Deutscher Bundestag Zur griechischen Zwangsanleihe von 1942 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 – 093/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 2 Zur griechischen Zwangsanleihe von 1942 Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 093/13 Abschluss der Arbeit: 11. Dezember 2013 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Intertemporales Völkerrecht 5 3. Völkerrechtliche Bewertung der Zwangsanleihe von 1942 6 3.1. Zulässige Eingriffe in öffentliches Eigentum gemäß der Haager Landkriegsordnung 7 3.2. Zulässige Eingriffe in das private Eigentum der Bevölkerung eines besetzten Gebiets gemäß der Haager Landkriegsordnung 9 4. Rückzahlungsansprüche und Gegenrechte 10 4.1. Zusammenhang zwischen Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Zwangsanleihe und Rückzahlungsanspruch 10 4.2. Verjährung im Völkerrecht 11 4.3. Stillschweigende Zustimmung 13 5. Völkerrechtliche Schranken einer hypothetischen gerichtlichen Geltendmachung etwaiger Zahlungsansprüche Griechenlands gegen Deutschland 14 5.1. Internationale Gerichte 14 5.2. Ausländische nationale Gerichte 15 5.3. Deutsche Gerichte 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 4 1. Einführung Das Deutsche Reich erlegte Griechenland 1942 eine Zwangsanleihe auf. Deutschland verstand die Anleihe als Abschlagszahlung auf die Besatzungskosten, die Deutschland von Griechenland forderte.1 Bei Kriegsende schuldete Deutschland Griechenland aus dieser Zwangsanleihe einen Betrag von 476 Millionen Reichsmark.2 Die Frage, ob hinsichtlich dieses Betrages ein griechischer Rückzahlungsanspruch gegen Deutschland besteht und nach wie vor durchsetzbar ist, war bisher (soweit ersichtlich) nicht Gegenstand einer bindenden richterlichen Feststellung. Insbesondere hat Griechenland nicht versucht, einen entsprechenden Anspruch gegenüber Deutschland (etwa vor einem deutschen Zivilgericht) gerichtlich geltend zu machen. Auch sind keine bilateralen Vereinbarungen zwischen Griechenland und Deutschland mit völkerrechtlicher Feststellungswirkung bekannt. Die vorliegende Arbeit kann daher keine rechtswissenschaftlich gesicherte Aussage zu Bestehen, Durchsetzbarkeit und Umfang etwaiger Ansprüche treffen , sondern nur deren völkerrechtliche Rahmenbedingungen beschreiben. Auch kann die vorliegende Arbeit nicht abschließend beurteilen, ob die historischen Ereignisse rund um die Auflage der Zwangsanleihe von 1942 die tatsächlichen Bedingungen erfüllten, die in spezifischen Anspruchsgrundlagen des Vertrags- und Deliktsrechts vorausgesetzt werden. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die Auffassung der Bundesregierung, wonach es sich bei der möglichen Geltendmachung einer Rückzahlung der Zwangsanleihe um einen Reparationsanspruch3 handeln würde. Die Bundesregierung führte im Jahre 2010 hierzu aus: „65 Jahre nach Kriegsende und nach Jahrzehnten friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit der internationalen Staatengemeinschaft einschließlich dem NATO- und EU-Partner Griechenland hat die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren. Deutschland hat seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges in hohem Maße Reparationsleistungen erbracht, die die betroffenen Staaten nach allgemeinem Völkerrecht zur Entschädigung ihrer Staatsangehörigen verwenden sollten. Allein durch Wiedergutmachung und sonstige Leistungen wurde ein Vielfaches der ursprünglich auf der Konferenz von Jalta ins Auge gefassten Reparationen in Höhe von 20 Mrd. US-Dollar erbracht. Im Übrigen wären Reparationen mehr als 60 Jahre nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen in der völkerrechtlichen Praxis ein Sonderfall ohne jede Präzedenz. Der Bundesregierung sind keine Bestrebungen der griechischen Regierung bekannt, derartige Forderungen geltend 1 Protokoll betreffend deutsch-italienische Vereinbarungen über Griechenland, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, R 29614 (Büro des Staatssekretärs, Griechenland, Band 4) und Bilat R, ITA Nr. 94, S. 83 ff. 2 WD 4, Berechnungen zur sogenannten griechischen Zwangsanleihe von 1942, Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste, WD 4 – 3000 – 093/12 vom 3. April 2012. 3 Zum Reparationsbegriff siehe bereits WD 2, Völkerrechtlicher Reparationsbegriff und Zwangsanleihe, Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste, WD 2 – 3000 – 086/13 vom 5. November 2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 5 zu machen. Gespräche mit der griechischen Regierung hat es in dieser Sache nicht gegeben.