© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 093/16 Mögliche sicherheits- und verteidigungspolitische Auswirkungen des sogenannten „Brexit“ auf die Europäische Union und auf Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 2 Mögliche sicherheits- und verteidigungspolitische Auswirkungen des sogenannten „Brexit“ auf die Europäische Union und auf Deutschland Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 093/16 Abschluss der Arbeit: 8. Juli 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Mögliche Auswirkungen eines britischen EU-Austritts auf die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die Rüstungsexportpolitik ihrer Mitglieder, die wehrtechnische Industrie und die Bundeswehr 5 2.1. Der Rückzug Großbritanniens aus entwicklungs- und sicherheitspolitischen Initiativen der EU und seine politischen und finanziellen Folgen 6 2.1.1. Naher Osten 6 2.1.2. Afrika 6 2.2. Der Rückzug der britischen Streitkräfte aus den militärischen Operationen und Missionen der EU und seine Folgen 7 2.3. Mögliche Auswirkungen des Brexit auf die militärischen Fähigkeiten der EU 9 2.3.1. Arbeitsfähigkeit der die GSVP tragenden EU-Organisationselemente 9 2.3.2. Die künftige Rolle der Europäischen Verteidigungsagentur bei der Entwicklung militärischer Fähigkeiten 10 2.3.3. Verlegefähigkeit von Hauptquartieren für die Operationsführung 11 2.3.4. Einsatzfähigkeit der EU-Battlegroups 11 2.4. Mögliche Auswirkungen des Brexit auf die wehrtechnische Industrie und gemeinsame Rüstungsvorhaben 13 2.5. Mögliche Auswirkungen des Brexit auf die Rüstungsexportpolitik 14 2.6. Mögliche Auswirkungen des Brexit auf multinationale Übungen und bilaterale Austauschprogramme 14 3. Fazit 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 4 1. Einführung In Großbritannien hat am 23. Juni 2016 die knappe Mehrheit von 51,9 Prozent der Teilnehmer und Teilnehmerinnen eines Referendums für den Austritt aus der Europäischen Union (EU), den sogenannten „Brexit“, gestimmt. Bevor es jedoch tatsächlich zu einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU kommt, sind laut Artikel 50 EUV 1 verschiedene Schritte zu durchlaufen. 2 Der Vertrag sieht vor, dass Großbritannien der Vertretung der EU-Staaten in einem ersten Schritt seine Austrittsabsicht offiziell mitteilt. Die europäischen Staats- und Regierungschefs würden dann – unter Ausschluss des Vereinigten Königreichs – Leitlinien für die Austrittsverhandlungen festlegen. Die EU-Kommission oder ein anderes, von den Staaten ernanntes Gremium könnte im Anschluss mit Großbritannien ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aushandeln. Dabei würde auch der Rahmen für die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur Union berücksichtigt werden . Das Austrittsabkommen muss am Ende mit einer sogenannten qualifizierten Mehrheit der verbliebenen 27 Mitgliedstaaten beschlossen werden. Das EU-Parlament muss ebenfalls zustimmen . Nach Angaben der EU-Kommission reicht dafür aber eine einfache Mehrheit. Wenn kein Abkommen zustande kommt und keine Fristverlängerung gewährt wird, würde Großbritannien zwei Jahre nach dem Einreichen des Austrittsgesuchs ungeregelt aus der EU ausscheiden . Ein solches Szenario wird allerdings wegen der für beide Seiten großen Risiken für äußerst unwahrscheinlich gehalten. 3 Vor dem Hintergrund, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt von britischer Seite weder eine Austrittsabsicht gegenüber der EU offiziell bekundet noch ein Austrittsabkommen ausgehandelt wurde, sind die Auswirkungen des Brexit auf die verschiedenen Politikbereiche völlig offen. Dennoch versucht die Ausarbeitung, mögliche Auswirkungen eines Brexit auf die Gemeinsame Sicherheits - und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union sowie auf die Bundeswehr zu skizzieren. 1 Vertrag über die Europäische Union (EUV). Fassung aufgrund des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 vom 9. Mai 2008, S. 13), zuletzt geändert durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU L 112/21 vom 24. April 2012) m.W.v. 1. Juli 2013. Abrufbar unter: https://dejure.org/gesetze/EU bzw. https://dejure.org/gesetze/EU/50.html (letzter Zugriff: 28. Juni 2016). 2 Vgl. Deutscher Bundestag / Referat PE 6 (2016): Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union – Nächste Schritte im Verfahren nach Artikel 50 EU-Vertrag. EU-Sachstand vom 27. Juni 2016. Abrufbar im Intranet des Deutschen Bundestages unter: http://www.bundestag.btg/Wissen/Dossiers/Ablage/6259/Ausarbeitung _6259_8.pdf (letzter Zugriff: 28. Juni 2016). 3 Vgl. Handelsblatt vom 26. Juni 2016: Brexit und der Artikel 50 – Europas Regeln für den Ausstieg. Abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/politik/international/brexit-referendum/brexit-news/brexit-und-der-artikel-50-europas -regeln-fuer-den-ausstieg/13790112.html (letzter Zugriff: 28. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 5 2. Mögliche Auswirkungen eines britischen EU-Austritts auf die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die Rüstungsexportpolitik ihrer Mitglieder, die wehrtechnische Industrie und die Bundeswehr Obgleich Großbritannien, das schon in der Vergangenheit stets stärker auf die NATO als auf die EU gesetzt hatte, Ende der 1990er Jahre den Widerstand gegen die Gründung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) aufgegeben hatte, hat es bis heute beständig darüber gewacht, dass die Europäer hier nicht zu weit gehen. So hatte London beispielsweise verhindert, dass es ein EU-Militärhauptquartier in Brüssel gibt, mit der Folge, dass EU-Einsätze, wie etwa in Mali, dezentral aus den Mitgliedstaaten geleitet werden. 