgestellten Tatsachen subsumieren: Die deutsche Gestattung der Nutzung technischer Einrichtungen auf dem Flugstützpunkt Ramstein hat den – nach Auffassung des OVG Münster25 in Einzelfällen aller Wahrscheinlichkeit nach – völkerrechtswidrigen Einsatz von Drohnen im Jemen ermöglicht. Die Vereinigten Staaten hätten die Einsätze möglicherweise auch ohne Nutzung der Satelliten-Relaisstation in Ramstein durchführen können, so dass es sich bei der Gestattung nicht um einen unverzichtbaren Tatbeitrag handelt. Gleichwohl gibt es nach den (mit der Revision nicht mehr angreifbaren) Sachverhaltsfeststellungen des OVG Münster26 tatsächliche Anhaltspunkte für die zentrale Bedeutung der Fernsteuerung der Drohnen von Ramstein aus, so dass eine effektive Förderung der Drohneneinsätze zu bejahen sein dürfte. Gegenüber der alleinigen Verantwortlichkeit der Vereinigten Staaten für die Entscheidung über die konkreten Drohneneinsätze, deren Planung, Steuerung und Durchführung im Einzelfall kann jedoch die Gestattung der Nutzung des Flugstützpunktes Ramstein allenfalls untergeordnete Bedeutung haben. Deutschland ist völkerrechtlich nicht verpflichtet, alle – möglicherweise – völkerrechtswidrigen Handlungen der Vereinigten Staaten zu unterbinden. Zu dem normativen Rahmen, der die Einbeziehung einzelner (deutscher) Tatbeiträge in den als relevant erachteten Sachverhalt (nämlich die Annahme von Unterstützungshandlungen für möglicherweise im Einzelfall völkerrechtswidrige Drohneneinsätzen der Vereinigten Staaten) beeinflusst , zählen u.a. auch die NATO-rechtlichen Bindungen Deutschlands.27 So sind insbesondere der Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Oktober 195428, bestätigt und ergänzt durch die Vereinbarung vom 25. September 1990 zum Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik29, das NATO- 22 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 64. 23 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 66. 24 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 65. 25 S.o. (Fn. 2). 26 S.o. (Fn. 2). 27 Siehe dazu im Einzelnen die bereits zitierten Gutachten von WD 2 (Fn. 1). 28 Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Oktober 1954, BGBl. II 1955, S. 253, http://www.abg-plus.de/abg2/ebuecher/abg_all/index.html. 29 Vereinbarung vom 25. September 1990 zum Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. II 1990, S. 1390, http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&jumpTo=bgbl290s1390.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 9 Truppenstatut (NTS) vom 19. Juni 195130 sowie das Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (ZA-NTS) vom 3. August 195931 als völkerrechtliche Vereinbarungen anzusehen, die die Handlungsmöglichkeiten Deutschlands mitbestimmen. Aus den NATO-rechtlichen Duldungspflichten und Deutschlands Pflicht zur Bündnistreue gegenüber den anderen NATO-Mitgliedstaaten lässt sich aber keineswegs zwingend ableiten, dass Deutschland zur Hinnahme eines im Einzelfall möglicherweise völkerrechtswidrigen Verhaltens der Vereinigten Staaten verpflichtet wäre. Vielmehr wäre es denkbar, aus den gleichen Rechtsquellen abzuleiten, dass das besondere Näheverhältnis zwischen den zu gegenseitiger Bündnistreue verpflichteten NATO-Mitgliedstaaten dazu führen könnte, dass Deutschland in dieser Konstellation einer völkerrechtlichen Pflicht zur Verhinderung des Verhaltens der hauptverantwortlich agierenden Vereinigten Staaten unterliegt . Insbesondere angesichts der vom OVG Münster32 angedeuteten Möglichkeit, dass die Drohneneinsätze das Menschenrecht auf Leben sowie tragende Grundsätze des humanitären Völkerrechts verletzen könnten, ist die Annahme, es könnte sich bei der Haupttat