“4 2. Intertemporales Völkerrecht Die Fragestellung wirft zunächst das Problem auf, nach welchem Recht ein (historischer) Sachverhalt zu beurteilen ist, dem gegenwärtig anwendbaren oder dem, das im Zeitpunkt seiner Entstehung galt? Das sogenannte intertemporale Völkerrecht beantwortet diese Frage im Hinblick auf die materiell-völkerrechtlichen Aspekte des Themenkomplexes.5 Ausgangspunkt ist dabei zunächst der Grundsatz, dass die Entstehung völkerrechtlicher Ansprüche nach dem Völkerrecht zu beurteilen ist, das zum Zeitpunkt dieser Entstehung galt.6 Folgerichtig lehnen Staatenpraxis und Rechtsprechung die Rückwirkung völkergewohnheitsrechtlichen Deliktsrechts ab.7 Allerdings gibt es im Völkerrecht kein allgemeines Rückwirkungsverbot.8 So ist insbesondere im Bereich des völkerrechtlichen Vertragsrechts eine rückwirkende Anwendbarkeit neuer Vertragsbestimmungen zulässig und jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Vertragsparteien diese Rückwirkung ausdrücklich vereinbaren.9 Es bestünden also keine grundsätzlichen völkerrechtlichen Bedenken, wenn sich Griechenland und Deutschland in einer hypothetischen vertraglichen Vereinbarung darauf verständigen würden, im bilateralen Verhältnis auf einen bestimmten historischen Sachverhalt das erst zu einem späteren Zeitpunkt entstandene Recht anzuwenden. Hinsichtlich der Zwangsanleihe von 1942 führt die Anwendung der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Völkerrechts zu dem Ergebnis, dass die materielle Völkerrechtskonformität der Zwangsanleihe nach dem zum damaligen Zeitpunkt geltenden Völkerrecht zu beurteilen ist. 4 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 17/574 – Entschädigungs -, Schadensersatz- und Reparationsforderungen wegen NS-Unrechts in Griechenland, Italien und anderen ehemals von Deutschland besetzten Staaten, BT-Drucksache 17/709 vom 11. Februar 2010, S. 5, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/007/1700709.pdf (letzter Zugriff 03.12.2013). 5 Wolf-Dietrich Krause-Ablaß, Intertemporales Völkerrecht, Hamburg 1970, S. 15. Siehe hierzu auch Markus Kotzur, Intertemporal Law, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1433?rskey=fZqsiu&result =1&prd=EPIL (letzter Zugriff 21.11.2013), m.w.N. 6 Markus Kotzur (Anm. 5) Rz. 5. 7 Wolf-Dietrich Krause-Ablaß (Anm. 5) S. 91. 8 Wolf-Dietrich Krause-Ablaß (Anm. 5) S. 41. 9 Wolf-Dietrich Krause-Ablaß (Anm. 5) S. 72. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 6 3. Völkerrechtliche Bewertung der Zwangsanleihe von 1942 Das für die materiell-rechtliche völkerrechtliche Bewertung der Zwangsanleihe maßgebliche humanitäre Völkerrecht wurde 1942 noch als Kriegsvölkerrecht bezeichnet. Da sich mit der Entwicklung vom hergebrachten Kriegsvölkerrecht zum modernen humanitären Völkerrecht sowohl Regelungsdichte als auch das Schutzniveau zugunsten der Zivilbevölkerung erhöht haben,10 dürfte davon auszugehen sein, dass ein staatliches Verhalten gegenüber einem besetzten Staat bzw. gegenüber der Bevölkerung in einem besetzten Gebiet, das nach heutigem humanitären Völkerrecht als rechtmäßig erachtet wird, in aller Regel auch nach damaligem Kriegsvölkerrecht a fortiori rechtmäßig gewesen sein dürfte.11 In diesen Grenzen können also auch neuere Rechtsauffassungen zum Inhalt des modernen humanitären Völkerrechts in Betracht gezogen werden, wenn es um eine Bewertung der Ereignisse von 1942 geht. Im Hinblick auf das in dem konkreten Fall anwendbare vertraglich vereinbarten Kriegsvölkerrecht stellen sich rechtsdogmatische Probleme: Im Jahre 1907 kodifizierten die Vertragsparteien die wesentlichen Grundsätze des Kriegsvölkerrechts in dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (Haager Landkriegsordnung)12. Für das Deutsche Reich trat die Haager Landkriegsordnung am 26. Januar 1910 in Kraft.13 Das Abkommen wurde auch vom König der Hellenen gezeichnet14, soweit ersichtlich jedoch nicht in einem weiteren internen Rechtsakt von Griechenland ratifiziert.15 Die Reziprozitätsklausel in Art. 2 Haager Landkriegsordnung16 sieht an sich vor, dass die Bestimmungen des Abkommens nur zwischen den Vertragsparteien Anwendung finden und auch nur dann, wenn sämtliche Kriegführenden Vertragsparteien sind. Allerdings waren die in 10 Vgl. im einzelnen Leslie C. Green, The contemporary law of armed conflict, 3. Auflage, Manchester 2008, Kap. 1 und 2. 11 Grundlegend zu Zulässigkeit und Grenzen der rechtswissenschaftlichen Argumentation a fortiori (auch a maiore ad minus), Karl Larenz/Klaus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Berlin u.a. 2008, S. 209 f. 12 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, abgeschlossen in Den Haag am 18. Oktober 1907, Reichsgesetzblatt 1910 Nr. 3205, S. 107 ff., http://www.1000dokumente.de/index .html?c=dokument_de&dokument=0201_haa&object=facsimile&pimage=1&v=100&nav=&l=de (letzter Zugriff 18.11.2013) sowie http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19070034/index .html (letzter Zugriff 18.11.2013). 13 Siehe die Angaben auf http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19070034/index.html (letzter Zugriff 18.11.2013). 14 Siehe RGBl. (Anm. 12). 15 Siehe die Angaben auf http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19070034/index.html (letzter Zugriff 18.11.2013). 16 Art. 2: „Die Bestimmungen der im Artikel 1 angeführten Ordnung sowie des vorliegenden Abkommens finden nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung und nur dann, wenn die Kriegführenden sämtlich Vertragsparteien sind.