4 Dennoch zählt das Vereinigte Königreich zum einen bis heute zu einem der größten Einzahler in die Instrumente der EU, aus denen sie Entwicklungshilfe-, friedensunterstützende, humanitäre Hilfs- oder Maßnahmen zur Eindämmung von Migration finanziert. Zum anderen hat Großbritannien durch seine militärischen Beiträge zu zahlreichen EU-Operationen und -Missionen sowie zu den EU-Battlegroups gezeigt, dass es bereit ist, die GSVP zumindest in begrenztem Umfang zu unterstützen. Nach einem Austritt aus der EU hätte – ggf. nach einer noch festzulegenden Übergangsfrist – Artikel 42 EUV 5 für Großbritannien keine Gültigkeit mehr. Damit wäre es beispielsweise nicht mehr verpflichtet, der GSVP zivile und militärische Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen (Art. 42 Abs. 3 EUV), seine militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern (Art. 42 Abs. 4 EUV), oder im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates diesem Beistand zu leisten (Art. 42 Abs. 7 EUV). Die Konsequenzen, die sich hieraus für die GSVP künftig ergeben könnten, werden mit Ausnahme der aus Art. 42 Abs. 7 EUV resultierenden Folgen, in den Unterabschnitten dieses Kapitels erörtert. Die dann für Großbritannien ebenfalls nicht mehr geltende Beistandspflicht gem. Art. 42 Abs. 7 EUV hätte nur dann eine Auswirkung, wenn der Angriff auf ein EU-Mitgliedstaat erfolgt, der nicht gleichzeitig auch NATO-Mitglied ist. Dieser müsste dann ggf. auf britischen Beistand verzichten . Bei einem Angriff auf ein EU-Mitgliedstaat, der gleichzeitig Mitglied der NATO ist (wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland), wäre Großbritannien weiterhin zum Beistand verpflichtet, und zwar gemäß Artikel 5 Nordatlantikvertrag. 6 4 Vgl. Wirtschaftswoche vom 26. Januar 2016: Großbritannien und der EU-Austritt – Die Briten üben den Brexit. Abrufbar unter: http://www.wiwo.de/politik/europa/grossbritannien-und-der-eu-austritt-die-briten-ueben-denbrexit /12879104.html (letzter Zugriff: 28. Juni 2016). 5 Vgl. https://dejure.org/gesetze/EU/42.html (letzter Zugriff: 30. Juni 2016). 6 Vgl. Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949, in Kraft getreten am 24. August 1949, geändert durch Protokoll vom 17. Oktober 1951 (BGBl. 1955 II. S. 293), Artikel 5. Abrufbar unter: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata %2Fges%2FNATOVertr%2Fcont%2FNATOVertr%2EA5%2Ehtm (letzter Zugriff: 30. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 6 2.1. Der Rückzug Großbritanniens aus entwicklungs- und sicherheitspolitischen Initiativen der EU und seine politischen und finanziellen Folgen 2.1.1. Naher Osten Das Engagement der EU als internationaler Akteur und Vermittler im Nahen Osten hat seit den 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen. Zum einen wurden die außenpolitischen Kompetenzen der EU durch die Verträge von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon sukzessive weiterentwickelt , zum anderen wurde die Vermittlerrolle der EU zunehmend in der Region gewünscht und angenommen. Der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU könnte das Gewicht der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik in der Region des Nahen Ostens schmälern: „Without the UK’s defence capacity and foreign policy experience, the EU’s voice in the Middle East would be less influential.“ 7 Darüber hinaus könnte der EU-Austritt Großbritanniens dazu führen, dass sich die politischen Positionen der USA und der EU gegenüber Israel und den Palästinensern weiter voneinander entfernen. In der Vergangenheit hat hier Großbritannien im Allgemeinen ausgleichend gewirkt, wobei die britischen Positionen den europäischen zumeist deutlich näher standen als den amerikanischen. 2.1.2. Afrika Seit 2005, als die Europäische Union „Eine Strategie der Europäischen Union für Afrika: Wegbereiter für einen Europa-Afrika-Pakt zur Beschleunigung der Entwicklung Afrikas“ 8 verabschiedet hat, engagiert sie sich zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele auf dem afrikanischen Kontinent verstärkt für Frieden und Sicherheit. Das Instrument für Stabilität und Frieden (ISP) sowie der Europäische Entwicklungshilfefonds (EEF) 9 stellen hierbei beispielhaft zwei Instrumente dar, aus denen Maßnahmen zur Stabilisierung und Entwicklung afrikanischer Staaten finanziert werden. In der Vergangenheit kam das Vereinigte Königreich für 17 Prozent des Haushaltes des ISP auf, für das für den Zeitraum von 2014 bis 2020 insgesamt Finanzmittel in Höhe von 2,4 Mrd. Euro vorgesehen sind. Beim EEF stammen 14 Prozent der Einzahlungen aus Großbritannien , das damit nach Deutschland und Frankreich drittgrößter Geldgeber dieses Fonds ist. Das Fehlen britischer Finanzmittel in diesen Bereichen würde die künftigen Möglichkeiten der 7 Miller, Vaughne (Hrsg.) (2016): Exiting the EU: impact in key UK policy areas. House of Commons Library Briefing Paper Number 07213, 12 February 2016, S. 9. Abrufbar unter: http://www.wiwo.de/politik/europa/grossbritannien -und-der-eu-austritt-die-briten-ueben-den-brexit/12879104.html (letzter Zugriff: 28. Juni 2016). 