potentiell um einen schwerwiegenden Bruch zwingender Völkerrechtsnormen handelt, nicht fernliegend, so dass Deutschland auch aus diesem Grunde völkerrechtlich verpflichtet sein könnte, alles seinerseits Mögliche zu tun, um eine völkerrechtswidrige Situation abzustellen. Im Hinblick auf die Nutzung von Flugstützpunkten und anderen militärischen Anlagen auf eigenem Territorium durch einen anderen Staat haben sich in der Staatenpraxis bereits erste Ansätze für konkrete Maßstäbe bei der Bewertung einer möglichen Beihilfe- oder Unterstützungshandlung entwickelt. Die ILC verweist in diesem Zusammenhang auf eine Note der Bundesrepublik Deutschland von 195833 und führt aus: An example is provided by a statement made by the Government of the Federal Republic of Germany in response to an allegation that Germany had participated in an armed attack by allowing United States military aircraft to use airfields in its territory in connection with the United States intervention in Lebanon. While denying that the measures taken by the United States and the United Kingdom in the Near East constituted intervention, the Federal Republic of Germany nevertheless seems to have accepted that the act of a State in placing its own territory at 30 Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland, geschlossen als Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen, BGBl. II 1961, S. 1190, http://www.abg-plus.de/abg2/ebuecher/abg_all/index.html. Zuvor bestand der sog. Truppenvertrag auf der Grundlage von Art. 8 des Deutschlandvertrages vom 26 Mai 1952 zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. II 1955, 321 ff.; mit dem Beitritt Deutschlands zum NATO-Truppenstatut wurde dieses Abkommen aufgehoben und ersetzt. 31 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959, BGBl. II 1961, 1183, 1218 (ZA-NTS). In aktualisierter Fassung auf http://www.abgplus .de/abg2/ebuecher/abg_all/index.html. 32 S.o. (Fn. 2). 33 Note vom 15. August 1958, wiedergegeben in: ZaöRV 1960, S. 663 f., https://www.zaoerv .de/20_1959_60/20_1959_3_4_b_636_682.pdf. Enger wohl noch Ipsen, a.a.O. (Fn. 13), S. 572. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 10 the disposal of another State in order to facilitate the commission of an unlawful use of force by that other State was itself an internationally wrongful act.34 2.1.2. Kenntnis der Umstände des völkerrechtswidrigen Handelns Nach Art. 16 lit. a) der ILC-Artikelentwürfe ist Voraussetzung für ein Auslösen der Staatenverantwortlichkeit ferner, dass der helfende bzw. unterstützende Staat seinen Beitrag in Kenntnis der Umstände des völkerrechtswidrigen Handelns leistet. Hierbei kommt es auf die effektive Kenntnis der für die Unterstützungshandlung zuständigen Staatsorgane an: Diese müssen die Umstände , die das Verhalten des hauptverantwortlich agierenden Staats völkerrechtswidrig machen, kennen.35 Unkenntnis führt zum Ausschluss der Staatenverantwortlichkeit.36 Der Sprachgebrauch in der Kommentierung der ILC legt nahe, dass es insofern nicht reicht, wenn die Staatsorgane des unterstützenden Staat lediglich mit der Möglichkeit rechnen mussten, dass der hauptverantwortliche Staat eine Völkerrechtsverletzung begehen würde. Spätestens seit den (mit der Revision nicht mehr angreifbaren) Sachverhaltsfeststellungen des OVG Münster37 unter Verweis auf die Ergebnisse des 1. Untersuchungsausschusses des 18. Deutschen Bundestages38 ist davon auszugehen, dass die zuständigen Staatsorgane wissen, dass es gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Vereinigten Staaten unter Verwendung technischer Einrichtungen auf dem Flugstützpunkt Ramstein sowie der dort stationierten Truppen bewaffnete Drohneneinsätze