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 7 der Haager Landkriegsordnung kodifizierten Grundsätze zum Zeitpunkt ihrer vertraglichen Annahme im wesentlichen bereits gewohnheitsrechtlich verfestigt.17 Es ist daher in Erwägung zu ziehen, dass sie als Ausdruck des damaligen Völkergewohnheitsrechts auf die vorliegende Fragestellung auch unabhängig von einer etwaigen Ratifikation Griechenlands Anwendung finden könnten. Eine ins Einzelne gehende Untersuchung der Staatenpraxis und Rechtsauffassung (opinio iuris) von 1942, die den exakten Inhalt des damals anwendbaren Völkergewohnheitsrechts im Hinblick auf Zwangsanleihen bestimmten, kann im Rahmen der vorliegenden Darstellung allerdings nicht geleistet werden. 3.1. Zulässige Eingriffe in öffentliches Eigentum gemäß der Haager Landkriegsordnung Die Haager Landkriegsordnung spricht die Frage der Zulässigkeit von Zwangsanleihen der Bevölkerung eines besetzten Gebiets zugunsten des Besetzenden nicht ausdrücklich an. Allerdings regelt der Abschnitt über die Ausübung militärischer Gewalt auf besetztem feindlichen Gebiet auch Aspekte der Zulässigkeit von Eingriffen in das Eigentum. Dabei unterscheidet die Haager Landkriegsordnung zwischen privatem und öffentlichem Eigentum in dem besetzten Gebiet.18 Unter der Prämisse, dass die Zwangsanleihe ausschließlich aus staatlichen Mitteln aufgebracht wurde, wäre die Zulässigkeit eines deutschen Eingriffs in griechisches Staatseigentum zu untersuchen. Für diese Prämisse spricht der Wortlaut einiger zeitgenössischer Äußerungen mit der Frage befasster deutscher Diplomaten .19 Gleichwohl kann die Prämisse im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht abschließend geprüft werden, da hierzu unter anderem umfängliche wirtschaftsgeschichtliche Quellenstudien notwendig wären.20 Nach Art. 53 Abs. 1 Haager Landkriegsordnung darf der Besetzende in dem besetzten Gebiet das bare Geld, die Wertbestände sowie eintreibbaren Forderungen des besetzten Staates in Beschlag nehmen. Auch nach aktuellem Verständnis des humanitären Völkerrechts ist der Gebrauch öffentlichen Eigentums durch den Besetzenden unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.21 Da Art. 53 Abs. 2 Satz 2 Haager Landkriegsordnung die Regelung von Rückgabe bzw. Entschädigung bei Friedensschluss nur im Zusammenhang mit bestimmten Gegenständen im 17 Vgl. zum Verhältnis zwischen Gewohnheitsrecht und Haager Recht im einzelnen Leslie C. Green (Anm. 10), S. 40 ff. 18 Eyal Benvenisti, Occupation, Belligerent, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e359?rskey=hqgB6m&result =146&prd=EPIL (letzter Zugriff 18.11.2013), Rz. 29. 19 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, R 29614 (Büro des Staatssekretärs, Griechenland, Band 4) und Bilat R, ITA Nr. 94, S. 83 ff. 20 So wäre u.a. zu ermitteln, in welchem Umfang die Staatsbank die Anleihe aus Pflichteinlagen privater griechischer Banken aufbrachte. 21 Eyal Benvenisti (Anm. 18), Rz. 30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 8 Privateigentum ausdrücklich anspricht, ist davon auszugehen, dass die in Abs. 2 normierten Rückgabe- bzw. Entschädigungserfordernisse nicht bei der in Abs.1 geregelten Beschlagnahme öffentlichen Eigentums des besetzten Gebietes anwendbar sind. Friedensvertragliche Entschädigungsregelungen für kriegsbedingte Eingriffe in staatliches Eigentum bleiben also nach der Haager Landkriegsordnung im freien Ermessen der Friedensvertragsparteien . Anwendung findet hingegen Art. 49 Haager Landkriegsordnung, wonach der Besetzende in dem besetzten Gebiet unter anderem Auflagen in Geld erheben darf, sofern diese zur Deckung der Bedürfnisse des Heeres oder der Verwaltung dieses Gebiets dienen. Somit hängt die Bewertung der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Zwangsanleihe im Lichte der Haager Landkriegsordnung – bzw. des entsprechenden Völkergewohnheitsrechts – unter anderem davon ab, wie die erhobenen finanziellen Mittel tatsächlich verwendet wurden. Die Frage der tatsächlichen Verwendung kann nur auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der volkswirtschaftlichen und militärgeschichtliche Umstände von 1942 beantwortet werden.22 In der Literatur findet sich die Ansicht vertreten, dass die durch die Zwangsanleihe aufgebrachten Mittel auch zu militärischen Zwecken außerhalb Griechenlands (Mittelmeerraum im allgemeinen, Libyen, usw.) dienten.23 Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit von Eingriffen in griechisches Staatseigentum in dem konkreten, historischen Sachverhalt erfüllt wurden, insbesondere ob die mit der Zwangsanleihe erhobenen Mittel in der Tat für die Deckung der Bedürfnisse des Heeres oder der Verwaltung des besetzten Gebiets eingesetzt wurden, kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht abschließend beurteilt werden. Im Ergebnis kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass eine Zwangsanleihe von 1942, wenn sie aus staatlichen Mitteln Griechenlands aufgebracht worden sein sollte, nach damaligem Kriegsrecht rechtmäßig war. 22 Zu den historisch-volkswirtschaftlichen Aspekten