8 Vgl. Strategie der EU für Afrika (Zusammenfassung). Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?uri=URISERV%3Ar12540 (letzter Zugriff: 28. Juni 2016). 9 Der Europäische Entwicklungsfonds (EEF) ist zwar nicht Teil des EU-Haushalts ist, sondern hat seine Grundlage in einem eigenen Vertrag. Dennoch ist es denkbar, dass Großbritannien den Fonds nicht mehr bis zum Ende der laufenden Finanzierungsperiode 2014-2020 mit finanziert. Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2016): Sachstand zum „Brexit“ (Austritt Großbritanniens aus der EU). Berlin, 29. Juni 2016. Ausschussdrucksache 18(19)416 des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 7 EU, weitere Entwicklungs- und Stabilisierungsfortschritte auf dem afrikanischen Kontinent zu erzielen, deutlich beschneiden. In Somalia, wo die EU mit 80 Millionen Euro, davon die Hälfte für humanitäre Zwecke, den größten Geldgeber darstellt, war Großbritannien nach Auffassung des britischen Schriftstellers, Sozialwissenschaftlers und Menschenrechtaktivisten Alex de Waal 10 stets die treibende Kraft hinter den internationalen Anstrengungen zur Stabilisierung des Landes. Der Verlust der britischen Führungsrolle und britischer Finanzmittel könnte hier seiner Meinung nach vor dem Hintergrund , dass die EU – im Wesentlichen über die Afrikanische Friedensfazilität (APF) – den Großteil der Kosten der Friedenstruppen der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) finanziert , zu einem gefährlichen Vakuum führen: „The forthcoming loss of London’s financial contribution to the fund – and, more importantly, the loss of British political leadership on Somalia within the EU – puts a big question mark over the viability of AMISOM and Europe‘ Somalia strategy.“ 11 Aber auch die Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika und die Ausbildungsmaßnahmen der EU, mit denen somalische Sicherheitskräfte in den Bereichen „maritime Sicherheit“ und „Gesetzesvollstreckung“ geschult werden, wären durch das Fehlen britischer Finanzmittel betroffen. Auch wenn das Vereinigte Königreich in anderen afrikanischen Krisenherden, in denen sich die EU engagiert, wie beispielsweise in der Zentralafrikanischen Republik oder in Mali, keine vergleichbare Rolle wie in Somalia eingenommen hat, bedeutet der durch den Brexit möglicherweise enger werdende Finanzspielraum der EU und ihrer Instrumente, dass es auch dort zu Einschnitten bei den Maßnahmen der Entwicklungs- und humanitären Hilfe sowie der Friedenskonsolidierung kommen könnte. Hiervon könnte beispielsweise auch die „EU-Horn of Africa Migration Route Initiative“ betroffen sein, die das Ziel verfolgt, insbesondere im Sudan, in Äthiopien und in Eritrea u.a. durch Ausbildungs- und Job-Anreize potentielle Migranten zu bewegen, in ihrer Heimat zu bleiben, um so die Zahl der über das Mittelmeer Flüchtenden zu reduzieren. 2.2. Der Rückzug der britischen Streitkräfte aus den militärischen Operationen und Missionen der EU und seine Folgen In den zurückliegenden zehn Jahren hat Großbritannien sichtbare militärische Beiträge zu der EU-Operation Althea in Bosnien und Herzegowina, zur Antipiraterie-Operation Atalanta der Europäischen Union am Horn von Afrika (dieser Einsatz ist auf militärstrategischer Ebene stets von einem britischen Konteradmiral bzw. Generalmajor aus dem Operationshauptquartier in Northwood bei London geführt worden), zur Operation Sophia (EUNAVFOR MED) im Mittelmeer sowie 10 Vgl. Waal, Alex de (2016): Brexit Is Bad News for Africa. Period – Everything from the economy to peacekeeping missions will suffer. Foreign Policy vom 27. Juni 2016. Abrufbar unter: http://link.foreignpolicy.com/click/ 7030378.200542/aHR0cDovL2ZvcmVpZ25wb2xpY3kuY29tLzIwMTYvMDYvMjcvYnJleGl0LWlzLWJhZC1uZXdzL WZvci1hZnJpY2EtcGVyaW9kLw/532c17d8f6e3a597521dfa77B9fee82fd (letzter Zugriff: 28. Juni 2016). 11 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 8 zu den Ausbildungsmissionen auf dem afrikanischen Kontinent geleistet. Laut „The Military Balance 2016“ 12 stellten die britischen Streitkräfte im Jahr 2015 für die Operation Althea und die EU-Ausbildungsmissionen in Afrika insgesamt 62 Soldatinnen und Soldaten ; an der Operation Sophia (EUNAVFOR MED) nahm im selben Jahr eine britische Fregatte teil. Derzeit ist Großbritannien bei der Operation Sophia (EUNAVFOR MED) mit 69 Dienstposten (DP) 13 viertgrößter Truppensteller und hatte noch am 22. Juni 2016 die Bereitstellung einer zweiten seegehenden Einheit angekündigt. Bei EUFOR Althea stellt Großbritannien insgesamt vier DP, 14 hierbei mit dem stellvertretenden Oberkommandierenden des strategischen NATO-Kommandos Europa (DSACEUR SHAPE) 15 über das „Berlin-Plus“-Abkommen zwischen NATO und EU den Kommandeur der Operation. Die Operation EUNAVFOR Atalanta wird von dem britischen Hauptquartier für die Operationsführung (OHQ) in Northwood geführt, in dem insgesamt 64 britische Soldatinnen und Soldaten Dienst leisten, unter ihnen der Kommandeur der Operation . Ferner ist das Vereinigte Königreich in diesem Jahr in den GSVP-Missionen bzw. -operationen EUCAP Nestor (6 DP), EUTM Mali (22 DP), EULEX Kosovo (31 DP), EUPOL Afghanistan (13 DP) und EUMM Georgia (14 DP) engagiert. Weitere Einzelpersonalabstellungen erfolgten zu EUTM Somalia (4 DP), EUSEC RD Kongo (1 DP), EUCAP Sahel Niger (1 DP), EUCAP Sahel Mali (2 DP), EUPOL COPPS in den palästinensischen Gebieten (2 DP) und zu EUAM Ukraine (5 DP). 