durchgeführt haben, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstießen. Diese Kenntnis des Vorhandenseins tatsächlicher Anhaltspunkte lässt jedoch nicht darauf schließen, dass bereits im Zeitpunkt der einzelnen Drohnenangriffe, die ja nur im Einzelfall und je nach den konkreten Umständen völkerrechtswidrig waren, Deutschland im Sinne von Art. 16 lit. a der ILC-Artikelentwürfe „in Kenntnis der Umstände des völkerrechtswidrigen Handelns “ wissentlich einen Beitrag zur Völkerrechtsverletzung der Vereinigten Staaten geleistet hätte, indem es sein Territorium zur Ermöglichung von Drohnenangriffe zur Verfügung stellte. Anders könnte die Kenntnis der Umstände in zukünftigen Fällen zu beurteilen sein, doch wäre die Unterstellung positiver Kenntnis der zur Völkerrechtswidrigkeit führenden Umstände zum gegenwärtigen Zeitpunkt spekulativ. Im Ergebnis wäre eine Staatenverantwortlichkeit Deutschlands wegen der Unterstützung teilweise völkerrechtswidriger Drohneneinsätze der Vereinigten Staaten gem. Art. 16 lit. a der ILC- Artikelentwürfe nur soweit zu bejahen, wie die zuständigen Staatsorgane Deutschlands zum Zeitpunkt der jeweiligen Einsätze bereits Kenntnis von deren Völkerrechtswidrigkeit hatten. 34 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 67 mit weiteren Beispielen und Nachweisen. Hervorhebung im Zitat vom Bearbeiter. 35 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 66. 36 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 66. 37 S.o. (Fn. 2). 38 S.o. (Fn. 7). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 11 2.1.3. Völkerrechtswidrigkeit einer hypothetischen eigenen Haupttat Weitere Voraussetzung für ein Auslösen der Staatenverantwortlichkeit eines helfenden/unterstützenden Staates ist nach Art. 16 lit. b) der ILC-Artikelentwürfe schließlich, dass die Haupthandlung auch dann völkerrechtswidrig wäre, wenn sie von dem helfenden/unterstützenden Staat selbst begangen worden wäre. Diese Einschränkung dient vor allem dazu, die Staatenverantwortlichkeit für die Verletzung bilateraler völkerrechtlicher Verträge auf das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien zu beschränken. Im vorliegenden Sachverhalt geht es um Drohneneinsätze, die möglicherweise das Menschenrecht auf Leben sowie tragende Grundsätze des humanitären Völkerrechts verletzen. Sofern es für die bewaffneten Drohneneinsätze zum Zwecke außergerichtlicher Hinrichtungen keine völkerrechtliche Rechtfertigung, wie zum Beispiel die Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden bewaffneten Angriffs gibt, könnte ein schwerwiegender Bruch zwingender Völkerrechtsnormen vorliegen. Die hierin liegende Völkerrechtsverletzung wäre auch unter der rein hypothetischen Annahme, dass Deutschland als hauptverantwortlich agierender Staat handeln würde, völkerrechtswidrig . Im Ergebnis würde daher Art. 16 lit. b) der ILC-Artikelentwürfe einer etwaigen Staatenverantwortlichkeit Deutschlands als helfender bzw. unterstützender Staat nicht entgegenstehen. 2.2. Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit Ist die Staatenverantwortlichkeit ausgelöst, so sind deren Rechtsfolgen im Einzelnen zu ermitteln .39 Grundsätzlich ist der unterstützende/helfende Staat nur soweit verantwortlich, wie sich sein (nachrangiger) Beitrag in der Völkerrechtsverletzung niedergeschlagen hat, d.h. Schadensersatzpflichten bestehen daher nur soweit die Unterstützung zum Schaden beigetragen hat.40 Wäre es auch ohne seinen Beitrag zu der Völkerrechtsverletzung gekommen, erstreckt sich die Verantwortlichkeit nicht auf die Verletzungsfolgen in ihrer Gesamtheit.41 Der helfende/unterstützende Staat bleibt nach wie vor nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich, nicht