der deutschen Besatzungsverwaltung in Griechenland vgl. Hermann Neubacher, Sonderauftrag Südost 1940-45, S. 72 ff.; Heinz Richter, Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946), Frankfurt a.M. 1973, S. 193 ff.; Mark Mazower , Inside Hitler’s Greece, The Experience of Occupation 1941 – 44, New Haven/London 2001, S. 65 ff.; Rainer Eckert, Vom “Fall Marita” zur “wirtschaftlichen Sonderaktion, Die deutsche Besatzungspolitik in Griechenland vom 6. April 1941 bis zur Kriegswende im Februar/März 1943, Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 85 ff., 121, 128; ders., Die wirtschaftliche Ausplünderung Griechenlands durch seine deutschen Okkupanten vom Beginn der Besetzung im April 1941 bis zur Kriegswende im Winter 1942/43, in: Jahrbuch für Geschichte 36 (1988), Berlin(DDR) 1988, S. 235 ff. 23 Vgl. Dietrich Eichholz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939 – 1945, Band III Teil 2, München 2003, S. 459 sowie Tasos Minas Iliadakis, Die Deutschen müssen zahlen, http://labournet.de/internationales /gr/illiadakis.html (letzter Zugriff 4.12.2013) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 9 3.2. Zulässige Eingriffe in das private Eigentum der Bevölkerung eines besetzten Gebiets gemäß der Haager Landkriegsordnung Sofern zwangsweise eingeforderte Zahlungen griechischer Staatsbürger, einschließlich juristischer Personen des Privatrechts, infrage stünden24, wären zur Beurteilung der Völkerrechtskonformität die – deutlich engeren – Normen der Haager Landkriegsordnung im Hinblick auf Eingriffe in das private Eigentum der Bevölkerung eines besetzten Gebiets heranzuziehen. Danach bliebe das Privateigentum der Bevölkerung dem Zugriff des Besetzenden weitgehend entzogen.25 So darf nach Art. 46 Satz 2 Haager Landkriegsordnung das Privateigentum grundsätzlich nicht eingezogen werden. Erhebt der Besetzende in dem besetzten Gebiete zugunsten des Staates bestehende Abgaben, so soll er dies soweit möglich nach Maßgabe der für die Ansetzung und Verteilung geltenden Vorschriften tun; es erwächst damit für den Besetzenden die Verpflichtung, die Kosten der Verwaltung des besetzten Gebiets in dem Umfange zu tragen, wie die gesetzmäßige Regierung hierzu verpflichtet war (Art. 48 Haager Landkriegsordnung ). Abgesehen davon darf der Besetzende Zahlungsauflagen verhängen, sofern diese zur Deckung der Bedürfnisse des Heeres oder der Verwaltung des besetzten Gebietes erforderlich sind (Art. 49 Haager Landkriegsordnung). Solche Zahlungsauflagen dürfen nur auf Grund eines schriftlichen Befehls und unter Verantwortlichkeit eines selbständig kommandierenden Generals erhoben werden (Art. 51 Satz 1 Haager Landkriegsordnung ). Auch Natural- und Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern gefordert werden, allerdings nur, soweit sie (a) zur Deckung der Bedürfnisse des Besetzungsheers dienen, (b) im Verhältnisse zu den Hilfsquellen des Landes stehen, (c) die Bevölkerung nicht mittelbar dazu verpflichten, an Kriegsunternehmungen gegen ihren eigenen Staat teilzunehmen, (d) der Befehlshabers der besetzten Örtlichkeit die Forderung der Natural- oder Dienstleistung anordnet und (e) der Besetzende dafür nach Möglichkeit bar bezahlt oder zumindest eine Empfangsbestätigungen ausstellt, die zur Zahlung einer für die Natural- oder Dienstleistung geschuldeten Ausgleichszahlung berechtigt (vgl. Art. 52 Haager Landkriegsordnung). Die völkerrechtswissenschaftliche Literatur unterstreicht, dass Eingriffe in das private Eigentum der Bevölkerung eines besetzten Gebiets nur dann völkerrechtlich zulässig sein können, wenn sie militärischen Zwecken dienen.26 Im Rahmen militärischer Notwendigkeit völkerrechtlich zulässigerweise beschlagnahmtes Privateigentum ist nach Kriegsende 24 Vgl. oben (Anm. 20). 25 Zur Reichweite des Eigentumsschutzes im humanitären Völkerrecht nach heutigem Verständnis vgl. Eyal Benvenisti (Anm. 18). 26 Thomas Kleinlein, Sequestration, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e404?rskey=hqgB6m&result=173&prd=EPIL (letzter Zugriff 18.11.2013), Rz. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 10 zurückzugeben, wobei die Frage der Entschädigung bei Friedensschluss zu regeln ist (Art. 53 Abs. 2 Haager Landkriegsordnung).27 Wie weit die tatbestandlichen Voraussetzungen zulässiger Eingriffe in griechisches Privateigentum von einer konkreten, einzelnen Maßnahme der deutschen Besetzenden erfüllt wurden, ist – wie bereits bei der Erörterung von Eingriffen in Staatseigentum – eine Tatsachenfrage , die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht abschließend beurteilt werden kann.28 Ebenso wenig wie beim Staatseigentum kann jedoch im Hinblick auf das Privateigentum ausgeschlossen werden, dass die Zwangsanleihe von 1942 nach damaliger Rechtslage völkerrechtskonform war. 4. Rückzahlungsansprüche und Gegenrechte 4.1. Zusammenhang zwischen Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Zwangsanleihe und Rückzahlungsanspruch Zur Frage eines möglichen Zusammenhangs zwischen einerseits der Völkerrechtsmäßigkeit