16 Wenn die laufenden EU-Operationen und -Missionen künftig mit derselben Personalstärke und denselben militärischen Fähigkeiten wie heute fortgeführt werden sollen, aber ohne den Beitrag der britischen Streitkräfte, könnte dies dazu führen, dass die ohnehin knappen Ressourcen (Personal , Material) der Streitkräfte der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten angesichts der vielfältigen Verpflichtungen (VN, NATO, EU, nationale) noch höher belastet werden. Ggf. müsste die EU sogar, wenn die Belastungsgrenze überschritten wird, zulasten der Glaubwürdigkeit der GSVP die Anzahl ihrer Operationen und Missionen oder zumindest die Personalumfänge der dort eingesetzten militärischen Kontingente reduzieren und die durch die Streitkräfte wahrzunehmenden 12 The International Institute for Strategic Studies IISS (Hrsg.) (2016): The Military Balance 2016 – The Annual Assessment of Global Military Capabilities and Defence Economics, S. 155 f. Veröffentlicht von Routledge Taylor & Francis Group, London, Februar 2016. 13 Von den 69 Dienstposten (DP) entfallen vier DP auf das Hauptquartier für die Operationsführung (OHQ) in Rom, ein DP auf das seegehende Streitkräftehauptquartier (FHQ) sowie 64 DP auf das für humanitäre Zwecke eingesetzte Multifunktions-Forschungsschiff HMS Enterprise. Vgl. Bundesministerium der Verteidigung / Parlament- und Kabinettreferat (2016): Mögliche sicherheits- und verteidigungspolitische Implikationen des „Brexit“. Informationsschreiben vom 5. Juli 2016. 14 Hinzu kommen 120 Soldatinnen und Soldaten, die für die Operation Althea in Reserve gehalten werden. Vgl. United Kingdom Ministry of Defence (2016): „brexit“ and its implications for European defence and security. Informationsschreiben des britischen Verteidigungsministeriums vom 7. Juli 2016. 15 DSACEUR SHAPE: Deputy Supreme Allied Commander Europe – Supreme Headquarters Allied Powers Europe. 16 Vgl. ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 9 Aufgaben einschränken. Alternativ müssten die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsanstrengungen erhöhen und ihre Streitkräfte personell und materiell so ausstatten, dass die Belastungsgrenze eben nicht erreicht wird. Sollten die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten sich allerdings darüber einig sein, die laufenden Einsätze in derselben Personalstärke und mit denselben militärischen Fähigkeiten wie bisher fortzusetzen, könnten die Partner Deutschlands in der EU versuchen, die Bundesrepublik mit dem Hinweis auf ihr wirtschaftliches Potenzial und die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zu drängen, einen Großteil der zuvor von den britischen Streitkräften wahrgenommenen Aufgaben zu übernehmen. Deutschland dürfte solchen Forderungen angesichts jüngster Verlautbarungen zur Bereitschaft, global mehr sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen, kaum Argumente entgegen setzen können. Das Argument, dass die Bundeswehr bereits heute in vielen Auslandseinsätzen stark engagiert sei, dürfte von den EU-Partnern kaum akzeptiert werden. Vielmehr würden diese mit großer Wahrscheinlichkeit von Deutschland verlangen, sollte es denn entsprechend argumentieren , die Bundeswehr zügig personell und materiell besser so auszustatten, dass Deutschland tatsächlich seiner internationalen Verantwortung gerecht werden kann. 2.3. Mögliche Auswirkungen des Brexit auf die militärischen Fähigkeiten der EU Innerhalb der Europäischen Union verfügt das Vereinigte Königreich über eine der modernsten und personalstärksten Armeen. Die britischen Streitkräfte haben damit bis heute erheblich zu den militärischen Fähigkeiten der EU beigetragen, die ihrerseits in der zurückliegenden Dekade unter Einbindung der 2004 gegründeten Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) auf eine deutliche Erweiterung ihres Fähigkeitsportfolios fokussierte. Seitdem galten hierbei die besonderen Anstrengungen der Europäischen Union, mit britischer Unterstützung die Verlege- und Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten zu verbessern, ihre Integrationsfähigkeit zu erhöhen sowie die Reaktionsfähigkeit der Streitkräfte zu steigern. Im Folgenden werden einige Beispiele genannt, wo und wie sich ein Austritt Großbritanniens aus der EU (und ihren Agenturen) in diesen Bereichen auf die militärischen Fähigkeiten der EU auswirken könnte. 2.3.1. Arbeitsfähigkeit der die GSVP tragenden EU-Organisationselemente In Falle eines EU-Austritts des Vereinigten Königreichs würde eine weitere britische Mitarbeit in den die GSVP tragenden Organisationselementen innerhalb des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) der Europäischen Union – wie beispielsweise in der Direktion Krisenmanagement und Planung (CMPD) oder im Militärstab der EU (EUMS) – relativ unwahrscheinlich werden . Die dort frei werdenden Dienstposten müssten die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten zügig mit qualifiziertem Personal nachbesetzen, damit künftig die Arbeitsfähigkeit dieser Organisationen sichergestellt werden und die EU außen- und sicherheitspolitisch weiterhin unverändert wirken kann. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 10 Bei der Besetzung von Spitzendienstposten in solchen Organisationseinheiten – wie bspw. des abwechselnd von Großbritannien und Polen zu stellenden Stellvertretenden Generaldirektors des EUMS – könnte die Bundesrepublik zeigen, dass sie Lücken, die der britische EU-Austritt reißt, zu schließen und damit im Rahmen der GSVP zur Übernahme von mehr Verantwortung bereit ist. Dies setzt neben dem politischen Willen in Deutschland natürlich auch voraus, dass das Auswärtige Amt (AA) und/oder das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) in der Lage sind, entsprechend qualifiziertes Spitzenpersonal zu generieren. 2.3.2. Die künftige Rolle der Europäischen Verteidigungsagentur bei der Entwicklung militärischer Fähigkeiten Die Finanzierung der Europäischen Verteidigungsagentur und der dort zur Weiterentwicklung militärischer Fähigkeiten initiierten Projekte erfolgt durch ihre Mitglieder unter Zugrundelegung ihres Bruttoinlandsproduktes. Großbritannien sperrte sich zwar in der Vergangenheit mehrfach gegen eine Erhöhung des Haushaltes der Europäischen Verteidigungsagentur. 17 Dennoch zählte das Vereinigte Königreich stets zu ihren größten Geldgebern. 18 Im diesem Jahr (2016) unterstützt Großbritannien die Agentur mit 5,1 Mio. EUR; dies entspricht 17,6 Prozent des gesamten Budgets der EVA. 19 Die mögliche Mindereinnahme der Europäischen Verteidigungsagentur in Höhe von 5,1 Mio. Euro nach einem britischen EU-Austritt dürften die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten – soweit ein entsprechender Wille vorhanden ist – problemlos kompensieren können. Von daher sollte die EVA im Rahmen ihres Auftrages auch künftig in gleichem Maße zur militärischen Fähigkeitsentwicklung innerhalb der Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten beitragen können. Problematischer allerdings dürfte sich das Fehl von wissenschaftlichen, technologischen und militärischen Erfahrungen und Ressourcen auswirken, die Großbritannien sowohl in die Organisation der Agentur selbst als auch in die „Pooling & Sharing“ (P&S)-Projekte eingebracht hat. So wirkte das Vereinigte Königreich bisher u.a. im „EDA‘s Military Airworthiness Authorities Forum“ (MAWA), beim „Helicopter Training Programme“ (HTP) sowie bei der „Single European Sky Initiative“ (SES) mit. 20 17 Vgl. Emmot, Robin (2015): Risk of 'Brexit' deals further blow to EU defense hopes. Reuters vom 9. Dezember 2015. Abrufbar unter: http://uk.reuters.com/article/us-europe-defence-analysis-idUKKBN0TS1Q720151209 (letzter Zugriff : 29. Juni 2016). 18 Im Jahre 2014 war Großbritannien bspw. nach Deutschland und Frankreich mit 4,3 Mio. Euro der drittgrößte Geldgeber der Europäischen Verteidigungsagentur. Vgl. European Defence Agency 2014 Financial Report. Herausgegeben von der Europäischen Verteidigungsagentur am 30. Juni 2015, S. 39. Abrufbar unter: http://www.eda.europa.eu/docs/default-source/finance-documents/eda- 2014-financial-report-audited.pdf (letzter Zugriff: 29. Juni 2016). 19 United Kingdom Ministry of Defence (2016): „brexit“ and its implications for European defence and security. Informationsschreiben des britischen Verteidigungsministeriums vom 7. Juli 2016. 20 Antwort des Parliamentary Under-Secretary of State for Defence, Julian Brazier, vom 18. Dezember 2015 auf die Anfrage des Abgeordneten Andrew Rosindell, wie sich das Vereinigte Königreich im Zeitraum 2014/15 in die Europäische Verteidigungsagentur eingebracht hat. Abrufbar unter: http://www.theyworkforyou.com/wrans/?id=2015- 12-14.20110.h (letzter Zugriff: 29. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 11 Bei einem Brexit dürfte es zumindest bei der Umsetzung von solchen „Pooling & Sharing“-Projekten , 21 an denen Großbritannien bis heute maßgeblich mitwirkt, zu deutlichen Einschränkungen kommen: „It goes almost without saying that any such attempts to pool and share (more) military assets in Europe would be unthinkable without the strong involvement of the United Kingdom.“ 22 Dies könnte zur Folge haben, dass ohne ein zusätzliches Engagement der verbleibenden Mitgliedstaaten einige P&S-Projekte gefährdet sind oder sich zumindest zeitlich verzögern , mit den entsprechenden Konsequenzen für die Entwicklung und den Erhalt militärischer Fähigkeiten innerhalb der EU. 2.3.3. Verlegefähigkeit von Hauptquartieren für die Operationsführung Großbritannien ist – neben Frankreich, Deutschland, Griechenland und Italien – eines von nur fünf Ländern, die in der Lage sind, ein Hauptquartier für die Operationsführung (OHQ) zu verlegen und damit die Führung über eine EU-Operation oder -Mission zu übernehmen. Dieses ist ein Beispiel dafür, dass durch einen EU-Austritt Großbritanniens die militärischen Möglichkeiten der EU eingeschränkt werden würden, es sei denn, Großbritannien nimmt an den Operationen und Missionen weiter als „Third Party“ teil. 2.3.4. Einsatzfähigkeit der EU-Battlegroups Mit der Aufstellung von EU-Battlegroups (EU BG) wollte die Europäische Union im Rahmen der am 12. Dezember 2003 vom Europäischen Rat angenommenen Europäischen Sicherheitsstrategie ihre Fähigkeit verbessern, nach einer entsprechenden politischen Entscheidung militärisch auf Krisen und Konflikte schnell reagieren zu können. Die Art der Zusammensetzung einer EU BG – den Kern einer EU BG bilden grundsätzlich ein verstärktes