für das des hauptsächlich handelnden Staats.42 Nach Art. 30 der ILC-Artikelentwürfe besteht zunächst eine Pflicht zur Einstellung und Nichtwiederholung der Völkerrechtsverletzung. Der für das völkerrechtswidrige Handeln nachrangig mit-verantwortliche Staat unterliegt danach der Verpflichtung, sein unterstützendes Handeln einzustellen . Sofern die Vereinigten Staaten also völkerrechtswidrige Drohneneinsätze unter Nutzung der Satelliten-Relaisstation in Ramstein zu verantworten hätten und sie ein völkerrechtswidriges Verhalten fortsetzten, wäre Deutschland mithin verpflichtet, die Nutzung deutschen Territoriums zur Unterstützung der Drohnenangriffe nicht länger zu gestatten. 39 Siehe im Einzelnen Ipsen, a.a.O. (Fn. 13), S. 578 ff. 40 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 66 und 67. 41 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 66. 42 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 67. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 12 Zu beachten wäre in diesem Zusammenhang des Weiteren Art. 32 der ILC-Artikelentwürfe, wonach ein Staat sich im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit nicht darauf berufen kann, dass seine innerstaatlichen Vorschriften die Nichteinhaltung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen rechtfertigen würden. Im vorliegenden Zusammenhang wäre Art. 32 dahingehend zu verstehen, dass Deutschland sich zur Rechtfertigung seiner Unterstützung nicht auf den Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Oktober 1954, die Vereinbarung vom 25. September 1990 zum Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik, das NATO-Truppenstatut (NTS) vom 19. Juni 1951 sowie das Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (ZA-NTS) vom 3. August 1959 berufen könnte.43 In anderen Worten: Deutschland wird durch seine im Rahmen der NATO übernommenen und in innerstaatliches Recht umgesetzten Verpflichtungen nicht frei von seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen in den Bereichen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Wird Deutschlands Staatenverantwortlichkeit im vorliegenden Zusammenhang bejaht, so kommen unter den Formen der Wiedergutmachung nach Art. 34 der ILC-Artikelentwürfe insbesondere finanzieller Schadensersatz (Art. 36 der ILC-Artikelentwürfe) und Genugtuung (Art. 37 der ILC-Artikelentwürfe) in Betracht. Die Genugtuung kann gem. Art. 37 Abs. 2 der ILC-Artikelentwürfe „in einer Anerkennung der Verletzung, einer Erklärung des Bedauerns, einer formalen Entschuldigung oder in einer anderen angemessenen Vorgehensweise bestehen“. 2.3. Geltendmachung der Staatenverantwortlichkeit Sofern einem Staat aus materiell-rechtlicher Sicht auf der Grundlage der Staatenverantwortlichkeit Schadensersatzansprüche gegenüber einem anderen Staat erwachsen, stellt sich aus völkerrechtspraktischer Sicht die Frage nach den Möglichkeiten, diese auch geltend zu machen. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass es bei der Staatenverantwortlichkeit um zwischenstaatliche Ansprüche, und nicht etwa um individuellen Schadensersatz wegen Verletzung des humanitären Völkerrechts geht.44 Für den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies: Soweit einzelne Drohneneinsätze im Jemen völkerrechtswidrig waren, könnte allein Jemen deswegen Scha- 43 Fundstellen Nachweise s.o. (Fn. 28 ff.). 44 Vgl. zum Individualrechtsschutz gegen Staatsverbrechen bereits WD 2 – 3000 – 030/12 vom 28. März 2012, . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 13 densersatz geltend machen. Da der Jemen zumindest bis zum Februar 2017 den US-amerikanischen Drohneneinsätzen ausdrücklich zustimmte,45 würde er sich zu seiner eigenen Zustimmung 46 in Widerspruch setzen47, wenn er nun aus der Völkerrechtswidrigkeit der Einsätze Ansprüche ableiten wollte. Weitere verfahrenstechnische Hürden, die die Wahrscheinlichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen Deutschland zusätzlich reduzieren, ergeben sich aus dem Art. 16 der ILC-Artikelentwürfe zugrunde liegenden rechtlichen Verhältnis zwischen Haupttat und Unterstützungshandlung . Der Internationale Gerichtshof hat wiederholt bestätigt, dass er […] cannot decide on the international responsibility of a State if, in order to do so, “it would have to rule, as a prerequisite, on the lawfulness”[…] of the conduct of another State, in the latter’s absence and without its consent. […] That principle may well apply to cases under article 16, since it is of the essence of the responsibility of the aiding or assisting State that the aided or assisted State itself committed an internationally wrongful act. The wrongfulness of the aid or assistance given by the former is dependent, inter alia, on the wrongfulness of the conduct of the latter.48 Eine gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen den unterstützenden Staat (hier: Deutschland) hinge also davon ab, dass zuvor – oder zumindest zugleich – auch ein Verfahren gegen den unterstützten Staat (hier: die Vereinigten Staaten) angestrengt würde. Da als zuständiges Gericht allein der Internationale Gerichtshof (IGH) in Frage kommt, ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass die Vereinigten Staaten keine Unterwerfungserklärung im Sinne von Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut49 abgegeben haben, sie die Zuständigkeit des IGH also nicht vorab in allen Fragen des Völkerrechts als obligatorisch anerkennen.50 Ein Verfahren gegen die Vereinigten Staaten hinge mithin ab von deren Zustimmung im Einzelfall (gem. Art. 36 Abs. 1 IGH- 45 Siehe Alex Moorehead, Yemen’s consent for U.S. counterterrorism operations: Questions for the Trump Administration , 9 Februar 2017, https://www.justsecurity.org/37530/yemens-consent-u-s-counterterrorism-operationsquestions -trump-administration/. 46 Zu Begriff und Rechtsfolgen der Zustimmung siehe im Einzelnen Jutta Brunée, Consent, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1388?rskey=z2LH23&result=1&prd=EPIL. 47 Zum Verbot des venire contra factum proprium im Völkerrecht siehe Thomas Cottier/Jörg Paul Müller, Estoppel , in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e1401?rskey=3MM4ed&result=1&prd=EPIL. 48 ILC, a.a.O. (Fn. 12), S. 67 mit Verweis auf East Timor (Portugal v. Australia), Judgment, I.C.J. Reports 1995, p. 90, at p. 105, para. 35; Monetary Gold Removed from Rome in 1943, Judgment, I.C.J. Reports 1954, p. 19, at p. 32; und Certain Phosphate Lands in Nauru (Nauru v. Australia), Preliminary Objections, Judgment, I.C.J. Reports 1992, p. 240, at p. 261, para. 55. 49 Statut des Internationalen Gerichtshofs, Anhang zur Satzung (Charta) der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, http://www.staatsvertraege.de/uno/gerichtshofstatut45-i.htm. 50 Siehe die aktuelle Liste der Unterwerfungserklärungen, ICJ, Declarations recognizing the jurisdiction of the Court as compulsory, https://web.archive.org/web/20170815194446/http://www.icj-cij.org/en/declarations. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 14 Statut). Somit dürfte im vorliegenden Sachzusammenhang eine zentrale Verfahrensgrundlage für Ansprüche gegen Deutschland in absehbarer Zeit ausbleiben. 