bzw. -widrigkeit der Zwangsanleihe von 1942 und andererseits der Begründetheit eines griechischen Rückzahlungsanspruches gibt es bisher – soweit ersichtlich – keine gerichtliche Entscheidung. In ihrer eingangs zitierten Stellungnahme beschreibt die Bundesregierung alle aus dem Zweiten Weltkrieg resultierenden Ansprüche Griechenlands gegen Deutschland als erledigt .29 Aus Sicht der Bundesregierung käme es mithin für einen möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt erhobenen Rückzahlungsanspruch Griechenlands nicht darauf an, ob die Zwangsanleihe völkerrechtskonform oder völkerrechtswidrig war. Auch in der völkerrechtswissenschaftlichen Fachliteratur finden sich keine Beiträge, die einen zwingenden Zusammenhang zwischen Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Zwangsanleihe und der Begründetheit eines möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt erhobenen Rückzahlungsanspruches postulieren würden. Auf der Grundlage allgemeiner juristischer Methodik ließe sich a fortiori argumentieren, dass ein völkerrechtswidrig auferlegtes Zwangsdarlehen erst recht zurückbezahlt werden müsste, sofern dies bei einem in völkerrechtskonformer Weise auferlegten Zwangsdarlehen der Fall wäre.30 Andererseits ließe sich auch wissenschaftlich vertreten, dass die beiden möglicherweise einschlägigen 27 Im einzelnen siehe Hans-Georg Dederer, Enemy Property, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e294?rskey=mXUoPi&result =10&prd=EPIL (letzter Zugriff 18.11.2013), Rz. 33 – 38. 28 Zu den historisch-volkswirtschaftlichen Aspekten siehe die umfangreichen Nachweise oben (Anm. 22). 29 Vgl. BT-Drucksache 17/709 (Anm. 4) sowie BT-Drucks. 13/8840 vom 27. Oktober 1997, S. 2, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/088/1308840.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013), sowie Plenardebatte des Bundestages am 6. Juli 2000, BT-Plenarprotokoll 14/114, S. 10755, 10924, http://dip21.bundestag .de/dip21/btp/14/14114.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013). 30 Vgl. oben (Anm. 11). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 11 Anspruchsgrundlagen (Vertrag und Delikt) unabhängig voneinander bestehen, so dass die (Nicht-)Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der einen Anspruchsgrundlage nichts über die der anderen aussagt. Im Ergebnis muss wohl dahingestellt bleiben, ob ein zu einer Entscheidung über den Anspruch möglicherweise jemals berufenes (Schieds-)Gericht die Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Zwangsanleihe für entscheidungserheblich erachten würde. Überdies dürfte angesichts möglicherweise bestehender Gegenrechte (siehe unten) die Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Zwangsanleihe wohl nicht entscheidend für die Durchsetzbarkeit eines möglicherweise erhobenen Rückzahlungsanspruchs sein. 4.2. Verjährung im Völkerrecht Unter der Prämisse, dass ein Anspruch Griechenlands gegen Deutschland auf Rückzahlung der Zwangsanleihe von 1942 entstanden ist, zum Beispiel im Sinne eines vertragsrechtlichen Darlehensrückzahlungsanspruches, würde sich die Frage stellen, ob Deutschland einem solchen Anspruch zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Gegenrecht (in deutscher Rechtsterminologie: die Einrede) der Verjährung entgegenhalten könnte. Dies hätte zur Folge, dass Deutschland Zahlungsansprüche, die Griechenland möglicherweise in der Zukunft erheben könnte, nicht mehr erfüllen müsste. Die Frage der Verjährung zwischenstaatlicher Zahlungsansprüchen ist im Völkerrecht nicht eindeutig vertraglich oder gewohnheitsrechtlich geregelt. Im 19. Jahrhundert lehnte die Völkerrechtswissenschaft die Idee der Verjährung völkerrechtlicher Ansprüche wohl mehrheitlich noch ab.31 Doch bereits 1925 erkannte das renommierte Institut de droit international 32 das Prinzip der Verjährung als einen allgemeinen Rechtsgrundsatz an, der auch für völkerrechtliche Ansprüche gelte: Danach stehe hinter der völkerrechtlichen Verjährung der Gedanke, dass ein Schuldner davor geschützt werden solle, durch unvernünftig langes Zuwarten des Gläubigers in unfairer Weise zur Unzeit mit einem Anspruch konfrontiert zu werden.33 Allerdings müsse das Zuwarten des Gläubigers auch wirklich 31 „[W]hether a claim be a day or a century old, so that it is well founded, every principle of natural equity, of sound morals, requires it to be paid“, zitiert nach Georg Wunderlich, Zur Lehre der Verjährung nach internationalem Rechte, in: Anwaltskammer zu Berlin (Hrsg.), Festschrift Herrn Rechtsanwalt und Notar geheimen Justizrat Dr. h.c. Ernst Heinitz, Vorsitzenden des Vorstands der Anwaltskammer zu Berlin zu seinem 50-jährigen Dienstjubiläum (22. November 1926), Berlin 1926, S. 481 ff., http://translex.uni-koeln.de/output.php?docid=118300&markid=940000 (letzter Zugriff 15.11.2013), S. 482. 32 Zu Geschichte, Statuten, Mitgliedern und Rechtsauffassungen des Instituts vgl. die Angaben auf dessen Webseite http://www.idi-iil.org/ (letzter Zugriff 25.11.2013). 