Infanteriebataillon, Kampfunterstützungs-, Einsatzunterstützungs- und Sanitätskräfte sowie ein verlegbares Hauptquartier (Force Headquarters, FHQ) – soll gewährleisten, dass die EU über einen einsatzbereiten Gefechtsverband verfügt, der – in Abhängigkeit der jeweiligen Mission – zur effektiven Operationsführung in der Lage ist. Mögliche Einsatzoptionen finden sich im gesamten erweiterten Spektrum der sogenannten „Petersberg“-Aufgaben und reichen von humanitärer Hilfe, der Verhinderung oder Abwehr von Feindseligkeiten oder Übergriffen (ggf. bereits durch Abschreckung im Vorfeld eines Konflikts) über die gewaltsame Trennung von Konfliktparteien bis hin zur Durchführung von Anfangsoperationen, um einen Einsatz von Folgekräften, zum Beispiel Friedenstruppen der Vereinten Nationen, zu ermöglichen. Die Zusammensetzung des Kräftedispositivs – die Gesamtstärke beträgt je nach Umfang der Fähigkeiten zwischen 1.500 und 2.500 Soldatinnen und Soldaten – ist in der Regel multinational, 21 Das Europäische Lufttransportkommando (EATC) wäre hiervon nicht betroffen, weil sich Großbritannien hieran nicht beteiligt. 22 Ischinger, Wolfgang (2014): Opinion: Britain could lead on European Defense. In: Spiegel Online International vom 2. Februar 2014. Abrufbar unter: http://www.spiegel.de/international/europe/opportunities-for-britain-in-europeandefense -a-950673.html (letzter Zugriff: 4. Juli 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 12 die einzelnen Elemente werden also durch mehrere Nationen gemeldet. Mögliche Truppensteller sind neben den Mitgliedstaaten der EU auch Länder auf Einladung eines Mitglieds oder Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft. Die Führung erfolgt im Allgemeinen durch die Nation, aus der das Infanteriebataillon hervorgeht, bei multinationalen Verbänden durch die sogenannte Framework- Nation. Die benannte Führungsnation ist jeweils für die Zusammenstellung, Ausbildung und Zertifizierung verantwortlich. Seitdem das Konzept der EU BG implementiert wurde, hat Großbritannien insgesamt viermal einen solchen Gefechtsverband geführt. 23 Neben Frankreich, Italien und Spanien gehört Großbritannien (mit einer Ausnahme, siehe Fußnote 20) hierbei zu den Ländern, die für eine Rotation alle Kräfte stellten. In der Regel ist die Zusammensetzung des Kräftedispositivs aber multinational , d.h. die einzelnen Elemente werden durch mehrere Nationen gemeldet. Vor dem „Brexit“-Referendum hatte Großbritannien seine Bereitschaft angezeigt, in den kommenden Monaten und Jahren erneut Kräfte für eine EU BG bereit zu stellen und die Führung zu übernehmen. Konkret hatte das Vereinigte Königreich für das Halbjahr II/2016 ein OHQ und ein FHQ (4 Inf Bde HQ) für die EU BG 1 sowie für das gesamte Jahr 2018 ein OHQ für die EU BG 2 eingemeldet. 24 Möglicherweise werden nun als Folge des Brexit die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten zumindest die britischen Führungsstrukturen und Truppenteile ersetzen müssen, die das Vereinigte Königreich vor dem Referendum für die EU BG 2 im Jahr 2018 angezeigt hatte, soweit entsprechend verfügbare und zertifizierte Einheiten in den anderen europäischen Streitkräften überhaupt zur Verfügung stehen und nicht anderweitig gebunden sind. Darüber hinaus würden die Streitkräfte der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten bei Beibehaltung des Battlegroup-Konzeptes durch das Ausscheiden der britischen Streitkräfte aus den EU BG auch über das Jahr 2018 hinaus deutlich höher belastet werden. Sollten die EU-Mitgliedstaaten – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage sein, die durch den Brexit möglicherweise entstehenden Fähigkeitslücken adäquat auszufüllen, würde dies einerseits die Einsatzfähigkeit der EU-Battlegroups und damit die militärischen Fähigkeiten der EU signifikant einschränken, andererseits würde mit großer Wahrscheinlichkeit – wie bei den EU-Operationen und Missionen – die Forderung gegenüber Deutschland erhoben werden, einen signifikanten Anteil der Verpflichtungen, die das Vereinigte Königreich bereits hinsichtlich der Bereitstellung von Personal und militärischen Fähigkeiten eingegangen war, zu übernehmen. 23 In der ersten Hälfte des Jahres 2005 sowie jeweils in der zweiten Hälfte der Jahre 2008, 2010 und 2013. Im Jahr 2013 beteiligten sich hierbei Schweden, Lettland, Litauen und die Niederlande. Vgl. Miller (2016), a.a.O., S. 132, Fn. 394. 24 Vgl. BMVg / ParlKab (2016), a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 13 2.4. Mögliche Auswirkungen des Brexit auf die wehrtechnische Industrie und gemeinsame Rüstungsvorhaben Im Jahr 2009 erließ die Europäische Union mit den Richtlinien 2009/43/EG 25 und 2009/81/EG 26 neue Vorschriften für die Beschaffung und innergemeinschaftliche Verbringung von Rüstungsgütern . Ziel der neuen Richtlinien war es, die europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsmärkte offener und transparenter zu machen. Die Richtlinie 2009/81/EG regelt die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit. Sie definiert genau, welche Beschaffungen militärischer oder sicherheitsrelevanter Art sind und damit unter die neuen Regelungen fallen. Ihr Ziel ist es, die europäischen Märkte für Verteidigungs- und Sicherheitsbeschaffungen zu öffnen und dabei eine Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen zu