3. Verantwortlichkeit der Mitglieder der Bundesregierung nach internationalem Strafrecht Eine individuelle Verantwortlichkeit von Mitgliedern der Bundesregierung nach internationalem Strafrecht ist theoretisch vorstellbar, dürfte aus tatsächlicher und völkerrechtspraktischer Sicht jedoch eher fernliegen. Grundsätzlich können völkerrechtswidrige gezielte Tötungen durch bewaffnete Drohnenangriffe – je nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls – in den Anwendungsbereich des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)51 fallen. Insbesondere kann darin eine Straftat nach Art. 8 Abs. 2 lit. c i) IStGH-Statut liegen, der im Fall eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter hat, schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949 unter Strafe stellt.52 Art. 8 Abs. 2 lit. c i) IStGH-Statut erfasst damit u.a. Angriffe auf Leib und Leben einschließlich vorsätzlicher Tötung jeder Art gegen Personen , die nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. Art. 25 Abs. 3 lit. c IStGH-Statut sieht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Personen vor, die zur Erleichterung eines Verbrechens nach dem IStGH-Statut bei dessen Begehung Unterstützung leisten oder hierzu Mittel bereitstellen.53 Das Zurverfügungstellen des eigenen Territoriums zum Betrieb der Satelliten-Relaisstation in Ramstein, welche für die Fernsteuerung der zum Teil völkerrechtswidrigen Drohneneinsätze von zentraler Bedeutung ist, könnte also eine dem IStGH-Statut unterfallende, objektiv tatbestandsmäßige Beihilfehandlung sein. Die nach Art. 30 dem IStGH erforderlichen subjektiven Tatbestandsmerkmale müssen im Hinblick auf die genannte Beihilfehandlung jedoch ebenfalls erfüllt sein. D.h., ein Mitglied der Bundesregierung müsste vorsätzlich und wissentlich hinsichtlich der Haupttat, der Beihilfehandlung und der Verbindung zwischen beiden gehandelt haben. Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich . Zu berücksichtigen ist ferner, dass sowohl die Vereinigten Staaten als auch der Jemen zwar Signatarstaaten des IStGH-Statuts sind, sie das Abkommen jedoch nie ratifiziert haben.54 Sie haben daher die Gerichtsbarkeit des IStGH nicht als Vertragsstaaten anerkannt. Eine Begründung der Gerichtsbarkeit für die Situation gem. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut durch entsprechenden Beschluss des VN-Sicherheitsrats dürfte ebenfalls fernliegen. Zu Begründung der Zuständigkeit des 51 IStGH-Statut, A/Conf.183/9 vom 17. Juli 1998, https://www.auswaertigesamt .de/blob/203446/c09be147948d4140dd53a917c2544fa6/roemischesstatut-data.pdf. 52 Zu Struktur und Inhalt von Art. 8 IStGH-Statut vgl. Kai Ambos, Internationales Strafrecht, 4. Auflage, München 2014, S. 310 ff. 53 Zur Beihilfe i.S.d. IStGH-Statuts im Einzelnen siehe Kai Ambos, Internationales Strafrecht, 4. Auflage, München 2014, S. 191 ff. 54 UNTC, Ratifikationsstand des IStGH-Statuts vom 30. August 2019, https://treaties .un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XVIII-10&chapter=18&clang=_en. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/19 Seite 15 IStGH wäre es nach dem in Art. 17 IStGH-Statut normierten Komplementaritätsgrundsatz überdies Voraussetzung, dass die primär zuständige nationale Strafgerichtsbarkeit zur Strafverfolgung nicht willens bzw. unfähig ist.55 Lägen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte zur Aufnahme von Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen vor, so wäre davon auszugehen, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ihren gesetzlichen Aufgaben nachkämen. Im Ergebnis ist daher schwer vorstellbar, dass der IStGH zu der Rechtsaufassung gelangen könnte, im vorliegenden Sachzusammenhang zur Ausübung seiner Gerichtsbarkeit berufen zu sein. *** 55 Zum Komplementaritätsgrundsatz im Einzelnen siehe Kai Ambos, Internationales Strafrecht, 4. Auflage, München 2014, S. 360 ff.