33 Jan Wouters/Sten Verhoven, Prescription, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e862?rskey=1DjnIV&result =1&prd=EPIL (letzter Zugriff 18.11.2013), Rz. 2. Wouters/Verhoven nennen als tragende Erwägungen „unreasonable delay“, materielle Gerechtigkeit, Fairness und „equity“, siehe Rz. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 12 unvernünftig sein, also etwa aus Fahrlässigkeit erwachsen, und dürfe nicht auf nachvollziehbaren Gründen beruhen.34 Stünden dem Schuldner im Hinblick auf den Anspruch Nachweisdokumente zur Verfügung, so sei ihm ein längeres Warten darauf, dass der Gläubiger den Anspruch geltend mache, zumutbar.35 Im Völkerrecht der Gegenwart ist das übergeordnetes Ziel der Völkerrechtsordnung, durch Rechtssicherheit die internationalen Beziehungen zu stabilisieren und damit zur Friedenssicherung beizutragen, deutlicher in den Mittelpunkt getreten.36 Die stärkere Betonung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens implizieren unter anderem, dass die Verjährbarkeit von Ansprüchen eher bejaht werden dürfte. Im vorliegenden Sachverhalt ist der Zeitpunkt des Beginns der Verjährung problematisch: In der Zwangsanleihe wurde kein Datum für die Fälligkeit der Darlehensrückzahlung benannt , wobei die Fälligkeit als wesentliche Voraussetzung des Beginns der Verjährung gelten kann.37 Vertretbar wäre die Annahme, dass die Rückzahlung fällig wurde und die Verjährung begann, als der Zwei-plus-Vier-Vertrag, der 1990 anstelle eines Friedensvertrages geschlossen wurde,38 in Kraft trat. Dafür spricht, dass im Jahre 1965 der damalige Bundeskanzler Erhard der griechischen Regierung in Aussicht stellte, „sobald die deutsche Wiedervereinigung unter Dach und Fach sei, werde man die Zwangsanleihe zurückzahlen “.39 Allerdings ist fraglich, ob ein möglicherweise zu einer Entscheidung berufenes Gericht zu der Rechtsauffassung gelangen würde, dass allein die unilaterale Erklärung des Bundeskanzlers von 1965 zur Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs im Jahre 1990 geführt haben könnte. Im Ergebnis ist festzuhalten: Die in Rechtsprechung und Literatur diskutierten Verjährungsfälle lassen erkennen, dass der Eintritt der Verjährung im Völkerrecht eine umfassende materiell-rechtliche Wertung auf der Grundlage allgemeiner Erwägungen der Fairness voraussetzt. Diese Wertung kann allenfalls im Rahmen eines gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahrens erfolgen, nicht jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit . 34 Jan Wouters/Sten Verhoven (Anm. 33), Rz. 6. 35 Jan Wouters/Sten Verhoven (Anm. 33), Rz. 6. 36 Statt vieler: Rüdiger Wolfrum, International law, in: ders (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1424?rskey=SKWA9H&result =7&prd=EPIL (letzter Zugriff 25.11.2013), Rz. 17 und passim. 37 Vgl. zum allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Verjährung erst bei Fälligkeit beginnt, im deutschen Recht § 194 Bürgerliches Gesetzbuch, http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bgb/gesamt.pdf (letzter Zugriff 5.12.2013). 38 Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990, BGBl. 1990 II 1318; in Kraft seit dem 15. März 1991, BGBl. 1991 II 585, http://www.documentarchiv.de/brd/2p4.html (letzter Zugriff 4.12.2013). 39 Rolf Surmann, „…Zum Schweigen gebracht“, Das Beispiel Griechenlands, in: Ders. (Hrsg.), Der lange Schatten der NS-Diktatur, Hamburg u.a. 1999, S. 135 ff., S. 139 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 13 4.3. Stillschweigende Zustimmung Wie an anderer Stelle ausgeführt,40 kennt auch das Völkerrecht die Rechtsfiguren der stillschweigenden Zustimmung bzw. der konkludenten Einwilligung mit der Rechtsfolge, dass der Gläubiger vom Schuldner nicht mehr verlangen kann, einen Anspruch zu erfüllen .41 Angesichts dessen würde sich, falls Griechenland einen Darlehensrückzahlungsanspruch gerichtlich geltend machen sollte, die Frage stellen, ob Deutschland sich auf die Verwirkung des Anspruches berufen könnte. Die Annahme, Griechenland hätte auf den Darlehensrückzahlungsanspruch konkludent verzichtet, würde voraussetzen, dass Griechenland im Hinblick auf die Geltendmachung des Anspruches untätig war und zusätzlich dazu spezifische Umstände vorliegen, aufgrund derer Deutschland eine ausdrückliche (gerichtliche) Geltendmachung des Zahlungsanspruches erwarten durfte.42 Die hypothetische gerichtliche Feststellung, dass Deutschland von Griechenland eine ausdrückliche Geltendmachung seines Zahlungsanspruches hätte erwarten dürfen, wäre stark von Billigkeitserwägungen (aequitas) getragen. In diesem Zusammenhang würde zur Konkretisierung der Verhaltenserwartungen an Griechenland die Pflicht aller Staaten, nach Treu und Glauben (bona fide) zu handeln, eine entscheidende Rolle spielen.43 Angesichts der erheblichen Bedeutung unbestimmter Rechtsbegriffe und weiter Beurteilungsspielräume, die das Völkerrecht im Hinblick auf die Verwirkung von Ansprüchen entwickelt hat, ist eine spezifische Aussage hinsichtlich einer zu erwartenden gerichtlichen Entscheidung nicht wissenschaftlich begründbar.44 40 Die Arbeit liegt dem Auftraggeber vor, siehe: WD 2, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, WD 2 – 3000 – 041/13 vom 26. Juni 2013. 