fördern. Die Richtlinie 2009/43/EG zielt auf die Vereinfachung der Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern ab und dient der gegenseitigen Öffnung der Märkte für militärische Gegenstände. Sie soll das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes sicherstellen. Aus diesem Binnenmarkt dürfte nach einem britischen EU-Austritt die wehrtechnische Industrie des Vereinigten Königreiches ausscheiden. Sie müsste sich dann nicht mehr an die gemeinsamen Regeln, wie beispielsweise an die Vergaberegeln, halten. Darüber hinaus könnte die britische Regierung nach einem EU-Austritt protektionistische Maßnahmen zum Schutz ihrer eigenen Rüstungsindustrie treffen. Beide Faktoren könnten ihr Wettbewerbsvorteile gegenüber der wehrtechnischen Industrie auf dem Kontinent verschaffen, deren Möglichkeiten zur Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Großbritannien sich wegen der dann voraussichtlich wieder eingeführten Zölle und einer Verteuerung der Exporte durch den zu erwartenden Verfall des Britischen Pfunds künftig bei einem britischen EU-Austritt ohnehin verschlechtern dürften. Gleichzeitig dürfte aber auf der anderen Seite für die britische Verteidigungsindustrie der Verkauf wehrtechnischer Produkte bei den ehemaligen europäischen Partnern schwieriger werden, wenn sich im Gegenzug die Industrien auf dem Kontinent gegen britische Produkte abschotten. So äußerte sich der französische Präsident Francois Hollande, dass „leaving the EU would put at risk Britain's access to the single market.“ 27 Inwieweit die britische Rüstungsindustrie in einem solchen Falle künftig noch eine Rolle bei gemeinsamen europäischen Rüstungsprojekten innehaben wird, ist schwierig vorherzusagen. Wenn hierbei aber künftig aus rüstungs- oder industrie- 25 Richtlinie 2009/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 zur Vereinfachung der Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern. Abrufbar unter: http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32009L0043 (letzter Zugriff: 30. Juni 2016). 26 Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG. Abrufbar unter: http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32009L008 (letzter Zugriff: 30. Juni 2016). 27 Bruce, Andy (2016): Factbox - What Brexit could mean for the UK economy. In: Reuters vom 24. Juni 2016, herausgegeben von William Schomberg. Abrufbar unter: http://uk.reuters.com/article/uk-britain-eu-economy-factbox-id UKKCN0ZA0IY (letzter Zugriff: 4. Juli 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 14 politischen Gründen auf eine Einbindung britischer Unternehmen verzichtet werden sollte, könnte dies ggf. zur Konsequenz haben, dass in den Rüstungssparten, in denen Großbritannien innerhalb Europas über einen Technologievorsprung verfügt (bspw. in Bereichen der Luftfahrtindustrie ), wehrtechnisches Know-how von den verbleibenden EU-Mitgliedstaaten erst entwickelt oder bei Dritten eingekauft werden muss. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass es zwar gemeinsame Rüstungsvorhaben innerhalb der EU wie beispielsweise den Airbus A400M gibt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Projekte der EU, sondern um multinationale Vorhaben. Solche Vorhaben dürften, soweit sich nach einem britischen EU-Austritt beide Seiten des Ärmelkanals für eine weitere Rüstungskooperation aussprechen, auch künftig möglich sein. 2.5. Mögliche Auswirkungen des Brexit auf die Rüstungsexportpolitik Im Jahr 1998 einigten sich die Mitgliedstaaten der EU mit dem Gemeinsamen Standpunkt 2008/ 944/GASP 28 auf einen Verhaltenskodex, der Entscheidungen von Einzelstaaten über Rüstungsexporte anleiten sollte. Ziel dieses Regelwerks war die Harmonisierung der europäischen Rüstungsexportpolitik im Rahmen einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Eingeführt wurde eine Gemeinsame Militärgüterliste, die stetig aktualisiert wird und festlegt, welche Exporte als Rüstungsausfuhren gelten und damit genehmigungspflichtig sind. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Großbritannien aus der EU ausscheidet bzw. nach Ablauf etwaiger Übergangsfristen, wäre das Vereinigte Königreich ggf. nicht mehr verpflichtet, sich an den Gemeinsamen Standpunkt 2009/944/GASP zu halten. Großbritannien könnte dann eine im Vergleich zu den verbleibenden EU-Mitgliedstaaten aggressivere Rüstungsexportpolitik verfolgen und seiner wehrtechnischen Industrie dadurch deutliche Marktvorteile verschaffen. Hierdurch könnten sich andere europäische Staaten veranlasst sehen, den Gemeinsamen Standpunkt großzügiger zu interpretieren oder ebenfalls gar zu ignorieren, d.h. Waffen beispielsweise in Räume mit bewaffneten Konflikten oder an Länder mit fragilen Strukturen oder repressiven Regimen zu liefern, um ihre Industrien zu schützen. Hierdurch wiederum könnte die Glaubwürdigkeit der GSVP deutlichen Schaden nehmen. 2.6. Mögliche Auswirkungen des Brexit auf multinationale Übungen und bilaterale Austauschprogramme Im Gegensatz zu den Konsequenzen, die ein britischer EU-Austritt für die Bundeswehr im Zusammenhang mit dem Rückzug britischer Streitkräfte aus EU-Operationen und -Missionen sowie mit britischen Truppenzusagen für die EU-Battlegroups haben könnte, dürfte der Brexit sich auf multinationale Übungsvorhaben und auf die bestehenden bilateralen deutsch-britischen Personalaustauschprogramme kaum auswirken. Die diesen Vorhaben zugrunde liegenden Verträge 28 Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/ALL/?uri=CELEX%3A32008E0944 (letzter Zugriff: 30. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 15 oder Abkommen wurden bilateral bzw. multinational ausgehandelt und haben keinen unmittelbaren Bezug zur EU bzw. zum EU-Recht. Es ist jedoch denkbar, dass die Nutzung britischer Truppenübungsplätze durch die Bundeswehr künftig mit höheren bürokratischen Hürden, beispielsweise bei der Einreise der übenden Truppe in Großbritannien, verbunden sein könnte. Dies wird allerdings von den Detailregelungen des noch auszuhandelnden Austrittsabkommens abhängen. 3. Fazit Mit dem EU-Austritt Großbritanniens wird sich die politische Wirkung, die die Europäische Union mit ihrer GSVP in den Bereichen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungs- sowie Entwicklungspolitik entfalten kann, künftig deutlich verändern. Dies hat im Wesentlichen zwei Ursachen . Zum einen scheidet mit Großbritannien ein Land aus der EU aus, das als Ständiges Mitglied im VN-Sicherheitsrat (Veto-Macht), als Nuklearmacht und aufgrund seiner Geschichte heute in vielen Regionen dieser Erde immer noch über großen Einfluss verfügt. Zum anderen würden der GSVP nicht nur die finanziellen Beiträge Großbritanniens zu den Instrumenten der GSVP fehlen , sondern sie müsste ggf. auch sowohl auf seine wehrtechnischen und militärischen Fähigkeiten 29 als auch für EU-Operationen und -Missionen sowie in den EU BG auf seine Soldatinnen und Soldaten verzichten. 30 Diese Entwicklungen könnten Außenstehende als Zeichen mangelnden europäischen Zusammenhalts verstehen und diese zu einem aggressiveren Vorgehen gegenüber Europa veranlassen: „The best way to keep Russia from making aggressive moves in Europe is a show of unity – one that would be clearly shattered if the UK were to vote for Brexit.“ 31 Will die GSVP auch ohne Großbritannien künftig im selben Maße wie in der Vergangenheit zu Frieden und Sicherheit in der Welt und zu einem verteidigungsfähigen Europa beitragen, müssen die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten bereit sein, diese durch den britischen EU-Austritt eventuell entstehenden Lücken zu schließen. Sollte dies gelingen, könnte die GSVP sogar von dem Brexit profitieren, denn ohne das Vereinigte Königreich dürfte die EU künftig nach Außen und in 29 Im Jahr 2015 betrugen Großbritanniens Verteidigungsausgaben 50,6 Mrd. EUR und damit 24,9 Prozent der Verteidigungsausgaben aller EU-Mitgliedstaaten. Vgl. The Military Balance 2016, a.a.O., S. 60 ff. und S. 151 sowie Stanley-Lockman, Zoe; Wolf, Katharine (2016): European defence spending 2015: The force awakens. Issue-Brief Nr. 10, herausgegeben im März 2016 vom European Union Institute for Security Studies (EUISS), S. 1. Abrufbar unter: http://www.iss.europa.eu/uploads/media/Brief_10_Defence_spending.pdf (letzter Zugriff: 1. Juli 2016). 30 Im Jahr 2015 betrug die personelle Gesamtstärke der britischen Streitkräfte 154.700 aktive Soldatinnen und Soldaten sowie 84.000 Reservedienstleistende. Vgl. The Military Balance 2016, a.a.O., S. 151. 31 Peter Hulquist, schwedischer Verteidigungsminister, in einem Interview mit Defense News TV. Vgl. Mehta, Aaron (2016): Swedish, Polish Ministers: ‚Brexit‘ Would Be Destabilizing. In: Defense News International , Vol. 4, No. 11, June 2016, S. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 093/16 Seite 16 internationalen Organisationen noch kohärenter auftreten können: „The EU loses substantial soft and hard power assets, but may be able to act more coherently externally and in international institutions .“ 32 Beim Schließen der durch den britischen EU-Austritt entstehenden Lücken in den Bereichen Finanzen, Personal, technologischem Know-how und militärischen Fähigkeiten kommt Deutschland mit seiner Wirtschaftskraft und seinem Anspruch, europäische Politik maßgeblich mitzugestalten , eine besondere Rolle zu. Hier könnte Deutschland zeigen, dass es, wie spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 von zahlreichen deutschen Spitzenpolitikern wiederholt gefordert, wirklich noch stärker zur Übernahme internationaler Verantwortung bereit ist. Sollte Deutschland im Zuge des Brexit tatsächlich mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen und dazu beitragen wollen, die sicherheits- und verteidigungspolitischen Folgen des britischen EU-Austritts zumindest teilweise zu kompensieren, hätte dies für die Bundeswehr mit großer Wahrscheinlichkeit einen Aufgabenzuwachs und eine höhere personelle Belastung zur Folge. Darüber hinaus müsste die Bundeswehr militärische Fähigkeiten, die bisher von den britischen Streitkräften bereitgestellt wurden, nun zum Teil selbst verfügbar machen. Beides dürfte künftig nur dann gelingen, wenn die geplanten Steigerungen in den Bereichen Beschaffungsinvestitionen und Personal umgesetzt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch müsste die Bundeswehr weiter an ihrer Belastungsgrenze operieren. Ende der Bearbeitung 32 Irwin, Gregor (2015): BREXIT: the impact on the UK and the EU. Hrsg.: Global Counsel, Juni 2015, S. 9. Abrufbar unter: https://www.global-counsel.co.uk/sites/default/files/special-reports/downloads/Global%20Counsel_Impact _of_Brexit.pdf (letzter Zugriff: 1. Juli 2016).