41 Grundlegend hierzu Doris König, Tacit Consent/Opting Out Procedures; Nuno Sergio Marques Antunes , Acquiescence; Thomas Cottier/Jörg Paul Müller, Estoppel; Jan Wouters/Sten Verhoven, Prescription ; sämtliche in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw.com/home/EPIL (letzter Zugriff 5.12.2013). 42 Vgl. Nuno Sergio Marques Antunes (Anm. 41), der “acquiescence” wie folgt definiert: “It concerns a consent tacitly conveyed by a State, unilaterally […], through silence or inaction, in circumstances such that a response expressing disagreement or objection in relation to the conduct of another State […] would be called for. Acquiescence is thus consent inferred from a juridically relevant silence or inaction. Qui tacit consentire videtur si loqui debuisset ac potuisset (he who keeps silent is held to consent if he must and can speak).” (Rz. 1.) 43 Nuno Sergio Marques Antunes (Anm. 41), Rz. 19 f. 44 Hinsichtlich der in die Abwägung einzustellenden historischen Umstände sei auf die den Auftraggebern bereits vorliegende Ausarbeitung (Anm. 40), S. 16-22, verwiesen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 14 5. Völkerrechtliche Schranken einer hypothetischen gerichtlichen Geltendmachung etwaiger Zahlungsansprüche Griechenlands gegen Deutschland 5.1. Internationale Gerichte Die Fragestellung erfasst u.a. die verfahrensrechtlichen Folgen, die aus den unterschiedlichen materiell-rechtlichen Begründungen (Vertrag oder Delikt45) eines hypothetischen, möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt erhobenen Zahlungsanspruchs Griechenlands gegen Deutschland erwachsen könnten. Grundsätzlich kann der Internationale Gerichtshof (IGH), wenn die Voraussetzungen seiner Zuständigkeit erfüllt sind, seine Gerichtsbarkeit sowohl im Hinblick auf Schadensersatzansprüche als auch bezüglich vertraglicher Ansprüche ausüben.46 Es käme also, wenn der IGH zuständig wäre, im Ergebnis nicht darauf an, mit welcher der denkbaren rechtlichen Begründungen (Vertrag oder Delikt) ein Kläger seinen Anspruch untermauern würde. Somit würde es für die unter anderen Umständen vorstellbare Zuständigkeit des IGH auch keine Rolle spielen, ob der im Zeitpunkt seiner gerichtlichen Entscheidung möglicherweise zu korrigierende rechtliche Sachverhalt (hier: die Zwangsanleihe) im Zeitpunkt seiner Entstehung (hier: 1942) völkerrechtswidrig war. Ebenso wenig käme es, wenn der IGH grundsätzlich zuständig wäre, darauf an, ob die Zwangsanleihe einen Kreditvertrag darstellt. Vorliegend ist entscheidend, dass der IGH nur soweit zuständig ist, wie Deutschland sich seiner Gerichtsbarkeit freiwillig unterwirft. Im Jahre 2008 hat Deutschland eine Erklärung nach Artikel 36 Abs. 2 des IGH-Statuts47 abgegeben, wonach Deutschland die Zuständigkeit des IGH von Rechts wegen und ohne besondere Übereinkunft gegenüber jedem anderen Staat, der dieselbe Verpflichtung übernimmt, anerkennt.48 Griechenland hat bereits 1994 eine entsprechende Erklärung abgegeben, so dass die Reziprozitätsbedingung der 45 Unter der verkürzenden Bezeichnung „Delikt“ werden im vorliegenden Zusammenhang alle Ansprüche der gewohnheitsrechtlich verankerten Staatenverantwortung verstanden, die aus Völkerrechtsverletzungen resultieren, welche auf dem Verhalten eines Staatsorgans beruhen und diesem Staat zurechenbar sind, vgl. Manfred Baldus u.a., Staatshaftungsrecht, 4. Auflage, Heidelberg u.a. 2013, Rz. 573. 46 Siehe im einzelnen Christian Tomuschat, Kommentierung zu Art. 36 IGH-Satut, in: Andreas Zimmermann /Christian Tomuschat/Karin Oellers-Frahm (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice , A Commentary, Oxford 2006, S. 589 ff. 47 Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945, BGBl. 1973 II S. 505, http://www.icjcij .org/documents/index.php?p1=4&p2=2&p3=0 (letzter Zugriff 28.11.2013), deutsche Übersetzung auf http://www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf (letzter Zugriff 28.11.2013). 48 Siehe BT-Drs. 16/9218 vom 5. Mai 2008, Erklärung über die Anerkennung der obligatorischen Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs nach Artikel 36 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs , http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/092/1609218.pdf (letzter Zugriff 28.11.2013); in englischer Übersetzung auf der Webseite des IGH, http://www.icj-cij.org/jurisdiction/index .php?p1=5&p2=1&p3=3&code=DE (letzter Zugriff 28,11,2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 15 deutschen Erklärung erfüllt ist.49 Allerdings gilt die deutsche Unterwerfungserklärung ausdrücklich nur für Streitigkeiten, die nach dem Datum der Erklärung entstehen.50 Die Erklärung aus dem Jahre 2008 ist also nicht rückwirkend anwendbar auf eine Streitigkeit, die ihren Rechtsgrund 1942 findet. Anhaltspunkte, dass die Bundesregierung im Falle einer griechischen Klage vor dem IGH sich dessen Gerichtsbarkeit ad hoc freiwillig unterwerfen wollte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist das ausdrückliche und uneingeschränkte Bestreiten griechischer Ansprüche, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg resultieren würden,51 wohl als Anhaltspunkt dafür zu verstehen, dass die Bundesregierung in diesem Punkt keine Notwendigkeit einer weiteren gerichtlichen Klärung sieht. Auch die Einlassung der Bundesregierung in dem Verfahren Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening) vor dem IGH52 scheint diesen Schluss nahezulegen. Der IGH dürfte somit kein geeignetes Forum für die hypothetische Geltendmachung griechischer Zahlungsansprüche gegen Deutschland sein. 5.2. Ausländische nationale Gerichte Vor den nationalen Gerichten eines anderen als des in einem Verfahren beklagten Staates können Ansprüche nach gegenwärtigem Stand des Völkerrechts nur geltend gemacht werden , sofern sich der beklagte Staat nicht auf seine ihm zustehende Staatenimmunität beruft ; hier gilt als Ausfluss der souveränen Gleichheit der Staaten nach wie vor der Grundsatz par in parem not habet imperium.53 Die Zuständigkeit eines ausländischen nationalen Gerichts, also auch eines griechischen Gerichts, für die hypothetische gerichtliche Geltendmachung etwaiger Zahlungsansprüche Griechenlands gegen Deutschland hinge also davon ab, dass Deutschland auf die ihm 49 Siehe die englische Übersetzung der griechischen Erklärung auf der Webseite des IGH, http://www.icjcij .org/jurisdiction/index.php?p1=5&p2=1&p3=3&code=GR (letzter Zugriff 28.11.2013). 50 1. Absatz der Erklärung (Anm. 48). 51 Vgl. BT-Drucksache 17/709 (Anm. 4) sowie BT-Drucks. 13/8840 vom 27. Oktober 1997, S. 2, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/088/1308840.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013), sowie Plenardebatte des Bundestages am 6. Juli 2000, BT-Plenarprotokoll 14/114, S. 10755, 10924, http://dip21.bundestag .de/dip21/btp/14/14114.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013). 52 IGH, „Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), Judgment of 3 February 2012“, http://www.icj-cij.org/docket/files/143/16883.pdf (letzter Zugriff 28.11.2013). Deutschland hatte sich im Hinblick auf alle nationalen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, die den Gegenstand des Verfahrens vor dem IGH bildeten, auf den Grundsatz der Staatenimmunität berufen und wurde in dieser Rechtsauffassung vom IGH bestätigt. 53 Die Bestätigung dieses Grundsatzes ist der wesentliche Inhalt der IGH-Entscheidung „Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening) (Anm. 52). Eingehend zur Staatenimmunität Juliane Kokott, States, Sovereign Equality, in: http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1113?rskey=HISoKP&result =1&prd=EPIL (letzter Zugriff 28.11.2013), Rz. 21, 35 und passim. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 16 zustehende Staatenimmunität verzichtete und sich der ausländischen nationalen Gerichtsbarkeit freiwillig unterwürfe. Die bereits erwähnten Einlassungen Deutschlands in dem Verfahren Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening ) vor dem IGH54 bieten keinen Anhaltspunkt dafür, dass Deutschland im Hinblick auf Ansprüche, die an Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges anknüpfen, sich der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterwerfen möchte. 5.3. Deutsche Gerichte Grundsätzlich wäre es für Griechenland völkerrechtlich zulässig, Ansprüche gegenüber Deutschland wegen der Zwangsanleihe von 1942 im Rahmen eines Verfahrens vor deutschen Gerichten zu erheben. Sofern Griechenland in einem hypothetischen Verfahren den Anspruch darlehensvertragsrechtlich begründen würde, läge eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 13 Gerichtsverfassungsgesetz vor.55 Damit wäre die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit zuständig. Würde Griechenland sich in einem hypothetischen Verfahren auf Anspruchsgrundlagen des deutschen Amtshaftungsrechts berufen, wäre gem. Art. 34 Satz 2 Grundgesetz56 ebenfalls die Zivilgerichtsbarkeit zuständig. 54 Siehe Anm. 52. 55 Gerichtsverfassungsgesetz, http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gvg/gesamt.pdf (letzter Zugriff 5.12.2013) 56 Grundgesetz, http://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html (letzter Zugriff 5.12.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 093/13 Seite 17 Literatur Eyal Benvenisti, Occupation, Belligerent, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e359?rskey=hqgB6m&result=146&prd=EPIL (letzter Zugriff 18.11.2013). Hans-Georg Dederer, Enemy Property, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e294?rskey=mXUoPi&result=10&prd=EPIL (letzter Zugriff 18.11.2013). Rainer Eckert, Die wirtschaftliche Ausplünderung Griechenlands durch seine deutschen Okkupanten vom Beginn der Besetzung im April 1941 bis zur Kriegswende im Winter 1942/43, in: Jahrbuch für Geschichte 36 (1988), Berlin(DDR) 1988, S. 235 ff. [BT-Bibliothek Signatur J 50944]. 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